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Die ersten drei Bände der Chicago-Stars-Reihe - jetzt in einer Ausgabe.
Band 1: Ausgerechnet den?
Phoebe Somerville ist begeistert, als sie das Chicagoer Footballteam erbt – bis sie dem Trainer Dan Calebow begegnet. Denn der ist stur wie ein Esel, will er doch bei absolut gar nichts auf sie hören! Aber Phoebe hat in ihrem bewegten Leben schon ganz anderen Männern gezeigt, wo’s langgeht. Auch Dan hat ein Problem: Seine neue Chefin ist eine Unsinn quasselnde, kratzbürstige Blondine. Merkwürdig nur, dass er trotzdem dauernd an sie denken muss. Jetzt helfen nur einige sehr ungewöhnliche Trainingsstunden …
Band 2: Der und kein anderer
Gracie Snow hat eine undankbare Aufgabe vor sich: Sie soll den widerspenstigen und äußerst attraktiven Footballspieler Bobby Tom Denton dazu bringen, seinen Filmvertrag zu erfüllen. Bobby Tom allerdings hat ziemlich gute Gründe, sich nicht an seine vertraglichen Pflichten zu halten. Daher beschließt er mal eben, diese süße Lady mit Hilfe seines beträchtlichen Charmes von ihrem Vorhaben abzulenken. Doch selten hat sich ein Mann so gewaltig in Gracie Snow geirrt …
Band 3: Bleib nicht zum Frühstück
Die Physikerin Dr. Jane Darlington, Mitte dreißig, hatte nie viel Glück mit den Männern. Doch auf ein Baby will sie keinesfalls verzichten! Und da sie selbst wegen ihres enormen IQ immer gehänselt wurde, sucht sie für ihr Kind einen Vater von eher schlichtem Gemüt. Als sie mit der Sportskanone Cal Bonner bekanntgemacht wird, scheint der passende Kandidat gefunden. Zu spät jedoch bemerkt die junge Mutter in spé, dass ihr gutaussehender „Samenspender“ auch über einen klugen Kopf verfügt …
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Seitenzahl: 1844
SUSAN ELIZABETH PHILLIPS
Die Chicago-Stars Band 1–3
Aus dem Amerikanischen von Gertrud Wittich, Inez Meyer und Uta Hege
Autorin:
Susan Elizabeth Phillips ist eine der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Ihre Romane erobern jedes Mal auf Anhieb die Bestsellerlisten in Deutschland, England und den USA. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in der Nähe von Chicago.
Die Chicago-Stars-Serie Band 1–3
Band 1: Ausgerechnet den?
Phoebe Somerville ist begeistert, als sie das Chicagoer Footballteam erbt – bis sie dem Trainer Dan Calebow begegnet. Denn der ist stur wie ein Esel, will er doch bei absolut gar nichts auf sie hören! Aber Phoebe hat in ihrem bewegten Leben schon ganz anderen Männern gezeigt, wo’s langgeht. Auch Dan hat ein Problem: Seine neue Chefin ist eine Unsinn quasselnde, kratzbürstige Blondine. Merkwürdig nur, dass er trotzdem dauernd an sie denken muss. Jetzt helfen nur einige sehr ungewöhnliche Trainingsstunden …
Band 2: Der und kein anderer
Gracie Snow hat eine undankbare Aufgabe vor sich: Sie soll den widerspenstigen und äußerst attraktiven Footballspieler Bobby Tom Denton dazu bringen, seinen Filmvertrag zu erfüllen. Bobby Tom allerdings hat ziemlich gute Gründe, sich nicht an seine vertraglichen Pflichten zu halten. Daher beschließt er mal eben, diese süße Lady mit Hilfe seines beträchtlichen Charmes von ihrem Vorhaben abzulenken. Doch selten hat sich ein Mann so gewaltig in Gracie Snow geirrt …
Band 3: Bleib nicht zum Frühstück
Die Physikerin Dr. Jane Darlington, Mitte dreißig, hatte nie viel Glück mit den Männern. Doch auf ein Baby will sie keinesfalls verzichten! Und da sie selbst wegen ihres enormen IQ immer gehänselt wurde, sucht sie für ihr Kind einen Vater von eher schlichtem Gemüt. Als sie mit der Sportskanone Cal Bonner bekanntgemacht wird, scheint der passende Kandidat gefunden. Zu spät jedoch bemerkt die junge Mutter in spé, dass ihr gutaussehender „Samenspender“ auch über einen klugen Kopf verfügt …
SUSAN ELIZABETH PHILLIPS
Roman
Aus dem Amerikanischen von Gertrud Wittich
Dieses Buch sei Steven Axelrod gewidmet, der mir mit seinem schlauen Köpfchen, seiner starken Männerschulter und seiner unendlichen Toleranz für die Verrücktheiten von Autoren eine unschätzbare Hilfe war.
Auf dich, Steve!
Phoebe Somerville hatte es wieder einmal geschafft, alle vor den Kopf zu stoßen. Nicht nur, dass sie ihren französischen Pudel zur Beerdigung ihres Vaters mitgebracht hatte, nein, sie hatte auch noch ihren ungarischen Liebhaber dabei. Und dann ihr Aufzug! Wie ein Filmstar aus den Fünfzigerjahren, auf der Nase eine Sonnenbrille, die nach außen hin spitz zulief und mit falschen Glitzersteinen besetzt war, den kleinen weißen Pudel auf dem Schoß. Ja, so saß sie da und lauschte der Grabrede des Pfarrers. Die übrigen Trauergäste wussten nicht so recht, was (oder wer) nun der Gipfel der Unverschämtheit war – das perfekt frisierte Hündchen mit den zwei pfirsichfarbenen Samtschleifchen an den Ohren, Phoebes umwerfend gut aussehender Ungar mit seinem langen Pferdeschwanz oder Phoebe selbst.
Phoebe besaß von Natur aus aschblondes Haar, zurzeit kunstvoll mit platinblonden Strähnchen aufgemotzt. Eine fette Locke fiel ihr raffiniert übers Auge, was unwillkürlich an den Film »Das verflixte siebente Jahr« mit Marilyn Monroe erinnerte. Ihr feuchter, voller Kussmund erstrahlte in einem schrillen Pink. Dieser Mund war nun leicht geöffnet, während der Blick hinter der Katzenaugen-Sonnenbrille auf den glänzenden schwarzen Ebenholzsarg gerichtet war, der die sterblichen Überreste von Bert Somerville barg. Phoebe trug ein knappes weißes Kostüm mit einem flotten gesteppten Jäckchen, was an sich schon ungehörig genug war. Doch der absolute Höhepunkt war das, was sie darunter anhatte, nämlich ein Goldmetallicbustier, das wohl für ein Rockkonzert, keinesfalls aber für eine Beerdigung geeignet war. Um den knallengen – seitlich auch noch geschlitzten! – Minirock schlang sich eine dicke Goldkette, an deren Vorderseite, nun ja, man wunderte sich über fast gar nichts mehr, ein schweres goldenes Feigenblatt baumelte.
Phoebe war, seit sie mit achtzehn ausgebüchst war, nie mehr in Chicago gewesen, sodass nur die wenigsten der Trauergäste Bert Somervilles berüchtigter Tochter begegnet waren. Nach dem, was man über sie gehört hatte, überraschte es jedoch keinen, dass ihr Vater sie enterbt hatte. Welcher Vater würde auch Besitz und Vermögen an eine Tochter vererben, die jahrelang ein liederliches Verhältnis mit einem über vierzig Jahre älteren Mann gehabt hatte, selbst wenn es sich bei diesem Mann um den berühmten spanischen Maler Arturo Flores handelte? Und dann auch noch diese peinlichen Bilder. Für einen Mann wie Bert Somerville waren Bilder von Nackten eben Bilder von Nackten. Nicht einmal die Tatsache, dass die dutzenden von abstrakten Akten, die Flores über die Jahre von seiner Muse gemalt hatte, nun die Wände zahlreicher Museen in aller Welt zierten, konnte etwas an seinem abschlägigen Urteil ändern.
Phoebe besaß eine Wespentaille und schlanke, wohlgeformte Beine, doch ihre Brüste waren voll und ihre Hüften rund und weiblich, eine Figur also, wie sie die Frauen in den Fünfzigern gehabt hatten, in einer längst vergangenen Zeit, als Frauen noch wie Frauen aussahen. Phoebe hatte eine »sündige Figur«, um einen etwas veralteten Ausdruck zu strapazieren, die Art Figur, die Männer zu hechelnden Idioten machte, eine Figur, deren Abbild genauso gut auf die Innentür eines Spinds passte wie an die Wand eines Museums. Sie hatte den Körper einer hirnlosen Blondine, keineswegs jedoch das dazu gehörige Spatzenhirn, auch wenn die Welt, besonders die männliche, das glaubte, denn Phoebe wurde selten anders als nach ihrem Äußeren beurteilt.
Ihr Gesicht fiel ebenso aus dem Rahmen wie ihre Figur. Irgendetwas stimmte nicht mit ihren Gesichtszügen, obwohl man nicht hätte sagen können, was. Denn sie besaß eine gerade Nase, einen wohlgeformten Mund und einen starken Unterkiefer. Vielleicht lag es ja an dem unglaublich erotischen kleinen Leberfleck auf einem ihrer hohen Wangenknochen. Oder an den Augen. Diejenigen, die einen Blick darauf erhascht hatten, bevor sie sie hinter ihrer Sonnenbrille versteckte, hatten bemerkt, dass sie ein wenig schräg standen und irgendwie viel zu exotisch für ihr Gesicht waren. Arturo Flores hatte diese bernsteinfarbenen Katzenaugen nicht selten überzeichnet, manchmal größer als ihre Hüften, manchmal mitten auf ihre Prachtbrüste gesetzt.
Phoebe wirkte während der Beerdigungsfeier kühl und beherrscht, obwohl es, für diese Jahreszeit im Juli nicht ungewöhnlich, drückend schwül war. Nicht einmal der nahe gelegene DuPage River, der sich durch viele im Westen von Chicago gelegene Vororte schlängelte, brachte Erleichterung. Man hatte sich zwar in einem Halbkreis unter dem schattigen grünen Blätterdach einiger großer alter Laubbäume versammelt, doch nicht alle Anwesenden hatten ein Schattenplätzchen ergattert, sodass viele der reichen Pinkel in der prallen Sonne stehen und in ihren Designerklamotten schwitzen mussten. Dazu kam der fast betäubende Geruch der nahezu hundert Blumengestecke. Glücklicherweise waren die Trauerreden kurz, und es gab nachher keinen Empfang, sodass man sich schon allseits darauf freute, sich bald wieder verdrücken zu können, während man insgeheim frohlockte, dass Bert Somervilles Nummer aufgerufen worden war und nicht die eigene.
Der gelackte schwarze Sarg war über einer züchtig mit einem grünen Teppich verdeckten Grube aufgebahrt worden. Phoebe saß direkt davor, in der ersten Reihe, zwischen ihrer Halbschwester Molly und ihrem Vetter Reed Chandler. Den Sargdeckel zierte ein enormes Blumenarrangement in der Form eines Sterns aus weißen Rosen, verziert mit königsblauen und goldenen Schleifen, den Farben der Chicago Stars, des Footballvereins der NationalFootball League, den Bert zehn Jahre zuvor erworben hatte.
Als die Begräbnisfeier zu Ende war, erhob sich Phoebe mit ihrem Pudel auf dem Arm. Ein Sonnenstrahl fiel auf sie und ließ die Goldmetallicfäden ihres Bustiers aufblitzen und die falschen Steinchen in der Fassung ihrer Katzenaugensonnenbrille funkeln. Ein unnötig dramatischer Effekt für eine Frau, die auch so schon mehr als genug Dramatik besaß.
Reed Chandler, Berts fünfunddreißigjähriger Neffe, erhob sich ebenfalls und trat an den Sarg, um eine Blume darauf zu legen. Phoebes Halbschwester Molly folgte linkisch seinem Beispiel. Reed wirkte ganz wie der trauernde Verwandte, obwohl es ein offenes Geheimnis war, dass er das Footballteam seines Onkels erben würde. Auch Phoebe legte pflichtschuldigst ihre Blume auf den Sarg. Nein, sie würde sich nicht von ihrer alten Bitterkeit überwältigen lassen. Wozu auch? Was hätte das für einen Sinn? Als er noch lebte, war es ihr trotz aller Mühen nie gelungen, seine Liebe zu erringen, und nun konnte sie es guten Gewissens lassen. Sie drückte tröstend den Arm ihrer jungen Halbschwester, die für sie immer eine Fremde geblieben war, doch Molly entzog ihr den Arm und wich zurück, wie immer, wenn Phoebe versuchte, ihr näher zu kommen.
Reed trat an ihre Seite, und Phoebe zuckte automatisch zurück. Auch wenn er mittlerweile noch so vielen Wohltätigkeitsvereinen angehörte, sie könnte niemals vergessen, wie schlimm er ihr in ihrer Kindheit zugesetzt hatte. Ohne zu überlegen wandte sie sich von ihm ab und den Umstehenden zu. Mit einer atemlosen, leicht rauchigen Stimme, der perfekten Ergänzung zu einer Figur, bei der jedem Mann das Wasser im Mund zusammenlief, hauchte sie: »Wie überaus nett, dass Sie kommen konnten, besonders bei dieser abscheulichen Hitze. Viktor, mein Bärchen, würdest du Pooh bitte einen Moment nehmen?«
Sie streckte Viktor Szabo die kleine weiße Pudeldame hin. Der rassige Ungar hatte nicht nur wegen seines umwerfenden Aussehens allen anwesenden Frauen den Kopf verdreht, sondern auch, weil ihnen etwas an diesem ausgesprochenen Prachtexemplar von Mann bekannt vorkam. Ein paar von ihnen hatten ihn auch prompt als das Fotomodell erkannt, das mit eingeölten Muckis, offenem Wallehaar und halb offenem Hosenschlitz auf zahlreichen Werbeplakaten für Jeans prangte.
Viktor nahm ihr das Hündchen ab. »Aber gerne, mein Liebling«, erwiderte er in einem zwar merklichen, aber längst nicht so ausgeprägten Akzent wie der der Gabor-Schwestern, die doch schon ein halbes Jahrhundert länger in den Vereinigten Staaten lebten als er.
»Mein Schoßhündchen«, flötete Phoebe, womit sie jedoch keineswegs ihre Hündin, sondern Viktor meinte.
Viktor fand insgeheim, dass sie es ein bisschen übertrieb, doch er war schließlich Ungar und daher von Natur aus Pessimist. Deshalb pustete er ihr lediglich eine Kusshand zu und schenkte ihr einen seelenvollen Blick. Den Pudel setzte er sich in die Armbeuge und nahm dann eine Pose an, die seinen Körper, bei dem einem ebenfalls das Wasser im Mund zusammenlaufen konnte, bestmöglich zur Geltung brachte. Gelegentlich bewegte er den Kopf, damit die Silberperlen aufblitzten, die diskret in sein Haar geflochten waren, das in einem langen, dichten Schweif über die Hälfte seines Rückens fiel.
Phoebe streckte ihre schlanke, langfingrige Hand, deren bonbonrosa Nägel weiße Halbmonde zierten, einem untersetzten US-Senator entgegen, der in diesem Moment auf sie zutrat. Mit einem Gesichtsausdruck, als wäre er ein besonders leckerer Nachtisch, säuselte sie: »Senator, ich bin ja sooo froh, dass Sie kommen konnten. Noch dazu, wo Sie doch so schrecklich beschäftigt sein müssen. Sie sind einfach ein Schatz!«
Die pummelige, grauhaarige Frau des Senators bedachte Phoebe zunächst mit einem misstrauischen Blick, war dann jedoch überrascht über die Wärme und Freundlichkeit des Lächelns, mit dem Phoebe nun auch sie begrüßte. Später fiel ihr auf, dass Phoebe Somerville weit entspannter mit Frauen umzugehen schien als mit Männern, was für eine Sexbombe wie sie schon verwunderlich war. Nun, ihre ganze Familie war ja nicht gerade normal.
Bert Somerville beispielsweise war bekanntermaßen ein leidenschaftlicher Bewunderer von Las-Vegas-Showgirls gewesen. Immerhin hatte er drei davon geheiratet. Die erste, Phoebes Mutter, war jung gestorben. Das war, als sie versuchte, Bert den heiß ersehnten Sohn zu schenken. Seine dritte Frau, Mollys Mutter, war vor dreizehn Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Sie war nach Aspen unterwegs gewesen, wo sie die Scheidung von Bert hatte feiern wollen. Nur Berts zweite Frau lebte noch, und die wäre nicht mal über die Straße gegangen, um seine Beerdigung zu besuchen, geschweige denn von Reno herübergeflogen.
Tully Archer, der hoch geschätzte Abwehrchef der Chicago Stars, wandte sich von Reed ab und trat nun zu Phoebe. Mit seinen weißen Haaren, den buschigen Augenbrauen und der dicken roten Nase sah er aus wie ein bartloser Weihnachtsmann.
»Einfach furchtbar, Miss Somerville, einfach furchtbar.« Er räusperte sich mit einem rhythmischen hcht-hcht. »Haben uns, glaube ich, noch nie gesehen. Ist schon komisch, dass ich Berts Tochter in all den Jahren nie begegnet bin. Bert und ich, wir kannten uns schon ewig, und er wird mir schrecklich fehlen. Nicht, dass wir immer einer Meinung gewesen wären. Er konnte ein verdammter Dickschädel sein. Aber lange gekannt haben wir uns, ja, das schon.«
Er hörte nicht auf, ihre Hand zu schütteln und vor sich hin zu quasseln, ohne ihr dabei ein einziges Mal in die Augen zu sehen. Wer sich im Football nicht auskannte, wunderte sich, wie so ein halbseniler Knacker eine professionelle Footballmannschaft coachen konnte, doch jene, die ihn in Aktion gesehen hatten, machten nie wieder den Fehler, seine Trainerqualitäten in Frage zu stellen.
Leider jedoch war er ein unverbesserlicher Schwätzer, und als er auch nach einer langen Weile keinerlei Anstalten machte, die Luft anzuhalten, unterbrach ihn Phoebe. »Wie schrecklich lieb von Ihnen, das zu sagen, Mr. Archer. Sie sind ja ein richtiges Zuckerschnäuzchen.«
Tully Archer war in seinem langen Leben schon vieles genannt worden, ein Zuckerschnäuzchen aber gewiss noch nie. Ein paar Sekunden war er sprachlos, was Phoebe wohl beabsichtigt hatte, denn sie nutzte die günstige Gelegenheit, sich von ihm abzuwenden, nur um sich unversehens einer Versammlung von Monstern gegenüberzusehen, die in einer geduldigen Reihe, einer hinter dem anderen, darauf warteten, ihr Beileid bekunden zu dürfen.
In Schuhen von der Größe von Schleppkähnen standen sie herum und traten verlegen von einem Fuß auf den anderen. Wahre Fleischberge waren sie, deren Köpfe direkt auf ihren massigen Schultern zu sitzen schienen, mit Oberschenkeln so dick wie Walfischbabys. Ihre Riesenpranken hingen gefaltet herunter, als erwarteten sie, jeden Moment die Nationalhymne spielen zu hören. Ihre monströsen Körper steckten in königsblauen Teamblazern und dazu grauen Hosen. Schweiß funkelte in dicken Tröpfchen auf Stirnen, die von einem glänzenden Blauschwarz bis zu einem sonnenverbrannten Weiß reichten. Wie Sklaven auf einer Südstaatenplantage waren die Spieler der Chicago-Stars-Footballmannschaft aufmarschiert, um ihrem verstorbenen Besitzer die Ehre zu erweisen.
Ein schlitzäugiges, halsloses Ungeheuer, das aussah, als solle es eher einen Häftlingsaufstand in einem Hochsicherheitstrakt anführen, trat vor, den Blick so bemüht auf Phoebes Gesicht geheftet, dass es offensichtlich war, wie sehr er sich zwang, nicht ihre spektakulären Brüste zu beäugen. »Mein Name ist Elvis Crenshaw Ich bin nose guard bei den Stars. Tut mir echt Leid wegen Mr. Somerville.«
Phoebe bedankte sich, und der nose guard ging weiter, wobei er Viktor Szabo im Vorbeigehen einen neugierigen Blick zuwarf.
Viktor, der nicht weit von Phoebe stand, hatte seine Rambo-Pose eingenommen, was gar nicht so einfach hinzukriegen ist, wenn man einen kleinen weißen Pudel in der Armbeuge hat anstatt einer Uzi. Trotzdem, es schien zu wirken, denn die Augen fast jedes anwesenden weiblichen Wesens hingen an ihm. Wenn er jetzt bloß noch die Aufmerksamkeit jenes hinreißenden Geschöpfs mit dem wundervollen Knackarsch erregen könnte, dann wäre sein Tag wahrhaftig perfekt.
Unglücklicherweise war das hinreißende Geschöpf mit dem wundervollen Knackarsch gerade vor Phoebe getreten und hatte nur Augen für sie.
»Miz Somerville, ich bin Dan Calebow, head coach der Stars.«
»Aber hallooo, Mr. Calebow«, schnurrte Phoebe mit einer Stimme, die, wie Viktor fand, eine ziemlich eigenartige Kreuzung zwischen Bette Midler und Bette Davis war, doch er war schließlich Ungar und was wusste er schon.
Phoebe war Viktors beste Freundin auf der ganzen Welt, und er hätte alles für sie getan, was auch der Grund war, warum er sich zu dieser makabren Scharade, in der er als ihr Liebhaber auftrat, breitschlagen hatte lassen. In diesem Moment hätte er sie jedoch am liebsten aus der Gefahrenzone gerissen. Anscheinend begriff sie nicht, dass sie hier mit dem Feuer spielte. Oder vielleicht doch. Wenn Phoebe sich nämlich bedrängt fühlte, was angesichts dieses beeindruckenden Machotypen offenbar der Fall war, dann konnte sie eine ganze Armee von Verteidigungswaffen auffahren, deren wenigste jedoch mit Bedacht und Vorsicht gewählt waren.
Dan Calebow hatte Viktor bis jetzt noch keines Blickes gewürdigt, was den Ungar zu dem seufzenden Schluss veranlasste, dass dieser leckere Brocken wohl, wie leider so viele Geschlechtsgenossen, einem alternativen Lebensstil vollkommen verschlossen gegenüberstand. Eine Schande zwar, die Viktor jedoch mit der ihm eigenen versöhnlichen Natur akzeptierte.
Phoebe mochte Dan Calebow ja unbekannt sein, doch Viktor war ein Footballfan und wusste, dass Calebow einmal einer der explosivsten und umstrittensten quarterbacks der NFL gewesen war, bevor er vor fünf Jahren zu spielen aufhörte und sich dem Coachen zuwandte. Bert hatte letztes Jahr, mitten in der Saison, den Cheftrainer der Stars gefeuert und Dan angeheuert, der bis dato für die rivalisierenden Chicago Bears gearbeitet hatte.
Calebow war ein Hüne von einem Mann, ein blonder Löwe, der sich mit dem Selbstbewusstsein eines Menschen bewegte, der keine Geduld für Selbstzweifel hat. Viktor selbst war einsdreiundachtzig, und dieser Mann war sogar noch ein Stück größer als er und um einiges muskulöser als die meisten professionellen quarterbacks. Er besaß eine hohe, breite Stirn und eine kräftige Nase mit einem kleinen Buckel, als wäre sie schon einmal gebrochen gewesen. Seine Unterlippe war ein klein wenig voller als seine Oberlippe, und zwischen Mund und Kinn verlief waagerecht eine feine weiße Narbe. Am interessantesten an seinem Gesicht war jedoch nicht die Macho-Narbe und auch nicht die dicke, dunkelblonde Löwenmähne. Es waren seine Augen, ein Paar raubtierhafter, meergrüner Augen, die in diesem Moment gerade seine arme Phoebe aufspießten. So durchdringend war dieser Blick, dass Viktor halb und halb erwartete, Dampf von Phoebes Haut aufsteigen zu sehen.
»Mein aufrichtiges Beileid«, sagte Calebow mit einem weichen Südstaatenakzent. Er war seine Kindheit in Alabama nie ganz losgeworden. »Wir werden ihn sehr vermissen.« »Wie nett, dass Sie das sagen, Mr. Calebow«
Phoebes Stimme hatte noch einen Schnurrer zugelegt, und Viktor merkte, dass sie nun auf Kathleen Turner machte, eine von den vielen Rollen in ihrem unerschöpflichen Repertoire von sexy Stimmen. Normalerweise wechselte sie sie nicht so oft, also musste sie ziemlich nervös sein. Nicht dass sie sich das je hätte anmerken lassen. Schließlich stand ihr Ruf als Sexbombe auf dem Spiel.
Viktor richtete seine Aufmerksamkeit abermals auf den Teamchef der Stars. Ihm fiel wieder ein, dass Dan Calebow als Spieler wegen seiner erstaunlichen Mitleidslosigkeit den Spitznamen »Ice« bekommen hatte. Er konnte Phoebe nicht vorwerfen, dass sie in seiner Gegenwart nervös wurde. Der Mann wirkte schon ein Fitzelchen einschüchternd.
»Bert hat das Spiel geliebt«, fuhr Calebow auf seine gedehnte Art fort, »und er war kein schlechter Boss.«
»Da bin ich ganz sicher.« Mit jeder gehauchten Silbe versprach sie ihm den Himmel auf Erden, ein wahres sexuelles Gelage – und ein ganz und gar leeres Versprechen, wie Viktor sehr wohl wusste.
Als sie sich daraufhin zu ihm umwandte und die Arme ausstreckte, merkte er erst, wie nervös sie wirklich war. In der korrekten Annahme, das sie Pooh als kleines Schutzschild brauchte, trat er vor, um ihr die Pudeldame zu überreichen, doch in diesem Moment kam ein klappriger Lieferwagen mit Gartengerät auf den Friedhof geholpert und ließ einen lauten Auspuffknaller ab, der die kleine Hündin zutiefst erschreckte.
Pooh jaulte kurz auf und sprang von ihrem Arm. Die Hündin hatte zu lange still sitzen müssen und begann nun schrill bellend in wilder Flucht durch die Stuhlreihen zu rasen, wobei der Pompon an ihrem Schwanz so wild hüpfte, als wollte er jeden Moment durch die Gegend zischen wie ein Ass von Boris Becker.
»Pooh!«, kreischte Phoebe und rannte hinter der Hündin her, die genau in diesem Moment an die schlanken Metallbeine eines hochaufgetürmten Arrangements roter Gladiolen stieß.
Phoebe war auch unter den günstigsten Umständen nicht gerade eine Sportskanone und nun, in ihrem engen Minirock, gelang es ihr erst recht nicht, den Hund rechtzeitig einzufangen, um eine Katastrophe zu verhüten. Das Blumenarrangement wackelte gefährlich und kippte dann nach hinten auf einen Blumenkranz, der wiederum ein kunstvolles Dahliengesteck umstieß. Die Blumen waren so dicht aufgereiht, dass ein Gesteck unmöglich umfallen konnte, ohne das nächste mitzureißen. Langsam, wie bei der »Welle« im Sportstadion, gingen die Blumen in die Waagerechte, spritzte das Wasser. Die betroffenen Trauergäste sprangen eilig zurück und fegten dabei noch mehr Blumenkränze um. Wie Dominosteine kippte ein Strauß nach dem anderen, bis es um den Sarg herum aussah, als hätte der Blitz eingeschlagen.
Phoebe riss ihre Sonnenbrille herunter, sodass ihre seltsam schräg stehenden Bernsteinaugen zum Vorschein kamen, und kreischte: »Fuß, Pooh! Fuß, verdammt noch mal! Viktor!«
Viktor war bereits losgerannt, um den Pudel auf der anderen Seite des Kuddelmuddels abzufangen, war dabei jedoch unglücklicherweise mit ein paar Stühlen kollidiert, die in eine andere Blumengruppe kippten und eine separate Kettenreaktion auslösten.
Eine reiche Goldküstenschönheit, die sich für eine Expertin für Schoßhündchen hielt, da sie einen Shiatsu besaß, machte einen beherzten Sprung auf die Pudeldame zu, nur um wie erstarrt innezuhalten, als diese das Schwänzchen hängen ließ und sie zähnefletschend wie ein Miniaturterminator anknurrte. Pooh war normalerweise das freundlichste Hündchen auf der Welt, doch fatalerweise roch die Schönheit nach »Eternity« von Calvin Klein, einem Duft, den Pooh verabscheute, seit eine von Phoebes Freundinnen, der »Eternity« aus allen Poren quoll, Pooh eine Promenadenmischung geschimpft und unter dem Tisch einen Fußtritt versetzt hatte.
Phoebe, deren seitlich geschlitzter Rock mehr Schenkel enthüllte, als schicklich war, schoss zwischen zwei linemen hindurch. Die beiden beobachteten mit unverhohlener Belustigung, wie sie auf den Pudel zuhechtete. »Pooh! Bei Fuß, Pooh!«
Molly Somerville, die angesichts des blamablen Spektakels, das ihre Schwester machte, vor Scham am liebsten im Boden versunken wäre, versteckte sich unauffällig im Kreis der sprachlosen Zuschauer.
Als Phoebe einem umfallenden Stuhl aus dem Weg sprang, bumste das schwere goldene Feigenblatt, das an ihrem Goldgürtel baumelte, gegen jene Stelle, die Feigenblätter gewöhnlich verdeckten. Sie versuchte danach zu greifen, um einen bleibenden Schaden von sich abzuwenden, doch da trat sie auf einen Teppich nasser Lilien und saß, wusch, auf ihrem wohlgeformten Hinterteil.
Beim Anblick ihres Frauchens, das auf dem Popo über einen Blumenteppich schlitterte, vergaß Pooh die bedrohlich stinkende Dame. In der falschen Annahme, Phoebe wolle sich mit ihr balgen, begann das Hündchen ekstatisch zu japsen.
Phoebe mühte sich vergeblich, wieder auf die Beine zu kommen, wobei sie dem Bürgermeister von Chicago und mehreren Mitgliedern der rivalisierenden Chicago Bears einen großzügigen Blick auf ihre Oberschenkel gewährte. Gerade als Viktor von der anderen Seite kam, schoss Pooh zwischen den Beinen eines aufgeblasenen Sportreporters hindurch, unter die noch aufrecht stehenden Stuhlreihen. Viktor war ihr liebster Spielgefährte und ihr Bellen nahm noch an Begeisterung zu.
Pooh machte eine scharfe Wendung und dann eine ebenso scharfe Bremsung, denn sie sah sich unversehens einem Haufen umgestürzter Blumen und einem großen Flecken durchweichtem Rasen gegenüber – eine formidable Barriere für ein Tier, das es wie die Pest hasste, sich die Pfoten nass zu machen. In die Enge getrieben, hüpfte sie auf einen der Klappstühle. Als dieser zu wackeln begann, stieß sie einen nervösen Quietscher aus und hüpfte auf einen anderen und von dort auf eine große, glatte, harte Oberfläche.
Die Menge rang hörbar nach Luft. Weiße Rosen, königsblaue und goldene Bänder flogen nur so durch die Gegend. Stille senkte sich über die Versammlung.
Phoebe, die soeben erst auf die Beine gekommen war, erstarrte wie vom Donner gerührt. Viktor fluchte leise auf ungarisch.
Pooh, ein äußerst sensibles Hündchen, wenn es um die Gefühle seiner Lieben ging, legte das Köpfchen schief, als versuchte sie zu verstehen, warum alle auf einmal zu ihr herguckten. Sie fühlte, dass sie etwas Schreckliches angestellt haben musste, und begann erbärmlich zu zittern.
Phoebe stockte der Atem. Es war gar nicht so gut, wenn Pooh jetzt nervös wurde. Sie erinnerte sich bestens an das letzte Mal und trat rasch einen Schritt vor. »Pooh, nicht!«
Aber ihre Warnung kam zu spät. Die zitternde Hündin hatte sich bereits niedergekauert. Mit einem mitleidheischenden Ausdruck auf dem kleinen pelzigen Gesichtchen begann sie auf Bert Somervilles Sarg zu pinkeln.
Bert Somervilles großes, von einem weiten Park umgebenes Anwesen war in den Fünfzigerjahren erbaut worden. Es lag in Hindsdale, einem Nobelvorort von Chicago, im Herzen des DuPage County. Früher, zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, hatte es hier nicht viele Häuser gegeben; die Gegend war eine ländliche Idylle, doch im Laufe der Zeit hatte die große Stadt Chicago ihre gierigen Finger immer weiter ausgestreckt, sodass Hindsdale nun Teil einer gigantischen Bettenstadt war, die all jene fleißigen Arbeitsbienen beherbergte, die jeden Morgen mit dem Burlington Northern in die Stadt zur Arbeit fuhren. Langsam aber sicher war die Mauer, die das riesige Grundstück umgab, von Villen und ruhigen Siedlungsstraßen eingekreist worden.
Phoebe hatte als Kind herzlich wenig Zeit in dem stattlichen Tudor-Haus inmitten der weit ausladenden Eichen, Kastanien und Ahornbäume verbracht. Sie war in ein exklusives Mädcheninternat in Connecticut gesteckt worden und in den Sommerferien in ein teures Ferienlager. Wenn sie tatsächlich dann mal kurz nach Hause kam, erschien ihr das Haus finster, kalt und erdrückend. Als sie nun, zwei Stunden nach der Beerdigung, die große geschwungene Holztreppe emporstieg, merkte sie, dass sich daran nichts geändert hatte.
Ein ausgestopfter Elefantenkopf blickte vorwurfsvoll von der rostrot tapezierten Wand auf sie herab. Bert hatte ihn bei einer seiner vielen Safaris erlegt – illegal natürlich – und nach Hause geschmuggelt. Entmutigt ließ sie die Schultern hängen. Ihr weißes Kostümchen hatte Grasflecken bekommen, und ihre hauchzarten Nylons waren zerrissen und dreckig. Das hellblonde Haar stand ihr wirr vom Kopf ab und der bonbonrosa Lippenstift hatte sich auch längst verflüchtigt.
Gegen ihren Willen tauchte die Gestalt des Cheftrainers vor ihrem geistigen Auge auf. Er war es gewesen, der Pooh schließlich im Nacken gepackt und vom Sarg heruntergeholt hatte. Seine meergrünen Augen hatten sie kalt und verächtlich angeblickt, als er ihr die Hündin überreichte. Phoebe seufzte. Wieder einmal war alles in die Hose gegangen, wie so oft in ihrem Leben. Eigentlich hatte sie doch bloß allen zeigen wollen, dass es ihr schnurzpiepegal war, von ihrem Vater enterbt worden zu sein, doch wie üblich war sie zu weit gegangen, und der Schuss war nach hinten losgegangen.
Sie hielt kurz inne, als sie den oberen Treppenabsatz erreichte, und überlegte, ob ihr Leben wohl anders verlaufen wäre, wenn ihre Mutter nicht so früh gestorben wäre. Inzwischen dachte sie nicht mehr allzu oft an ihre Mutter, das frühere Showgirl, an die sie sich ohnehin kaum mehr erinnern konnte. Doch früher, als Kind und in ihrer Einsamkeit hatte sie sich oft lebhaften Tagträumen hingegeben, von einer wunderschönen, zärtlichen Mutter, die ihr all die Liebe gab, die ihr der harte Vater stets vorenthielt.
Sie fragte sich, ob Bert überhaupt jemals jemanden geliebt hatte. Er hatte für gewöhnlich nicht viel übrig für Frauen und schon gar nichts für einen pummeligen, ungeschickten Trampel ohne jedes Selbstwertgefühl, der sie als kleines Mädchen gewesen war. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte Bert ständig geschimpft, dass sie zu absolut nichts nütze war, und allmählich bekam sie das Gefühl, dass er Recht gehabt hatte.
Sie war dreiunddreißig, sie war arbeitslos, und sie war nahezu pleite. Arturo war vor sieben Jahren gestorben. Die anschließenden zwei Jahre hatte sie sich intensiv der Betreuung seiner Wanderausstellung gewidmet. Als diese jedoch eine permanente Heimstatt im Musee d’Orsay in Paris gefunden hatte, war sie nach Manhattan gezogen. Das Vermögen, das Arturo ihr nach seinem Tod hinterlassen hatte, schmolz rasch dahin, da sie damit vielen ihrer homosexuellen Freunde half, die ihre Krankenhausrechnungen nicht mehr bezahlen konnten und am Ende doch an AIDS starben. Sie bereute keinen Penny. Jahrelang hatte sie in einer kleinen, exklusiven Kunstgalerie an der West Side gearbeitet, die sich auf die Avantgarde spezialisierte. Doch erst vergangene Woche hatte ihr alter Boss die Türen endgültig schließen müssen, und sie stand nun auf der Straße und musste sich überlegen, was sie jetzt mit ihrem Leben anfangen sollte.
Ihr kam der Gedanke, dass sie es im Grunde leid war, den Paradiesvogel zu spielen, die Sexbombe, aber sie verfolgte den Gedanken nicht weiter, da sie im Moment zu aufgewühlt und angeschlagen für größere Bestandsaufnahmen war. Sie ging zum Zimmer ihrer Schwester und klopfte an die Tür.
»Molly, ich bin’s, Phoebe. Darf ich reinkommen?«
Keine Antwort.
»Molly, kann ich reinkommen?«
Stille. Dann hörte Phoebe ein brummeliges: »Wenn’s sein muss.«
Sich innerlich wappnend, drehte sie am Türknauf und betrat das Zimmer, das früher als Kind ihres gewesen war. Wenn sie es tatsächlich einmal bewohnt hatte, gewöhnlich nicht mehr als ein paar Wochen im Jahr, hatte hier immer ein Saustall geherrscht: Bücherstapel, Musikkassetten und weggeworfene Schokoriegelpapiere. Jetzt sah es hier so adrett und ordentlich aus wie die neue Bewohnerin des Zimmers.
Molly Somerville, die fünfzehnjährige Halbschwester, die Phoebe kaum kannte, saß mit untergeschlagenen Beinen in einem Sessel am Fenster. Sie trug noch das scheußliche braune, sackähnliche Kleid, das sie zur Beerdigung angehabt hatte. Im Gegensatz zu Phoebe, die als Kind ziemlich pummelig gewesen war, war Molly dürr wie eine Bohnenstange. Das dicke, dunkelbraune Haar hing ihr bis fast zu den Schultern und brauchte dringend einen guten Schnitt. Sie hatte blasse, teigige Haut wie ein typisches Zimmerpflänzchen, das nie an die Sonne kommt. Ihre Gesichtszüge wirkten für ihr Gesicht zu winzig und wenig attraktiv.
»Wie geht’s dir, Molly?«
»Prima.« Sie machte sich nicht die Mühe, die Nase aus dem Buch zu heben, das aufgeschlagen auf ihrem Schoß lag.
Phoebe seufzte innerlich. Molly konnte sie nicht ausstehen und machte kein Geheimnis daraus. Die Jahre über hatten sie so wenig Kontakt miteinander gehabt, dass Phoebe nicht so recht wusste, wieso. Als sie nach Arturos Tod nach Manhattan gezogen war, hatte sie ein paarmal im Internat in Connecticut vorbeigeschaut, um Molly zu besuchen. Doch war diese stets so abweisend gewesen, dass sie es bald wieder aufgab. Dennoch hatte sie ihr zu Weihnachten und zum Geburtstag regelmäßig Geschenke geschickt und ihr auch geschrieben, aber nie eine Antwort, geschweige denn einen Dank bekommen. Wie ironisch, dass Bert sie zwar enterbt, aber das, was seine wichtigste Verantwortung hätte sein sollen, dennoch ihr aufgehalst hatte.
»Kann ich dir irgendwas bringen? Etwas zu essen vielleicht?«
Molly schüttelte den Kopf und schwieg.
»Ich weiß, das alles muss ganz schön schwer für dich sein, du Armes.«
Ein gleichgültiges Schulterzucken.
»Molly, wir müssen miteinander reden, und du könntest es uns beiden leichter machen, wenn du mich dabei anschauen würdest.«
Molly hob die Nase aus dem Buch und blickte Phoebe duldsam an, was bei dieser das unangenehme Gefühl hervorrief, dass sie das Kind und ihre Schwester die Erwachsene war. Sie wünschte auf einmal, sie würde noch rauchen, denn im Moment hätte sie dringend eine Zigarette gebrauchen können.
»Du weißt, dass ich jetzt dein gesetzlicher Vormund bin.«
»Ja, Mr. Hibbard hat’s mir erklärt.«
»Ich finde, wir sollten über deine Zukunft reden.«
»Da gibt’s nichts zu reden.«
Phoebe strich sich ungeduldig eine lästige Haarsträhne hinters Ohr. »Molly, du musst nicht ins Sommerlager zurück, wenn du nicht willst. Ich würde mich ehrlich freuen, wenn du mich nach New York begleiten würdest. Ich fliege morgen wieder zurück, und du könntest deine Ferien bei mir verbringen. Ich wohne zurzeit im Apartment eines Freundes, der sich in Europa aufhält. Es hat eine herrliche Lage, mitten in der Stadt.«
»Ich will wieder ins Lager.«
Nach Mollys käsiger Haut zu schließen, konnte sich Phoebe nicht vorstellen, dass ihr das Sommerlager besser gefiel als ihr selbst damals. »Du kannst natürlich, wenn du unbedingt willst, aber ich weiß, was es heißt, kein richtiges Zuhause zu haben. Vergiss nicht, dass Bert mich ebenfalls ins Internat in Crayton gesteckt und im Sommer ins Ferienlager abgeschoben hat. Ich hab’s gehasst. New York dagegen ist im Sommer echt riesig. Wir könnten eine schöne Zeit miteinander verbringen, alles Mögliche unternehmen und uns ein bisschen besser kennen lernen.«
»Ich will zurück ins Ferienlager«, beharrte Molly dickköpfig.
»Bist du dir wirklich sicher?«
»Auf jeden Fall. Du hast kein Recht, mich daran zu hindern.«
Phoebe, die allmählich Kopfschmerzen bekam, wollte sich dennoch nicht so leicht von der Feindseligkeit des Mädchens abwimmeln lassen. Sie versuchte es mit einer anderen Taktik. Mit einem Kopfnicken wies sie auf das Buch auf Mollys Schoß. »Was liest du gerade?«
»Dostojewski. Ich will im Herbst einen Aufsatz über ihn schreiben.«
»Wow! Bin beeindruckt. Ganz schön schwere Lektüre für eine Fünfzehnjährige.«
»Nicht für mich. Ich bin ziemlich intelligent.«
Phoebe wollte lächeln, aber Molly sagte das in einem so sachlichen Ton, dass sie nicht konnte. »Das stimmt. Du bist ganz schön gut in der Schule, nicht wahr?«
»Ich habe einen außergewöhnlich hohen IQ.«
»Klüger zu sein als alle anderen kann auch ein Fluch sein.« Phoebe wusste noch gut, wie es bei ihr gewesen war. Ihre Intelligenz war ein Grund mehr gewesen, warum sie von den Mitschülern ständig ausgeschlossen worden war.
Mollys Gesicht blieb finster verschlossen. »Ich bin heilfroh um meine Intelligenz. Die meisten Mädchen in meiner Klasse sind Dumpfbacken.«
Obwohl Molly sich wie eine arrogante Göhre benahm, versuchte Phoebe, sie nicht zu verurteilen. Gerade sie wusste schließlich, dass Bert Somervilles Töchter ihren eigenen Weg finden mussten, mit dem Leben fertig zu werden. Sie zum Beispiel hatte sich als Teenager hinter ihren Fettpölsterchen versteckt und später dann hinter ihrer schillernden Erscheinung und ihrem ebenso schillernden Benehmen. Molly dagegen versteckte sich hinter ihrem scharfen Verstand.
»Entschuldige bitte, Phoebe, aber ich bin gerade an einer besonders interessanten Stelle und würde jetzt gerne weiterlesen.«
Phoebe achtete nicht auf Mollys Worte und versuchte erneut, sie dazu zu überreden, mit ihr nach Manhattan zu kommen. Doch Molly blieb stur, und Phoebe musste sich schließlich geschlagen geben.
An der Tür blieb sie noch einmal stehen. »Du rufst mich doch an, wenn du was brauchst, oder?«
Molly nickte, aber Phoebe glaubte ihr nicht. Das Mädchen würde lieber Rattengift nehmen, als sich an ihre liederliche große Schwester um Hilfe zu wenden.
Auf dem Weg nach unten versuchte sie ihre Niedergeschlagenheit abzuschütteln. Sie hörte Viktor im Wohnzimmer mit seinem Agenten telefonieren. Da sie ein paar Minuten allein sein wollte, um sich wieder zu fassen, schlich sie ins Studierzimmer ihres Vaters, wo Pooh in einem mächtigen Ohrenbackensessel döste, der vor einem großen Schaukasten mit Gewehren stand. Das flauschige weiße Köpfchen der Pudeldame schoss hoch. Sie hüpfte aus dem Sessel und kam mit wedelndem Pompon-Schwanz auf ihr Frauchen zugerannt. Phoebe ging in die Knie und zog das Hündchen an sich. »Na du Racker, heute hast du’s aber wirklich hingekriegt, nicht wahr?«
Pooh leckte ihr entschuldigend übers Kinn. Phoebe versuchte die Schleifen an den Ohren des Pudels wieder neu zu binden, doch ihre Hände zitterten so stark, dass sie es rasch wieder aufgab. Lange hielten die Schleifen bei diesem Hund sowieso nie.
Pooh war eine Schande für ihre Rasse. Sie hasste Schleifchen und Glitzerhalsbänder, weigerte sich, in ihrem Hundebettchen zu schlafen, und war überhaupt nicht heikel, wenn’s ums Futter ging. Sie hasste es, die Krallen geschnitten zu bekommen, gebadet oder gebürstet zu werden, und wollte auch nicht den Pulli mit dem Monogramm tragen, den sie von Viktor geschenkt bekommen hatte. Nicht einmal als Wachhund taugte sie etwas. Letztes Jahr war Phoebe in der Upper West Side am helllichten Tag ausgeraubt worden, und Pooh hatte sich die ganze Zeit über um die Beine des Straßenräubers geschlängelt, weil sie gestreichelt werden wollte.
Phoebe rieb ihr Haar an dem weichen Köpfchen der Hündin. »Tief drinnen bist du doch nichts weiter als eine Promenadenmischung, stimmt’s nicht, Pooh?«
Ganz plötzlich konnte Phoebe nicht länger und stieß ein ersticktes Schluchzen aus. Eine Promenadenmischung. Genau das war sie auch. Aufgemotzt wie ein schicker französischer Pudel.
So fand Viktor sie. Mit mehr Taktgefühl, als er gewöhnlich an den Tag legte, übersah er die Tatsache, dass sie weinte. »Phoebe, Süßes«, sagte er liebevoll, »der Anwalt deines Vaters ist da, um mit dir zu sprechen.«
»Ich will keinen sehen«, schnüffelte sie und tastete vergebens nach einem Taschentuch.
Viktor zog ein pflaumenblaues Taschentuch aus seinem grauen Seidenjackett und reichte es ihr. »Früher oder später musst du mit ihm reden.«
»Hab ich doch schon. Er hat mich nach Berts Tod wegen Mollys Vormundschaft angerufen.«
»Vielleicht hängt es ja mit dem Nachlass deines Vaters zusammen.«
»Damit habe ich nichts zu tun.« Sie schnäuzte sich geräuschvoll. Immer hatte sie so getan, als machte es ihr nichts aus, von ihrem Vater enterbt worden zu sein, doch es schmerzte schon, seine Verachtung auf so klare und unmissverständliche Weise spüren zu müssen.
»Er lässt sich nicht abwimmeln.« Viktor nahm ihre Handtasche, die noch auf dem Sessel lag, wo Pooh ein Nickerchen gemacht hatte, und öffnete sie. Es war eine teure Judith-Lieber-Handtasche, die er in einem schicken Laden im East Village für sie gekauft hatte. Er warf Phoebe einen vorwurfsvollen Blick zu, als er zwischen ihren Sachen ein Milky-Way entdeckte. Er kramte ihren Kamm heraus und brachte wieder ein wenig Ordnung in ihre Frisur. Danach suchte er Puder und Lippenstift heraus, und sie richtete sich wieder her. Als die Fassade restauriert war, musterte er sie bewundernd.
Viktor fand ihre eigenartig exotischen Gesichtszüge, die einige der besten Arbeiten von Arturo Flores inspiriert hatten, weit anziehender als die Totenkopfschädel der ausgehungerten Models, mit denen er es beruflich für gewöhnlich zu tun hatte. Andere waren offenbar derselben Meinung, einschließlich der berühmten Fotografin Asha Belchoir, die erst kürzlich eine Fotoserie mit ihr gemacht hatte.
»Zieh die zerissenen Strümpfe aus. Du siehst ja aus wie eine Statistin aus Les Miserables.«
Während sie sich gehorsam der Strumpffragmente entledigte, steckte er Puder und Lippenstift wieder in ihre Handtasche. Dann rückte er noch ihr goldenes Feigenblatt zurecht und führte sie zur Tür.
»Ich will jetzt wirklich niemanden sehen, Viktor.«
»Na, na, drücken gilt nicht.«
Mit einem panischen Ausdruck in den großen bernsteinfarbenen Augen blickte sie zu ihm auf. »Ich kann das Theater nicht mehr lange durchhalten.«
»Warum hörst du dann nicht einfach auf damit?« Er streichelte ihr mit dem Daumen die Wange. »Wer weiß, wahrscheinlich haben die Leute mehr Verständnis, als du glaubst.«
»Mitleid kann ich einfach nicht ertragen.«
»Ist es dir lieber, dass keiner dich ausstehen kann?«
Sie rang sich ein keckes Lächeln ab und griff nach dem Türknauf. »Damit komme ich zurecht. Nur Mitleid kann ich nicht ertragen.«
Viktor musterte kopfschüttelnd ihr Killer-Kostümchen, das so gar nicht zu diesem Anlass passte. »Arme Phoebe. Wann wirst du endlich aufhören, eine Rolle zu spielen?«
»Wenn sie perfekt ist«, erwiderte sie leise.
Brian Hibbard kramte in den Papieren auf seinem Schoß herum. »Tut mir Leid, einfach so bei Ihnen hereinplatzen zu müssen, Miss Somerville, aber Ihre Haushälterin sagte, Sie würden morgen Abend schon wieder nach Manhattan zurückfliegen. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie nur so kurz hier bleiben wollen.«
Der Anwalt war Ende vierzig, klein und untersetzt, mit einem roten Gesicht und allmählich grau werdendem Haar. Unter seinem maßgeschneiderten schwarzen Anzug zeichnete sich ein kleines Schmerbäuchlein ab. Phoebe saß ihm gegenüber in einem der schweren Ohrenbackensessel neben dem massiven steinernen Kamin, der das Wohnzimmer beherrschte. Sie hasste diesen finsteren Raum, mit seiner dunklen Holztäfelung und den muffigen ausgestopften Vögeln und Tierköpfen, die einen immer vorwurfsvoll zu beobachten schienen. Sogar einer der Aschenbecher war ein Tierkadaver, ein Giraffenhuf nämlich. Sie mochte gar nicht hinsehen.
Lieber schlug sie suggestiv die Beine übereinander, sodass ihr goldenes Fußkettchen aufblitzte. Hibbard bemerkte es natürlich, tat aber, als habe er nichts gesehen.
»Es gibt wirklich keinen Grund mehr für mich, noch länger hier zu bleiben, Mr. Hibbard. Molly fliegt morgen Nachmittag wieder in ihr Ferienlager zurück, und mein Flug geht ein paar Stunden später.«
»Das macht mir die Sache nicht gerade einfacher, fürchte ich. Das Testament Ihres Vaters ist, äh, leider ein wenig kompliziert.«
Sie wusste sehr wohl über das Testament ihres Vaters Bescheid, dafür hatte er selbst gesorgt, sogar schon vor den letzten sechs Monaten seines Lebens, als Leberkrebs bei ihm diagnostiziert worden war. Sie wusste, dass er einen Treuhandfonds für Molly eingerichtet hatte und dass Reed seine heiß geliebten Stars erben würde.
»Wissen Sie eigentlich, dass Ihr Vater in den letzten Jahren ein paar finanzielle Schwierigkeiten hatte?«
»Nicht die Einzelheiten. Wir haben nicht sehr oft miteinander gesprochen.«
Genauer gesagt, zehn Jahre lang überhaupt nicht, seit sie mit achtzehn von zu Hause davongelaufen und schließlich erst nach Arturos Tod wieder in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war. Danach hatten sie sich immerhin gelegentlich gesehen, wenn er geschäftlich in New York zu tun gehabt hatte. Da sie mittlerweile kein pummeliger, peinlich scheuer Trampel mehr war, den er herumkommandieren und einschüchtern konnte, endeten ihre seltenen Treffen meistens in heftigem Streit.
Obwohl ihr Vater mehr oder weniger heimlich Freundinnen hatte und Showgirls heiratete, war ihm aufgrund seiner bitterarmen Kindheit jede Unkonventionalität ein Greuel. Ihm galten Dinge wie Ehrbarkeit oder eine achtbare Stellung alles, und ihr merkwürdiger Lebensstil war ihm ein Dorn im Auge. Außerdem war er fast fanatisch in seiner Ablehnung von Homosexualität, und mit dem ganzen Kunstkram konnte er ebenfalls nichts anfangen. Die Artikel und Berichte, die gelegentlich in Zeitschriften und Zeitungen über sie erschienen, fasste er als persönliche Beleidigung auf. Er behauptete, ihr Umgang mit »Schwuchteln und Bekloppten« würde ihn vor seinen Geschäftspartnern lächerlich machen. Wieder und wieder befahl er ihr, nach Chicago zurückzukommen und ihm den Haushalt zu machen. Wenn Liebe sein Beweggrund gewesen wäre, dann hätte sie es sogar getan. Doch Liebe war ein Fremdwort für ihn. Bert wollte sie lediglich unter seiner Fuchtel haben, wollte sie beherrschen, wie alles und jeden, mit dem er zu tun hatte.
Bis zu seinem Tod blieb er hart und kompromisslos; selbst seine tödliche Krankheit benutzte er, um sie daran zu erinnern, was für eine Enttäuschung sie seit ihrer Geburt für ihn gewesen war. Nicht einmal, als er im Sterben lag, hatte er ihr erlaubt, ihn in Chicago zu besuchen. Er wolle keine »verdammte Totenwache«, hatte er gemeint, und in ihrem letzten Telefongespräch hatte er ihr noch an den Kopf geworfen, dass sie der einzige Fehlschlag in seinem Leben gewesen sei.
Sie blinzelte, um die jäh aufsteigenden Tränen zurückzuhalten, und merkte erst in diesem Moment, dass Brian Hibbard noch immer redete. » ... aus diesem Grund ist der Besitz Ihres Vaters also nicht mehr so groß wie noch in den Achtzigern. Er wünscht, dass dieses Anwesen verkauft wird und dass der Erlös die Grundlage für den Treuhandfonds Ihrer Schwester bildet. Seine Stadtwohnung dagegen soll frühestens in einem Jahr zum Verkauf ausgeschrieben werden, damit Sie und Ihre Schwester bis dahin noch darin wohnen können.«
»Eine Stadtwohnung? Davon wusste ich ja gar nichts.«
»Sie liegt nicht weit von der Trainingsanlage der Stars entfernt. Sie – äh – war für private Zwecke.«
»Für seine Freundinnen«, sagte Phoebe tonlos.
»Tja, äh, also jedenfalls steht sie seit sechs Monaten leer, seit er krank wurde. Leider sind das die einzigen Aktiva, über die er, außer den Stars, noch verfügte. Doch ist seine finanzielle Lage nicht vollkommen aussichtslos.«
»Hätte ich auch nicht angenommen. Seine Footballmannschaft muss doch Millionen wert sein.«
»Ja, sie ist ziemlich viel wert, obwohl auch der Verein in finanziellen Schwierigkeiten steckt.« Etwas in ihrem Gesichtsausdruck musste sie verraten haben, denn er sagte: »Sie mögen Football wohl nicht besonders?«
»Nein. Nein, ich mag Football nicht.« Es musste heftiger geklungen haben als beabsichtigt, denn er musterte sie neugierig. Rasch machte sie eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin mehr der Typ, der sich moderne Kunst ansieht und nach einem schicken Restaurantbesuch ins experimentelle Theater geht. Ich esse Tofu, Mr. Hibbard.«
Sie fand ihre Bemerkung eigentlich ziemlich witzig, aber er lächelte nicht einmal. »Schwer zu glauben, dass Bert Somervilles Tochter Football nicht mag.«
»Skandalös, ja, ich weiß«, sagte sie in frischem Ton. »Aber leider nicht zu ändern. Ich bin nun mal allergisch gegen Schweiß, ob’s nun meiner ist oder der meiner Mitmenschen. Glücklicherweise hat mein guter Vetter Reed schon immer recht gern und freigiebig geschwitzt, sodass die Footballdynastie der Familie weiter bestehen kann.«
Der Anwalt zögerte und blickte sie mit einem ziemlich unglücklichen Ausdruck an. »Ich fürchte, ganz so einfach ist es nicht.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ihr Vater hat ein paar Monate vor seinem Tod ein neues Testament gemacht. Reed ist nun, zumindest kurzfristig, enterbt.«
Mehrere Sekunden vergingen, ehe sie diese erstaunliche Nachricht verdaut hatte. Ihr fiel ein, wie gelassen ihr Vetter auf der Beerdigung gewirkt hatte. »Reed weiß offensichtlich nichts davon.«
»Ich habe Bert gedrängt, es ihm zu sagen, aber er weigerte sich. Nun haben mein Partner und ich die wenig beneidenswerte Aufgabe, ihm diese unerfreuliche Nachricht bei unserem Treffen heute Abend zu eröffnen. Es wird ihm sicher nicht gefallen, dass Bert die Mannschaft vorübergehend seiner Tochter vererbt hat.«
»Seiner Tochter?« Und dann dachte sie an das ungelenke junge Mädchen, das oben in seinem Zimmer saß und Dostojewski las. Ein Lächeln umspielte ihre bonbonrosa Lippen. »Meine Schwester wird in die Geschichte des Profifootballs eingehen.«
»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
»Wie viele Fünfzehnjährige gibt es denn, die ihre eigene Footballmannschaft besitzen?«
Hibbard blickte sie alarmiert an. »Es tut mir Leid, Miss Somerville. Es war ein langer Tag, und offenbar habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Ihr Vater hat die Mannschaft nicht Ihrer Schwester hinterlassen.«
»Hat er nicht?«
»O nein. Er hat sie Ihnen hinterlassen.«
»Er hat was?«
»Er hat die Mannschaft Ihnen hinterlassen, Miss Somerville. Sie sind die neue Besitzerin der Chicago Stars.«
Phoebe murmelte Stoßgebete für die armen ausgestopften Tiere an den Wänden, als sie an diesem Abend durch die hässlichen Räume im Haus ihres Vaters wanderte. Ihr selbst galten diese Gebete ebenfalls, denn sie fürchtete, doch noch bitter zu werden, so wie jene zynischen Menschen, die das ihnen angetane Unrecht hegten und pflegten und daran nagten wie an einem besonders geliebten alten Knochen.
Warum tust du mir das an, Bert? Ist dein Bedürfnis, mich zu beherrschen, denn so groß, dass du sogar noch nach deinem Tod versuchen musst, mich deinem Willen zu unterwerfen?
Als Brian Hibbard verkündete, Bert habe die Stars ihr hinterlassen, da war sie einen Moment lang von einer solchen Seligkeit und Freude erfüllt gewesen, dass sie nichts hatte sagen können. An Geld oder Macht hatte sie dabei überhaupt nicht gedacht oder auch nur daran, dass sie Football hasste. Sie war einfach nur überglücklich gewesen, dass ihr Vater nach all den Jahren, in denen er ihr nur feindselig und abweisend begegnet war, endlich zeigte, dass ihm doch etwas an ihr lag. Sie erinnerte sich, dass sie wie betäubt dagesessen hatte. Und dann hatte ihr der Anwalt den Rest erzählt.
»Offen gesagt, ich missbillige die Bedingungen, die Ihr Vater mit der Erbschaft verknüpft hat. Glauben Sie mir, mein Partner und ich haben alles versucht, ihn umzustimmen, aber er wollte nicht auf uns hören. Es tut mir aufrichtig Leid. Und da er ganz gewiss bei klarem Verstand war, wird es auch nicht viel Zweck haben, wenn Sie oder Reed das Testament anfechten.«
Sie hatte ihn vollkommen verständnislos angeblickt. »Was meinen Sie? Welche Bedingungen?«
»Ich sagte Ihnen glaube ich schon, dass die Erbschaft nur vorübergehend wäre.«
»Wie kann eine Erbschaft vorübergehend sein?«
»Nun ja, ohne genauer auf die rechtlichen Einzelheiten eingehen zu wollen, ist das Konzept im Grunde recht einfach. Wenn Sie weiterhin Eignerin der Chicago Stars bleiben wollen, muss Ihr Team die AFC-Meisterschaften im kommenden Jahr gewinnen, was höchst unwahrscheinlich ist. Wenn die Mannschaft nicht gewinnt, bekommen Sie eine einmalige Abfindung von einhunderttausend Dollar, und das Team geht in den Besitz von Reed über.«
Selbst die Aussicht auf solch eine enorme Summe konnte nicht verhindern, wie ihre Freude verglomm. Schweren Herzens erkannte sie, dass dies nur ein neuerlicher Manipulationsversuch ihres Vaters war.
»Wollen Sie damit sagen, dass mir die Mannschaft nur bis Januar gehört und dann in Reeds Besitz übergeht?«
»Außer, die Stars gewinnen die AFC-Meisterschaft; in diesem Fall gehört Ihnen dann das Team für immer.«
Sie strich sich mit zitternden Fingern die Haare aus dem Gesicht. »Ich – ich hab aber überhaupt keine Ahnung von Football. Diese Meisterschaft, ist das der Super Bowl?«
Das musste man Hibbard lassen, er verzog keine Miene, sondern stürzte sich in eine geduldige Erklärung der Sachlage. »Fast. Die National Football League ist in zwei so genannte Conferences unterteilt, die American Football Conference oder AFC, und die National Football Conference oder NFC. Die beiden besten Teams einer jeden Conference kämpfen um ihre Conference-Meisterschaft, und die Gewinner aus den beiden Mannschaften treten anschließend um den Super Bowl an.«
Sie wollte ganz sicher gehen, dass sie alles verstanden hatte. »Um also Besitzerin der Stars zu bleiben, müssten sie dieses AFC-Meisterschaftsspiel gewinnen?«
»Genau. Doch offen gesagt, sind ihre Chancen, auch nur halbwegs dorthin zu kommen, praktisch Null. Die Stars sind ein gutes Team, aber die meisten Spieler sind noch ziemlich jung und unerfahren. In zwei, drei Jahren könnten sie’s vielleicht schaffen, aber nicht in dieser Saison, fürchte ich. Im Moment wird die AFC von Mannschaften wie den San Diego Chargers, den Miami Dolphins und natürlich den Gewinnern des letztjährigen Super Bowls, den Portland Sabers, dominiert.«
»Bert wusste, dass die Stars dieses Jahr nicht gewinnen können?«
»Ich fürchte ja. In seinem Testament erklärt er ausdrücklich, dass Sie die hunderttausend Dollar nur dann erhalten, wenn Sie, solange Sie die Stars besitzen, jeden Tag zur Arbeit im Verwaltungs- und Trainingszentrum der Stars erscheinen. Sie müssten natürlich nach Chicago umziehen, aber um die Leitung des Teams müssen Sie sich keine Gedanken machen. Carl Pogue, der General-Manager der Stars, ist dafür zuständig. Er kennt sich in allen Belangen aus.«
Als ihr die Absicht ihres Vaters klar wurde, schnürte ihr sich die Brust schmerzlich zusammen. »Mit anderen Worten, ich wäre nichts weiter als eine Galionsfigur.«
»Nun ja, Carl hat keine Unterschriftsvollmacht; die besitzt nur der Eigner.«
Es gelang ihr nicht ganz, ihre Verzweiflung zu verbergen.
»Warum sollte Bert so etwas tun?«
Das war der Moment, in dem Hibbard ihr den Brief überereichte.
Liebe Phoebe,
wie du weißt, betrachte ich dich als den einzigen Fehlschlag meines Lebens. Durch deinen Umgang mit diesen Schwuchteln und Bekloppten hast du mich jahrelang öffentlich gedemütigt, aber das werde ich nicht länger hinnehmen. Wenigstens einmal in deinem Leben wirst du tun, was ich dir sage. Vielleicht lernst du dabei ja endlich einmal, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen und sich diszipliniert zu verhalten.
Football macht aus Knaben Männer. Mal sehen, ob es eine Frau aus dir machen kann.
Sieh zu, dass du das nicht auch noch versaust.
Bert
Sie hatte den Brief dreimal durchgelesen, während der Anwalt zusah, und jedes Mal war der Kloß in ihrem Hals ein wenig dicker geworden. Selbst vom Grab aus versuchte Bert noch, sie zu beherrschen. Er hoffte, wenn er sie zwang, aus Manhattan fortzuziehen und hierher zu kommen, dann würde sie schon so werden, wie er sie haben wollte. Ihr Vater war schon immer eine leidenschaftliche Spielernatur gewesen und glaubte offenbar, dass sie seinem kostbaren Team in diesen paar Monaten nicht viel Schaden zufügen könnte. Jetzt bekam er endlich, was er wollte. Reed würde am Ende die Stars erben und sie derweil nach seiner Pfeife tanzen.
Wenn doch nur Liebe oder Sorge um sie seine Beweggründe gewesen wären, dann hätte sie ihm vielleicht verzeihen können. Aber das konnte sie sich beim besten Willen nicht vormachen. Nein, das Einzige, was ihren Vater bewegte, war Machthunger. Von Liebe hatte er keine Ahnung.
Daher wanderte sie nun ziellos durch das riesige Haus ihres Vaters und betete im Stillen für die Seelen all der toten Tiere und für zwei ungeliebte kleine Mädchen, die hier aufgewachsen waren. Die ganze Zeit konnte sie an nichts anderes denken, als an den morgigen Tag, wenn sie endlich wieder von hier fortgehen konnte, von diesem Ort, an dem sie so viel Kummer erlebt hatte.
Peg Kowalski, seit acht Jahren Berts Haushälterin, hatte genau ein einsames Licht in dem riesigen Wohnzimmer brennen lassen, das sich über die gesamte Rückseite des Hauses erstreckte. Phoebe trat an die Fensterfront, die auf den Garten hinauswies, und versuchte, im Dunkeln den alten Ahornbaum zu erkennen, der in ihrer Kindheit ihr liebstes Versteck, ihre Zuflucht gewesen war.
Normalerweise vermied sie es, an ihre Kindheit zu denken, aber heute Abend, während sie in die Dunkelheit hinausstarrte, erschien sie ihr mit einem Mal gar nicht mehr so fern. Jäh fühlte sie sich in jene Zeit zurückversetzt, in jenen Tag, als sie in dem alten Ahorn saß und die verhasste Jungenstimme zu ihr hinaufdrang ...
»Da bist du ja, Wabbelspeck. Los, komm runter. Ich hab was für dich.«
Phoebes Magen krampfte sich jäh zusammen, als die laute, grobe Stimme ihres Vetter Reed sie aus ihren Gedanken riss. Sie lugte hinunter, dort wo er stand, unter ihrem Lieblingsbaum, der ihr stets eine Zuflucht war in den seltenen Malen, wenn sie zu Hause war. Morgen sollte sie ins Ferienlager fahren, und bis jetzt war es ihr gelungen, ihm aus dem Weg zu gehen. Aber heute war sie nicht vorsichtig genug gewesen, und er hatte sie erwischt. Anstatt in der Küche zu bleiben und der Köchin zu helfen oder Addie beim Badputzen, hatte sie sich in ihren Baum geflüchtet, um ein wenig allein zu sein.
»Ich will gar nichts haben«, sagte sie vorsichtig.
»Ich rate dir, runterzukommen. Wenn nicht, wird’s dir noch Leid tun.«
Reed machte niemals leere Drohungen, das hatte sie schon vor langer Zeit gelernt, ebenso wie die Tatsache, dass sie ihm praktisch hilflos ausgeliefertwar.Ihr Vater wurde immer wütend, wenn sie sich bei ihm darüber beklagte, dass Reed sie ärgerte oder verhaute. Bert fand, sie habe kein Rückgrat und müsse ihre Kämpfe selbst ausfechten; er würde das jedenfalls nicht für sie tun. Aber Reed, der mit zwölf zwei Jahre älter war als sie, war viel, viel stärker und sie konnte sich ein Gerangel mit ihm – in dem sie als Siegerin hervorging! – nicht einmal vorstellen.
Sie wusste nicht, warum er sie so hasste. Es stimmte zwar, dass sie reich und er arm war, aber er hatte seine Mutter nicht schon mit vier Jahren verloren, so wie sie. Und er wurde auch nicht fortgeschickt, auf ein Internat. Reed und ihre Tante Ruth, die Schwester ihres Vaters, lebten in einer kleinen Wohnung in einem roten Backsteinwohnblock, keine zwei Meilen vom Anwesen ihres Vaters entfernt. Dorthin waren sie gezogen, nachdem Reeds Vater sie sitzen gelassen hatte. Bert bezahlte die Miete und unterstützte Tante Ruth auch sonst mit Geld, obwohl er sie nicht besonders mochte. Aber Reed mochte er dafür umso lieber, weil Reed ein Junge war und gut im Sport, besonders im Football.
Sie wusste, dass Reed ihr nachklettern würde, wenn sie nicht freiwillig runterkam, und da war es ihr doch lieber, ihm auf festem Boden gegenüberzutreten. Mit einem Gefühl wachsender Angst und Verzweiflung begann sie den mühsamen Abstieg. Sie schämte sich wegen des Geräuschs, das ihre dicken Schenkel machten, wenn sie aneinander rieben, und hoffte, dass er ihr nicht in die Hosenbeine ihrer Shorts guckte. Immer versuchte er, sie dort anzuschauen oder sie anzugrabschen. Oder er sagte hässliche Sachen über ihren Popo, die sie nicht immer verstand. Ungeschickt ließ sie sich vom untersten Ast fallen und stand dann keuchend vor ihm, denn der Abstieg war schwierig gewesen.
Reed war nicht übermäßig groß für einen Zwölfjährigen, dafür aber kräftig, mit kurzen, stämmigen Beinen, breiten Schultern und einem affenartigen Oberkörper. Seine Arme und Beine waren gewöhnlich mit Schürfwunden und blauen Flecken übersät, von seinen sportlichen Aktivitäten, Unfällen mit dem Fahrrad und Raufereien. Bert liebte es, sich Reeds Verletzungen anzusehen. Ersagteimmer, Reed sei »ein richtiger Junge«.
Sie dagegen war pummelig und scheu, ein Bücherwurm und keine Sportskanone. Bert nannte sie Fettarsch und sagte, all ihre Einser würden ihr nichts nützen, wenn sie nicht lernte, im Leben für sich einzustehen und den Leuten gerade in die Augen zu schauen. Reed war alles andere als eine Leuchte in der Schule, aber das spielte für Bert keine Rolle, weil Reed der Star der Footballmannschaft seiner Highschool war.
Ihr Vetter hatte ein löchriges orangenes T-Shirt an, dazu eine Jeansshorts und ausgelatschte Turnschuhe. So etwas würde sie liebend gerne einmal anziehen, aber Mrs. Mertz, die Haushälterin ihres Vaters, erlaubte es nicht. Sie kaufte all ihre Sachen in teuren Kinderboutiquen, und heute hatte sie ihr eine weiße Shorts rausgelegt, die ihren dicken Bauch noch mehr betonte, dazu eine ärmellose weiße Bluse mit einer riesigen Erdbeere auf der Brust, die unter den Achseln kniff.
»Sag nicht, ich hätt nie was für dich getan, Wabbelspeck.« Reed hielt ein dickes weißes Papier hoch, ein bisschen größer als ein Taschenbuch. »Rat mal, was ich hier hab?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Phoebe vorsichtig. Sie war fest entschlossen, in keine der Landminen zu tappen, die Reed für sie ausgelegt haben mochte.
»Ich hab ein Foto von deiner Mom.«
Phoebes Herz setzte einen Schlag lang aus. »Das glaub ich dir nicht.«
Er drehte das Papier um und sie sah, dass es tatsächlich eine Fotografiewar.Da er das Foto jedoch sofort wieder umdrehte, erhaschte sie nicht mehr als einen flüchtigen Blick auf das wunderschöne Antlitz einer Frau.
»Hab’s ganz hinten in der Krimskramsschublade meiner Mom gefunden«, prahlte er und strich sich dabei die dicken, drahtigen Fransen aus der Stirn, die ihm bis über die Augenbrauen hingen.
Sie bekam mit einem Mal ganz weiche Knie. Nie hatte sie etwas sehnlicher haben wollen als dieses Foto. »Woher weißt du, dass sie es ist?«
»Hab meine Mom gefragt.« Er verdeckte das Foto mit der Hand, sodass Phoebe es nicht sehen konnte, und betrachtete es. »Ein richtig gutes Bild, Wabbelspeck.«
Phoebes Herz hämmerte so stark, dass sie Angst hatte, er würde es merken. Am liebsten hätte sie ihm das Foto aus der Hand gerissen, aber sie rührte sich nicht, weil sie aus schmerzlicher Erfahrung wusste, dass er es einfach außer Reichweite halten würde, wenn sie das versuchte.
Sie besaß nur ein einziges Bild von Ihrer Mutter, und das war von so weit weg aufgenommen, dass sie ihr Gesicht nicht genau erkennen konnte. Ihr Vater hatte nie viel von ihr erzählt, bloß dass sie eine dumme Blondine gewesen war, die gut in einem Tanga aussah und dass es eine verdammte Schande war, dass Phoebe nicht ihre Figur statt seinen Grips geerbt hatte. Cooki, Phoebes Ex-Stiefmutter, von der sich Bert letztes Jahr hatte scheiden lassen, nachdem sie eine zweite Fehlgeburt gehabt hatte, meinte, dass Phoebes Mom wahrscheinlich nicht so schlimm war, wie Bert sie hinstellte, aber dass mit Bert nicht leicht auszukommenwar.Phoebe hatte Cooki sehr gern gemocht. Cooki hatte ihr die Zehennägel bonbonrosa angemalt und ihr aus der Zeitschrift Wahre Geschichten aufregende Berichte aus dem wirklichen Leben vorgelesen.
»Was krieg ich dafür?«, fragte Reed hinterlistig.
Sie durfte sich keinesfalls anmerken lassen, wie gern sie das Foto haben wollte, denn sonst würde er irgendwas Schreckliches tun und dafür sorgen, dass sie es nie bekam.
»Ich hab schon eine Menge Bilder von ihr«, log sie daher, »wieso sollte ich dir also was dafür geben?«
Da hielt er es hoch. »Also gut, dann zerreiß ich’s eben.«
»Nicht!« Sie sprang vor, und das Wort war ihr über die Lippen gerutscht, ehe sie es verhindern konnte.
Seine dunklen Augen zogen sich triumphierend zusammen, und sie hatte das Gefühl, als würden die eisernen Zangen einer Falle über ihr zuschnappen.
»Was würdest du tun, um es zu kriegen?«
Sie fing an zu zittern. »Bitte gib’s mir einfach.«
»Zieh die Hosen runter und du kriegst’s.«
»Nein!«