Alte Liebe mordet gut - Dorothee Haentjes-Holländer - E-Book

Alte Liebe mordet gut E-Book

Dorothee Haentjes-Holländer

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Beschreibung

Luis Herzbach ist eine freundliche ältere Dame. Sie liebt ihren wunderschönen Garten - und die Giftpflanzen, die darin wachsen. Das erfährt auch Herr Lehmacher, ihr Nachbar, mit dem sie einst ein Verhältnis hatte, das sie aber um keinen Preis wieder aufnehmen möchte.

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Inhaltsverzeichnis

Der Tote im Garten

Der dankbarste Abnehmer des Apfelgelees

Ein strahlender Sommertag

Und noch ein bisschen entsorgen…

Die Geister der Vergangenheit

Eine Tierpension?

Uschi weiß zuviel

Alte Liebe

Ein schönes Wochenende

Besuch zum Abendessen

Der Roman spielt in einer mittelgroßen westdeutschen Stadt in der ersten Dekade der 2000-er Jahre.

Der Tote im Garten

Als ich an diesem Morgen den Rollladen meines Wohnzimmerfensters hochzog, lag in meinem Garten ein toter Mann. Ich öffnete die Verandatür und lief hinaus. Noch bevor ich bei ihm war, wusste ich, wer der Tote war: Herr Lehmacher, mein Nachbar.

Die Kappe, ohne die er niemals aus dem Haus ging, war ihm vom Kopf gerutscht und lag wie ein abgetrennter Körperteil neben ihm. Sein Gesicht ruhte im Gras. Die Arme hatte er nach vorn gestreckt, als wenn er sich im Sturz hätte abfangen wollen.

Ich fiel neben dem Toten auf die Knie und erstickte mit einer Hand den Schrei auf meinen Lippen. Mein erster Impuls war, Herrn Lehmacher umzudrehen. Aber meine Arme waren wie gelähmt. Ich konnte den Leichnam nur voller Entsetzen anstarren.

Wie in einem Film zogen Szenen und Bilder unserer über vierzigjährigen Nachbarschaft vor meinem geistigen Auge auf: Unsere erste Begegnung beim Bau unserer Reihenhäuser. Der Einzug. Die vielen jungen Familien ringsum. Das Erwachsenwerden der Kinder unserer Siedlung - und unser eigenes allmähliches Altern. Das Vorüberziehen unserer Träume und Sehnsüchte. Ein ganzes Leben. Ein Wimpernschlag.

Das Gras war noch feucht. Meine Knie begannen zu schmerzen. Ich rappelte mich auf, stolperte ins Haus und rief die Polizei an.

Kaum fünf Minuten später traf sie ein. Ein Streifenwagen und ein Zivilfahrzeug. Dazu ein Rettungswagen, der Notarzt und die Feuerwehr.

Noch in Nachthemd und Morgenmantel öffnete ich die Haustür und führte die Leute an die Fundstelle in meinem Garten.

Mein Herz klopfte heftig, als der Notarzt den Toten herumdrehte und ihn zu untersuchen begann.

Herrn Lehmachers Augen waren geschlossen. Trotzdem kam es mir vor, als blickte er mich an.

„Frau Herzbach“, sagte ein Mann in Zivil. Er mochte im Alter meines Sohnes Frank sein. Mitte vierzig etwa.

„Frau Herzbach“, sagte der Mann noch einmal, als ich nicht antwortete. Dieses Mal sprach er eindringlicher und lauter. „Wir kennen uns doch. Erinnern Sie sich?“

Ich sah den Mann an. Er war mir ein Fremder. Kein Wunder. In diesem Moment war ich selbst mir fremd.

„Die Welt ist so klein! Ich bin Sebastian Wolffring. Ein Schulkamerad von Frank. Aus der Grundschule. Ich war früher ein paar Mal hier. Zum Kindergeburtstag. In Ihrem schönen Garten.“

Er klang, als begegnete man sich irgendwo auf der Straße. Als wenn nicht gerade der Notarzt damit beschäftigt wäre, den Tod eines Menschen festzustellen. Währenddessen schritten die beiden uniformierten Polizisten mit auf den Boden gehefteten Blicken meine Wiese ab.

Wolffring deutete auf den Toten. Er war so weiß wie keine Ohnmacht einen Menschen erbleichen lassen kann.

„Kennen Sie den Mann?“

Ich nickte. Ich hatte Mühe zu sprechen. „Natürlich“, brachte ich leise hervor. „Das ist Herr Lehmacher. Unser Nachbar von der rechten Seite. Wir wohnen seit mehr als vierzig Jahren nebeneinander.“

Wolffring nickte teilnahmsvoll. „Frau Herzbach, Sie werden verstehen, dass ich Ihnen ein paar Fragen stellen muss. Aber vielleicht ... vielleicht möchten Sie sich vorher etwas anziehen?“

Ich sah an meinem verwaschenen Morgenmantel hinunter. Mit seinen bunten geometrischen Mustern war er vor vielen Jahren sehr modern gewesen. Jetzt war er nur noch ein Fetzen, den ich längst in die Mülltonne hätte werfen sollen. „Ja ... ja, ich glaube, ich würde mir gern etwas anziehen“, antwortete ich verzagt.

„Wir treffen uns im Wohnzimmer“, sagte Wolffring. Seine Stimme klang warm und freundlich. Er nickte mir zu. „Bis gleich, Frau Herzbach.“

Ich lief hinauf in mein Schlafzimmer und kleidete mich in aller Eile an. Die Bluse von gestern hatte Flecken vom Einkochen des Stachelbeergelees. Aber das war mir egal.

Bevor ich wieder nach unten ging, warf ich an der Treppe im ersten Stock einen Blick aus dem Fenster. Vor meinem Haus hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Es war gerade halb acht, die Zeit, wenn alle Welt zur Arbeit geht und die Kinder zur Schule oder zum Kindergarten gebracht werden. Polizei, Rettungswagen und Notarzt wirkten auf Erwachsene und Kinder gleichermaßen wie ein Magnet. In der ersten Reihe der Menschenmenge entdeckte ich Frau Simrock, meine Nachbarin von der linken Seite. Sie reckte interessiert den Kopf und versuchte einen genaueren Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Das jüngste Kind saß im Kinderwagen, die beiden größeren Jungen betrachteten ehrfürchtig das Polizeiauto und den Rettungswagen.

Simrocks waren erst kürzlich eingezogen. Herr Lehmacher hatte die drei munteren Jungs gleich gemocht. Und ein bisschen wohl auch Frau Simrock. So oft er konnte, hatte er ihr die Einkäufe aus dem Auto ins Haus getragen. Und er hatte die Kinder in seinen Garten eingeladen, wo noch immer die Schaukel seiner längst erwachsenen Tochter Thea hängt.

Dass die beiden älteren, äußerst lebhaften Jungen schon bei ihrem ersten Besuch aus lauter Neugier die Knospen der Taglilien auseinander nahmen - darüber hatte der sonst eher pingelige Herr Lehmacher großzügig und sogar lachend hinweggesehen.

Jetzt bemerkte ich, dass sich die Wagen der Stadtreinigung langsam dem Menschenauflauf näherten. Heute war der Restmüll dran und die Biotonne. Wie immer hatte ich beide Tonnen schon am Abend zuvor an den Straßenrand gestellt. Und Herr Lehmacher seine Tonnen ebenfalls. Während unter dem Seufzen der Hydraulik-Heben die Tonnen in die Müllwagen geleert wurden, folgte den Fahrzeugen im Schritttempo eine schwarze, langgestreckte Limousine. Der Leichenwagen. Die Polizei musste ihn bestellt haben.

„Das große Entsorgen“, durchzuckte es mich, und ich hatte Mitleid mit Herrn Lehmacher. Es hätte ihm wirklich nicht gefallen, in einem Rutsch mit dem Restmüll und dem Kompost abgefahren zu werden!

Als ich hinunterkam, trug man gerade den Zinksarg durch die Diele nach draußen. Ich schickte Herrn Lehmacher im Stillen einen letzten Gruß hinterher. Ich hätte ihm gegönnt, dass man ihn wenigstens aus seinem eigenen Haus hinausgetragen hätte.

Im Wohnzimmer forderte Kommissar Wolffring mich auf, mich in meinen Sessel zu setzen. Er sah in den Garten hinaus, wo die Spurensicherung, die inzwischen eingetroffen war, mit ihren Arbeiten beschäftigt war. Jetzt, wo ich Wolffring im Profil sah, erinnerte ich mich auch wieder an ihn. Natürlich! Das war doch dieser schüchterne Junge gewesen! Aus Franks Grundschulklasse, wie Wolffring selbst ja schon gesagt hatte. Nicht aus unserer Siedlung, sondern von der anderen Seite der Hauptstraße. Er war ein ganz anderes Kind als mein Frank. Schüchtern und vorsichtig. Warum gerade ein so weicher Mensch zur Kripo gehen musste?

Wolffring wandte sich wieder zu mir um. „Frau Herzbach, der Herr Lehmacher war also Ihr Nachbar.“ In seinen Händen hielt er ein aufgeschlagenes Notizbuch. „Hatte Herr Lehmacher Angehörige?“

Ich nickte. Ich fühlte mich matt. Die Ereignisse nahmen mich ziemlich mit. Zudem schien es wieder ein heißer Tag zu werden. „Er ist ... er war Witwer. Seit drei Jahren. Aber es ... es gibt eine Tochter. Thea. Thea Wennenbrand.“

Wolffring notierte sich den Namen in sein Buch. „Haben Sie zufällig die Adresse der Tochter? Ich meine, hat Herr Lehmacher vielleicht - für den Fall der Fälle - etwas bei Ihnen hinterlegt, als unmittelbare Nachbarin, meine ich ...“

Mein Blick glitt suchend zu der Kommode, auf der mein Telefon steht und wo ich alles Wichtige auf Zetteln aufschreibe. Auf einem ganzen Haufen Zettel, die in meinem Notizbuch liegen. „Irgendwo habe ich die Adresse. Aber wo genau – das weiß ich im Moment nicht. Ich bin etwas durcheinander.“

Wolffring winkte ab. „Wir finden es schon heraus.“ Er schrieb wieder etwas auf. „Können Sie sich erklären, wieso Herr Lehmacher in Ihrem Garten ...“ Anstatt zu Ende zu sprechen, deutete Wolffring über seinen Rücken.

Ich zuckte die Schultern. „Nein, ich habe keine Ahnung.“ Ich legte meine Hand auf die linke Seite meiner Brust. Mein Herz schlug, als wollte es mir aus dem Leib springen. „Nur, dass er wohl das Gartentürchen zwischen unseren Gärten benutzt haben muss.“

Wolffring sah auf. „Er wollte zu Ihnen?“

„Für mich sah es eher so aus, als sei er von mir gekommen“, entgegnete ich. So wie Lehmacher im Garten gelegen hatte, deutete alles darauf hin, dass ihn der Tod auf dem Rückweg ereilt hatte.

Wolffring bemerkte seinen Fehler. Er wurde rot und machte sich wieder eine Notiz. „Wann haben Sie und Herr Lehmacher das letzte Mal miteinander gesprochen?“, fuhr er fort.

„Gestern“, antwortete ich. „Gestern Abend.“

„Und wo?“

„Am Gartentürchen. Wir haben gemeinsam überlegt, welche Sträucher im Herbst zu schneiden sind. Herr Lehmacher hat mir netterweise bei diesen Arbeiten geholfen“, fügte ich als Erklärung hinzu.

Wolffring nickte. Aber er machte nicht den Eindruck, als verstünde er etwas von Gartenarbeit. Er drehte sich um und sah wieder aus dem Verandafenster. „Dazu war Herr Lehmacher noch fit?“

„Herrn Lehmacher ging es recht gut“, antwortete ich. „Abgesehen von seiner Herzschwäche. Aber welche ältere Mensch hat es nicht irgendwie am Herzen?“ Ich bemühte mich um ein Lächeln. Möglicherweise geriet es ein bisschen schief.

Ich wollte nicht bitter klingen. Aber natürlich ist es nicht leicht, wenn die Kinder weit weg sind und man sich im Alter allein, ohne den verstorbenen Partner durchschlagen muss.

Wolffring lächelte mich bedauernd an. Wieder schrieb er etwas auf, wahrscheinlich zu Lehmachers Herzschwäche, dann klappte er sein Notizbuch zu und schob sorgfältig den Stift in die dafür vorgesehene Lasche. Dabei runzelte er die Stirn. Als bewegte ihn noch etwas, von dem er nicht wusste, wie er es aussprechen sollte.

Auch mir lag eine Frage auf den Lippen, und vielleicht war dies der geeignete Moment, um sie anzubringen.

Ich atmete tief durch, hoffte, meinen Herzschlag auf diese Weise ein wenig unter Kontrolle zu bringen - um nicht Herrn Lehmacher im wortwörtlichen Sinne nachzufolgen und mit den Füßen voraus mein Haus zu verlassen. „Herr Wolffring“, begann ich, „Herr Lehmacher lag in meinem Garten. Bin ich ... muss ich damit rechnen, dass ich vielleicht ...?“

Der Kommissar blickte auf und sah mich an. In diesem Moment erkannte ich in ihm den kleinen Jungen wieder, der am Ende des Kindergeburtstages noch einmal in die Küche kam, um ein letztes Stück Kuchen mit auf den Heimweg zu nehmen.

„Frau Herzbach, ganz offiziell stellt sich diese Frage zwar, aber meiner Ansicht nach ist der Fall ziemlich klar. Es deutet alles auf einen natürlichen Tod hin, sagt der Notarzt. Sofern man einen Herzinfarkt als natürlichen Tod bezeichnen möchte“, schränkte er ein. „Aber bei jemand, der generell herzkrank ist, kann man das wohl. Und achtundsiebzig Jahre“ – die Zahl musste er auf irgendetwas Schriftlichem in Herrn Lehmachers Kleidung gefunden haben – „das ist doch immerhin ein ganz schönes Alter ... “

Ich spürte, wie sich alles in mir sträubte. Ich selbst bin sechsundsiebzig Jahre alt und ich kenne dieses Gerede natürlich. Aber wann hat ein Mensch denn genug gelebt? Wie mochte Herr Lehmacher sich gefühlt haben, worauf hatte er sich noch gefreut? Wer kannte seine Sehnsüchte und Träume? Vielleicht hatte Herr Lehmacher gerade jetzt das Gefühl gehabt, sein Leben noch einmal ganz neu beginnen zu können?

Ich schluckte meinen Ärger hinunter. „Aber dass er ausgerechnet in meinem Garten lag?“

„Der Arzt konnte keine Spuren von äußerer Gewalt feststellen“, antwortete Wolffring und zuckte die Schultern. „Wir leben in einem freien Land, Herr Lehmacher war volljährig und konnte gehen, wohin er wollte.“ Er schob ein etwas linkisches Grinsen ein. „Frau Herzbach, Sie werden wohl gelegentlich die Auffindesituation noch polizeilich zu Protokoll geben müssen. Aber das wird keine große Sache.“ Er machte eine Pause. „Und darüber hinaus steht es Ihnen natürlich frei, Herrn Lehmacher wegen Hausfriedensbruchs anzuzeigen. Posthum.“

Ich fand diese Bemerkung nicht gerade geschmackvoll. Sie zerstörte schlagartig den sympathischen Eindruck, den ich bis dahin von Wolffring gewonnen hatte.

Jetzt sah er wieder in meinen Garten und lachte plötzlich leise auf. „Ach, Frau Herzbach, ich erinnere mich an die wunderbaren Kindergeburtstage, die wir in Ihrem Garten gefeiert haben. Frank hat doch im Sommer Geburtstag, oder? Diese Wiese, auf der wir spielen konnten, und die großen Bäume! Wir hatten zu Hause nur einen Balkon.“

Der tote Herr Lehmacher war mit einem Mal kein Thema mehr. „Am liebsten hatte ich Topfschlagen“, fuhr Wolffring fort. „Einmal war der Topf mit meinem Gewinn unter dem Baum dort hinten aufgestellt. Zuerst habe ich mit meinen verbundenen Augen überall herumgesucht und ihn einfach nicht gefunden. Aber dann riefen die Kinder ´Wärmer, wärmer, heiß, ganz heiß!´, und da wusste ich, dass ich auf der richtigen Spur war. Der Topf stand in einem großen Flecken Klee. Und nachdem ich meinen Gewinn gefunden hatte, haben alle Kinder zusammen vierblättrige Kleeblätter gesucht“, erzählte er weiter. „Entdeckt haben wir aber kein einziges. Steht er noch dort? Der Klee, meine ich?“

Ich realisierte gar nicht, dass er mich etwas gefragt hatte. Eine ganze Reihe von Bildern entstand wieder vor meinem geistigen Auge. Im Gegensatz aber zu den bittersüßen Szenen eines vorübergezogenen Lebens, denen ich neben Herrn Lehmachers Leichnam nachgehangen hatte, überlief mich jetzt eine Art elektrischer Schauer. Als hätte mich der Flügel einer anderen Zeit gestreift und mir für einen kurzen Moment noch einmal das Gefühl geschenkt, das mich damals erfüllte: das Leben in einer funktionierenden Ehe, ein Kind, das mit anderen Kindern im Garten spielte, und ein eigenes Haus. Das Bewusstsein, es trotz unserer jungen Jahre schon ´geschafft zu haben´ - wie man es in jener Zeit nannte. Und gleichzeitig ein kaum stillbarer Hunger nach einem Abenteuer, der mich mit meinen damals Mitte Dreißig plötzlich aus meinem geregelten Dasein riss. Die Lust an der Lust und der Reiz, noch mehr bekommen zu können, wenn man nur genug wagte!

Ich sah mich selbst auf einem Foto, von dem ich wusste, dass es einmal existiert hatte. Ein Foto, das unter jenem Pflaumenbaum aufgenommen worden war, auf den Wolffring gezeigt hatte. Ich war eine attraktive junge Frau und hielt zwei ineinander verschlungene Klee-blätter in den Händen. Wo genau sich dieses Foto jetzt befand, konnte ich allerdings nicht sagen – sofern es nicht ohnehin schon längst vernichtet worden war.

„Frau Herzbach?“ Wolffrings Stimme drang wie durch einen Schleier zu mir. „Frau Herzbach, ich werde jetzt wieder gehen.“

Ich riss mich zurück in die Wirklichkeit. „Ich bringe Sie hinaus“, sagte ich und rappelte mich aus meinem Sessel empor.

An der Haustür drehte Wolffring sich noch einmal um.

„Wie geht es Frank denn eigentlich?“, fragte er.

„Wie es Frank geht?“, wiederholte ich etwas zerstreut.

„Ach, Frank geht es gut. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter, Nicole und Natascha.“ Namen, an die ich mich nie hatte gewöhnen können. „Und Sie, Herr Wolffring?“

„Oh, ich bin nicht verheiratet. Und ich habe auch keine Kinder“, antwortete er.

„Und Ihre Eltern?“

„Meine Eltern leben noch. Beide. In ihrer alten Wohnung, wie früher. Natürlich sind sie auch nicht mehr ganz auf dem Damm. Aber immerhin ...“

„Freuen Sie sich, dass sie noch da sind“, riet ich. „Und dass Sie in ihrer Nähe sein können.“ Für mich selbst hätte ich mir allerdings kaum vorstellen können, näher mit Frank oder besser gesagt mit meiner Schwiegertochter Tatjana zusammen zu wohnen. Die Distanz zwischen Tatjana und mir betrug weit mehr als fünfhundert Kilometer Autobahn.

Wolffring lächelte wieder sein unsicheres Lächeln, das er schon als Junge gehabt hatte, und das ihn eher zum Priester als zum Kriminalkommissar prädestiniert hätte.

Er reichte mir die Hand. „Auf Wiedersehen, Frau Herzbach. Ich hoffe, Sie erholen sich bald wieder von dem Schrecken.“

„Danke. Ich werde mir alle Mühe geben“, antwortete ich gefasst.

Ich sah ihm noch kurz hinterher, während er über den kleinen Weg durch den Vorgarten zurück zu seinem Zivilfahrzeug ging. Dann schloss ich die Tür, lehnte mich von innen dagegen und atmete tief und erleichtert durch.

Der dankbarste Abnehmer des Apfelgelees

Nachdem ich wieder zu Atem gekommen war und sich mein Herzschlag etwas normalisiert hatte, ging ich in die Küche. Ich setzte mir Kaffee auf. Essen konnte ich nichts. Während das Wasser durch die Kaffeemaschine blubberte, wanderten meine Gedanken zu Herrn Lehmacher.

In den letzten Jahren waren wir einander wirklich gute Freunde gewesen. Nach dem Tod seiner Frau hatte ich seine Trauer natürlich respektiert und ihn erst einmal ganz in Ruhe gelassen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie unerträglich es ist, wenn unmittelbar nach dem Verlust des Ehepartners die Leute kommen und einen zu den unmöglichsten Dingen mitschleppen wollen. Sie meinen es gut, natürlich. Mir selbst aber hat es nach dem Tod meines Mannes Albert am meisten geholfen, allein zu sein und mich in meinem Garten aufzuhalten. Die Pflanzen zu betrachten, ihr ruhiges Grün auf mich wirken zu lassen, oder mich an der Schönheit einer Blüte zu erfreuen.