Als die Münze flog... - Thomas Hüttinger - E-Book

Als die Münze flog... E-Book

Thomas Hüttinger

0,0

Beschreibung

Die Herbeiführung der Spielentscheidung durch Elfmeterschießen ist heute selbstverständlich, jedoch relativ jung in der Fußballgeschichte. Bis 1970 war das Entscheidungsspiel Usus und bei immer noch unentschiedenem Spielausgang der Losentscheid. Insgesamt 24 Mal in der Geschichte der Europapokalwettbewerbe entschied der Zufall über den Aufstieg in die nächste Runde. Der Verlauf dieser Begegnungen bis zu ihrem dramatischen Ende wird in diesem Buch nachgezeichnet. Zugleich ist es ein nostalgischer Streifzug durch die Fußballwelt der 1960er Jahre. Die zufällige Auswahl führt zu Vereinen, die heute noch an der Spitze stehen wie der FC Barcelona, der AC Mail vorgestellt. Auch Vereine aus Deutschland West und Ost waren beteiligt: 1. FC Köln, Hannover 96, Wismut Karl-Marx-Stadt (Aue) und Aufbau (1. FC) Magdeburg. Österreich ist vertreten durch den Linzer ASK, die Schweiz durch den FC Zürich.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 193

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Saison 1957/58:

EP1 SC Wismut Karl-Marx-Stadt - Gwardia Warschau

Saison 1963/64:

EP1 FC Zürich – Galatasaray Istanbul

EP2 Linzer ASK – Dinamo Zagreb

Saison 1964/65:

EP1 RSC Anderlecht - FC Bologna

EP1 Dukla Prag - Górnik Zabrze

EP2 SC Aufbau Magdeburg – Galatasaray Istanbul

EP1 1. FC Köln - FC Liverpool

EP3 FC Barcelona - Racing Straßburg

Saison 1965/66

EP3 AC Mailand – Racing Straßburg

EP 3 AC Mailand – FC Chelsea

EP 3 Hannover 96 – FC Barcelona

Saison 1966/67:

EP3 FC Porto – Girondins Bordeaux

EP3 Spartak Brno – Dinamo Zagreb

EP3 FC Bologna – Leeds United

EP2 Glasgow Rangers - Real Saragossa

Saison 1968/69

EP3 Athletic Bilbao – FC Liverpool

EP3 Olympique Lyon – Académica de Coimbra

EP3 Göztepe Izmir – Olympique Marseille

EP3 FC Chelsea – DWS Amsterdam

EP3 Leeds United – SSC Neapel

Saison 1969/70:

EP1 Spartak Trnava - Galatasaray Istanbul

EP1 Celtic Glasgow – Benfica Lissabon

EP2 AS Rom - PSV Eindhoven

EP2 AS Rom - Górnik Zabrze

Das Ende der Lose

Statistik

Weitere wichtige Losentscheide

Saison 1957/1958

Europapokal der Landesmeister, 1. Runde SC Wismut Karl-Marx-Stadt - Gwardia Warschau 3:1 1:3 1:1(Abbruch)

Die ersten beiden Jahre seines Bestehens kam der Europapokal der Landesmeister ohne Losentscheid aus. Drei Mal konnte der Sieger in einem Entscheidungsspiel ermittelt werden. Aber in der Saison 1957/58 war es dann soweit. Die Premiere erfolgte sogar mit Beteiligung einer deutschen Mannschaft, dem SC Wismut Karl-Marx-Stadt-Aue, dem Vorgänger des heutigen FC Erzgebirge Aue. Es war zugleich die erste Teilnahme einer Mannschaft aus der DDR an diesem 1955 ins Leben gerufenen Wettbewerb. Der Verein mit dem sperrigen Namen war führend im DDR-Fußball der späten 1950er Jahre; Meister 1956, 1957 und 1959. Der Vereinsname „Wismut“ stand für die Betriebsmannschaften des Uranbergbaus. Im Zuge der Gründung von Leistungszentren 1954 in den größeren Städten wurden die Oberligafußballer der BSG Wismut Aue in den SC Wismut Karl-Marx-Stadt (das heutige Chemnitz) eingegliedert, der über keine Fußballabteilung verfügte. Nach Protesten von Funktionären und Bevölkerung aus Aue wurde ihnen aber zugestanden weiter in ihrem Heimatort anzutreten. Ihre Spielstärke war durchaus beachtlich; im Oktober 1956 unterlagen sie dem mit fünf Weltmeistern von 1954 angetretenen 1. FC Kaiserslautern vor über 100.000 Zuschauern im Leipziger Zentralstadion nur mit 3:5. Da die Meisterschaft der DDR von 1956 bis 1960 nach sowjetischem Vorbild im Kalenderjahr ausgetragen wurde der Titel im Dezember vergeben. Im Herbst 1957 stand Wismut bereits kurz vor der zweiten Meisterschaft in Folge.

Wismuts Meistermannschaft 1957

Die Auslosung bescherte den Europapokal-Neulingen einen Gegner aus Polen: Gwardia Warschau. Der Verein der Miliz wurde niemals in seiner Geschichte polnischer Meister, nahm aber nun nach 1955/56 schon zum zweiten Mal am Wettbewerb der Landesmeister teil! Im Polen der 1950er Jahre wurde nicht selbstverständlich der Meister gemeldet, sondern die Funktionäre entschieden wen sie nominierten. 1957 hatte der Emporkömmling Gornik Zabrze völlig überraschend den Titel geholt, als Vertreter in Europa traute man aber dem Zweitplatzierten Gwardia mehr zu. Die Schilderung der Spiele überlasse ich nun dem Autorenkollektiv des DDR-Buches „Europacup Fußball“ von 1964, an deren lebendige Sprache ich definitiv nicht heranreiche.

Gwardia Warschau - SC Wismut Karl-Marx-Stadt 3:1 (0:0)

„ Das erste Treffen wird in Warschau ausgetragen. Im „Chemnitzer Hof“ trifft sich die Wismut-Delegation, um in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages die lange Fahrt anzutreten.

,.Um fünf Uhr ist Wecken. Punkt sechs Uhr müssen alle in der Hotelhalle sein!“ So sagt Klubleiter Walter Hensel, und alle befolgen seine Weisung. Alle? Als er früh um sechs Uhr die Häupter seiner Lieben zählt, fehlt ein teures Haupt, Erhard Bauer, der„ Töppel“, wie er von seinen Freunden genannt wird. Walter Hensel eilt zum Telefon.

„Geben Sie mir Zimmer 218!“ Das Telefon surrt. ,.Hallo! Hallo!! Hallo!!!“ Alle Rufe bleiben jedoch ohne Antwort. Weiter lässt man das Telefon auf Zimmer 218 klingeln. Es rührt sich nichts!

Rasch eilen einige Spieler nach oben, klopfen so laut an die Tür, daß sich Hotelgäste verärgert darüber beschweren. Erhard Bauer aber bleibt verschwunden. Große Aufregung, bis jemand ein dumpfes Dröhnen im Fahrstuhlschacht bemerkt. Da erst sieht man auch, daß der Lift irgendwo zwischen dem zweiten und ersten Stockwerk steckengeblieben sein muß.

Bald wird der Schaden behoben, der Fahrstuhl herunterbeordert. Freundlich lächelnd steigt Erhard Bauer heraus und berichtet von seinem verzweifelten Kampf gegen die Tücke des Objekts. Noch lange ist dieser Schreck in der Morgenstunde Gegenstand der Gespräche und der stets lachende „Töppel“ Zielscheibe des Spotts seiner Kameraden.

In Warschau aber beginnt der Ernst des Europapokals. Die Wismut-Elf startet gut, diktiert lange Zeit das Geschehen. Auch der Führungstreffer der Gastgeber bringt sie nicht in Verlegenheit. Energisch trumpft die Mannschaft weiter auf. Doch da, wieder kontert die routinierte Gwardia-Mannschaft erfolgreich. 0:2! Das mobilisiert alle Kräfte. Der Anschlußtreffer gelingt. Jetzt will man den Ausgleich erzwingen, lockert die Deckung, wirft alles nach vorn. Prompt wird eine erneute Sorglosigkeit der Abwehr bestraft. 1:3 heißt es am Schluß. Trainer Fritz Gödicke ermuntert seine Schützlinge: ,.Diese zwei Tore können wir in Aue aufholen. Wir hatten genug Chancen. Bei uns zu Hause werden wir sie nutzen!“

Bei uns zu Hause! Darauf verlassen sich die Wismut-Spieler, darum kreisen ihre Gedanken. Sie wollen ihre Premiere in diesem Wettbewerb erfolgreicher gestalten, als es das 1:3 von Warschau aussagt.

Mittwoch, 11. September 1957, Stadion Wojska Polskiego, Warschau Zuschauer: 30000, Schiedsrichter: Jindřich Karas (Tschechoslowakei) Tore: 1:0 Krzysztof Baszkiewicz 49., 2:0 Boleslaw Lewandowski 59., 2:1 Siegfried Kaiser 79., 3:1 Jan Gawroński 88.w

Gwardia Warszawa: Tomasz Stefaniszyn, Zdzisław Maruszkiewicz, Wojciech Woźniak, Wojciech Hodyra, Boleslaw Lewandowski, Emil Szarzyński, Krzysztof Baszkiewicz, Jan Gawroński, Stanisław Hachorek, Ryszard Wiśniewski, Adam Brzozowski, Trainer Edward Brzozowski

SC Wismut Karl-Marx-Stadt: Klaus Thiele, Erhard Bauer, Bringfried Müller, Manfred Kaiser, Hans Meyer, Karl Wolf, Siegfried Wolf, Horst Freitag, Siegfried Kaiser, Willy Tröger, Kurt Viertel, Trainer Fritz Gödicke

Karl Wolf

Die Brüder Karl (1924-2005) und Siegfried Wolf (1926-2017) bildeten von 1950 bis 1961 im Auer Mittelfeld ein bestens harmonierendes Gespann. „Wenn die Wölfe heulten ...“, hatten die Gegner nichts zu lachen; Übersicht, Spielwitz, Torriecher und Kampfgeist zeichneten die Brüder aus. Karl sagte einst zu seinem Trainer :„Ich kann nicht versprechen, dass ich gut spielen werde, aber dass ich bis zum Umfallen kämpfen werde, das kann ich versprechen.“ Er war auch einmal gesperrt, weil er einen auf den Platz stürmenden Zuschauer niedergeschlagen hatte. Siegfried Wolf bestritt 10 Länderspiele für die DDR, Karl 17.

Siegfried Wolf

Nach der aktiven Karriere waren beide als Trainer tätig.

SC Wismut Karl-Marx-Stadt - Gwardia Warschau 3:1 (2:0)

„Lang ist die Motorradschlange, die Autokarawane, die an diesem Herbsttag des Jahres 1957 nach Aue zieht. Das Otto-Grotewohl-Stadion, wunderhübsch in einem Talkessel vor Aue gelegen, ist ihr Ziel. Von den Rängen dröhnt der Beifall, als die Spieler beider Mannschaften unter Führung eines Schiedsrichterkollektivs aus der CSR diese herrliche Anlage betreten. Doch lassen wir Manfred Kaiser damals Stürmer des SC Wismut, später Läufer seines Klubs und unserer Nationalmannschaft, dazu sprechen: ,.Wir wußten, daß wir nur eine Chance hatten, wenn uns schon in der ersten Viertelstunde ein Tor glückte. Ein Blitzstart sollte uns die Möglichkeit schaffen, trotz des 1:3 noch eine Runde weiterzukommen. Ich weiß nicht genau, wie viele Tore ich bisher in meiner Laufbahn erzielt habe. Sicher waren es nicht so viele, denn ich bin nicht der Typ des Reißers, des wuchtigen Vollstreckers. Aber das ist komisch, an manche Treffer erinnert man sich nach Jahren noch, nicht weil sie so schön, sondern weil sie so wertvoll waren. Und so geht es mir mit dem 1:0 gegen Gwardia in Aue. Willy Tröger führte den Ball aus dem Mittelfeld. An zwei, drei Gegnern huschte unser Mittelstürmer vorbei. Ich lief mit, obwohl der Willy solche Sachen mitunter gern allein erledigte. Da kam auch schon sein Paß in die halb rechte Position. Doch zur gleichen Zeit startete der polnische Stopper, ein älterer, überaus umsichtiger Spieler. Ich täuschte einen Schuß an, zog vorbei und schoß von der Strafraumgrenze ins lange Eck. Stefaniszyn warf sich vergeblich.“ Jetzt steht es nur noch 2:3 gegen Wismut. Doch bald ist der Rückstand aufgeholt. Als Schiedsrichter Galba abpfeift, hat Wismut 3: 1 gewonnen und damit ein drittes Spiel erzwungen.

Nach dem Spiel setzen sich die Leiter beider Klubs zusammen. Sie wissen, die Termine drängen, die UEFA braucht zur Weiterführung des Wettbewerbs den Sieger dieser Begegnungen. Außerdem warten Meisterschaftstermine auf beide Mannschaften. So einigt man sich, das dritte Treffen zwei Tage später in Berlin auszutragen.“

Sonntag 13. Oktober 1957, Otto-Grotewohl-Stadion (heute Erzgebirgsstadion), Aue

Zuschauer: 20.000, Schiedsrichter: Karol Galba (Tschechoslowakei) Tore: 1:0 Manfred Kaiser 10., 2:0 Siegfried Kaiser 35., 2:1 K. Baszkiewicz 60., 3:1 Siegfried Kaiser 74., Platzverweis Krzysztof Baszkiewicz, 65.

SC Wismut Karl-Marx-Stadt: Klaus Thiele, Erhard Bauer, Bringfried Müller, Manfred Kaiser, Lothar Killermann, Hans Meyer, Karl Wolf, Siegfried Wolf, Siegfried Kaiser, Willy Tröger, Kurt Viertel, Trainer Fritz Gödicke Gwardia Warschau: Tomasz Stefaniszyn, Zdzisław Maruszkiewicz, Wojciech Woźniak, Wojciech Hodyra, Boleslaw Lewandowski, Emil Szarzyński, Krzysztof Baszkiewicz, Jan Gawroński, Stanisław Hachorek, Zbigniew Szarzyński, Ryszard Wiśniewski, Trainer Edward Brzozowski

Manfred Kaiser(1929-2017) kam im Januar 1955 nicht freiwillig nach Aue, aber die Funktionäre hatten den Plan hier eine starke Mannschaft aufzubauen und delegierten begabte Spieler dorthin. „Manni“ behielt aber seinen Wohnsitz in Gera und nahm die 70 km-Fahrten zu Training und Spielen auf sich. In Sachsen erlebte Kaiser seine beste Zeit, gewann 1955 den FDGB-Pokal, wurde mit Wismut 1956, 1957 und 1959 DDR-Meister und bestritt alle 16 Spiele seines Vereins im Europapokal der Meister. „Ich habe das Spiel aus dem Mittelfeld aufgezogen - so wie ein Stefan Effenberg“, beschrieb er selbst seinen Stil. Die Krönung seiner bis 1965 dauernden Laufbahn, die auch 31 Länderspiele aufweist, war 1963 die Wahl zum erster Fußballer des Jahres der DDR.

SC Wismut Karl-Marx-Stadt - Gwardia Warschau 1:1 (bei Abbruch) (0:1, 1:1)

„Der Preis ist hoch. Der Sieger kommt weiter. Und sicher können sich die Spieler von diesem Gedanken kaum frei machen. So nervös ist das Geschehen, das übrigens noch eine kleine Vorgeschichte hat und nicht pünktlich beginnt. Die Warschauer vergessen nämlich in ihrem Hotel den Koffer mit ihren Fußballstiefeln. So kann Schiedsrichter Korelus erst eine Viertelstunde später als vorgesehen anpfeifen. Eine Viertelstunde verstreicht ungenutzt, die später noch sehr fehlen wird‘... Nach vier Minuten liegt Wismut mit 0:1 im Rückstand. Das trägt keineswegs dazu bei, Ruhe in die Aktionen einziehen zu lassen Nach über einer Stunde wird Baszkiewicz, Gwardias Linksaußen, wegen eines Fouls an Karl Wolf des Feldes verwiesen. Jetzt, gegen zehn Mann, muß es doch rollen, müssen die zum Sieg notwendigen Treffer fallen. Verzweifelt rennt Wismut an. Doch die verstärkte Deckung der Gäste hält den knappen Vorsprung. Sie spielt so auffallend auf Zeit, daß Korelus anzeigt: Es wird zwei Minuten länger gespielt. Und auch das ist von Bedeutung.

Wismuttorwart Thiele fängt einen Ball ab, Bauer braucht nicht mehr einzugreifen. Am Boden Lewandowski.

Denn schon glaubt sich Gwardia am Ziel der Wünsche, schon ist die 90., die 91. Minute überstanden, schon berechnet man die Sekunden bis zum Ende. Da hebt Karl Wolf die Kugel hoch in den Strafraum. Willy Tröger reckt sich, und mit Kopfball erzielt er das 1:1. Ausgleich, Abpfiff! Wieder ist keine Entscheidung gefallen. Nach 272 Minuten steht es 5:5. Verlängerung. Doch schon nach neun Minuten muß sie abgebrochen werden, da sich die Dunkelheit über den Jahn-Sportpark senkt. Die so dramatische Begegnung zwischen dem SC Wismut und Gwardia ist zu Ende, nicht aber die Dramatik. Zahlreiche Zuschauer stehen vor den Kabinen, sie wanken und weichen nicht. Es muß noch etwas passieren. In den Kabinen sitzen die Spieler, längst umgezogen. Zigarettenqualm an der Stätte, die sonst nie Rauch sieht, Man brütet; selten nur wird das Schweigen durchbrochen. Losen - nicht losen - losen! Was ist zu tun? Das Reglement gibt Antwort: Losen! ...

Man versammelt sich in einem Zimmer, gemessenen Schrittes schreitet man einher. Doch daran, wie die Finger die Zigaretten quälen, daran sieht man, daß es mit dieser Gemessenheit nicht weit her ist. Kaum jemand spricht. Im Protokoll wird festgehalten, daß beide Mannschaften laut Reglement übereingekommen sind zu losen. Die Vertreter von Gwardia und Wismut sowie der Schiedsrichter unterschreiben, das eigentliche Zeremoniell kann beginnen. Korelus, der Unparteiische aus der CSR, holt eine Krone hervor. Für die Zahl entscheidet sich Marian Pieluszynski von Gwardia; bleibt für Walter Hensel vom SC Wismut die Rückseite, der Löwe. Die Krone fliegt in die Luft, springt auf den Tisch und von da weg, just so, als wolle sie die Spannung noch erhöhen. Man bückt sich; niemand jedoch findet das Geldstück. Die Erwartung, die nervöse Spannung steigt Alles sucht - die einen nach Zigaretten, andere noch immer noch nach der Krone, [Jemand, dem das Ergebnis nicht gefiel hatte wohl seinen Fuß darauf gestellt]der Schiedsrichter nach einem neuen Geldstück. Endlich fingert er eine Zehn-Heller-Münze aus der Tasche hervor. Hoch fliegt die Münze. Doch wieder springt sie vom Tisch. Schnell bückt sich Korelus, hebt sie, ohne sie anzuschauen, auf. Aller guten Dinge sind drei. Enger rückt alles an den Tisch heran, schiebt, so vorhanden, die Bäuche über die Tischplatte, auf diese Weise ein nochmaliges Abgleiten verhindern wollend. Maskenhaft starr sind die Gesichter; krampfhaft bemüht man sich zu lächeln. Doch was hinter den Stirnen vorgeht, wer vermag es zu sagen.

Der Augenblick der Entscheidung nach dem dritten Wurf.

Vielleicht denkt das der Gwardia-Vertreter: Schon schien unser Plan aufzugehen. Wir behaupteten unsere Führung. Ja, das Spiel war schon aus. Fast. Korelus ließ länger spielen. Da fiel das 1:1! Das sind die Gedanken des Wismut-Vertreters: War das eine Schlacht. Das 1:1 mußte aber eher fallen. Hoffentlich habe ich jetzt beim Losen soviel Glück wie der Willy mit seinem Kopfball. Und das mag Korelus denken : Der Kampf war schon anstrengend. Aber das hier zehrt ja noch mehr an den Nerven. Hoffentlich klappt es jetzt mit der Münze. Und wieder herrscht Schweigen. Alles starrt auf die Tischplatte, auf der sich jetzt das Geschick erfüllen muß. Die Münze fällt, und sie bleibt auf dem Tisch.

Alles beugt sich darüber, starrt auf das Zehn-Heller-Stück. Ein Wort nur. „Löwe!“ Nur diese Feststellung. Und wieder sekundenlanges Schweigen. Dann erst löst sich die Starre. Marian Pieluszynski drückt Walter Hensel die Hand. „Ich gratuliere Ihnen und wünsche Ihrer Mannschaft, daß sie das Finale erreicht.“

Das ist die Geschichte vom Losen und vom Löwen, die Wismut gleich beim ersten Auftreten in diesem Wettbewerb passierte; und was die Spieler in 281 langen Fußball-Minuten nicht schafften, hier war es in kürzerer Zeit am grünen Tisch getan.

Sicher ist dies eine glückliche Entscheidung, und an den Spielern liegt es, sich dieses Glück noch nachträglich in den Spielen der nächsten Runde gegen Ajax Amsterdam zu verdienen. Doch das geschieht nicht. Wismut verliert zu Hause 1:3, muß sich in Amsterdam nach ordentlicher Leistung 0:1 geschlagen geben.

Leo Hörn, Hollands internationaler Schiedsrichter, charakterisiert dieses Treffen so: „Sicher hat Wismut nicht schlecht gespielt. Doch was nutzt es, wenn ich mich einen guten Kaufmann nennen lasse, aber nicht in der Lage bin, mir mein Brot zu verdienen.“

So scheidet Wismut aus dem Wettbewerb aus. Doch schon beim nächsten Mal ist die Mannschaft aus Aue wieder dabei...“, da sie auch 1957 DDR-Meister wird. Über Petrolul Ploesti aus Rumänien und IFK Göteborg gelangen die Erzgebirgskicker sogar bis ins Viertelfinale wo sie Young Boys Bern erst im Entscheidungsspiel 1:2 unterliegen.

Dienstag 15. Oktober 1957, Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, Berlin Zuschauer: 15.000, Schiedsrichter: Václav Korelus (Tschechoslowakei) Tore: 0:1 Zbigniew Szarzyński 3., 1:1 Willy. Tröger 90.

Platzverweis: Krzysztof Baszkiewicz 70.

SC Wismut Karl-Marx-Stadt: Klaus Thiele, Erhard Bauer, Bringfried Müller, Manfred Kaiser, Lothar Killermann, Hans Meyer, Karl Wolf, Siegfried Wolf, Siegfried Kaiser, Willy Tröger, Kurt Viertel, Trainer Fritz Gödicke Gwardia Warschau: Tomasz Stefaniszyn, Zdzisław Maruszkiewicz, Wojciech Woźniak, Wojciech Hodyra, Boleslaw Lewandowski, Emil Szarzyński, Krzysztof Baszkiewicz, Jan Gawroński, Stanisław Hachorek, Zbigniew Szarzyński, Ryszard Wiśniewski, Trainer Edward Brzozowski

1963 wurde die Angliederung an Karl-Marx-Stadt wieder aufgehoben. Die neuerstandene BSG Wismut Aue konnte aber nicht mehr an die großen Erfolge der vergangenen Jahre heranreichen, genoß aber als ein für Einsatz und Kampfkraft stehender Malocherclub Ansehen unter den Fußballanhängern der DDR. Bis 1990 konnte sich das „Schalke des Ostens“ rühmen als einziger Club seit 1951 ununterbrochen der Oberliga anzugehören. Mit vierten Plätzen 1985 und 1987 gelang noch zweimal die Qualifikation für den UEFA-Cup mit Ausscheiden in der ersten und zweiten Runde. Die letzte Saison des DDR-Fußballs 1989/90 brachte aber den Abstieg mit sich. Im vereinigten Deutschland wurde Wismut in die Oberliga Nordost-Süd eingegliedert. Nach dem Ausstieg der Wismut GmbH erfolgte 1993 die Umbenennung in Erzgebirge Aue. 2003 gelang der Aufstieg in die in die Zweite Bundesliga, die bis 2008 gehalten werden konnte. Seit dem Wiederaufstieg 2010 hat sich die Mannschaft aus dem Erzgebirge fest im deutschen Profifußball etabliert.

Der unglücklich ausgeschiedene Gegner Gwardia, der lange Zeit als dritte Kraft in Polens Hauptstadt galt, erlebte bis heute einen beispiellosen Absturz. Der letze europäische Auftritt fand 1974/75 im UEFA-Cup statt wo in der 1. Runde sogar der FC Bologna eliminiert werden konnte. 1983 verließen sie endgültig die 1. Liga, 1992 spielte Gwardia zum letzten Mal in der zweiten Liga, 2005 verabschiedete sie sich von der dritten. Heute dümpelt der Verein, der in den 1950er Jahren zu den führenden seines Landes zählte in der 7. Liga herum, sein ehemaliges Stadion ist eine Ruine.

Obwohl im Westen Deutschlands weitgehend unbekannt war Willy Tröger (1928-2004) einer der besten deutschen Mittelstürmer. Er verkörperte europäische Spitzenklasse wie zeitgenössische Experten bescheinigten. Borussia Dortmund hätte ihn gerne verpflichtet, Sepp Herberger hatte ihn in seinem Notizbuch stehen, aber Tröger blieb in Aue. Gegenspieler und Weltmeister Horst Eckel, der in einem Freundschaftsspiel zwei Tore Trögers nicht verhindern konnte sagte später über ihn: „Der Hund war sauschnell, nicht zu halten.” Beidfüßigkeit und Schüsse aus allen möglichen Positionen zeichneten den Spieler, der als Torwart begann aus. Da er aber beim Kampf um Berlin in den letzten Kriegstagen mit 16 seine rechte Hand verlor mußte er ins Feld wechseln.

Von 1951 bis 1961 gelangen dem „Tröger-Will“ bei Wismut Aue 104 Tore in 224 Oberligaspielen, 20 in den 24 FDGB-Pokalspiele und fünf Tore in 14 Europapokalspielen. In der DDR-Nationalmannschaft kam der gebürtige Zwickauer zwischen 1954 und 1959 zu 15 Auswahl-Einsätzen zu 10 Treffern.

Zu seinen Ehren wurde das Stadion des VfL Pirna-Copitz, wo er ab 1966 tätig war von Sachsen- in Willy-Tröger-Stadion umbenannt.

Saison 1963/64

Europapokal der Landesmeister, Achtelfinale FC Zürich – Galatasaray Istanbul 2:0, 0:2, 2:2 n. V.

Am Ende der Saison 1962/63 konnte der FC Zürich erstmals seit 1924 wieder die Schweizer Meisterschaft erringen. Es war die längste titellose Phase in der Vereinsgeschichte. Entscheidende Faktoren waren die Verpflichtung von Trainer Louis Maurer 1962 und die des deutschen Stürmers Klaus Stürmer, zuvor Nebenmann von Uwe Seeler beim Hamburger SV. Neben sechs Schweizer Nationalspielern gab es noch den in Zürich aufgewachsenen Italiener Martinelli und den Exil-Ungarn Szabó. Die Stärke der Mannschaft war die gesunde Mischung von Technikern und Kämpfertypen. Dies brachte auch die erstmalige Teilnahme an einem Europacupwettbewerb mit sich.

Gegner Galatasaray war 1963 zum zweiten Mal hintereinander türkischer Meister geworden, hatte jede Menge Nationalspieler im Kader. Allerdings zählte der Fußball der Türkei nicht gerade zur Spitze Europas. In der Vorsaison war die Mannschaft vom Bosporus immerhin bis ins Viertelfinale des Meistercups vorgedrungen und erst dem späteren Sieger AC Mailand unterlegen.

Die Mannschaft von Galatasaray Istanbul im Ali Sami Yen-Stadion 1963

FC Zürich – Galatasaray Istanbul 2:0 (1:0)

Dieser Gegner motivierte das anspruchsvolle Zürcher Publikum deutlich mehr als Dundalk in der 1. Runde; der Letzigrund war ausverkauft. Ein besonders schönes Spiel bekamen sie aber nicht zu sehen, denn die türkischen Gäste hatten sich ein 0:0 als Wunschresultat vorgenommen. Um das zu erreichen war ihnen so ziemlich jedes Mittel recht. Offene und versteckte Fouls, ständiges Trikotzerren, Zeitschindereien und weitere Mätzchen. Auch einige FC-Spieler ließen sich auf die unsaubere Spielweise ein. Der dänische Schiedsrichter Sörensen versuchte es erst mit Ermahnungen, später mit Verwarnungen und 15 Minuten vor Schluß mit einem Feldverweis gegen Galatasaray-Verteidiger Berman. Danach wurde das Spiel deutlich fairer geführt.

Anfangs hatten sich beide Mannschaften noch um ein Angriffsspiel bemüht. Nach 20 Minuten trat Brodmann einen Freistoß hoch vors türkische Tor, der Italo-Schweizer Martinelli lief in die Flanke und köpfte zum 1:0 ein. In der Folgezeit dominierten die Nicklichkeiten das Spiel, beide Torhüter waren weitgehend beschäftigungslos. Die wachsende Überlegenheit der Gastgeber trug schließlich doch noch Früchte. In der 83. trat Freistoßspezialist Brodmann den Ball von der Seitenlinie 40 Meter weit vors Tor; Turgay wollte die Flanke abfangen, ließ den Ball aber, von der Sonne geblendet, fallen und Stürmer staubte zum 2:0 ab. Die Zeitungen schrieben am nächsten Tag von seltener Dramatik, von unerhörtem Tempo und einer Härte, wie man das in Zürich noch nie gesehen hatte und stellten die Frage: „Genügen zwei Tore Vorsprung für Istanbul?“

Mittwoch 14.November 1963, Stadion Letzigrund, Zürich

Zuschauer: 24.000, Schiedsrichter: Tage Sørensen (Dänemark)

Tore: 1:0 Rosario Martinelli 20., 2:0 Klaus Stürmer 83.

Platzverweis: Ahmet Berman 75.

FC Zürich: Werner Schley, René Brodmann, Werner Leimgruber, Alex Stählin, Xavier Stierli, István Szabó, Ferdinand Feller, Rosario Martinelli, Ernst Meyer, Klaus Stürmer, Peter von Burg, Trainer Louis Maurer

Galatasaray Istanbul: Turgay Şeren, Candemir Berkman, Talat Özkarslı, Ahmet Berman, Mustafa Yürür, Bahri Altıntabak, Ayhan Elmastaşoğlu, Kadri Aytaç, Uğur Köken, Metin Oktay, Benan Öney, Trainer Coşkun Özarı

Klaus Stürmer(1935-1971) galt als der beste Ausländer im Schweizer Fussball und imponierte durch seine Uneigennützigkeit und eine strikte Unterordnung in die Mannschaftsdisziplin.

Er war 1960 mit dem Hamburger SV Deutscher Meister geworden als perfekter Nebenmann seines Freundes Uwe Seeler. Wegen Differenzen mit der Vereinsführung über die Bezahlung ging er 1961 zum FC Zürich mit dem er die Meistertitel 1963 und 1966 errang. Der Halbstürmer starb noch während seiner aktiven Laufbahn mit 36 Jahren an Hodenkrebs. Zum Benefizspiel für Frau und Tochter lief sogar die Weltmeisterelf von 1954 in Hamburg auf.

Die Karriere in der deutschen Nationalmannschaft beschränkte sich auf zwei Berufungen, was viele Experten wegen des blinden Verständnisses mit Uwe Seeler nicht verstanden.

Galatasaray Istanbul - FC Zürich 2:0 (1:0)

30 000 lautstarke Fans erwarteten die Schweizer Gäste, die vor dem fast graslosen Untergrund und der Heimstärke der Gastgeber mächtigen Respekt hatten. Von ihren Fans angetrieben setzten die Gastgeber alles daran den Zwei-Tore-Rückstand zu egalisieren. In der 9. Minute wurde dem am Boden liegenden Brodmann gegen die Hand geschossen und Schiedsrichter Dinov verhängte einen Strafstoß. Istanbuls Torjäger Oktay verwandelte zur Führung. Die mit dem Boden bestens vertraute Heimelf setzte auf lange weite Pässe, die FC-Abwehr stand schwer unter Druck, aber sie hielt stand. Aus dem Feld gelang den Türken an diesem Tag kein Tor. Zürich hatte den Aufstieg fast erreicht, als sich 10 Minuten vor dem Ende eine absolute Kuriosität ereignete: Brodmann führte an der Strafraumgrenze einen Zweikampf mit Ugur, als er fälschlicherweise glaubte einen Schiedsrichterpfiff zu hören. Er setzte sich auf den Ball, den er zusätzlich noch mit beiden Händen festhielt. Dem Schiedsrichter blieb nichts anderes übrig als erneut Elfmeter zu pfeifen. Oktay vollstreckte zum 2:0.

Der Gleichstand nach Hin- und Rückspiel machte ein Entscheidungsmatch erforderlich. Um dessen Austragungsort gab es ein Tauziehen. Die Türken wollten das von der UEFA vorgeschlagene Stuttgart nicht akzeptieren; sie verlangten Athen. Man einigte sich schließlich auf Rom.

Mittwoch 27.November 1963, Stadion Ali Sami Yen, Istanbul

Zuschauer: 22.987, Schiedsrichter: Kostadin Dinov (Bulgarien)

Tore: 1:0 Metin Oktay 9., 2:0 Metin Oktay 50.

Galatasaray Istanbul: