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Liebenswerte Chaotin mit einer Vorliebe für Schokolade trifft auf gefährlich heißen Sportagenten – köstlicher war »Enemies-to-Lovers« noch nie!
Rorys größter Wunsch ist es, als Chocolatiere in ihrem eigenen Laden zu arbeiten. Doch der Traum liegt in weiter Ferne, das liebe Geld … Auf einer Party zu Ehren ihres Bruders Clint, einem millionenschweren Football Star, schaut sie sehr tief ins Glas und landet mit einem gefährlich attraktiven Mann im Hotelbett – der am nächsten Morgen spurlos verschwunden ist, dafür 500 Dollar da gelassen hat – was ein Idiot! Durch Zufall treffen sie sich wieder, und Rory wird klar: Der Idiot namens Brett ist der Agent ihres Bruders. Und dann wird Clint des Mordes verdächtigt, und Rory und Brett müssen zusammenarbeiten, um seine Unschuld zu beweisen. Und diese Zusammenarbeit gestaltet sich durchaus auch romantisch ...
Heiße Footballer und starke Frauen: Die erfolgreiche »Chicago Stars«-Reihe begeistert!
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Seitenzahl: 521
Rorys größter Wunsch ist es, als Chocolatière in ihrem eigenen Laden zu arbeiten. Doch der Traum liegt in weiter Ferne, das liebe Geld … Auf einer Party zu Ehren ihres Bruders Clint, einem millionenschweren Footballstar, schaut sie sehr tief ins Glas und landet mit einem gefährlich attraktiven Mann im Hotelbett – der am nächsten Morgen spurlos verschwunden ist, dafür 500 Dollar dagelassen hat –, was ein Idiot! Durch Zufall treffen sie sich wieder, und Rory wird klar: Der Idiot namens Brett ist der Agent ihres Bruders. Und dann wird Clint des Mordes verdächtigt, und Rory und Brett müssen zusammenarbeiten, um seine Unschuld zu beweisen. Und diese Zusammenarbeit gestaltet sich durchaus auch romantisch …
Susan Elizabeth Phillips ist eine der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Von ihren Fans heiß geliebt für ihre wunderbar romantischen und humorvollen Romane – aber auch für ihre Nähe zu den Leserinnen –, begeistert sie seit über 30 Jahren die ganze Welt und erobert mit ihren Büchern regelmäßig die Bestsellerlisten. Auch die deutschen Leserinnen warten ungeduldig auf jeden neuen Roman. Die Autorin hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Chicago, steigt aber auch gern in ein Flugzeug, um die Welt zu bereisen – und ihre Fans in den verschiedensten Ländern persönlich zu treffen.
Susan Elizabeth Phillips
Roman
Deutsch von Claudia Geng
Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel »Simply the Best« bei Avon Books, an imprint of HaperCollins Publishers, New York.
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Copyright © der Originalausgabe 2024 by Susan Elizabeth Phillips
Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe
by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: René Stein
Umschlaggestaltung: www.buerosued.de
Umschlagmotiv: © Rosie Hardy / Trevillion Images; www.buerosued.de
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
LH ∙ Herstellung: DiMo
ISBN 978-3-641-28348-3V002
www.blanvalet.de
Für Vicky Joseph, geschätzte Freundin und Lichtgestalt, die mit ihrer Vision und harten Arbeit das Leben von unzähligen Familien bereichert hat.
Rory streckte ihr Bündel vor. »Hallo, Lady, möchtest du einen kleinen Jungen? Du kannst ihn umsonst haben.«
»Kind, woher hast du dieses Baby?«
»Ich hab es gefunden in einem … in einem Gebüsch. Es schreit ganz wenig. Er ist wirklich brav, und du musst nichts dafür bezahlen. Du kannst es einfach mitnehmen.«
Aber statt Rorys kleinen Bruder zu nehmen, rief die Frau die Polizei.
Rory war schon etwas betrunken, denn es war ihr gutes Recht, sich zu betrinken, und jeder, der sie dafür verurteilen wollte, konnte zur Hölle fahren. Nicht dass jemand auf dieser Party sich ein Urteil erlauben sollte. »Julia«, sagte sie zu dem Mann, der sich auf dem Hotelbalkon zu ihr gesellt hatte, und streckte ihre Hand vor. »Wie in Capulet.«
»Darth«, erwiderte er. »Wie in Vader.«
Seine Stimme war herrlich rau, sein Lächeln seidig, und zu ihrer Überraschung hörte Rory sich lachen. »Sagen Sie, Mr. Vader, sind Sie wirklich böse?«
Sein linker Mundwinkel zuckte nach oben, ein Mund mit schmalen, fein geschwungenen Lippen. »Es kommt darauf an, wen Sie fragen.«
»Ich frage Sie.« Sie hatte bereits drei hochprozentige Fruchtcocktails in sich hineingeschüttet, um ihren Unmut darüber zu tilgen, dass sie an einer Party teilnehmen musste, auf die sie nicht hingehörte. Ihr Schwips machte es ihr leicht, mit diesem arroganten, von sich selbst überzeugten, aber sehr verführerischen Mann zu flirten, der Footballerreichtum ausstrahlte, angefangen von seiner glänzenden Gelfrisur über seinen athletischen Körper bis zu seiner luxuriösen Armbanduhr.
»Ich beuge hin und wieder die Regeln.« Er berührte mit seiner Fingerspitze die rote Samtblüte in ihrem Haar. »Sagen Sie mir, dass Sie nicht wirklich dreizehn sind, Miss Capulet.« Sein Finger wanderte zu ihrer Wange.
Sie ließ ihn für einen Moment dort ruhen, bevor sie einen großen Schluck von ihrem vierten Cocktail trank. »Was denken Sie?«
»Ich denke, Sie haben die Dreizehn vor einer Weile hinter sich gelassen.«
Sie hatte die Dreizehn vor einundzwanzig Jahren hinter sich gelassen, darum konnte sie ihm die Bemerkung nicht übel nehmen. Sie schüttelte ihre honigblonde Lockenmähne wie ein Profi vor diesem supermaskulinen Mann. »Korrekt. Und was machen Sie so, Mr. Vader? Das heißt, wenn Sie nicht gerade die Jedi ausrotten.«
»Ich verdiene gutes Geld.«
»Wirklich?« Sein Blick war forsch und gefährlich, genau, was sie im Moment brauchte, und ihr alkoholbenebelter Verstand ließ es völlig angemessen erscheinen, dass sie über die Vorderseite seines Hemds streichelte. »Irgendwelche Tipps für mich, wie ich gutes Geld verdienen kann?«
Er schenkte ihr ein süffisantes Grinsen, das Knochen zum Schmelzen brachte. »Ich hätte da ein paar Ideen.«
Als Rory wieder zu sich kam, war sie allein, verkatert und nackt, abgesehen von der roten Samtblüte, die schief über ihrem Ohr hing, ihrem schwarzen Strapsgürtel und den Netzstrümpfen. Sie blinzelte in das trübe Straßenlicht draußen vor dem Fenster des Hotelzimmers, das sich, wie ihr noch schwach in Erinnerung war, im selben Flur befand wie die Partysuite. Nach zwei Jahren sexueller Besonnenheit war sie rückfällig geworden.
Sie glaubte, sich an ein Kondom zu erinnern, aber vielleicht auch nicht, und was, wenn er irgendeine schreckliche Krankheit hatte, die sich um Kondome nicht scherte? Das Zimmer drehte sich, genau wie ihr Magen. Sie hatte einen One-Night-Stand – etwas, das sie von ihrer Bucketlist streichen konnte, bloß dass er nie auf ihrer Bucketlist gestanden hatte –, aber sie war mies drauf gewesen und dumm, nicht sie selbst, und dieser aufgeblasene reiche Schnösel, dem der Ruhm offenbar zu Kopf gestiegen war, hatte die perfekte Ablenkung geboten. Nicht nur hatte sie eingewilligt – sie hatte ihn dazu noch ermutigt.
Auf der Party hatte es von schönen Frauen nur so gewimmelt, alle deutlich jünger als Rory, alle herausgeputzt in knappen Outfits und High Heels, mit seidig glatten langen Haaren, und jede von ihnen versuchte, die Aufmerksamkeit der versammelten Profisportler auf sich zu ziehen. Rory mit ihren vierunddreißig Jahren, ihren unbändigen Locken und dem klassischen knielangen Cocktailkleid, das nun in einer schwarzen Tüllpfütze auf dem Boden des Hotelzimmers lag, bildete eine Ausnahme, und doch hatte Vader sie aus der Menge herausgepickt.
Sie erinnerte sich vage, dass er wie ein Quarterback gebaut war, athletisch und breitschultrig. Seine Überheblichkeit und die Gelfrisur hätten sie in die Flucht schlagen müssen, stattdessen hatten sie ihrem beeinträchtigten Verstand irgendwie das Gegenteil signalisiert. Nun war sie hier, allein in einem fremden Hotelzimmer um drei Uhr nachts, und ihr Magen zog sich vor Selbstekel zusammen, weil sie mit einem Fremden geschlafen hatte, der sämtliche Eigenschaften besaß, die sie am meisten verabscheute – und der ziemlich sicher verheiratet war.
Stöhnend wankte sie ins Bad, hielt ihre Haare aus ihrem Gesicht und übergab sich ins Waschbecken. Sie spülte ihren Mund aus und spritzte sich Wasser ins Gesicht, während sie versuchte, nicht in den Spiegel zu schauen. Doch sie tat es trotzdem, sah die verschmierte Wimperntusche um ihre Augen, den ebenfalls verschmierten Lippenstift um ihren Mund und den Ausbruch von entfesselten Locken um ihren Kopf. Wenigstens war es draußen noch dunkel. Sie konnte sich heimlich aus dem Hotel schleichen und hoffen, dass ihr auf dem Weg niemand begegnete.
Ihre Hände waren mit einem Mal ungeschickt, ihr Kopf hämmerte, und sie brauchte eine Ewigkeit, um sich anzuziehen. Sie schnappte sich ihre Clutch aus rotem Satin, das Einzige, was sie von ihrer Mutter noch besaß – Bist du stolz auf mich, Mom? – und wandte sich zur Tür, aber auf dem Weg dorthin entdeckte sie etwas auf dem Tisch. Etwas, das dort nicht sein sollte.
Fünf Hundertdollarscheine.
Er hatte sie für eine Prostituierte gehalten.
Die Party neigte sich allmählich dem Ende zu. Die Kellner und der Barkeeper waren bereits gegangen, aber drei Paare und ein paar Einzelgäste hielten sich noch in der Suite auf. Clint Garrett, Brett Rivers’ wichtigster Klient, saß allein auf der Couch, den Kopf in seine Hände gestützt.
Brett hatte die Party heute Abend vorgeblich ausgerichtet, um Clints Geburtstag zu feiern, aber in Wirklichkeit wollte er das alte Verhältnis zwischen ihnen wiederherstellen, das unerwartet eine Delle bekommen hatte, weil Brett ein kleiner Irrtum unterlaufen war. Brett war es nicht gewohnt, Fehler zu machen. Fehler waren was für Verlierer. Aber Gewissensbisse genauso. Sieger brachten ihre Fehler in Ordnung und kamen gestärkt daraus hervor.
Brett überlegte, wie er das Gespräch mit Clint angehen sollte. Garrett war normalerweise ein Traumklient – gescheit und talentiert, mit einem untadeligen Charakter und einem Wurfarm, der ihn in eine Reihe stellte mit Robillard, Tucker, Brady und Manning. Der Vertrag mit dem Quarterback hatte Brett in eine aussichtsreiche Position gebracht, um zum Senior Vice President aufzusteigen, dem stellvertretenden Geschäftsführer von Champion Sports Management. Alles lief bestens, bis Brett versucht hatte, Clint zu warnen, dass seine aktuelle Freundin nur auf sein Geld aus war.
Brett besaß eine sehr gute Menschenkenntnis, sie war Teil seiner DNA. Aber in diesem Fall hatte er danebengelegen. Nicht nur hatte er Ashley Hart falsch eingeschätzt, er hatte außerdem unterschätzt, wie weit Clints Gefühle für sie gingen. Er hatte versucht zurückzurudern, aber seine Anschuldigung war ausgesprochen, und Clint wollte ihm nicht verzeihen, nicht einmal nachdem Ashley ihn verlassen hatte. Brett hatte die Frau verleumdet, der Clints Herz gehörte.
Brett hasste es, im Unrecht zu sein. Es widersprach allem, was er von sich kannte. Allem, worauf er seine Karriere aufgebaut hatte. Nun musste er den Schaden beheben.
Die Balkontür wurde von außen geöffnet, und Darius Beale, ein langjähriger Offensive Lineman der Chicago Stars, kam herein, seinen Arm um eine brünette Schönheit mit ellenlangen Beinen geschlungen. »Was geht ab, Mann?« Darius zeigte mit seinem Daumen auf Brett. »Laila, das ist Brett Rivers, mein persönlicher Barrakuda. Der beste Sportagent in der NFL.«
Brett schenkte Laila ein Lächeln, ziemlich sicher, dass es sich nicht um dieselbe Frau handelte, mit der der Footballer ursprünglich gekommen war. »Mit einem Klienten wie dem großartigen Darius Beale geht einem die Arbeit leicht von der Hand.«
Darius grinste. »Habe ich es dir nicht gesagt? Der River, Mann. Ein rasender, wilder Strom, schnell und tief. Erbarmungslos. Der Mann kennt keine Gnade. Wo hast du dich den ganzen Abend versteckt, Alter?«
»Ich musste mich um was Geschäftliches kümmern.« Sein Klient brauchte nicht zu wissen, dass mit »was Geschäftliches« eine unkonventionelle Frau mit einem pausbäckigen runden Gesicht und einer wilden honigblonden Lockenmähne gemeint war. Die exklusiven Escortagenturen in der Stadt bemühten sich offenbar darum, ihren Kunden mehr Vielfalt zu bieten.
Die Lady passte nicht in die Escort-Schublade, abgesehen von ihren knallrot geschminkten Lippen und ihrer Reizwäsche aus schwarzer Spitze. Sie war keine Zwanzigjährige, die sich als Begleitdame ihr Studium finanzierte, was ein dicker Pluspunkt war. Wahrscheinlich hatte er sie übers Ohr gehauen, weil er ihr lediglich fünfhundert Dollar dagelassen hatte, aber mehr Bargeld hatte er nicht bei sich.
Er hatte nie begreifen können, dass man für Sex bezahlte, aber es war eine harte Woche gewesen und schon lange her, dass er eine Frau in seinem Terminkalender unterbringen konnte. Und irgendetwas an Lockenköpfchen hatte seine zugegebenermaßen abgestumpfte Aufmerksamkeit geweckt.
Darius’ Freundin Laila entpuppte sich als eine angehende Wirtschaftswissenschaftlerin, die an der University of Chicago studierte. Während Brett mit den beiden plauderte, hatte er nebenher ein Auge auf Clint. Trotz der vielen schönen Frauen, die anwesend waren, hatte die Party seinen Schützling nicht aufgemuntert. Wenn überhaupt, wirkte er noch deprimierter, und Brett musste das in Ordnung bringen.
Er entschuldigte sich bei Darius und Laila und ging hinüber zur Couch, wo Clint immer noch gekrümmt dasaß und seinen Kopf in den Händen hielt. Brett versuchte, das Eis zu brechen. »Morgen sieht alles schon viel besser aus.«
Clint streckte sein leeres Glas vor, ohne seinen Kopf zu heben. »Hol mir noch einen.«
Brett gefiel Clints aggressiver Ton nicht. Ganz und gar nicht. Aber er schluckte seine Würde hinunter. »Sicher.«
Garrett war bereits betrunken, aber Brett war sein Berater, nicht seine Mutter, etwas, das er hätte bedenken sollen, bevor er Clint offenbarte, dass seine Freundin ziemlich sicher mehr an seinem Geld interessiert war als an seiner Person. Aber die Freundin hatte alles abgestritten und sich von Clint getrennt, wofür dieser Brett verantwortlich machte. Der Verlust seiner Glaubwürdigkeit gegenüber einem Klienten verursachte Brett kalte Schweißausbrüche. Bis jetzt wusste sein Chef noch nichts von dem Problem, und Brett war fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass er nie davon erfahren würde.
Er nahm ein Mineralwasser für sich selbst und goss einen Schuss Glenlivet in Clints Glas, das er anschließend mit ein paar Eiswürfeln und einer großzügigen Menge Wasser auffüllte. Als er den Drink umrührte, musste er an »Julia« denken, und er hoffte, dass sie inzwischen das Hotel verlassen hatte und nicht zurückgekehrt war, auf der Suche nach dem nächsten Kunden.
Brett hatte zusätzliche Zimmer gebucht für Partygäste, die zu betrunken waren, um nach Hause zu fahren, aber er hätte niemals erwartet, dass er selbst eins davon nutzen würde. Er war fünfunddreißig und zu diszipliniert für flüchtige Abenteuer. Seine Begegnung mit Julia war völlig untypisch für ihn. Aber sie versprach, eine nette Abwechslung zu sein, und er stand unter enorm viel Druck. In seiner Branche kam man nicht an die Spitze, indem man alles hinterfragte. Er würde sich ganz bestimmt keine Vorwürfe machen.
Brett kannte seine Stärken. Vielleicht war das arrogant, aber wer hatte jemals behauptet, dass Arroganz etwas Schlechtes sei? Er war klug, ehrgeizig und, wie Darius gesagt hatte, erbarmungslos, wenn er wusste, dass er im Recht war. Er besaß einen messerscharfen Instinkt, und er ging intelligenter vor und arbeitete härter als jeder andere. Nichts würde ihm in die Quere kommen. Bevor der Sommer vorüber war, würde er der neue Vizepräsident und Thronanwärter bei Champion Sports Management sein. Er musste nur das angeknackste Verhältnis zwischen ihm und einem der wichtigsten Klienten der Agentur reparieren.
Er trug den verwässerten Whisky zurück zur Couch. Clint nahm das Glas brummend entgegen. »Jetzt zufrieden?«
»Ich bin überhaupt nicht zufrieden. Ich weiß, wie sehr du sie geliebt hast.« Etwas, das er verdammt gern früher erkannt hätte.
»Ich liebe sie noch immer.« Clint starrte in sein Glas. »Sie ist schön und klug. Sie kennt sich mit Sport aus, sie ist witzig, und sie hat sich für meine Person interessiert, nicht nur für den berühmten Quarterback.« Seine Augen verdunkelten sich vor Zorn. »Mein Geld war ihr scheißegal!«
Touché. Dass Ashley Clint den Laufpass gegeben hatte, bewies, dass Brett sie falsch eingeschätzt hatte. Er hätte sich davor hüten sollen, sich in das Liebesleben eines Klienten einzumischen. Ashley war heiß, eine der schönsten Frauen, die ihm jemals begegnet waren, aber sie strahlte etwas Habgieriges aus, eine Anspruchshaltung, die ihn beunruhigte. Trotzdem, hätte er seinen Mund gehalten, wäre er jetzt nicht in dieser Situation. »Ich habe mich geirrt.« Die Worte waren Gift in seinem Mund.
»Verdammt richtig. Jetzt ist sie mit Karloh Cousins zusammen, der nicht halb so viel verdient wie ich.« Garretts blutunterlaufene Augen bekamen einen verschlagenen Ausdruck, eine Eigenschaft, die Brett niemals mit seinem gutmütigen Klienten in Verbindung gebracht hätte. »Hast du die beiden miteinander verkuppelt?«
Brett verlor nie seine Coolness, ganz gleich, wie sehr er provoziert wurde, aber er konnte sich kaum beherrschen. »Das würde mir niemals einfallen.« Cousins war ein Basketballprofi, der als Power Forward bei den Chicago Bulls spielte, ein toller Typ, aber, wie Clint betont hatte, nicht annähernd in derselben finanziellen Liga. Brett setzte sich auf die Couch und traute sich, seine Hand auf Clints robuste Schulter zu legen. »Ich will nur das Beste für dich. Das weißt du.«
»Du hast keine Ahnung, was das Beste für mich ist. Du glaubst es nur zu wissen.« Garrett schüttelte seine Hand ab. »Sie hat mich geliebt, aber sie konnte dem Druck nicht standhalten, als die Presse anfing, ihr auf Schritt und Tritt zu folgen, und sie von den Leuten ständig fotografiert wurde. Das hat sie wahnsinnig gemacht.« Seine Miene wurde bitter. »Du hättest dich um die Presse kümmern sollen. Du hättest Ashley den Rücken freihalten müssen.«
Brett wurde dafür bezahlt, das Leben seiner Klienten einfacher zu machen, aber seine Macht war begrenzt, was die Medien betraf. Trotzdem, hätte er von diesem Problem gewusst, hätte er etwas dagegen unternommen.
Clint rieb sich über den Bart, der im Gegensatz zu sonst ungepflegt wirkte. »Du kanntest sie nicht im Geringsten. Das dachtest du nur. Ich wollte mit ihr nach Las Vegas fliegen und ihr einen Heiratsantrag machen. Ich hatte schon den Ring besorgt und alles. So sicher war ich mir. Hat mich eine Viertelmillion gekostet.« Er rollte das Whiskyglas über seine Stirn. »An dem einen Tag war zwischen mir und Ashley noch alles gut. Am nächsten nicht mehr.«
»Ich hasse es, dich leiden zu sehen.«
Clint trank einen langen, bedächtigen Schluck von seinem Whisky. »Wenn du dich in ihr so krass getäuscht hast, worin hast du dich noch getäuscht?« Ohne Vorwarnung zog er seinen Vierunddreißig-Millionen-Dollar-Wurfarm zurück und schleuderte sein Glas quer durch den Raum, wo es an der Wand zerschellte, sodass die anderen Gäste erschrocken zu ihnen herüberblickten. »Du und ich. Wenn das Vertrauen einmal beschädigt ist, was bleibt dann noch übrig?«
Bretts gewöhnlich eiserner Magen zog sich zusammen. Das hier lief schlecht, viel schlechter, als er erwartet hatte.
Garrett stemmte sich schwankend von der Couch hoch und wandte sich in Richtung Bar. Im Vorbeigehen bemerkte er Darius. »Hast du gesehen, ob sie schon gegangen ist?«
Darius löste seine Aufmerksamkeit von dem zerbrochenen Glas. »Wer, sie?«
»Meine Schwester.«
Ein eiskalter Finger bohrte sich in Bretts Rücken. »Schwester?«
Garrett nahm sich ein neues Glas und goss sich Scotch ein, wobei er einen Teil verschüttete. Er starrte Brett voller Feindseligkeit an. »Ich hab gesehen, dass du dich vorhin mit ihr unterhalten hast. Wo ist sie danach hingegangen?«
Das Schicksal konnte ihn nicht derart in den Arsch kneifen. Nicht ihn. Er war der River. Schnell und tief, rasant und erbarmungslos. Er baute keine Scheiße. Nie. »Ich habe mich mit einigen Frauen unterhalten. Ich weiß nicht genau, welche du meinst …« Tatsächlich wusste er es sehr wohl, und der eiskalte Finger verwandelte sich in eine harte Faust.
»Blonde Locken. Komisches schwarzes Kleid.« Clint nahm einen großen Schluck von seinem Scotch. »Sie hat sich seltsam verhalten. Normalerweise trinkt sie nicht so viel, sie hasst Partys wie diese. Sie kann auch mich nicht besonders gut leiden. Sie ist nur gekommen, weil heute mein Geburtstag ist und ich sie förmlich dazu gezwungen habe.«
Kalte Angst durchzuckte Brett. Er stand von der Couch auf, darauf bedacht, dass es nicht überstürzt aussah, und wandte sich in Richtung Ausgang. Niemals Schwäche zeigen. Immer kontrolliert wirken. »Ich schau mal nach, ob sie noch im Hotel ist.« Ob sie noch in dem Zimmer war, wo er ihr fünfhundert Dollar hinterlassen hatte.
Er eilte durch den Hotelflur und bog um die Ecke. Wenn Garrett rausbekam, dass er was mit ihr gehabt hatte, würde er ihn ganz sicher feuern. Und Bretts Boss … Wenn er erfuhr, dass sein designierter Vizepräsident die Schwester eines der größten Klienten seiner Agentur flachgelegt hatte, konnte Brett sich von seiner Karriere verabschieden.
Ihm brach der Schweiß aus. Er war immer vorsichtig. Immer besonnen. Immer vorausschauend. Immer vorbereitet. So etwas konnte nicht passieren. Nicht ihm. Nicht dem River.
Er beschleunigte seine Schritte, bis er praktisch rannte. Er war nicht lange weg gewesen. Wahrscheinlich schlief sie noch. Es würde alles gut ausgehen. Er würde das Geld leise einstecken und verschwinden, ohne sie zu wecken.
Aber was, wenn sie aufwachte? Was dann?
Er würde sich was einfallen lassen. Ihm fiel immer etwas ein. Er würde tun, was auch immer er tun musste. Was auch immer nötig sein würde. Scheitern war keine Option. Er hatte noch nie einen Klienten verloren, und er hatte nicht vor, jetzt damit anzufangen.
Er fummelte mit der Schlüsselkarte herum, bis die Tür schließlich aufging.
Das Bett war leer, aber das Geld war noch da – jeder Schein säuberlich in zwei Hälften zerrissen.
Rory stürmte die Treppe hinunter in dem Vierparteienhaus in Ravenswood, wo sie seit einem knappen halben Jahr wohnte. In ihrer Hand hielt sie den neuesten Bußgeldbescheid der Stadt Chicago. Sie bog um den Treppenabsatz in der ersten Etage, vorbei an Ashleys Wohnungstür, und eilte die letzten Stufen hinab ins Erdgeschoss, wo ihr Vermieter wohnte. Sie wandte sich zum Hinterausgang und stieß die Fliegengittertür auf.
Obwohl es erst Anfang Juni war, herrschte draußen bereits eine brütende Hitze, kein guter Vorbote für den Sommer. Rorys Sneaker erzeugten ein dumpfes Klopfen auf dem Holzboden der Veranda. Sie nahm die drei Stufen in den Garten mit einem Sprung über den hässlichen grünen Keramikfrosch am unteren Ende hinweg und lief an Mr. Reynolds Gemüsebeeten vorbei zu der alten Holzgarage, die sie gezwungen gewesen war, für hundert Dollar extra im Monat zu mieten.
Hundert Dollar mal fünf machte fünfhundert Dollar, genau die Summe, die dieser widerliche Mistkerl vor drei Tagen im Hotelzimmer für sie hinterlassen hatte.
Gerade als sie geglaubt hatte, ihr Leben könnte nicht noch beschissener werden, lernte sie auf einer Party einen heißen Mann kennen und beschloss – in einem von Alkohol und Frust befeuerten Moment der Unzurechnungsfähigkeit –, dass es eine großartige Idee wäre, mit diesem Fremden ins Bett zu hüpfen. Rory war in letzter Zeit an zu viele Mistkerle geraten, und sie konnte nur ihr mangelhaftes Urteilsvermögen dafür verantwortlich machen.
Sie entriegelte die verzogene Seitentür der Garage und gab ihr einen kräftigen Stoß. Die Tür schwang knarrend auf und gab den Blick frei auf den Königspalast für Schleckermäuler, einen uralten Foodtruck. Wenigstens hatte dieser Scheißkerl Jon sich nicht mit ihrem Truck davongemacht.
In dem trüben Licht, das durch das mit Spinnweben verzierte Garagenfenster drang, starrte sie auf das amtliche Schreiben in ihrer Hand. Ihr sogenannter Geschäftspartner hatte auf der Vorderseite eine Botschaft hinterlassen. Ich verschwinde aus Chicago. Zu viele verschissene Vorschriften.
Im Umschlag selbst steckte ein Bußgeldbescheid, weil Jon und sie gegen die strengen Auflagen verstoßen hatten, die für Foodtrucks in Chicago galten. Der erste Verstoß hatte sie tausend Dollar gekostet. Für den zweiten, der doppelt so teuer war, musste Rory nun allein aufkommen.
Vor ihrem Umzug von New York nach Chicago – bevor sie ihre Ersparnisse in diesen Foodtruck investierte, den Jon auf Ebay entdeckt hatte – hätte sie berücksichtigen müssen, dass ihr ehemaliger Mitbewohner die Angewohnheit hatte, sich mit Feuereifer in neue Projekte zu stürzen, nur um sie rasch wieder aufzugeben, wenn er das Interesse verlor.
Sie öffnete schwungvoll die Beifahrertür, stieg in den Kleinbus und schwang sich auf den verschlissenen, durchgesessenen Fahrersitz. Wo, um Himmels willen, sollte sie zweitausend Dollar hernehmen? Sie schuftete bereits zwölf Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche. Jetzt, wo Jon sich abgesetzt hatte, würde sie die ganze Woche durcharbeiten müssen.
Auf der anderen Seite der Windschutzscheibe leuchtete die Glühbirne an der Decke auf, und Ashley Hart schwebte in die dämmrige Garage wie eine Königin in eine Bauernhütte. Die ausnehmend schöne, charismatische und ichbezogene Ashley, sechsundzwanzig Jahre alt, mit ihren seidigen roten Haaren, ihren herrlichen Brüsten, ihren endlos langen Beinen und ihrem heiseren Lachen. Es war kein Wunder, dass jeder Mann, den sie traf, ihr zu Füßen lag, selbst Rorys Halbbruder.
Rory hätte sich am liebsten versteckt. Ashley ahnte nichts von dem schlimmen Verrat, den Rory an ihrer Freundschaft begangen hatte, und Rory hatte keine Lust auf diese Begegnung. Ashley und sie konnten nicht unterschiedlicher sein, und Rory bezweifelte, dass sie sich jemals angefreundet hätten, wenn es in Ashleys Leben andere Freundinnen gäbe und wenn Rory nach ihrem Umzug nicht so ausgehungert nach weiblicher Gesellschaft gewesen wäre. Ashley war oberflächlich und narzisstisch, aber sie war in Chicago aufgewachsen, und sie hatte sich großzügig zur Verfügung gestellt, um Rory die Stadt zu zeigen und ihr zu helfen, sich einzugewöhnen.
»Da bist du ja«, sagte Ashley mit ihrer kehligen Schlafzimmerstimme. Sie blieb vor der offenen Beifahrertür stehen, kletterte aber nicht ins Fahrerhäuschen. Königinnen stiegen nur in Kutschen, nicht in heruntergekommene Foodtrucks. Ashley musterte Rorys altes Scooby-Doo-T-Shirt und die hoch taillierten kanariengelben Shorts mit ihrem üblichen Befremden. Rory mochte ihren eigenen Kleidungsstil, selbst wenn ihre Stiefmutter und Ashley ihn schrecklich fanden. Mit Fundstücken aus Secondhandshops – manches davon Vintage, manches bloße Schnäppchen – konnte sie interessante Outfits zusammenstellen, ohne dass sie dafür ein Vermögen ausgeben musste.
Ashley warf ihre lange rote Shampoo-Reklamemähne nach hinten. »Warum sitzt du hier rum, Süße?« Alles, was Ashley sagte, klang verführerisch, selbst wenn sie Rory bat, die Katze zu füttern.
»Jon ist abgehauen«, antwortete Rory. »Ich hatte Angst, dass er den Foodtruck mitgenommen hat.«
Ashleys perfekte Lippen verzogen sich zu einem kleinen Schmollmund. »Sein Abgang ist ein Segen. Du hast viel bessere Möglichkeiten, als billiges Naschzeug aus einem Foodtruck zu verkaufen. Jon war ein Loser.«
Ein Umstand, den Ashley von Anfang an erkannt hatte und den Rory sich hätte eingestehen müssen, bevor sie ihren letzten Notgroschen opferte, um den Vorrat an Schokolade, Kaugummis und Fruchtgummis wieder aufzufüllen. Sie würde mit ihrem Foodtruck mehr Little-League-Spiele abklappern müssen, mehr Straßenfeste und Freibäder. Sie würde länger arbeiten müssen. Vielleicht konnte sie Mr. Reynolds, ihren Vermieter, überzeugen, ihr einen Zahlungsaufschub zu geben, aber was dann?
Ashley, die immer noch auf dem rissigen Zementboden stand, stützte ihre elegante Hand auf den Türrahmen und neigte ihren Kopf zur Seite, sodass ihre Haare sich perfekt über ihre Schulter ergossen. »Ich war gestern Abend mit Karloh Cousins aus.«
Die Leichtigkeit, mit der Ashley von Clint, Rorys Halbbruder, zum nächsten Mann gewechselt war, sollte Rorys Tat rechtfertigen, aber Clint war am Boden zerstört, und Rory machte sich allmählich Sorgen um ihn. Seit drei Tagen reagierte er nicht auf ihre Anrufe, seit seiner Geburtstagsfeier, als Rory mit diesem Fremden in die Kiste gesprungen war.
»Karloh war ganz begeistert von den Schokotrüffeln, die du mir gegeben hast«, sagte Ashley mit ihrem mühelosen, verführerischen Charme. »Kannst du bitte, bitte mehr davon machen?«
Wie konnte jemand dieser Frau widerstehen, wenn sie einen mit großen Augen begeistert anstrahlte, als wäre man die faszinierendste Person auf der Welt? »Und vielleicht könntest du sie mit dem Bulls-Logo verzieren?«
Rory hatte keine Lust, ein weiteres Blech von ihren Chili-Kakaotrüffeln zu verschenken, geschweige denn, sie mit dem Stierkopf der Chicago Bulls zu verzieren, aber der Umstand, dass sie der einzigen Freundin, die sie hier in Chicago hatte, in den Rücken gefallen war, erforderte eine Art von Strafe. »Ich mach nächste Woche welche.«
»Du bist die Beste!« Ashleys glatte Stirn zerknitterte sich zu einem reizenden kleinen Runzeln. »Ich frage nur ungern, aber ich werde dich für immer lieben, wenn ich sie ihm morgen geben kann.«
»Klar.« Mit Schuldgefühlen zu leben, war Mist.
Ashley sah sie verschmitzt an. »Deine Wohnungstür war nicht abgesperrt, und ich wusste, es würde dir nichts ausmachen, also habe ich mir deine coole rote Retro-Clutch ausgeliehen, passend zu meinem schwarzen Schlauchkleid. Karloh steht auf alles, was figurbetont ist. Clint mochte das auch.« Für den Bruchteil einer Sekunde schien Ashley emotional zu werden. Vielleicht hatte sie Clint aufrichtig geliebt, aber so etwas wie Liebe war nicht die treibende Kraft für sie. Oder vielleicht hatte Rory einen großen Fehler gemacht, indem sie sich einmischte.
Fehler waren Rorys Spezialität – Jon zu vertrauen, Ashley zu belügen und sich selbst zu verraten, indem sie mit einem reichen Schnösel eine schnelle Nummer schob, der dafür Geld auf den Tisch legte. Über diesen letzten Fehler würde sie irgendwann hinwegkommen, weil sie dem Mann nie wieder begegnen musste, aber die anderen Verfehlungen konnte sie nicht so leicht abtun. Wer war sie, dass sie Gott spielte mit dem Leben anderer Menschen, wenn ihr eigenes immer weiter auseinanderfiel?
Ashley riss sich rasch wieder zusammen. »Ich muss los. Danke für die Tasche, Süße.« Mit einem kurzen Winken, einem strahlenden Lächeln und einem Schwingen ihrer herrlichen Haare verließ sie die Garage.
Wieder einmal war sie von Ashley manipuliert worden. Ashley wusste, dass Rory die Handtasche ihrer Mutter niemals freiwillig herausrücken würde, also war sie einfach in Rorys Wohnung marschiert und hatte sich das kostbare Stück geholt. Immer, wenn Rory die rote Satintasche öffnete, stellte sie sich vor, sie könnte das Parfüm ihrer Mutter noch riechen. Aber Ashley machte Jagd auf alles, was sie haben wollte, sei es die Handtasche, eine kostenlose Ladung handgefertigter Kakaotrüffel oder ein reicher Profisportler.
Rory starrte blind durch die schmutzige Windschutzscheibe. Sie war damals erst fünf, als sie ihre Mutter verloren hatte, und sie konnte nicht mehr mit Sicherheit sagen, welche von ihren Erinnerungen echt waren und welche sie im Laufe der Zeit heraufbeschworen hatte. Es war paradox. Sie war schockiert und traurig gewesen, als ihr Vater vor zwei Jahren an einer plötzlichen Herzattacke starb, aber er war zeit ihres Lebens eine emotional distanzierte Gestalt geblieben; die Trauer um ihre Mutter hingegen ging viel tiefer.
Sie konnte nicht länger hier rumsitzen und sich selbst bemitleiden, denn das brachte sie keinen Schritt weiter. Sie musste Clint finden. Mit ihm reden. Sich vergewissern, dass es ihm gut ging, weil er beim letzten Mal gar nicht gut ausgesehen hatte. Sie musste sich an die Arbeit machen.
Als sie sich zur Seite drehte, um sich aus dem Sitz zu stemmen, sah sie, was sie vorhin beim Einsteigen in ihrer Aufregung übersehen hatte.
Die Regale, die sie frisch mit Süßigkeiten aufgefüllt hatte, waren komplett leer geräumt. Jon hatte alles mitgenommen, außer den Wagen, und dann das Weite gesucht.
Clints Haus war ein alberner Prunkbau aus weißem Kalkstein, im Stil eines Châteaus mit mehreren Schornsteinen, Balkonen, schrägen Schieferdächern und sogar einem Turm. Nichts war zu gut für Gregg und Kristin Garretts Goldstück. Das weiße Märchenschloss könnte sich nicht mehr unterscheiden von dem klassischen Backsteinhaus am Lake Harriet in Minneapolis, wo Rory und Clint aufgewachsen waren.
Rory parkte den Foodtruck auf der Rückseite des Gebäudes, sodass er von den angrenzenden Luxusanwesen hier im wohlhabenden Burr Ridge nicht zu sehen war. Auf der rechten Spur der Interstate 55 in einem uralten Kleinbus entlangzutuckern, der schwarze Rußwolken aus dem Auspuff hustete, war demütigend gewesen, aber wegen der Entscheidungen, die Rory getroffen hatte, war diese qualmende Rostlaube ihr einziges Transportmittel.
Sie krümmte ihre Finger um das Lenkrad und lehnte ihre Stirn dagegen. Sie war vierunddreißig Jahre alt, kein Kind mehr, und das Foodtruck-Geschäft, in das sie nur eingestiegen war, weil sie es fälschlicherweise als ein Sprungbrett für die Verwirklichung ihrer wahren Leidenschaft betrachtet hatte, hatte sich als Fehlschlag entpuppt. Seit sie in ihrem zweiten Studienjahr das Psychologieseminar geschwänzt hatte, um an einem Pralinenworkshop teilzunehmen, träumte sie von einer Karriere als Chocolatière.
Im Laufe der Jahre hatte sie in Restaurants und für Cateringfirmen gekellnert, um sich über Wasser zu halten, während sie nebenher unbezahlte Praktika bei jedem Edelchocolatier machte, der sie nahm. Sie lernte, wie man die Kakaomasse richtig temperierte und dafür auch die Raumtemperatur und die Luftfeuchtigkeit berücksichtigte. Sie studierte Formguss und Verzierungstechniken und fand heraus, dass sie die Herkunft einer Kakaobohne einfach am Geruch erkennen konnte. Mit der Zeit begriff sie, dass kunstvoll gemachte, feinste Schokolade sämtliche Sinne ansprach: sehen und riechen, schmecken und fühlen mit dem Mund, selbst den Hörsinn durch das charakteristische Knacken beim Brechen einer Tafel. Im Gegensatz zu den Menschen enttäuschte perfekt veredelte Schokolade nie.
Rory zwang sich, aus dem Foodtruck zu steigen. Das breite Ausgabefenster war geschlossen, Markise auf der leeren Ladefläche verstaut. Sie schlug die Tür zweimal zu, bevor das Schloss einrastete. Obwohl sie so hart gearbeitet hatte, war sie der Verwirklichung ihres Traums, sich ihren Lebensunterhalt als Chocolatière zu verdienen, kein Stück näher gekommen. Sie trat auf der Stelle – konnte nicht vor und nicht zurück –, ohne einen Plan für die Zukunft und ohne eine Idee, wie es weitergehen sollte.
Sie umrundete das Haus und wandte sich zum Eingang. Auf Form geschnittene Bäume zu beiden Seiten flankierten die massive Doppeltür des Palais. In den Glaseinsätzen der Tür erhaschte Rory einen Blick auf ihr Spiegelbild: honigblonde Locken, die sich auf ihrem Kopf durcheinanderringelten, eine ärmellose rot-weiß karierte Bluse mit einem Bubikragen, eine blaue Caprihose im Stile der Fünfziger, Walmart-Flipflops und herzförmige rote Bakelitohrringe, die sie nicht wie erhofft aufgemuntert hatten.
Sie drückte auf die Klingel der modernen Videotürsprechanlage und hörte gedämpft die Melodie von »Hail to the Victors«, die altehrwürdige Kampfhymne der University of Michigan. Ernsthaft? Die Boston University, an der Rory zumindest für vier Semester eingeschrieben gewesen war, hatte auch eine Kampfhymne, aber kein Footballprogramm – der Hauptgrund, warum Rory sich für Boston entschieden hatte, neben der geografischen Distanz zu ihrer Heimat in Minnesota.
Keine Reaktion. Die Türsprechanlage war funkgesteuert, Clint müsste sie also auf seinem Handy sehen. Sie winkte in die Kamera. Versuchte zu lächeln. Nichts passierte. Sollte er nicht einen Butler haben oder so?
Sie tat sich zwei weitere Runden »Hail to the Victors« an, aber niemand öffnete die Tür. Sie musste daran denken, wie oft sie sich gewünscht hatte, dass Clint sie in Ruhe ließ, und daran, dass sich alles irgendwann rächte.
Sie kramte in ihrer Patchworktasche aus Lederflicken, eins ihrer besten Secondhandfundstücke, und nahm den Schlüssel heraus, den Clint ihr gegeben hatte, trotz ihres Einwands, dass sie dafür keine Verwendung habe. Aber wie immer sollte Clint recht behalten. Er war der Goldjunge mit einer langen Liste von Errungenschaften, die ihr Kuddelmuddel von Leben im direkten Vergleich noch erbärmlicher erscheinen ließ. Rory Meadows Garrett, Studienabbrecherin, gescheiterte Unternehmerin, Versagerin auf ganzer Linie. Clint Garrett, amerikanischer Erfolgsjunge und millionenschwerer NFL-Quarterback, den die Leute bewunderten.
Sie betrat das große Marmorfoyer und musterte die griechischen Säulen, funkelnden Kronleuchter und den vergoldeten Wandtisch. »Clint! Clint, ich bin’s, Rory!«
Ihre Stimme hallte durch das Haus. Sie warf einen kurzen Blick in den opulent ausgestatteten, riesigen Wohnbereich und das elegante Esszimmer – alles kostspielig und überladen, aber wer war sie, um eine fremde Einrichtung zu kritisieren? Sie kehrte zurück ins Foyer und rief wieder, aber das Haus fühlte sich leer an.
Ihr Blick wanderte hoch zu der gewölbten Decke. Ein Fresko von herumtollenden Engeln, die um die Kronleuchter tanzten, verspottete sie. Diese Engel waren vielleicht Ausdruck für die empfindsame Seite ihres Halbbruders, oder für seine ironische. Bei Clint konnte man das nie wissen, und Rory zeigte der geflügelten Schar den Mittelfinger.
Am Ende des langen Marmorfoyers lag die Küche, wo über der zentralen Insel zwei weitere Kronleuchter mit Engeln hingen. Natürlich hatte er in seiner Küche Kronleuchter. Welcher superreiche Footballprofi mit flinken Beinen und einem goldenen Wurfarm hatte die nicht? Rory musterte den edlen Steinboden, die schneeweißen Hochglanzschränke und die kalten schwarzen Granitoberflächen, von denen jede einen tollen Seziertisch abgeben würde. Oder einen perfekten Ort, um Schokolade manuell herzustellen. Würde sie doch nur im Moment Schokolade temperieren.
Sie stellte ihre Tasche ab. Die Küche verfügte über eine richtige Kaffeebar mit einem professionellen Vollautomaten für Espresso und andere Spezialitäten. Keine einfache Filtermaschine für Clint Garrett.
Plötzlich schallte »Hail to the Victors« bis in die Küche. Ihr Bruder? Vielleicht war er betrunken und hatte seinen Schlüssel verloren. Rory ignorierte die verspielten Engel über ihrem Kopf und eilte über den spiegelglatten schwarzen Marmorboden zurück zum Eingang. Das war ihre Chance, die Dinge in Ordnung zu bringen. Sie riss schwungvoll die Tür auf.
Ihr gegenüber stand Darth Vader.
Rory knallte Vader die Tür vor der Nase zu und marschierte durch das Foyer zurück in die Küche.
Wie lange hatte es eigentlich gedauert, als Vader sie vor vier Tagen auf der Party abgeschleppt hatte? Zwanzig Minuten? Dreißig?
Oder genauer gesagt, als sie ihn abgeschleppt hatte.
»Wo können wir hin?«
Sie fröstelte bei der Erinnerung daran, dass sie genau diese Worte gesagt hatte.
Er war ein Footballspieler in Designerklamotten – ziemlich sicher ein verheirateter Footballspieler –, und diese heisere, betrunkene Stimme hätte nicht ihr gehören dürfen. Aber der Mann war gewieft und erfahren und ach so verführerisch gewesen, und sie war benommen und betrunken und ach so bedürftig.
»Ich habe ein Zimmer«, hatte er geflüstert.
»Zeig es mir.«
Alkohol und Selbstmitleid waren eine tödliche Kombination.
Brett starrte auf die Eingangstür, die ihm vor der Nase zugeschlagen worden war, und überlegte rasch seinen nächsten Schritt. Dieser Schlamassel würde nicht von allein weggehen, und vor Schwierigkeiten davonzulaufen, war nicht seine Art. Er musste seine Gegnerin näher unter die Lupe nehmen, ihre Schwächen ausloten und zu seinem Vorteil nutzen. Je nachdem, wie sie reagierte, musste er sie in die Defensive drängen oder sie umgarnen. Schlimmstenfalls musste er Liebe auf den ersten Blick vortäuschen, obwohl ihm das widerstrebte. Er handelte aggressiv und gelegentlich erbarmungslos, aber niemals unmoralisch.
Diese »Julia« würde eine Herausforderung werden.
Die nächste Runde »Hail to the Victors« schallte durch das Haus. Rory presste ihre Hände auf die Ohren und warf sich auf einen Barhocker aus weißem Leder. Der Anblick dieser fünf Hundertdollarscheine hatte sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt – die Bezahlung für geleistete Dienste.
Plötzlich öffnete sich die Hintertür mit einem Klicken. Ihr Kopf fuhr hoch.
Vader betrat die Küche und nahm den ganzen Raum ein, einfach indem er den vorhandenen Sauerstoff atmete.
Rory sprang von ihrem Barhocker auf. »Raus!«
Er blieb, wo er war, und musterte sie mit stahlgrauen Mörderaugen. Auf der Party war der Balkon nur schwach beleuchtet gewesen und das Hotelzimmer dunkel, und Vader jetzt bei Tageslicht zu sehen, war, als hätte man jemanden vor sich, an den man sich zwar nur vage erinnerte, aber dem man auf keinen Fall erneut begegnen wollte. Klassisches weißes Oxford-Hemd ohne eine Falte, dunkle Hose mit perfekt gebügelten Falten, burgunderrote Slipper mit der charakteristischen Gucci-Trense – alles an diesem Mann stand für verdrehte Werte und einen verschlagenen Charakter.
»Julia«, sagte er mit einem Nicken. »Wo ist Clint?«
»Sagen Sie es mir«, erwiderte sie.
Er war groß und schlank, vermutlich ungefähr in ihrem Alter, mit nach hinten gegelter Strippenzieherfrisur in genau demselben Farbton wie ihre Irish-Cream-Pralinen. Sein Kiefer war zu breit, seine Wangenknochen waren zu kantig, sein Blick war zu abwägend, um ihn zu einem hübschen Jungen zu machen. Diesem Mann ging es allein um Dominanz und Kontrolle.
Sie starrte ihn böse an. »Weiß Ihre Frau von Ihrer schmutzigen kleinen Angewohnheit, betrunkene Zufallsbekanntschaften flachzulegen?«
»Meine Frau?« Die leichte Krümmung seiner Nasenspitze verlieh ihm irgendwie etwas Raubtierhaftes.
»Es ist leicht, die kleine Frau zu vergessen, die zu Hause auf Sie wartet, nicht wahr? Diejenige, die auf die Uhr schaut, während die Kinder oben schlafen und Sie unterwegs sind, um die männliche Hure zu spielen.« Plötzlich kam ihr ein neuer schrecklicher Gedanke. »Ich wette, sie ist schwanger! Ich bin es hoffentlich nicht, denn falls doch, schwöre ich bei Gott, ich werde Sie persönlich umbringen und Ihre Frau überzeugen, dass sie mir hilft, Ihre Leiche verschwinden zu lassen.«
Seine Oberlippe kräuselte sich. »Schalten Sie mal einen Gang runter, ja? Wenn ein Mann vier Kinder hat, benötigt er zwischendurch eine Pause.«
»Vier!« Grinste er sie gerade spöttisch an?
»Fünf. Ich habe Ronald vergessen. Wir haben ihn weggegeben, weil er zu viel Lärm gemacht hat. Und offen gesagt, Ambrose steht auf der Abschussliste. Wegen seinem Asthma.«
Sie seufzte unbeabsichtigt vor Erleichterung auf. »Sie haben keine Kinder.«
»Nein.«
»Eine Frau?«
»Nein.«
»Eine Verlobte?« Sie nahm wieder Fahrt auf. »Lügen Sie mich nicht an! Ich weiß, es gibt jemanden, dem Sie untreu geworden sind.«
Er zögerte einen Moment, bevor er antwortete. »Meinen Prinzipien.«
»Ihren Prinzipien? Was ist mit meinen?«
»Ich habe keine Ahnung, wie Ihre Prinzipien lauten«, erwiderte er gleichmütig. »Wir kennen uns kaum, schon vergessen?«
»Ganz richtig!« Sie nahm sich einen Moment, um sich neu aufzustellen. »Wie sind Sie reingekommen?«
»Ich habe einen Schlüssel.«
Wie vielen Leuten hatte Clint eigentlich einen Schlüssel gegeben?
»Wer sind Sie?«, fragte sie. »Abgesehen von einem Gesicht, das ich niemals wiedersehen wollte?«
Wenn überhaupt, wurden diese kalten stahlharten Augen nur noch kälter und härter. »Ich bin Clints Agent. Brett Rivers. Und Sie sind Rory Garrett, seine Schwester, eine Information, die ich gerne vor unserem … Zusammentreffen von Ihnen bekommen hätte.«
Gab er wirklich ihr die Schuld? »Ich heiße Rory Meadows. Und warum hätte ich Ihnen das sagen sollen? Damit Sie mir in den Arsch kriechen können?«
»Bis zu Ihrem Arsch bin ich nicht gekom …« Sein Mundwinkel zuckte. »Entschuldigung. Manchmal geht mein Plappermaul mit mir durch.«
Sie starrte ihn fassungslos an.
Seine schrecklich unangemessene Bemerkung schien ihm nicht einmal peinlich zu sein. »Ist Ihr Bruder in der Nähe?«
»Mein Halbbruder, und er ist nicht hier, also verschwinden Sie.«
»Wo ist er?«
»Ich weiß es nicht.«
Er zog sein Handy heraus, checkte es kurz und steckte es wieder ein, bevor er einen Blick auf die Kaffeebar warf. »Gibt es einen Kaffee?«
»Wozu? Müssen Sie nüchtern werden? Wieder einmal.«
»Bei allem gebührenden Respekt, Miss Garrett …«
»Noch mal, ich heiße Meadows. Ich benutze den Mädchennamen meiner Mutter.«
»Miss Meadows. Ich war nicht der Einzige, der an diesem Abend zu tief ins Glas geschaut hat.« Der Konter saß, und er war noch nicht fertig. »Ich habe ein Kondom benutzt. Falls Sie schwanger sind, kann ich es nicht gewesen sein.«
Sie versuchte, sich den nackten Brett Rivers in Erinnerung zu rufen. Er hatte ein kleines dunkles Haarbüschel auf seiner sehr muskulösen Brust und einen schmalen knackigen Po, in den sie ziemlich sicher ihre Finger gekrallt hatte. An mehr konnte sie sich nicht erinnern, auch nicht an das Kondom. Allerdings vertraute sie ihm in diesem Punkt. Er war zu kühl und berechnend, um ein Risiko einzugehen. »Natürlich. Sie gehören zu den Männern, die sich die Taschen mit Kondomen vollstopfen für den Fall, dass Sie auf eine … auf eine … auf ein Flittchen treffen.« Der Begriff fiel ihr spontan ein, als das Bild von einem alten Flapper-Poster aus den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts in ihr aufkam, das in ihrer Wohnung über dem Bücherregal hing.
»Flittchen?« Er zog seine dunkle Augenbraue hoch. »Ihre Einstellung zu Ihrem eigenen Geschlecht ist veraltet und beleidigend.« Mit einem enttäuschten Gesicht, als wäre sie in seinem persönlichen Charaktertest auf politische Korrektheit durchgefallen, marschierte er zur Kaffeebar.
Sie konnte nicht glauben, dass es ihm gelungen war, sie in die Defensive zu drängen. Sie schob eine unwillkommene Erinnerung an einen langen, innigen Kuss von diesem schlagfertigen, hinterlistigen Mund beiseite. »Hey, ich bin nicht diejenige, die immer einen Großvorrat an Kondomen bei sich hat, und außerdem gibt es hier in der Nähe bestimmt einen Starbucks, wenn Sie so scharf auf Koffein sind.«
»Bestimmt, und die Kondome lagen bereits im Hotelzimmer.« Er nahm den Deckel von der Kaffeedose und schüttete Bohnen in die Maschine. Als das Mahlwerk lossurrte, musterte er Rory, als müsste er ihren Anblick verarbeiten – eine kuriose Frau mit einem Lockenkopf, die wenig Ähnlichkeit hatte mit ihrem erfolgreichen und berühmten Bruder, abgesehen von der Augenfarbe, und ziemlich sicher keinerlei Ähnlichkeit mit den Frauen, die in Rivers’ Kontaktliste standen, wahrscheinlich sortiert nach Körbchengröße.
Er befüllte die Glaskanne in der Spüle, goss das Wasser in die Maschine und startete den Brühvorgang. Während er wartete, checkte er wieder sein Handy.
Das Schweigen machte Rory nervös, und das Zwicken in ihrem Magen wurde stärker. »Wann haben Sie Clint das letzte Mal gesehen?«, fragte sie.
»Auf der Party. Vor vier Tagen. Und Sie?«
»Auch. Und er ist nicht hier, also können Sie jetzt wieder gehen.«
Er lehnte sich an den Rand der Kaffeebar, sein Telefon in der Hand. »Wohin verzieht er sich immer, wenn er Kummer hat? Sie sind seine Schwester. Sie haben bestimmt eine Idee.«
»Halbschwester«, wiederholte sie. Sie und Clint hatten sich nie nahegestanden, und ganz gleich, wie rein Rorys Absichten gewesen waren, sie hätte sich aus dieser Geschichte mit Ashley heraushalten sollen. Früher oder später wäre Clint zur Vernunft gekommen. Aber höchstwahrscheinlich erst nach einer Blitzhochzeit in Las Vegas ohne Ehevertrag.
Sie schob ihre Fingerspitzen in die Taschen ihrer Caprihose. »Ich weiß nicht, wohin er sich verzieht.«
Er musterte sie. »Warum nicht? Soweit ich weiß, hat er außer Ihnen keine weiteren Geschwister.«
»Er ist sechs Jahre jünger. Wir stehen uns nicht besonders nahe.«
»Ja, ich erinnere mich, dass Sie ihn als Arschloch bezeichnet haben an dem Abend, als wir uns kennenlernten.«
»Niemals.« Bloß dass das in ihrem betrunkenen Zustand durchaus möglich war.
Er deutete mit seinem Handy auf sie. »Zuerst dachte ich, dass Sie einfach nichts für Sport übrighaben, aber offenbar steckt mehr dahinter. Interessanterweise hat Clint sich auf der Party Sorgen um Sie gemacht, als Sie verschwunden waren.«
»Ich war mit Ihnen verschwunden!« Sie konnte sich nicht länger zurückhalten. »Und Sie haben mir Geld dagelassen!«
Er hob seine freie Hand. Sie war groß und breit, mit stumpfen Fingerspitzen in der perfekten Größe, um die Schnürung auf einem Football zu finden. »Eine Fehleinschätzung, die ich zutiefst bedaure.«
»Wer tut so was? Wer legt einfach ein Bündel Geld hin? Was sind Sie für ein Mann, außer ein ehemaliger Footballspieler, der es sportlich nicht weit gebracht hat, weshalb Sie beschlossen haben, sich als Spielerberater zu verkleiden?«
»Das ist jetzt aber hart.« Nun war er an der Reihe, in die Offensive zu gehen. »Um Ihrer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, wir haben übers Geldverdienen gesprochen.«
»Und?«
»Sie haben mich nach Tipps gefragt, wie Sie gutes Geld verdienen können.«
»Und da haben Sie angenommen, dass ich mich verkaufe?«
»Es war die Art, wie Sie mich gefragt haben.« Er wandte sich von dem Kaffee ab, den er sich gerade eingießen wollte. »Sie waren kokett.«
»Kokett? Ich war in meinem ganzen Leben noch nie kokett.«
»Sie waren kokett. Und ein paar von den Jungs, die an der Party teilnahmen, sind dafür bekannt, dass sie immer mit schönen, bezahlten Escorts auftauchen.«
Sie stemmte ihre Hände in die Hüften ihrer blauen Caprihose. »Wenn Sie denken, dass ich wie eine schöne, bezahlte Escort aussehe, sollten Sie Ihre Augen überprüfen lassen.« Sie bremste sich, bevor sie ihre Makel aufzählte: zu lockige Haare, zu große Augen, zu rundes Gesicht, zu kleiner Mund, zu kurze Beine.
»Jetzt bei Tageslicht erkenne ich meinen Fehler. Sie sind schön, aber es ist keine oberflächliche Schönheit. Dafür sind Sie viel zu faszinierend. Aus diesem Grund haben Sie mein Interesse geweckt.«
Sie verzog ihren Mund. »Sie reden einen Haufen Blech.«
Statt es zu leugnen, lächelte er. »Ich bin ein Sportagent. Wir müssen flexibel sein.«
Sein glatter, routinierter Charme funktionierte vielleicht bei eitlen Spitzenathleten, aber nicht bei ihr. »Haben Sie eine Vorstellung davon, wie beleidigend es war, mir Geld hinzulegen?«
»Die Art, wie Sie die Scheine zerrissen haben, war ein subtiler Hinweis darauf.«
»Und dabei hätte ich das Geld gut gebrauchen können!«
Er starrte sie über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg an, doch sie hatte keine Lust, das Gespräch fortzuführen. »Ich denke, wir sind hier fertig.«
Er trank einen bedächtigen Schluck von seinem Kaffee, der verführerisch duftete, aber sie würde sich unter keinen Umständen selbst eine Tasse davon nehmen. Zu einer Natter wie ihm hielt sie lieber Distanz.
Er legte seinen Kopf schief. »Dieser Foodtruck, der hinter dem Haus parkt … Der Königspalast für Schleckermäuler? Ich nehme an, der gehört Ihnen. So etwas sieht man hier nämlich nicht alle Tage.«
»Mein Privatwagen ist gerade in der Werkstatt.« Ihr alter Nissan brauchte neue Bremsen, als sie ihn verscherbelt hatte, um neue Ware einzukaufen, also stimmte das vielleicht sogar. »Ich bin eine Chocolatière. Ich stelle Schokolade und Pralinen her.« Eine Chocolatière ohne Geschäft und Umsatz. Eines Tages würde ihr eine Lösung einfallen. Bloß, dass sie sich das seit Jahren einredete.
»Anscheinend haben Sie nicht viel zu verkaufen«, sagte er.
»Sie haben einen Blick in den Truck geworfen?«
»Er war nicht abgeschlossen.« Statt das Thema weiterzuverfolgen, nahm er seine Kaffeetasse und ging durch eine Tür neben dem Anrichtezimmer.
Sie stürmte ihm hinterher. »Wo gehen Sie hin?«
»Ich will schauen, ob es hier irgendeinen Hinweis gibt, wo Clint sein könnte.«
»Sie können nicht unerlaubt sein Haus durchsuchen.«
»Begleiten Sie mich, um sicherzustellen, dass ich nichts mitgehen lasse.«
Sie glaubte nicht wirklich, dass er etwas stehlen würde, aber sie stapfte ihm trotzdem hinterher – oder zumindest so gut man in Flipflops stapfen konnte – und blieb gleich darauf abrupt stehen.
Sie hatte zuvor nur ein einziges Mal Clints Haus betreten, aber sie war damals nicht bis zu seinem Arbeitszimmer gekommen. Ein dreistöckiger Kristallleuchter hing von der hohen Decke, die, genau wie der aufwendig gearbeitete Marmorkamin, mit wuchernden Weinreben und Akanthusblättern aus Stuck verziert war. Ein Perserteppich bedeckte den Steinboden, und zwei hohe Einbauregale mit zahlreichen Rankenornamenten enthielten eine Sammlung von Büchern, die ihr Bruder wahrscheinlich komplett gelesen hatte. Das Beeindruckendste an dem Raum war jedoch der ausladende, eckige Erker mit seinem Venezianischen Fenster, das auf den französischen Barockgarten hinter dem Haus zeigte. Der Raum war eigenartig, aber auf eine merkwürdige Art faszinierend, falls man auf Prunk und Protz stand.
Der Schreibtisch, ein massiver Louis-Irgendwas mit gewellten Zierkanten, geschwungenen Beinen und Messingintarsien, stand in der Mitte des Erkers und war zum Garten hin ausgerichtet. Es war ein alberner Schreibtisch für einen Footballspieler, und Rivers zog gerade die Schubladen auf.
Plötzlich öffnete sich wie aus dem Nichts die Tischoberfläche, und aus dem Innern stieg ein sehr moderner Laptop empor wie der Geist von Trainerlegende Vince Lombardi. Rivers schaltete das Gerät ein. »Schauen wir mal, was wir hier haben.«
»Versuchen Sie es mit ICHBINDERBESTE als Passwort. Ein Wort, alles großgeschrieben.«
Er sah nicht vom Bildschirm auf. »Sie wirken mehr als nur ein bisschen feindselig gegenüber Ihrem Bruder.«
»Normale Rivalität zwischen Geschwistern.« Nicht ganz so normal. Im Schatten eines jüngeren Bruders aufzuwachsen, der in allem überragend war, während Rory nur darin überragend war, sich Schwierigkeiten einzuhandeln, hatte Wunden hinterlassen, die längst verheilt sein sollten. Immerhin, Clint war ihr wichtig genug, um Ashley aus seinem Leben zu vertreiben, stimmt’s?
Und seht, was dabei herausgekommen war.
Sie zupfte an einem ihrer Herzohrringe. »Vielleicht braucht er etwas Zeit für sich.« Aber Clint war ein geselliger Mensch, und er musste schon eine schlimme Krise haben, um sich allein irgendwo zu verkriechen.
Rivers tat ganz geschäftsmäßig. »Nein, ich kenne ihn besser.«
Hatte sie wirklich Sex mit diesem arroganten Blödmann, der ihr so fremd war wie eine NFL-Umkleidekabine? »Wir haben Anfang Juni«, sagte sie. »Das Trainingslager beginnt erst nächsten Monat, wozu also die Eile?«
Offenbar funktionierte ICHBINDERBESTE nicht, genauso wenig wie die anderen Passwörter, die Rivers ausprobiert hatte, weil er sich nun von dem Laptop abwandte. »Ich muss ihn finden, das ist alles.«
»Ich muss ihn auch finden.« Sie schenkte ihm den gleichen sturen Blick wie er ihr gerade.
Er verließ das Zimmer, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als in der Duftwolke seines luxuriösen Aftershaves zu folgen, die er hinter sich herzog. Sie wollte Clint sagen können, dass sie ihr Bestes versucht hatte, um seinen wild gewordenen Berater davon abzuhalten, unerlaubt das Haus zu durchsuchen. »Halt!«
Rivers ignorierte sie, was ganz gut war, denn auch sie wollte unbedingt herausfinden, ob Clint irgendeinen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort hinterlassen hatte.
Sie gingen von einem Raum zum nächsten, und Rivers blieb immer mal wieder stehen, um eine Nachricht abzufeuern. Sie überprüften den Kraftraum und die Sauna. Das Haus verfügte über repräsentative Bereiche, zwanglose Bereiche, ein großes Heimkino, einen Fitnessraum und fünf Schlafzimmer. Niemand sollte so reich sein.
Clint hatte ihr mehr als einmal Geld angeboten, und jedes Angebot war eine greifbare Erinnerung an die Kluft zwischen ihnen beiden. Rory hatte sich zähneknirschend für seine Großzügigkeit bedankt und ihm versichert, dass sie ganz gut allein zurechtkäme. Falls er die Lüge durchschaute, fragte er nicht nach. Lieber würde sie für den Rest ihres Lebens kellnern gehen, als von ihrem kleinen Bruder Geld anzunehmen.
»Haben Sie mit Ihrer Mutter gesprochen?«, fragte Rivers, als sie sich Clints Schlafzimmer näherten.
»Meine Mutter ist gestorben, als ich fünf war.«
»Ich bitte um Verzeihung. Und ich weiß, dass Sie vor zwei Jahren Ihren Vater verloren haben. Haben Sie mit Clints Mutter gesprochen?«
»Kristin und ich gehen uns möglichst aus dem Weg.«
»Ihr Bruder, Ihre Stiefmutter, ich. Das ist eine beeindruckende Liste von Feinden, die Sie da haben, trotzdem müssen Sie Kristin anrufen. Wenn ich das mache, wird sie das nur beunruhigen.«
Wohl wahr. Kristin war eine Meisterin im Sich-Sorgen-Machen, wenn es um ihren geliebten Jungen ging. »Clint ist nicht nach Minneapolis zu seiner Mutter gefahren.«
»Sind Sie sicher?«
»Er ist total neben der Spur wegen der Trennung von Ashley, und die letzte Person, die er in diesem Zustand aufsuchen würde, ist seine Mutter. Sind Sie Kristin schon mal persönlich begegnet?«
»Sicher. Eine tolle Frau.«
Nicht das Adjektiv, mit dem Rory ihre voreingenommene Stiefmutter beschreiben würde. »Clint weiß, wenn er sich bei seiner Mutter verkriecht, wird sie darauf bestehen, ihn zu einem Eis einzuladen und ihm ein neues Videospiel zu kaufen.«
Rivers hatte keine beklemmenden Erinnerungen daran, wie sehr Clint von Kristin verhätschelt wurde, und er schmunzelte. »Das kann gut sein.« Er öffnete die Tür von Clints Schlafzimmer.
Alle Schlafzimmer waren üppig ausgestattet, aber dieses hier war, als würde man das Boudoir von Marie Antoinette persönlich betreten. Die rechteckig vertiefte himmelblaue Decke präsentierte ein Fresko aus flauschigen Wolken, blühenden Bäumen und rosigwangigen Schäferinnen. Ein kunstvoll gestalteter Kamin nahm den Großteil einer Wand ein, und eine hohe, schmale Doppeltür führte hinaus auf einen der französischen Balkone, die Rory von der Rückseite aus gesehen hatte.
»Mir ist schleierhaft, wie man hier schlafen kann.« Aber noch während sie es aussprach, kam ihr in den Sinn, dass es vielleicht tröstlich war, mit diesen rosigwangigen Schäferinnen einzuschlafen, die über den Schlummernden wachten.
Sie näherte sich der Balkontür, während Rivers zur Decke hochschaute. »Ich bin sicher, Clint kommt nicht nur zum Schlafen hierher.« Er ging zum Nachttisch und zögerte. »Vielleicht wäre es besser, wenn Sie einen Blick hier reinwerfen.«
»Nicht in einer Million Jahre.« Wer wusste schon, ob die Schublade nicht mit Sexspielzeug angefüllt war? Rory schauderte, öffnete einen der Türflügel und ging hinaus auf den kleinen Balkon mit der schmiedeeisernen Brüstung. Von hier aus konnte man den Garten auf der Rückseite und den Pool überblicken, der in der Nachmittagssonne glitzerte.
Etwas anderes erregte ihre Aufmerksamkeit. Etwas, das so fehl am Platz war, dass sie einen Moment brauchte, um zu begreifen, was es war.
Eine Frau lag auf der Steinterrasse unterhalb des Balkons, mit verdrehtem Rumpf, die langen Beine gespreizt, die seidigen roten Haare in einer Blutlache gefangen.
Ashley trug ein luftiges Sommerkleid, silberne Armreifen und dieselben Riemchensandalen, die sie gestern in der Garage bei ihrem letzten Gespräch mit Rory anhatte. Selbst im Tod sah sie wunderschön aus … solange man nicht auf ihren Kopf schaute.
Rory konnte nicht aufhören zu zittern, obwohl die Junisonne auf sie herunterbrannte. Vor ihr auf der Terrasse lag Ashleys Leiche. »Sie muss wohl … vom Balkon gestürzt sein.«
Rivers reagierte cool und souverän, als würde er ständig auf Leichen stoßen, obwohl das vielleicht nur zu seiner Rolle als Superschurke gehörte, weil er nämlich beinahe sein Handy fallen ließ, als er es wegsteckte, nachdem er die Polizei verständigt hatte. Nun schaute er zum Balkon hoch. »Die Balkontür war geschlossen, bevor Sie sie geöffnet haben.«
Ein Umstand, den Rory bereits realisiert hatte, aber nicht verarbeiten konnte. Ihr Blick huschte fieberhaft über den Pool und den Garten. »Vielleicht ist sie gar nicht runtergefallen. Vielleicht war sie hier draußen, ist unglücklich gestolpert und mit dem Kopf auf den Steinboden geknallt.«
»Glauben Sie das wirklich?«
Nein, tat sie nicht. Der Boden der Terrasse war gleichmäßig verlegt, und selbst für Rorys ungeschultes Auge deutete die Art, wie Ashleys Arme ausgebreitet waren und ihre Haare lagen, darauf hin, dass sie aus einer gewissen Höhe heruntergestürzt war. »Es muss eine logische Erklärung geben.«
»Die gibt es bestimmt«, sagte er grimmig. »Aber sie wird uns wahrscheinlich nicht gefallen.«
»Was meinen Sie damit?« Sie wusste, was er damit meinte. Wäre Ashley auf den Balkon hinausgegangen und versehentlich gestürzt, wäre die Balkontür offen gewesen, als Rory und Rivers das Schlafzimmer betraten.
Rivers hatte durch das Fenster einen Blick in die Großraumgarage geworfen und festgestellt, dass Clints Range Rover fehlte. Rory hatte nicht einmal gewusst, dass Clint einen Range Rover besaß, ganz zu schweigen von den drei anderen Fahrzeugen, die laut Rivers noch in der Garage standen. Wo war Clint?
»Gehen Sie ins Haus und warten Sie auf die Polizei«, sagte er. »Ich bleibe hier draußen.«
Sie wollte sich nicht drinnen verkriechen, während er hier Wache hielt, aber sie konnte den Anblick von Ashleys Leiche nicht ertragen. Sie wandte sich ab und musste an den albernen Spruch auf einem T-Shirt denken, das ein paar Freunde ihr vor ihrem Umzug geschenkt hatten. Schokolade ist für Frauen das, was für Männer Gaffa-Tape ist. Damit lässt sich alles reparieren.
Aber nicht einmal Schokolade konnte das hier reparieren.
Rivers ging mit dem jüngeren Polizisten davon, während der ältere Detective, ein Mann namens Strothers, der Rory an einen sehr unlustigen Eddie Murphy erinnerte mit seinen hohen Geheimratsecken, der schwarzen Hornbrille und dem ordentlich gestutzten Schnurrbart, sie in der Küche befragte. »Sie und Mr. Rivers waren in Mr. Garretts Schlafzimmer, weil Sie sich beide Sorgen um ihn machten?«
Sie hatten das bereits durchgekaut. »Clint hat auf meine Anrufe nicht reagiert, und ich musste dringend mit ihm reden.«
»Erklären Sie mir noch mal, warum es so dringend war.«
Sie war keine hinterlistige Person, aber sie würde nicht offenbaren, welchen Anteil sie daran hatte, dass ihr Bruder ein gebrochenes Herz hatte. »Seine Mutter und ich haben ein schwieriges Verhältnis. Darüber wollte ich mit ihm reden.«
Der Detective strich mit seinem Daumen durch seinen Schnurrbart. »Wie lange waren Ihr Bruder und Miss Hart ein Paar?«
»Ein paar Monate. Mein Bruder trifft sich mit vielen Frauen, und Ashley war eine davon.« Sie würde ihm nicht sagen, dass Clint sich in Ashley verliebt hatte.
»Aber Sie sagten, die beiden hatten sich getrennt, also warum ist sie hierhergekommen, was denken Sie?«
Eine Frage, die Rory sich bereits selbst gestellt hatte. Die einzige Antwort, die ihr darauf einfiel, war zu schrecklich, um darüber nachzudenken. Was, wenn Ashley dahintergekommen war, dass Rory sie belogen hatte, und in der Hoffnung hierhergefahren war, sich mit Clint zu versöhnen? »Ich habe keine Ahnung.«
Sie erwartete, dass der Detective nachhakte, aber er ging zum nächsten Punkt über. »Die Glastür, die auf den Balkon hinausführt. Sie haben gesagt, dass sie geschlossen war. War sie verriegelt?«
»Nein, nur geschlossen, darum ist es möglich, dass der Wind sie zugeschlagen hat.« Es wehte schon den ganzen Morgen nicht der Hauch eines Lüftchens.
»Warum haben Sie die Balkontür geöffnet?«
Weil sie etwas tun musste, das sie davon abhielt, Rivers anzusehen und sich die Details ihrer verlorenen Nacht in Erinnerung zu rufen. »Ich wollte mir den Ausblick ansehen.«
Er schob die Brille auf seiner Nase ein Stück höher. »Sie haben Miss Hart an dem Tag kennengelernt, als Sie in Ihre neue Wohnung eingezogen sind. Das war vor knapp sechs Monaten, richtig? Warum sind Sie nach Chicago gezogen?«
Das hatte er sie bereits gefragt. »Mein ehemaliger Mitbewohner hat mir vorgeschlagen, mit ihm gemeinsam ins Foodtruck-Geschäft einzusteigen und Süßwaren zu verkaufen.«
Da Chicago Clints Stadt war, hatte Rory zunächst gezögert, aber Jon hatte fälschlicherweise darauf bestanden, dass Chicago der beste Ort sei, um ihr Geschäft aufzuziehen. Außerdem war sie bereit gewesen für eine Veränderung, und ihr Verstand hatte ihr vorgegaukelt, dass der Verkauf von Süßigkeiten aus einem Foodtruck der nächste Schritt war auf dem Weg zu einer Vollzeit-Chocolatière.
Detective Strothers strich wieder durch seinen gepflegten Bart. »Der Kleinbus, der hinter dem Haus parkt. Sie sind damit von Ihrer Wohnung in Ravenswoood hierhergefahren. Das müssen um die dreißig Meilen sein.«
»Der Truck ist momentan mein einziges Transportmittel.«
»Dabei ist Ihr Bruder ein wohlhabender Mann.«
Es war keine gute Idee, die Geduld mit der Polizei zu verlieren, und sie zwang sich, in einem ruhigen Ton zu antworten. »Clint ist wohlhabend. Ich nicht.«
»Ich verstehe.« Der Detective strich über den Aufschlag seines Jacketts. »War einer von Ihnen in dem Bad, das direkt an Mr. Garretts Schlafzimmer angrenzt?«
»Nein. Dort hatten wir noch nicht nachgeschaut.«
»Aber überall anders offenbar schon.« Er fuhr fort, bevor sie etwas sagen konnte. »Hat Miss Hart jemals über die anderen Männer gesprochen, mit denen sie sich traf?«
»Sie war gerade ganz frisch mit Karloh Cousins, dem Basketballspieler, zusammen. Sie hat mir auch von dem Mann erzählt, den sie verlassen hat, als sie meinen Bruder kennenlernte. Sie nannte ihn immer nur ›den Immobilienmann‹ und erwähnte mal, dass er die Trennung nicht gut verkraften würde, aber ich habe ihn nie persönlich getroffen.«
Der Detective schrieb in sein Notizbuch. »Sie hat nie seinen richtigen Namen genannt oder gesagt, wo er arbeitet?«
»Nein.«
Er klappte sein Notizbuch zu. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir Ihren Foodtruck zu zeigen?«
Seine Frage überraschte sie. »Okay«, antwortete sie zögernd.