Always Day One - Alex Kantrowitz - E-Book

Always Day One E-Book

Alex Kantrowitz

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Beschreibung

DAS ERFOLGSPRINZIP DER TECHNOLOGIE-GIGANTEN Google revolutionierte die Internetsuche, Amazon etablierte den Onlinehandel und Facebook verkörpert den Erfolg der sozialen Medien. Microsoft verhalf dem PC und Apple dem Smartphone zum Durchbruch. Sie alle zählen heute zu den wertvollsten Konzernen der Welt und ein Ende ihres Erfolgs ist nicht in Sicht. Der preisgekrönte Journalist Alex Kantrowitz führte über 130 Interviews mit vielen Insidern, wie etwa Mark Zuckerberg. Er zeigt, wie sich die Tech-Giganten über so lange Zeit auf Rekordkurs halten, wie unkonventionell sie mit ihrer Überlegenheit umgehen und wie sie durch einzigartige Innovationsprozesse, einer besonderen Feedbackkultur und verblüffenden Führungsmethoden ihre Visionen in die Tat umsetzen. In seinem Buch enthüllt er, was die Internetriesen auch in Phasen antreibt, in denen die meisten großen Unternehmen zu fallen beginnen – und warum sich jedes Unternehmen jeden Tag aufs Neue hinterfragen sollte.

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Seitenzahl: 319

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ALEX KANTROWITZ

ALWAYS DAY ONE

ÜBERSETZUNG AUS DEM ENGLISCHEN VON JORDAN WEGBERG

Alex Kantrowitz

ALWAYS DAY ONE

Wie sich Amazon, Google, Facebook und Microsoft täglich herausfordern, neu erfinden und die Motivation hochhalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2021

© 2021 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© der Originalausgabe 2020 by Alex Kantrowitz

Die englische Originalausgabe erschien bei Portfolio, einem Imprint der Penguin Publishing Group, einer Abteilung von Penguin Random House LLC 2020 unter dem Titel Always Day One.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Jordan Wegberg

Redaktion: Friederike Moldenhauer

Umschlaggestaltung: Marc Fischer

Satz: ZeroSoft, Timisoara

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN Print 978-3-86881-821-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-270-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-271-3

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Für alle, die es schaffen wollen

INHALT

PrologDie Zuckerberg-Begegnung

EINLEITUNGImmer wie am ersten Tag

Ideen versus Umsetzung

Kapitel 1:Einblick in Jeff Bezos’ Innovationskultur

Kapitel 2:Mark Zuckerbergs Feedbackkultur

Kapitel 3:Sundar Pichais Kultur der Zusammenarbeit

Kapitel 4:Tim Cook und die Apple-Frage

Kapitel 5:Satya Nadella und die Microsoft-Fallstudie

Kapitel 6:Ein Blick in den schwarzen Spiegel

Kapitel 7:Die Führungskraft der Zukunft

Danksagung

Über den Autor

Anmerkungen

PROLOG

DIE ZUCKERBERG-BEGEGNUNG

Im Februar 2017 lud Mark Zuckerberg mich zu einem Meeting in seine Hauptniederlassung im kalifornischen Menlo Park ein. Es war das erste Mal, dass ich mich mit dem Facebook-CEO treffen sollte, doch es lief nicht ganz so wie erwartet.

Wie gewöhnlich stand sein Unternehmen im Mittelpunkt von Kontroversen. Es trieb das Wachstum seiner Produkte intensiv voran, war aber nicht bereit, mäßigend einzuschreiten. Dadurch hatte Facebook zugelassen, dass sich überall Falschinformationen, Sensationsgier und Gewaltdarstellungen verbreiteten. Zuckerberg schien bereit, darüber zu sprechen, und ich war nur zu bereit, ihm zuzuhören.

Die Hauptniederlassung von Facebook ist eine riesige offene Konstruktion aus Betonplatten, und es ist gar nicht so einfach, da hineinzukommen. Es gibt neun Eingangshallen, es müssen zwei Sicherheitsschleusen überwunden werden und man wird von den Wachleuten zum Unterzeichnen einer Verschwiegenheitserklärung aufgefordert, ehe man auch nur einen weiteren Schritt gehen darf. Nachdem ich endlich drin war, ging ich zu dem rundum verglasten Konferenzraum, der ganz in der Mitte liegt und in dem Zuckerberg seine Besprechungen abhält. Und nachdem er ein Gespräch mit seiner COO Sheryl Sandberg beendet hatte, bat er mich und meinen Verleger Mat Honan zu einem Plausch herein. Jeder, der vorbeikam, konnte uns sehen.

Zuckerberg hatte intensiv an seinem »Manifest«1 gearbeitet, das in 5700 Wörtern die Reaktion von Facebook auf die bedenklichen Inhalte und ganz allgemein seine Rolle im Leben der Nutzer darstellt. Ich erwartete ein typisches CEO-Briefing: einen Vortrag, danach einige Minuten für Fragen. Doch nach einem kurzen Überblick bat Zuckerberg um Feedback. »Welche unserer Gesprächsthemen kommen Ihrer Ansicht nach im Text nicht richtig heraus?«, fragte er. »Was fehlt da noch?«

Meine Antwort hörte sich Zuckerberg aufmerksam an. Seine Haltung blieb unverändert. Seine Konzentration ließ nicht nach. Und seine Reaktionen – zunächst eine milde Auseinandersetzung über meinen Vorschlag, dass Facebook mehr über seine Macht sprechen solle, und dann Anerkennung – machten deutlich, dass er nicht nur der Wirkung halber fragte. Ich hatte so etwas bei einem CEO noch nie zuvor erlebt, geschweige denn bei einem, der für seine Starrköpfigkeit bekannt war. Das hier fühlte sich anders an, und es machte mich neugierig.

Nach unserem Meeting fragte ich jeden, der infrage kam, nach Zuckerbergs ungewöhnlicher Bitte um Feedback. Ist das normal? Hat er dich auch schon mal um Rückmeldung gebeten? Nach diversen Erkundigungen hatte ich meine Antwort: Die Bitte war einfach ein Ausdruck dessen, wie er Facebook führt. Zuckerberg hat Feedback in jede Faser von Facebook eingebaut. Größere Meetings enden damit, dass er um Rückmeldung bittet. Auf Plakaten in den Büros von Facebook steht FEEDBACK IST EIN GESCHENK. Und keiner im Unternehmen ist darüber erhaben, nicht mal Zuckerberg selbst.

Als Technologiereporter in Silicon Valley konnte ich an vorderster Front beobachten, wie unkonventionell die Technologiegiganten mit Überlegenheit umgehen. Statt dem üblichen Firmenlebenszyklus zu folgen – Wachstum, Verlangsamung, Straucheln und Versteinern –, wurden Apple, Amazon, Facebook, Google und Microsoft mit fortschreitendem Alter nur umso mächtiger. Und vielleicht mit Ausnahme von Apple (dazu später mehr) gibt es kaum Anzeichen dafür, dass sie diesbezüglich nachlassen.

Verblüfft war ich in diesem Zusammenhang auch von den ungewöhnlichen internen Praktiken dieser Unternehmen. Nach zahllosen Interviews mit Vorstandsmitgliedern war ich zum Beispiel überzeugt gewesen, dass die weltbesten CEOs geborene Verkäufertypen seien, die durch ihre bezwingende Persönlichkeit andere um ihre Visionen scharen. Aber sehen Sie sich Zuckerberg und seine Pendants an – Jeff Bezos bei Amazon, Sundar Pichai bei Google, Satya Nadella bei Microsoft –, dann finden Sie ausgebildete Ingenieure, die lieber Chancen schaffen, als zu bestimmen. Sie geben keine Antworten, sondern sie stellen Fragen. Statt andere zu überzeugen, hören sie zu und lernen.

Nach diesem Meeting in Menlo Park fing ich an, mich eingehender mit der Funktionsweise von Technologiegiganten zu beschäftigen – mit ihren Führungsmethoden, ihrer Kultur, ihrer Technologie und ihren Prozessen. Gab es eine Verbindung zwischen ihrem Erfolg und ihrer besonderen Arbeitsweise? Als sich dann Muster zeigten, war dieser Zusammenhang nicht mehr zu leugnen. Ich wollte unbedingt herausfinden, was genau sie anders machten und warum das funktionierte. Zwei Jahre und über 130 Interviews später ist das vorliegende Buch nun das Ergebnis dieser Reise.

Was Sie hier erwartet, ist die Formel, die es den Technologiegiganten ermöglicht hat, ihre Vormachtstellung zu erlangen und aufrechtzuerhalten. Dies ist ein Buch über Kultur und Führung, aber in einem allgemeineren Sinne auch über Ideen und Innovationen und den Weg dahin. Es geht um ein neues Modell des Geschäftslebens in einer Zeit, in der Unternehmen im Handumdrehen neue Produkte schaffen können, Herausforderungen als Konstante betrachtet werden müssen und kein Vorteil sicher ist. Gestützt auf eine Vielzahl von firmentypischen Technologien, die es ihnen ermöglichten, anders vorzugehen, und von denen sie einen Großteil selbst entwickelt haben, entdeckten die Technologiegiganten diese neue Formel schon sehr früh. Jetzt ist es an der Zeit, sie jedermann zugänglich zu machen.

Die in diesem Buch vorgestellten Unternehmen sind nicht perfekt – davon kann keine Rede sein. In ihrem uneingeschränkten Streben nach Wachstum haben sie ihre Mitarbeiter bis zur Erschöpfung strapaziert, offensichtlichen Missbrauch ihrer Technologie nicht bemerkt und ernste interne Einwände abgeschmettert. Derartige Exzesse haben die Regierung der Vereinigten Staaten dazu veranlasst, über Verordnungen nachzudenken, während Politiker auf die Schließung der Unternehmen drängten. Größtenteils aus gutem Grund. Um es also fürs Protokoll festzuhalten: In diesem Buch geht es nicht um Wachstum, nicht um Growth Hacking und nicht um das Zerschlagen von kleineren Unternehmen. Es geht darum, innovative Kulturen zu schaffen, von denen meiner Meinung nach jeder lernen kann. Und für diejenigen, die diese Unternehmen gern in ihre Schranken verweisen würden, kann es einen strategischen Vorteil bedeuten zu verstehen, wie sie intern funktionieren. Um eine Krankheit wirksam zu diagnostizieren, ist es hilfreich, sich nicht nur die Symptome anzuschauen, sondern auch die Physiologie zu verstehen.

Bliebe das Wissen der Technologiegiganten nur in ihren Händen, so wären die Geschäftswelt und die zuständigen Aufsichtsbehörden im Nachteil. Mit dem Wissen in unseren Händen haben wir die Chance, gleiche Voraussetzungen zu schaffen.

EINLEITUNG

IMMER WIE AM ERSTEN TAG

Während einer Amazon-Betriebsversammlung im März 20171 stand ein fitter, selbstbewusster Jeff Bezos vor Tausenden seiner Mitarbeiter, schaute auf einen Stapel Notizen hinunter und las mit dem Ausdruck milder Enttäuschung eine zuvor eingereichte Anfrage vor. »Okay, ich glaube, das ist eine sehr wichtige Frage«, sagte Bezos. »Wie sieht Tag zwei aus?«

Während der letzten 25 Jahre hatte Bezos seine Beschäftigten gedrängt, jeden Tag so zu arbeiten, als sei es Amazons erster. Und nun, da Amazon auf einen Marktwert von 1 Billion Dollar zumarschierte und jährlich um schätzungsweise 100 000 Mitarbeiter wuchs, bat ein (vielleicht hoffnungsfroher) Angestellter Bezos darum, sich Tag zwei vorzustellen.

»Wie sieht Tag zwei aus?«, fragte Bezos. »Tag zwei ist Stillstand, gefolgt von Bedeutungslosigkeit, gefolgt von quälendem, schmerzlichem Niedergang, gefolgt vom Tod.«

Gelächter brandete auf. Für die Tausende von Mitarbeitern war Bezos’ Demontage ihres namenlosen Kollegen, der sich aufs Glatteis vorgewagt hatte, ein Spaß. Während die Menge applaudierte, hielt Bezos inne, lächelte schief und beendete das Meeting: »Und deshalb ist es immer Tag eins.«

»Tag eins« ist bei Amazon allgegenwärtig. Es ist der Name eines zentralen Gebäudes, es ist der Titel des Unternehmensblogs und es ist ein wiederkehrendes Thema in Bezos’ jährlichem Brief an die Shareholder. Und auch wenn man versucht sein mag, es als Aufforderung zu unermüdlicher Arbeit zu verstehen, besonders bei dem bekanntermaßen anspruchsvollen Unternehmen Amazon, hat »Tag eins« noch eine tiefere Bedeutung.

»Tag eins« ist bei Amazon der Code für innovieren wie ein Start-up ohne große Rücksicht auf Altlasten. Es ist ein Eingeständnis, dass die Konkurrenz heutzutage neue Produkte in Rekordgeschwindigkeit schaffen kann – insbesondere dank der Fortschritte bei künstlicher Intelligenz und Cloud-Computing –, also muss für die Zukunft vorgesorgt werden, notfalls auf Kosten der Gegenwart. Es ist die Abkehr von den Methoden, mit denen Unternehmensgiganten wie GM und Exxon einst unsere Wirtschaft beherrschten: durch die Entwicklung von Kernvorteilen, Verbarrikadieren und Verteidigung um jeden Preis. Sich auf bestehenden Geschäftsmodellen auszuruhen, ist keine Option mehr. In den 1920er-Jahren betrug die durchschnittliche Lebenserwartung eines Fortune-500-Unternehmens 67 Jahre. Im Jahr 2015 waren es noch 15.2 Wie sieht Tag zwei aus? Er sieht ziemlich nach Tod aus.

Seit seinen Ursprüngen als Onlinebuchhändler hat Amazon sein Tag-eins-Mantra gelebt, hat mit Hingabe neue Geschäftsideen entwickelt und dabei praktisch keinen Gedanken daran verschwendet, wie sie die bestehenden Einnahmequellen beeinträchtigen könnten. Das Unternehmen ist weiterhin ein Buchhändler, aber es ist auch eine Fundgrube für praktisch jedes nur denkbare Produkt, ein florierender Markt für Drittanbieter, ein Fulfillment-Betrieb der Weltklasse, ein oscargekröntes Filmstudio, ein Lebensmittelhändler, ein Cloud-Provider, ein Sprachsteuerungssystem, ein Hardwarehersteller und ein Unternehmen für Robotertechnik. Nach jeder erfolgreichen Innovation kehrt Amazon zu Tag eins zurück und überlegt, was als Nächstes kommt.

»Ich habe eine Riesenmenge Amazon-Aktien«, sagte mir Mark Cuban im Juli 2019. »Je nach Tageskurs könnten sie tatsächlich 1 Milliarde Dollar wert sein. Und ich besitze diese Aktien, weil ich Amazon als größtes Start-up der Welt betrachte.«

Sehen Sie sich mal bei den heutigen Technologiegiganten um, dann erkennen Sie ähnliche Muster. Google hat als Suchmaschine begonnen, erfand dann aber eine Browsererweiterung (Stay Tuned), einen Browser (Chrome) und einen Sprachassistenten (Google Assistant) und brachte ein führendes Betriebssystem für Mobilgeräte hervor (Android). Jedes neue Google-Produkt war eine Herausforderung für die existierenden. Indem Google jeden Tag zu Tag eins machte, blieb das Unternehmen ganz oben.

Facebook ist schon häufig zu Tag eins zurückgekehrt. Nach seiner Anfangszeit als Onlineadressbuch erfand sich das Unternehmen mit dem Newsfeed neu, und das tut es wieder, indem es vom öffentlichen Teilen zum privaten Teilen übergeht: Der Newsfeed wird an die Facebook-Gruppen – eine Reihe kleinerer Netzwerke – übergeben, und das Messaging wird als Bürger erster Klasse behandelt. In der schnelllebigsten aller Branchen, Social Media, ist Facebook immer noch führend.

Bis vor Kurzem schienen die erfinderischen Zeiten von Microsoft der Vergangenheit anzugehören. Das Unternehmen war so stark an Windows gebunden, dass es die Zukunft beinahe verpasst hätte. Doch mit der Übergabe von Steve Ballmer an Satya Nadella kehrte das Unternehmen zu Tag eins zurück, öffnete sich für das Cloud-Computing, eine Bedrohung für Desktop-Betriebssysteme wie Windows, und wurde erneut zum wertvollsten Unternehmen der Welt.

Apple unter Steve Jobs entwickelte das iPhone, ein Gerät, das Desktop-Computer wie den Mac und tragbare Abspielgeräte wie den iPod verblassen ließ und dem Unternehmen eine Reihe erfolgreicher Jahre verschaffte. Heute erlebt Apple seinen Windows-Moment. Es muss die iPhone-Orthodoxie hinter sich lassen und sich wieder neu erfinden, um im Zeitalter von Voice-Computing mithalten zu können.

Auf dem South-Lake-Union-Campus von Amazon in Seattle trägt eines der neuesten Gebäude den Namen »Reinvent« (Neuerfindung). Das ist ein seltsames Wort für eines der erfolgreichsten Unternehmen der Welt. Aber in einer Geschäftswelt, in dem Tag zwei der Tod ist, stellt es den Schlüssel zum Überleben dar.

IDEEN VERSUS UMSETZUNG

Um ein erfindungsreiches Unternehmen zu führen, ist mehr nötig als Ansprachen und interne Mitteilungen. Es erfordert einen Neuentwurf der Art und Weise, wie Sie Geschäfte durchführen, was aufgrund einer Revolution in unserer Arbeitsweise endlich möglich ist.

Es gibt zwei Arten von Arbeit: Ideenarbeit und Umsetzungsarbeit. Ideenarbeit ist alles, das zur Erschaffung von Neuem führt: neue Dinge erträumen, herausfinden, wie man sie machen kann, und sie umsetzen. Umsetzungsarbeit ist alles, das diese Dinge unterstützt, sobald sie existieren: Produktbestellungen, Dateneingabe, Buchführung, Wartung. In der industriellen Ökonomie war fast alles Umsetzungsarbeit. Ein Unternehmensgründer hatte eine Idee (»Lasst uns Dingsbums herstellen!«) und stellte dann Mitarbeiter ausschließlich zu Umsetzungszwecken ein (sie arbeiteten in der Fabrik und stellten Dingsbums her). Ende der 1930er-Jahre setzte dann der Wandel von einer fabrikdominierten zu einer ideendominierten Wirtschaft ein – die »Wissenswirtschaft«.

In der modernen Wissenswirtschaft sind Ideen wichtig, aber nach wie vor verbringen wir unsere Zeit hauptsächlich mit Umsetzungsarbeit. Wir entwickeln ein neues Produkt oder eine Dienstleistung, und dann tun wir nichts anderes, als alles am Laufen zu halten, statt etwas Neues zu ersinnen. Wenn Sie zum Beispiel Kleidung verkaufen, erfordert jede Kollektion Unmengen Umsetzungsarbeit: Preisgestaltung, Finanzierung, Bestandsmanagement, Verkauf, Marketing, Versand und Rücksendungsabwicklung. Zusätzliche Arbeitsgänge stützen diese Prozesse, darunter Grundlagenaufgaben im Personalwesen, in der Vertragsgestaltung und in der Buchhaltung.

Die Last der Umsetzungsarbeit hat es für Unternehmen mit einem Kerngeschäft fast unmöglich gemacht, ein anderes weiterzuentwickeln und zu unterstützen (Clayton Christensen bezeichnet das als »Innovatorendilemma«). Wer das versuchte, ist fast immer daran gescheitert oder musste feststellen, dass es unmöglich ist, mehrere Geschäftsbereiche gleichzeitig aufrechtzuerhalten. »GM hat früher noch viele andere Dinge außer Autos gemacht«, erzählte mir Professor Ned Hill, Wirtschaftswissenschaftler an der Ohio State University, und führte Kühlschränke und Lokomotiven an. »Das Unternehmen war ein Krake, und es kam damit nicht zurecht.«

Die Unternehmen von heute sind derart mit Umsetzungsarbeit beschäftigt, dass sie sich deswegen eher der Verfeinerung widmen statt der Innovation. Vielleicht würden ihre Führungskräfte gerne eine Innovationskultur etablieren, aber dazu fehlt ihnen die Bandbreite. Also vermitteln sie eine begrenzte Zahl an Ideen von ganz oben, und alle anderen setzen sie um und polieren sie auf.

Aber jetzt ist es plötzlich möglich, ein Unternehmen mit einer Innovations- statt einer Verfeinerungskultur zu leiten. Die Fortschritte in der künstlichen Intelligenz (KI), dem Cloud-Computing und der Kooperationstechnologie haben dazu geführt, dass bestehende Geschäftsbereiche mit viel weniger Umsetzungsarbeit unterstützt werden können. Das verhilft den Firmen dazu, neue, innovative Ideen in die Realität umzusetzen – und aufrechtzuerhalten. Diese Tools sind die nächste Evolutionsstufe einer Softwareexplosion am Arbeitsplatz, die Unternehmen effizienter gemacht hat, und die KI tut das Ihrige dazu. Fachleuten zufolge verschafft die KI den Beschäftigten mehr Freiheit für »kreative« oder »menschlichere« Arbeit. Präziser formuliert ermöglicht die KI ihnen, mehr Innovationsarbeit zu verrichten. Das, glaube ich, ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Technologiegiganten.

Die Technologiegiganten haben eine neue Welle der Schlüsseltechnologien angestoßen und herausgefunden, wie sich die Umsetzungsarbeit minimieren lässt. Das schafft Raum für neue Ideen, und sie setzen diese Ideen in die Realität um. Deshalb unterstützen ihre Kulturen Innovation statt Verfeinerung. Sie entfernen Barrieren, die Ideen hindern, im Unternehmen zu kursieren, und füllen die besten dieser Ideen mit Leben. Einfach in der Theorie, aber komplex in der Praxis: So läuft das bei ihnen.

Eine Zeit lang war ich überzeugt, dass die Technologiegiganten diesen Vorsprung gegenüber uns anderen viele Jahre lang verteidigen würden. Aber dann fuhr ich nach Miami.

WUNDER IN MIAMI

Cee Lo Green hatte wahrscheinlich nie den Ehrgeiz, zu einem Entertainer für Firmenevents zu werden, aber im Oktober 2018 gefiel sich der schwergewichtige Sänger mit der hohen Stimme in dieser Rolle. Da stand er vor 1100 Mitarbeitern mit Ansteckschildchen, die Small Talk machten, auf ihre Handys guckten und im LIV-Nachtklub von Miami Beach Netzwerkarbeit betrieben.

Als die Schildchenträger sich über Rinderbrustscheiben, Käsemakkaroni mit Jalapeños und Krabbenrisotto hermachten und sich an der Bar ein paar Drinks gönnten, hatte Green seinen Spaß. Er gab seinen Tophit zum Besten, einen Song namens »F**k You« (oder »Forget You«, wenn er im Radio gespielt wird), und sprach über ihre Errungenschaften. »Sie feiern den Erfolg in Ihrem Leben, stimmt’s?«, sagte er und stolzierte in einem weißen Jumpsuit und Sonnenbrille über die Bühne.

Als die ersten Akkorde von »F**k You« erklangen, brach die Menge in Begeisterungsstürme aus, und der breit grinsende Green ließ sich von dieser Energie anstecken. »Wenn Ihnen irgendetwas einfällt, zu dem Sie ›fuck you‹ sagen sollten, dann ist das jetzt der richtige Moment!«, rief er. Ein Chor aus Fuck-yous schallte ihm aus dem Publikum entgegen.

Greens Auftritt im LIV wäre keine große Erwähnung wert, hätte er nicht eine von UiPath organisierte Konferenz eröffnet. Die Software dieses wenig bekannten Unternehmens kann Ihren Bildschirm beobachten, während Sie arbeiten, und automatisiert dann nach gewissen Zuweisungen Ihre Aufgaben. UiPath und seine Pendants sind dabei, die Arbeit von Millionen Beschäftigten im Laufe der nächsten Jahre zu automatisieren, was den vielstimmigen Fuck-you-Chor ein wenig misstönend macht.

Schon Monate vor diesem Auftritt hatte ich Gerüchte gehört, wonach UiPath das Potenzial habe, die Arbeit in Unternehmen zu verändern, und zwar auf eine Weise, die die allgemeine Businesswelt näher an die Arbeitsmethoden von Technologiegiganten heranrücken ließ. Nachdem Investoren im Herbst 2018 225 Millionen Dollar in das Unternehmen gesteckt hatten,3 beschloss ich, mit meinem Notebook nach South Beach zu fahren, um herauszufinden, was dahintersteckte.

Wie ich erfuhr, vereinfacht UiPath die Automatisierung von Routinetätigkeiten an einem Computer. Die Software beobachtet Ihre Mausbewegungen und Klicks und nimmt Ihnen dann mit etwas Anleitung Aufgaben ab. Die »Roboter« von UiPath (die keine physische Präsenz haben) können eine scheinbar unbegrenzte Menge von Umsetzungsarbeit übernehmen, darunter Dateneingabe, Berichterstellung, Ausfüllen von Formularen, Erstellen von Formularen und E-Mail-Versand dieser Dokumente an bestimmte Empfänger. Nur allein im Bereich Personalwesen können diese Bots standardmäßige Briefe an neue Mitarbeiter schreiben, Neueinstellungen bei verschiedenen Bonusprogrammen anmelden und, wenn die Zeit gekommen ist, auch ihre Kündigungsschreiben verfassen.

Solche Umsetzungsarbeiten machen einen erheblichen Anteil der Arbeitszeit von Millionen Beschäftigten aus. Einige der angesehensten Arbeitgeber der Welt – Walmart, Toyota, Wells Fargo, UnitedHealthcare und Merck, um nur einige zu nennen – haben sich auf den Weg nach Miami gemacht, um ihre Aufzeichnungen darüber zu vergleichen, wie sich dies automatisieren ließe.

Die japanische Bank SMBC erklärte, man nutze bereits 1000 UiPath-Bots und wolle im Laufe des Jahres weitere 1000 hinzufügen. Anoop Prasanna, der Leiter der Abteilung Intelligent Automation bei Walmart, rühmte die Fähigkeit von UiPath, Arbeiten zu automatisieren, und beklagte lediglich, dass er die Technologie nicht schnell genug einsetzen könne. Holly Uhl, die beim Versicherungsunternehmen State Auto für Automatisierung zuständig ist, erzählte mir in einem ruhigen Moment, dass UiPath ihrem Unternehmen im Laufe von 17 Monaten 35 000 Mannstunden gespart habe, und diese Entwicklung wolle man noch intensivieren. »Das wird weiter zunehmen«, sagte sie.

Die größte Neuigkeit bei der Konferenz war, dass die Prozessautomatisierungstechnologie von UiPath noch stärker mit maschinellem Lernen integriert werden würde – einer Form der KI, die verschiedene zukunftsbezogene Entscheidungen treffen kann –, was zu geradezu verblüffenden Ergebnissen führte. Naresh Venkat, bei Google Chef für maschinelles Lernen und KI-Partnerschaften, präsentierte die Möglichkeiten. Er zeigte, wie das maschinelle Lernen von Google mit der Automatisierungstechnologie von UiPath kombiniert werden könnte, um einen Versicherungsanspruch ohne jegliche menschliche Beteiligung abzuwickeln.

In einem Video, das Venkat auf der Bühne abspielte, lud jemand Fotos von seinem beschädigten Auto auf die Website einer Versicherungsgesellschaft hoch. Daraufhin prüfte das Google-System für maschinelles Lernen die Bilder und bestimmte, wie teuer die Reparatur werden würde. Dann öffnete UiPath eine Kundendatei in Salesforce, erstellte einen Schadensbericht samt Kostenerstattung der Versicherung, schrieb eine einfache Beurteilung in Microsoft Word und mailte diese an den Kunden und an einen Versicherungsmitarbeiter.

»Man kann einen Großteil dessen automatisieren, was normalerweise ein Mensch tun muss«, sagte Venkat mit leisem Unbehagen. »Was bei einem Schadensanspruch früher zwölf Tage dauerte, lässt sich jetzt in zwei Tagen erledigen. Früher hat es ungefähr 2000 Dollar gekostet, so etwas zu bearbeiten, jetzt sind es noch 300.«

UiPath ist eine von vielen Firmen für »Robotik-Prozessautomatisierung«, die derzeit stark expandieren, um der wachsenden Nachfrage nach diesen Leistungen gerecht werden zu können. Weniger als zwei Monate nach ihrer Konferenz in Miami erhielt Automation Anywhere, einer der Hauptkonkurrenten von UiPath, 300 Millionen Dollar von Softbank.4 Im Übrigen ist Google auch nicht das einzige Unternehmen, das KI mit Entscheidungsfindungskompetenz produziert. Eine Reihe anderer Firmen, darunter Microsoft, IBM, DataRobot und Element AI, bieten ähnliche Möglichkeiten an.

Bei derart breit angelegten und finanziell gut unterfütterten Bemühungen, diese Technologie der breiten Masse verfügbar zu machen (und da die Nachfrage nach einer solchen Technologie offensichtlich ist), wird die Automatisierung wohl bald bei Arbeitsplätzen auf aller Welt ankommen und in großem Stil Umsetzungsarbeit übernehmen.

»Man senkt die Kosten der Entscheidungsfindung – mit maschinellem Lernen liegen sie fast bei null«, sagte mir der Forrester-Analyst Craig Le Clair, der sich mit der Automatisierung beschäftigt. »Am Ende haben Sie einen völlig anderen Arbeitsplatz.«

Wie genau dieser andere Arbeitsplatz aussieht, schienen die in Miami versammelten Walmarts und Well Fargos nicht zu wissen. Sie hatten vor, sich mit Automatisierung und künstlicher Intelligenz auszurüsten, aber nachdem sie lediglich einen Zeh ins Wasser gehalten hatten, blieben sie genau dort zurück, wo die meisten von uns sich derzeit befinden: wohl wissend, dass eine Welle von KI anrollt, aber unsicher, wie genau sich das auf unsere Arbeit, unsere Unternehmen und die Wirtschaft auswirkt.

Es gibt jedoch ein paar Unternehmen, bei denen dieser »Arbeitsplatz der Zukunft« bereits Realität ist, und die Art und Weise, wie sie damit umgehen, hilft uns zu verstehen, wohin die Reise geht.

DAS ENGINEER’S MINDSET

Die in Miami gezeigte Methode ist bei den Technologiegiganten Standard, und das schon seit Jahren. Diese Unternehmen verfügen über die fortschrittlichsten KI-Forschungsabteilungen der Welt. Sie integrieren das maschinelle Lernen nicht nur in ihre Produkte, sondern auch in ihre Arbeitsplätze. Zusammen mit anderen komplexen Tools hat dieser Ansatz die Umsetzungsarbeit von Beschäftigten erheblich verringert, so haben sie mehr Zeit für neue Ideen.

Um diese neuen Ideen in die Tat umzusetzen, mussten die Technologiegiganten auch die Methoden der Unternehmensführung erneuern. Die meisten Unternehmen sind mit Umsetzungsarbeiten voll ausgelastet. Sie entwickeln nur wenige Ideen, die typischerweise von oben nach unten in Auftrag gegeben werden, und konzentrieren sich darauf, sie zu verkaufen. Aus diesem Grund ist »visionär« immer noch das ultimative Kompliment für einen CEO von heute. Der Erfolg eines Unternehmens beruht für gewöhnlich auf den Ideen, die er und die Führungsetage entwickeln.

Bezos, Zuckerberg, Pichai und Nadella sind jedoch keine Visionäre; sie ermöglichen Dinge. In den Schaltzentralen von Amazon, Facebook, Google und Microsoft hauchen sie den Ideen ihrer Mitarbeiter Leben ein, nicht ihren eigenen. Dafür haben sie Systeme eingerichtet. Alle diese CEOs sind Ingenieure, es sind keine Verkaufs- oder Finanzkoryphäen, die normalerweise bei den weltweit führenden Unternehmen an der Spitze sitzen. Dieser Hintergrund inspiriert ihre Systeme. Das Kernstück ihrer Innovationskultur ist also etwas, das ich als Engineer’s Mindset bezeichne.

Das Engineer’s Mindset ist eine Denkweise – keine technische Begabung –, auf der eine Kultur des Errichtens, des Erschaffens und des Erfindens basiert. Sie beruht darauf, wie Ingenieure normalerweise an ihre Arbeit herangehen, ist aber nicht auf eine bestimmte fachliche Ausrichtung oder Hierarchieebene innerhalb der Firma beschränkt. Das Engineer’s Mindset hat drei Hauptanwendungsbereiche:

Demokratischer Innovationsprozess

Ingenieure erfinden die ganze Zeit. Ihre Aufgabe ist es zu erschaffen, nicht zu verkaufen. Menschen mit dem Engineer’s Mindset wissen, dass innovative Ideen von überallher kommen können. Sie ermöglichen es, dass diese Ideen zu den Entscheidungsträgern gelangen, und entwickeln Systeme, die ihnen bei grünem Licht zum Erfolg verhelfen.

Durchlässige Hierarchie

Technische Organisationen sind von Natur aus flach strukturiert. Sie haben zwar eine Hierarchie, aber die Mitarbeiter haben keine Hemmungen, zum obersten Vorgesetzten zu gehen und ihm genau ihre Ideen zu erläutern. Das ist eine Abkehr von traditionellen Organisationen, bei denen es oft als Missachtung der Hierarchie gesehen wird, wenn eine Idee von unten in der Befehlskette nach oben gelangt.

In Kapitel 2 beschäftigen wir uns mit Facebook und wie Zuckerberg es durch seine Feedbackkultur geschafft hat, Ideen über Hierarchieebenen hinaus zu fördern. Bei Facebook tragen die Mitarbeiter ihre Ideen Zuckerberg direkt vor, er bearbeitet sie und setzt sie um. Wir werden auch untersuchen, wie sein Feedbacksystem 2016 im Vorfeld der Wahlen zusammenbrach, als das Unternehmen von Wahlmanipulationsversuchen, die es hätte voraussehen müssen, eiskalt erwischt wurde, und wie Zuckerberg im Bemühen, diese Krise zu meistern, neue »Inputs« einbringt.

Zusammenarbeit

Für gewöhnlich arbeiten Ingenieure an einer einzelnen Komponente eines Projekts. Wenn ihr kleiner Anteil scheitert, kann das ganze Vorhaben zum Erliegen kommen (vergleichbar mit einem Stromnetz). Diese Vorgehensweise macht Ingenieure zu Meistern der Zusammenarbeit. Sie tauschen sich regelmäßig mit anderen Gruppen aus, um sicherzustellen, dass sie aufeinander abgestimmt sind. Diese Mentalität ist gut dafür geeignet, unterschiedliche Abteilungen eines Unternehmens zusammenzubringen, um Neues zu schaffen.

In Kapitel 3 werfen wir einen Blick hinter die Kulissen von Google und sehen uns an, wie Sundar Pichai Menschen aus dem gesamten Unternehmen für die Entwicklung von Innovationen zusammenbringt. Insbesondere richten wir den Fokus auf die Zusammenarbeit, die notwendig war, um den Google Assistant zu schaffen. Bei seiner Entwicklung waren unter anderem Teams von Google Search, der Hardware, von Android und KI beteiligt. Die fortschrittlichen Kollaborationstools, die Pichai einsetzt, um seinen Beschäftigten die Zusammenarbeit zu ermöglichen, haben jedoch auch zu Grüppchenbildung, Trollen und größeren Zerwürfnissen innerhalb von Google geführt. Das Unternehmen und seine Mitarbeiter bemühen sich immer noch, einen Umgang damit zu finden.

In Kapitel 4 sehen wir uns Tim Cooks Apple an, dessen Kultur, die für Visionäre geschaffen wurde, bis heute unverändert ist. Apple ist ein Unternehmen, in dem demokratische Innovationsprozesse, flache Hierarchien, freie Zusammenarbeit und nützliche interne Technologie fehlen. Es steckt in Tag zwei fest, und da sich die Verkaufszahlen des iPhone verringern, muss es Anpassungen vornehmen.

Microsoft ist unser Thema in Kapitel 5, wo Satya Nadella mit dem Engineer’s Mindset eine neue Ära der Innovationen innerhalb des Unternehmens beflügelt. Nadellas Vorgehensweise ist eine Abkehr von der seines Vorgängers, Steve Ballmer, und beispielhaft für die der in diesem Buch vorgestellten Herangehensweisen.

Das Engineer’s Mindset ist keine exklusive Domäne von Programmierern. Es ist schließlich eine Denkart und hat nichts mit Computerkenntnissen zu tun. Diese Mentalität findet sich auch nicht ausschließlich bei Technologiegiganten, kleinere Unternehmen können sie ebenso effektiv nutzen. Doch im Moment liegen die Technologiegiganten vorn, besonders im Vergleich zu ihren Technologiekollegen. Netflix beispielsweise hat zwar eine Feedbackkultur, aber keine, die Innovationen anregt.5 Bei Tesla kommen die Ideen von oben6, und die Kultur von Uber ist bekanntermaßen problematisch.7

Dieses Buch durchleuchtet das Engineer’s Mindset, es beschreibt, inwieweit es die Grundlage der Systeme ist, die Bezos, Zuckerberg, Pichai und Nadella aufgebaut haben, um Ideen zu kanalisieren und umzusetzen. Diese Denkart wird bald zum Standard erfolgreicher Unternehmen weltweit werden. Bei der Lektüre dieses Buches erfahren Sie, wie die führenden Konzerne der Welt das Engineer’s Mindset einsetzen. Dieses Modell können Sie an Ihrem eigenen Arbeitsplatz nutzen und ich hoffe, einige der Lektionen sind für Sie nützlich.

WENN DIE SACHE FAHRT AUFNIMMT

Während ich mit Leuten über das Engineer’s Mindset diskutierte, die es internalisiert hatten, wurde mir deutlich, wie die Realität der heutigen Geschäftswelt aussieht: Sujal Patel, ein ausgebildeter Programmierer, der das Datenspeicherungsunternehmen Isilon Systems zu einem 2,25-Milliarden-Dollar-Ausstieg führte, erklärte mir Folgendes: Wenn Sie heutzutage als Ingenieur versuchen, Ihre Ideen auf den Markt zu bringen, müssen Sie nur einen von 500 Risikokapitalgebern davon überzeugen, dass es eine gute Idee ist. Und dann bekommen Sie das Geld und können produzieren. Haben Sie aber eine Idee innerhalb eines traditionellen Unternehmens, erzählen Sie es Ihrem Vorgesetzten, und wenn ihm die Idee gefällt, erzählt er das seinem Vorgesetzten, und wenn sein Vorgesetzter wiederum diesen Einfall gut findet, erzählt er es seinem und so weiter, bis die Führungsetage davon erfährt. Sagt aber irgendeiner in dieser Kette Nein, geht die Idee letztlich im Unternehmensschlamm unter. Währenddessen kann irgendjemand von der Straße dasselbe Konzept in die Realität umsetzen.

»Ich habe in meinem Unternehmen immer gedacht: Wie kann ich dafür sorgen, dass Ideen, die eine Chance haben, auch eine Chance kriegen?«, so Patel. »Es kann doch niemals funktionieren, wenn man sie einfach nur die Hierarchie hinauf kommuniziert.«

Einige Wochen danach veröffentlichte die Weltbank eine Studie, die den für eine Unternehmensgründung notwendigen Kosten- und Zeitaufwand von 2005 bis 2017 untersuchte. In diesen zwölf Jahren hatten sich beide Faktoren mehr als halbiert. Als ich das las, dachte ich wieder an Patels Beispiel. Wenn es schon in der Vergangenheit eine Belastung gewesen war, nicht über die Systeme zu verfügen, die eine gute Idee voranbringen, dann ist es jetzt eine existenzielle Bedrohung. Auf der einen Seite sind traditionelle Unternehmen von Start-ups bedroht, die schneller und kostengünstiger am Markt agieren können als je zuvor. Auf der anderen Seite sind sie im Visier etablierter Firmen, die wie Startups betrieben werden, Umsetzungsarbeit durch interne Technologien ausführen lassen und Ideen aus allen Bereichen der Organisation in die Tat umsetzen.

Ich glaube, dieses Buch erscheint in einem Moment des Wandels, in dem die Fundamente von Arbeit, Führung und der gesamten Geschäftswelt ins Wanken geraten sind. Wenn Sie es beiseitelegen, verstehen Sie hoffentlich besser, wohin die Reise geht und wie Sie sich an die Entwicklung anpassen können, ganz gleich, an welcher Position der unternehmerischen Nahrungskette Sie sich befinden. Es ist kein Geheimnis, dass die zitierten CEOs über Jahre hinweg in der Öffentlichkeit heftige Gegenreaktionen ausgelöst haben. Grund dafür waren das Unbehagen und Verdächtigungen im Hinblick auf Größe und Macht ihrer Unternehmen und einem entsprechenden Missbrauch. Das betont noch mal, wie wichtig es ist, die von ihnen verwendeten Methoden bekannt zu machen, damit sie verantwortungsvoll angewandt werden. Aber ich hoffe, dass Sie nach der Lektüre diese Methoden weniger mysteriös, ja sogar begreiflich finden. Und wenn wir alle sie mit Bedachtsamkeit nutzen, führt dies vielleicht dazu, dass die Ökonomie ausgewogener wird.

KAPITEL 1

EINBLICK IN JEFF BEZOS’ INNOVATIONSKULTUR

Das Hauptquartier von Amazon in Seattle hat nur wenig Ähnlichkeit mit den wuchernden Gebäudekomplexen des Silicon Valley. Statt sich in die Annehmlichkeit und Anonymität der Vororte zurückzuziehen, agiert das Unternehmen im Herzen der immer noch in Entwicklung befindlichen South-Lake-Union-Region. Die Gebäude, die nach Projektcodenamen wie Doppler (Echo) und Fiona (Kindle) benannt sind, säumen dort die Straßen und bieten über 50 000 Beschäftigten Platz. Einige sind noch im Bau, um Raum für weitere zu schaffen. Schwärme von Amazoniern bevölkern an Wochentagen die Gegend, und wenn man sich seinen Weg durch sie hindurch bahnt, kann man mitten in eines der vielversprechendsten Experimente des Unternehmens hineinmarschieren.

Einige Stockwerke unterhalb von Jeff Bezos’ Büro, im Erdgeschoss seines Day-One-Büroturms, testet Amazon eine neue Form des Lebensmittelhandels namens Go, bei der über einen Checkout abgerechnet wird. Um bei Go etwas zu kaufen, checkt man über eine App ein, nimmt sich, was man will, und … geht einfach wieder raus. Kurz darauf bekommt man von Amazon einen Beleg aufs Handy geschickt, in dem die gekauften Artikel aufgeführt sind. Bei Go gibt es keine Schlangen, keine Wartezeiten und keine Kassen. Es fühlt sich an wie die Zukunft, und so könnte es durchaus auch sein.

Hinter Go steht eine beeindruckende Technologie, von der man einen Großteil auch sehen kann, wenn man hochschaut. An der Decke sind Kameras und Sensoren aufgereiht, die Ihren Körper und Ihre Bewegungen beim Gang durch den Laden festhalten. Durch die Verwendung von Computer Vision (eine Unterart des maschinellen Lernens) stellt Go fest, wo Sie sind, was Sie sich nehmen und was Sie wieder zurückstellen. Dann wird Ihnen der Kaufpreis berechnet. Und das fast immer sehr präzise, wie ich bei meinen verschiedenen Versuchen, das System zu überlisten, feststellen konnte. Egal, welche Methode ich anwandte, ob ich nun Produkte versteckte oder mit Höchstgeschwindigkeit in den Laden rein- und rausrannte (16 Sekunden Gesamtaufenthaltsdauer), Go hat niemals einen Artikel übersehen.

Aber die Story hinter Go geht über Hardware und Programmcode hinaus. Mehr als alles andere ist sie ein Produkt der ganz besonderen Kultur von Amazon, von etwas, das nicht sichtbar ist. Innerhalb von Amazon hat Bezos Innovation zur Gewohnheit gemacht und damit das Schaffen neuer Erlebnisse wie Go zu einem Kernstück seines Unternehmensgeschäfts. Es ist genauso wichtig wie das Betreiben seiner berühmten Website. Bei Amazon erfindet jeder, von der Führungsspitze bis zu den niedrigsten Rängen, und Bezos automatisiert alles nur Mögliche, damit die Leute noch mehr Innovationen ersinnen können. Der Amazon-Gründer und -CEO fördert Innovationen nicht nur; er hat ein System entwickelt, um sie wie am Fließband zu erzeugen, wodurch auch Anfänger die besten Erfolgsaussichten haben. Go war zum Beispiel ursprünglich als riesiger Verkaufsautomat angedacht worden. Aber nachdem es Bezos’ Prozess durchlaufen hatte, entwickelte es sich zu etwas, das unsere Einkaufsgewohnheiten revolutionieren könnte.

Es ist Bezos’ Innovationskultur zu verdanken, dass wir mit Lautsprechern, Mikrowellen und Weckern sprechen können, die alle Alexa an Bord haben. Und dass wir Bücher am Bildschirm lesen, Unternehmen auf Basis der Cloud aufbauen, mit Hingabe im Internet einkaufen und demnächst vielleicht aus einem Geschäft hinausgehen können, ohne an der Kasse aufgehalten zu werden.

»Innovationen sind wie Treibstoff für ihn; sie sind Treibstoff für seinen Intellekt. Sie sind Teil des Wesens, der Textur des Unternehmens«, erzählte mir Jeff Wilke, CEO of Worldwide Consumer bei Amazon und Bezos’ Stellvertreter. »Am meisten freut er sich, wenn ihm eine Innovation, eine Erkenntnis, eine Erfindung, ein wegweisender Gedanke über den Weg läuft.«

Bezos steuert die Amazon-Innovationskultur durch 14 Führungsprinzipien,1 an die sich die meisten Amazonier strikter halten als an ihre eigene Religion, was dem Unternehmen gelegentlich einen sektenartigen Charakter verleihen kann. Diese Prinzipien prägen die Entscheidungen innerhalb des Unternehmens, sie werden Bewerbern schon beim Vorstellungsgespräch eingebläut und tauchen wie beiläufig in Unterhaltungen zwischen Amazoniern auf, wenn sie Überstunden machen. Wenn Sie dort arbeiten, werden die Führungsprinzipien ein Teil Ihres Wesens. Sie machen es schwer, in irgendeinem anderen Unternehmen zu arbeiten, deshalb kehren so viele ehemalige Beschäftigte wie ein Bumerang zurück, nachdem sie gekündigt hatten. Ein früherer Mitarbeiter erzählte mir, dass er diese Prinzipien seinen Kindern beibringt.

Je eingehender man sich mit Bezos’ Führungsprinzipen befasst, desto deutlicher wird, dass sie ein Handbuch für Innovationen sind. Zusammengenommen inspirieren sie neue Ideen, streifen die zähe Bürokratie ab, die oft die besten Ideen erstickt, und sorgen dafür, dass alles mit einer Erfolgschance umgesetzt werden kann.

Groß denken zum Beispiel ermutigt die Amazonier, sich das nächste tolle Produkt, den nächsten Prozess, die nächste Dienstleistung zu erträumen. Und was entscheidend ist: Sie erhalten dadurch auch die Erlaubnis, es zu verwirklichen, eine Abkehr des Bleib-bei-deinem-Leisten-Managements. »Im Kleinen zu denken ist eine selbsterfüllende Prophezeiung«, besagt das Führungsprinzip. »Führungskräfte schaffen und kommunizieren eine mutige Anweisung, die Ergebnisse anregt. Sie denken anders und schauen voraus, um für die Kunden da zu sein.«

Erfinden und vereinfachen macht das Erfinden zur Kernaufgabe der Amazon-Mitarbeiter, nicht zu einer Nebensächlichkeit. »Führungskräfte erwarten und verlangen Erfindungen und Innovation«, heißt es. »Sie sind nach außen hin offen, suchen überall nach neuen Ideen und lassen sich nicht von ›not invented here‹ einschränken.«

(Eine ehrlichere Leseweise dieses Prinzips wäre: Ihr gesamter Zweck bei Amazon ist, etwas zu erfinden. Wenn Sie nicht erfinden, wird Ihre Tätigkeit vereinfacht und dann automatisiert. Bei Amazon erfinden Sie, oder Sie landen auf der Straße.)

Tendenz zum Handeln fordert die Amazonier auf, die Dinge voranzutreiben. Keine langen, durchgeplanten Entwicklungsprozesse, sondern die Produktion von Neuem. »Viele Entscheidungen und Aktivitäten sind umkehrbar und müssen nicht vorher ausführlich überdacht werden«, heißt es. »Wir schätzen das Eingehen kalkulierter Risiken.«

(Ein Amazonier, der mehr Platz in seinem Büro brauchte, brachte eine Säge mit zur Arbeit und verkleinerte damit seinen Schreibtisch. Als sein Vorgesetzter ihn darauf ansprach, zitierte er die Tendenz zum Handeln.)

Rückgrat zeigen; widersprechen und sich verpflichten soll Engpässe verhindern, indem die Amazonier aufgefordert werden, ihre Einwände vorzubringen und dann aus der Welt zu schaffen. »Führungskräfte sind verpflichtet, Entscheidungen respektvoll zu hinterfragen, wenn sie anderer Meinung sind, selbst wenn das unangenehm oder mühsam ist«, besagt die Regel. »Ist eine Entscheidung einmal festgelegt, gilt sie als bindend.«

(Bezos verabscheute die Idee, Kundenfragen und die Antworten darauf auf die Produktseiten zu setzen, erinnert sich ein Ex-Mitarbeiter, aber er wies das Team an, damit fortzufahren. Jetzt sind diese Fragen und Antworten ein Kernelement von Amazon.)

Und schließlich stellt die Kundenbesessenheit den Kunden über alles andere. »Führungskräfte beginnen mit dem Kunden und arbeiten sich rückwärts voran«, heißt es. »Auch wenn Führungskräfte auf Wettbewerber achtgeben, von den Kunden sind sie besessen.«

(Die Kundenbesessenheit bei Amazon hat ihren Beitrag zu den Amigo-Geschäften des Unternehmens geleistet, zu seinem Konkurrenzverhalten und zu seinem schlechten Umgang mit Mitarbeitern. Diese Aktivitäten senken zwar die Preise und verbessern den Service, aber das führt beides oft zu versteckten Kosten.)

Ist eine Innovation nicht gut genug für die Kunden von Amazon, wird sie wieder in das Entwurfsstadium zurückgesetzt. »Die Magie der Go-Läden liegt darin, dass man einfach wieder rausgehen kann, wenn man drin ist«, erzählte mir jemand, der an Go mitgearbeitet hat. »[Die Verkaufsautomaten-Idee] hat das Problem des Bezahlens nicht gelöst; sie hat es lediglich weiter nach hinten verlagert.« Und deshalb wurde sie zurückgewiesen.

Bezos ist da einer Sache auf der Spur. In der heutigen technologieorientierten Wirtschaft ist das Erfinden ein Muss, nicht nur etwas Begrüßenswertes. In einer von Programmiercodes geprägten Welt, in der die Erstellungskosten geringer sind als je zuvor, können Mitbewerber relativ mühelos kopieren, was Sie bereits tun. Um zu überleben, müssen Sie permanent das nächste große Ding schaffen. Und dazu hat Bezos jeden bei Amazon verpflichtet. »Innovationen gibt es im Finanzwesen, in der Rechtsabteilung, im Personalwesen, beim Fulfillment, im Kundendienst und in jedem anderen Aspekt des Unternehmens«, sagte Wilke. »Es ist Bestandteil dessen, wie jeder in der Firma seine Arbeit erledigt.«

Bezos hat bei Amazon eine Kultur entwickelt, die Mitarbeiter zum Erfinden ermächtigt und sie die von ihnen geschaffenen Dinge abwickeln lässt (ein weiteres Führungsprinzip: Verantwortlichkeit). Je tiefer man vordringt, desto offensichtlicher wird es, dass diese Kultur, unterstützt von Wall-Street-Investoren, die von Amazon keine Gewinne verlangen, hinter der Vielfalt der beliebten Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens steckt: Echo, Kindle, Prime, Amazon Web Services und Amazon. com. Das ist, um es klar zu sagen, Amazons Wettbewerbsvorteil.

DIE SCIENCE-FICTION-AUTOREN VON AMAZON

Am 9. Juni 2004 um 6:02 Uhr verbannte Jeff Bezos PowerPoint aus den Computern bei Amazon. Wenig subtil verbreitete er die Nachricht sofort in der Betreffzeile einer E-Mail: »Von jetzt an keine PowerPoint-Präsentationen mehr«,2