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Allmächtiger Staat setzt sich mit dem Missbrauch von staatlicher Macht auseinander. Ludwig von Mises geht in diesem Buch den Quellen des Nationalsozialismus nach. Er liefert eine ökonomische Erklärung für die internationalen Konflikte, die beide Weltkriege auslösten. Es ist das Buch eines Zeitzeugen. Obwohl Ludwig von Mises das Buch 1944 verfasste, ist die Kernaussage des Buches von unmittelbarer Aktualität: Staatseingriffe in die Wirtschaft führen zu Konflikten und Kriegen. Ludwig von Mises zufolge ist die letzte und beste Hoffnung für den Frieden der Liberalismus – die Philosophie der Freiheit, der freien Märkte, der begrenzten Regierung und der Demokratie.
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Seitenzahl: 750
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Ludwig von Mises
Allmächtiger Staat
Ludwig von Mises (1881 – 1973)
Ludwig von Mises
Allmächtiger Staat
Der Aufstieg des totalen Staates und der totale Krieg
Aus dem Englischen übersetzt von Burkhard Sievert
Titel der Originalausgabe:
Omnipotent Government – The Rise of the Total State and Total War
Die Veröffentlichung dieser Übersetzung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Liberty Fund, Inc., 11301 N. Meridian St., Carmel, IN 46032-4564, USA.
Omnipotent Government wurde ursprünglich 1944 von der Yale University Press in englischer Sprache veröffentlicht und vom Liberty Fund, Inc. im Jahr 1974 nachgedruckt.
1. Auflage
© 2023 Burkhard Sievert
© Originalausgabe: 1944, 1974 Liberty Fund, Inc.
Foreword, editorial additions, and index © 2011 by Liberty Fund, Inc.
This translation is published with permission from Liberty Fund, Inc. Omnipotent Government was originally published in English in 1944 by Yale University Press and was reprinted by Liberty Fund, Inc., in 1974.
Foto Ludwig von Mises: Unbekannter Fotograf, ca. 1925.
Umschlag: Idee und Umsetzung: Burkhard Sievert. Foto: (Businessman crowd ceremony salute): Adobe Stock © Jacques Durocher.
Automatischer Vorübersetzer: DeepL
Druck und Distribution im Auftrag des Herausgebers: tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany
Softcover
ISBN: 978-3-347-74560-5
Hardcover
ISBN: 978-3-347-74561-2
E-Book
ISBN: 978-3-347-74562-9
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Herausgeber verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Herausgebers, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Cover
Halbe Titelseite
Titelblatt
Urheberrechte
Vorwort
Ludwig von Mises
Einführung
1.
2.
3.
4.
5.
Teil 1: Der Zusammenbruch des deutschen Liberalismus
1. Der deutsche Liberalismus
1. Das Ancien Régime und der Liberalismus
2. Die Schwäche des deutschen Liberalismus
3. Das preußische Heer
4. Der preußische Verfassungskonflikt
5. Das liberale Prestige Preußens95
6. Das „kleindeutsche” Programm
7. Die Episode Lassalle
2. Der Triumph des Militarismus
1. Das preußische Heer im Deutschen Reich
2. Der deutsche Militarismus
3. Die Liberalen und der Militarismus
4. Die sozialistische Erklärung des Sieges des Militarismus
Teil 2: Der Nationalismus
3. Der Etatismus
1. Der neue Geist
2. Der Staat
3. Die Staatslehre des Liberalismus
4. Der Sozialismus
5. Der Sozialismus in Russland und in Deutschland
6. Der Interventionismus
7. Der Etatismus und der Protektionismus
8. Der Wirtschaftsnationalismus und die Inlandsmonopolpreise
9. Die Autarkie
10. Der deutsche Protektionismus
11. Der etatistische Mythos170
12. Die etatistische Wirklichkeit175
4. Der Etatismus und der Nationalismus
1. Das Nationalitätsprinzip
2. Die Sprachgemeinschaft
3. Der Liberalismus und das Nationalitätsprinzip
4. Der aggressive Nationalismus
5. Der koloniale Imperialismus
6. Die Auslandsinvestitionen und die Auslandskredite
7. Der totale Krieg
8. Der Sozialismus und der Krieg
5. Die Widerlegung einiger trügerischer Erklärungen
1. Die Unzulänglichkeiten der derzeitigen Erklärungen
2. Die vermeintliche Irrationalität des Nationalismus
3. Die aristokratische Doktrin
4. Der falsch verstandene Darwinismus
5. Die Rolle des Chauvinismus
6. Die Rolle der Mythen
Teil 3: Der deutsche Nationalsozialismus
6. Die Eigenart des deutschen Nationalismus
1. Die Erweckung
2. Der Aufstieg der alldeutschen Bewegung
3. Der deutsche Nationalismus in einer etatistischen Welt
4. Eine Kritik des deutschen Nationalismus
5. Der Nationalsozialismus und die deutsche Philosophie
6. Der Polylogismus
7. Die Rolle der Gewalt im Nationalismus274
8. Die Alldeutschen und der Nationalsozialismus
7. Die deutsche Sozialdemokratie
1. Die Legende
2. Der Marxismus und die Arbeiterbewegung
3. Die deutschen Arbeiter und der deutsche Staat
4. Die Sozialdemokraten in der Ständegesellschaft
5. Die Legende vom Reserveoffizier311
6. Die Sozialdemokraten und der Krieg
8. Der Antisemitismus und der Rassismus
1. Die Rolle des Rassismus
2. Der Kampf gegen den jüdischen Geist
3. Die Interventionen und die gesetzliche Judendiskriminierung
4. Der „Dolchstoß“
5. Der Antisemitismus als Faktor internationaler Politik
9. Der Zusammenbruch der Weimarer Republik
1. Die Weimarer Verfassung
2. Die unterbliebene Sozialisierung
3. Die Wehrverbände
4. Der Vertrag von Versailles
5. Die Wirtschaftskrise
6. Der nationalsozialistische Umbruch396
7. Der Nationalsozialismus und die Arbeiterschaft
8. Die ausländischen Kritiker des Nationalsozialismus
10. Der Nationalsozialismus als ein Weltproblem
1. Das Betätigungsfeld und die Grenzen der Geschichte
2. Der Irrtum des Konzepts des „Nationalcharakters“
3. Deutschlands Rubikon
4. Die Alternative
11. Der Kampf zwischen Demokratie und Totalitarismus403
1. Die volkstümliche Auffassung des Gegensatzes
2. Die Gleichheit und die Demokratie
3. Die Wiederherstellung der Gedankenfreiheit
4. Die Ablehnung des Ressentiments
Teil 4: Die Zukunft der westlichen Kultur
12. Die Wahnvorstellungen der Weltplanung
1. Der Begriff der „Planung”
2. Der Diktatur-Komplex
3. Eine Weltregierung
4. Die geplante Produktion
5. Die Außenhandelsabkommen
6. Die monetäre Planung
7. Die Planung internationaler Kapitaltransaktionen
13. Friedenspläne
1. Die Rüstungskontrolle
2. Eine Kritik an einigen vorgeschlagenen Systemen
3. Die Union der westlichen Demokratien
4. Der Frieden in Osteuropa
5. Die Probleme Asiens
6. Die Rolle des Völkerbundes
Schlussfolgerung
1.
2.
3.
4.
Literaturverzeichnis
Namensverzeichnis
Stichwortverzeichnis
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Titelblatt
Urheberrechte
Vorwort
Introduction
Bibliography
Index
Stichwortverzeichnis
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Vorwort
Bei der Behandlung gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Probleme geht es in den Gesellschaftswissenschaften nur um die Frage, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, die von ihren Verfassern angestrebten Wirkungen zu erzielen, oder ob sie zu einem Zustand führen, der aus der Sicht ihrer Befürworter noch unerwünschter ist als der vorherige Zustand, den sie verändern sollten. Der Nationalökonom ersetzt nicht sein eigenes Urteil über die Wünschbarkeit von Endzielen durch das seiner Mitbürger. Er stellt lediglich die Frage, ob die von Nationen, Regierungen, politischen Parteien und Interessengruppen angestrebten Ziele tatsächlich mit den zu ihrer Verwirklichung gewählten Methoden erreicht werden können.
Dies ist natürlich eine undankbare Aufgabe. Die meisten Menschen sind intolerant gegenüber jeder Kritik an ihren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Grundsätzen. Sie verstehen nicht, dass sich die vorgebrachten Einwände nur auf ungeeignete Methoden beziehen und nicht die Endziele ihrer Bemühungen in Frage stellen. Sie sind nicht bereit, die Möglichkeit einzuräumen, dass sie ihre Ziele leichter erreichen könnten, wenn sie den Rat des Nationalökonomen befolgten, als wenn sie ihn missachteten. Sie bezeichnen jeden als Feind ihrer Nation, ihrer Rasse oder ihrer Gruppe, der es wagt, die von ihnen liebgewonnenen Politiken zu kritisieren.
Dieser hartnäckige Dogmatismus ist verhängnisvoll und eine der Hauptursachen für die derzeitige Lage der Welt. Ein Nationalökonom, der behauptet, dass Mindestlöhne nicht das geeignete Mittel sind, um den Lebensstandard der Lohnbezieher zu erhöhen, ist weder ein „Arbeiterschinder“ noch ein Feind der Arbeiter. Im Gegenteil, indem er geeignetere Methoden zur Verbesserung des materiellen Wohlergehens der Lohnbezieher vorschlägt, trägt er so viel wie möglich zu einer echten Förderung ihres Wohlstandes bei.
Auf die Vorteile hinzuweisen, die sich für alle aus dem Funktionieren des Kapitalismus ergeben, ist nicht gleichbedeutend mit der Verteidigung der Eigeninteressen der Kapitalisten. Ein Nationalökonom, der vor vierzig oder fünfzig Jahren für die Erhaltung des Systems des Sondereigentums und des freien Unternehmertums eintrat, kämpfte nicht für die egoistischen Klasseninteressen der damaligen Reichen. Er wollte denjenigen freie Hand lassen, die unter seinen mittellosen Zeitgenossen unbekannt waren und den Einfallsreichtum besaßen, all jene neuen Industrien zu entwickeln, die heute das Leben des einfachen Menschen angenehmer machen. Viele Pioniere dieses industriellen Wandels sind zwar reich geworden. Doch sie erwarben ihren Reichtum, indem sie die Öffentlichkeit mit Autos, Flugzeugen, Radiogeräten, Kühlschränken, mit bewegten und sprechenden Bildern und einer Vielzahl von weniger spektakulären, aber nicht weniger nützlichen Innovationen versorgten. Diese neuen Produkte waren sicherlich keine Errungenschaft von Ämtern und Bürokraten. Nicht eine einzige technische Verbesserung kann den Sowjets zugeschrieben werden. Das Beste, was die Russen erreicht haben, war, einige der Verbesserungen der Kapitalisten zu kopieren, die sie weiterhin verunglimpfen. Die Menschheit hat noch nicht das Stadium der endgültigen technischen Perfektion erreicht. Es gibt noch viel Raum für weitere Fortschritte und für die weitere Verbesserung des Lebensstandards. Der schöpferische und erfinderische Geist ist trotz aller gegenteiligen Behauptungen noch vorhanden. Doch er gedeiht nur dort, wo es wirtschaftliche Freiheit gibt.
Ebenso wenig ist ein Nationalökonom, der darlegt, dass eine Nation (nennen wir sie Thule) durch ihre Außenhandelspolitiken und ihren Umgang mit inländischen Minderheitengruppen ihre eigenen grundlegenden Interessen verletzt, ein Feind von Thule und seiner Bevölkerung.
Es ist sinnlos, die Kritiker unangemessener Politiken zu beschimpfen und ihre Motive zu verdächtigen. Das mag die Stimme der Wahrheit zum Schweigen bringen, aber es kann unangemessene Politiken nicht angemessen machen.
Die Verfechter der totalitären Lenkung bezeichnen die Haltung ihrer Gegner als Negativismus. Sie tun so, als ob sie selbst die Verbesserung unbefriedigender Zustände fordern, während die anderen die Übel fortbestehen lassen wollen. Dies bedeutet, alle gesellschaftlichen Fragen aus der Sicht engstirniger Bürokraten zu beurteilen. Nur Bürokraten können auf die Idee kommen, dass allein die Einrichtung neuer Ämter, der Erlass neuer Verordnungen und die Erhöhung der Zahl der Staatsbediensteten als positive und vorteilhafte Maßnahmen bezeichnet werden können, während alles andere Passivität und Quietismus ist.
Das Programm der wirtschaftlichen Freiheit ist nicht negativistisch. Es zielt positiv auf die Errichtung und Erhaltung des marktwirtschaftlichen Systems ab, das auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln und dem freien Unternehmertum beruht. Es zielt auf freien Wettbewerb und auf die Souveränität der Verbraucher. Als logische Folge dieser Forderungen lehnen die wahren Liberalen alle Bestrebungen ab, das Funktionieren einer ungehinderten Marktwirtschaft durch staatliche Lenkung zu ersetzen. Laissez-faire, Laissez-passer bedeutet nicht: Lasst die Übel bestehen. Es bedeutet im Gegenteil: Greift nicht in das Funktionieren des Marktes ein, denn solche Eingriffe müssen zwangsläufig die Ausbringung einschränken und die Menschen ärmer machen. Es bedeutet ferner: Das kapitalistische System, das trotz aller Hindernisse, die ihm Regierungen und Politiker in den Weg legen, den Lebensstandard der Massen in beispielloser Weise erhöht hat, darf nicht abgeschafft oder verkrüppelt werden.
Freiheit ist kein negatives Ideal, wie die deutschen Vorläufer des Nationalsozialismus behaupteten. Ob ein Begriff in positiver oder negativer Form dargestellt wird, ist lediglich eine Frage der Ausdrucksweise. Freiheit von Not ist gleichbedeutend mit dem Ausdruck, einen Zustand anzustreben, in dem die Menschen besser mit dem Nötigsten versorgt sind. Redefreiheit ist gleichbedeutend mit einem Zustand, in dem jeder sagen kann, was er sagen möchte.
Allen totalitären Doktrinen liegt der Glaube zugrunde, dass die Herrschenden weiser und erhabener sind als ihre Untertanen und dass diese daher besser wissen, was den Beherrschten nützt, als die Untertanen selbst. Werner Sombart, jahrelang ein fanatischer Verfechter des Marxismus und später ein nicht minder fanatischer Verfechter des Nationalsozialismus, war kühn genug, offen zu behaupten, dass der Führer seine Befehle von Gott, dem obersten Führer des Universums, erhalte und dass das Führertum eine ständige Offenbarung sei.1 Wer das zugibt, muss natürlich aufhören, die Zweckmäßigkeit der staatlichen Allmacht in Frage zu stellen.
Diejenigen, die mit dieser theokratischen Rechtfertigung der Diktatur nicht einverstanden sind, nehmen sich die Freiheit, die damit verbundenen Probleme zu diskutieren. Der Staat ist für sie keine Gottheit. Sie scheuen keine Analyse der metaphysischen Begriffe des Hegelianismus und des Marxismus. Sie reduzieren all diese hochtrabende Rhetorik auf die einfache Frage: Sind die vorgeschlagenen Mittel geeignet, um die angestrebten Ziele zu erreichen? Mit der Beantwortung dieser Frage hoffen sie, der großen Mehrheit ihrer Mitmenschen einen Dienst zu erweisen.
Ludwig von Mises New York, im Januar 1944
Danksagung
Ich danke der Rockefeller Foundation und dem National Bureau of Economic Research für die Zuschüsse, die es mir ermöglichten, diese Studie durchzuführen. Herr Henry Hazlitt hat mir mit seiner Kritik und seinen Vorschlägen sowie durch die Bearbeitung des gesamten Manuskripts sehr geholfen. Herr Arthur Goodman hat mich bei sprachlichen und stilistischen Problemen beraten. Herr Eugene Davidson von der Yale University Press hat mich in vielerlei Hinsicht unterstützt. Die Verantwortung für alle geäußerten Meinungen liegt natürlich ausschließlich bei mir.
1 Sombart (1934), S. 213.
Ludwig von Mises
„Weiche dem Bösen nicht, sondern trete ihm kühn entgegen!“
Ludwig von Mises (1881 – 1973) ist nicht nur der herausragende Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, sondern er ist auch der bedeutendste Wirtschaftswissenschaftler und Sozialphilosoph des 20. Jahrhunderts. „Mises hat – kulminierend in seinem magnum opus, dem aus seiner Nationalökonomie hervorgegangenen Human Action – ein geistiges Monument geschaffen, das in Grundlegung und Systematik, thematischem Umfang, Geschlossenheit und Vollständigkeit der Darstellung, begrifflicher Klarheit und Schärfe sowie Zeitlosigkeit der Geltung im Bereich der Sozialwissenschaften einzigartig ist, und im Vergleich zu dem die Arbeiten selbst der bedeutendsten seiner Vorgänger dilettantisch erscheinen.“1
Ludwig von Mises wurde am 29. September 1881 Lemberg (heute Lwiw, Ukraine) geboren. Im Jahr 1900 begann er an der Universität in Wien ein Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Die ersten Zweifel am Interventionismus kamen ihm im Rahmen zweier Seminararbeiten. In diesen wurde ihm bewusst, dass alles, was die Lage der arbeitenden Klassen wirklich hob, ein Werk des Kapitalismus ist und dass die sozialpolitischen Gesetze das Gegenteil von dem bewirken, was der Gesetzgeber durch sie erreichen will.2 Um Weihnachten 1903 las er die Grundsätze der Volkswirtschaftslehre3 von Carl Menger und wurde durch dieses Buch zum Nationalökonomen.4 Das Studium schloss er 1906 als Doktor der Rechte ab.
„Das, was die Österreichische Schule auszeichnet und ihren unvergänglichen Ruhm bilden wird, ist gerade, dass sie eine Lehre vom wirtschaftlichen Handeln und nicht eine Lehre vom wirtschaftlichen Gleichgewicht, vom Nichthandeln, ist. […] Sie hat sich nie der verhängnisvollen Illusion hingegeben, dass Werte gemessen werden könnten. Sie hat nie verkannt, dass alle statistischen Daten lediglich der Wirtschaftsgeschichte angehören und mit Wirtschaftstheorie nichts zu tun haben.“5
In seiner Habilitationsschrift Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel6 integriert er die Geldtheorie in die allgemeine Theorie des Grenznutzens und des Preises, d. h. die „Makroökonomie“ in die „Mikroökonomie“. „Ich habe der mathematischen Nationalökonomie den Todesstoß dadurch versetzt, dass ich den Nachweis erbrachte, dass Geldmenge und Kaufkraft der Geldeinheit nicht verkehrt proportional sind.“7 Sie stehen in keinerlei Beziehung und sind durch die Daten jedes einzelnen Falles bedingt. Der zweite Schwerpunkt erklärt die Konjunkturzyklen. Der Aufschwung wird durch die Politik des „billigen Geldes“ ausgelöst. Die daraus resultierenden Fehlinvestitionen werden in einem Abschwung bereinigt. Die Konjunkturtheorie arbeitete er in der Zweitauflage der Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel8 sowie in der Geldwertstabilisierung und Konjunkturpolitik9 weiter aus.
Im Jahr 1909 begann Ludwig von Mises seine praktische Betätigung als Sekretär bei der Wiener Handelskammer, die, unterbrochen von seiner Kriegsteilnahme, bis 1938 andauerte. Als führendem Nationalökonomen Österreichs gelang es ihm, in den 1920er Jahren die Inflation einzudämmen. Der Schwerpunkt seiner Lehrtätigkeit lag in seinem „Privatseminar“.
Im Jahr 1919 sucht er in Nation, Staat und Wirtschaft10 nach den Weltkriegsursachen. „Wir wollen wissen, wie es kam, um es zu verstehen, nicht um Verdammungsurteile zu fällen.“11 Die Ideen des Imperialismus finden sich schon bei Engels und Rodbertus, sie führen in den Weltkrieg.12 „Wer den Frieden zwischen den Völkern will, muss den Etatismus bekämpfen.“13
Die Theorie über die Undurchführbarkeit des Sozialismus ist, neben der Geldtheorie und der Konjunkturtheorie, der dritte große Beitrag zur Österreichischen Schule durch Ludwig von Mises. In seinem Artikel Die Wirtschafsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen14 erkennt und begründet er ökonomisch, dass es für einen Zentralplaner unmöglich ist, eine Wirtschaftsordnung planen zu wollen, weil ihm die notwendigen Informationen für eine Wirtschaftsrechnung fehlen. Da es im Sozialismus kein Sondereigentum an den Produktionsmitteln gibt, fehlt mit dem Markt ein Preis- und Kalkulationssystem für den Eigentumstiteltausch. Ohne Markt gibt es keine Wirtschaftsrechnung. Mises gelingt somit die theoretische Widerlegung des Sozialismus. Die Ereignisse von 1989 gaben ihm Recht.
Die Erfahrungen des Weltkriegs ließen Ludwig von Mises hoffnungslos pessimistisch werden. Wie konnte die Kultur vor dem Untergang bewahrt werden? Ob Kapitalismus, Sozialismus oder Interventionismus das geeignete System gesellschaftlicher Kooperation ist, kann nur der mit der Nationalökonomie Vertraute entscheiden. Und in jeder Regierungsform entscheidet letztendlich die öffentliche Meinung. Er handelt getreu seinem Lebensmotto: Tu ne cede malis sed contra audentior ito15 – Weiche dem Bösen nicht, sondern trete ihm kühn entgegen! Sein Motto bezog er von Virgil. Er wollte alles versuchen, was ein Nationalökonom tun kann. Er wollte alles sagen, was er für richtig hielt: Er schrieb das Buch über den Sozialismus.
Die Erkenntnis von der Unmöglichkeit einer sozialistischen Wirtschaftsrechnung bildet den Kern seines Buches Die Gemeinwirtschaft16, eine umfassende philosophische, soziologische und ökonomische Kritik des Sozialismus und bis heute dessen gründlichste Ablehnung. Seine Bücher Die Gemeinwirtschaft, der Liberalismus17 und die Kritik des Interventionismus18 behandeln die Probleme gesellschaftlicher Kooperation ausführlich.
Der archimedische Punkt des Liberalismus ist der handelnde Mensch. In letzter Konsequenz sind es Ideen, die für das menschliche Handeln verantwortlich sind. „Ideen können nur durch Ideen überwunden werden. Den Sozialismus können nur die Ideen des Kapitalismus und des Liberalismus überwinden. Nur im Kampf der Geister kann die Entscheidung fallen.“19
Sozialismus und Liberalismus unterscheiden sich in der Verfügung über die Produktionsmittel. „Das Programm des Liberalismus hätte also, in ein einziges Wort zusammengefasst, zu lauten: Eigentum, das heißt: Sondereigentum an den Produktionsmitteln. […] Alle anderen Forderungen des Liberalismus ergeben sich aus dieser Grundforderung.“20 Im Sozialismus verfügt der Staat über den Einsatz der Produktionsmittel.
„Der Kapitalist produziert nicht für seinen eigenen Verbrauch, sondern für den Markt. Wenn die Verbraucher die ihnen angebotenen Güter nicht kaufen, kann der Kapitalist seine Auslagen nicht decken. Auf diese Weise ist das kapitalistische Produktionssystem eine wirtschaftliche Demokratie, in der jeder Cent das Recht gibt, eine Stimme abzugeben.“21 Das Argument des Liberalismus zugunsten des Sondereigentums an den Produktionsmitteln liegt in der These der Interessen der Einzelnen in ihrer Rolle als Verbraucher. „Nicht weil er sich berufen erachtet, die besonderen Interessen der besitzenden Klassen zu vertreten, tritt er für die Beibehaltung des Sondereigentums an den Produktionsmitteln ein, sondern weil er in der auf dem Sondereigentum beruhenden Ordnung des Wirtschaftslebens das für alle Teile des Volkes beste und die höchste materielle Befriedigung gewährende Produktions- und Verteilungssystem erblickt.“22 Der klassisch-liberale Staat ist Laissez-faire: „Das sind die Aufgaben, die die liberale Lehre dem Staat zuweist: Schutz des Eigentums, der Freiheit und des Friedens.“23
Im Interventionismus gedenkt die Regierung, die Wirtschaft durch Einmischung zu lenken. „[D]er isolierte preispolitische Eingriff in das Getriebe der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitten beruhenden Wirtschaftsordnung verfehlt den Zweck, den seine Urheber durch ihn erreichen wollen; er ist […] nicht nur zwecklos, sondern geradezu zweckwidrig, weil der das ‚Übel‘, das durch ihn bekämpft werden soll, noch ganz gewaltig vermehrt. […] Es gibt eben keine andere Wahl als die: entweder von isolierten Eingriffen in das Spiel des Marktes abzusehen oder aber die gesamte Leitung der Produktion und der Verteilung an die Obrigkeit zu übertragen. Entweder Kapitalismus oder Sozialismus; ein Mittelding gibt es nicht.“24
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Antisemitismus politisch instrumentalisiert. Nicht wegen seiner jüdischen Abstammung, sondern wegen seiner liberalen Ansichten erlangte Ludwig von Mises keine ordentliche Professur an einer Hochschule des deutschen Sprachraumes.25 Seine Berufung wurde nicht zuletzt durch den Antikapitalismus des Wiener Judentums verhindert.26 Ab 1934 übernahm er den Lehrstuhl für Internationale Wirtschaftsbeziehungen am Institut Universitaire des Hautes Études Internationales in Genf.
In der Aufsatzsammlung Grundprobleme der Nationalökonomie27 führt Ludwig von Mises die Praxeologie, die logische Deduktion aus offensichtlichen Axiomen, ein, welche er für die richtige Methodik der Wirtschaftstheorie hält. In Theory and History28, ein philosophisches Meisterwerk, und in The Ultimate Foundation of Economic Science29 widmet er sich dieser für die Wissenschaft vom menschlichen Handeln entscheidenden Fragestellung abermals. „Der Mensch handelt. Handeln bedeutet: nach Zielen streben, das heißt, ein Ziel zu wählen und sich der Mittel zu bedienen, um das erstrebte Ziel zu erreichen.“30 Geschichte und Wirtschaftstheorie sind unterschiedliche Kategorien: „Alle Erfahrung vom menschlichen Handeln ist Geschichte; sie kann nie etwas beweisen oder widerlegen in dem Sinn, in dem es ein Experiment in den Naturwissenschaften vermag. Verifikation und Falsifikation einer Aussage durch die Erfahrung ist den Wissenschaften vom menschlichen Handeln nicht gegeben. […] Die allgemeine Wissenschaft vom menschlichen Handeln ist Theorie und nicht Geschichte, sie ist apriorische Erkenntnis und nicht Erfahrungswissenschaft.“31
Im Frühjahr 1940 erschien die Nationalökonomie32, das Hauptwerk von Ludwig von Mises. Ausgehend vom Axiom des Handelns vereinigte er darin die Lehre vom indirekten Tausch mit der Lehre vom direkten Tausch in einem einheitlichen System des menschlichen Handelns. „Die Lehre vom menschlichen Handeln hat den Menschen nicht zu sagen, welche Ziele sie sich setzen und wie sie werten sollen. Sie ist eine Lehre von den Mitteln zur Erreichung von Zielen, nicht eine Lehre von der richtigen Zielwahl. Die letzten Entscheidungen, die Wertungen und Zielsetzungen, liegen jenseits des Bereichs der Wissenschaft. Die Wissenschaft sagt nicht, wie man handeln soll; sie zeigt nur, wie man handeln müsste, wenn man die Ziele, die man sich gesetzt hat, erreichen will.“33 „Zu politischen Ideen und Doktrinen darf der Nationalökonom allenfalls auf Grund der Ergebnisse umfassender Denkarbeit gelangen; der Anfang wissenschaftlichen Denkens muss in der Abkehr von allen Bindungen an Programme und Parteien liegen. […] Wie die Naturforscher und die Historiker damit anfangen mussten, sich von den Lehren der Bibel und der Dogmen zu befreien, so muss der Nationalökonom sich von den Parteilehren lösen. Das allein und nichts anderes ist der Sinn der Forderung voraussetzungsloser Forschung.“34Unter Einbeziehung und Fortführung früherer Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie fand seine Geldlehre in diesem Opus magnum ihren Abschluss.
Ludwig von Mises und seine Frau Margit verließen Genf Anfang Juli 1940 und fliehen durch das von Hitlers Truppen besetzt werdende Frankreich. Anfang August 1940 kamen sie in die Vereinigten Staaten an. 1944 veröffentlichte er seine ersten beiden Bücher in englischer Sprache.
In Bureaucracy35 zeigt er, dass es nur bürokratisches Wirtschaften und gewinnorientierte Privatwirtschaft gibt. Ersteres ist die Leitung von Angelegenheiten, die nicht durch eine Wirtschaftsrechnung überprüft werden können, weil es dafür keine Marktpreise gibt. Bürokratisches Wirtschaften ist hierarchisch organisiert und zentralistisch. In der dezentral organisierten Privatwirtschaft ist Bürokratie ein Ergebnis staatlicher Einmischung. Marktpreise haben Signalfunktion für deren Wirtschaftsrechnung. „Der Kampf gegen die Eingriffe der Bürokratie ist im wesentlichen ein Aufstand gegen die totalitäre Diktatur.“ Bürokratie korrumpiert: „Eine repräsentative Demokratie kann nicht bestehen, wenn ein großer Teil der Wähler auf der öffentlichen Gehaltsliste steht. Wenn die Parlamentarier sich nicht mehr als Treuhänder der Steuerzahler ansehen, sondern als Vertreter der Empfänger von Gehältern, Löhnen, Subventionen, Arbeitslosenunterstützung und anderen Wohltaten aus dem Steuertopf, dann ist es um die Demokratie geschehen.“36
In Omnipotent Government37 nimmt Ludwig von Mises den roten Faden aus Staat, Nation und Wirtschaft wieder auf. Es beruht auf dem 1938/39 in Genf geschriebenen Manuskript Vom Wesen und Werden des Nationalsozialismus – Ein Beitrag zur Befriedung Europas, das 1978 unter dem Titel Im Namen des Staates oder Die Gefahren des Kollektivismus38 veröffentlicht werden würde. Ergänzend zum Manuskript greift Ludwig von Mises hier das Thema Antisemitismus auf, den er als Wegbereiter, wenn nicht gar als Auslöser für den Zweiten Weltkrieg ausmacht. Das Kapitel Der Kampf zwischen Demokratie und Totalitarismus wurde aus dem Manuskript in diese Übersetzung übernommen. Es zeigt Ludwig von Mises als leidenschaftlichen Demokraten. Die Fragen, „ob die deutsche Nation nicht durch Festhalten an der friedlichen Politik des viel geschmähten Liberalismus besser gefahren wäre“39 und was die Ausweitung und den Missbrauch staatlicher Macht begrenzt, drängen sich auf. Politik ist das Problem, nicht die Lösung.
„Um an die Quelle zu kommen, muss man gegen den Strom schwimmen.“40 Ideen fallen nicht wie Manna vom Himmel. Ludwig von Mises geht in diesem Buch den Quellen des Nationalsozialismus nach. Seine Spurensuche beginnt bei den Gründen des Zusammenbruchs des Liberalismus.
Die Aufklärung trieb eine Welle des Liberalismus durch Deutschland. „Die Idee des Liberalismus geht von der Freiheit des Einzelnen aus, sie lehnt jede Herrschaft eines Teiles der Menschen über die übrigen Menschen ab, sie kennt keine Herrenvölker und keine Knechtvölker, wie sie im Volk selbst keine Herren und keine Knechte unterscheidet.“41
Der Etatismus steht dem Liberalismus diametral entgegen. „Der Staat ist Gott“, formulierte Lassalle. Die Synthese nationaler und egalitärer (frühsozialistischer) Ideen gebar den Etatismus. Der Liberalismus in Deutschland wurde der ätzenden Säure des Interventionismus ausgesetzt. Da gab es die ostelbischen Gebiete, in denen eine liberale Demokratie zur Unterdrückung der deutschsprachigen Minderheit geführt hätte. Der Liberalismus fordert in diesem Fall das Plebiszit42 über den Austritt aus dem Staat. Da gab es den deutschen Protektionismus für wichtige Industriezweige und es gab die Arbeitsschutzpolitik der Regierung zur Lösung „der sozialen Frage“.43 Und es gab die Historische Schule der wirtschaftlichen Staatswissenschaften. Sie war methodisch unzulänglich und sah ihre „Berufung“ in der Verherrlichung und Rechtfertigung der preußischen Politik. In ihrer professoralen Arroganz gegenüber den unwissenden Laien stellten sich politisierende Wissenschaftler den jeweiligen Machthabern zur Verfügung. „Die Professoren haben […] ihren Auftraggebern zu dienen gesucht: erst den Hohenzollern, dann den Marxisten, schließlich Hitler. Ihrem Glauben hat Sombart die prägnanteste Fassung gegeben, als er Hitler als den Träger göttlichen Auftrags bezeichnete, denn ‚alle Obrigkeit ist von Gott‘.“44
Der dritte Teil geht Ludwig von Mises den Quellen des Nationalsozialismus nach. Er diskreditiert die marxistische These, der Nationalsozialismus sei der letzte verzweifelte Versuch der deutschen Großindustrie zur Rettung des Kapitalismus vor den sozialistischen Massen.45 Ein großer Teil des „Proletariats“ hatte sich von den Sozialdemokraten abgewandt und stand auf der Seite der Nationalsozialisten. Die wichtigsten Vorläufer der Nationalsozialisten waren anerkannte Ahnen des Sozialismus. Marxismus und Nationalsozialismus stimmen in der Gegnerschaft gegen das Sondereigentum an den Produktionsmitteln und in ihrem Antisemitismus46 überein. Es gibt mehr signifikante Ähnlichkeiten als Unterschiede. Der Motor der Tat ist die Idee. Schon Marx forderte dazu auf, Kritiker nicht zu widerlegen, sondern zu vernichten.47 Der Totalitarismus bedingt die moralische Selbstermächtigung zur Gewalt. „Alle wesentlichen Ideen des Nationalsozialismus sind in den letzten dreißig Jahren des 19. Jahrhunderts von den Alldeutschen und den Sozialisten der Lehrkanzel der ‚wirtschaftlichen Staatswirtschaften‘ erdacht worden. Nicht ein einziger Gedanke fehlte.“48
Ein Gespenst ging um in Europa – das Gespenst des Kommunismus.49 Polen hatte 1921 einen Krieg gegen die Sowjetunion ausgelöst. Es bestand die Gefahr eines Vordringens des Bolschewismus nach Mitteleuropa.50 Im Zuge des Spanischen Bürgerkriegs wurden russische Truppen nach Spanien verlegt. Franco bewahrte Spanien davor, ein bolschewistischer Satellit zu werden, und rettete die Monarchie.51 „Die Unternehmer ließen sich lieber vom Nationalsozialismus auf den Status von Betriebsführern reduzieren, als sich vom Kommunismus auf russische Art und Weise liquidieren zu lassen.“52 Durch die Verbrüderung der Sozialdemokraten mit den Kommunisten ergab sich eine eindeutige Frontstellung.
Der Nationalsozialismus ist eine Form des Sozialismus. Es gibt große strukturelle Ähnlichkeiten des Sozialismus der Nationalsozialisten und des Sozialismus der Marxisten53. „Das deutsche und das russische System des Sozialismus haben die Tatsache gemeinsam, dass die Regierung die vollständige Kontrolle über die Produktionsmittel ausübt. Sie entscheidet, was und wie produziert werden soll. Sie teilt jedem Einzelnen einen Anteil der Konsumgüter zur persönlichen Verfügung zu. […] Das deutsche Modell unterscheidet sich von dem russischen darin, dass (scheinbar und nominell) das Sondereigentum an den Produktionsmitteln privat bleibt und der Anschein der normalen Preise, Löhne und Märkte gewahrt wird. Allerdings gibt es keine Unternehmer mehr, sondern nur noch Betriebsführer. […] Die Regierung und nicht die Verbraucher bestimmen, was produziert wird. Dabei handelt es sich um Sozialismus getarnt als Kapitalismus. Einige äußeren Merkmale der kapitalistischen Marktwirtschaft werden beibehalten, aber sie bedeuten etwas komplett anderes als in einer echten Marktwirtschaft.“54 Keynes zeigte sich begeistert vom deutschen Modell.55
Im letzten Teil entwirft Ludwig von Mises eine Friedensordnung für die Nachkriegszeit. Er schlägt eine Union der westlichen Demokratien und die Schaffung einer „Östlichen Demokratischen Union“ vor. „Diese Katastrophe betrifft in erster Linie Europa. Wenn sich die internationale Arbeitsteilung auflöst, kann Europa nur noch einen Bruchteil seiner heutigen Bevölkerung ernähren, und das auch nur auf einem viel niedrigeren Niveau. Die tägliche Erfahrung, richtig verstanden, wird die Europäer lehren, was die Folgen ihrer Politiken sind. Doch werden sie diese Lektion auch lernen?“56
Von 1945 bis zu seiner Pensionierung im Alter von 88 Jahren im Jahr 1969 lehrte er als Gastprofessor an der New York University. Sein Gehalt wurde bis 1962 vom konservativ-libertären William Volker Fund und danach von einem Konsortium marktwirtschaftlicher Stiftungen bestritten.
Im Jahr 1949 erschien mit Human Action sein monumentalstes Werk, dessen Vorgänger die Nationalökonomie war. Ludwig von Mises nahm die Herausforderung seiner eigenen Methodik und seines Forschungsprogramms an und erarbeitete eine integrierte und massive Struktur der Wirtschaftstheorie auf der Grundlage seiner eigenen deduktiven, praxeologischen Prinzipien. Es wendet sich durch seine sprachliche Klarheit nicht an die durch Steuern finanzierte und subventionierte akademische Elite, die in der Regel Etatisten sind, sondern an das allgemeine Publikum.
Seit dem Tod von Ludwig von Mises am 10. Oktober 1973 im Alter von 92 Jahren in New York erleben seine Lehre und ihr Einfluss eine Renaissance. 1974 erhielt Friedrich August von Hayek den Nobelpreis für Wirtschafswissenschaften für seinen Beitrag zur Entwicklung der Mises-Hayek’schen Konjunkturtheorie. Die Inspiration einer wachsenden Zahl von Studenten und Bewunderern führte 1982 zur Gründung des Ludwig von Mises Institute mit Sitz in Auburn, Alabama. Das Ludwig von Mises Institut Deutschland folgte 2012. Ludwig von Mises Institute etablierten sich mittlerweile in aller Welt, von Lateinamerika bis nach Osteuropa.
Omnipotent Government wurde im Jahr 2010 vom Liberty Fund herausgegeben. Die Übersetzung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Liberty Fund. Die aus der Ausgabe des Liberty Fund übernommenen Anmerkungen durch den Übersetzer sind mit einem „[S]“ gekennzeichnet. Aus Gründen der Lesbarkeit wurden in deutschsprachigen Zitaten aus Werken von Ludwig von Mises alte Schreibweisen wie ,,dem Volke” angepasst in ,,dem Volk” etc. Ergänzungen des Übersetzers im Fließtext werden von eckigen Klammern eingeschlossen. Liberale folgen dem Lebensmotto von Ludwig von Mises, denn „wer Frieden zwischen den Völkern will, muss den Staat und seinen Einfluss auf das Stärkste einzuschränken versuchen!“.57
Dieses Geleitwort endet nicht ohne das Gedenken an die Millionen Opfer von Totalitarismus. Menschen, die im kollektiven Wahn gegeneinander aufgehetzt wurden und denen in der Hybris, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, das Leben zur Hölle gemacht wurde. Gedacht wird auch der Millionen von Menschen, die auf der Flucht umkamen: Für Freiheit!
Burkhard Sievert Soest, im Januar 2023
Allmächtiger Staat
1 Hoppe (42006, 1927), S. 7–8.
2 Vgl. Mises (22014), S. 13 f.
3 Menger (1871).
4 Vgl. Mises (22014), S. 19.
5 Mises (22014), S. 21.
6 Mises (1912).
7 Mises (22014), S. 36.
8 Mises (2005, 21924).
9 Mises (1928).
10 Mises (1919).
11 Mises (2014, 1919), S. 1.
12 Vgl. ebenda, S. 77; vgl. Rodbertus (1899), S. 282; vgl. Wette (1971), S. 22–101.
13 Mises (2014, 1919), S. 62.
14 Mises (1921).
15 Mises (22014), S. 43.
16 Mises (1922).
17 Mises (1927).
18 Mises (1929).
19 Mises (2007, 21932), S. 471.
20 Mises (42006, 1927), S. 17.
21 Mises (2013, 1929), S. 37 f.
22 Mises (2014, 1919), S. 149.
23 Mises (42006, 1927), S. 33.
24 Mises (2013, 1929), S. 35 f.
25 Vgl. Mises (22014), S. 61.
26 Vgl. Hoppe (42006, 1927), S. 16, Fn. 12.
27 Mises (1933).
28 Mises (1957), deutsch: Mises (2014).
29 Mises (1962), deutsch: Mises (2016).
30 Mises (2016), S. 20.
31 Mises (2010, 1940), S. 21, S. 39.
32 Mises (1940).
33 Mises (2010, 1940), S. 39.
34 Mises (2010, 1940), S. 746–747.
35 Mises (1944a), deutsch: Mises (32013).
36 Mises (32013), S. 89.
37 Mises (1944b), deutsch: Mises (2023), vorliegende Ausgabe.
38 Mises (1978).
39 Mises (2014, 1919), S. 177 f.
40 Stanislaw Jerzy Lec, aus: Neue unfrisierte Gedanken.
41 Mises (2014, 1919), S. 63.
42 „Nur dies allein kann Bürgerkriege, Revolutionen und Kriege zwischen den Staaten wirksam verhindern“, Mises (42006, 1927), S. 96.
43 „Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“, Bismarck (1924/1925), S. 195 f., zitiert in: Habermann (2013), S. 181.
44 Mises (22014), S. 9.
45 Vgl. Hoppe (42006, 1927), S 30.
46 „Der Kapitalist weiß, dass alle Waren, wie lumpig sie immer aussehn oder wie schlecht sie immer riechen, im Glauben und in der Wahrheit Geld, innerlich beschnittne Juden sind und zudem wundertätige Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen“, Marx (1962, 1867), S. 169. Marx wetteiferte mit Engels in seinen judenfeindlichen Ausfällen gegen Lassalle, den er einen „jüdischen Nigger“ nannte, Marx (1862), S. 257. Auch Engels befleißigte sich keiner milderen Tonart.
47 Vgl. Marx (1843), S. 380, Hervorhebung im Original.
48 S. 237.
49 Vgl. Marx (61959, 1847): Kommunistisches Manifest, in: MEW 4, S. 461.
50 Vgl. Radnitzky (2006), S. 47.
51 Vgl. ebenda, S. 92, Courtois (41998), S. 366–386.
52 S. 322; s. a. Kuehnelt-Leddihn (1985), S. 230.
53 „Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benützen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in die Hände des Staates, d. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren“, Marx (61959, 1847), S. 481, Hervorhebung durch [S].
54 S. 107.
55 „Die Theorie der Produktion als Ganzes kann viel leichter den Verhältnissen eines totalen Staates angepasst werden als die Theorie der Erzeugung und Verteilung einer gegebenen, unter Bedingungen des freien Wettbewerbs und eines großen Maßes von Laissez-faire erstellten Produktion“, Keynes (1936), S. 8 f., zitiert in: Hoppe (42006, 1927), S. 28 f.
56 S. 436.
57 Mises (2014, 1919), S. 77.
Einführung
1.
Der wesentliche Punkt in den Plänen der National-Sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) ist die Eroberung von Lebensraum1 für die Deutschen, d. h. eines Territoriums, das so groß und reich an natürlichen Ressourcen ist, dass sie in wirtschaftlicher Autarkie auf einem Niveau leben können, das nicht niedriger ist als das irgendeiner anderen Nation. Es liegt auf der Hand, dass dieses Programm, das alle anderen Nationen herausfordert und bedroht, nur durch die Errichtung einer deutschen Welthegemonie verwirklicht werden kann.
Das Erkennungszeichen des Nationalsozialismus ist weder Sozialismus noch Totalitarismus noch Nationalismus. In allen Nationen sind die „Progressiven“ heute bestrebt, den Kapitalismus durch den Sozialismus zu ersetzen. Während sie die deutschen Aggressoren bekämpfen, übernehmen Großbritannien und die Vereinigten Staaten Schritt für Schritt das deutsche Modell des Sozialismus. Die öffentliche Meinung in beiden Ländern ist voll und ganz davon überzeugt, dass eine allumfassende Lenkung der Wirtschaft in Kriegszeiten unvermeidlich ist, und viele namhafte Politiker und Millionen von Wählern sind fest entschlossen, den Sozialismus nach dem Krieg als dauerhafte neue Gesellschaftsordnung zu erhalten. Diktatur und gewaltsame Unterdrückung Andersdenkender sind auch keine besonderen Merkmale des Nationalsozialismus. Sie sind die sowjetische Regierungsform und werden als solche in der ganzen Welt von den zahlreichen Freunden des heutigen Russlands befürwortet. Der Nationalismus – eine Folge der Einmischung der Regierung in die Wirtschaft, wie in diesem Buch gezeigt wird – bestimmt in unserem Zeitalter die Außenpolitik jeder Nation. Was die Nationalsozialisten als solche kennzeichnet, ist ihre besondere Art des Nationalismus, das Streben nach Lebensraum.
Dieses Ziel der Nationalsozialisten unterscheidet sich im Prinzip nicht von den Zielen der früheren deutschen Nationalisten, deren radikalste Gruppe sich in den dreißig Jahren vor dem Ersten Weltkrieg Alldeutsche2 (Pangermanisten) nannte. Dieser Ehrgeiz war es, der das kaiserliche Deutschland in den Ersten Weltkrieg trieb und – fünfundzwanzig Jahre später – den Zweiten Weltkrieg entfachte.
Das Lebensraumprogramm kann nicht auf frühere deutsche Ideologien oder auf Präzedenzfälle in der deutschen Geschichte der letzten fünfhundert Jahre zurückgeführt werden. Deutschland hatte seine Chauvinisten wie alle anderen Nationen auch. Doch Chauvinismus ist nicht Nationalismus. Chauvinismus ist die Überbewertung der Errungenschaften und Qualitäten der eigenen Nation und die Herabsetzung anderer Nationen; an sich führt er zu keiner Handlung. Der Nationalismus hingegen ist eine Bauanleitung für politisches und militärisches Handeln und der Versuch, diese Pläne zu verwirklichen. Die deutsche Geschichte ist, wie die Geschichte anderer Nationen, die Aufzeichnung von Fürsten, die auf Eroberung erpicht waren; aber diese Kaiser, Könige und Herzöge wollten Reichtum und Macht für sich und ihre Verwandten erwerben, nicht Lebensraum für ihre Nation. Der deutsche aggressive Nationalismus ist ein Phänomen der letzten sechzig Jahre. Er hat sich aus den modernen Wirtschaftsbedingungen und den wirtschaftspolitischen Maßnahmen entwickelt.
Nationalismus darf auch nicht mit dem Streben nach Volksherrschaft [popular government], nationaler Selbstbestimmung und politischer Autonomie verwechselt werden. Als die deutschen Liberalen des 19. Jahrhunderts darauf abzielten, die tyrannische Herrschaft von etwa dreißig Fürsten durch eine demokratische Regierung der gesamten deutschen Nation zu ersetzen, hegten sie keine feindlichen Absichten gegen andere Nationen. Sie wollten den Despotismus beseitigen und eine parlamentarische Regierung errichten. Sie dürsteten nicht nach Eroberung und territorialer Ausdehnung. Sie hatten nicht die Absicht, die polnischen und italienischen Gebiete, die ihre Fürsten erobert hatten, in den deutschen Traumstaat einzugliedern, sondern sympathisierten mit den Bestrebungen der polnischen und italienischen Liberalen, unabhängige polnische und italienische Demokratien zu errichten. Sie waren bestrebt, das Wohlergehen der deutschen Nation zu fördern, aber sie glaubten nicht, dass die Unterdrückung fremder Nationen und die Schädigung von Ausländern ihrer eigenen Nation am besten diente.
Nationalismus ist auch nicht identisch mit Patriotismus. Patriotismus ist der Eifer für das Wohlergehen, die Blüte und die Freiheit der eigenen Nation. Der Nationalismus ist eine der verschiedenen Methoden, die für die Erreichung dieser Ziele vorgeschlagen werden. Doch die Liberalen behaupten, dass die vom Nationalismus empfohlenen Mittel unangemessen sind und dass ihre Anwendung nicht nur die angestrebten Ziele nicht verwirklichen, sondern im Gegenteil zu einer Katastrophe für die Nation führen muss. Auch die Liberalen sind Patrioten, aber ihre Ansichten über die richtigen Wege zu nationalem Wohlstand und Größe unterscheiden sich radikal von denen der Nationalisten. Sie empfehlen freien Handel, internationale Arbeitsteilung, Wohlwollen und Frieden unter den Völkern, nicht um der Ausländer willen, sondern um das Glück der eigenen Nation zu fördern.
Das Ziel des Nationalismus ist es, das Wohlergehen der gesamten Nation oder bestimmter Gruppen ihrer Bürger zu fördern, indem Ausländern Schaden zugefügt wird. Die herausragende Methode des modernen Nationalismus ist die Diskriminierung von Ausländern im wirtschaftlichen Bereich. Ausländische Waren werden vom inländischen Markt ausgeschlossen oder nur nach Zahlung eines Einfuhrzolls zugelassen. Ausländische Arbeitskräfte werden vom Wettbewerb auf dem inländischen Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Ausländisches Kapital unterliegt der Konfiskation. Dieser wirtschaftliche Nationalismus muss zum Krieg führen, wenn die Geschädigten glauben, stark genug zu sein, um die Maßnahmen, die ihrem eigenen Wohlergehen abträglich sind, mit Waffengewalt zu beseitigen.
Die Politik einer Nation bildet ein integrales Ganzes. Außen- und Innenpolitik sind eng miteinander verknüpft; sie sind ein einziges System und bedingen sich gegenseitig. Der wirtschaftliche Nationalismus ist die logische Folge der heutigen innenpolitischen Maßnahmen der staatlichen Einmischung in die Wirtschaft und der nationalen Planung, so wie der freie Handel die Ergänzung der wirtschaftlichen Freiheit im Inland war. In einem Land mit freiem Binnenhandel kann es Protektionismus geben, aber wo es keinen freien Binnenhandel gibt, ist Protektionismus unverzichtbar. Die Macht einer nationalen Regierung ist auf das Gebiet beschränkt, das ihrer Souveränität unterliegt. Sie hat nicht die Macht, direkt in die Bedingungen im Ausland einzugreifen. Wo es freien Handel gibt, würde der ausländische Wettbewerb sogar kurzfristig die Ziele vereiteln, die mit den verschiedenen staatlichen Interventionen in die inländische Wirtschaft angestrebt werden. Wenn der inländische Markt nicht bis zu einem gewissen Grad von ausländischen Märkten abgeschottet ist, kann von staatlicher Lenkung keine Rede sein. Je weiter eine Nation auf dem Weg zu staatlicher Regulierung und Organisierung voranschreitet, desto mehr wird sie in die wirtschaftliche Isolation getrieben. Die internationale Arbeitsteilung wird verdächtig, weil sie die volle Nutzung der nationalen Souveränität behindert. Die Tendenz zur Autarkie ist im Wesentlichen eine Tendenz der nationalen wirtschaftspolitischen Maßnahmen; sie ist das Ergebnis des Bestrebens, dem Staat in wirtschaftlichen Angelegenheiten den Vorrang einzuräumen.
In einer Welt des freien Handels und der Demokratie gibt es keine Anreize für Krieg und Eroberung. In einer solchen Welt spielt es keine Rolle, ob sich die Souveränität einer Nation auf ein größeres oder ein kleineres Gebiet erstreckt. Seine Bürger können aus der Annexion einer Provinz keinen Vorteil ziehen. So können territoriale Probleme unvoreingenommen und leidenschaftslos behandelt werden; es ist nicht schmerzhaft, den Ansprüchen anderer Menschen auf Selbstbestimmung nachzukommen. Das freihändlerische Großbritannien gewährte den britischen Siedlungen in Übersee freiwillig den Herrschaftsstatus, d. h. faktische Autonomie und politische Unabhängigkeit, und trat die Ionischen Inseln an Griechenland ab. Schweden unternahm keine militärischen Aktionen, um den Bruch des Bandes zwischen Norwegen und Schweden zu verhindern; das Königshaus Bernadotte verlor seine norwegische Krone, aber für den einzelnen schwedischen Bürger war es unerheblich, ob sein König auch Souverän von Norwegen war oder nicht. In den Tagen des Liberalismus konnten Menschen glauben, dass Plebiszite und die Entscheidungen internationaler Gerichte alle Streitigkeiten zwischen den Nationen friedlich lösen würden. Um den Frieden zu sichern, war der Umsturz antiliberaler Regierungen erforderlich. Einige Kriege und Revolutionen wurden immer noch als unvermeidlich angesehen, um die letzten Tyrannen zu beseitigen und einige noch bestehende Handelsmauern zu zerstören. Und wenn dieses Ziel jemals erreicht würde, gäbe es keinen Grund mehr für einen Krieg. Die Menschheit wäre in der Lage, alle ihre Anstrengungen der Förderung des allgemeinen Wohls zu widmen.
Doch während sich die Humanisten damit begnügten, die Segnungen dieser liberalen Utopie zu beschreiben, erkannten sie nicht, dass neue Ideologien im Begriff waren, den Liberalismus zu verdrängen und eine neue Ordnung zu formen, die feindselige Einstellungen hervorrief, für die keine friedliche Lösung gefunden werden konnte. Die Humanisten sahen die neuen Ideologien nicht, weil sie diese neuen Mentalitäten und Politiken als Fortführung und Erfüllung der wesentlichen Grundsätze des Liberalismus ansahen. Der Antiliberalismus eroberte das Bewusstsein der Menschen, getarnt als wahrer und echter Liberalismus. Heute unterstützen diejenigen, die sich selbst als Liberale bezeichnen, Programme, die den Grundsätzen und Doktrinen des alten Liberalismus völlig entgegengesetzt sind. Sie verunglimpfen das Sondereigentum3 an den Produktionsmitteln und die Marktwirtschaft und sind begeisterte Freunde totalitärer Methoden der Wirtschaftsführung. Sie streben nach staatlicher Allmacht und begrüßen jede Maßnahme, die dem Beamtentum und den staatlichen Stellen mehr Macht verleiht. Sie verurteilen jeden, der ihre Vorliebe für Reglementierung nicht teilt, als reaktionär und marktradikal [economic royalist]4.
Diese selbsternannten Liberalen und Progressiven sind ehrlich davon überzeugt, dass sie wahre Demokraten sind. Doch ihre Vorstellung von Demokratie ist genau das Gegenteil von dem, was im 19. Jahrhundert galt. Sie verwechseln Demokratie mit Sozialismus. Sie sehen nicht nur nicht, dass Sozialismus und Demokratie unvereinbar sind, sondern sie glauben, dass Sozialismus allein echte Demokratie bedeutet. In diesem Irrtum verstrickt, betrachten sie das sowjetische System als eine Variante der Volksherrschaft.
Die europäischen Regierungen und Parlamente sind seit mehr als sechzig Jahren bestrebt, das Funktionieren des Marktes zu behindern, in die Wirtschaft einzugreifen und den Kapitalismus zu lähmen. Sie haben die Warnungen der Nationalökonomen unbekümmert ignoriert. Sie haben Handelsschranken errichtet, sie haben die Kreditausweitung und die Politik des leichten Geldes gefördert, sie haben zu preispolitischen Eingriffen, zu Mindestlöhnen und zu Subventionen gegriffen. Sie haben die Besteuerung in Konfiskation und Enteignung umgewandelt; sie haben rücksichtslose Ausgaben als die beste Methode zur Steigerung von Wohlstand und Wohlfahrt verkündet. Doch als die unvermeidlichen Folgen dieser politischen Maßnahmen, die von den Nationalökonomen schon lange vorher vorhergesagt worden waren, immer offensichtlicher wurden, machte die öffentliche Meinung nicht diese liebgewonnenen politischen Maßnahmen dafür verantwortlich: Sie klagte den Kapitalismus an. In den Augen der Öffentlichkeit sind nicht die antikapitalistischen politischen Maßnahmen, sondern der Kapitalismus die Hauptursache für Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Inflation und steigende Preise, Monopole und Verschwendung, gesellschaftliche Unruhen und Kriege.
Der verhängnisvolle Irrtum, der alle Bemühungen um die Sicherung des Friedens vereitelte, bestand gerade darin, dass Menschen nicht begriffen, dass es nur in einer Welt des reinen, vollkommenen und ungehinderten Kapitalismus keine Anreize für Aggression und Eroberung gibt. Präsident Wilson ließ sich von der Vorstellung leiten, dass nur autokratische Regierungen kriegslüstern sind, während Demokratien aus Eroberungen keinen Gewinn ziehen können und deshalb am Frieden festhalten. Was Präsident Wilson und die anderen Gründer des Völkerbundes nicht sahen, war, dass dies nur in einem System mit Sondereigentum an den Produktionsmitteln, freiem Unternehmertum und ungehinderter Marktwirtschaft gilt. Wo es keine wirtschaftliche Freiheit gibt, liegen die Dinge völlig anders. In unserer Welt des Etatismus5, in der jede Nation bestrebt ist, sich abzuschotten und nach Autarkie zu streben, ist es völlig falsch zu behaupten, dass kein Mensch aus Eroberungen einen Vorteil ziehen kann. Im Zeitalter von Handelsmauern und Migrationsschranken, von Devisenkontrolle und Enteignung ausländischen Kapitals gibt es reichlich Anreize für Krieg und Eroberung. Nahezu jeder Bürger hat ein materielles Interesse an der Aufhebung von Maßnahmen, mit denen fremde Regierungen ihm schaden können. Fast jeder Bürger ist daher bestrebt, sein eigenes Land mächtig und stark zu sehen, weil er sich von dessen militärischer Macht einen persönlichen Vorteil verspricht. Die Vergrößerung des Territoriums, das der Souveränität der eigenen Regierung untersteht, bedeutet zumindest eine Befreiung von den Übeln, die eine fremde Regierung ihm zugefügt hat.
Auf die Frage, ob die Demokratie in einem System staatlicher Einmischung in die Wirtschaft oder im Sozialismus überleben kann, können wir vorerst verzichten. Auf jeden Fall steht außer Zweifel, dass im Etatismus die einfachen Bürger selbst zur Aggression neigen, wenn die militärischen Erfolgsaussichten günstig sind. Kleine Nationen können nicht umhin, Opfer des wirtschaftlichen Nationalismus anderer Nationen zu werden. Doch die großen Nationen vertrauen auf die Tapferkeit ihrer Streitkräfte. Die heutige Kriegslust ist nicht das Ergebnis der Gier von Fürsten und Junker-Oligarchien; sie ist eine Politik der Interessengruppen, die sich durch die angewandten Methoden, nicht aber durch die Anreize und Motive auszeichnet. Die deutschen, italienischen und japanischen Arbeiter streben nach einem höheren Lebensstandard, wenn sie gegen den wirtschaftlichen Nationalismus anderer Nationen kämpfen. Sie irren sich gewaltig; die gewählten Mittel sind nicht geeignet, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Doch ihre Irrtümer stehen im Einklang mit den Lehren des Klassenkampfes und der gesellschaftlichen Revolution, die heute so weit verbreitet sind. Der Imperialismus der Achse ist keine Politik, die aus den Zielen einer Oberschicht erwachsen ist. Wenn wir die falschen Begriffe des populären Marxismus anwenden würden, müssten wir ihn als Arbeiterimperialismus bezeichnen. Um das berühmte Diktum von General Clausewitz zu paraphrasieren, könnte man sagen: Er ist nur die Fortsetzung der Innenpolitik mit anderen Mitteln, er ist ein in die Sphäre der internationalen Beziehungen verlagerter innerer Klassenkampf.
Seit mehr als sechzig Jahren sind alle europäischen Nationen bestrebt, ihren Regierungen mehr Macht zu übertragen, die Sphäre des staatlichen Zwangs und der Unterdrückung zu erweitern, alle menschlichen Aktivitäten und Bemühungen dem Staat zu unterwerfen. Und doch haben Pazifisten immer wieder betont, dass es den einzelnen Bürger nichts angeht, ob sein Land groß oder klein, stark oder schwach ist. Sie haben die Segnungen des Friedens gepriesen, während Millionen von Menschen in der ganzen Welt ihre ganze Hoffnung auf Aggression und Eroberung setzten. Sie haben nicht erkannt, dass der einzige Weg zu dauerhaftem Frieden darin besteht, die Ursachen des Krieges zu beseitigen. Es ist wahr, dass diese Pazifisten einige zaghafte Versuche unternommen haben, sich dem wirtschaftlichen Nationalismus entgegenzustellen. Doch sie haben nie dessen eigentliche Ursache, den Etatismus – den Trend zur staatlichen Lenkung der Wirtschaft – angegriffen, und so waren ihre Bemühungen zum Scheitern verurteilt.
Natürlich streben die Pazifisten eine übernationale Weltbehörde an, die alle Konflikte zwischen den verschiedenen Nationen friedlich regeln und ihre Beschlüsse durch eine übernationale Polizeitruppe durchsetzen könnte. Doch was für eine zufriedenstellende Lösung des brennenden Problems der internationalen Beziehungen benötigt wird, sind weder ein neues Amt mit noch mehr Ausschüssen, Sekretären, Kommissaren, Meldungen und Vorschriften noch ein neues Gremium bewaffneter Henker, sondern der radikale Umsturz der Mentalitäten und die innenpolitischen Maßnahmen, die zu Konflikten führen müssen. Das bedauerliche Scheitern des Genfer Experiments ist gerade darauf zurückzuführen, dass die vom bürokratischen Aberglauben des Etatismus befangenen Menschen nicht begriffen haben, dass Ämter und Beamte kein Problem lösen können. Ob es eine übernationale Behörde mit einem internationalen Parlament gibt oder nicht, ist von untergeordneter Bedeutung. Die wirkliche Notwendigkeit besteht darin, politische Maßnahmen aufzugeben, die den Interessen der anderen Nationen schaden. Keine internationale Behörde kann den Frieden bewahren, wenn Wirtschaftskriege weitergehen. In unserem Zeitalter der internationalen Arbeitsteilung ist der freie Handel die Voraussetzung für jede gütliche Einigung zwischen den Nationen. Und freier Handel ist in einer Welt des Etatismus unmöglich.
Die Diktatoren bieten uns eine andere Lösung an. Sie planen eine „neue Ordnung“, ein System der Welthegemonie einer Nation oder einer Gruppe von Nationen, unterstützt und gesichert durch die Waffen siegreicher Armeen. Die wenigen Privilegierten werden die große Mehrheit der „minderwertigen“ Rassen beherrschen. Diese „neue Ordnung“ ist ein sehr altes Konzept. Alle Eroberer haben sie angestrebt; Dschingis Khan und Napoleon waren die Vorläufer des Führers. Die Geschichte hat das Scheitern vieler Versuche bezeugt, Frieden durch Krieg, Kooperation durch Zwang, Einstimmigkeit durch Abschlachten Andersdenkender zu erzwingen. Hitler wird es nicht besser ergehen als ihnen. Eine dauerhafte Ordnung lässt sich nicht durch Bajonette herstellen. Eine Minderheit kann nicht herrschen, wenn sie nicht von der Zustimmung der Beherrschten getragen wird; der Aufstand der Niedergedrückten wird sie früher oder später stürzen, selbst wenn sie eine Zeit lang erfolgreich waren. Doch die Nationalsozialisten haben noch nicht einmal die Chance, für eine kurze Zeit erfolgreich zu sein. Ihr Überfall ist zum Scheitern verurteilt.
2.
Die gegenwärtige Krise der menschlichen Kultur hat ihren Brennpunkt in Deutschland. Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist das Deutsche Reich der Friedensstörer. In den dreißig Jahren vor dem Ersten Weltkrieg bestand das Hauptanliegen der europäischen Diplomatie darin, Deutschland durch verschiedene Intrigen und Tricks in Schach zu halten. Ohne die deutsche Kriegstreiberei hätten weder die Machtgelüste der Zaren noch die feindseligen Einstellungen und Rivalitäten der verschiedenen Nationalitäten Südosteuropas den Weltfrieden ernsthaft gestört. Als 1914 die Instrumente der Beschwichtigung versagten, brachen die Kräfte der Hölle hervor.
Die Früchte des Sieges der Alliierten wurden durch die Unzulänglichkeiten der Friedensverträge, durch die Fehler der Nachkriegspolitiken und durch den Aufstieg des wirtschaftlichen Nationalismus zunichte gemacht. In den Wirren dieser Jahre zwischen den beiden Kriegen, in denen jede Nation bestrebt war, anderen Nationen so viel Schaden wie möglich zuzufügen, war Deutschland frei, einen noch gewaltigeren Angriff vorzubereiten. Doch für die Nationalsozialisten würden weder Italien noch Japan ein ebenbürtiger Gegner für die Vereinten Nationen sein. Dieser neue Krieg ist ein deutscher Krieg wie der Erste Weltkrieg.
Es ist unmöglich, die grundlegenden Probleme dieses schrecklichsten aller jemals geführten Kriege zu begreifen, ohne die wichtigsten Fakten der deutschen Geschichte zu kennen. Vor hundert Jahren waren die Deutschen ganz anders, als sie es heute sind. Damals war es nicht ihr Ehrgeiz, die Hunnen zu übertreffen und Attila zu übertrumpfen. Ihre Leitsterne waren Schiller und Goethe, Herder und Kant, Mozart und Beethoven. Ihr Leitmotiv war Freiheit, nicht Eroberung und Unterdrückung. Die Etappen des Prozesses, der die Nation, die von ausländischen Beobachtern einst als das der Dichter und Denker bezeichnet wurde, in das der rücksichtslosen Banden der nationalsozialistischen Sturmabteilungen verwandelte, sollte jeder kennen, der sich sein eigenes Urteil über die aktuellen weltpolitischen Angelegenheiten und Probleme bilden will. Die Quellen und Tendenzen der nationalsozialistischen Aggressivität zu verstehen, sind sowohl für die politische und militärische Führung des Krieges als auch für die Gestaltung einer dauerhaften Nachkriegsordnung von höchster Bedeutung. Durch eine bessere und klarere Einsicht in das Wesen und die Kräfte des deutschen Nationalismus hätten viele Fehler vermieden und viele Opfer erspart werden können.
Die Aufgabe des vorliegenden Buches ist es, die Umrisse der Veränderungen und Ereignisse nachzuzeichnen, die zum heutigen Zustand der deutschen und europäischen Angelegenheiten geführt haben. Es versucht, viele weit verbreitete Irrtümer der Menschen zu korrigieren, die aus Legenden, die die geschichtlichen Tatsachen stark verfälschen, und aus Doktrinen entstanden sind, die die wirtschaftlichen Entwicklungen und die Wirtschaftspolitiken falsch darstellen. Es befasst sich sowohl mit der Geschichte als auch mit grundlegenden Fragen der Soziologie und der Nationalökonomie. Es versucht, keinen Gesichtspunkt zu vernachlässigen, dessen Erläuterung für eine vollständige Beschreibung des weltweiten Problems des Nationalsozialismus notwendig ist.
3.
In der Geschichte der letzten zweihundert Jahre lassen sich zwei unterschiedliche ideologische Tendenzen ausmachen. Da war zum einen die Tendenz zur Freiheit, zu den Rechten des Menschen und zur Selbstbestimmung. Dieser Individualismus führte zum Sturz autokratischer Regierungen, zur Einführung der Demokratie, zur Entwicklung des Kapitalismus, zu technischen Verbesserungen und zu einem beispiellosen Anstieg des Lebensstandards. An die Stelle des alten Aberglaubens trat die Aufklärung, an die Stelle eingefleischter Vorurteile traten wissenschaftliche Forschungsmethoden. Es war eine Epoche großer künstlerischer und literarischer Errungenschaften, das Zeitalter der unsterblichen Musiker, Maler, Schriftsteller und Philosophen. Und es beseitigte Sklaverei, Leibeigenschaft, Folter, Inquisition und andere Überbleibsel des dunklen Zeitalters.
Im zweiten Teil dieser Periode weicht der Individualismus einer anderen Tendenz, der Tendenz zur staatlichen Allmacht. Die Menschen scheinen nun bestrebt zu sein, alle Befugnisse auf die Regierungen zu übertragen, d. h. auf den gesellschaftlichen Zwangs- und Unterdrückungsapparat. Sie streben den Totalitarismus an, d. h. Zustände, in denen alle menschlichen Angelegenheiten von Regierungen verwaltet werden. Sie begrüßen jeden Schritt zu mehr staatlicher Einmischung als Fortschritt auf dem Weg zu einer perfekteren Welt; sie sind überzeugt, dass die Regierungen die Erde in ein Paradies verwandeln werden. Bezeichnenderweise wird heute in den Ländern, die am weitesten auf dem Weg zum Totalitarismus fortgeschritten sind, sogar die Nutzung der Freizeit des einzelnen Bürgers als Aufgabe der Regierung betrachtet. In Italien ist das dopolavoro und in Deutschland die Freizeitgestaltung6 ein regelmäßiges legitimes Betätigungsfeld für die staatliche Einmischung. Die Menschen sind so sehr in die Lehren der Staatsvergötterung verstrickt, dass sie das Paradoxon einer staatlich regulierten Freizeit nicht sehen.
Es ist nicht die Aufgabe dieses Buches, alle Probleme der Staatsgläubigkeit oder des Etatismus