Always on - Günter Weick - E-Book

Always on E-Book

Günter Weick

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Beschreibung

Hans-Peter Neurath, Vorstandsvorsitzender des Astrall Konzerns, ist hoffnungslos antiquiert. Zumindest nach Ansicht seiner jungen Vorstandskollegin - verweigert sich Neurath doch weitgehend aktuellen Technologien. Als er behauptet, er könne beweisen, dass sein Arbeitsstil zu besseren Ergebnissen führt, kann Anja Johannsen nur lachen. Dann findet sie sich unvermittelt in einer Wette wieder. Was anschließend geschieht, halten beide in Notizen fest. Die pointierten Aufzeichnungen der beiden Vorstände sind unterhaltsam zu lesen. Sie zeigen, wie unterschiedlich ein und dieselbe Situation bewertet werden kann. Leser sehen eigene Positionen bezüglich der Digitalisierung bestätigt - und gleichzeitig infrage gestellt. Eine Lektüre, die Sachbuchinhalte auf eine interessante Art vermittelt, gedacht für alle, die wissen möchten, wie digitale Kommunikation den Unternehmenserfolg beeinflusst - und ganz besonders für Menschen, die den Einsatz elektronischer Arbeitsmittel in ihren Unternehmen verantworten.

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Inhalt

Die Wette

Jahr 1 | Aller Anfang ist (nicht) schwer

Jahr 2 | Wie definiert sich Erfolg?

Jahr 3 | Erste Zweifel

Jahr 4 | Der Sieger ist …

Leseprobe „Management by E-Mail“

Personen und Unternehmen

Artel Corp.

Amerikanisches Unternehmen in der Elektronikbranche, versuchte, den E-Mail-freien Freitag einzuführen

Aufsetzer, Theodor

Aufsichtsratsvorsitzender der Astrall AG, Vorgänger von Hans-Peter Neurath

Bannert, Timo

Vorstand der Astrall AG, zuständig für IT (CIO)

Berger, Sebastian

Fahrer des Astrall-Vorstandsvorsitzenden Hans-Peter Neurath

Bohn, Kevin

Team-Mitglied im MillTech-Akquisitionsteam, Workaholic

Breitschwert, Stephan

Redner, hält Vorträge über die „Digitale Herausforderung“

BrightFuture

Investment-Unternehmen das u.a. MillTech besitzt

Hofer, Ruth

Sekretärin des Astrall-Vorstandsvorsitzenden Hans-Peter Neurath

Helmwein, Clemens

Vorstandsassistent des Astrall-Vorstandsvorsitzenden Hans-Peter Neurath

Heuberger, Bernd

Geschäftsführer der Mahler GmbH, Ulm

Jäckel, Udo

Projektmanager bei Mahler, wechselt zu ProfiPack

Johannsen, Anja

Finanzvorständin der Astrall AG, Hans-Peter Neuraths designierte Nachfolgerin,

Verfasserin der Voice-to-text-blogs

Kuhn, Christoph

Geschäftsführer der ProfiPack GmbH, Neu-Ulm

Mahler-Verpackung GmbH

Verpackungsmaschinenhersteller für Pharmaindustrie aus Ulm, von Bernd Heuberger geleitet

MillTech Corp.

Von BrightFuture gehaltener amerikanischer Mischkonzern, zu dem das Verpackungsmaschinenunternehmen MillPack gehört

MillPack Inc.

Tochtergesellschaft des amerikanischen Mischkonzerns MillTech Corp. Fehlendes Element, um aus den Verpackungsmaschinen-Töchtern des Astrall-Konzerns einen Global Player zu machen

Neurath, Hans-Peter

Vorstandsvorsitzender der Astrall AG,

Schreiber des Tagebuchs

Neurath, Robin

Sohn des Astrall-Vorstandsvorsitzenden Hans-Peter Neurath, Student

Neurath, Ulrike

Ehefrau des Astrall-Vorstandsvorsitzenden Hans-Peter Neurath, Arbeitspsychologin, an Universität tätig

ProfiPack GmbH

Verpackungsmaschinenhersteller für Lebensmittelindustrie, Neu-Ulm. Ging aus Mahler GmbH hervor. Wird von Christoph Kuhn geleitet

Reichelt, Anina

Leiterin Konzernkommunikation der Astrall AG

Seufzer, Silvia

Sekretärin der Vorständin Anja Johannsen

Stattmann GmbH

Wichtiger Kunde der Mahler GmbH, der zunächst die technische Abnahme einer Verpackungsstraße verweigert

Steinmännle, Prof.

Professor an der Universität München, wird von Hans-Peter Neurath mit einer Studie beauftragt

Tatjana

Studienkollegin von Anja Neurath. Soziologin

WGT SE

Deutscher DAX-Konzern, hat die E-Mail-Server in der Freizeit gesperrt

Wollschläger, Prof.

Professor der Kommunikationswissenschaften, führt für Anja Johannsen eine Studie durch

Zannoni, Franziska

Vorständin der Astrall AG, zuständig für Personal

Zeitlinger, Peter

Team-Mitglied im MillTech-Akquisitionsteam, Workaholic

Die Wette

Donnerstag, 22. September

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Dass meine Tage als Vorstandsvorsitzender in knapp fünf Jahren vorbei sein werden kann ich akzeptieren, ebenso, dass meine designierte Nachfolgerin bereits an Bord ist. Ich kann sogar damit leben, dass ich diese Quotenfrau auf ihre künftige Aufgabe vorbereiten soll. Was ich nicht durchgehen lassen kann, ist die fehlende Professionalität, die Anja Johannsen an den Tag legt. In der Vorstandsrunde hat ihr Smartphone heute ständig vibriert und ich wette, auch ihr aufgeklapptes Notebook hat nicht nur Finanzdaten gezeigt. Sie hat ständig auf dem Touchpad herumgespielt und ein paar Mal sogar getippt. In der Pause verschwand sie dann mitsamt ihren Geräten. Weder ihre steile Karriere noch ihre jungen Jahre rechtfertigen eine solche Unhöflichkeit. Ich werde das unter vier Augen thematisieren müssen.

Freitag, 23. September

Sprache-zu-Text-Blog Anja Johannsen:

Ich fass’ es nicht! Hans-Peter wollte mich doch tatsächlich darüber „aufklären“, wie ich meinen Job zu machen habe. Nicht den als Finanzvorständin der Astrall SE wohlgemerkt, sondern den als Führungskraft. Seiner Meinung nach kommuniziere ich erstens zu viel und zweitens zu viel elektronisch. Wie bitte? Kommunikation gehört nun wirklich zu den Kernaufgaben einer Managerin – eine Aufgabe, der sich Hans-Peter übrigens über weite Strecken verweigert. Zumindest was die direkte Mitarbeiter-Kommunikation angeht, da ist er völlig passiv. Hans-Peter hat weder eine Seite im Astrall-internen Sozialen Netzwerk noch postet er Beiträge. Bei ihm läuft die gesamte Mitarbeiterkommunikation gefiltert über die Kommunikationsabteilung. Das ist echt finsteres Mittelalter. Heute wollen Mitarbeiter auch mit ihrem Top-Management im direkten Austausch stehen. Anlass für Hans-Peters Auftritt als Oberlehrer war offensichtlich, dass ich gestern während des Meetings Messages und ein paar Artikel im Intranet gelesen habe. Dabei nutzte ich lediglich Leerzeiten. Ich sehe nicht ein, am Abend eine Dreiviertelstunde länger im Büro zu bleiben, wenn ich die Arbeit während der Diskussion um Themen erledigen kann, die mich ohnehin nicht betreffen.

Sonntag, 25. September

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Robin war übers Wochenende zu Hause. Ulrike kochte für unseren Sohn groß auf. Beim Essen erzählte ich von Anja Johannsens Online-Manie. Robin ergriff sofort Anjas Partei. Er sagte, Anja wäre eben eine moderne Managerin. Das würde jemand wie ich, der noch mit Sekretärin, Diktaphon, Kalendern und Notizbüchern arbeitet, natürlich nicht verstehen. Mit meiner antiquierten Arbeitsweise würde ich es bei Astrall heutzutage nicht einmal mehr zum Gruppenleiter bringen. Was glaubt Robin denn eigentlich? Nur weil er BWL studiert, hat er noch lange keine Ahnung davon, was einen Manager wirklich erfolgreich macht! So ein Ignorant!

Sprache-zu-Text-Blog Anja Johannsen:

Ich ärgere mich immer noch über unseren Herrn Vorstandsvorsitzenden. Weiß Hans-Peter wirklich nicht, dass sein Vertrag vor allem wegen seiner veralteten Denke ausläuft? Ohne Frau Hofer, seine Sekretärin, wäre Hans-Peter hilflos. Ich bezweifle, dass er mit dem Smartphone mehr als telefonieren kann. Dabei ist er erst Ende fünfzig! Theodor Aufsetzer mit seinen siebzig Jahren beherrscht dagegen die modernen Technologien aus dem Effeff. Deshalb wird Aufsetzer wohl den Aufsichtsrat noch immer leiten, wenn Hans-Peter schon lange in Rente ist. Jedenfalls will ich diese Zurechtweisung nicht auf mir sitzen lassen. Morgen werde ich mit Hans-Peter darüber sprechen.

Montag, 26. September

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Anja Johannsen denkt nicht daran, ihren Arbeitsstil zu ändern. Sie hält ihn für zeitgemäß und effizient. Wenn sie in Meetings E-Mails lese, störe das außer mir niemanden. Diesem aus ihrer Sicht nicht existierenden Nachteil stünden angeblich unzählige Vorteile gegenüber. Beispielsweise habe sie aus unserem Vorstandsmeeting heraus am Freitag noch rechtzeitig eine Aktion stoppen können, die Astrall sonst einige hunderttausend Euro gekostet hätte. Das mag schon sein, ich denke aber trotzdem, dass mein Arbeitsstil erfolgreicher ist als dieses Always-on-Getue, das Anja in den Vorstand gebracht hat. Fragt sich nur, wie ich ihr das vermitteln kann.

Mittwoch, 28. September

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Frau Hofer hat bei ihrer Kollegin, Anjas Sekretärin, recherchiert. Laut dieser bearbeitet Anja alle ihre elektronischen Nachrichten eigenhändig – massenhaft, auch in der Freizeit und im Urlaub. Anjas Sekretärin beklagt, dadurch vieles nicht mitzubekommen, was ihre Chefin macht. Anja ist zudem im Astrall-internen sozialen Netz aktiv, pflegt ihr Profil selbst und postet ständig Nachrichten. Ihren firmeninternen Tweet haben angeblich einige tausend Mitarbeiter abonniert. Wusste überhaupt nicht, dass dort außer der Personalabteilung noch irgendjemand etwas veröffentlicht! Wobei laut Tim Bannert die neuen Technologien allgemein nur recht wenig genutzt werden. Gegenüber Tim Bannert hat Anja bereits mehrmals den Wunsch nach WhatsApp im Konzern geäußert. Fragt sich, ob sie mit diesem Verhalten wirklich für den Posten der Vorstandsvorsitzenden taugt. Wer auf ihrer Hierarchieebene derart viel Zeit mit Tippen verbringt, verzettelt sich schnell im Kleinkram und verliert den Gesamtüberblick. Davon, dass dann die Zeit für wirklich Wichtiges fehlt, ganz zu schweigen. Vielleicht sollte ich Theodor Aufsetzer auffordern, die Nachfolge-Entscheidung noch einmal zu überdenken. Wobei Aufsetzer wahrscheinlich nicht zuhören wird. Der hat sich regelrecht in Anja verguckt. Ist immer noch stolz, dass er sie zu Astrall holen konnte.

Freitag, 30. September

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Habe mich heute bei unserer Personalvorständin erkundigt, ob jene jungen Mitarbeiter, die sparsamer mit modernen Kommunikationsmitteln arbeiten, erfolgreicher sind als jene, die ständig an Smartphone und E-Mail hängen. Franziska Zannoni meinte, das könne sie nicht beantworten, weil es solche jungen Mitarbeiter schlichtweg nicht mehr gebe. Alle Jungen nutzten E-Mail, Messaging etc. intensiv. Das gehört jetzt anscheinend zur Grundausstattung neuer Mitarbeiter. Meine Frage, wer denn im Konzern für die E-Work- und E-Communication-Kultur zuständig sei, hat Franziska zunächst nicht verstanden. Dann meinte sie, das müsse im Verantwortungsbereich von Timo Bannert liegen. Als CIO habe er alle Themen rund um die Informationstechnologie unter sich.

Montag, 3. Oktober

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Auch Timo Bannert wusste mit dem von mir erfundenen Begriff „E-Work- und E-Communication-Kultur“ nichts anzufangen. Als ich ihm erklärte, dass ich damit eine einheitliche, effiziente und vor allem effektive Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel im Konzern meine, winkte er ab. Damit habe er nichts zu tun. Er stelle lediglich moderne Kommunikations-Systeme bereit. Was die einzelnen Fachbereiche und Mitarbeiter damit machten, liege in deren Verantwortung. Mein Versuch bei Anina Reichelt von der Konzernkommunikation lief ebenso ins Leere. Sie fühlt sich nur für das Bespielen der offiziellen Kommunikationskanäle (Website, Intranet, ...) zuständig. Dafür, wie unsere Mitarbeiter untereinander und mit der Außenwelt kommunizieren, sei sie nicht verantwortlich. Eine zentrale Steuerung sei auch gar nicht möglich. Bei der elektronischen Kommunikation würde jeder Mitarbeiter traditionell nach eigenem Gusto verfahren. Ich halte fest: Bei Astrall kümmert sich niemand um eine übergreifende Kommunikationskultur. Jeder Mitarbeiter macht im Endeffekt, was er will. Frage: Kann es Astrall wirklich gleichgültig sein, wie und was die Mitarbeiter kommunizieren? Ist jeder Arbeitsstil für unsere Ziele gleich gut geeignet? Ich glaube nicht! Falls aber doch: Sollte es trotzdem einen einheitlichen Standard geben? Beim Straßenverkehr ist es ja auch prinzipiell gleichgültig, ob auf der linken (England) oder rechten Straßenseite (Kontinent) gefahren wird. Aber es wäre extrem ineffizient und unsicher, wenn jeder einzelne Autofahrer entscheiden dürfte, auf welcher Seite er gerade fährt. Deshalb ist auch noch kein einziger Staat auf die hirnrissige Idee gekommen, den Fahrern diese Entscheidung zu überlassen. Bei der elektronischen Kommunikation tut Astrall das aber offensichtlich.

Mittwoch, 5. Oktober

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Die Sache mit dem Arbeitsstil lässt mich nicht mehr los. Ich bin davon überzeugt, dass die sogenannte „moderne Arbeitsweise“ schlecht für Astrall ist. Meine Art zu arbeiten dagegen wurde bereits von meinen Vorgängern perfektioniert. Sie hat den Wirtschaftsaufschwung Deutschlands zustande gebracht und auch in meiner Vorstandsägide Astralls Börsenwert mehr als verdreifacht. Braucht es mehr Beweise? Astrall könnte einen Quantensprung machen, wenn sich unsere Mitarbeiter – gegen den Trend – an meinem Arbeitsstil orientieren würden, anstatt sich von den elektronischen Kommunikationsmitteln treiben zu lassen. Dazu müsste allerdings Anja als künftige Chefin einsehen, dass sie auf dem falschen Weg ist. Ich habe keine Ahnung, wie ich sie davon überzeugen soll. Anja ist auf diesem Auge total blind. Sie hat mit ihrem Arbeitsstil Karriere gemacht und hält ihn für überlegen. Und das Team, das sie zu Astrall mitgebracht hat, bestärkt sie darin. Jeder darin ist praktisch mit seinen elektronischen Geräten zusammengewachsen. Ich muss auch zugeben, dass sie einiges bewegen.

Donnerstag, 6. Oktober

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Hatte diese Nacht eine geniale Idee! Werde Anja beweisen, dass man mit diesem Immer-mit-allen-vernetzt-und-im-Austausch-Sein-Unsinn weniger zustande bekommt als mit meinem Arbeitsstil. Bin gespannt, ob sich Anja darauf einlässt. Das Ganze soll bei der Mahler GmbH und der ProfiPack GmbH über die Bühne gehen. Die sind etwa gleich groß, in ähnlichen Märkten aktiv und – das Beste von allem – sie brauchen gerade beide neue Geschäftsführer. Das ist eine einmalige Gelegenheit! Kandidaten habe ich auch schon im Auge! Freue mich diebisch auf das Ganze. Natürlich darf das auf keinen Fall bekannt werden.

Sprache-zu-Text-Blog Anja Johannsen:

Ich bin entsetzt. Und unglücklich darüber, dass ich in diese Geschichte hineingeraten bin. Hier die Details: Hans-Peter Neurath hat mir heute eine verquere Wette angeboten. Er will zwei Ulmer Tochterunternehmen mit ausgewählten Geschäftsführern besetzen. Einer soll so altmodisch arbeiten wie er selbst und der andere soll zeitgemäß agieren. So will er herausfinden, welcher Arbeitsstil der erfolgreichere ist. Und er will mit mir darauf wetten, dass „sein“ Kandidat, also derjenige mit dem von ihm bevorzugten Arbeitsstil, die besseren Ergebnisse erzielt. Hans-Peter dachte an zwei Leute aus dem High-Potential-Pool, Max Heuberger und Stephanie Hermessen. Heuberger ist ein modern arbeitender Manager und als solcher rund um die Uhr für das Unternehmen erreichbar. Frau Hermessen dagegen versucht als alleinerziehende Mutter ihre Aufgaben innerhalb der täglichen Arbeitszeit zu erledigen. Sie limitiert ihre Erreichbarkeit sowohl im Unternehmen als auch in der Freizeit, was sie natürlich benachteiligt. Ich habe diese Kandidatenauswahl abgelehnt. Mann gegen Frau geht gar nicht. Wenn Frau Hermessen sich im Laufe der Wette als weniger erfolgreich erweist, was zwingend passiert, wenn sie nicht so viele Stunden wie ihr Konkurrent einsetzen kann und zudem von Hans-Peter zu einer antiquierten Arbeitsweise gezwungen wird, dann begründet Hans-Peter das im Nachgang sicherlich mit unterschiedlichen Kommunikationsstilen von Frauen und Männern.

Ich fand mich plötzlich in einer Diskussion über die optimalen Kandidaten wieder. Hans-Peter nahm das als eine implizite Zustimmung zu seinem Wettvorschlag und mir gelang kein eleganter Rückzug. Ich war kurz versucht, Stefanie Salzer anstelle von Heuberger zu positionieren. Sie ist das Musterbeispiel einer modern arbeitenden Frau. Das wäre eine gute Möglichkeit gewesen, gleich zwei Frauen in verantwortliche Positionen zu hieven. Aber ich hatte Skrupel. Zumindest für eine geht die Wette schlecht aus - wahrscheinlich sogar für beide. Ich will keine Frauen verbrennen, wir haben ohnehin zu wenige passende Kandidatinnen für Top-Management-Positionen. Wir einigten uns deshalb letztendlich auf zwei Männer, Max Heuberger und Christoph Kuhn. Kuhn hat sich bei einer Diskussion im High-Potential-Pool dahingehend geoutet, dass er sein Handy am Wochenende ausschaltet. Ich bezweifle aber, dass das reicht, um Hans-Peters Vorstellung von „effektivem Arbeitsstil“ zu erfüllen. Insgesamt fühle ich mich unwohl. Man spielt nicht mit Menschen. Komme ich da noch einmal heraus?

Freitag, 7. Oktober

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Anja findet meine Idee interessant. Sie würde auf Heuberger setzen, aber nur, wenn ein Mann gegen ihn antritt. Habe also Christoph Kuhn anstelle von Frau Hermessen benannt. Anja will außerdem entscheiden dürfen, in welches der beiden Unternehmen Heuberger gehen soll. Sie verlangt ein paar Tage Bedenkzeit, weil sie die Unternehmen nicht kennt. Kein Wunder. Die Mahler GmbH und die ProfiPack GmbH gehören nicht zum Kerngeschäft.Habe Frau Hofer beauftragt, Anja die Eckdaten der Firmen zu schicken.

Montag, 10. Oktober

Sprache-zu-Text-Blog Anja Johannsen:

Ich habe mir die beiden Ulmer Unternehmen angesehen. Beide stellen Verpackungsmaschinen her, Mahler für die pharmazeutische Industrie und ProfiPack für die Lebensmittelindustrie. Obwohl ProfiPack in einem anderen Markt tätig ist, werden die ProfiPack-Leute von Mahler-Mitarbeitern als „Verräter“ und „Ideendiebe“ bezeichnet, weil ProfiPack in den siebziger Jahren von drei abtrünnigen Mahler-Konstrukteuren gegründet wurde. Neid spielt wahrscheinlich auch eine Rolle, weil sich ProfiPack als innovativer und schneller erwies und aktuell etwa 300 Mitarbeiter mehr beschäftigt als Mahler.

Dienstag, 11. Oktober

Die Wette

Anja wettet, dass Max Heuberger mit seiner Mahler GmbH erfolgreicher sein wird als Christoph Kuhn mit seiner ProfiPack GmbH, sofern ihm erlaubt wird, seinen „Always-on“-Kommunikationsstil im gesamten Unternehmen zu etablieren (während das Christoph Kuhn und ProfiPack verwehrt wird). Ich wette dagegen und behaupte, dass Christoph Kuhn mit ProfiPack erfolgreicher als Heuberger sein wird, wenn er sich eher auf bewährte Arbeitsprinzipien stützt.

Bewertet werden die Dimensionen

Prozentuales UmsatzwachstumMitarbeiterzufriedenheitInnovationsrateUnternehmerische Agilität

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Anja ist für Überraschungen gut! Sie will Max Heuberger mit der behäbigen Mahler GmbH und nicht mit der innovationsfreudigen ProfiPack GmbH ins Rennen schicken. Bei ProfiPack hätte sie sicherlich leichter nachweisen können, dass sich moderne Medien positiv auf die Performance auswirken. Zumal ProfiPack auch wirtschaftlich besser dasteht. Aber wenn Anja sich die Sache schwer machen will, soll es mir recht sein.

Die Wette ist jedenfalls finalisiert. Sie läuft bis sechs Monate vor Ende meines Vertrags, also knapp vier Jahre. Wenn ich gewinne, geht Anja für eine Woche ohne Handy und Laptop in ein Schweigekloster. Verliere ich, muss ich das jährliche internationale Management-Meeting außerhalb Deutschlands stattfinden lassen. Ich weiß zwar, dass Anja das Meeting nach meinem Weggang künftig ohnehin ins Ausland verlagern wird, aber mir ist die Zustimmung trotzdem schwergefallen. Dieses ganze „International Identity“- und „Diversity-&-Inclusion“-Gerede ist mir fast so suspekt wie die Always-on-Geschichte. Wie dem auch sei: Freue mich schon, Anja Johannsen in ein Kloster verschwinden zu sehen.

Mittwoch, 12. Oktober

Sprache-zu-Text-Blog Anja Johannsen:

Es ist mir nicht gelungen, aus der Wette auszusteigen. Ich konnte aber durchsetzen, dass wir nur die puren Fakten und die aus den jeweiligen Arbeitsstilen entstehenden Vorteile beurteilen, nicht aber die Nachteile. Ich habe keine Lust, mir ständig anzuhören, dass moderne Medien Nachteile haben. Das mag ja sein, aber die Vorteile überwiegen einfach dramatisch.

Freitag, 14. Oktober

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Habe Theodor Aufsetzer mitgeteilt, dass ich bei der Besetzung der beiden Ulmer Geschäftsführerpositionen meine Finger im Spiel haben werde. Hatte mir eine schöne Begründung dafür zurechtgelegt. War aber gar nicht nötig.

Sonntag, 16. Oktober

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Heute gegen Mittag habe ich Frau Hofer angerufen und ihr eine E-Mail an Heuberger und Kuhn diktiert. Sie sollen sich mit aussagekräftigen Unterlagen für die Geschäftsführerpositionen bewerben. Die E-Mail an Heuberger ging sofort raus. Die E-Mail an Kuhn schickt sie morgen früh. Mal schauen, ob unser Herr Heuberger wirklich auch sonntags „always-on“ ist. Kuhn dagegen will ich erst gar nicht auf den Gedanken bringen, er müsse am Wochenende in seine E-Mails schauen.

Habe Ulrike von meinem kleinen Experiment erzählt. Sie meinte, das wäre wieder mal „ein typischer Neurath“. Hat mich gefragt, was ich davon erwarte. Ein wissenschaftlich fundiertes Ergebnis käme da niemals raus. Ein wissenschaftlich fundiertes Ergebnis!!! Es hat schon seine Gründe, weshalb Ulrike an der Uni geblieben ist und ich in die Wirtschaft gegangen bin.

Montag, 17. Oktober

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Unglaublich, Heuberger scheint wirklich ständig online zu sein! Seine ausgedruckten Bewerbungsunterlagen lagen bereits heute Morgen auf meinem Schreibtisch, abgeschickt gestern um 17:21 Uhr. Und das bei diesem traumhaften Wetter! Was seine Frau wohl dazu gesagt hat? Auch wenn ich es ungern zugebe: Die schnelle Reaktion hat mich beeindruckt. Kuhn hat zwar auch bereits fünf Stunden nach dem Erhalt der E-Mail seine Unterlagen geschickt – also nicht länger zum Abgeben gebraucht als Heuberger – aber nachdem ich Heubergers Unterlagen schon so lange auf dem Tisch hatte, wirkte Kuhns Reaktion recht spät. Seltsam, diese Wahrnehmung.

Dienstag, 18. Oktober

Sprache-zu-Text-Blog Anja Johannsen:

Hans-Peter rafft es einfach nicht. Er wunderte sich doch tatsächlich darüber, dass Heuberger auch am Wochenende arbeitet. Hans-Peter unterscheidet offenbar immer noch stark zwischen „Arbeiten“ und „Leben“. Dabei sind das heute überhaupt keine Gegensätze mehr. Arbeit ist kein Gegenpol zum Leben, sondern ein wichtiger Teil davon – auch in der Zeit, die Hans-Peter als Freizeit bezeichnet. Auf der anderen Seite ist es natürlich vollkommen in Ordnung, während der offiziellen Arbeitszeit Privates zu erledigen. Aber das ist offensichtlich jenseits der Vorstellungskraft unseres geehrten Vorstandsvorsitzenden.

Freitag, 21. Oktober

Sprache-zu-Text-Blog Anja Johannsen:

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Anja hat auf einem Server eine Datenbank angelegt, in die wir Beobachtungen zur „Unternehmerischen Agilität“ eintragen können (das hat sie wirklich SELBST gemacht!!! Sie meinte, es wäre aufwändiger, es der Sekretärin zu erklären, als es schnell mal selbst zu erledigen). Anja hat sogar eine Graphik programmiert (auch SELBST! Dass die so etwas kann!!). Sie wollte mir beibringen, wie ich Beobachtungen und Werte in die Datenbank eintragen kann. Ich habe aber lieber Frau Hofer dazugeholt. Nachher hat sich Anja verwundert darüber geäußert, dass ich Frau Hofer damit über unsere Wette in Kenntnis gesetzt hätte. Schließlich sei unser privates Experiment ein recht sensibles Thema. Irgendwie leben Anja und ich doch in unterschiedlichen Welten. Wenn Frau Hofer plaudern würde, könnte mich das in mehreren Fällen meinen Job kosten – zumindest aber den Astrall-Kurs deutlich nach oben oder unten treiben. Im Vergleich dazu ist die Wette wirklich belanglos. Wie kann Anja bloß ihren Job erledigen, ohne ihrer Sekretärin absolut zu vertrauen? Mir ein völliges Rätsel! Vielleicht macht sie aber ihren Job auch gar nicht so richtig? Ich muss ihr künftig etwas mehr auf die Finger schauen.

Montag, 24. Oktober

Sprache-zu-Text-Blog Anja Johannsen:

Ich weiß nicht genau, ob ich total entsetzt oder doch auch fasziniert bin. Hans-Peter hat die Personalvorständin beauftragt, alle Konzern-Mitarbeiter zu ihrer aktuellen Arbeitszufriedenheit zu befragen. Franziska Zannoni war begreiflicherweise verwundert, da die nächste reguläre Befragung erst in einem Jahr ansteht. Hans-Peter Neurath hat dann irgendetwas über die Gefahr von Abwerbung in der aktuellen Konjunkturlage erzählt. Unglaublich, dabei geht es ihm doch ausschließlich um die Ausgangsbasis für unsere Wette. Er befragt tatsächlich fast 200.000 Mitarbeiter, nur um herauszubekommen, was etwas mehr als 2.000 denken. Eine derartig freche Maßnahme zur Geldverbrennung kann nur einem Machtmenschen wie Hans-Peter einfallen.

Donnerstag, 17. November

Tagebuch Hans-Peter Neurath:

Hatte heute die neuen Geschäftsführer von Mahler und ProfiPack bei mir. Jeden für sich, versteht sich. Max Heuberger habe ich gesagt, er sei als Geschäftsführer gewählt worden, weil sein Umgang mit den neuen Medien der Schlüssel für Astralls Zukunft sei. Ich habe ihm klar gemacht, dass er „den trägen Haufen bei Mahler in das neue Zeitalter bringen“ und dort „endlich mit der 9-to-5-Mentalität aufräumen“ müsse. Der Termin mit ihm war nach zehn Minuten vorüber. Alles weitere, so sagte ich ihm, könnten wir ja per E-Mail erledigen. Kuhn habe ich das mit E-Mail natürlich nicht gesagt. Stattdessen habe ich ihm eine ganze Stunde gewidmet. Ihm gegenüber bezeichnete ich die „ständige Erreichbarkeit und ununterbrochene Kommunikation“ als „echtes Krebsgeschwür“ und den „größten Produktivitätskiller“. In ihm würde ich den richtigen Mann sehen, bei ProfiPack „ordentlich aufzuräumen“. Die Leute sollten „lieber wieder etwas mehr arbeiten, als ständig zu kommunizieren und sich vor der Arbeit zu drücken“. Habe sowohl Kuhn als auch Heuberger danach zu Anja geschickt. Offiziell wurden ProfiPack und Mahler nämlich von mir aufgrund ihrer geographischen Nähe zu München dazu ausgewählt, Anja in Vorbereitung auf ihre künftige VV-Rolle in den nächsten Jahren Einblicke in die operativen Tätigkeiten von Tochtergesellschaften zu geben. Heuberger gegenüber habe ich angedeutet, er könne versuchen, Anja als Mentorin zu nutzen, da sie ähnlich „modern und technologieorientiert“ sei wie er. Kuhn habe ich gesagt, dass ich nötigenfalls als Mentor bereitstehe. Das Feld ist also aufgebaut. Das Spiel kann beginnen!

Sprache-zu-Text-Blog Anja Johannsen:

Heuberger und Kuhn haben sich vorgestellt. Beide nette, kompetente und engagierte Mitarbeiter. Heuberger war richtig begeistert, dass Hans-Peter ihm alle Freiheiten zusichert, um Mahler technologisch auf den neuesten Stand zu bringen. Er hat mir auch sofort Kontaktangebote auf Xing und LinkedIn geschickt. Kuhn dagegen kam mir reserviert vor. Er scheint Hans-Peters Vorgaben nicht besonders reizvoll zu finden. Kein Wunder. Er hat von Anfang an verloren. Er tut mir wirklich leid.

Jahr 1

Aller Anfang ist (nicht) schwer

Donnerstag, 1. Dezember