Am Morgen als die Sonne unterging - Darryl Babe Wilson - E-Book

Am Morgen als die Sonne unterging E-Book

Darryl Babe Wilson

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Beschreibung

In diesen lyrischen und sich reich aufblätternden Memoiren erfahren wir etwas über die Schönheit von Darryl Babe Wilsons Kindheit, aber auch über seine Herausforderungen als armer Indianer in einer weißen Gesellschaft. Wilson wurde in die Stämme der Achumawi und Atsugewi (oft als Pit River Nation bezeichnet) im Nordosten Kaliforniens hineingeboren und verbrachte seine frühen Jahre mit seiner Familie in einem traditionsverbundenen Leben, bis tragische Ereignisse ihn dazu zwangen, zu lernen, inmitten der Assimilationspolitik der 1950er-Jahre zu überleben. In Am Morgen, als die Sonne unterging verknüpft Wilson Geschichten aus seiner Kindheit und Jugend mit seiner spirituellen Reise, die durch die Generationen widerhallt.

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Seitenzahl: 267

Veröffentlichungsjahr: 2025

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DARRYL BABE WILSON

AM MORGEN,ALS DIE SONNEUNTERGING

Es gibt heute unbedingt viele gute Gründe, das weibliche Geschlecht wieder besser sichtbar zu machen. Dies ist seit mehr als 40 Jahren auch Anliegen unseres Verlages. Ob dies durch Gendern erreicht wird, darf man jedoch hinterfragen, immerhin geht es um unsere Muttersprache. Sicher ist, dass der grammatische Genus nichts über das Geschlecht (Sexus) aussagt. Deswegen halten wir uns als Verlag beim Gendern bewusst zurück. Ausführliche Begründung dazu unter www.neue-erde.de/derdiedas

DARRYL BABE WILSON

AM MORGEN,ALS DIE SONNEUNTERGING

Eine indianische Kindheit imAmerika der Nachkriegszeit

Der Herausgeber dankt Beatrice Bowles, Gregg Castro, Sandy Cold Shapero, Linda und John Hussa, Dorothy Martinez, Marion Weber und RB9 Publishing für ihre großzügigen Beiträge zu diesem Projekt.

Darryl Babe Wilson

Am Morgen, als die Sonne unterging

Copyright © 1998, 2016 by Darryl Babe Wilson

German translation rights arranged with Heyday through Neue Erde GmbH

© 1998, 2016 von Darryl Babe Wilson, Vorwort © 2016 von Malcolm Margolin

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung von Heyday in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, elektronisch oder mechanisch, einschließlich Fotokopie und Aufzeichnung, oder durch ein Informationsspeicher- oder -abrufsystem vervielfältigt oder übertragen werden.

Der Titel des englischen Originals lautet »The Morning the Sun Went Down«.

Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Andreas Lentz.

© für die deutsche Ausgabe Neue Erde GmbH 2024

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlag:

Foto: Natwick/shutterstock.com

Gestaltung: Dragon Design, GB

Lektorat: Deutsches Lektorenbüro, Würzburg

Satz und Gestaltung:

Dragon Design, GB

Lachs-Vignette von IADA/shutterstock.com

eISBN 978-3-89060-497-8

ISBN 978-3-89060-860-0

Neue Erde GmbH

Cecilienstr. 29 · 66111 Saarbrücken

Deutschland · Planet Erde

www.neue-erde.de · info@neue-erde.de

Inhalt

DANKSAGUNGEN

VORWORT zur Ausgabe von 2016

Prolog Hamma’wi 1988

KAPITEL EINS Bo’ma-Rhee 1946

KAPITEL ZWEI Haya’wa Atwam 1946

KAPITEL DREI Dose! 1946

KAPITEL VIER Elam’ji 1947

KAPITEL FÜNF Keine Postkutsche! 1946

KAPITEL SECHS Die How’ta-Bändiger von Cayton Canyon 1946

KAPITEL SIEBEN Silberne Blasen 1946

KAPITEL ACHT Der Morgen, als die Sonne für immer unterging 1947

KAPITEL NEUN Wa-low-chah 1947

KAPITEL ZEHN It’Ajuma 1947

KAPITEL ELF Goose Valley 1947

KAPITEL ZWÖLF Träumen 1957

KAPITEL DREIZEHN Glenburn 1955

KAPITEL VIERZEHN Macht im Großen Canyon 1957

KAPITEL FÜNFZEHN Vielleicht hat Coyote Gott geschaffen 1955

KAPITEL SECHZEHN Enterprise 1955

KAPITEL SIEBZEHN Smoker 1956

KAPITEL ACHTZEHN Salila’ti Mi’mu D’enn’i’gu 1957

KAPITEL NEUNZEHN Che’wah’ko 1958

NACHWORT

GLOSSAR

ÜBER DEN AUTOR

ANHANG 1 In großer Hochachtung

ANHANG 2 Klamath und Pit River

Weitere Bücher von Neue Erde

DANKSAGUNGEN

Unmittelbar nach meinem Abschluss an der University of California in Davis im Jahr 1991 nahm ich ein Vollstipendium an der University of Arizona, Tucson, an, um im Rahmen des American Indian Studies Program einen Master of Arts zu erwerben. In Tucson wurde ich von den Mitgliedern meines Master-of-Arts-Komitees ermutigt, die Park-Feldnotizen (Erzählungen und anderes Material, das die Anthropologin Susan Park 1931 von meinem Volk in Hat Creek und Dixie Valley gesammelt hatte) auszuarbeiten, um sie für meinen Abschluss zur Veröffentlichung vorzubereiten. So entstand Yokenaswi Yusji (Necklace of Animal Hearts), ein Band mit Erzählungen, der von der University of Arizona veröffentlicht werden soll.

Dann begann ich ernsthaft an diesem Manuskript zu arbeiten, auch weil mein Ausschuss darauf bestand, dass die Geschichte meines Volkes aus dem Schatten der Mythologie in das Licht der Literatur geholt werden sollte.

Es gibt also viele Menschen, die diesem kleinen Band ins Dasein geholfen haben. Manche von ihnen konnten nicht wissen, dass das, was ihr Interesse und ihr ehrliches Anliegen war, in dieser Form veröffentlicht würde, selbst ich nicht, und einige großartige Menschen müssen einfach erwähnt werden:

Meine sieben Söhne, insbesondere die Zwillinge Seterro (Hoss) und Theo (Boss), die als Zweitklässler in Davis begannen, mit mir an den Feldnotizen von Susan Park zu arbeiten. Sie haben dieses schriftstellerische und intellektuelle Abenteuer mit mir fortgeführt (sie gehen jetzt in ihr Juniorjahr an der High School), wobei Seterro zu einem eigenständigen Dichter geworden ist – was mich sehr freut.

Alle meine Stammesangehörigen, insbesondere die weisen Ältesten. Sie, die Bewahrer unserer Geschichten und Überlieferungen, lassen uns bei besonderen Anlässen an ihrem Wissen teilhaben.

Die großartigen Menschen in den Pit River/Hat Creek Mountains, die meine akademischen Träume gefördert haben, sind Hyram und Dorothy Brown aus McArthur, Kalifornien; Georgie Hess, XL Ranch, Alturas, Kalifornien; LaVerna Jenkins und Lillian Snooks, Hat Creek, Kalifornien; und die Familien Mike und Buckskin von Dana im Pit River Country.

Mein akademisches Fundament an der University of California, Davis, wurde von Jack Hicks, Gary Snyder, Jack Forbes, Steve Crum, Martha Macri, Inez Hernandez-Avila, David Risling Jr., Stefano Varese, John O. Stewart und David Scofield Wilson gelegt. Schriftführer Jerry Kemp, die Mitarbeiter des Woman’s Research Center und Michael Harrison vom Harrison Western Research Center in Live Oak, Kalifornien, sind meine Schutzgeister.

An der University of Arizona gehören Dr. Ofelia Zepeda und Larry Evers (beide Mitglieder meiner Master- und Promotionsausschüsse), Tom Holm, Ellen Basso, Jane Hill (Präsidentin der American Anthropology Association), Michelle Grijalva und Jay Stauss zu meiner akademischen Unterstützungskommission, während Dr. Adela A. Allen und Georgia Ehlers meine administrative Plattform bildeten.

Insgesamt gibt es ein Netzwerk von Organisationen und Einzelpersonen, die mich immens unterstützt und ermutigt haben. Die Ford Foundation nahm mich als Stipendiat an und unterstützte mein akademisches Streben, als ob es um ein Rennen um eine olympische Goldmedaille ginge und ihre Ehre von meiner Leistung abhinge.

Da ist Mike Williams (Kommilitone) aus Davis, der an meinem »Black-Tie-Only«-Bankett im 26. Stock des Gannett-Gebäudes (wo die USA Today erscheint) in Arlington, Virginia, teilnahm. Er trug Levi’s, ein T-Shirt und eine Lederjacke, die mehrere Aufstände überstanden zu haben schien! Und dann sind da noch Jerry und JoAnn Aronson (ehemals Fall River Mills), die die Zwillinge und mich am Leben erhielten, als wir in den Bergen als Holzfäller irgendwie zurechtkommen mussten. Jerry kaufte unser Holz, obwohl er es nicht brauchte, und sah zu, wie die Zwillinge zwischen ihrem dritten und sechsten Lebensjahr ziemlich gut darin wurden, Eichenholz zu spalten und zu stapeln.

Am American Indian Graduate Center der University of Arizona wurde ich von den dort arbeitenden fähigen Leuten in hohem Maße unterstützt, das waren Glenn Johnson, der Direktor, und die Sekretärinnen Donna Treloar und Leslie Durhman (die mich wahrscheinlich immer noch erdrosseln wollen, weil ich in Sachen Computertechnik so unbedarft bin).

Und es wäre absolut unentschuldbar, Jeannine Gendar, die Herausgeberin von News from Native California, nicht zu erwähnen; sowie Kim Bancroft und Laura Harger, die Herausgeberinnen dieses Manuskripts; Malcolm Margolin, sowohl von News from Native California als auch von Heyday Books; Mary Bates Abbott von Advocates for the Survival of California Languages und Native California Network; Marion Weber vom Flow Fund; und Reitha B. (Tiny) Amen, eine Angehörige meines Stammes. Unmittelbar nach dem in diesem Buch beschriebenen Unfall mit dem Holzlaster kümmerte sie sich um uns überlebende Kinder. Und sie tat etwas, was alle Pferde des Königs und alle Männer des Königs nicht für Humpty Dumpty hätten tun können: Sie hat alle unsere acht zerrütteten Seelen wieder zusammengefügt.

Ich danke euch allen (und all den wertvollen Menschen, in der Wissenschaft wie in der Gesellschaft, die hier nicht erwähnt werden), und eines Tages, da ich mich weiter bemühe, werde ich vielleicht etwas erreichen, auf das ihr alle stolz sein könnt.

D. B. W.

VORWORT zur Ausgabe von 2016

Darryl Wilson war ständig unterwegs, zog von einer Stadt in die andere, manchmal, weil sich ihm eine Gelegenheit bot, manchmal, weil er in Not war, manchmal, weil er Zuflucht vor einer weiteren persönlichen Katastrophe suchte, wie sie ihn sein ganzes Leben lang so unerbittlich verfolgten. Als ich ihn in den späten 1980er Jahren kennenlernte, lebte er in Davis. Seine Frau, Danell Garcia, war – tragischer- und ironischerweise wie seine Mutter – bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und er hatte sich erst kurz zuvor aus den Tiefen der Verzweiflung befreit. Er hatte sich an der UC Davis eingeschrieben und arbeitete an seinem Bachelor-Abschluss, während er zwei kleine Söhne, die Zwillinge Seterro und Theo (im Indianerland als Hoss und Boss bekannt), großzog.

Dann folgten die Jahre in Tucson, wo er an der University of Arizona promovierte; in San Jose, wo er sich als Dozent an verschiedenen Colleges ein Auskommen verschaffte, als Geschichtenerzähler durch den Staat reiste und eine lyrische, zornige und visionäre Literatur verfasste, die ihm überall Freunde und Bewunderer einbrachte; und in Gardnerville, Nevada, wo er jungen Mitgliedern des Washo-Stammes Kultur und Sprache vermittelte. Im Jahr 2000 erlitt er in Nevada einen fast tödlichen Schlaganfall, den er schwerbehindert überlebte. Er zog wieder nach San Jose und dann nach Santa Cruz, Kalifornien, wo er mit seinen inzwischen erwachsenen Zwillingssöhnen in einer örtlichen indianischen Gemeinschaft lebte, die seinen Geschichten zuhörte, seine Weisheit zu schätzen wusste und sich um ihn kümmerte, bis er im Mai 2014 verstarb.

Doch bei all seinen Wanderungen verließ Darryl – in seiner Vorstellung, seinen Schriften, seinen Geschichten und im tiefsten Inneren seiner Seele – nie auch nur für einen Tag Hamma’wi, das Land am Pit River, das Land, in dem er geboren wurde. Reich an tiefgehenden persönlichen Erinnerungen und emotionalen Bindungen war Hamma’wi sein heiliges Land: Es war sein Jerusalem, sein Bethlehem, sein Mekka. »Am Morgen, als die Sonne unterging« ist daher mehr als nur die Erinnerung an ein individuelles Leben: Es ist der Atlas einer spirituellen Landschaft. Jedes Kapitel, ob es nun ein persönliches Erlebnis, eine historische Begebenheit oder eine Geschichte aus der Traumzeit schildert, ist in sich abgeschlossen und immer an einem bestimmten Ort angesiedelt: It’Ajuma (Pit River), Bo’ma-Rhee (Fall River Valley), Haya’wa Atwam (Porcupine Valley), Goose Valley und so weiter.

Unser heutiges Lebensgefühl wird so sehr von Einzelpersonen geprägt, dass wir Orte oft nach Personen benennen, und Pit River ist da keine Ausnahme. Auf einer modernen Karte des Gebiets finden sich Namen wie Clayton Canyon, Burney Falls, Pittville, McGee Peak und viele andere. (Ich kann nicht umhin, mich zu fragen: Hat jemals jemand den Gipfel gefragt, ob er McGee genannt werden möchte?) In der Welt, in die Darryl hineingeboren wurde, bezeichnete und bestimmte dagegen der Ort die Person. »Mein einheimischer Name, Sul’ma’ejote«, erklärte Darryl einmal, »ist Ausdruck unserer Kultur und bezieht sich auf die Landschaft, in der ich geboren wurde, am Nordufer des Sul’ma’ejote (Fall River bei Fall River Mills).« In einem Interview mit der Indian Times, einer Publikation der UC Riverside, erklärte er 2007 seinen Namen und seine Identität auf diese Weise:

Meine Verbindung zu meiner Mutter und zur Erde liegt im Fall River Valley, und dort am Fall River. Deshalb muss mein Geburtsname diese Verbindung bezeugen. Ich bin Sul’ma’ejote. Es gibt nur einen Sul’ma’ejote (den Fluss), der von den großen kosmischen Mächten anerkannt wird. Bis in die jüngste Zeit wurden alle männlichen Wesen nach der Landschaft benannt, in der sie geboren wurden. Auf diese Weise kann jeder dich, deinen Geburtsort, deine Abstammung und deine Geschichte allein anhand deines Namens erkennen. Ramsey Bone Blake hieß bei seiner Geburt Chuta’puki ahew, jui ajijujui. Man sollte also sofort wissen, wer er war, wer sein Volk war und wo der Berg war, an dem es sieben Quellen gibt, von denen eine Juiajijujujui heißt (wo das Wasser emporquillt und Moos und Gras immerfort tanzen). Auf diese Weise wird die männliche Person zu einem festen Teil der Landschaft. Wie meine Tante Gladys sagte, als sie ihren Arm über die bergige Landschaft schwang: »Noch lange wird unser Geist fortbestehen, wenn diese Berge schon zu Staub geworden sind.« Wir bleiben für immer Teil des Landes. Sie sagte auch: »Du musst einen ›richtigen‹ Namen haben, sonst wissen die Großen Mächte nicht, wem sie beistehen sollen.«

Wie wichtig der Ort für Darryl war, zeigte sich auf dramatische Weise bei einer Fahrt, die wir vor einigen Jahren gemeinsam unternahmen. Es war nach dem verheerenden Schlaganfall, der eine Seite seines Körpers fast vollständig gelähmt hatte. Ray March, ein Zeitungsredakteur, der in der winzigen Stadt Cedarville im Surprise Valley im Modoc County im Nordosten Kaliforniens lebt, hatte eine Literaturveranstaltung ins Leben gerufen und den Dichter Gary Snyder, den Geologen Eldridge Moores, den Gelehrten und Kulturaktivisten Jon Christensen, Darryl und mich sowie einige örtliche Dichter und Schriftsteller zu Vorträgen und Seminaren eingeladen.

Darryl lebte damals in San Jose, und ich bot ihm an, ihn zu der Konferenz mitzunehmen. Ich hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen, und als einer seiner Söhne, der nun als sein Betreuer fungierte, ihn an unserem Büro in Berkeley absetzte, erschrak ich tief. Ich hatte Darryl noch so vor Augen, wie ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte: gutaussehend, lebhaft und charmant, ein Mann von großer Körperkraft und sportlicher Ausstrahlung. Der Mensch, den ich jetzt sah, war welk und gebrechlich, fast taub, kaum in der Lage zu gehen, und seine einst dröhnende Stimme war jetzt leise und vernuschelt. Es war ein warmer Tag, und er konnte seine Jacke nicht ohne Hilfe ausziehen, war nicht in der Lage, sich um seine Grundbedürfnisse zu kümmern.

Mit Mühe setzte ich Darryl in mein Auto und machte mich auf die siebenstündige Fahrt. Die erste Etappe, die durch das Sacramento Valley nach Redding führte, war sehr anstrengend. Er hatte Probleme, mich zu verstehen, also musste ich schreien. Seine Sprache war so undeutlich, dass ich das meiste, was er sagte, nicht verstehen konnte, und es war eine wahre Meisterleistung, ihn bei den häufigen Pausen, die er brauchte, aus dem Auto und wieder hineinzubekommen.

Während der ersten hundert Meilen war ich überzeugt, einen schrecklichen Fehler gemacht zu haben, als ich Darryl anbot, ihn mitzunehmen. Dann kam Akoo-Yet (Mount Shasta), das spirituelle Zentrum der Welt des Pit River, in Sicht. Darryl bemühte sich, aufrechter zu sitzen, um ihn besser sehen zu können, und er begann, über den winzigen, aber mächtigen Geist Mis Misa zu sprechen, der im Inneren des Berges lebte und für das Gleichgewicht der Welt sorgte. Während er sprach, schien er in einen tranceartigen Zustand zu geraten, als würde er ein Diktat aus der jenseitigen Welt empfangen, und seine Stimme gewann an Kraft und Klarheit. Als wir Redding erreichten und in Richtung Osten nach Alturas weiterfuhren, gelangten wir in das Pit River Country, Darryls Heimatland. Mit wachsender Begeisterung, Kraft und Lebendigkeit begann Darryl die Orte zu beschreiben, an denen wir vorbeikamen: Diese Straße hinauf wohnte Craven Gibson, der uns immer Geschichten in der alten Sprache erzählte. Diese Straße hinauf wohnten Tante Gladys und Onkel Rufus. Dieser Steinhaufen wurde von Old Coyote umgestoßen, als er eine Frau den Hügel hinauf verfolgte. An dieser Ecke gab es eine Bar, in der auch Minderjährige bedient wurden. Dieser Wasserfall birgt ein Geistwesen mit magischen Kräften. An diesem Berghang sammelten Frauen Apaswurzeln, als eine Miliz sie angriff und fast alle tötete; meine Ururgroßmutter war eine der wenigen, die entkamen. Dort ging ich mit meinem Vater auf Hirschjagd. Meile um Meile wurden Geschichten erzählt.

Während ich von der siebenstündigen Fahrt ziemlich erschöpft war, als wir den Konferenzort in Cedarville erreichten, stieg Darryl quicklebendig aus dem Auto; seine Stimme war jetzt kräftig und klar, sein Wesen lebhaft, er sah jugendlich und selbstbewusst aus, bereit, es mit der ganzen Welt aufzunehmen.

»Wir sind nicht so verletzlich, dass Kugeln unseren Geist brechen könnten«, schreibt Darryl im ersten Absatz dieses Buches. Auch wenn er sich damit auf sein Volk bezieht, könnte man dies mit demselben Recht über sein Leben sagen. So oft ihm die Welt auch einen vernichtenden Schlag versetzte, sein Geist, genährt und getragen vom Land seiner Geburt, blieb ungebrochen. Als sich an jenem Tag die Menschen in Cedarville um ihn versammelten, schien Darryl von einer Kraft zu glühen, die über ihn hinausging. Das erinnerte mich daran, wie die Schamanen am Pit River in alten Zeiten ihre geistigen Helfer, die Dinihowis und Damaagomes, anriefen, damit sie ihnen bei ihren Heilungen halfen. Darryl hatte die Mächte von Hamma’wi, seinem Heimatland, angerufen, und sie gaben ihm Antwort. Annikadel war an seiner Seite, ebenso wie Kwaw (Silver-Gray Fox), Jamol (Old Coyote) und Wa-lowchah (Wolkenmädchen). Diese und andere Geistwesen, die vom »Großen Geheimnis« singen und die Welt ins Dasein träumen, waren da, um Darryl daheim willkommen zu heißen. Sie kamen aus demselben Grund wie wir alle, um die Gegenwart dieser seltenen und wunderbaren Erscheinung zu erleben, einer It’jati’wa, einer echten, einer wahrhaftigen Persönlichkeit. Es gibt weltweit nur wenige davon, und Darryl war eindeutig eine von ihnen.

Malcolm Margolin

April 2016

AM MORGEN, ALS DIE SONNE UNTERGING

Prolog Hamma’wi1988

In Likely, südlich von Alturas, in der äußersten nordöstlichen Ecke Kaliforniens, gab es eine baufällige, abgewohnte und halb verfallene Hütte der Weißen. Sie war, wie meine Leute damals auch, heruntergekommen. Kurz zuvor, im Herbst 1868, hatte die US-Kavallerie bei Tuwut-lamit Wusche – später Höllenschlund genannt und etwa acht Meilen von diesem Ort entfernt – eine Stammesversammlung überfallen. Militärhistoriker behaupten bis heute, die Soldaten hätten bei dieser Aktion, einem »militärischen Manöver«, das nichts anderes war als ein Angriff von mit Kanonen und Gewehren bewaffneten Männern auf ein indigenes Volk, das sich nur mit Stöcken und Steinen verteidigen konnte, den Geist meines Volkes gebrochen. Dieses Manöver hat jedoch den Geist meines Volkes nicht gebrochen. Wir sind nicht so verletzlich, dass Kugeln unseren Geist brechen könnten.

Als ich durch den sanft leuchtenden, von einer Lampe erhellten Eingang des Zweizimmerhauses blickte, drängten mich unsichtbare Kräfte hinein. Es war feuchtwarm, und dichte Schatten bewegten sich langsam an den schäbigen Wänden. Abgerissene Menschen, so verschlissen wie die Landschaft nach einer Invasion, hatten sich versammelt. Etwas frische Luft wäre gut gewesen; es schien, als wäre die Hälfte meines Stammes dort drinnen.

Alle redeten oder flüsterten miteinander, als wäre ich gar nicht da. Meine Leute hatten anscheinend keine Ahnung, dass ich den Raum betreten hatte. Sie sahen mich nicht an. Sie nahmen nicht einmal zur Kenntnis, dass ich am Leben war, denn sie unterhielten sich weiter angeregt in verschiedenen Dialekten miteinander. Aus dem wirren Gemurmel konnte ich ein paar »amerikanische« Wörter heraushören.

Was für ein Desaster!

Ich glaubte, man würde mich herzlich empfangen, man würde sich freuen, weil ich nach Hause gekommen war. Immerhin war ich gerufen worden. Nicht ich hatte nach ihnen gesucht, sie hatten nach mir gesucht. Aber die Leute meines alten Volkes redeten weiter untereinander und beachteten mich nicht. Sie waren wie Rehe, die im Abendschatten äsen; ihr Gespräch fand nur unter ihnen statt. Ich wusste nicht, worum es dabei ging, aber es war sehr konzentriert. Dann gab es ein Stimmengewirr, und ihr »Gespräch« bekam etwas Tieferes, tiefer noch als Sinn und Bedeutung.

Wurde ich zur Strafe übergangen oder war es ein Tadel? Ich konnte nicht ganz verstehen, warum sie mich unbeachtet ließen. Ich war damals auf dem College, und ich dachte, meine Ältesten hätten mich gebeten, mit ihnen über Bildung oder Politik oder Recht und Gesetz zu sprechen. Oder vielleicht wollten sie mich über die Amerikaner ausfragen, mit denen ich verkehrte. Ich konnte nicht verstehen, warum sie mich absichtlich übersahen und meine Anwesenheit so bewusst und nachdrücklich ignorierten.

In diesem Traum – denn es war tatsächlich ein Traum – waren meine Leute, wie das Haus und seine Einrichtung, sehr ärmlich, so wie sie es auch in der Wirklichkeit sind. Einige trugen aus Bindfäden und Rinde gefertigte Kleider, andere trugen Felle von Kaninchen, Kojoten und Bibern, und wieder andere trugen »moderne« Sachen, Kleider aus leeren Mehlsäcken, auf denen »Fall River Mills« und ein Bild von Burney Falls aufgedruckt waren. Andere trugen schwarze Kleider, die mit kleinen weißen Blumen bedruckt waren, mit einem roten Punkt in der Mitte von fünf Blütenblättern.

Ich fühlte mich völlig fehl am Platz, als die Großmutter mütterlicherseits, »Urgroßmutter«, mich mit leuchtenden Augen anschaute. Ich erstarrte, und alle hörten auf zu reden. Es herrschte eine Stille, die dicker war als kalte Butter. Ich wurde kleiner und immer kleiner.

Mit einem langen Blick, viel länger als nötig, sagte sie: »Iss. Ni’lladu’wi e-psyu’yayyow. Inamas’at, Iss?« (Hamma’wi Person, was weißer Mann denkt, kannst du sagen?)

Ihre Frage klang wie eine Aufforderung.

Zitternd antwortete ich. »Ich glaube, ich habe den weißen Mann weit genug durchschaut, um dazu etwas zu sagen.«

Wieder herrschte Schweigen. Dann sagte Urgroßmutter nachdenklich: »Glauben, nein. Wissen, ja. Iss?«

Aus den Schatten des alten Hauses starrten mich viele alte Augen an, in denen das Flackern der Kerzen tanzte, die das Licht spendeten und an den Wänden große, vielgestaltige Schatten warfen. Ich fühlte mich eingeschüchtert, als stünde ich vor Gericht.

Aber ich wusste auch, dass meine Ältesten, die in meinem Traum (der ein Bruchstück ihres größeren Traums war) zu mir kamen, mir ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenbrachten. Sie wussten aus früheren Kontakten mit Weißen, dass sie dem weißen Mann, der amerikanisch sprach, nicht trauen konnten. Aber mir konnten sie irgendwie vertrauen. Durch ihre Anwesenheit, ihre Blicke, ihr Schweigen schenkten sie mir ihr besonderes Vertrauen. Sie hatten auch besondere Erwartungen.

Unter den Ältesten schwoll ein Gemurmel an. Es wurde geflüstert. Dialekte der Iss- und Aw’te-Sprachen summten und schwirrten in den dunklen Schatten. Das alte Haus atmete. Der Rat bewegte sich in Wellen wie das Rascheln der Blätter in einem Eichenwald, den der Westwind aufrührte.

Einer der ältesten der Ältesten, ein mir unbekannter Mann mit wallendem weißen Haar und Falten an Ellbogen und Knien, der in Felle gekleidet war und einen Rock aus geflochtener Zedernrinde trug, fragte meine Urgroßmutter, ob ich in einer unserer Sprachen zu ihnen sprechen würde. Er fragte: »Iss, tollim, atama Kosalekt’wi?« (Person, wir alle sollten in Kosalekt’wi sprechen?)

Ich erbebte, als mein Geist sich aufbäumte. Ich schämte mich meiner fürchterlichen Unwissenheit. Es war schrecklich; ich konnte nicht in einer Sprache zu den Ältesten sprechen, die sie wirklich verstanden. Ich hätte im Boden versinken mögen.

Dann fragte derselbe Älteste meine Urgroßmutter, warum sie der Meinung sei, dass man mir vertrauen könne, und warum mehr als einem weißen Mann.

Urgroßmutter antwortete ihm eine lange Weile nicht, und so beschloss ich, mich zu verteidigen. Ich sagte auf Englisch, dass es die Absicht der Weißen sei, mich und meine Generation in englischsprechende Rothäute zu verwandeln, damit wir ihren Bedürfnissen und Wünschen besser entsprächen. Denn wenn wir unsere Sprache und unsere Bräuche beibehielten und unsere Traditionen und Zeremonien praktizierten, würden wir nicht in ihre Pläne passen.

Nicht nur der Versuch der Weißen, uns zu verändern, war verhängnisvoll, ebenso unheilbringend war, dass man es unseren Ältesten verwehrte, uns unsere Traditionen zu lehren. Letztendlich würden das Fehlen unserer Ältesten und die Absichten der Weißen zu unserer Vernichtung als spiritueller Verband von Menschen führen, der vor langer Zeit von Kwaw (Silver-Gray Fox) zu einem bestimmten Zweck auf der Erde geschaffen wurde.

Nach der Übersetzung aus dem Englischen ins Iss und Aw’te ging ein Raunen durch die Versammlung. Wieder herrschte Schweigen, doch alle Augen blickten mich an, manche fragend, manche flehend, alle besorgt. Ich wagte nicht, zu atmen.

Ich erwachte voller Angst. Bis zum heutigen Tag frage ich mich nach der Bedeutung dieses Traums. Ich habe das Gefühl, dass die Geister dieser Menschen immer noch in dem alten Haus sind, aus den getönten Fenstern schauen und auf die Zeit warten, da ich mich an ihren Rat wenden würde, um ihnen zu antworten, dass ich weiß, wie die Weißen denken, und dass ich auch weiß, wie man ihnen »am besten widersteht«.

Und ich zittere.

KAPITEL EINS Bo’ma-Rhee1946

Depression, Rezession, Unterdrückung. Daddy hatte gerade seinen Job verloren. Angst und der Bruder der Angst, die Wut, beherrschten unser Leben. Wo sollte Daddy eine neue Arbeit finden?

Aus dem Haus dröhnte ein lautstarker Streit zwischen Mom und Dad über Geld. Ich erinnere mich, was Grandma (die Mutter meiner Mutter) über die weiße Gesellschaft sagte: »Geld ist der Herr.« Ich war gerade auf dem Feld hinter dem Haus. Ich blickte in Richtung Berge und versuchte, die Wut meiner Mutter und das Geschrei meines Vaters auszublenden. Es ging nicht. Peng! Eine Tasse oder etwas anderes schlug gegen die Wand. Mein sechsjähriger Geist trieb mich tiefer in das Feld hinein. Aber noch immer sah ich Mutters Augen aus ihrem schmalen, hellen Gesicht aufblitzen, das lange schwarze Haar durcheinander. Ihre Augen, die so schön funkelten, wenn sie lächelte, glühten jetzt vor Wut. Und ich konnte Daddy sehen, klein und kaffeefarben, das runde Gesicht entschlossen, die Lippen verzerrt, zitternd, die schwarzen Augen starr.

Daddy hatte im Schlachthof Tiere getötet und das Fleisch in einem großen Lastwagen ausgeliefert, den wir »das graue Gespenst« nannten. Er war nicht wirklich grau, nur schmuddelig. Daddy war nun arbeitslos und die Familie aus der lohnabhängigen amerikanischen Gesellschaft ausgeschlossen. Als Dad seinen Job verlor, lebten wir in Glenburn im Nordosten Kaliforniens, fünf Meilen von meinem Geburtsort Fall River Mills entfernt. Mein Bruder Lester (Buddy) war ebenfalls in Fall River geboren. Buddy ist so dunkel wie Daddy, eine Spur dunkler als Schokolade.

Wir waren eine große Familie: Beverly, Cecelia, Sonny, dann ich, Madge, Kenny, Lester, Iris (Fefe) und Baby Jerry. Ich weiß nicht mehr, wo sie alle geboren sind, und es hatte auch nichts zu sagen. Wir würden sowieso ewig leben, also konnten wir die Geburtsdaten und -orte auch später herausfinden.

Weil es wenig Geld und kein geregeltes Einkommen gab, mussten wir viele deprimierende Phasen durchleben: Niedergeschlagenheit, Streit, harte Worte, böse blitzende Augen, absichtsvolle Blicke in die Leere. Die Atmosphäre im Haus war immer sehr angespannt, wenn Mom und Dad sich über Geld stritten.

Zu solchen Zeiten verließ ich still und leise das Haus. Ich konnte zwar hören, wie meine Geschwister lachten und spielten und wie unsere Hunde bellten, wenn sie irgendwo hinliefen, aber mich zu vergnügen, war meine Sache nicht. Mir war sterbensübel von den Streitereien, und ich dachte, es müsse doch eine Möglichkeit geben, die Zwistigkeiten zu beenden – irgendwo, irgendwie.

Während meine Brüder und Schwestern spielten, dachte ich, ich solle arbeiten, versuchen, einen Job zu finden, um Geld nach Hause zu bringen, damit wir glücklich sein konnten. Manchmal saß ich in der Astgabel der großen Schwarzpappel nahe der alten Mühle und machte mir große Sorgen, schlief und träumte. Ich fragte mich vor allem, ob es jemals eine Zeit ohne Streit geben würde. Der Himmel war dick und tiefblau, beunruhigend blau.

In der Ferne sah ich in allen Richtungen die Hitzewellen, die Bo’ma-Rhee (Fall River Valley) zum Flimmern brachten, zum Vibrieren, wie klares, sich kräuselndes Wasser. Im Schatten herrschte eine gewisse Kühle. Jede Brise war Erfrischung; zu lange Abstände zwischen den Brisen bedeuteten große Hitze. Hätte ich nicht solche Sorgen gehabt, wäre ich einfach eingeschlafen, auf dem riesigen Ast des Baumes ruhend, als säße ich auf dem Rücken von Cap oder Fox. Ich wünschte mir einen Apfel, wollte seinen Duft riechen und sein süßes Aroma schmecken. Jeder Apfel schmeckte auf andere Weise süß, bis auf die sauren Äpfel.

Durch die flatternden grün-silbernen Blätter der Pappel konnte ich Bo’ma-Rhee überblicken. Was die Ältesten über unsere Geschichte erzählen, kam mir schemenhaft in den Sinn. In den 1850er Jahren gab es in Bo’ma-Rhee nur wenige weiße Siedler. Die Einwanderer wollten jedoch das beste Land, und die in Fort Crook stationierten Soldaten setzten ihre Wünsche durch. Aufgrund der Aneignungen der Siedler und der oft todbringenden Reaktion der Armee, wenn wir uns wehrten, verlor mein Volk viel Land. Jeder Widerstand meines Volkes führte dazu, dass noch mehr Militär eingesetzt wurde. Bald behandelte man uns wie wilde Tiere.

Einige Meilen östlich der Mühle befand sich damals Fort Crook, benannt nach Leutnant George Crook, der 1857 mit der Kavallerie in unser Land kam und zusammen mit Captain Gardiner und den First Dragoons die Errichtung des Forts vorantrieb. Bei dessen Bau, so sagen die Leute, pflanzte Leutnant Crook den Soldaten schreckliche Ideen ein, warum und wie sie unser Volk züchtigen sollten, insbesondere jene, die er »Abtrünnige« nannte. Er hegte abscheuliche Gedanken, die er auf seinem Marsch von Fort zu Fort, von Todeslager zu Todeslager gesammelt und verfeinert hatte.

Eines Jahres, so wird berichtet, was nur in der Erinnerung meines Volkes überliefert ist (wahrscheinlich um 1858), wollten die Weißen die Iss/Aw’te drüben an der Biegung des Fall River loswerden. Damals hatte mein Volk zwei Winterlager, eines am Nordende und eines am Südende des Tals. In das Lager am Nordende des Tals brachten Siedler und Armeeangehörige eine Wagenladung Gewehre und Munition – und Whiskey. Die Amerikaner erzählten meinen Leuten, dass unser Lager am Südende des Tals sich auf einen Krieg vorbereitete und dass die jungen Krieger kommen und sie töten würden. Die Amerikaner waren besorgt und hatten Gewehre mitgebracht, damit sich das nördliche Lager verteidigen konnte.

Dann brachten dieselben Amerikaner in aller Eile eine weitere Wagenladung Gewehre und Munition – und Whiskey – in das Winterlager am südlichen Ende von Bo’ma-Rhee. Die Amerikaner sagten, sie brächten Gewehre, damit das Lager sich schützen könne, weil das Lager am Nordende des Tals sie auslöschen wolle und das nördliche Lager bereits über Gewehre und Munition verfüge. Die Überlebenden meines Volkes, die nicht in den Lagern, sondern in den Bergen überwinterten, nannten diesen Konflikt »das große Gemetzel«.

Doch heute erzählen unsere Ältesten am Lagerfeuer im Schutz der Kiefern, dass die Soldaten die Gewehre und die Siedler den Whiskey geliefert hätten. Beide Seiten streuten Gerüchte, und keine von ihnen sah einen Grund, die Verantwortung für die von ihnen ausgelöste Katastrophe zu übernehmen.

Die Gewehre, der Whiskey, die Gerüchte und die Munition, die in beiden Lagern wie rote Kohlen glühten, ließen die Flammen der Angst und des Hasses in die Nacht überspringen. Der Whiskey, der in den Gerüchten jenen Funken entfachte, der Lügen zu Tatsachen werden ließ, sorgte für wachsende Raserei und eine Vernebelung der Vernunft. Mit jedem Schluck machte das brennende Getränk, der Whiskey, die Menschen tila-tosi (wahnsinnig). Gegen Morgen schließlich führte der Whiskey in Verbindung mit den Gerüchten dazu, dass sich die beiden Lager auf offenem Feld begegneten und sich gegenseitig vernichteten.

In der Morgendämmerung, als das Dröhnen auf dem Feld nachließ und nur noch vereinzelte Schüsse zu hören waren, kamen Kavalleristen und Siedler angeritten, um ihr Werk zu begutachten.

Die Lehren aus unserer Geschichte endeten oft im Morgengrauen. Die Feuer schwelten, und die Menschen drehten sich um und schlichen schweigend und kopfschüttelnd zu ihrem Tagewerk davon.

WENN ICH ÜBER DAS TAL SCHAUE, sehe ich die Kirche, in der ich einmal verschiedene selbstgebackene Kuchen probiert habe, einige in Geschmacksrichtungen, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Vielleicht kann ich auch solche Kuchen backen, sie verkaufen, wie die Kirche es tut, und damit Geld verdienen. Neben der kleinen weißen Kirche war meine erste Schule. Eines Tages, als ich in der ersten Klasse war, spielten wir Kickball, und ein großer Junge schoss den Ball durch das Fenster des Schulhauses. Das Klirren klang mir noch in den Ohren, und ich rannte den ganzen Weg und an unserem Haus vorbei auf das Weizenfeld und setzte mich hinter einen großen, schwarzen Eckpfosten.

Ich wusste, der Sheriff würde kommen, um uns alle zu holen, und wenn ich ins Gefängnis müsste, würde ich mich »ihren« Bedingungen nicht unterwerfen. Doch der Hunger und die schnell sinkende Sonne ließen meinen Widerstand erlahmen. Ich ging langsam nach Hause, während die Sonne blutrot auf dem Berggipfel verweilte, bevor sie über den Rand meiner Welt fiel. Ich musste immerfort daran denken, dass das Aufgebot des Sheriffs schon bei mir zu Hause sein musste und mit schnaubenden Pferden im Hof auf mich wartete. Der Sheriff und seine Begleitung trugen glänzende Abzeichen, hellschimmernde Pistolen und einen Strick, mit dem sie mich hängen würden. »Streckt seinen Hals«, würde mein Onkel sagen.

Mit klopfendem Herzen und zitternden Knien schlich ich im Schutz der herannahenden Dunkelheit nach Hause. Der Sheriff war nicht da. Irgendwie war mein Leben verschont geblieben.

Ich ließ meinen Blick schweifen. In der Nähe »meiner« Pappel und zweihundert Meter von unserem kleinen weißen Haus entfernt stand die riesige, graubraune, verlassene Mühle. Im Inneren befanden sich gewaltige Rundbehälter, die wir mit viel Mühe wie eine Zirkusattraktion drehten. Wenn wir des Drehens müde waren, sprangen wir von einem Stockwerk zum nächsten oder lehnten uns aus dem höchsten Fenster, so weit wir nur konnten. Unsere Mühle hatte mehrere Stockwerke. Die Dachsparren waren voll von gurrenden Tauben und piepsenden Zaunkönigen. Manchmal landete ein Rotkehlchen mit einem schmutzigen Wurm im Schnabel auf einem Fenstersims, oder ein Specht hämmerte nach Insekten. Unsere Mühle roch verlassen, aber sie roch auch wie ein altes staubiges Spielhaus – und sie gehörte uns allen.

Während wir spielten, rannte unsere Hundemeute um die alte Mühle herum und jagte Erdhörnchen. Wie erdfarbene Schatten



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