Outland - Der geheime Planet - Dennis E. Taylor - E-Book

Outland - Der geheime Planet E-Book

Dennis E. Taylor

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Beschreibung

Als ihr Experiment zur Heisenbergschen Unschärferelation schiefgeht, müssen Physikstudent Richard und seine Freunde feststellen, dass sie versehentlich ein Portal zu einer anderen Dimension erschaffen haben. Es führt sie zu einer zweiten Erde, einer Welt, die genauso ist wie unsere – nur dass es dort niemals Menschen gab. Die Studenten sind begeistert, der Nobelpreis ist ihnen so gut wie sicher. Doch dann bricht der Supervulkan im Yellowstone-Nationalpark aus und droht, alles unter einem Regen aus Asche und Lava zu begraben. Die einzige Chance, die den Menschen noch bleibt, ist die vermeintlich schöne, neue Welt auf der anderen Seite des Portals ...

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Das Buch

Als ihr Experiment zur Heisenbergschen Unschärferelation schiefgeht, stellen der hochbegabte Physikstudent Richard und seine Freunde fest, dass sie versehentlich ein Portal zu einer anderen Dimension erschaffen haben. Es führt sie zu einer zweiten Erde, einer Welt, die genauso ist wie unsere – nur, dass es dort keine Menschen gibt. Die Studenten sind begeistert, der Nobelpreis ist ihnen so gut wie sicher. Dann bricht der Supervulkan im Yellowstone-Nationalpark aus und droht, alles im Umkreis von dreitausend Kilometern unter einem Regen aus Asche und Lava zu begraben. Die einzige Chance, die der Menschheit noch bleibt, ist die neue Welt auf der anderen Seite des Portals. Doch dort haben es die Auswanderer nicht nur mit der Schönheit einer unberührten Natur zu tun, sondern auch mit den Bewohnern, die auf der Erde vor ein paar Millionen Jahren ausgestorben sind. Und nicht alle von ihnen sind Pflanzenfresser ...

Der Autor

Dennis E. Taylor war früher Programmierer und arbeitete nachts an seinen Romanen. Mit Ich bin viele, dem Auftakt seiner erfolgreichen Bobiverse-Trilogie, gelang ihm schließlich der Durchbruch, sodass er sich nun ganz dem Schreiben widmet. Von Dennis E. Taylor ist bisher im Heyne Verlag erschienen: Ich bin viele, Wir sind Götter, Alle diese Welten und Die Singularitätsfalle.

Mehr über Dennis E. Taylor und seine Werke erfahren Sie auf:

DENNIS E.

TAYLOR

OUTLAND

DER GEHEIME PLANET

Roman

Aus dem Amerikanischen übersetzt

von Urban Hofstetter

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Titel der Originalausgabe:

OUTLAND

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Deutsche Erstausgabe 09/2020

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2019 by Dennis E. Taylor

Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe

und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag,

München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-22390-8V001

www.diezukunft.de

Ich widme dieses Buch meiner Frau Blaihin,

die mich versteht und trotzdem nicht schreiend

aus dem Zimmer rennt,

sowie meiner Tochter Tina,

die unsere Familie vervollständigt hat.

ERSTER TEIL

Sei vorsichtig, was du dir wünschst

PROLOG

5. Juni

Mike Nedmann lehnte sich auf dem Stuhl zurück und funkelte seinen Chef an. »Sie wollen, dass ich die Sache begrabe.« Er hatte den Satz nicht als Frage formuliert.

Andrew Kensington seufzte und senkte, sichtlich um Ruhe bemüht, einen Moment lang den Blick. »Ach, kommen Sie, Mike. Machen Sie doch kein Drama daraus. Ich will nichts vertuschen. Ich möchte nur …«

»… dass ich es herunterspiele. Ja, ich habe Sie schon verstanden. Verdammt noch mal, Andrew. Vor zwei Wochen wurden auf dem Geyser Hill ein paar Touristen gekocht und nun eine weitere Gruppe auf dem Firehole Lake Drive gegrillt. Wie zum Teufel soll ich das herunterspielen?«

»Weder das eine noch das andere ist zum ersten Mal passiert, Mike. Das ist alles noch nicht mal lange her. Es ist nicht so, als stünden wir kurz vor der Apokalypse. Sie wissen doch, wie gern die Medien solche Dinge aufblasen. Ich sage nur, dass Sie denen keine Extramunition liefern sollen.«

»Indem ich zum Beispiel andeute, dass wir in den letzten drei Monaten mehr Erdbebenschwärme hatten als in den ganzen letzten Jahren zusammengerechnet, oder dass sowohl die durchschnittlichen als auch die absoluten Stärken zugenommen haben. Ich soll sicher auch nicht den enormen Anstieg der tektonischen Hebung …«

»… was ebenfalls nichts Neues ist.«

Nun war es an Mike, einen Seufzer auszustoßen. Er blickte aus dem Fenster und versuchte, seinen Zorn in den Griff zu kriegen. Wie immer übte der scheinbar endlose Wald aus Drehkiefern augenblicklich eine beruhigende Wirkung auf ihn aus.

Andrew wartete derweil geduldig ab. Anscheinend hatte er nichts dagegen, Mike das Gesprächstempo bestimmen zu lassen.

Mike beugte sich vor und nahm den Berichtsentwurf in die Hand, den sein Boss auf den Schreibtisch gelegt hatte. Die von einem Laserdrucker ausgespuckten Seiten waren mit roter Tinte dekoriert. Einen Moment lang amüsierte es ihn, dass sie immer noch ausgedruckte und mit handschriftlichen Kommentaren versehene Berichte durch die Gegend trugen.

»Hören Sie, Andrew, das mag alles stimmen, aber all diese Dinge sind noch nie zuvor gleichzeitig passiert. Und sie haben nie synchron an Stärke zugenommen. Tektonische Hebungen könnten eine und hydrothermale Explosionen eine andere Ursache haben, lauter harmlose und langweilige Gründe. Aber wenn sich diese Dinge plötzlich parallel ereignen, dann geschieht irgendetwas in den tieferen Schichten. Und das verheißt nichts Gutes.«

»Jetzt geraten Sie ins Spekulieren, Mike.«

»Wir sind Geologen. Wir werden dafür bezahlt, geologische Ereignisse auszuwerten und Schlussfolgerungen zu ziehen. Was ich tue, ist sachlich richtig.«

»Ihr Bericht ist nicht sachlich. Er ist alarmistisch. Das hier ist keine Diskussion, Mike. Ich will eine weniger reißerische Version.« Andrew wartete noch einen Moment auf weitere Widerworte, dann drehte er sich um und ging davon.

Mike nahm den Bericht erneut in die Hand und überflog die roten Streichungen und Anmerkungen. Na schön. Er würde seine Meinungen, Hochrechnungen und Schlussfolgerungen entfernen. Aber Andrew konnte ihm nicht befehlen, die Daten zu löschen. Und ehrlich gesagt würde Andrew verfängliche Daten nicht mal dann erkennen, wenn sie ihm um einen Ziegelstein gewickelt auf den Fuß fielen. Mike knurrte leise und klappte seinen Laptop auf.

1

Die Schmelze

7. Juni

Erin Savard schlug die Hand vor den Mund, während sie die Nachrichten verfolgte. »SCHRECKEN IM YELLOWSTONEPARK!«, stand in dem Infoband, das über den unteren Bildschirmrand lief. Das Keuchen und die aufgeregten Kommentare der anderen Cafeteria-Besucher zeigten, dass sie ebenso schockiert waren wie Erin selbst.

Eine Frau stand mitten auf der Fire Hill Road und schaute sich hektisch um. Schließlich schien sie einen Entschluss zu fassen und versuchte, einen Schritt zu machen, wobei sie jedoch aus einem ihrer Schuhe schlüpfte. Sie riss entsetzt die Augen auf und hielt mit hoch erhobenem Fuß inne. Kurz sah sie auf ihren im Asphalt steckenden Schuh hinunter, dann richtete sie den Blick auf einen Punkt außerhalb des Bildausschnitts.

Die Kamera schwenkte nach rechts auf einen Mann, der die Arme nach ihr ausstreckte und sie zur Eile drängte. Die Frau vollendete den Schritt und schlüpfte kurzerhand auch noch mit dem anderen Fuß aus dem Schuh. Als ihre nackten Sohlen den Asphalt berührten, schrie sie auf. Hätte sie sich nicht so schwungvoll vorwärtsbewegt, wäre sie wahrscheinlich hingefallen und hätte sich dabei möglicherweise tödliche Verbrennungen zugezogen. Nach drei weiteren Schritten hatte sie den Straßenrand endlich erreicht und brach stöhnend und schluchzend in den Armen des Mannes zusammen.

Nun schwenkte die Kamera auf weitere Opfer, die sich vor Schmerzen vor und zurück wiegten oder von ihren Freunden und Verwandten umarmt wurden. An dieser Stelle verkleinerte sich das Videobild und gab den Blick auf einen Nachrichtensprecher mit professionell besorgter Miene frei.

»Igitt!« Bei der Vorstellung, auf halb geschmolzenem Asphalt laufen zu müssen, drehte sich Erin der Magen um. Sie wandte sich zu ihren beiden Tischnachbarinnen um. »Ich glaube, ich packe für die Exkursion besser ein Paar feste Stiefel ein.«

»Was ist da eigentlich passiert?«, fragte Leslie.

»Das war ein unterirdischer Lavastrom«, erwiderte Erin. »Unter dem Yellowstone gibt es haufenweise Lavataschen. Ab und zu entsteht ein neuer Strom, der den Boden aufheizt. Oder in diesem Fall die Straße. Und der hier war heiß genug, um den Asphalt ohne jede Vorwarnung sofort einzuschmelzen.«

»Und das ist normal?«

»Na ja, nicht so normal wie der nachmittägliche Stoßverkehr, aber auch nicht ungewöhnlicher als Tornados.«

»Und du willst da immer noch hin?«, fragte Leslie erstaunt. Obwohl alle saßen, musste sie zu ihrer deutlich größeren Freundin aufschauen. »Bist du irre?«

»Natürlich will ich«, erwiderte Erin. »Das ist eine Geologie-Exkursion, keine Touristenreise. Wenn ich die damit verbundenen Risiken scheue, kann ich mir auch gleich ein anderes Hauptfach suchen. Und außerdem macht es keinen Spaß, immer nur erkaltete Lava anzustarren.«

»Spaß? Mein Gott, Erin. Du sehnst dich wohl nach dem Tod.«

Ayanda stellte ihre Limonade ab und sah Leslie missbilligend an. »Literaturstudenten haben einfach keinen Sinn für Abenteuer.«

»Du kannst mich mal«, gab Leslie zurück. »Die Freitagabende im High Dive sind mir abenteuerlich genug, vielen Dank auch.«

Erins Blick wanderte wieder zum Fernseher. »Ich hoffe, dass sie sich nicht schlimm verbrannt hat. Das sah schmerzhaft aus. Für den Yellowstone mag das normal sein, aber für die Menschen, die von so etwas überrascht werden, ist es trotzdem traumatisch.« Ihr Handy piepte. Sie schaute auf das Display und seufzte. »Und damit ist das Mittagessen vorbei. Zufällig habe ich als Nächstes eine Geologie-Vorlesung. Willst du mitkommen, Leslie?«

Leslie verdrehte die Augen. Dann griff sie ohne ein weiteres Wort nach ihrem Bücherstapel und machte sich mit einem lässigen Winken auf den Weg zu ihrem nächsten Seminar.

»Sie hat allerdings nicht ganz unrecht«, sagte Ayanda, während sie und Erin zum Vorlesungssaal gingen. »Ich habe alle möglichen Gerüchte gehört. Über die Nachrichten hinaus, meine ich. Könnte diese Exkursion vielleicht ein bisschen gefährlich werden?«

»Das werden wir wahrscheinlich noch heute herausfinden. Aber ich hoffe, dass sie nicht abgeblasen wird. Wenn ich einen Bürojob wollte, würde ich das Programmieren lernen, wie Matt.«

Sie betraten den Vorlesungssaal und gingen direkt zu ihren Lieblingsplätzen. In der Mitte der dritten Reihe befanden sie sich genau auf Augenhöhe des Professors und hatten eine gute Chance, ihn in der Fragerunde auf sich aufmerksam zu machen.

»Hast du Matt schon angerufen und euer Freitags-Date abgesagt? Du hast versprochen, dass du bei unserem nächsten Frauenabend dabei sein wirst.«

»Oh, Mist, nein. Ich will ihm aber auch nicht nur eine Nachricht schicken, nachdem ich dem armen Kerl einen langen Vortrag darüber gehalten habe, dass er mir seine Planänderungen nicht in einer Textnachricht mitteilen soll. Ach, was soll’s. Konsequentes Verhalten ist was für Kleingeister, nicht wahr?«

Ayanda setzte gerade zu einer Antwort an, als Professor Collins mit einem vernehmlichen Ploppensein Ansteckmikrofon aktivierte. Die zahlreichen Unterhaltungen verstummten; stattdessen war zu hören, wie die Studenten sich gerade hinsetzten und für die Vorlesung bereit machten.

»Ich bin sicher, dass Sie alle die Nachrichten gesehen haben«, begann der Professor. »Vor einer Woche hat sich auf dem Geyser Hill direkt unter einem Holzsteg eine neue Fumarole aufgetan und mehrere Touristen verbrüht. Gestern hat sich eine der Straßen dort aufgeheizt, als gerade eine Besuchergruppe darauf herumlief. Ein paar der Ausflügler sind im Asphalt stecken geblieben. So erschreckend solche Vorkommnisse auch sein mögen, sind sie doch weder selten noch sonderlich bemerkenswert. Alle paar Jahre erhitzt Magma, das unter dem Yellowstone fließt, einen Teich und tötet alle Fische darin, oder es bringt eine Straße zum Schmelzen, oder es entsteht ein neuer Geysir. Doch im Zeitalter der Smartphones zirkulieren von solchen Ereignissen sofort zahlreiche Videos und befeuern die Sensationsgier der Medien. Lassen Sie mich zuerst die Frage beantworten, die allen auf den Nägeln, äh … brennt.« Im Auditorium erhob sich vereinzeltes Stöhnen. »Nein, nach derzeitigem Stand sagen wir die Exkursion zum Yellowstone nicht ab. Wir haben lange darüber diskutiert und beschlossen, es bei unserem Terminplan zu belassen. Natürlich behält sich die Universität das Recht vor, diesen Plan jederzeit über den Haufen zu werfen. Eventuelle Änderungen werde ich in meinem Blog posten und an den großen Verteiler mailen.« Der Professor schwieg einen Moment und wartete auf Kommentare oder Fragen. Da sich niemand meldete, ergriff er schließlich selbst wieder das Wort. »Also gut. Heute sprechen wir wie angekündigt über den Ausbruch des Toba vor ungefähr fünfundsiebzigtausend Jahren, bei dem vermutlich fast die gesamte menschliche Spezies ausgelöscht worden ist.«

Während er kurz schwieg und abwartete, bis ein paar Nachzügler ihre Plätze eingenommen hatten, wandte Erin sich ihrer Freundin zu und flüsterte: »Ich wette, dass heute ein paar Weicheier ihre Teilnahme zurückziehen werden.«

Ayanda kicherte, und Erin nutzte die Gelegenheit, um sich umzusehen. Von der Bühne, auf der der Professor vor einer riesigen Leinwand stand, stiegen mehrere halbrunde Sitzreihen in die Dunkelheit hinauf. Ein schwer zu beschreibender Geruch nach Papierstaub erfüllte den Saal, den Erin schon immer als gemütlich und heimelig empfunden hatte.

Der Professor betätigte die Fernbedienung, und auf der Leinwand erschien ein Bild. »Das ist eine künstlerische Rekonstruktion des Landstrichs, wie er vor dem Ausbruch des Toba-Supervulkans ausgesehen haben könnte.« Er drehte sich zu den Studenten um. »Bei seinem Ausbruch hat der Toba einen Teil der Gebirgskette buchstäblich in die Luft gesprengt. Die dabei entstandene Caldera enthält einen See, der so groß ist, dass man von seiner Mitte aus kein Ufer sehen kann. An seiner breitesten Stelle misst er ungefähr hundert Kilometer.« Er winkte kurz mit der Fernbedienung, und ein neues Bild erschien. »So sieht die Toba-Caldera heute aus, oder besser gesagt, das, was noch davon übrig ist.« Auf der Leinwand war eine Luftaufnahme von einem idyllischen blauen See mit einer großen Insel darin zu sehen. Am Ufer wechselten sich menschliche Besiedlungen mit Urwäldern und Wiesenflächen ab. Der Professor klickte sich durch eine Reihe von Aufnahmen von der Küste und den umgebenden Hügeln und begann, auf und ab zu gehen. »Den Krakatau ereilte ein ganz ähnliches Schicksal. Wo früher eine große, bergige Insel aufragte, existiert seither nur noch eine von kleineren Atollen umgebene Bucht. Doch im Vergleich zu Toba war Krakatau ein echter Winzling.« Auf der Leinwand erschienen in rascher Reihenfolge mehrere Vorher-Nachher-Aufnahmen.

Eine oberhalb von Erin sitzende Studentin hob die Hand. »Professor, wie unterscheidet sich ein Supervulkan von einem Vulkan?«

»Das hat mit der Größe zu tun, wobei der Schwellwert völlig willkürlich festgelegt wurde«, erwiderte Professor Collins. »Jede Eruption, die mehr als tausend Kubikkilometer Dreck in die Luft schleudert, gilt als ›super‹. Und Toba hat den meisten Schätzungen zufolge zweitausendachthundert Kubikkilometer ausgestoßen. Also mehr als genug. Nur zum Vergleich: Mount St. Helens hat nicht mehr als einen Kubikkilometer geschafft.« Er spielte abermals kurz an der Fernbedienung herum und öffnete ein weiteres Bild. »Derart viel Asche und Staub in der Atmosphäre müssen in den diversen planetaren Ökosystemen verheerende Schäden angerichtet haben. In dieser Zeit sind wahrscheinlich mehrere Arten komplett ausgestorben, und in weiten Teilen des Planeten kam es zu einem Klimawandel. Langfristig könnte dieses Ereignis sogar eine Eiszeit ausgelöst haben, aber das ist umstritten. Mittlerweile behaupten immer mehr Wissenschaftler, dass der Klimawandel nach der Toba-Eruption zu einem genetischen Engpass beim Homo sapiens geführt hat, ohne den sich der heutige Mensch nicht hätte entwickeln können.«

Ein Student hob die Hand. »Wird das in der Prüfung drankommen?«

»Alles wird in der Prüfung abgefragt, Ted. Aber wenn Sie es verstehen, müssen Sie es nicht auswendig lernen.«

Ted blickt wirklich nicht durch, dachte Erin.

Viel zu schnell war das Seminar vorbei, und Professor Collins schaltete den Projektor aus. »Denken Sie daran, dass die nächste Vorlesung eine Planungssitzung sein wird, bei der ich auf all Ihre Fragen zur Exkursion eingehe. Vorausgesetzt natürlich, dass sie dann immer noch stattfindet. Und vergessen Sie nicht, Ihre gesamte Ausrüstung durchzugehen und sämtliche Formulare zu unterschreiben und abzugeben. Ich will Sie nämlich nicht durch die Gänge jagen und mich hinterrücks auf Sie stürzen müssen. Das ist schlecht für die Knie und außerdem entwürdigend.«

Unter den Studenten, die zielstrebig auf die Ausgänge zuhielten, erhob sich leises Kichern.

Erin und Matt standen vorm Eingang des Studentenwohnheims. Sie versuchten, leise zu sein und den anderen nicht den Weg zu versperren. Eine Unterhaltung im Flur war alles andere als ideal, aber sie musste es schnell hinter sich bringen. Nicht, dass sie Matt Siemens hätte abwimmeln müssen – in diesen Dingen benahm er sich wie ein Gentleman –, aber sie war bereits spät dran und wollte nicht noch stärker in Versuchung geraten, die anderen zu versetzen.

Sie nahm Matts Hand, um es ihm so schonend wie möglich beizubringen. »Es tut mir leid, Schatz, aber ich habe es meinen Freundinnen versprochen. Es ist vielleicht das letzte Mal, dass wir in diesem Semester Zeit miteinander verbringen können.«

Matt wirkte nicht annähernd so enttäuscht, wie sie erwartet hatte. Zur Sicherheit durchforstete Erin noch einmal ihr Gedächtnis, da sie sich plötzlich nicht mehr sicher war, ob sie überhaupt miteinander verabredet gewesen waren. Es war doch Freitag, oder? Aber er nickte und schien nicht verwirrt, also konnte es das nicht sein.

Nun, wie auch immer. Dass er weniger enttäuscht war als vermutet, konnte sie ihm wohl kaum zum Vorwurf machen.

»Das ist schon okay. Ich mache mir viel mehr Sorgen wegen der Exkursion. Ich habe in den Nachrichten die geschmolzene Straße gesehen.« Bevor Erin protestieren konnte, hob Matt abwehrend die Hände. »Ja, ja, ich weiß. So etwas passiert und ist nichts Ungewöhnliches. Das hast du mir schon erklärt. Und ich gebe zu, dass du die Expertin bist, aber es tut mir leid, ich bin trotzdem besorgt. Bist du sicher …«

»Es ist nicht gefährlich, Matt. Wirklich. Jedenfalls nicht gefährlicher als sonst. Ich habe dir doch erklärt, was die Magmabewegungen bewirken. Es ist wie beim Überqueren der Straße. Dabei geht man ebenfalls jedes Mal ein gewisses Risiko ein.«

»Ja.« Er grinste sie an. »Aber ich finde nach wie vor, dass ein netter und bequemer Schreibtischjob …«

»Das ist nichts für mich. Gut, dann sehen wir uns morgen Abend, okay?«

Matt zuckte die Achseln und küsste sie. Dann drehte er sich um und bahnte sich einen Weg durch den Flur. Sie fand, dass er ungewöhnlich schnell ging, als müsste er dringend irgendwohin.

2

Ein Zusammentreffen kluger Köpfe

Bill Rustad sah auf, als Matt an den Tisch kam. »Hey, Matt. Ich sehe keine blauen Flecken. War Erin gar nicht sauer, dass du ihr einen Korb gegeben hast?«

»Nein, sie hat es ziemlich gut aufgenommen und mich leben lassen. Haben wir noch Zeit, etwas zu essen?«

Bill sah auf seine Armbanduhr. »Vielleicht sollten wir das erst im Dempsey’s tun. Da ist das Essen eh besser.«

»Das ist eine ganz schöne Untertreibung«, sagte Matt.

»Was? Das ist eine Beleidigung für die Mensa. Wieso sagst du so was? Sie servieren hier richtig tolle … Nein, vergiss es, die schmecken auch scheiße.« Bill grinste seinen Freund an. »Dann gibt es heute Burger.«

»Irgendwann musst du damit anfangen, dich besser zu ernähren, o mein Pummeligster.«

Bill tätschelte seinen Bauch. »Das ist deine Meinung.«

Während Matt wortlos die Achseln zuckte, begann Bill, seine Bücher und Ausdrucke zusammenzusammeln. Als er den Tisch räumte, übernahm ihn sofort eine andere Gruppe.

Das Ökosystem der Uni-Cafeteria, dachte Bill und schüttelte amüsiert den Kopf. Es überrascht mich, dass sie noch keine Platzmiete für die Tische verlangen.

Das Dempsey’s war nur wenige Gehminuten vom Campus entfernt, doch als sie dort ankamen, war Bill außer Atem und leicht verschwitzt. Er sagte nichts, beschloss jedoch insgeheim, sich von nun an häufiger zu bewegen. Zum Glück neigte Matt nicht zur Schadenfreude.

Als Bill sich beim Eintreten im Pub umschaute, brauchten seine Augen eine Weile, um sich an die veränderten Lichtverhältnisse anzupassen. Aus dem Augenwinkel sah er jemanden winken und drehte sich zu dem entsprechenden Tisch um, an dem Richard Nadeski zusammen mit jemand anderem saß. Bill versuchte, keine Miene zu verziehen, aber dieses Treffen würde in jeder Hinsicht interessant werden. Da ihn und Richard eine tiefe gegenseitige Abneigung verband, die auch Bill selbst mit seinen Sticheleien weiter befeuerte, hatte ihn diese Einladung sehr überrascht.

Während Bill sich dem Tisch näherte, musterte er die beiden Männer. Richard war ihm natürlich vertraut. Schließlich waren sie schon seit Jahren beste Feinde. Obwohl Richard allem Anschein nach niemals trainierte, war er wie ein Verteidiger beim American Football gebaut. Neben Richard nahm sich sogar Matt hager aus, und das wollte was heißen. Doch trotz seiner Statur und seines aufbrausenden Temperaments schien Richard niemals den Einsatz von Gewalt in Erwägung zu ziehen. Zum Glück.

Der andere Typ war klein und trug eine Brille. Seine Körperhaltung war genauso mies wie seine Frisur. Er wirkte wie das genaue Gegenteil von Richard. Dass die beiden miteinander Zeit verbrachten, wies ganz klar auf ein gemeinsames Wissenschaftsprojekt hin.

»Hallo, mein Großer«, sagte Bill und setzte sich auf einen Stuhl. »Die E-Mail klang ganz schön geheimnisvoll. Ich muss zugeben, dass sie mich neugierig gemacht hat. Die Sache hat nicht zufällig was mit Außerirdischen zu tun?«

Richard und Matt verdrehten gleichzeitig die Augen und lachten, als es ihnen auffiel. Richard streckte Matt die Hand hin. »Gut zu wissen, dass es nicht nur mir so geht. Ich bin Richard, und du musst das Computergenie sein, das Bill mitbringen wollte.«

Bill bemerkte, dass Matt Richard von Kopf bis Fuß musterte. Den meisten wäre der schnelle Blick gar nicht aufgefallen, aber Bill war seit Ewigkeiten mit Matt befreundet und hatte so etwas schon oft bei ihm erlebt. Da er ständig an Kampfsportwettbewerben teilnahm, konnte Matt gar nicht anders, als potenzielle Gegner auszuchecken. Richard war zwar massiger als er, aber dafür war Matt härter. Eine Schlägerei zwischen den beiden wäre ein wahrhaft episches Ereignis, doch Bill würde sein Geld immer auf Matt setzen.

Der Moment ging vorbei, und Matt nickte. »Ja. Und was die E-Mail betrifft, stimme ich Bill zu. Es geht euch um irgendeine merkwürdige Software und die dafür nötigen Hardwarevoraussetzungen, oder?«

Bill hob beide Hände. »Langsam, meine Herren, immer schön der Reihe nach.« Er winkte eine Kellnerin herbei. »Erst beschäftigen wir uns mit dem Essen und danach mit der Realität.«

Der vierte Teilnehmer dieses Treffens blickte nicht auf, als er nun das Wort ergriff. »Das wird vielleicht nicht so einfach, wie du glaubst.«

»Was, das Essen oder die Realität?«, fragte Bill.

Richard beugte sich vor, um einen Streit zu verhindern. »Jungs, das ist Kevin Jahani, die andere Hälfte unseres Projekts in angewandter Physik. Die wichtigere Hälfte, um ehrlich zu sein. Kevin hat ein paar Theorien über Zeit und Wahrscheinlichkeit entwickelt, die dem heutigen Kenntnisstand weit voraus sind. Kevin, Bill ist der Ingenieur, von dem ich dir erzählt habe. Er war bei der Mannschaft, die dieses Jahr den Rube-Goldberg-Wettbewerb für sich entschieden hat.«

Kevin schaute verlegen in Bills Richtung. Entweder war er von Bills Kommentar oder von den Worten, mit denen Richard ihn vorgestellt hatte, peinlich berührt. Vielleicht auch von beidem. Kevin schien einer von diesen Alpha-Nerds zu sein, die selten lange genug aus ihren Grübeleien auftauchten, um Sozialkompetenz zu entwickeln. Pfff. Ausgerechnet ich muss reden. In meiner Freizeit bemale ich D&D-Miniaturfiguren.

Als die Kellnerin ihre Bestellung aufnahm, lehnte Bill sich auf seinem Stuhl zurück und ließ geistesabwesend den Blick durch den schummrigen Pub schweifen. Das Dempsey’s war nicht einmal halb voll, was bei einem Lokal, das zum größten Teil Studenten anzog, nicht weiter überraschend war. Im laufenden Sommersemester war die Universität von Nebraska in Lincoln nicht annähernd so gut besucht wie im Frühlingssemester. Um möglichst ungestört zu sein, hatten sich die wenigen Gäste gleichmäßig im Pub verteilt. Das Stimmengewirr war nicht laut genug, um das Baseballspiel zu übertönen, das auf dem großen Fernseher lief.

Als die Kellnerin mit unbekanntem Ziel verschwand, wurde es Zeit, Klartext zu reden. Bill sah Richard an. »Nun zum nächsten Punkt. Die mysteriöse E-Mail. Leg los.«

Ernsthaft?, dachte Bill, während sein Burger auf halbem Weg zum Mund verharrte. Paralleluniversen?

Im selben Moment sagte Matt: »Ernsthaft? Paralleluniversen?«

Richard kniff sich in den Nasenrücken und holte tief Luft. »Nun, nein … nicht im herkömmlichen Science-Fiction-Sinne. Wenn wir von alternativen Weltenlinien sprechen, meinen wir damit Wahrscheinlichkeitspfade …«

»… durch eine sechsdimensionale Raumzeit«, fügte Kevin hinzu.

»Okay, Kevin, du hast meine Aufmerksamkeit«, sagte Bill. »Wieso nicht zehn oder elf Dimensionen?«

»Äh, das ist nicht die String-Theorie. Irgendwelche eingerollten Dimensionen würden keine …«

»Können wir uns bitte konzentrieren?« Richard lehnte sich zurück und sah sich am Tisch um. »Okay, es geht um Folgendes: Wir versuchen, ein Physikexperiment auf die Beine zu stellen, mit dem wir Kevins Theoriemodell über die Natur des Universums und den Wahrscheinlichkeitsraum überprüfen können. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber Kevin glaubt, dass die Zeit dreidimensional ist und sich in den zusätzlichen Dimensionen die Quantenunschärfe manifestiert.«

»Das ist eine grobe Vereinfachung«, beschwerte sich Kevin.

»Ich weiß, Kevin, aber ich studiere Physik im Hauptfach und habe selbst Schwierigkeiten, es zu verstehen. Diese beiden brauchen die populärwissenschaftliche Version.« Richard warf Bill und Matt einen entschuldigenden Blick zu.

Bill ließ sich an die Lehne zurücksinken und hörte zu, wie Richard die Einzelheiten erläuterte. Zwar enthielt die Theorie – auch in Richards allgemeinverständlicher Übersetzung – zahlreiche unbestätigte Behauptungen, aber das zugrundeliegende Konzept klang interessant. Möglicherweise würde dieses Projekt auf eine nerdige Weise sogar Spaß machen. Allerdings würde die technische Umsetzung, soweit Bill es heraushören konnte, nicht gerade ein Zuckerschlecken werden.

Die Kellnerin brachte eine weitere Runde Bier und Matts Burger – diesmal den, den er bestellt hatte. Matt lächelte und bedankte sich bei ihr. Die Kellnerin entschuldigte sich noch einmal und sah aus, als wollte sie einen Flirt beginnen. Als Richard sie durchdringend ansah und knapp »Vielen Dank« sagte, zog sie jedoch mit wütender Miene wieder ab. Das war typisch für Richard. Er hatte das Taktgefühl eines wütenden Bären.

Bill beobachtete diese Nebenhandlung mit schiefem Grinsen. Wie üblich war er darauf neidisch, wie sich die Mädchen Matt an den Hals warfen, und wie immer war ihm dieses Gefühl ein bisschen peinlich. Matt hatte dafür schließlich eindeutig einiges getan. Bill blickte auf sein eigenes Bäuchlein hinab, zuckte die Achseln und aß einen weiteren Bissen von seinem Burger.

Matt sah zu ihm herüber und deutete auf eine Stelle neben seinem Mundwinkel. Bill runzelte die Stirn und wischte einen verirrten Klacks Senf weg.

Einen Moment lang herrschte Schweigen, da alle sich auf ihr Essen konzentrierten. Über dem Tisch hing der Duft von gegrilltem Rindfleisch, karamellisierten Zwiebeln und mit Essig übergossenen Fritten.

Matt unterbrach die Vernichtung seines Burgers, um einen Schluck Bier zu trinken. Dann drehte er sich zu Richard um. »So, wo kommen wir ins Spiel?«

»An der Seitenlinie«, sagte Bill, bevor Richard antworten konnte. »So wie alle anderen auch.«

Richard seufzte, sichtlich um Geduld bemüht. »Wir brauchen«, sagte er und unterstrich jedes Wort mit einer Fritte, »irgendeine Steuerungssoftware für dieses Experiment. Bill hat gesagt, du spezialisierst dich auf Regelungstechniken, Matt. Stimmt das? Linux-on-a-card und solche Sachen? Was wir versuchen, ist zu heikel für feste Verdrahtung und ein Steckbrett. Und die Anforderungen an das Timing sind zu präzise für Software. Wir brauchen eine Firmware-Lösung.«

Matt wirkte überrascht und setzte sich aufrechter hin.

Bei Gott, er hat angebissen, dachte Bill. Geschickt gemacht, Richard.

Richard wandte sich zu ihm um. »Und du stehst im Ruf, so etwas wie ein Künstler zu sein, wenn es darum geht, extrem sonderbare Geräte zu bauen. Dass dein Ingenieurteam bei Rube Goldberg mitgemacht hat, lag hauptsächlich an dir, oder? Von den anderen hat keiner irgendetwas Bemerkenswertes zusammengebracht.«

Bill bemühte sich, ein Pokerface zu wahren. Er war stolz auf die Vorrichtung, mit der sie den ersten Preis ergattert hatten, aber Richards Versuch, ihn zu manipulieren, war allzu leicht zu durchschauen. Da Bill ihm auf keinen Fall zeigen wollte, dass er sich tatsächlich geschmeichelt fühlte, winkte er bloß ab. »Schon gut, wir hören dir zu. Aber wieso diese Geheimnistuerei? Du arbeitest doch schon ewig an irgendeinem Projekt. Ist es das? Und wieso brauchst du jetzt plötzlich Hilfe?«

Richard und Kevin wechselten einen Blick, und Kevin nickte kaum merklich. Bill hob die Augenbrauen. Das war interessant – gerade eben war eine Entscheidung gefallen, und es war Kevin, der sie getroffen hatte. War Richard etwa der Juniorpartner bei dieser Sache? Das würde bedeuten, dass die Dinge noch komplizierter lagen, als sie ohnehin bereits wirkten.

Richard rückte mit seinem Stuhl nach vorn, ein Zeichen, dass er gleich etwas sehr Wichtiges enthüllen würde. »Okay, die Sache ist die: Unser ursprünglicher Projektvorschlag von vor ein paar Semestern war wesentlich weniger ambitioniert. Ja, wir wollten ein paar von Kevins theoretischen Vorhersagen validieren, aber inzwischen bewegen wir uns auf einem ganz anderen Level. Auf dem Papier schien es ein nettes, sicheres und nicht erinnerungswürdiges Projekt zu werden. Aber irgendwie erwies es sich als … interessanter als erwartet.«

»Aber das ist doch gut, oder?« Matt sah von einem zum anderen. »Solltet ihr deswegen nicht mit eurem Projektberater ein Freudentänzchen aufführen?«

Richard blitzte ihn an. »Keeting.«

Einen Augenblick lang herrschte angespanntes Schweigen, dann sagte Bill: »Oh Mann, das tut mir sehr leid.«

»Ja, Keeting. Sein Verfallsdatum ist um mindestens fünf Jahre überschritten, und er will nur über jedes T einen Punkt und durch alle Is einen Strich machen. Wenn wir zu ihm gehen und sagen, dass wir von den Vorgaben abgewichen sind, lässt er uns noch mal ganz von vorne anfangen. Oder schlimmer: Er lässt uns durchfallen. Vergiss es.«

Kevin nickte. »Und wenn er unsere Ergebnisse disqualifiziert, stehen wir auch nicht mehr unter dem Schutz der Universität. Wir dürfen nicht riskieren, dass jemand anders unsere bisherige Arbeit weiterführt, möglicherweise mit einem höheren Budget und mehr Leuten.«

Bill fiel die Kinnlade herunter. »Das könnte jemand tun? Ist es so groß?«

»Angesichts der bisherigen Ergebnisse möglicherweise nobelpreiswürdig«, sagte Kevin. »Aber nicht, wenn irgendwer uns in den Rücken fällt.«

Bill lehnte sich zurück, seine Gedanken rasten. Verdammte Axt. Die Dinge lagen so kompliziert, dass sie nicht mehr mit irgendwelchen normalen Maßstäben zu messen waren.

3

In den Nachrichten

CNN-Schlagzeilen zur vollen Stunde.

Die seismischen Aktivitäten im Yellowstone-Nationalpark nehmen weiterhin zu. Vertreter der geologischen Forschungsbehörde USGS legen Wert darauf zu betonen, dass dies nichts Außergewöhnliches sei. Sie sagen, im Yellowstone-Park gebe es jeden Tag Dutzende kleiner Erdbeben und dass es auch schon früher zu hydrothermalen Explosionen und zum Austritt von Vulkangas gekommen sei. Der Sprecher Andrew Kensington kommentierte: »Von ein bisschen vulkanischer Aktivität bis zu einer drohenden Supervulkan-Explosion ist es ein weiter Weg.«

In Washington hinterfragen unterdessen die Republikaner, ob die Katastrophenschutzbehörde FEMA über die notwendigen Mittel verfügt, um mit den Folgen einer solchen Eruption fertigzuwerden. Sie weisen auf die Budgetkürzungen hin, welche die FEMA zwangen, diverse Programme einzustellen, und sie verlangen zu erfahren, was die demokratische Regierung dagegen zu unternehmen gedenkt.

Die Demokraten weisen ihrerseits darauf hin, dass sämtliche Kürzungen des FEMA-Budgets von republikanischen Regierungen durchgeführt worden seien und die Behörde mit einem sehr viel großzügigeren Budget ausgestattet wäre, wenn die Republikaner nicht alle Versuche, es zu erhöhen, blockieren würden.

Der Discovery Channel hat angekündigt, dass er noch in dieser Woche aufgrund zahlreicher Zuschaueranfragen erneut die Dokumentarserie Supervulkane ausstrahlen wird.

4

Auszeit

8. Juni

Wie zum Teufel macht er das? Wirft er überhaupt je daneben? Bill stand unter dem Netz, wo er immer wieder den Basketball auffing und zu Matt zurückwarf, während der sich an der Drei-Punkte-Linie entlangbewegte und einen Wurf nach dem anderen im Korb versenkte.

Sie waren nach Feierabend in die Turnhalle gegangen, um ein bisschen zu trainieren. Was in Bills Fall bedeutete, dass er den Ball fing und zurückwarf. So war es ihm lieber. Er mochte keinen Sport, und er war sich ziemlich sicher, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte.

»Ich bin kein Talentscout, Matt, aber ich wette, der Basketballtrainer würde sich für dich interessieren.«

»Er hat bereits mit mir gesprochen. Jedes Mal, wenn die Trainer mir erklären, dass ich ihre jeweilige Sportart essen, schlafen und atmen müsse, bekomme ich glasige Augen. Ich habe meinen Sport bereits gefunden. Mich hat noch nie etwas so sehr gepackt wie Mixed Martial Arts.«

»Ba-Bumm-tsch!«

Matt lachte. »Vielen Dank, ich bin bis Donnerstag hier. Probieren Sie das Kalbsfleisch.«

Bill bemühte sich, beleidigt auszusehen. »He, Junge, das ist meine Masche. Mache ich etwa einen auf Kung Fu, wenn du dabei bist?«

Matt grinste und versenkte weiter Körbe. »Schaden würde es dir nicht. Ich meine, einen Kampfsportkurs zu belegen. Oder Basketball. Oder irgendwas. Ich sage es dir immer wieder: Videospiele gelten nicht als echtes Training.«

»Ich habe bei ein paar von deinen Übungsstunden zugesehen, Matt, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mir dabei wehtun würde. Um etwas anderes scheint es dabei auch nicht zu gehen.«

Während einer Pause sprach Bill an, was ihm bereits den ganzen Tag durch den Kopf ging. »Dieses Projekt mit Richard und Kevin … Kommt dir das ein bisschen abgedreht vor?«

»Ein bisschen? Wie wär’s mit komplett durchgeknallt? Über Quantencomputer zu sprechen ist das eine, aber das hier? Das Ganze hört sich nach einem dieser B-Movies an, die du dir ständig ansiehst. Es überrascht mich, dass du nicht völlig aus dem Häuschen bist.«

»Na, du weißt ja, dass mich die Realität immer wieder enttäuscht. Ich warte schon mein ganzes Leben lang auf eine außerirdische Spezies, aber bisher ist noch keine zu Besuch gekommen, kein Monster der Tiefsee hat New York oder Tokio attackiert, und nicht ein einziger mutierter Superschurke hat die Golden Gate Bridge zerstört. Vielleicht stinkt unser Planet zu sehr.«

»Ja, das wird es sein.« Matt versuchte sich an ein paar Dribblings – hinter dem Rücken, zwischen den Beinen hindurch und von einer Hand in die andere.

Bill zögerte und suchte nach den richtigen Worten. »Mal ehrlich, hast du ein ungutes Gefühl bei diesem Projekt? Kommt es dir legitim vor?«

»Nein, und das haben sie ja auch selbst gesagt. Keeting, weißt du noch? Irgendwie tun sie mir leid. Sie haben etwas wirklich Interessantes herausgefunden und müssen es geheim halten, um daran weiterarbeiten zu können.«

»Ja, ja, und es klingt wirklich nach einem spannenden Problem, zumindest soweit ich Richard verstanden habe. Schon komisch, wie zuvorkommend er sich Kevin gegenüber verhält. Mir scheint, dass er seine Theorie gar nicht wirklich versteht und es bloß nicht zugeben will. Ich glaube, dass Richard bloß ein Trittbrettfahrer ist.«

»Da ist er nicht der Einzige. Kevin könnte eines dieser Genies sein, wie sie in jeder Generation nur einmal vorkommen. Ich habe den Eindruck, dass er den heutigen Theorien noch viel weiter voraus ist, als Richard gesagt hat. Daher habe ich auch kein Problem damit, auf diesem speziellen Trittbrett mitzufahren.«

»Das ist nur toll, wenn am Ende etwas Großes dabei herauskommt. Aber wenn der Zug unterwegs aus den Gleisen springt, sind wir vielleicht ebenfalls dran. Wenn man es genau nimmt, sind die beiden Abtrünnige.«

Matt lachte. Dann verstummte er und starrte ein paar Sekunden lang in die Ferne. »Theoretisch wäre das möglich. Aber solange wir zwei uns an die Regeln halten, kann uns eigentlich nichts passieren. Mann, Bill, sei doch nicht so ein Angsthase.« Matt verlagerte sein Gewicht auf das Standbein und warf einen weiteren Korb.

Bill fing den Ball auf und warf ihn zurück. »Ja, das ist alles wahnsinnig lustig, bis einer sein Stipendium verliert.«

5

Preppen

12. Juni

Professor Collins sah sich im Saal um, ob es noch Wortbeiträge gab. Als Erin die Hand hob, deutete er auf sie.

»Professor, eine kurze Frage. Werden wir nahe genug herankommen, um etwas von den erhöhten Aktivitäten des Yellowstone beobachten zu können?«

»Kommt darauf an, was Sie unter ›nahe‹ verstehen, Erin. Nahe genug, um etwas zu sehen? Klar. Nahe genug, um Lavaproben entnehmen zu können? Keine Chance.« Professor Collins lächelte. »Die Universität würde mich in einen Lavastrom werfen, wenn ich die Studenten in eine solche Gefahr brächte. Vielleicht packen Sie einfach ein Fernglas ein.«

Erin drehte sich um und grinste Ayanda an, die mit einem Augenrollen reagierte.

Auf der Bühne fuhr der Professor indes fort. »Nur noch einmal zur Erinnerung – als ob Sie eine bräuchten: Wir brechen übermorgen auf. Es wird Sie nicht überraschen, dass ich die Uni nicht dazu überreden konnte, für uns alle einen All-Inclusive-Trip zum Toba in Sumatra springen zu lassen.« Er hob die Hände zu einer hilflosen Geste. »Daher werden wir stattdessen in einen klapprigen Schulbus steigen und eine Vergnügungsreise zum Yellowstone-Park unternehmen.«

Aus dem Auditorium erklangen mehrere Lacher. Nur einer der Studenten rief ein wenig panisch: »Ich dachte, wir hätten ein Flugzeug gechartert.«

»Ich wollte nur sehen, ob Sie aufpassen, Ted.« Der Professor legte ein Dokument auf den Projektor. »Ich möchte Ihnen allen dafür danken, dass Sie den Papierkram frühzeitig ausgefüllt haben. Ich bin froh, dass ich nicht zu Ihnen kommen und Sie mit einem Stock pieken muss. Die Universität wird es freuen, dass Sie uns keine Schuld an allem geben, was Ihnen zustößt. Und damit meine ich wirklich alles. Irgendein Anwalt hat sich mit der Ausformulierung dieses Schriftstücks sein Boot finanziert. In Lake Village werden wir im Personalgebäude wohnen. Erwarten Sie sich keine Luxusbleibe. Und da wir schon mal dabei sind – rechnen Sie nicht mit Betten. Sie werden aufblasbare Matratzen bekommen und sie toll finden. Wir werden uns jeden Tag in Gruppen aufteilen. Dort wird es Leute von der USGS geben, die Sie herumführen und mit der wunderbaren Welt der Geologie in einem immer noch aktiven Vulkan vertraut machen.« Professor Collins legte ein neues Dokument auf, diesmal eine Liste mit Terminen und Veranstaltungen. »Sie haben Ihre Reisepläne bekommen. Wir sehen uns in ein paar Tagen am Flughafen. Und danach werden wir fünf Tage lang spaßige Wanderungen durch Sümpfe, Moore und Wälder unternehmen, wo wir bei lebendigem Leib von Moskitos gefressen werden, die so groß sind wie Pterodaktylen.«

Erin griff das Weinglas, das Matt ihr hinhielt, und rutschte dicht an ihn heran, als er Platz nahm. Aus alter Gewohnheit krümmte sie leicht den Rücken, damit er bequem den Arm um sie legen konnte – einer der Nachteile, wenn man fast jeden in seiner Umgebung überragte.

Sie trank genüsslich einen Schluck. Matt kannte sich gut mit Wein aus. Wahrscheinlich gehörte dieses Wissen genauso zu seinem Erbrecht wie der Treuhandfonds und alles andere. Matt sprach nicht viel darüber, und Erin wollte nicht zu neugierig sein. Sie waren in ihrer Beziehung noch nicht so weit, dass sie sich über alles unterhielten, und sie spürte eine derart starke Reserviertheit bei Matt, dass sie sich fragte, worüber genau er eigentlich nicht reden wollte.

Doch sie konnte sich kaum darüber beschweren, dass ihr Freund pflegeleicht war. Erin seufzte zufrieden, während Matt mit der Fernbedienung Netflix zu aktivieren versuchte. Als er innehielt und sie fragend ansah, erwiderte sie seinen Blick mit einem Lächeln. »Du kannst froh sein, dass du deine eigene Wohnung hast. Im Wohnheim geht es, na ja, nicht immer sehr entspannt zu.«

»Ja, meine Eltern zahlen gerne alle Rechnungen, aber sie sagen mir auch immer ganz deutlich, dass sie es sich leisten können, von wir ist keine Rede. Sobald ich den Abschluss habe, bin ich auf mich allein gestellt. In dieser Hinsicht ist mein Vater sehr konservativ.« Einen Moment lang sah es so aus, als wollte er noch etwas hinzufügen, doch dann schloss er – beinahe vehement – wieder den Mund.

»Wenigstens kann man als Computerwissenschaftler einen hochbezahlten Job ergattern«, erwiderte Erin. »Ich werde wahrscheinlich als Lehrerin oder Rangerin enden.«

Aus früheren Gesprächen wusste sie, dass Matt sich Sorgen um seine Zukunft machte und sein Vater offensichtlich ein ziemlicher Trottel war. Mit Geldproblemen kannte Erin sich aus. Schließlich war es ihr von Anfang an sehr schwergefallen, sich das Geld für die Studiengebühren und die Lehrbücher vom Mund abzusparen.

»Dann wirst du also fünf Tage lang weg sein?«, fragte Matt, offensichtlich bemüht, das Gespräch auf weniger verfängliche Themen zu lenken.

»Ja, und das ist eine unglaubliche Chance. Wir bekommen für diese fünftägige Exkursion einen ganzen Leistungspunkt, das entspricht drei Kursen und einem Buchreferat. Außerdem wird es sicher interessant, so, wie es momentan im Yellowstone-Park zugeht.«

»Aber hoffentlich nicht zu interessant.«

»Die Medien haben die Geschichte wie immer unverhältnismäßig aufgebauscht, um Klicks zu generieren. Der Yellowstone macht auch nichts anderes als das, was er schon vor dem Auftauchen der ersten Menschen getan hat.«

»Ja, aber zum ersten Mal passiert alles gleichzeitig.«

Sie sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Vielen Dank, Mr. Statistik. Okay, ja, der Yellowstone ist im Moment aktiv. Und es gab auch Zeiten, in denen er komplett inaktiv war. Solche Ruhepausen sind genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie die jetzige Phase. Wie auch immer, wir fliegen auf jeden Fall hin. Ungefähr zwanzig von uns. Professor Collins kommt natürlich auch mit. Und sein Assistent, an dessen Namen ich mich nie erinnern kann. Du weißt schon, der Gruselige. Aber solange er mir nicht auf die Pelle rückt, ist er mir egal.«

»Ich könnte ihm in den Hintern treten …«

»Vielen Dank, aber das würde ich auch allein schaffen.«

»Du schreibst mir SMS, während du weg bist, oder?«

»Ja, natürlich!« Erin schwenkte ihr inzwischen leeres Glas vor seinem Gesicht. »Sag mal, du hast doch versprochen, mich betrunken zu machen, oder? Ich fühle mich kein bisschen betrunken.«

Matt ging schnell in die Küche und holte die Flasche. Als er damit zurückkehrte, war auf dem Fernseher der Netflix-Startbildschirm zu sehen. Erin hielt die Fernbedienung in die Höhe. »Du bist mir ein schöner Computer-Fachmann. Pfft.«

6

Erster Durchlauf

13. Juni

Bill betrachtete die geschlossene Labortür und dann den Karton in seinen Armen. Scheiß drauf. Er wummerte zweimal mit dem Fuß kräftig gegen die Tür und trat dann einen Schritt zurück.

Ein paar Sekunden später ging sie einen Spaltbreit auf, und Matt linste heraus. »Sehr subtil. Du hast eben Klasse.«

»Du kannst mich mal. Dieses Ding hier wird immer schwerer.«

Matt trat zur Seite und ließ ihn eintreten. Bill blieb stehen und sah sich im Raum um, der wie ein typisches Labor eingerichtet war. Es gab einen offenen Zentralbereich und dazu einen kleineren, mit Sicherheitsglas abgetrennten Vorraum. In der Mitte des Labors standen zwei Tische mit einer verblüffenden Anordnung von Steckbrettern und Kabeln. Auf einem dritten Tisch lagen lediglich lose Kabel. Richard saß an einer Konsole, die größtenteils aus gesteckten Schalttafeln bestand, von denen in merkwürdigen Winkeln Schalter, Drehknöpfe und Anzeigelichter abstanden. Das Ganze sah eher wie eine Hobbyfunkanlage denn wie die Ausrüstung eines verrückten Wissenschaftlers aus.

Richard wies auf den dritten Tisch, und Bill stellte seinen Karton darauf ab. Dann klappte er ihn auf und wickelte vorsichtig den darin enthaltenen Gegenstand aus. Zuletzt nahm er die Kabel und verband sie mit den entsprechenden Anschlüssen an seinem Gerät.

Richard kam herüber, um Bills Apparat in Augenschein zu nehmen. Er bestand aus einem Maschendrahtkubus mit rund dreißig Zentimetern Kantenlänge. In einer Seite war eine Öffnung, die von einem Metallring mit einem Durchmesser von ungefähr zwanzig Zentimetern umgeben war. Auf dem Rand des Rings prangten in regelmäßigen Abständen neun seltsam aussehende, hieroglyphische Symbole.

Richard beugte sich dicht an den Ring heran, riss überrascht die Augen auf und bedachte Bill mit einem vorwurfsvollen Blick.

»Ja«, sage Matt und lachte. »Die Stargate-Dekoration. Hast du das etwa nicht kommen sehen?«

Richard kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in den Nasenrücken und schien einen Moment lang um Fassung zu ringen. »Na schön. Solange das Gerät funktioniert.«

Matt sah den Apparat fragend an. »Was genau macht das Ding eigentlich?«

Kevin näherte sich mit einem kleinen Gerät in der Hand. »Dieser Käfig wird einen verschobenen Wahrscheinlichkeitsraum enthalten. Durch das Tor … äh, ich meine den Ring da können wir diesen Raum während des Experiments beobachten. So erhalten wir eine visuelle Bestätigung der Verschiebung.«

»Ich verstehe nur Bahnhof«, murmelte Matt.

Kevin streckte die Hand durch den Ring und platzierte das Bauteil im Käfig. »Das hier ist nur ein Gerät, das Interferenzmuster generiert. Es erzeugt einen Laserstrahl, der verschiedene Gitter passiert und so ein zufälliges Interferenzmuster auf den Bildschirm projiziert.« Er deutete auf einen kleinen Bildschirm an der Vorderseite des Geräts. »Wir hoffen, dass wir das Interferenzmuster mit unserem Versuchsaufbau modulieren können. Beim heutigen Durchlauf wollen wir erst mal alles kalibrieren. Wir möchten sichergehen, dass wir trotz neuer Hardware und Steuerungssoftware immer noch dieselben Resultate erhalten.«

Bill sah Matt schräg von der Seite an. »Du hast deine Software bereits installiert?«

»Natürlich. Im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten war ich pünktlich hier.«

»Der Streber-Look steht dir nicht.«

Matt grinste seinen Freund an und zeigte dann auf den Käfig mit dem Ring. »Also was macht dieses Teil da?«

Bevor Bill antworten konnte, ergriff Richard das Wort. »Bills Stargate-Kopie erzeugt mit präzis getimten Lasern und Strahlenteilern das, was Kevin als autonome Quantenverschränkung bezeichnet. Es erlaubt uns, in ein und demselben physischen Raum verschiedene Orte im Wahrscheinlichkeitsraum anzuwählen. Da er ein Faraday’scher Käfig ist, bleibt dieser Effekt auf sein Inneres beschränkt. Andernfalls würde er sich augenblicklich ausbreiten.«

Matt schüttelte den Kopf. »Ich komme da nicht mit.«

»Ich ehrlich gesagt auch nicht«, gestand Richard. »Ich glaube, abgesehen von Kevin kann das niemand auf diesem Planeten begreifen. Ich hänge mich einfach an ihn dran, verstehst du?«

Bill grinste über dieses für Richard ungewöhnliche Eingeständnis, sagte jedoch nichts dazu.

Nach einem kurzen betretenen Schweigen wandte Richard sich zu seinem Kontrollstand um. »Na gut, Kinder, dann wollen wir mal mit der Show beginnen. Erst schalten wir den Interferenz-Generator an, danach unser Equipment, und dann starten wir mit verschiedenen Dingen.«

Kevin überprüfte die beiden in den Ecken des Raums angebrachten Kameras. Anschließend stellte er eine weitere direkt vor den Ring und startete bei allen dreien die Aufnahme. Dann griff er durch das Tor und legte einen kleinen Schalter um.

Auf dem großen Monitor im hinteren Bereich des Labors erschien die Nahaufnahme des kleinen Geräts aus der Perspektive der dritten Kamera. Sie zeigte ein auf den Bildschirm des Geräts projiziertes Interferenzmuster, das an einander überschneidende Wellen erinnerte, die entstanden, wenn man zwei Steine in einen ruhigen Teich warf. »Nun werde ich die Phasenregelschleife verändern«, kündigte Richard an.

Während sie den Blick auf den Bildschirm gerichtet hielten, begann das Interferenzmuster zu wackeln. Im Verlauf der nächsten Sekunden wurde es erst deutlich komplexer, dann einfacher, bis es sich schließlich zu einem einzigen Kreis zusammenzog. Anschließend ging das Ganze wieder von vorne los.

»Noch mal zur Erinnerung«, sagte Kevin, an niemand Bestimmten gerichtet. »Es ist wichtig zu verstehen, dass wir an dem Gerät, das ich in den Käfig gestellt habe, keine Veränderungen vornehmen. Es ist nichts anderes als ein Laser, der durch ein paar Öffnungen scheint und dabei Interferenzmuster erzeugt. Eigentlich sollte es immer das Gleiche generieren, bis irgendwann die Batterie leer ist. Die Veränderungen, die ihr seht, entstehen, weil wir uns bei unserem Experiment in verschiedene Versionen der Realität ›einwählen‹. Wir bewegen uns gewissermaßen durch das Multiversum.«

Sie beobachteten das Muster noch ein paar Sekunden lang. Schließlich hörte Richard auf, an den Kontrollen herumzuspielen, und die Interferenz wurde wieder stabil.

»Die Szene ist im Kasten«, sagte er und fuhr die Geräte runter. Bill starrte den Monitor an, dann wandte er sich zu Richard und Kevin um, die beide von den Resultaten nicht überrascht zu sein schienen. »Ist es das, womit ihr gerechnet habt?«

»Ja«, sagte Kevin. »Und wenn ihr euch das jetzige Muster auf dem Bildschirm anseht, erkennt ihr, dass es nicht mehr das anfängliche ist.«

Bill inspizierte den Bildschirm. Nach einem Moment zuckte er die Achseln. »Da ich mir das Original nicht eingeprägt habe, muss ich dir das einfach glauben. Aber was heißt das für euer Experiment?«

»Das bedeutet, dass wir die Realität modifiziert haben.« Kevin wies ungeduldig auf den Testaufbau. »Wir haben ein stabiles Wellenmuster dazu gebracht, sich durch seinen Wahrscheinlichkeitsraum zu bewegen, und dann ein anderes Resultat ausgewählt.«

»›Ein anderes Resultat ausgewählt‹ … ›die Realität modifiziert‹. Ihr habt ein feststehendes Endergebnis verändert. Das ist …« Bill drehte sich zu Matt um und dachte, dass seine eigenen Augen vermutlich genauso weit aus dem Kopf traten wie die seines Freundes. »… um ehrlich zu sein, ziemlich unfassbar.«

Richard sagte nichts, aber er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

Bill zog die Augenbrauen zusammen. »Aber wenn sich der Lauf der Geschichte verändert, verändern sich normalerweise auch die Erinnerungen der beteiligten Personen – zumindest in allen Filmen, die ich kenne. Wieso wissen wir dann noch, dass auf dem Bildschirm ursprünglich etwas anderes zu sehen war?«

»Wir haben die Geschichte nicht verändert, Bill, sondern nur eine andere aktuelle Realität ausgewählt. Im Grunde genommen biegen wir auf eine andere Weltenlinie ein. Wir bewegen die Realität im Inneren des Käfigs seitwärts und sehen ein anderes Ergebnis von einem eingangs zufällig gewählten Ereignis.«

»Da das Muster jetzt anders ist, muss die Veränderung dauerhaft sein.«

»Ja«, erwiderte Richard. »Wir haben mit alldem nicht gerechnet, als wir dieses Experiment zum ersten Mal durchgeführt haben. Seither haben wir es Dutzende Male wiederholt, und es hat immer funktioniert. Das Problem ist, dass wir nicht wirklich begreifen, wieso es passiert. Deine Hilfe bei der Hardware und Matts Software-Unterstützung werden uns hoffentlich dabei helfen, die Zusammenhänge besser zu verstehen.«

»Welches Ausmaß kann es annehmen?«, fragte Matt. »Ich meine, wie viel Realität könntet ihr verändern?«

»Das wissen wir nicht«, erwiderte Kevin. »Aus den Modellen lassen sich keine Vorhersagen über die Masse oder die Dimensionen ableiten. Ich glaube, es hängt alles davon ab, wie gut man sich in den Wahrscheinlichkeitsraum einwählen kann.«

Bill, der immer noch den Käfig und seinen Inhalt betrachtete, schnaubte gedankenverloren. »Und was jetzt? Was ist der nächste Schritt?«

Richard deutete auf Kevin. »Dann zeigen wir euch jetzt mal den Flipper.«

»Hey, das ist mal ein toller Fachbegriff«, sagte Bill.

»Ich weiß nicht, wie ich das Teil sonst nennen soll«, gab Richard zurück. »Wir haben die durchsichtige Würfelhaube von einem alten Trouble-Spiel abgeschnitten und in die Wende-Vorrichtung einen Verzögerungsmechanismus eingebaut. Eine echte High-Tech-Lösung also.«

Kevin kehrte mit einer transparenten Kuppel zurück, unter der ein einzelner Würfel lag, und stellte sie in den Käfig. Wie zuvor platzierte er eine Videokamera mit Stativ vor dem Tor, um die Vorgänge im Käfig aufzunehmen, und überprüfte anschließend die beiden Kameras in den Zimmerecken.

»Okay«, sagte Richard. »Dann können wir loslegen. Aktiviere den Flipper.«

Kevin langte in den Käfig, drückte die Kuppel nach unten und reckte den Daumen in die Höhe. »Dreißig Sekunden bis zum Ereignis.«

Richard nahm ein paar kleine Anpassungen an seinem Bedienpult vor und legte den Zeigefinger auf eine Schaltwippe. »Ich bin bereit.«

Während sie die Kuppel beobachteten, schien eine halbe Ewigkeit zu vergehen. »Vielleicht verkürzen wir beim nächsten Mal das Intervall«, murmelte Kevin.

Schließlich knallte die Katapultvorrichtung im Boden. Der Würfel prallte von der Kuppel ab und blieb mit der Vier nach oben liegen. Im nächsten Moment betätigte Richard die Schaltwippe und drehte an einem Knopf. »Und wie ist es jetzt?«

»Äääähm.« Matt deutete auf den großen Monitor. Nun lagen zwei Würfel unter der Kuppel, die ursprüngliche Vier und noch eine Zwei. »Ich habe die ganze Zeit hingesehen. Der zweite Würfel wurde sozusagen eingeblendet …«

Bill wandte sich vom Monitor ab und ging zum Käfig hinüber. Als er seitlich durch das Drahtgeflecht schaute, sah er nur den ersten Würfel, aber als er durch das Tor blickte, entdeckte er auch den zweiten.

Wahnsinn!, dachte er und kehrte zum Monitor zurück. Auf das Trittbrett werden sicher einige aufsteigen …

Ohne Vorwarnung ertönte ein weiterer, sehr lauter Knall, begleitet von einem Blitz, der so kurz aufleuchtete, dass er kaum als Licht wahrzunehmen war. Alle zuckten zusammen. Als ein paar Sekunden lang nichts weiter geschah, gingen sie zum Tisch. Der Würfel zeigte jetzt eine Sechs, und der Käfig war mehrere Zentimeter weit über den Tisch gesprungen.

»Ist das ein dritter Würfel, oder ist das Original bei dem Knall weitergerollt?«, fragte Bill.

Richard deutete auf den Monitor. »Gute Frage. Am besten schauen wir uns das Video an.«

Kevin richtete die Fernbedienung auf die Kamera und startete die Wiedergabe auf dem Monitor. Wieder geschah ungefähr dreißig Sekunden lang nichts, bis Kevins Kommentar zu hören war. Plötzlich schien der Würfel zu verschwimmen. Als die Konturen wieder schärfer wurden, waren es zwei Würfel.

Dann ertönte der laute Knall, gefolgt von dem Blitz, und sie sahen, wie sich der gesamte Käfig bewegte.

»Ich kann es nicht erkennen«, sagte Kevin. »Es könnte einer der beiden Würfel sein, aber genauso gut auch ein dritter, der die anderen zwei ersetzt.«

»Ich würde das Ganze ja als nicht aussagekräftig bezeichnen, aber der Knall selbst ist ein signifikantes Ereignis«, sagte Matt. »Was zum Teufel war das?«

»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Richard. »Wenn ich eine Vermutung anstellen müsste, würde ich sagen, dass der Wahrscheinlichkeitsraum innerhalb des Käfigs in unsere Realität zurückgesprungen ist, und zwar mit genügend Energie, um alles durcheinanderzuwirbeln. Leider wissen wir daher nicht, was genau passiert ist. Vermutlich müssen wir unser Test-Design ein bisschen verändern. Und Jungs, kein Wort hierüber, okay? Allmählich kommt es mir wie kalte Kernfusion oder ein Perpetuum Mobile oder etwas ähnlich Verrücktes vor. Wenn das rauskommt, wird Keeting uns ganz sicher den Stecker ziehen. Als Nächstes werden Matt und ich das Steuerungssystem verbessern, damit wir ein Zielobjekt so erfassen können, dass wir es nicht mehr verlieren. Ich schicke dir eine E-Mail mit den technischen Details, Matt. Bill, könntest du uns noch mal einen größeren und robusteren Käfig mitsamt, äh, Tor bauen? Diesmal vielleicht ohne die Dekorationen?«

»Tja, wie könnte ich solch eine Bitte ausschlagen? Die technische Abteilung ist zwar nicht genauso menschenleer wie die Physikfakultät – anscheinend sind wir noch größere Nerds als ihr –, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mit ein paar weiteren kleineren Metallarbeiten nach Feierabend davonkommen werde.«

»Reichen dafür ein paar Tage?« Richard sah Matt und Bill an. Keiner der beiden erhob Einwände. »Na gut. Dann machen wir am Freitag den nächsten Test.«

Matt und Bill verließen gemeinsam das Büro und überließen die mühsame Auswertung des Experiments Richard und Kevin.

Während sie den Flur entlanggingen, drehte sich Bill zu Matt um. »Kein Wort hierüber, hat er gesagt. Was hältst du davon?«

»Abtrünnige Physiker. Du lieber Himmel!«

7

Interessante Zeiten

14. Juni

Bill ging direkt zur Mensa, den Blick fest auf sein Ziel gerichtet. Seine Körpersprache schrie förmlich: Bedrängt mich nicht. Und anscheinend verstanden die Demonstranten, die an diesem Tag unterwegs waren, den Wink, denn niemand kam, um ihn zu missionieren. Als Bill den Eingang erreichte, hörte er Matt nach ihm rufen. Er drehte sich um und sah seinen Freund aus der anderen Richtung herannahen. Bill lehnte sich an die Tür und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.

Matt lächelte ihn an. »Es ginge dir besser, wenn du ein bisschen trainierter wärst.«

»Bei dir ist das vielleicht so. Mir bekommt körperliche Bewegung überhaupt nicht.«

»Bist du für heute fertig?«

»Ja, jetzt sind die Hausaufgaben dran. Außerdem habe ich einen Text über Wahrscheinlichkeitstheorie runtergeladen. Ich kann machen, was ich will, ich kriege das Experiment von Richard und Kevin einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wenn ich mich ein bisschen einlese, verstehe ich vielleicht besser, worauf ich mich da einlasse.«

»Und ich habe Hausaufgaben von Richard aufbekommen. Er hat mir die Spezifikationen für ein paar Änderungen an der Software zugeschickt. Sobald ich sicher bin, dass ihm keine weiteren Modifikationen mehr einfallen, werde ich die neuen EPROMs brennen. Außerdem will er eine Benutzeroberfläche haben, die man auf einem Tablet laufen lassen kann.«

Sie sahen sich nach einem guten Tisch um.

Bill atmete den Geruch der Kantine ein. »Unidentifiziertes Fritteusenobjekt. Ich passe.«Sobald sie saßen, zog er sein Tablet aus dem Rucksack. Nach einer Weile sah er Matt an. »Hast du was von Erin gehört?«

»Sie ist Feuer und Flamme. Natürlich nur bildlich gesprochen.« Matt lächelte. »Sie liebt die Geologie.«

Erin war ganz anders als Matts bisherige Freundinnen, aber Bill mochte sie sehr. Sie war groß, athletisch und attraktiv, wenn auch nicht nach Bills herkömmlichen Maßstäben hübsch. Außerdem war Erin eine hervorragende Studentin und sehr ehrgeizig – während Matt selbst es lieber ruhig angehen ließ. Aber er wirkte begeistert von ihr, vielleicht sogar noch mehr, als ihm bewusst war.

Bill schob ein Lesezeichen in seine Hausaufgaben und legte das Tablet weg. Dann sah er zu seinem Freund auf. »Hast du Richards E-Mail wegen des nächsten Durchlaufs bekommen?«

»Ja. Uns steht ein weiterer aufregender Würfelabend bevor.«

»Moment, jetzt bin ich verwirrt. Du warst von alldem doch genauso begeistert wie ich.«

»Ja, stimmt«, räumte Matt ein. »Im Prinzip ist es eine Riesensache. Aber nach dem, was die beiden bei unserem ersten Treffen erzählt haben, bin ich von so etwas wie einem Zeittunnel ausgegangen. Würfeln wirkt irgendwie, ich weiß nicht … klein. Ich hoffe doch, dass sie den Einsatz noch ein bisschen erhöhen werden.«

»Pass auf, was du dir wünschst. Normalerweise springt an dieser Stelle irgendjemandem außerirdischer Nachwuchs aus der Brust.«

»Okay, Captain Filmzitat. Wenn das passiert, bin ich dabei.«

»Hör mal, Matt, ich mache mich zwar darüber lustig, aber es scheint wirklich etwas Besonderes zu sein. Ich habe dir doch gesagt, dass Richard sich nicht ohne guten Grund mit mir in einen Raum setzen, geschweige denn mich zu einem gemeinsamen Projekt einladen würde. Ich glaube, dass die beiden einer großen Sache auf der Spur sind, wahrscheinlich mehrere Nummern zu groß für sie. Ich schlage vor, wir nehmen unseren Planwagen und schließen uns diesem Treck an.«

»Jetzt bist du schon bei Western-Metaphern angelangt? Dein Niveau sinkt.«

»Ich möchte dich nur auf Trab halten. Aber ich meine es ernst, Matt. Sieh zu, dass du dabei bist.«

8

Exkursion

15. Juni

Erin und Ayanda drängten sich dicht zusammen und versuchten, nicht von verirrten Ellbogen und Füßen erwischt zu werden. Der Raum war völlig überfüllt. Die Geologiestudenten und mehrere Parkangestellte liefen ohne erkennbare Ordnung hin und her. In einer Ecke versuchte Professor Collins, sich mit ein paar leitenden Rangern zu unterhalten. Er wurde immer lauter, um den allgemeinen Lärm zu übertönen.

Als der Geräuschpegel gerade die Schmerzgrenze zu durchbrechen drohte, zog einer der Ranger eine Trillerpfeife aus der Tasche und blies fest hinein. Daraufhin verstummten die Gespräche so schlagartig, als hätte er auf die Stopp-Taste gedrückt.

Collins nickte dem Ranger zu. »Vielen Dank, Alan. Okay, Leute, besser organisiert werden wir nicht mehr. Also lasst uns anfangen. Und zwar mit einem unangekündigten Test.« Von verschiedenen Seiten war Stöhnen zu hören. »Ranger Henderson hat mir gerade erzählt, dass der Wasserpegel auf der Ostseite des Yellowstone Lake steigt, im Westen dagegen fällt. Kann mir irgendjemand sagen, was das bedeutet?«

Mehrere Studenten hoben die Hand, und der Professor deutete auf einen. »Brett?«

»Das heißt, dass das Land auf der Westseite, das zur Lavakuppel gehört, angestiegen ist. Infolgedessen ist das Wasser zur anderen Seite abgeflossen.«

»Das ist korrekt. Also, Brett, was haben wir von der Lavakuppel als Nächstes zu erwarten?«

»Hoffentlich, dass sie damit aufhört.«

Collins wartete ab, bis das allgemeine Gelächter verklungen war. »Na gut, dann teilen wir uns jetzt in …«

Eine Studentin fiel ihm ins Wort. »Ich habe gehört, dass es noch nie eine so starke tektonische Hebung gegeben haben soll und deswegen ein paar Leute nervös werden.«

Während Collins zu einer Antwort ansetzte, hielt Henderson eine Hand in die Höhe. »Darauf möchte ich gerne eingehen, Robert. Junge Dame, wirke ich nervös auf Sie?« Er machte eine kurze Pause und grinste. »Die Hebung hat sich in jüngster Zeit zwar beschleunigt, aber sie ist nicht beispiellos, was immer Sie gehört haben mögen. Es gibt da draußen viele Angsthasen, die sofort in Panik geraten, wenn etwas nicht seinen üblichen Gang geht. Aber es liegt nun einmal in der Natur eines chaotischen Systems, dass die Messergebnisse starken Schwankungen unterliegen. Nichts an dieser Sequenz ist unheilverkündend.«

Die von ihm angesprochene Studentin wirkte zwar nicht überzeugt, sagte aber nichts mehr. Erin richtete den Blick auf den Professor, der die Hand hob, um die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.

»Wir werden uns jetzt, wie ich gerade sagen wollte, in Gruppen aufteilen. Die Leute von der USGS werden ihre üblichen Runden drehen, die GPS-Sendeempfänger überprüfen, ein paar ferngesteuerte Einheiten in Stellung bringen und so weiter. Sie schließen sich ihnen an. Ein paar von Ihnen werden dabei helfen, eine Liste der reparaturbedürftigen Gerätschaften zu erstellen. Andere werden glamourösere Dinge tun wie durch Sümpfe latschen. Sie werden Fumarolen beobachten, heiße Quellen vermessen, Gesteinsschichten untersuchen und Schlussfolgerungen ziehen. Heute Abend veranstalten wir ein Festessen mit Hot Dogs und vergleichen unsere Aufzeichnungen. Um neunzehn Uhr sind alle wieder hier.«

Erin und Ayanda gingen langsam zu den ausgehängten Listen hinüber. Zu ihrer Erleichterung war Erin nicht mit dem gruseligen Typen in einer Gruppe. Sie konnte durchaus verstehen, warum der Professor Jenson als Assistenten behielt. Dank seines beinahe fotografischen Gedächtnisses war er so etwas wie ein wandelndes Geologie-Lexikon. Außerdem schien es ihm zu gefallen, sich mit jedem Problem so lange auseinanderzusetzen, bis er es bewältigt hatte. Doch Jenson hatte etwas an sich, das Erin dazu brachte, sich ganz weit weg zu wünschen, sobald er in ihre Nähe kam.

Es fühlt sich an, als würde er mich mit seinen Blicken sezieren,