Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Epilog
Copyright
Buch
Sie war ein Star, ein erfolgreiches Model und am Anfang einer hoffnungsvollen Karriere als Schauspielerin. Doch eines Tages ließ Fleur Savagar alles zurück und verschwand spurlos von der Bildfläche. Was niemand ahnte: Hinter der Fassade der strahlenden Schönheit verbarg sich in Wahrheit eine schwer verletzte Seele. Es scheint, als hätte sie ihr Leben lang jeder nur benutzt oder verraten: Ihr Vater, der kaltherzige französische Graf Alexi Savagar, interessierte sich erst für sie, als aus dem hässlichen Entlein ein wundervoller Schwan geworden war. Ihre Mutter, die in der Karriere ihrer Tochter die Erfüllung ihrer eigenen Wünsche und Träume fand. Und Jake Koranda, der Mann, den Fleur von ganzem Herzen liebte und ihm vertraute? Belog er sie tatsächlich für seinen eigenen Erfolg? Sechs Jahre lang hat niemand etwas von Fleur gehört. Jetzt ist das Glitter Baby der New Yorker High Society zurück – etwas älter und umso schicker und eleganter. Und die Gerüchteküche brodelt. Doch diesmal sind die Karten neu gemischt, Fleur weiß, was sie kann und will. Eigensinnig stellt sie sich ihrer intriganten Familie entgegen, raffiniert rächt sie sich an ihren Feinden – und dann beginnt sie mutig den Kampf um ihre wahre Liebe …
Autorin
Susan Elizabeth Phillips ist eine der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Ihre Romane erobern jedes Mal auf Anhieb die Bestsellerlisten in Deutschland, England und den USA. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in der Nähe von Chicago. Weitere Informationen finden Sie unter: www.susan-elizabeth-phillips.deund unter: www.susanelizabethphillips.com
Liste lieferbarer Titel
Verliebt, verrückt, verheiratet (35339) – Bleib nicht zum Frühstück (35029) – Küss mich, Engel (35066) – Träum weiter, Liebling (35105) – Kopfüber in die Kissen (35298) – Wer will schon einen Traummann? (35394) – Ausgerechnet den? (35526) – Der und kein anderer (35669) – Dinner für drei (35670) – Vorsicht, frisch verliebt (35829) – Komm und küss mich (36023) – Frühstück im Bett (35830) – Die Herzensbrecherin (36290) – Küss mich, wenn du kannst (36299) – Mitternachtsspitzen (36605) – Dieser Mann macht mich verrückt (36300)
Liebe Leserinnen und Leser, ich freue mich, dass mein lange vergriffener erster zeitgenössischer Roman endlich wieder in den Buchhandlungen erhältlich ist. In eigener Sache hoffe ich natürlich auch, dass damit die Flut von E-Mails ein Ende hat, die auf eine Neuveröffentlichung des Titels drängten. Es hat ein wenig gedauert, der Geschichte neuen Glanz zu verleihen. Ich wollte stärker auf die Protagonisten eingehen, die mir so sehr ans Herz gewachsen sind, neue Handlungsstränge einflechten, frühere vertiefen.
»Kein Mann für eine Nacht« ist hinsichtlich Charaktere, Handlung und Schauplätze mein vielleicht facettenreichstes Buch. Dabei geht es um zwei faszinierende Menschen: »Glitter Baby« Fleur Savagar, ein hässliches Entlein, das nicht glauben mag, dass es sich in einen wunderschönen Schwan verwandelt hat, und Draufgänger Jake Koranda, der exakt den Typ erotischer, vielschichtiger Held verkörpert, über den ich persönlich am liebsten lese und schreibe.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch meinen vielen Lesern und Leserinnen in Deutschland danken, die mit Spannung meine Romane erwarten. Ich darf Ihnen versichern, dass meine treuen Fans etwas ganz Besonderes für mich sind. Und jetzt darf ich Sie einladen: Suchen Sie sich ein gemütliches Eckchen, legen Sie entspannt die Füße hoch und begleiten Sie mich auf eine Reise in die Welt des Glitter Baby.
Viel Spaß beim Lesen
Ihre Susan Elizabeth Phillips
1
Das Glitter Baby war zurückgekehrt. Sie blieb in dem bogenförmigen Eingang der Orlani Gallery stehen, um den Gästen der abendlichen Vernissage Gelegenheit zu geben, sie wiederzuerkennen. Das leise Säuseln höflicher Partyunterhaltung vermischte sich mit dem Straßenlärm. Die Kunstmäzene gaben sich den Anschein, als würden sie die afrikanischen Jungen Wilden begutachten, deren Bilder sich an den Wänden reihten. Der Duft von Joy, Gänseleberpastete und Geld hing in der Luft. Vor sechs Jahren war sie eines der berühmtesten Gesichter Amerikas gewesen. Ob man sich noch an sie erinnerte, überlegte das Glitter Baby. Und wenn nicht? Wie würde sie das wegstecken?
Sie blickte mit einstudierter Lässigkeit geradeaus, ihre Lippen leicht geöffnet und ihre ringlose Hand locker in die Hüfte gelegt. In ihren Riemchenstilettos war sie über einen Meter achtzig groß, eine auffallend schöne Amazone mit einer Wahnsinnsmähne, die ihr über die Schultern fiel. Die New Yorker Starcoiffeure machten sich einen Spaß daraus, die Haarfarbe mit nur einem einzigen Begriff zu umschreiben. Sie kreierten Attribute wie »Champagnersorbet«, »Buttertoffee« oder »Vanilleparfait«, aber nichts traf es so richtig, da das Licht ihren naturblonden Haaren ungewöhnliche Reflexe verlieh.
Aber nicht nur ihre wallenden Locken inspirierten zu poetischen Höhenflügen. Alles an dem Glitter Baby verleitete zu Superlativen. Jahre zuvor hatte ein aufgebrachter Moderedakteur seinen Assistenten gefeuert, weil er die viel gerühmten Augen schnöde als »haselnussbraun« bezeichnet hatte. Der Chef des Modemagazins hatte den Artikel neu verfasst und darin Fleur Savagars Iris als »ein flirrendes Pastell von Gold, Türkis und Smaragdgrün« umschrieben.
An diesem Septemberabend des Jahres 1982 war Glitter Baby attraktiver denn je. Ein Hauch von Überheblichkeit zeigte sich in ihren überhaupt nicht haselnussbraunen Augen, ihr fein modelliertes Kinn umspielte eine Spur von Arroganz, aber im Innern empfand Fleur Savagar totale Panik. Sie atmete tief durch und schärfte sich ein, dass das Glitter Baby inzwischen erwachsen geworden war. Sie würde sich von niemandem mehr gängeln oder gar demütigen lassen.
Ihr Blick glitt über die Menge. Diana Vreeland, elegant in einem Abendcape von Yves Saint Laurent mit schwarzseidener Hose, begutachtete eben eine Bronzeskulptur aus Benin, während ein strahlender Michail Barischnikow inmitten einer Gruppe weiblicher Gäste stand, die sich mehr für russischen Charme erwärmten als für afrikanische Ethnokunst. In einer Ecke plauderten ein Fernsehmoderator und seine publikumswirksame Ehefrau mit einer französischen Schauspielerin in den Vierzigern, die sich nach einem heimlichen Facelifting das erste Mal wieder in die Öffentlichkeit wagte. Etwas entfernt davon stand die hübsche Vorzeigeehefrau eines Broadway-Produzenten, der für seine homosexuellen Neigungen bekannt war. Sie schien sich in ihrem Mollie-Parnis-Modell, das sie frivol bis zur Taille aufgeknöpft trug, erkennbar zu langweilen.
Fleurs Abendrobe hob sich von allen anderen ab. Dafür hatte ihr Designer gesorgt. »Du musst elegant aussehen, Fleur. Eleganz, Eleganz, Eleganz heißt das Zauberwort in dieser Ära der Stillosigkeit.« Er hatte bronzefarbenen Stretchsatin zu einem körperbetonten, ärmellosen Modell mit hohem Kragen und tiefem Rückenausschnitt verarbeitet. Unterhalb der Hüfte verlief der schmale Rock schräg angeschnitten bis zu den Knöcheln. Aus diesem diagonalen Seitenschlitz wogte eine Kaskade hauchzarter schwarzer Seidenspitze. Er zog sie mit der Seide auf, meinte, er sei gezwungen gewesen, mit dieser Camouflagetechnik zu arbeiten, weil sie Schuhgröße zweiundvierzig habe.
Die Ersten drehten sich neugierig zu ihr um, und sie gewahrte das plötzliche Wiedererkennen in ihren Gesichtern. Erleichtert atmete sie aus. Ein Raunen ging durch die Menge. Ein bärtiger Fotograf schwenkte seine Hasselblad von der französischen Actrice auf Fleur und schoss das Foto, das schon am nächsten Morgen die Titelseite der Women’s Wear Daily schmücken sollte.
Von der gegenüberliegenden Seite des Raumes aus blinzelte Adelaide Abrams, die meistgelesene Klatschkolumnistin in New York, zu dem bogenförmigen Eingang hinüber. Das war doch nicht möglich! War Fleur Savagar endlich wieder aus der Versenkung aufgetaucht? Adelaide spurtete los und stieß mit einem millionenschweren Immobilienhai zusammen. Sie hielt wie wild Ausschau nach ihrem eigenen Hausfotografen und stellte dabei fest, dass nafka von Harper’s Bazaar soeben die Kamera in Anschlag brachte. Sie schob sich rigoros an zwei völlig verblüfften Society-Schönheiten vorbei und stürzte sich mit einem professionellen Hechtsprung auf Fleur Savagar.
Fleur hatte das Rennen zwischen Harper’s und Adelaide Abrams beobachtet und war sich nicht sicher, ob sie erleichtert darüber sein sollte, dass Adelaide schneller gewesen war. Die Klatschkolumnistin war eine gewiefte alte Krähe und würde sich mit Halbwahrheiten und schwammigen Antworten sicher nicht abwimmeln lassen. Andererseits brauchte Fleur ein bisschen Publicity.
»Fleur! Grundgütiger, Sie sind es wirklich! Ich kann es kaum fassen, obwohl ich es mit eigenen Augen sehe! Mein Gott, Sie sehen toll aus!«
»Sie aber auch, Adelaide«, versetzte Fleur mit dem ihr eigenen weichen, leicht melodischen Akzent des Mittleren Westens. Keiner der Umstehenden hätte darauf getippt, dass Englisch nicht ihre Muttersprache war. Sie beugte sich herunter für den obligatorischen Luftkuss, denn Adelaide reichte ihr gerade einmal bis zum Kinn. Woraufhin die hennagefärbte Journalistin Fleur in den hinteren Bereich des Saals zog und damit geschickt vor den anderen Pressevertretern abschottete.
»1976 war ein denkbar schlimmes Jahr für mich, Fleur.« Adelaide seufzte theatralisch. »Damals ging ich durch die Menopause. Gute Güte, dass Sie niemals durchmachen mögen, was ich durchgemacht habe. Es hätte mich extrem aufgebaut, wenn Sie mir die Story gegeben hätten. Aber ich schätze, Sie hatten anderes im Kopf als mich. Dann, als Sie schließlich wieder in New York auftauchten …« Sie drohte Fleur scherzhaft mit dem Finger. »Ich muss gestehen, Sie haben mich enttäuscht.«
»Alles zu seiner Zeit.«
»Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen?«
Fleur schenkte ihr ein, wie sie hoffte, geheimnisvolles Lächeln und nahm ein Glas Champagner von einem der vorbeigleitenden Kellner.
Adelaide nahm sich ebenfalls ein Glas. »Ihr erstes Vogue -Cover werde ich im Leben nicht vergessen. Diese Statur … und diese auffallend großen Hände. Keine Ringe, kein Nagellack. Auf dem Titelblatt trugen Sie einen Nerz und ein Diamantencollier von Harry Winston, das sicher locker eine Viertelmillion Dollar kostete.«
»Ich entsinne mich.«
»Keiner konnte es so richtig fassen, dass Sie plötzlich von der Bildfläche verschwanden. Und dann Belinda …« Ein berechnender Ausdruck glitt über ihr Gesicht. »Haben Sie sie in letzter Zeit gesehen?«
Fleur verspürte wenig Lust, über Belinda zu reden. »Ich war länger in Europa. Ich wollte ein bisschen was Neues ausprobieren.«
»Das kann ich nachvollziehen. Sie waren ein junges Mädchen. Und Ihre Kindheit verlief ja wohl nicht besonders rosig. Zudem war es Ihr erster Film. Die Leute in Hollywood sind meist nicht besonders sensibel, anders als wir New Yorker. Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Was haben Sie denn so alles ausprobiert?«
»Das ist eine längere Geschichte.« Fleurs Blick glitt durch den Saal, ein Signal, dass das Thema für sie beendet war.
Adelaide blieb hartnäckig. »Na, wenn schon, meine Liebe, verraten Sie mir Ihr Geheimnis? Kaum zu glauben, aber Sie sehen noch besser aus als mit neunzehn.«
Das Kompliment machte Fleur hellhörig. Wenn sie sich gelegentlich ihre Fotos anschaute, nahm sie zwar die Schönheit wahr, die andere in ihr sahen, aber es schien ihr zugleich so distanziert, als zeigten die Aufnahmen eine Fremde. Sicherlich waren ihre Züge mit den Jahren ebenmäßiger und reifer geworden, aber sie konnte nicht einschätzen, wie andere die Veränderungen wahrnahmen.
Fleur war nicht eitel, weil sie schlicht nie verstanden hatte, warum man so viel Tamtam um sie machte. Sie fand ihr Gesicht zu herb. Die Wangenknochen, die Fotografen und Moderedakteure zu Begeisterungsstürmen hinrissen, zu maskulin. Hinzu kamen ihre Körperlänge, die großen Hände, die riesigen Füße … einfach unmöglich.
»Ich glaube wohl eher, dass Sie ein Geheimnis haben«, erwiderte Fleur schlagfertig. »Ihre Haut sieht nämlich fantastisch aus.«
Adelaide tat einen kurzen Augenblick lang geschmeichelt, ehe sie bescheiden abwinkte. »Erzählen Sie mir von Ihrem Kleid. So etwas hab ich Jahre nicht mehr gesehen. Es erinnert mich daran, was Mode einmal war, bevor …« Sie nickte kaum merklich in Richtung der schamlos aufgeknöpften Produzentengattin. »… bevor Geschmacklosigkeit Stilgefühl ersetzte.«
»Der Designer wird später noch vorbeischauen. Er ist ein außergewöhnliches Talent. Im Übrigen kennen Sie sich bereits.« Fleur lächelte. »Entschuldigen Sie, aber ich muss kurz mit der Redakteurin von Harper’s plaudern, sonst brennt sie Ihnen mit ihrer Zigarette noch ein Loch in den Rücken.«
Adelaide packte sie am Arm, und Fleur bemerkte echte Betroffenheit in ihrer Miene. »Warten Sie. Bevor Sie sich umdrehen, sollten Sie wissen, dass Belinda gerade gekommen ist.«
Unvermittelt wurde Fleur von einem leichten Schwindelgefühl erfasst, etwa so, als wäre sie zu hastig aufgestanden. Das hatte sie nicht einkalkuliert. Wie dumm von ihr. Sie hätte damit rechnen müssen … Bestimmt beobachteten sie bereits sämtliche Gäste. Sie drehte sich langsam um.
Belinda löste eben den Schal, den sie um den Kragen ihres eleganten Zobelmantels geschlungen hatte. Als sie Fleur sah, erstarrte sie mitten in der Bewegung. Ihre unvergleichlichen hyazinthblauen Augen weiteten sich.
Belinda war fünfundvierzig, blond und sehr attraktiv. Ihr Gesicht war faltenlos, ihre schlanken, wohlgeformten Beine steckten in kniehohen weichen Lederstiefeln. Seit den fünfziger Jahren trug sie die gleiche Frisur – einen perfekt gestylten Bob wie Grace Kelly seinerzeit in dem Psychodrama Bei Anruf Mord – und sah damit immer noch topmodisch aus. Ohne die Umstehenden auch nur eines Blickes zu würdigen, strebte sie auf Fleur zu. Unterwegs streifte sie ihre Handschuhe ab und stopfte sie in die Manteltaschen.
Belinda merkte nicht, dass einer ihrer Handschuhe zu Boden fiel. Sie sah nur ihre Tochter. Ihr Glitter Baby.
Belinda hatte sich den Namen ausgedacht. Er passte perfekt auf ihre bezaubernde Fleur. Sie legte ihre Hand auf das kleine Amulett, das sie seit langem zum ersten Mal wieder an einer Kette unter ihrem Kleid trug. Flynn hatte es ihr geschenkt, damals während der unbeschwerten Zeit im Garden of Allah. Aber damit hatte es eigentlich gar nicht angefangen.
Der Anfang: Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, als alles begonnen hatte. An jenem Donnerstag im September 1955 war es selbst für südkalifornische Verhältnisse extrem heiß gewesen. An dem Tag hatte sie James Dean kennen gelernt …
2
Belinda Britton nahm ein Exemplar der Modern Screen aus dem Zeitschriftenregal im Schwab’s Sunset Boulevard Drugstore. Sie brannte darauf, sich Marilyn Monroes neuesten Spielfilm Das verflixte 7. Jahr anzuschauen, obwohl sie ihr einen anderen Filmpartner als Tom Ewell gewünscht hätte. Tom Ewell konnte sie einfach nichts abgewinnen. Sie hätte Marilyn lieber noch einmal an der Seite von Robert Mitchum gesehen, wie seinerzeit in Fluss ohne Wiederkehr, oder mit Rock Hudson oder, besser noch, mit Burt Lancaster.
Vor einem Jahr hatte Belinda sich unsterblich in Burt Lancaster verliebt. Bei Verdammt in alle Ewigkeit war sie dermaßen hingerissen gewesen, als hätte er in der dramatisch wogenden Meeresbrandung nicht Deborah Kerr umschlungen und geküsst, sondern sie. Ob Deborah Kerr ihm dabei die Lippen geöffnet hatte, überlegte sie. Wohl kaum, dafür war die kühle, beherrschte Deborah nicht der Typ. Hätte Belinda die Rolle bekommen, hätte sie Burt Lancaster zweifellos richtig geküsst. So viel stand für sie fest.
In ihrer Fantasie war es dämmrig am Set und der Regisseur gerade abgelenkt. Aus irgendeinem Grund filmte die Kamera weiter. Und Burt streifte ihr die Träger des cremeweißen Einteilers von den Schultern, streichelte sie und hauchte »Karen«, weil das ihr Filmname war. Er wusste natürlich, dass sie Belinda hieß, und als er seinen Kopf über ihre Brüste neigte …
»Entschuldigen Sie, Miss, könnten Sie mir bitte ein Exemplar des Reader’s Digest rüberreichen?«
Das Wellenrauschen wurde ausgeblendet, wie im Film.
Belinda kam der Bitte nach, stellte Modern Screen zurück und nahm sich eine Photoplay mit Kim Novak auf dem Titel. Ein halbes Jahr lang hatte sie heimlich von Burt Lancaster und Tony Curtis oder anderen Leinwandgrößen geträumt. Sechs Monate, dann hatte sie ihren Entschluss gefasst. Ob ihre Eltern sie vermissten? Wahrscheinlich waren sie froh, dass ihr Kuckucksei endlich weg war. Sie schickten ihr jeden Monat einen Scheck über hundert Dollar, damit sie keine miesen Aushilfsjobs annehmen musste. Zumal dergleichen von ihren vornehmen Freunden in Indianapolis wenig geschätzt worden wäre, wenn sie davon Wind bekommen hätten. Bei ihrer Geburt waren ihre gut betuchten Eltern beide um die vierzig gewesen. Sie hatten ihre einzige Tochter auf den Namen Edna Cornelia Britton getauft. Sie war kein Wunschkind gewesen. Ihre Eltern waren zwar nicht direkt streng, aber kühl und distanziert. Das Mädchen wuchs mit dem bedrückenden Gefühl auf, ihnen lästig zu sein. Viele beteuerten, sie sei hübsch, ihre Lehrer bescheinigten ihr Intelligenz, aber was bedeutete das schon? Wie konnte jemand so Unscheinbares wie sie eine Koryphäe werden?
Mit neun entdeckte Belinda, dass sie diese negativen Empfindungen nicht mehr berührten, sobald sie im Palace Theater saß und sich vorstellte, eine jener hinreißenden Göttinnen zu sein, die dort oben über die Leinwand schwebten. Wunderschöne Geschöpfe mit unvergleichlichen Gesichtern und Körpern. Diese Frauen waren Auserwählte, und sie verinnerlichte den Vorsatz, eines Tages eine ebenso berühmte Filmschönheit zu sein, damit sie nie wieder das Gefühl der Unscheinbarkeit haben müsste.
»Das macht fünfundzwanzig Cent, schönes Kind.« Der junge Mann an der Kasse, ein attraktiver Blondschopf mit strahlendem Zahnpastalächeln, war ganz offensichtlich ein arbeitsloser Schauspieler. Sein Blick glitt anerkennend über Belinda, die ein modisch bleistiftschmales marineblaues Hemdblusenkleid mit weißem Revers trug und um die Taille einen mohnroten Lackledergürtel geschlungen hatte. Das Kleid erinnerte an den Stil, den Audrey Hepburn bevorzugte, auch wenn Belinda sich mehr für den Grace-Kelly-Typ hielt. Viele meinten, dass sie wie Grace aussähe. Um die Ähnlichkeit noch zu verstärken, hatte sie sich ihre Haare nach ihrem Idol schneiden lassen.
Die Frisur schmeichelte ihren aparten, fein geschnittenen Zügen. Ihre Lippen hatte sie mit einem schimmernden Rot nachgezogen, die hohen Wangenkonturen mit ein paar Tupfern von Revlons neuestem Cremerouge betont. Diesen Trick hatte sie aus einem Movie-Mirror-Artikel von Bud Westmore, dem gefragten Make-up-Stylisten der Stars. Ihre hellen Wimpern tuschte sie mit dunkelbrauner Mascara, was ihr attraktivstes Attribut unterstrich: die unvergleichlich strahlenden Augen, hyazinthblau und unschuldig-naiv.
Der Blonde mit dem Zahnpastalächeln lehnte sich über den Tresen. »In einer Stunde habe ich frei. Keine Lust, nachher mit mir ins Kino zu gehen? Unten an der Straße läuft Und nicht als ein Fremder.«
»Nein, danke.« Belinda legte einen Schokomintriegel zu ihrer Zeitschrift und schob eine Eindollarnote über den Tresen. Die Schokolade und das aktuellste Filmmagazin waren ihr üblicher Einkauf, den sie zweimal pro Woche in diesem bei Stars beliebten Drugstore am Sunset Boulevard tätigte. Bislang hatte sie Rhonda Fleming an der Theke erspäht, die eine Flasche Cremeshampoo gekauft hatte, und Victor Mature, der ihr am Eingang entgegengekommen war.
»Wie wär’s am Wochenende?« Der junge Kassierer blieb hartnäckig.
»Hab leider keine Zeit.« Belinda nahm das Wechselgeld in Empfang und bedachte ihn mit einem wehmütigen Blick, der ihm das Gefühl vermittelte, dass sie sich immer mit bittersüßem Bedauern an ihn erinnern würde. Sie genoss die Wirkung, die sie auf Männer hatte, und tippte darauf, dass es an ihrem hübschen Äußeren lag. Oder auch daran, dass sie Männern das Gefühl gab, selbstbewusster, intelligenter und maskuliner zu wirken, als sie es in Wirklichkeit waren. Etliche Frauen hätten diese Gabe schamlos für ihre Zwecke ausgenutzt, Belinda jedoch war nicht eigennützig.
Ihr Blick streifte einen jungen Mann, der in einer Ecke über einem Buch saß und einen Kaffee trank. Schlagartig bekam sie Herzflattern, obwohl sie sich einredete, dass sie sich bestimmt täuschte. Sie dachte so oft an ihn, dass sie wohl schon Halluzinationen hatte. Einmal war sie einem Mann fast zwei Kilometer weit gefolgt, um dann festzustellen, dass er im Gegensatz zu dem Mann in ihren Träumen eine hässliche Knollennase hatte.
Halb gespannt, halb skeptisch schlenderte sie zu der Sitzecke. Als er nach einem Päckchen Chesterfield griff, bemerkte sie seine angeknabberten Fingernägel. Er tippte sich mit dem Handrücken eine Zigarette aus der Packung. Mit angehaltenem Atem wartete Belinda darauf, dass er den Kopf hob. Ringsum war alles ausgeblendet. Alles bis auf den Beau in der Sitzecke.
Er steckte die Zigarette in den Mundwinkel, drehte eine Buchseite um, drückte mit dem Daumen ein Briefchen Streichhölzer auf. Sie hatte die Eckbank fast erreicht, als er das Zündholz ansteckte und aufblickte. Plötzlich schaute Belinda durch grauen Rauchnebel hindurch in die blauen Augen von James Dean.
Augenblicklich befand sie sich wieder in Indianapolis im Palace Theater. Der Film hieß Jenseits von Eden. Sie hatte in der letzten Reihe gesessen, als sein umwerfendes Gesicht überlebensgroß die Leinwand ausfüllte. Belinda war schwer beeindruckt gewesen. Ein Feuerwerk explodierte in ihrem Kopf, sekundenlang stockte ihr der Atem.
Bad Boy James Dean, mit dem verträumten Blick und dem schiefen Grinsen. Bad Boy Jimmy, der das Leben auf die leichte Schulter nahm. Seit jenem Augenblick im Palace Theater bedeutete er alles für sie. Er war der Rebell … der Traumprinz … der leuchtende Stern am Firmament. Seine lässige Körperhaltung, der arrogante Zug um das kantige Kinn signalisierten ein unerschütterliches Selbstverständnis. Sie hatte diese Botschaft aufgesaugt wie ein Schwamm und war mit neu gewonnenem Selbstbewusstsein aus dem Kino spaziert. Einen Monat vor ihrem Highschool-Abschluss hatte sie auf dem Rücksitz eines Oldsmobile ihre Unschuld verloren, an einen Jungen, dessen Schmollmund sie an Jimmy erinnerte. Nachher hatte sie ihren Koffer gepackt, sich heimlich aus ihrem Elternhaus gestohlen und war zur Bushaltestelle von Indianapolis geschlichen. In Hollywood hatte sie ihren Namen in Belinda geändert. Von wegen Edna Cornelia – das war einmal!
Jetzt stand sie vor ihm, und ihr Herz vollführte einen wilden Tanz. Mist, dass sie nicht ihr enges, kleines Schwarzes trug. Dazu eine dunkle Sonnenbrille, ihre höchsten Hacken, den blonden Pagenkopf auf einer Seite verrucht mit einem Schildpattkamm zurückgesteckt.
»Ich … ich liebe Ihren Film, Jimmy.« Ihre Stimme vibrierte wie eine zu straff gespannte Violinsaite. »Jenseits von Eden. Ich liebe ihn.« Und ich liebe dich. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich liebe.
Er balancierte die Zigarette auf den vollen Lippen, blinzelte mit halb geschlossenen Lidern in den Rauch. »Ach ja?«
Er sprach sie an! Sie konnte es kaum fassen. »Ich bin Ihr größter Fan«, stammelte sie. »Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich mir Jenseits von Eden angeschaut habe.« Oh, Jimmy, du bist alles für mich! Ich liebe nur dich. »Der Film ist großartig. Und Sie waren großartig.« Sie betete ihn mit Blicken an, ihre strahlenden Augen hingerissen vor Liebe und Bewunderung.
Dean zuckte seine sehnigen, schmalen Schultern.
»Ich kann es kaum erwarten, bis Ihr neuer Film Denn sie wissen nicht, was sie tun in die Kinos kommt. Ich glaube, nächsten Monat, oder?« Steh auf und nimm mich mit zu dir nach Hause, Jimmy. Bitte. Nimm mich mit zu dir und verführe mich.
»Ja.«
Ihr Herz raste, dass ihr schwindlig wurde. Keiner verstand ihn so gut wie sie. »Wie ich hörte, soll Giganten Ihr nächster großer Film werden.« Liebe mich, Jimmy. Ich geb dir alles, was du willst.
Nach einem unverständlichen Grummeln steckte er die Nase wieder in sein Buch. Der Erfolg hatte ihn immun gegen Blondinen mit hyazinthblauen Augen gemacht, denen der Starfimmel aus den hübschen Gesichtern sprang. Sie fand sein Benehmen nicht mal unhöflich. Er war ein Gigant, ein Gott. Und konnte sich dergleichen herausnehmen. »Danke«, murmelte sie, als sie zurücktrat. Und dann ein leise gehauchtes »Ich liebe dich, Jimmy«.
Dean hörte es nicht. Und wenn, ignorierte er es. Liebeserklärungen bekam er dauernd zu hören.
Belinda zehrte den Rest der Woche von der magischen Begegnung. Nach den Dreharbeiten in Texas käme er bestimmt wieder in Schwab’s Drugstore, überlegte sie. Und beschloss, jeden Tag hinzugehen, bis er wieder auftauchte. Und sie würde auch nicht mehr verlegen herumstottern. Für gewöhnlich kam sie bei Männern gut an, und Jimmy bildete da gewiss keine Ausnahme. Sie würde ihr erotischstes Outfit anziehen, und dann müsste er sich in sie verlieben.
Sie trug das schlichte marineblaue Hemdblusenkleid, als sie am nächsten Freitagabend ihr schäbiges Apartment verließ, das sie sich mit zwei weiteren Mädchen teilte. Sie hatte ein Date mit Billy Greenway, einem aknenarbigen Castingassistenten bei der Paramount. Vor einem Monat hatte sie dort vorgesprochen. Ihrer Ansicht nach war sie zwar eines der hübschesten Mädchen in dem Warteraum gewesen, wusste aber immer noch nicht, ob sie dem Castingdirektor gefallen hatte. Billy erwartete sie vor dem Apartmentkomplex. Er hatte ihr hoch und heilig versprechen müssen, zu ihrem dritten Date eine Kopie von dem Memo des Castingdirektors mitzubringen. Im Gegenzug dafür wollte sie ihn ein bisschen fummeln lassen. Gestern hatte er sie angerufen und ihr mitgeteilt, dass er die Besetzungsliste habe.
Vor seinem Wagen riss er Belinda an sich und küsste sie stürmisch. Sie hörte das Rascheln von Papier in der Tasche seines Sporthemds und schob ihn von sich. »Ist das das Memo, Billy?«
Er küsste ihren Nacken. Sein aufgewühlter Atem erinnerte sie an all die rohen Burschen in Indiana, die sie hinter sich gelassen hatte. »Ich hab doch gesagt, ich bring es mit, oder?«
»Lass mich mal sehen.«
»Später, Baby.« Seine Hände glitten zu ihren Hüften.
»Du gehst mit einer Dame aus, und ich lass mich von dir nicht unter Druck setzen.« Sie strafte ihn mit einem eisigen Blick und glitt in den Wagen. Ihr war sonnenklar, dass sie die Liste erst sehen würde, wenn sie auf seine Spielregeln einging. »Wohin gehen wir heute Abend aus?«, fragte sie, als sie losfuhren.
»Was hältst du von einer Party im Garden of Allah?«
»Im Garden of Allah?« Belindas Kopf schnellte hoch. Während der vierziger Jahre war das Garden eines der renommiertesten Hotels in ganz Hollywood gewesen. Einige der großen Stars wohnten immer noch dort. »Wie kommst du denn an eine Einladung im Garden?«
»Ich hab da so meine Beziehungen.«
Eine Hand auf das Lenkrad gelegt, schlang er die andere um ihre Schulter. Wie von ihr erwartet, fuhr er nicht auf direktem Weg zu dem Hotel. Stattdessen steuerte er die gewundenen Straßen zum Laurel Canyon hinauf, bis er ein einsames Fleckchen fand. Er stellte den Motor aus und ließ den Schlüssel stecken, damit sie Radio hören konnten. Perez Prado spielte »Cherry Pink and Apple Blossom White«. »Belinda, weißt du, ich bin ganz verrückt nach dir.« Er knutschte ihren Hals.
Sie wünschte, er würde ihr das Memo geben, sie in Frieden lassen und mit ihr zu der Party weiterfahren. Andererseits war es das letzte Mal gar nicht so übel gewesen. Sie hatte die Augen geschlossen und dabei an Jimmy gedacht.
Bevor sie Luft holen konnte, schob er seine Zunge in ihren Mund. Sie gab leise ein würgendes Geräusch von sich und stellte sich spontan vor, er wäre Jimmy. Bad Boy Jimmy, nimm dir, was immer du willst. Ein kleines Stöhnen entfuhr ihren Lippen, als sie die raue, drängende Zunge spürte. Bad Boy Jimmy, deine Zunge ist so süß.
Er nestelte an den Knöpfen ihres Kleides, seine Zunge tief in ihrem Mund. Kalte Luft streifte ihren Rücken und ihre Schultern, als Billy ihr das Kleid bis zur Taille herunterstreifte und ihren BH wegschob. Hinter ihren fest zusammengekniffenen Lidern visualisierte sie Jimmy, der sie betrachtete. Findest du mich schön, Jimmy? Ich mag es, wenn du mich anschaust. Ich mag es, wenn du mich berührst.
Billys Hand schob sich über ihren Strumpf zu dem nackten Fleisch über ihrem Strumpfgürtel. Seine Finger glitten zwischen ihre Schenkel, spreizten ihre Beine. Streichel mich, Jimmy. Ja, berühr mich. Schöner Jimmy. Oh ja.
Er presste ihre Hand in seinen Schoß und rieb sie an seinem Hosenstoff. Sie riss die Augen auf. »Nein!« Sie zog die Hand weg und glättete ihr Kleid. »Ich bin doch kein Flittchen.«
»Ich weiß, ich weiß, Babe«, sagte er angespannt. »Du hast jede Menge Klasse. Aber du kannst mich doch nicht erst scharfmachen und dann eiskalt abfahren lassen.«
»Dein Problem, wenn du scharf bist. Im Übrigen, wenn es dir nicht passt, such dir eine andere.«
Das saß. Er fuhr den Wagen zurück auf die dunkle Landstraße. In brütendem Schweigen passierten sie den Laurel Canyon und bogen auf den Sunset Boulevard ein. Erst als er den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Garden of Allah abgestellt hatte, griff er in seine Hemdtasche und fischte die von ihr mit Spannung ersehnte Liste heraus. »Versprich dir nicht zu viel davon.«
Ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Sie riss ihm das Blatt Papier aus der Hand und überflog die getippte Aufstellung. Sie musste die Seite zweimal durchgehen, ehe sie ihren Namen fand. Daneben stand ein Kommentar. Fassungslos starrte sie auf den Text. Erst allmählich begriff sie, was dort stand.
Belinda Britton, las sie. Schöne Augen, große Titten, kein Talent.
Das Garden of Allah war früher einmal Hollywoods beliebtester Tummelplatz gewesen. Ursprünglich das Anwesen von Alla Nazimova, der berühmten russischen Filmdiva, war es Ende der zwanziger Jahre in ein Hotel umgewandelt worden. Anders als das Beverly Hills und das Bel Air war das Garden nie richtig vornehm gewesen, seit seiner Eröffnung hatte es immer einen Hauch von Dekadenz verströmt. Trotzdem zog es die Stars hierher wie die Motten zum Licht. Sie kamen in die fünfundzwanzig Bungalows, die im spanischen Stil gehalten waren, und es herrschte ständig Party.
Tallulah Bankhead räkelte sich gern nackt am Pool, der wie das Schwarze Meer geformt war. Scott Fitzgerald traf sich mit Sheilah Graham heimlich in einem der Bungalows. Die Männer lebten dort zwischen ihren Ehen: Ronald Reagan, nachdem er sich von Jane Wyman getrennt hatte, Fernando Lamas nach Arlene Dahl. Während des goldenen Zeitalters kamen sie alle ins Garden: Bogart und sein Baby, Tyrone Power, Ava Gardner. Sinatra war da und Ginger Rogers. Drehbuchautoren saßen auf weißen Holzstühlen vor ihren Apartmenttüren und tippten tagsüber ihre Manuskripte. Rachmaninow probte in einem Bungalow, Benny Goodman in einem anderen. Und immer war Party.
An jenem Septemberabend 1955 lag das Garden in seinen letzten Zügen. Der Putz blätterte von den ehemals mit weißem Stuck verzierten Wänden, die Möbel in den Bungalows waren schäbig verwohnt, und erst einen Tag vorher hatte man eine tote Maus aus dem Swimmingpool gefischt. Ironischerweise kostete ein Bungalow im Garden genauso viel wie ein Zimmer im Beverly Hills. Und obwohl das Garden vier Jahre später der Abrissbirne zum Opfer fallen sollte, war es an jenem Septemberabend immer noch der heiß begehrte Ort, wo sich einige der großen Stars tummelten.
Billy öffnete Belinda die Wagentür. »Na, komm schon, Baby. Die Party bringt dich auf andere Gedanken. Ein paar von den Paramount-Typen sind bestimmt auch da. Ich stell dich überall vor. Du wirst sie umhauen.«
Ihre Hände umkrampften das Blatt Papier auf ihrem Schoß. »Lass mich ein bisschen allein, ja? Wir treffen uns drinnen.«
»Wie du willst, Baby.« Seine Schritte knirschten über den Kies, während er langsam zum Eingang schlenderte. Sie zerknüllte das Memo, sank frustriert in den Sitz. Und wenn es nun stimmte und sie tatsächlich kein Talent hätte? Bei ihren Träumereien von einer Karriere als Filmstar hatte sie keinen Gedanken an die eigentliche Schauspielerei verschwendet. Sie war davon ausgegangen, dass sie Unterricht bekäme oder etwas in der Art.
Ein Wagen setzte in die freie Lücke neben ihr. Das Radio war auf volle Lautstärke gedreht. Die beiden Insassen stellten nicht mal den Motor ab, bevor sie übereinander herfielen. Ein Highschool-Pärchen, tippte Belinda, das sich heimlich auf dem Parkplatz vor dem Garden of Allah vergnügte.
Plötzlich verklang die Musik, und die Nachrichten wurden eingeblendet.
Es kam gleich als erster Bericht.
Der Radiosprecher wiederholte die Information in sachlich-ruhigem Ton, als wäre es eine reine Tagesroutine und kein Weltuntergang, nicht das Ende von Belindas Träumen und ihren heimlichen Sehnsüchten. Sie schrie auf, es war ein grässlicher, lang gezogener Schrei, und umso entsetzlicher, weil er in ihrem Kopf explodierte.
James Dean war tot.
Sie riss die Autotür auf und stolperte wie benommen über den Parkplatz. Schlug sich durch die Büsche und einen der Wege entlang, blind in ihrem tiefen Schmerz. Sie lief am Swimmingpool vorbei, an einer knorrigen Korkeiche, die am Ende des Pools stand und an der eine Telefonzelle angebracht war mit der Aufschrift NUR FÜR HAUS-GÄSTE. Sie lief bis zu einem der langen, weiß getünchten Bungalows. Im Schutz der Dunkelheit sank sie schluchzend vor das Mauerwerk hin, fassungslos über das Ende ihres Traums.
Wie sie stammte Jimmy aus Indiana, und jetzt war er tot. Umgekommen auf der Straße nach Salinas, in seinem silbernen Porsche, den er Little Bastard getauft hatte. Alles ist möglich. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, lautete seine Devise. Ohne Jimmy schienen ihre Träume kindisch und unerreichbar.
»Meine Liebe, Sie veranstalten einen entsetzlichen Lärm. Würde es Ihnen etwas ausmachen, Ihre Probleme woanders zu klären? Es sei denn, Sie sind sehr hübsch. Dann lade ich Sie natürlich herzlich auf einen Drink in meinen Bungalow ein.« Die tiefe Stimme mit dem leicht britischen Akzent drang von irgendwoher oberhalb der verputzten Wand.
Belinda hob ruckartig den Kopf. »Wer sind Sie?«
»Eine interessante Frage.« Eine kurze Pause schloss sich an, untermalt von der gedämpften Partymusik, die zu ihr herüberwehte. »Sagen wir mal so, ich bin ein Mann der Widersprüche. Ich liebe das Abenteuer, Frauen und Wodka. Nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge.«
Die Stimme kam ihr bekannt vor … Belinda wischte sich mit dem Handrücken die Tränen fort und schaute sich suchend nach der Eingangstür um. Als sie diese entdeckt hatte, betrat sie den Bungalow, beseelt von dem rauchigen Timbre des rätselhaften Unbekannten und der Möglichkeit, sich von ihrer Weltuntergangsstimmung ein bisschen abzulenken.
Der Patio war in blassgelbes Licht getaucht. Dahinter zeichneten sich schemenhaft die Konturen eines Mannes ab, der in der abendlichen Dunkelheit saß. »James Dean ist tot«, murmelte sie. »Er kam bei einem Autounfall ums Leben.«
»Dean?« Eiswürfel klirrten in seinem Glas. »Ach ja. Undisziplinierter Bengel. Sorgte ständig für Krawall. Nicht dass ich ihm das ankreide. Hab zu meiner Zeit auch öfters auf den Putz gehauen. Setzen Sie sich, meine Liebe, und nehmen Sie sich einen Drink.«
Sie rührte sich nicht. »Ich habe ihn geliebt.«
»Nach meinem Dafürhalten ist die Liebe eine vergängliche Emotion, die sich am besten mit einem guten Fick befriedigen lässt.«
Belinda war tief geschockt. Niemand hatte dieses schamlose Wort jemals in ihrer Gegenwart in den Mund genommen, und so sagte sie das Erstbeste, was ihr einfiel. »Nicht mal den hab ich bekommen.«
Er lachte. »Also das, meine Liebe, ist die wirkliche Tragödie.« Dann vernahm sie das leise Knarren des Holzstuhls, er stand auf und schlenderte zu ihr. Er war groß, über einen Meter achtzig, ein wenig feist um die Hüften, mit breiten Schultern und athletischer Haltung. Er trug eine lässige weiße Hose, ein maisgelbes Hemd und um den Hals ein locker geknotetes Tuch. Sie registrierte die kleinen Details: Leinenschuhe, Uhr mit Lederband, khakifarbener Flechtgürtel. Und dann hob sie den Blick und schaute unvermittelt in die lebensüberdrüssigen Augen von Errol Flynn.
3
Als Belinda ihn kennen lernte, hatte Flynn bereits drei Ehefrauen verschlissen und ein Riesenvermögen durchgebracht. Er war sechsundvierzig, sah aber zwanzig Jahre älter aus. Der verwegene Schnurrbart war ergraut; das ehemals kantig geschnittene Gesicht mit der klassisch geformten Nase wirkte aufgedunsen und war von Wodka- und Drogenkonsum gezeichnet. Um seinen Mund lag ein zynischer Ausdruck. In seinen Zügen malten sich die Spuren eines bewegten Lebens. In vier Jahren würde er an den Folgen seiner zahllosen Süchte sterben, die andere Männer schon viel früher ins Grab gebracht hätten. Aber Flynn war eben ein Fall für sich.
Zwanzig Jahre lang hatte er in Mantel-und-Degen-Filmen den säbelrasselnden Helden gegeben, Schurken bekämpft, Schlachten geschlagen und vornehme Ladys gerettet. Ob Captain Blood, Robin Hood oder Don Juan – Flynn hatte sie alle gespielt. Bisweilen, wenn ihn eine Rolle reizte, sogar gut.
Vor seiner Ankunft in Hollywood hatte Errol Flynn bereits ein abenteuerliches Leben hinter sich. Er war Forscher gewesen, Seemann, Goldgräber. Hatte sich in Neuguinea als Sklavenhändler verdingt. Die Narbe an seinem Bein stammte von einem Schusswechsel mit einer Bande von Kopfgeldjägern, eine weitere am Bauch von einem Streit mit einem Rikschafahrer in Indien. Zumindest behauptete er das. Bei Flynn konnte man sich da nie sicher sein.
Und Frauen, immer wieder Frauen. Sie konnten nicht genug von ihm bekommen, und Flynn konnte die Finger nicht von ihnen lassen. Er mochte junge Frauen. Je jünger, desto reizvoller. Ein hübsches, junges Gesicht und ein unverbrauchter, junger Körper vermittelten ihm die Illusion, seine verlorene Unschuld wiederzugewinnen. Damit handelte er sich einen Haufen Ärger ein.
1942 wurde er der Unzucht mit Minderjährigen angeklagt. Obwohl er die Mädchen nicht dazu nötigen musste, verbot die kalifornische Gesetzgebung sexuelle Handlungen mit Minderjährigen unter achtzehn Jahren, ganz gleich, ob willig oder nicht. In der Jury saßen jedoch überwiegend Frauen, und Flynn wurde letztlich freigesprochen. Nachher rühmte er sich seiner erotischen Ausstrahlung, obwohl er es hasste, das Image eines notorischen Sexprotzes aufgedrückt zu bekommen.
Das Verfahren änderte nichts an seiner Faszination für junge Mädchen, und selbst mit sechsundvierzig, alkoholkrank und verlebt, fanden sie ihn unwiderstehlich.
»Kommen Sie, meine Liebe, setzen Sie sich zu mir.«
Dabei fasste er ihren Arm, und Belinda bekam unvermittelt weiche Knie. Hastig sank sie in den Sessel, zu dem er sie geleitete. Er reichte ihr ein gefülltes Glas, und ihre Hand zitterte, als sie es in Empfang nahm. Das war kein Traum. Es war real. Sie und Errol Flynn waren allein in einem Bungalow im Garden of Allah. Er schenkte ihr ein draufgängerisch-verwegenes Lächeln, die berühmte linke Augenbraue eine Spur höher gezogen als die rechte. »Wie alt sind Sie, meine Liebe?«
Sie brauchte einen Moment, bis sie einen Ton herausbrachte. »Achtzehn.«
»Achtzehn …« Seine linke Augenbraue hob sich um eine Nuance. »Schätze mal … Nein, natürlich nicht.« Er zupfte an einer Ecke seines Schnurrbarts und grinste mit entwaffnendem Charme. »Sie haben nicht zufällig Ihre Geburtsurkunde dabei?«
»Meine Geburtsurkunde?« Sie musterte ihn verständnislos. Merkwürdige Frage. Währenddessen schwirrten ihr die alten Geschichten über das Verfahren erneut durch den Kopf, und sie lachte. »Nein, Mr. Flynn, aber ich bin wirklich schon achtzehn.« Sie funkelte ihn kokett an. »Würde es denn etwas ändern, wenn ich jünger wäre?«
Die Antwort war typisch für Flynn. »Natürlich nicht.«
Danach plauderten sie über Belanglosigkeiten. Flynn erzählte ihr eine Anekdote über John Barrymore und berichtete von seinen Frauengeschichten. Sie vertraute ihm an, was bei Paramount passiert war. Er bat sie, ihn Baron zu nennen, das gefiele ihm besser. Sie versprach es, blieb aber trotzdem weiterhin bei Mr. Flynn. Nach einer Stunde fasste er ihre Hand und zog sie in den Bungalow.
Verlegen bat sie darum, das Bad benutzen zu dürfen. Nachdem sie sich frischgemacht hatte, stöberte sie ein wenig in seinem Toilettenschrank herum. Errol Flynns Zahnbürste. Sein Rasierapparat. Ihre Augen glitten über Pillen, Kapseln und Zäpfchen. Als sie das Schränkchen schloss und ihr rosig überhauchtes Gesicht im Spiegel betrachtete, blitzten ihre Augen vor Aufregung. Endlich hatte sie nähere Bekanntschaft mit einem großen Star gemacht!
Er erwartete sie im Schlafzimmer. Er trug einen burgunderroten Morgenmantel und rauchte eine Zigarette, die in einer kurzen Elfenbeinspitze steckte. Eine frisch geöffnete Flasche Wodka stand neben ihm auf dem Nachtschrank. Sie lächelte unschlüssig. Er schien amüsiert und angetan. »Im Gegensatz zu dem, was Sie vielleicht gelesen haben, meine Liebe, vergewaltige ich keine jungen Frauen.«
»Das hatte ich auch nicht vermutet, Mr. Flynn … Baron.«
»Sind Sie sich darüber im Klaren, was Sie hier tun?«
»Oh ja.«
»Gut.« Er nahm einen letzten Zug von der Zigarette, dann legte er die Spitze in den Aschenbecher. »Wie wär’s, wenn Sie sich für mich ausziehen?«
Sie schluckte schwer. Sie war bei einem Mann noch nie völlig nackt gewesen. Sicher, sie hatte sich ihr Höschen ausziehen oder das Kleid aufknöpfen lassen, wie heute Abend von Billy, aber selbst war sie nie aktiv geworden. Sie hatte sich noch nie für irgendwen ausgezogen. Aber Errol Flynn war auch nicht irgendwer.
Zögernd nestelte sie an ihren Knöpfen. Als sie schließlich alle geöffnet hatte, schob sie das Kleid über ihre Hüften. Sie schlug vor lauter Verlegenheit die Augen nieder und dachte an seine wundervollen Filme: The Dawn Patrol, Der Held von Burma, Unter Piratenflagge, Robin Hood, Der König der Vagabunden, Der Herr der sieben Meere. Sie blickte sich nervös nach etwas um, wo sie ihr Kleid hinlegen könnte, und entdeckte an der Längsseite des Raums eine Garderobe. Nachdem sie es aufgehängt hatte, streifte sie die Schuhe ab. Krampfhaft überlegte sie, was sie als Nächstes ausziehen sollte.
Nach einem raschen Blick zu Flynn rieselte ihr ein wohliges Prickeln den Rücken hinab. Liebevoll übersah sie seine Falten und Tränensäcke, bis er wieder der gefeierte Leinwandheld war. Sie erinnerte sich noch genau, wie attraktiv er in Gegen alle Flaggen ausgesehen hatte. Er hatte einen britischen Marineoffizier gespielt und Maureen O’Hara eine Piratin namens Spitfire. Sie fasste unter den Spitzenrand ihres Hemdröckchens, öffnete ihre Strumpfhalter, zog die Strümpfe aus und legte sie ordentlich zusammen. Danach löste sie den Strumpfgürtel. Land der Gottlosen war vor kurzem im Fernsehen gezeigt worden. Er und Olivia De Havilland passten wundervoll zusammen. Er war ungeheuer maskulin und Olivia immer ganz Dame.
Belinda trug nur noch das Hemdröckchen, ihren BH, ihr Höschen und ein Armband mit winzigen Anhängern. Mit zitternden Fingern öffnete sie die goldene Schließe und legte das Schmuckstück zu ihren Strümpfen. Sie wünschte, er würde aufstehen und ihr den Rest ausziehen, aber er machte keinerlei Anstalten. Langsam streifte sie sich das Hemdchen über den Kopf.
Sie wusste, dass er verheiratet war. Er hatte Patrice Wymore, seine jetzige Frau, bei den Dreharbeiten zu Herr der rauhen Berge kennen gelernt. Die Glückliche war mit Errol Flynn verheiratet, seufzte Belinda. Andererseits musste an den Trennungsgerüchten etwas Wahres sein, sonst wäre er bestimmt mit Patrice hier und nicht mit ihr. Tatsächlich war es schwierig, in Hollywood eine gut funktionierende Ehe zu führen.
Als sie völlig nackt war, spähte sie zu Flynn hinüber. Sein anerkennender Blick bewies ihr, dass sie ihm gefiel. »Komm her, Kleines.«
Verlegen, aber auch gespannt ging sie zu ihm. Er stand auf und streichelte ihr Kinn. Es fehlte nicht viel, und sie wäre in Ohnmacht gefallen. Sie fieberte darauf, dass er sie küsste. Seine Hände glitten zu ihren Schultern. Sie wollte, dass er sie so küsste, wie er Olivia De Havilland und Maureen O’Hara und all die anderen bezaubernden Schauspielerinnen geküsst hatte, die er auf der Leinwand geliebt hatte, stattdessen jedoch öffnete er seinen Morgenmantel. Darunter war er nackt. Belindas Blicke ignorierten seine sonnengebräunte, erschlaffte Haut.
»Tut mir leid, aber du wirst mir wohl ein bisschen helfen müssen«, sagte er. »Der Wodka und die Liebe vertragen sich nicht besonders.«
Sie fixierte ihn mit leicht geneigtem Kopf. Natürlich wollte sie ihm helfen. Aber wie?
Im Umgang mit jungen Mädchen erfahren, begriff er ihr Zögern und bedeutete ihr, was sie tun sollte. Sie war schockiert und gleichzeitig fasziniert. Also das war es, was prominente Männer unter dem Liebesakt verstanden. Es war zwar ungewöhnlich, irgendwie schien ihr der Wunsch jedoch begreiflich.
Sie kniete sich vor ihn hin.
Es dauerte lange, und sie wurde müde, bis er sie schließlich hochzog und auf das Bett drückte. Die Matratze gab nach, als er sich auf sie rollte. Bestimmt würde er sie jetzt küssen, überlegte sie, doch sie wurde enttäuscht.
Er streichelte ihre Beine, und sie öffnete ihm hastig die Schenkel. Seine Augen waren geschlossen, aber Belinda ließ ihre offen, um nur ja nichts zu versäumen. Errol Flynn würde sie verführen. Errol Flynn. Ihr Herz tanzte. Sie spürte ein Bohren. Einen Stoß. Es war tatsächlich Errol Flynn!
Ihr Körper explodierte.
In der Nacht fragte Flynn sie nach ihrem Namen und bot ihr eine Zigarette an. Da sie Nichtraucherin war, paffte sie nur daran. Und fand es total aufregend, mit einer Zigarette im Mund neben ihm am Kopfende des Bettes zu lehnen. Zum ersten Mal seit Stunden dachte sie wieder an Jimmy. Armer Jimmy, so jung sterben zu müssen. Das Leben war bisweilen grausam. Gottlob war sie hier, und sie lebte und sie war glücklich.
Flynn erzählte ihr von seiner Jacht, der Zaca, und von seinen letzten Reisen. Eigentlich wollte Belinda nicht neugierig sein, aber das mit seiner Frau interessierte sie. »Patrice ist sehr schön.«
»Eine wunderbare Frau. Ich hab sie schlecht behandelt.« Er leerte sein Glas, griff an ihr vorbei nach der Flasche auf dem Nachttisch. Als er sich nachgoss, grub sich seine Schulter in ihre Brust. »Dumme Angewohnheit von mir. Ich will Frauen gar nicht verletzen, aber ich bin nun mal kein Mann für die Ehe.«
»Werdet ihr euch scheiden lassen?« Selbstbewusst tippte sie die Glut von ihrer Zigarette.
»Vermutlich. Obwohl ich mir das wahrscheinlich gar nicht leisten kann. Das Finanzamt fordert eine knappe Million von mir, und ich hinke mit den Alimenten hinterher, dass ich den Überblick verloren habe.«
Belindas Augen füllten sich mit Tränen. »Ich finde es ungerecht, dass sich jemand wie du mit solchen Dingen herumärgern muss. Nachdem du mit deinen Filmen so viele Menschen begeistert hast«, meinte sie mitfühlend.
Flynn tätschelte ihr Knie. »Du bist ein liebes Mädchen, Belinda. Und dazu sehr hübsch. Wenn du mich anschaust, vergesse ich, dass ich ein alter Mann bin.«
Kurz entschlossen schmiegte sie ihre Wange an seine Schulter. »So darfst du nicht reden. Du bist nicht alt.«
Er grinste und küsste sie aufs Haar. »Liebes Mädchen.«
Wenige Tage später zog Belinda zu Flynn in den Bungalow im Garden of Allah. Ein Monat verstrich. Ende Oktober schenkte er ihr ein Kettchen mit einer winzigen Goldplatte, auf der »ICH LIEBE DICH« eingraviert stand. Ihr war klar, dass er das nicht ernst meinte, hütete das Kettchen indes wie ihren Augapfel und trug es stolz, als Symbol für alle, dass sie zu Errol Flynn gehörte.
An seiner Seite fühlte sie sich nicht mehr unscheinbar, sondern wunderschön, weltklug und wichtig. Sie schliefen lange und faulenzten tagsüber auf der Zaca oder am Pool. Die Abende verbrachten sie in Clubs und Restaurants. Sie begann zu rauchen und zu trinken, hörte auf, die großen Stars anzustarren, auch wenn sie das ungeheuer spannend fand. Irgendwann merkte sie, dass sie mit ihrer Art bei diesen Berühmtheiten gut ankam. Ein mit Flynn befreundeter Schauspieler meinte, das sei deswegen so, weil sie nicht kritisiere, sondern ausschließlich in Bewunderung schwelge. Seine Bemerkung verwirrte sie. Wieso sollte sie sich ein Urteil herausnehmen? Unfassbar, dass gewöhnliche Menschen an Stars Kritik übten, oder?
Manchmal liebten sie und Flynn sich nachts, aber meistens redeten sie nur. Es schmerzte sie, mit anzusehen, wie verletzlich er unter der draufgängerischen Fassade war. Also versuchte sie hingebungsvoll, ihn glücklich zu machen.
Sie sah Denn sie wissen nicht, was sie tun und dachte, dass ihr Traum vielleicht doch noch nicht geplatzt war. Inzwischen traf sie sich mit Studiobossen und nicht mehr mit irgendwelchen Castingassistenten. Sie würde diese Kontakte nutzen und sich auf den unvermeidlichen Tag X vorbereiten müssen, an dem Flynn eine neue Eroberung machte. Diesbezüglich gab sie sich keinen Illusionen hin. Sie würde ihn nicht lange halten können, dafür war sie ihm nicht wichtig genug.
Flynn kaufte ihr einen gewagten knallroten Bikini und bewunderte sie, während er Wodka trinkend am Pool saß. Niemand im Garden wäre so mutig gewesen, einen dieser neumodischen Zweiteiler zu tragen, aber Belinda kannte da keine Scheu. Ihr gefiel es, wenn Flynn sie betrachtete. Und ihr ein Badetuch hinhielt, wenn sie tropfnass aus dem Becken stieg. Sie fühlte sich behütet, beschützt und bewundert.
Eines Vormittags, als Flynn noch schlief, zog Belinda den roten Bikini an und sprang in den verlassenen Pool. Sie schwamm einige Züge, öffnete unter Wasser die Augen, um die Initialen von Alla Nazimova zu betrachten, die in den Betonboden eingemeißelt waren. Als sie wieder an die Oberfläche tauchte, starrte sie unversehens auf ein Paar tadellos polierter Lederschuhe.
»Tiens! Eine Meerjungfrau im Pool des Garden of Allah. Eine Meerjungfrau mit Augen, die mit dem Himmel um die Wette strahlen.«
Auf dem Rücken paddelnd, blinzelte Belinda in das morgendliche Sonnenlicht. Wer war der Mann, der dort am Beckenrand stand? Auf jeden Fall war er Europäer. Sein tadellos gebügelter weißer Seidenanzug ließ zudem darauf schließen, dass er Personal beschäftigte. Er war mittelgroß, schlank, mit aristokratischen Zügen, das dunkle, schüttere Haar geschickt frisiert. Er hatte kleine, eng zusammenstehende Augen über einer leichten Hakennase. Sie fand ihn nicht anziehend, aber beeindruckend. Der Duft des Geldes und der Macht umwehte ihn wie sein sündhaft teures Cologne. Sie schätzte ihn auf Mitte bis Ende dreißig. Nach dem Akzent zu urteilen war er Franzose, wenngleich seine Züge eher slawisch anmuteten. Wer weiß, vielleicht war er ja einer von diesen europäischen Filmemachern?
Sie bedachte ihn mit einem koketten Grinsen. »Von wegen Meerjungfrau, Monsieur. Ich bin ein ganz ordinäres Mädchen.«
»Ordinaire? Nein, das würde ich nicht sagen. Très extraordinaire, das trifft es in der Tat.«
Sie quittierte sein Kompliment mit einem kleinen Lächeln und erwiderte in ihrem besten Highschool-Französisch: »Merci beaucoup, Monsieur. Sie sind zu liebenswürdig.«
»Verraten Sie mir etwas, meine kleine Meerjungfrau. Ist das da ein Schwanz an Ihrem charmanten roten Bikini?«
Seine Augen funkelten belustigt, indes schwang in seinem Scherz ein Hauch von Berechnung. Belinda schwante, dass dieser Mann nichts dem Zufall überließ. »Mais non, Monsieur«, erwiderte sie gleichmütig. »Nur zwei ganz gewöhnliche Beine.«
Er hob eine Braue. »Mademoiselle, würden Sie mich das vielleicht selbst beurteilen lassen?«
Sie musterte ihn einen Augenblick lang, tauchte unter und schwamm mit langen, anmutigen Zügen zu der Leiter am anderen Ende des Pools. Als sie herauskletterte, war er verschwunden. Eine halbe Stunde später betrat sie den Bungalow, wo er mit Flynn plauderte und Bloody Marys trank.
Morgens war Flynn nicht in Bestform, und neben dem tadellos gepflegten Fremden sah er alt und zerknittert aus. Trotzdem war er der Attraktivere von beiden. Sie setzte sich auf seine Sessellehne und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Und wünschte sich, sie fände den Mut, ihm einen spontanen Begrüßungskuss auf die Wange zu hauchen, da sie aber nur nachts zärtlich wurden, schien ihr das zu aufdringlich. Er schlang einen Arm um ihre Taille. »Guten Morgen, mein Schatz. Ihr zwei habt euch ja schon am Pool kennen gelernt.«
Die Augen des Fremden glitten über die langen, braungebrannten Beine unter dem kurzen Frotteeröckchen, das sie über die Bikinihose gestreift hatte. »Tatsächlich, kein Fischschwanz.« Er erhob sich geschmeidig. »Alexi Savagar, Mademoiselle.«
ENDE DER LESEPROBE
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Glitter Baby« bei Harper Collins, New York.
Dieser Roman ist bereits 1987 unter dem Titel »Glitter Baby« erschienen. Er wurde 2007 von der Autorin vollständig überarbeitet und für diese Ausgabe völlig neu übersetzt.
1. Auflage Deutsche Erstausgabe Mai 2008 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.
Copyright © Susan Elizabeth Phillips, 1987, 2008
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008 by Blanvalet Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.
Umschlagmotiv: mauritius/age TKL/MD · Herstellung: Heidrun Nawrot
eISBN : 978-3-641-03539-2
www.blanvalet.de
www.randomhouse.de