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Dieses eBook: "Ameisen (Wissenschaftliches Werk)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Hanns Heinz Ewers (1871-1943) war ein deutscher Schriftsteller, Filmemacher, Globetrotter und Kabarettist. Ewers' Geschichten kreisen um die Themen Phantastik, Erotik, Kunst bzw. Künstler und Reisen in exotische Länder. Seine teils äußerst drastischen Darstellungen machten ihn zum skandalumwitterten Bestsellerautor. Aus dem Buch: "Ein kleines Volk von ihnen, Arbeiterinnen allein oder solche mit einer jungen Königin, ziehen aus, ein fremdes Nest zu erobern. Sie vertreiben alles, was darin ist, nehmen das Nest als Wohnung für sich und ziehen die fremde Brut auf. Freilich ist dieser Vorgang durchaus nicht so einfach. Im allgemeinen nämlich sind sie selbst weder kriegerisch, noch tapfer, noch zur Arbeit besonders tüchtig; die Angegriffenen werden mit ihnen verhältnismäßig leicht fertig. Jedoch scheint es, daß unter einem Räubergastvolke sich fast stets das eine oder gar mehrere Individuen befinden, die den Unternehmungsgeist, der der Allgemeinheit mangelt, in sich allein zusammenfassen. Vor diesen Überemsen nun haben die Fremden eine erstaunliche Angst." Inhalt: Ameisen und ich Allgemeines Fortpflanzung Tun und Treiben Jagdvölker Bauernvölker Handwerk Gemüsebau Viehzucht Zwischenspiel: Vom emsigen Emil und der verhuhnten Paula Ameisen und Termiten Zusammenhausen Herrinnen und Sklavinnen Die Amazonen Seltsame Sklavenstaaten Psychologisches Chor der Ameisen Namenkunde
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Ameisen und ich + Fortpflanzung + Bauernvölker + Fremde Gäste im Emsenstaat + Ameisen und Termiten + Zusammenhausen + Herrinnen und Sklavinnen + Seltsame Sklavenstaaten
Ich habe dieses Buch im Sommer 1925 auf Brioni, der sonnigen Adriainsel geschrieben – ich kann wohl sagen, mir von der Seele geschrieben. Als jetzt im Frühjahr 1943 die Frage der Neuausgabe an mich herantrat, hat mich das Durchlesen des Buches zwar mit Hochachtung vor meinem damaligen Wissen erfüllt, mich aber auch erkennen lassen, daß ich das Buch ganz neu schreiben müßte, wollte ich es von der Tönung jener schillernden Verfallszeit, in der es verfaßt wurde, befreien. Was das Tatsächliche betrifft, so ist die Wissenschaft seitdem nicht wesentlich weiter gekommen. Der Leser möge darum den Rahmen als ein Stück Kulturgeschichte mit in Kauf nehmen.
Hanns Heinz Ewers
Diesen drei Menschen habe ich manches liebe Mal die Pest an den Hals gewünscht.
Oder: nicht eigentlich die Pest an den Hals – dazu hatte ich sie zu lieb, alle drei. Aber doch etwas, das sie brav zwicken möchte, so etwa ein Quartalszipperlein in die großen Zehen, das sie hübsch erinnern sollte an ihre Sünden.
Aber garnichts zwickt dies Gesindel, das mir den Floh dieses Buches ins Ohr setzte. Es lebt lustig drauf los. Fragt mich, so oft es mich sieht – wie weit ich nun eigentlich wäre mit dem Buch?
Sie grinsen dabei, alle drei. Wissen ganz genau, warum?
So war es: es saßen in München bei Walterspiel diese drei Menschen und ein harmloser Trottel. Der harmlose Trottel war ich. Die drei Menschen waren: ein Herr Verleger, ein Herr Professor und ein Dichter. Eigentlich war es dieser, der mir die ganze Brühe angerührt hat, die ich nun seit Jahren auszulöffeln versuchte – und gerade ihm hätte ich's am wenigsten zugetraut. Ich hielt ihn, wie alle Dichter, für genau so harmlos vertrottelt wie mich selbst. Ich irrte mich sehr – und habe meine Leichtgläubigkeit bitter genug bereut: dieser deutsche Dichter ist ein äußerst gescheiter Mensch.
Also: wir saßen beim Burgunderwein, erzählten uns was. Von der glorreichen Dummheit der Völker und ihrer Regierungen, die nie begreifen wollen, wie unendlich blöd es ist, daß sie sich selbst und einander ernst nehmen. Von den Sternen, die doch endlich einmal anfangen sollten, ein bißchen von dem Hokuspokus zu machen, den wir ihnen nun so lange schon andichten, und die statt dessen nichts tun, als Sechstagerennen spielen – Sechstausendsextillionenundnochmehrtageundnachtrennen – sich selbst und alles im Weltenraum grenzenlos langweilend. Von der Kunst, die immer nur eine kleine Vorspeise ist und nie einen Menschen satt macht – weder den, der sie kocht, noch den, der sie kostet. Von der Natur, die am Ende auch nie und nirgends ein Meisterstück ist und vor der man, je mehr man sich mit ihr beschäftigt, um so weniger Hochachtung hat –
Dann, von ungefähr, war der Herr Professor der Biologie, bei den Ameisen. Dies und das erzählte er – und manches war dabei, was wir nicht wußten. Das war uns unangenehm, mir und dem anderen Trottel – denn dafür hielt ich ihn damals noch in meiner leichtgläubigen Gutmütigkeit. So kramten wir also auch unsere Weisheit aus. Es stellte sich heraus, daß wir beide auch ein wenig von den Sechsbeinern wußten. Denn wir, die Antipoden dieser Arbeitstiere, wir, die Luxustierchen – Dichter, wie Husarenleutnants, sind ja letzten Endes nichts als für die Menschheit höchst überflüssige Luxustierchen und es ist darum sehr verwunderlich, warum ihr Dasein nicht längst von den Weisen in Berlin besonders hoch besteuert wird – also wir Dichter haben nun einmal die Eigentümlichkeit, unsere Nasen in alles hineinzustecken. Nicht einmal an einem Ameisenhaufen können wir ruhig vorbeigehen, immer wieder müssen wir den Herren vom Fach ins Handwerk pfuschen. Was ging den Goethe die Knochenlehre an, was die Farbenlehre, was die Metamorphose der Pflanzen?
Der Herr Verleger geriet ins Hintertreffen. Dichter: zweibeinige Insekten. Ameisen: sechsbeinige – viel mehr wußte er nicht. Er wollte sich gern unterrichten.
»Gibt's so ein Buch?« fragte er.
»Hundert!« sagte der Herr Professor. »Forel und Wasmann und Wheeler und Huber und Lubbock und Emery und Escherich und Janet und Latreille und Mc. Cook und –«
»Hören Sie auf!« rief der Herr Verleger. »Das ist doch alles Wissenschaft – Fachgelehrsamkeit. Gibt's ein Buch, meine ich, aus dem ein einigermaßen gebildeter Laie –«
Der gemeine Kerl, mein Nebenbuhler, platzte los. Denn lachen kann er, wie kein anderer Mensch auf Erden je hat lachen können. Wenn's einer könnte – in keinem Wirtshaus würde man ihn auch nur eine Viertelstunde leiden, weil kein Mensch mehr sein eigen Wort versteht, wenn er mal loslegt. Ihn freilich duldet man. Duldet man? Dankbar ist jeder Wirt und jeder Koch im Lande, wenn er dasitzt – man wird gelb vor Neid, wenn man sieht, wie ihn die Walterspielbrüder behandeln. Denn er ist nicht nur mein Dichtkollege – er ist auch ihr Kochkollege. Kennt jedes Gericht und macht es besser als sie. Setzt die weiße Mütze auf, bindet die weiße Schürze um, geht in die Küche – ehrfürchtig staunen mit aufgerissenen Mäulern die Köche und Köchinnen und Kochstudentinnen: der kann's!
Aber ich will sein Lob nicht singen, im Gegenteil. Er platzte los, furioso, maestoso. Er ist eben garnicht harmlos und gar kein Trottel und also eigentlich völlig ungeeignet zum Dichter. Er hatte es gleich heraus, daß der Herr Verleger Morgenluft witterte – noch ehe der's selbst recht wußte. Darum brüllte er:
»Ah, das möchte Ihnen so passen! So eine Biene Maja aufs ameisenische! Was? Eine Million Auflagen und in alle Sprachen der Welt übersetzt? (Böh! Böh! Böh! so lacht er.) Wird nix draus: 's gibt schon ein halbes Dutzend solcher Erbauungsbüchlein, die dem braven Kinde vom artigen Ameis erzählen – eins noch blöder wie's andere. Pleiten – und mußten's werden! (Böh! Böh! Böh!) Einmal frißt das Publikum so ein himmelblaues, zuckersüßes, marzipangefülltes, schokoladebegossenes Osterei – wenn's so geschickt gelegt und so gescheit begackert ist, wie die Maja – aber dann hat's genug. Denkt nicht dran, noch zu Pfingsten beim minderwertigen Konditor wieder solche Eier zu kaufen.« (Böh!)
Der Herr Verleger tat, als hätte ihm nie die Biene Maja um die Nase gesummt. »Ich interessiere mich nicht für Literatur zu Firmungsgeschenken und Konfirmationsgaben« bemerkte er großartig. »Ich frage, ob es ein Buch über Ameisen gibt, aus dem ich und andere einigermaßen gebildete Laien sich unterrich –«
Aber der wilde Dichtersmann gab ihm keine Ruhe. »So?« brüllte er. »Auch nicht ganz so dumm! So eins, wie Maeterlincks Bienenbuch? (Böh!) Nicht gerade eine Million – aber doch ein sehr hübsches Geschäft.«
»Gibt es nicht!« entschied der Herr Professor. »Kann es auch kaum geben. So verhältnismäßig einfach, wie die Sache bei den Bienen liegt, so verzwickt liegt sie bei den Ameisen. Fünftausend Arten über die ganze Erde verstreut und alle verschieden in ihrem Treiben und Tun. Item: der Wissenschaft vorbehalten!«
Aber der Herr Verleger wußte schon, wie er's machen sollte. Wenn er mal einen Gedanken hatte, dann gab's kein: »Kann's nicht geben!« Er stand auf, ging zum Herrn Walterspiel und beratschlagte mit ihm. Allgemach brachte ein Kellner eine Flasche goldbraunen Steinberger Kabinetts 1904, dazu Seemuscheln in Chablis – und das stellte er vor den Herrn Professor. Und ein anderer kam und brachte Bocksbeutel, Julius-Spital, 1915 Beerenauslese und dazu eine Schnepfe, fertig geröstet mit Gänseleber parfait – und stellte es vor den Herrn Verleger. Und ein dritter kam und brachte eine Flasche 1898 Romanée und dazu Filetscheiben mit Schinken in Eierkuchenteig gebraten und stellte es vor meinen Nebenbuhler. Zu mir kam keiner und mir stellte niemand etwas hin. Ich seufzte – aber das nutzte nichts. Ich mußte dreimal tief seufzen. Da merkte es der Herr Verleger und sagte:
»Ach – entschuldigen Sie, mein Lieber! Sie hatte ich ganz vergessen!« Dann bestellte er ein kleines Gläschen Kirsch für mich.
Er weiß eben, dieser gemeine Mensch, daß ich eine arme Halbwaise bin! (Mein lieber Vater ist schon seit vierzig Jahren tot – und da kann natürlich alles auf mir herumhacken!)
»Greifen Sie zu! Und trinken Sie, meine Herren«, mahnte er. »Auf Ihr Wohlsein!«
Sie tranken alle, und ich suckelte an meinem Schnäpschen. Der Herr Verleger bot mir noch eine Zigarre an – weil er weiß, daß ich die doch nicht rauchen kann.
»Und nun, meine Herren«, fuhr er fort, »wer von Ihnen schreibt mir das Buch?«
»Ich ganz gewiß nicht«, sagte der Biologe. »Wenn ein Gelehrter von Ruf ein Buch für Laien schreibt, ist er ein für allemal für die Wissenschaft erledigt. Bei mir haben Sie, Gott sei Dank, sich umsonst in Unkosten gestürzt!«
»Und bei mir, (Böh! Böh!) bei mir auch!« grölte der wilde Dichter. »Ich hab zwei Dramen auf der Pfanne und eine Pantomime und die Lebensgeschichte des braven Captains und meinen Nebelroman und ein halbes Dutzend Geschichten – das reicht für zwei Jahre und mehr! Dabei komme ich noch garnicht mal zu dem Kochbuch, das ich den Walterspiels schon seit langem versprach. Und übrigens (Böh! Böh! Böh!) kriegen Sie garnichts von alledem, weil mir die Leute in Wien und Berlin viel mehr bezahlen.«
Das ging so hin und her; der Herr Verleger tat, was er konnte, aber die beiden tranken und schmausten und lachten ihn aus. An mich dachte niemand; trübselig lutschte ich an dem Schnapsgläschen rum. Sie waren längst von den Ameisen auf persische Naphtaquellen gekommen – denn der wilde Mann war gerade dabei, eine große Naphtagesellschaft zu gründen, halb persisches, halb amerikanisches Kapital. Er gründete stets etwas; manchmal gelang es und wenn's nicht gelang, konnte er noch immer einen Roman draus machen. Dann kamen sie auf Seidenraupen – denn der Herr Professor war Weltberühmtheit für diese lieben Tiere, denen er beigebracht hatte, dünnere Fäden zu spinnen. Dann auf den Meister Ekkehart, von dem der Dichter im Kloster Cues an der Mosel eine Handschrift entdeckt hatte, die indes der Herr Verleger sich beharrlich weigerte herauszugeben: keine Nachfrage zurzeit nach Meister Ekkehart.
Dann –
Aber da fiel plötzlich des Dichters Blick auf mich. Und da geschah es, daß ihn ein Gedanke durchzuckte, den ich heute als sehr teuflisch längst erkannt habe, den ich aber damals als äußerst freundlich begrüßte, da er genau das traf, was in meinem Schädel vorging, während ich die letzten Tröpfchen Kirschwasser ableckte.
»Böh!« brüllte er den Herrn Verleger an. »Böh! Böh! Böh! Jetzt hab ich's! Das Ameisenbuch – das lassen Sie sich von Hanns Heinz schreiben!« (Böh!)
Der Herr Verleger zog die Lippen herunter. »Ich weiß nicht, ich weiß nicht –« zögerte er. »Aber wenn die Herren meinen, daß es ginge – vielleicht –«
Dieser Gedanke hatte mich nun schon seit Jahren beschäftigt; immer wieder hatte ich ihn zurückgestellt. Ich grübelte: es sollte wirklich solch ein Buch geben. Und: einer könnte es dennoch schreiben. Und: vielleicht kann ich's.
Natürlich ließ ich mir nichts merken – man kann nicht spröd' genug tun mit Verlegern.
»So?« machte ich. »Meinen Sie? Aber Sie sind wieder an den falschen geraten, haben sich auch bei mir höchst vergeblich in große Unkosten gestürzt!«
Mit stolzer Gebärde schob ich das Schnapsgläschen quer über den Tisch, gerade unter die Nase des Herrn Verlegers. Das sollte ein sehr giftiger Stich sein – aber der Mann merkte nichts davon. Er leerte sein Glas, füllte es wieder und begann mich auszuholen.
»Sagen Sie mir, mein Lieber,« forschte er, »seit wann beschäftigen Sie sich mit Ameisen?«
»Schon als Schulbub,« begann ich, »lag ich im Wald auf dem Bauch und –«
Der Herr Verleger unterbrach mich. Fauchte: »Es interessiert uns nicht, was Sie tun, wenn Sie auf dem Bauch liegen. Sagen Sie klipp und klar: wie kamen Sie gerade auf Ameisen?«
Ich schnappte Atem. Sagte: »Ich ging mal als Junge in den Wald, pflückte Glockenblumen. Da war ein Ameisenhaufen, aber alle Ameisen waren drinnen. Um sie herauszulocken, schlug ich mit den Glockenblumen drauf: da wurden die blauen Blumen rot. Det fiel mir uff – wie der Berliner sagt.«
Der Herr Verleger fuhr mich an: »Wir sind nicht in Berlin – Gott sei Dank! Dort mögen Sie solche Geschichten erzählen – oder Ihrer Urgroßmutter oder meinetwegen Ihren Lesern, aber nicht vernünftigen Menschen!«
Ich versuchte demütig: »Sie werden wirklich rot, die blauen Glockenblumen. Auch Lungenkraut wird rot. Nämlich die Ameisensäure –«
»Sie werden ja selber rot, Sie Glockenblümchen!« rief der Verleger. »Lassen Sie die Blumen und kommen Sie zu den Insekten. Was zog Sie zu den Ameisen hin?«
»Entschuldigen Sie bitte,« sagte ich. »Ich hatte einen Freund, der Emil hieß –«
Da rief der Herr Professor: »Wir wollen nichts von Emil hören, sondern von Ihnen! Sagen Sie mir: haben Sie jemals künstliche Nester gehabt, um die Tiere zu Hause zu beobachten?«
»Ja,« stammelte ich. »Zunächst eigene, ganz einfache. Dann Lubbocknester. Dann Janetnester. Endlich, in Amerika, Fieldenester –«
»Ausgezeichnet!« böhte der Dichter. »Er kennt auch amerikanische Ameisen!«
Der Herr Professor fuhr mich an: »Was haben Sie jetzt an Ameisen zu Hause?«
Immer verwirrter wurde ich. »Jetzt?« antwortete ich. »Garnichts. Doch – doch, ich habe einen Flaschenkorken, da ist eine im Bernstein drin.«
»Was kann man noch mehr verlangen?« raunzte der Dichter. »Er hat eingehend die fossilen Arten studiert!«
»Was wissen Sie von der Fachliteratur?« drängte der Herr Verleger.
»So einiges,« sagte ich bescheiden. »Ich habe gelesen, was mir so durch die Jahre in die Hand fiel.«
»Also gut,« schloß der Herr Verleger. »Wir wollen's versuchen mit Ihnen. Der Herr Professor wird die große Liebenswürdigkeit haben, mir alle Werke aufzuschreiben, die Sie durcharbeiten müssen – die lasse ich Ihnen zuschicken. Und das vergleichen Sie dann mit Ihren eigenen Erfahrungen. Nur merken Sie sich: keine Fachausdrücke! Kein Wort, das ich nicht verstehn kann – alles einfach und klar, hören Sie? In ein paar Monaten, denke ich, können Sie fertig sein – den Vertrag lasse ich Ihnen morgen zugehn.«
Der wilde Dichter grinste. »Ein paar Monate? – Na, werden ja sehen! Aber einerlei: ich habe Ihnen den Vertrag verschafft, also müssen Sie uns zu ein paar Flaschen einladen. Wenn Sie kein Geld haben – der Herr Walterspiel pumpt Ihnen, böh – Sie können ihn zahlen, wenn Sie das Honorar für das Buch bekommen.«
»Ja,« nickte ich. Ich bestellte den Wein und der Herr Walterspiel pumpte mir. Der Herr Professor trank mir gütig zu und sagte: »Mein Lieber! Haben Sie nur keine Angst vor der exakten Wissenschaft. Es ist eine rechte Spielerei, so wie Kinder spielen, und die besten Wissenschaftler sind die, die sich dessen bewußt sind.«
Diese schöne Begebenheit liegt nun schon drei Jahre zurück – den Wein habe ich immer noch nicht bezahlt.
Ich bekam Bücher zugeschickt und wieder Bücher und noch mehr Bücher. Ich baute Nester und wieder Nester und noch mehr Nester. Ich reiste herum und grub Haufen um Haufen von allen möglichen Ameisen – das ist ganz gewiß, daß kein stecknadelkopfgroßer Fleck an meinem armen Leibe ist, an dem mich nicht eine Ameise gezwickt hätte. Denn diese Tiere, darüber besteht kein Zweifel, haben nicht das Geringste übrig für wissenschaftliche Forschung, stehn ihr vielmehr durchaus feindlich gegenüber.
Aber je mehr ich arbeitete und je heißer mein Bemühn war, um so hoffnungsloser erschien mir meine Aufgabe. Allmählich – es läßt sich halt nicht vermeiden – war ich selbst ein Fachgelehrter geworden und ein Buch für »gebildete Laien« erschien mir ebenso lächerlich wie unmöglich. Ich verstand jetzt den Biologen sehr gut, als er erklärte: »So ein Buch gibt's nicht und kann's auch kaum geben.« Und ich begriff die teuflische Bosheit des Dichters, der mich in diese Sache hineingehetzt hatte.
Dennoch ging ich immer wieder an die Arbeit, versuchte, ihr von stets anderer Seite eine Möglichkeit abzugewinnen.
Nur: es ging nicht und ging nicht und ging nicht.
Tief überzeugt von meiner unheilbaren Trottelhaftigkeit, völlig verzweifelt über meine Unfähigkeit, krank und so nervös, daß kein Mensch mehr mit mir was zu tun haben wollte, reiste ich ab, um das Ameisengekribbele los zu werden, das mir Tag und Nacht keine Ruh' geben wollte.
Sitze nun auf der Insel Brioni. Laufe menschenscheu herum – und kann doch nichts anderes denken, als: Ameisen (Böh!) Ameisen!
Gestern, unten in der Halle, rief mich der Kurarzt heran. Es seien einige Professoren da, die von dem Kongreß in Venedig herübergekommen seien. Er stellte mich vor, sagte, daß ich auch nun so ein halber Kollege sei, da ich dabei wäre, ein Buch über Ameisen zu schreiben. (Das wußte er aus den Zeitungen – mein Herr Verleger hatte es längst in die Presse posaunt.)
Es befanden sich auf Lager: ein Pharmakologe aus Wien, ein Serologe aus Hamburg und ein Dermatologe aus Leipzig. Dazu dessen Frau, die auch Dermatologin war – die Unglückselige. Ferner ein Bakteriologe aus Rostock und ein Eugeniker aus Berlin; ein Wiener Phytopaläontologe, ein Grazer Laryngologe und noch ein Urologe – wo aber dessen Stuhl stand, weiß ich wirklich nicht mehr.
Wissenschaft genug und sehr klangvolle Namen darunter. Und, wie der Zufall es wollte, nur Naturwissenschaftler – wenn freilich auch weder ein Biologe noch ein Zoologe irgendeiner Schattierung dabei war.
Also gut: wir sprachen über Ameisen. Das heißt: ich sprach nicht – sie sprachen. Keiner der Herren nahm mich ernst, nicht eine Sekunde lang. Aber sie wußten so von mir, waren lieb und reichten mir, etwas mitleidig, gern ein Körnchen ihrer Weisheit. Das, meinten sie, möchte mir wohl wertvoll sein für meine Arbeit –
Ich hörte zu. Zunächst war ich ein wenig überrascht. Dann wunderte ich mich baß. Und endlich riß ich Ohren und Mund und Nase weit auf und war starr vor Staunen.
Bei meiner Seele: alle diese hochgelahrten und grundgescheiten Herren hatten auch nicht die leiseste Ahnung von meinen Peinigern, den Ameisen!!
Ich sagte nichts; aber ich fühlte: stunden- und stundenlang hätte ich ihnen erzählen können.
Gewiß, ein jeder hatte sein eigenes Fach, in dem er glänzte. Dennoch: Naturwissenschaftler alle. Und ein jeder aufnahmewillig für irgend ein Interessantes, das ihm begegnen mochte –
Ich stand auf, ich bedankte mich bei allen.
Sie wissen nicht warum. Aber ich will es ihnen sagen und mich noch einmal bei ihnen bedanken: dafür, daß sie mir, endlich, den Mut gaben, dies Buch zu schreiben.
Dies Buch enthält nur wenig, das den Fachgelehrten etwas Neues wäre. Es enthält aber auch kein Wort, das nicht dem Laien verständlich wäre. Fraglos: es wird einmal überholt werden, doch bringt es das, was wir heute von der Welt der Ameisen wissen. Und das eine darf ich meinem Leser getrost versprechen: er wird sich nicht langweilen!
Aristoteles sagte einmal: ›Der Beweis des Wissens liegt im Lehrenkönnen‹. Wenn das richtig ist, so ist kaum ein Zehntel aller Wissenschaftler wirklich wissend. Die andern sind Halbwissende: sie können zwar lehren, aber nur die wenigen Menschen, die selbst in ihrem Fache schon recht viel wissen – alle andern vermögen sie gar nichts zu lehren. Das macht: sie können sich nicht verständlich machen. Vielleicht haben sie tiefste Weisheit – aber sie können sie nicht mitteilen. Sie schreiben zwar – aber was sie schreiben, ist nicht Deutsch. Auch nicht Englisch, bei englischen Gelehrten, was das angeht! Wahr ist, daß die meisten französischen, auch italienischen Gelehrten ihre Sprache beherrschen – was aber ist alle Wissenschaft ohne das englische und namentlich das deutsche Aufgebot?
Die Sprache der deutschen Wissenschaft ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, ein ekelhaftes Makkaroniwelsch, in dem ein deutscher Satzbau sich mit einem unverständlichen, mißverstandenen, falschen und verschwommenen Wust von Küchenlateinisch, Stubengriechisch, Kellnerenglisch und Commisvoyageurfranzösisch aufputzt. Ist keine Sprache mehr, sondern ein Zigeunergestammel, das bald widerlich, bald langweilig, bald unverständlich – meist aber das alles zusammen ist.
Gewiß schrieben Historiker, wie Clausewitz, Oncken, Treitschke, Kunsthistoriker wie Gurlitt, Justi, Lichtwark, Naturhistoriker wie Brehm, Francé und andere eine mustergültige Sprache, strebten nach höchsterreichbarer Klarheit, doch sind sie ein paar weiße Raaben in der die Sonne verdunkelnden Krähenschar.
Wer sich nicht klar verständlich machen kann oder will – denn ich habe mehr als einen Gelehrten in Verdacht, daß seine nebelhafte Unverständlichkeit recht beabsichtigt ist, um als Lappen die nackte Blöße seines Nichtwissens zu decken – nun, der kann eben nicht schreiben. Und wer nicht schreiben kann, soll um Himmelswillen die Finger vom Federhalter lassen.
Ein paar Worte noch als Gebrauchsanweisung.
Durch die nächsten Seiten soll man sich durchfressen. Man muß schon wissen, wieviel Beine ein Tier hat, wieviel Augen und Mägen und andere schöne Sachen. Wie es aussieht von draußen und drinnen, wo es wohnt, wie es sich fortpflanzt. Es geht halt nicht anders; es ist zum Verständnis durchaus notwendig. Aber ich hab' dies Notwendige schonend knapp behandelt.
Wir staunen mehr über der Ameisen Leib als über den der gewaltigen Walfische.
Hl. Augustin, De Civitate Dei.
Mensch und Ameise
Kein Mensch kann behaupten, daß Ameisen schöne Geschöpfe seien. Man mag sie noch so sehr anerkennen, ihre sozialen Tugenden in den Himmel preisen, sie den lieben Mitmenschen als Vorbild anpreisen – und das tat man zu allen Zeiten von Salomon bis Bismarck – unserm Schönheitsempfinden sagen sie sowenig zu wie Kakerlaken oder Ohrwürmer. Auch haben die Ameisen keine der anderen Eigenschaften, die sonst des Menschen Vorliebe für Tiere erwecken. Wir interessieren uns für alle Geschöpfe, die uns irgendwie nützlich sein können, namentlich für die, die wir verzehren können. Wir lieben Pferde, weil wir darauf reiten können oder Bienen, weil sie uns Honig geben. Wir haben Vögel in Bauern, weil wir ihren Gesang lieben, halten Katzen als Spielzeug. Neben der Nützlichkeit ist es die Schönheit und schließlich auch wohl die Komik eines Tieres, die die Teilnahme der Menschen wachruft. Der Schulbub ist im Wald und Feld hinter jedem Schmetterling her; die häßlichen Raupen fängt er nur, weil aus ihnen die schönen Falter sich entwickeln. Er fängt die zierlichen Eidechsen, die farbenprächtigen Salamander, er schwärmt auch für possierliche, weiße Tanzmäuse und der häßlichste Affe reizt seine Lachmuskeln. Er sammelt Käfer nach Herzenslust, weil ihr drolliges Aussehen ihn reizt.
Die Ameise ist für den Menschen von keinem großen, augenfälligen Nutzen. Sie ist nicht schön. Und komisch ist sie auch nicht.
Darin liegt der Grund, warum der Mensch sich so wenig mit den Ameisen beschäftigt – ein Zustand, mit dem die Ameisen vermutlich ganz zufrieden sind, denn die Teilnahme des Menschen für die Tiere, die ihm nützlich sind, die sein Schönheitsgefühl befriedigen, oder die ihn ergötzen, bekommt diesen Tieren meist herzlich schlecht.
Wir kennen über fünftausend Arten von Ameisen, die sich über die ganze Erde ausdehnen. Alle Arten leben vergesellschaftet, bilden Staaten, Völker, Kolonien, wie man es nennen will. Einige Arten haben nur zwei Kasten von Tieren: Männchen und Weibchen. Im allgemeinen aber gibt es drei Kasten: Männchen auf der einen, Königinnen und Arbeiterinnen auf der anderen Seite. Die Königin ist stets fruchtbar; die Arbeiterin meist unfruchtbar. Das Männchen und Weibchen sind fast immer einförmig, dagegen finden wir häufig eine ganze Reihe sehr verschiedener Formen der Arbeiterinnen. Die Weibchen, wie die Männchen, tragen Flügel, obwohl wir auch Arten mit ungeflügelten Weibchen und andere mit ungeflügelten Männchen kennen. Die Arbeiterinnen sind dagegen stets ungeflügelt.
Die Ameisenvölker sind, wie die Bienenvölker, Weibervölker – mehr noch: Jungfrauenvölker. Die Männchen, von sehr kurzer Lebensdauer, verschwinden nach der Hochzeit; die Anzahl der befruchteten Königinnen, zwar nicht streng beschränkt auf eine einzige, wie bei den Bienen, ist dennoch verschwindend klein gegenüber den Arbeiterinnen: zuweilen sind mehrere vorhanden, selbst bei Völkern von hunderttausenden kaum mehr als ein halbes Hundert.
Unter den wirbellosen Tieren ist die Ameise in jeder Beziehung das höchststehende – so wie es der Mensch unter den Wirbeltieren ist. Und die Ähnlichkeit zwischen beiden ist in der Tat eine verblüffende. Nicht nur stoßen wir bei vielen Einzelheiten auf stets neue Ähnlichkeiten, auch in ihrer Entwicklungsgeschichte zeigen Mensch und Ameise große Gleichmäßigkeit. Wir sprechen beim Menschen vom Zeitalter des Jägers, des Hirten, des Ackerbauers, und wir finden heute, zugleich lebend, neben den Handelsvölkern und Industrievölkern, auch noch reine Ackerbauvölker, reine Hirtenvölker, reine Jägervölker. Dieselben drei Zeitalter zeigt die Entwicklung der Ameisen: von den ältesten Jägervölkern über die Hirtenvölker zu den Ackerbautreibenden, wobei, wie beim Menschen, auch heute noch alle drei zu gleicher Zeit vorkommen.
Wie der Mensch, so hat auch die Ameise – wenn wir von Schmarotzern absehen – unter ihren Mitgeschöpfen nur sehr wenige Feinde, die ihren Völkern ernstlich gefährlich werden könnten. Gelegentlich frißt manches Tier wohl mal eine Ameise; ihnen stellen nach Ameisenbären und Ameisenigel, Spechte, Eidechsen, Frösche und Kröten, endlich einige Spinnen und Wespen sowie Ameisenlöwen. Aber all das, was diesen zur Beute fällt, ist nur ein ganz verschwindender Bruchteil der gewaltigen Völker der Ameisen. Dagegen haben diese einen einzigen Feind, der ihnen sehr gefährlich ist – und auch hier ist die Ähnlichkeit mit den Menschen eine schlagende. Wie die Stämme und Völker der Menschen, so bekämpfen sich auch die der Ameisen einander durch alle Zeiten auf das heftigste.
Nutzen und Schaden
Sind Ameisen dem Menschen mehr schädliche oder mehr nützliche Tiere? Die Frage ist allgemein kaum zu entscheiden. Einige Arten fügen uns zweifellos Schaden zu und verdienen, bekämpft zu werden, während andere, die uns ebenso nützlich sind, unseres Schutzes gewiß sein sollten. Das einzige Land, in dem bisher für solche Arten ein Schutzgesetz erlassen wurde, ist Deutschland, wo in den meisten Einzelstaaten das Sammeln der sogenannten »Ameiseneier« in den Staatswäldern aus forstdienstlichen Gründen verboten wurde.
Ebenso schädlich wie lästig sind alle Arten Hausameisen, besonders die Pharaoameise; andere Arten machen sich in Gärten recht unliebsam bemerkbar. Die Blattschneiderameisen der Tropen entlauben ganze Bäume und Sträucher, darunter viele Obstsorten, während die viehzüchtenden Arten noch schlimmeren Schaden anrichten. Sie weiden ihre Haustiere, Blattläuse, Wurzelläuse, Schildläuse, Raupen auf jungen Wurzeln und Blättern, mit dem Erfolge, daß die jungen Pflanzen oft absterben. Die Ernteameisen wieder verzehren manch nützliches Samenkorn.
Der Schaden, den die Ameisen durch ihren Nestbau anrichten, ist sehr gering. Gewiß höhlen die Zimmermannsameisen schon hohle Bäume weiter aus, locken auch Spechte heran, die ihrerseits Löcher in den Baum hacken, doch schadet das dem Baume nicht allzuviel. Einzig die Korkeiche leidet zuweilen wirklich darunter.
Manche Ameisen können auch abscheulich beißen und stechen; den Preis in dieser Beziehung gebe ich der wilden Feuerameise in Dixieland. Doch kann man sagen, daß im allgemeinen nur der unter Ameisenbissen und Stichen zu leiden hat, der ihre Nester zerstört, in erster Linie also der Forscher.
Dann auch: der Ameiseneierjäger.
Da war – das ist nun fünfzehn Jahre her – der alte Bauer und Schuster Holzer; der lebte im Schneebergdörfel bei Puchberg im Raxgebiet. Er versorgte lange Zeit hindurch das Aquarium zu Schönbrunn mit Ameiseneiern. Die Ameisen am Fuße des Schneebergs hatten wenig Freude, so lange er lebte – ihre junge Brut sammelte der alte Holzer und schickte sie den Fischen nach Wien hinauf.
Einmal aber, gerade wie er seinen Sack über einen großen Haufen stülpen will, trifft ihn der Schlag. Kopfüber fällt er mit dem Gesicht in die wimmelnden Ameisen –
Man fand ihn im Walde, zwei Tage drauf. Jämmerlich zerfressen das Gesicht – kein Mensch hätt' ihn wiedererkannt, den alten Holzer.
Aber die Leut' im Schneebergdörfel sagen, daß er noch garnicht tot gewesen sei, als er dalag im Ameisenhaufen. Sagen, daß er noch lebte, nur gelähmt war und daß die Ameisen dem lebendigen Vater Holzer die Augen herausfraßen.
Es sei die Rache der Ameisen gewesen, sagen sie. Ameiseneier aber sammelt keiner mehr an den Abhängen des Schneebergs.
Nun, die Ameisen sind dem Menschen auch recht nützlich, ihr Hauptverdienst erkannte zuerst die preußische Forstverwaltung. Sie wühlen den Boden gründlich auf, pflügen und eggen besser als Menschenhand das je könnte. Dazu vertilgen sie tagtäglich eine unermeßliche Anzahl von Insekten – gewiß nützliche darunter, aber doch sehr viel mehr recht schädliche. Man hat ungefähre Schätzungen gemacht und ist zu dem erstaunlichen Schluß gekommen, daß ein starkes Ameisenvolk bis zu hunderttausend Insekten an einem einzigen Tage in sein Nest schleppt. Wanderameisen überfallen in den Tropen menschliche Wohnungen, aber, obwohl die Bewohner oft gezwungen sind, ihr Heim für Stunden oder gar Tage zu räumen, sind sie dennoch meist willkommene Gäste. Mag das Haus noch so verwanzt, verfloht, verlaust und verkakerlakt sein: wenn die Ameisen abziehen, ist auch nicht ein kleinstes Beinchen irgend eines Ungeziefers mehr übrig. Auch die Ratten und Mäuse vergessen sie nicht, und kein Rattenfänger und Kammerjäger der Welt leistet so gründliche Arbeit.
Im südlichen China hat man Ameisen regelrecht als Jäger angestellt, und zwar in den großen Apfelsinenpflanzungen, die sehr unter der Plage eines Wurmes leiden. Man bringt ganze Nester heran, die man in Beuteln an die Äste hängt und in den Zweigen der Apfelsinenbäume befestigt. Diese selbst werden mit Bambusstangen untereinander verbunden, sodaß die Ameisen leicht von einem Baume zum andern gelangen und ihrer Jagd bequem nachgehn können. Ganz ähnlich überläßt man den Ameisen in Java den Schutz der Mangobäume vor einem gefräßigen Käfer, in Oberitalien den Schutz der Obstbäume gegen Raupen; in den Vereinigten Staaten läßt man Ameisen in den Baumwollpflanzungen den sehr schädlichen Kapselkäfer bekämpfen. Auch in Deutschland kennt man – und zwar schon seit Jahrhunderten – diesen Brauch, wenn er auch ein wenig aus der Übung gekommen ist. Förster hängen an einen unter Raupenplage leidenden Baum einen Sack, in den sie ein Ameisennest gefüllt haben; um den Stamm machen sie einen Teerring, so daß die Ameisen nicht vom Baum fort können. Die Ameisen bauen dann in dem Sacke ihr Nest auf und ernähren sich von den Raupen, die sie jagen.
Unsere Waldameisen sammeln gelegentlich Pflanzensamen. Sie fressen aber nicht die Samen selbst, sondern nur die fleischige Nabelschwiele, werfen dann die Samen wieder fort. So tragen sie zur Verbreitung einiger von ihnen beliebten Pflanzen bei; an ihren Straßen findet man Veilchen, Schöllkraut und Wolfsmilch.
Daß die Ameisen ausgezeichnet skelettieren können, weiß jeder Schulbub, der einmal eine tote Maus oder Eidechse in einen Ameisenhaufen legte. In Mexiko benutzt man Ameisennester auch als Entlausungsanstalten: man legt die Kleider, die allzusehr von Ungeziefer starren, einfach drauf und bekommt sie am anderen Tage gereinigt zurück. Wanzen und Flöhe sind den guten Ameisen Bezahlung genug für ihre Arbeit.
In der Medizin ist die Ameise nicht unbekannt. Die Ameisensäure spielte früher, von zerquetschten Tieren selbst gewonnen, in der Apotheke eine große Rolle. Weniger bekannt ist die Brauchbarkeit von Ameisen zum Vernähen von Wunden. Indianerärzte benutzen hierbei die starken Soldaten der Blattschneiderameise. Sie drücken eng die Wundränder aneinander und lassen die Ameise hineinbeißen. Nach dem Biß wird der Kopf abgetrennt; die großen Köpfe der Ameisen schließen dann die Wunde vortrefflich.
Ameisenköpfe statt Katzendärme – die Medizinmänner der brasilianischen Indianer sind gar nicht so dumm. Jedenfalls war der Gebrauch, den die europäische Medizin noch vor ein paar hundert Jahren von den Ameisen machte, viel weniger erfolgversprechend. So gibt des weisen Adam Lonicer hochberühmtes ›Kräuterbuch‹, das noch bis zum neunzehnten Jahrhundert hin eifrig benutzt wurde, diese trefflichen Rezepte:
»Setze einen Hafen in einen Omeishaufen, mit grünem Laub verdeckt, so tragen sie ihre Eyer darein, wenn du dann vermeynst, ihrer genug darinnen zu seyn, so thue den Hafen herauß und die Omeisen in einen Sack, schwing's, wie man Mehl beutelt, so ertauben sie, als ob sie tot wären, destilliere es durch einen Alambic. Solches Wasser, ehe man zu Beth geht, drei Tropfen in die Augen gethan, vertreibet derselbigen Fell und Flecken.«
So fürtrefflich, wie die ›Omeisen‹ selbst für die Augen sind, so fürtrefflich, meint der gelehrte Herr Lonicer, sind ihre Eier für die Ohren.
»Omeisen-Eyer zu sammeln, ist die beste Weyß, stelle eine hölzerne Schüssel oder Napf in einen Omeishaufen mit Laub verdeckt, so tragen sie ihre Eyer alle darein, alsdann thue das Laub davon, so fliehen sie alle und lassen die Eyer in der Schüssel. Im Fall sie aber nicht weichen wollen, so schlage mit einem Rüthlein an den Napf, so fliehen sie bald. Solche Eyer destilliere durch einen Alambic in Balneo Mariae. Dieses Wassers drey oder vier Tropfen in die Ohren gethan, bringt das verlohrene Gehör wiederum und vertreibet das Sausen der Ohren.«
Nun, wer's nicht glauben will, versuch' es. Hoffentlich tun die Ameisen ihm den Gefallen, sich so zu benehmen, wie der Herr Lonicer sagt. Heutzutage freilich sind die Menschen viel zu gescheit, zu glauben, daß man mit Ameisen kranke Ohren und Augen heilen könne – dafür aber ist der Glaube, daß sie gegen die Gicht ausgezeichnetes leisten, noch in vielen Ländern im Volke verbreitet. Man braucht nur die verschwollenen nackten Füße in einen Ameisenhaufen zu stellen und sich recht tüchtig ein Viertelstündchen lang stechen zu lassen, um das hartnäckige Zipperlein los zu werden. Angenehm ist dieses Heilverfahren ja nicht gerade – aber wenn's nicht nutzt, so schadet's gewiß nicht. Sicher ist, daß ich alte Bauern kenne, die jahraus jahrein solche Kur gebrauchen und behaupten, daß sie ihnen trefflich bekomme.
Auch zu Nahrungszwecken benutzt der Mensch die Ameisen. Nicht nur werden die Puppen (sogenannte Ameiseneier) als Futter für Vögel und Fische gesammelt, auch der Mensch ißt selbst die erwachsenen Tiere: jeder Indianer und Australneger betrachtet die honiggeschwollenen Leiber der Honigameise als besonderen Leckerbissen und verzehrt sie, wo er sie nur findet.
Körperbau
Dies ist kein Lehrbuch.
Darum will ich so kurz, wie nur möglich, mich bei dem äußeren und inneren Bau der Ameisen aufhalten, bei ihrer Entwicklung, ihrer Vielgestaltigkeit, und andern Dingen. Ich will nur das notwendigste erzählen, so viel nur, als zum Verständnis des Lebens der Ameise schlechterdings unentbehrlich ist.
Wenn irgend ein Tier den Namen ›Insekt‹ mit Recht trägt, so ist es die Ameise. Insekt – das ist das eingeschnittene Tier, das Tier, an dem sich die drei Körperteile: Kopf, Brust, Hinterleib, scharf voneinander scheiden.
Der Körper der Ameisen steckt in einem Chitinpanzer, der häufig an manchen Stellen Haare trägt, die dem Tastsinn dienen.
Die Form des Kopfes ist so verschiedenartig wie bei keinem andern Tiere. Er kann rund sein oder elliptisch, dreieckig, rechteckig, birnenförmig, herzförmig, flaschenförmig. Ebenso verschieden in der Form sind die Oberkiefer, je nachdem sie zu dieser oder jener Arbeit gebraucht werden. Sie werden beim Kampfe als Waffen benutzt, zum Zerkleinern der Nahrung, zum Tragen der Beute oder der Jungen, zum Auswühlen des Bodens, zum Bauen und zu vielem anderen – sie sind also der Ameise, was dem Elefant die Nase, was uns Arm und Hand ist. Wichtig ist auch die Zunge, die zur Aufnahme der flüssigen Nahrung, daneben als Waschschwamm dieses reinlichsten aller Tiere dient; sie und die Unterkiefer sind zugleich Sitz des Geschmackssinnes.
Der Kopf trägt an jeder Seite ein Netzauge, dessen Sehkraft bei den einzelnen Arten stark schwankt. Die besten Augen hat stets das Männchen, nicht ganz so gute das Weibchen. Die Arbeiterinnen haben noch schlechtere Augen, ja bei einigen Arten fehlt ihnen der Sehnerv, so daß sie blind sind, während andere Arten, überhaupt augenlos sind. Neben den facettierten Seitenaugen besitzen die Männchen und Weibchen – sehr selten auch Arbeiterinnen – noch Stirnaugen, deren Zweck noch wenig erkannt ist: sie dienen vielleicht zum Sehen im Dunkeln.
Die Fühler sind die Träger des Geruchssinnes und des Tastsinnes, die beide bei den Ameisen gut ausgebildet sind. Auch dienen die Fühler den Ameisen dazu, einander durch leichte Schläge Mitteilungen zu machen: wie wir mit dem Munde, so sprechen sie mit den Fühlern.
Daß die Ameisen auch hören können, ist gewiß; wo der Sitz ihres Gehörs ist, wissen wir bisher nicht. An anderer Stelle werden wir uns mit den Sinnen noch eingehender beschäftigen.
Bezeichnend ist der Unterschied zwischen den drei Formen beim Gehirn. Dies ist beim Männchen wenig entwickelt, während es beim Weibchen viel besser und bei den Arbeiterinnen oft noch besser entwickelt ist. Immerhin sind die Unterschiede durchaus nicht so große, wie man bisher annahm; es gibt Arten, bei denen das Weibchen das bestentwickelte Gehirn hat, während das des Männchens dem der Arbeiterinnen nur wenig nachsteht.
Am Brustabschnitt sitzen die Flügel – bei Männchen und Weibchen – sowie die sechs Beine. Die Arbeiterinnen, gelegentlich auch Männchen oder Weibchen, sind ungeflügelt. An den Vorderbeinen ist hervorzuheben die den Ameisen eigentümliche Putzbürste, die aus zwei sich gegenüberstehenden Kämmen besteht. Der eine dieser Kämme liegt an der Längsseite der Beine selbst, der andere an einem besonderen Sporn. Zwischen diesen beiden Kämmen nun zieht die Ameise die Fühler durch, um sie vom Schmutz zu reinigen. Die Füße haben auch Greifklauen, die das Klettern ermöglichen, sowie Haftlappen, mittels denen die Ameise an glatten Wänden herauflaufen kann.
Der Hinterleib ist bei den einzelnen Arten ebenso verschieden geformt, wie der Kopf; er ist bald rund, bald elliptisch, bald langgestreckt, bald herzförmig; verbunden ist er mit dem Brustabschnitt durch einen dünnen kleinen Stiel. Bei einigen Arten sitzt hier ein Streichorgan, durch das die Tiere Geräusche hervorzubringen vermögen.
Beim Magen unterscheiden wir den Gesellschafts-Kropfmagen, aus dem die Ameise ihre Jungen und ihre Gefährtinnen füttert, sowie den eigentlichen Privatmagen: beide sind durch den Pumpmagen voneinander getrennt.
Von den Geschlechtsteilen der Königin verdient die Samentasche besondere Erwähnung. Sie nimmt bei der Befruchtung den Samen des Männchens auf und vermag ihn zwölf Jahre und länger lebend zu bewahren: auf diese Weise ist die Königin befähigt, fast ihr gesamtes Leben hindurch befruchtete Eier zu legen.
Je größer bei den einzelnen Arten die Samentasche ist, je mehr Samen sie also aufnehmen und aufbewahren kann, um so zahlreicher ist das Volk, das die Königin in die Welt zu setzen vermag. Bei den Arbeiterinnen sind die Geschlechtsteile mehr oder minder verkümmert; das Fehlen, oder wenigstens die Verkümmerung der Samentasche aber unterscheidet sie stets von der Königin.
Unter den Drüsen ist die Giftdrüse zu nennen in engster Verbindung mit dem Giftstachel, der am äußersten Ende des Hinterleibes sitzt. Er fehlt stets bei den Männchen, aber auch den Königinnen und Arbeiterinnen fehlt er bei mancher Art. Die stachelbewehrten Ameisen spritzen das Gift in die mit dem Stachel gestochene Wunde durch diesen hinein, die stachellosen in die mit den Oberkiefern gebissene Wunde. Manche Arten sind imstande, ihr Gift meterweit um sich zu spritzen; es ruft schon, auch ohne daß es in eine Wunde eingedrungen ist, bei anderen Insekten Betäubung oft tödlicher Art hervor. Über das Wesen dieses Giftes ist noch sehr wenig bekannt.
Neben dieser allgemeinen Giftdrüse besitzen einige Arten noch eine besondere Giftdrüse, die ebenfalls zu Verteidigungszwecken dient; sie sondert eine Flüssigkeit aus, die feindliche Insekten durch ihren oft sehr scharfen oder widerlich ranzigen Geruch betäubt. Die Erfindung der Menschen, den Feind mit giftigen Gasen zu bekämpfen, ist den Ameisen – und andern Insekten – schon seit Jahrtausenden bekannt.
Die kluge deutsche Sprache
Die deutsche Sprache ist wirklich eine recht gescheite Sprache. Manches kann ihr keine Zunge der Welt nachmachen – welche zum Beispiel könnte mit ausgewechseltem A, E, O als Anfangsbuchstaben desselben Wortes die drei Formen der Ameisen wiedergeben?
Die deutsche Sprache tut es.
Da ist zuerst: der Omeis. Ein etwas veraltetes Wort freilich, aber sicher bezeichnend, wie kaum eins. Der Omeis – das ist natürlich das Männchen. Und das »O« scheint zu sagen, daß er ein äußerst unnützes Geschöpf ist, ein richtiger Onkel, der nichts arbeitet und so recht in den Tag hinein lebt. Es ist unmöglich, beim Omeis nicht an Oheim zu denken – und in der Tat bleiben die weitaus meisten Omeise ja auch wirklich zeitlebens Oheime: nur ein paar Auserwählte bringen es zum Vater.
Die Ameise aber – das ist das echte Weibchen: die Königin. Ameise – das klingt schwer, würdig, gedehnt, matronenhaft; es hat nichts mehr von dem Komisch-nichtsnutzigen des Omeis. Und da die Königin die Hauptsache ist im Ameisenstaat, so tut man recht, nach ihr auch das ganze Volk Ameisen zu nennen.
Das dritte Wort aber, das die deutsche Sprache für das Insekt hat, ist noch bezeichnender als die beiden andern. Emse: das kann nur die Arbeiterin sein; kein Mensch mit einigem Gefühl für den Klang der Sprache könnte sich darunter ein Omeis-Männchen oder eine Ameisen-Königin vorstellen. Die Emsen – das wibbelt und kribbelt und läuft durcheinander, das rafft und schafft ohne Ruh' und Rast, wie eben nur Emsen es können – emsiglich!
›Das ist eine Spielerei,‹ mag mir der Philologe einwenden, ›die drei Worte bedeuten alle drei ohne jeden Unterschied die drei Formen der Ameisen zugleich. Nirgends werden Sie finden, daß jedes einzelne nur einer bestimmten Form der Ameise zuzusprechen sei.‹
›Gewiß, lieber Herr Professor,‹ will ich antworten, ›die drei schönen Worte bedeuten ganz allgemein ein jedes das Gesamtvolk der Ameisen. Aber dennoch bedeutet ein jedes für sich noch eine besondere Form. Das Wort Omeis verschwand fast völlig aus dem Gebrauch. Warum? Weil dem Sprachempfinden der Omeis das Männchen war und weil es widersinnig war, ein Volk von Weibern, in dem das Männchen eine so untergeordnete Rolle spielt, nach diesem zu benennen.‹
Emse verschwand nicht ganz – dennoch wurde das Wort mehr und mehr ungebräuchlich, so daß man es heute nur wenig hört, obwohl es uns ein abgeleitetes Wort, emsig, bescherte, das wir täglich benutzen. Warum verschwand aber die Emse? Aus demselben Grund wie der Omeis – bei aller Wichtigkeit der Arbeiterin ist dennoch nicht sie im Staate die Hauptsache, sondern die Königin. Diese: die Mutter des Staates, die Mutter aller Emsen.
Das putzige Wort Omeis und das hübsche Wort Emse mußten als Gesamtbezeichnung weichen, weil in ihnen zu sehr das Wesen des hilflosen Männchens oder der emsigen Arbeiterin betont wird.
Ganz ähnlich ist es ja bei den Bienen: Drohne, Biene, Imme. Drohne hat sich für das Männchen völlig erhalten und gilt nur für dieses. Biene – die Königin – ist zur Gesamtbezeichnung geworden. Imme ist die Arbeiterin; das hübsche Wort ist, wie Emse, etwas ungebräuchlich geworden, obwohl wir das abgeleitete Wort ›Imker‹ regelmäßig benutzen. Immenkönigin heißt dann: Königin über die Immen; eine Drohne aber würde man nie ›Imme‹ nennen.
Vielgestaltigkeit
Drei stehende Formen also kennt die Ameisenwelt: den Omeis, das geflügelte Männchen, die Königin, das geflügelte Weibchen, und die Emse, die ungeflügelte verkümmerte weibliche Arbeiterin.
Freilich, um das gleich zu betonen, es ist nicht überall so. Wir haben Arten, die nur zwei Formen kennen, die dann natürlich Männchen und Weibchen sind; so die schmarotzerhaft lebenden ›Arbeiterlosen‹. Wir finden auch zuweilen ungeflügelte Männchen oder ungeflügelte Weibchen; wir haben endlich statt nur einer Form der Arbeiterin mehrere voneinander verschiedene Formen. In der Regel beschränkt sich die Vielgestaltigkeit innerhalb einer Art nur auf das weibliche Geschlecht; das männliche Geschlecht, nur zur Befruchtung da und nur zeitweise im Ameisenstaate lebend, zeigt fast immer nur eine Form. Innerhalb des weiblichen Geschlechts ist dagegen die Vielgestaltigkeit bei keinem andern Tiere so ausgebildet wie bei den Ameisen.
Das typische Männchen ist die hübscheste der drei Kasten, seine Fühler und Augen – auch die Stirnaugen – sind die bestentwickelten. Dagegen sind die Oberkiefer weder als Waffen noch als Arbeitszeug zu gebrauchen. Der Kopf ist kleiner als beim Weibchen und das Gehirn wenig entwickelt.
Nicht immer freilich ist das der Typus des Omeis. So ist bei den Wanderameisen das Männchen ein ganz stattlicher Bursche, der auch sehr kräftige Oberkiefer hat. Bei den arbeiterlosen Ameisen hat das Männchen seine Flügel verloren und gleicht mehr einem entarteten Weibchen, während bei andern Arten die flügellosen Männchen mehr den Arbeiterinnen ähnlich sehen. Bei den gefleckten Stachelameisen finden wir gar zwei verschiedene Formen: geflügelte und ungeflügelte Männchen.
Das typische Weibchen, die Königin, hat die größere Gestalt; es ist in allen Teilen gleichmäßig ausgebildet. Abweichend von der Regel finden wir die Wanderameisen; hier ist die Königin von einer erstaunlichen Größe, dabei aber ohne Flügel und ohne Augen. Bei andern Arten, wie bei den Amazonen, kommen dagegen neben den typischen noch andere Weibchen vor, die in ihrem Äußern den Arbeiterinnen gleichen.
Die typische Arbeiterin ist stets flügellos; die Stirnaugen fehlen, die Seitenaugen sind nicht so gut entwickelt. Der Hinterleib ist klein, die Geschlechtsteile sind verkümmert. Dagegen sind Fühler, Oberkiefer und Hirn besonders gut ausgebildet. Doch finden wir neben der einen Form noch eine ganze Reihe anderer Formen. So ist es bei vielen Arten eine ganz gewöhnliche Erscheinung, daß man Arbeiterinnen der verschiedensten Größe antrifft, ganz kleine und andere, die achtmal so groß sind; dazwischen dann wieder viele Zwischenstufen; auch zeigen diese Arbeiterinnen manche Abweichungen des Körperbaues. Dies Vorhandensein aller möglichen Größen bei den Arbeiterinnen ist wohl in der Ameisenheit der regelmäßige Zustand. Bei einigen Arten sind nun diese verschiedenen Größen im Laufe der Zeiten verschwunden, es ist nur die Sorte Arbeiterinnen übrig geblieben, deren Körperbeschaffenheit ihrem Volke am besten geeignet ist – in solchem Falle sprechen wir von einer Eingestaltigkeit der Arbeiterinnen. Von Zweigestaltigkeit reden wir, wenn zwei Größen übrig blieben; man pflegt dann die größere der beiden Formen ›Soldatin‹ zu nennen. Die Soldatin hat stets einen größeren Kopf, viel größere und stärkere Oberkiefer. Häufig ist die Tätigkeit der Soldatin eine rein kriegerische; zuweilen aber hat sie auch einen recht friedlichen Beruf, dient als Zerkleinerin der eingeschleppten Beute, als Torwächterin, als Amme, als Trägerin oder gar als lebendige Tür.
Die Wissenschaft führt bei der Aufzählung der verschiedenen Formen der Arbeiterinnen stets noch eine weitere Anzahl auf, die äußerlich ganz beträchtlich abweichen. Bei einigen dieser Fälle ließe sich darüber streiten, ob sie wirklich eine besondere Form darstellen. Ganz abzulehnen aber ist es, wenn die Fachgelehrten auch die pathologisch mißgeformten Ameisen als besondere Formen hinstellen, wenn sie allzugroße und allzukleine Individuen, sowie solche, die durch Krankheiten oder durch Schmarotzer aller Art entstellt sind, als etwas Besonderes fassen. Würden wir je beim Menschen Zwerge und Riesen, Zwitter, Bucklige, Menschen mit Riesenkröpfen oder Elefantiasiskranke als ›besondere Formen‹ aufzählen? Gewiß nicht – mit welchem Recht will man es dann bei den Ameisen tun?
Wie gewaltig manchmal die Größenunterschiede zwischen den einzelnen Formen eines Volkes sind, mag man bei einer afrikanischen Diebsameise, der Carebara, ersehen: in den Rauminhalt eines einzigen Weibchens könnte man über achttausend Arbeiterinnen hineinstecken.
Über die Gründe der Vielgestaltigkeit haben sich alle Weisen den Kopf zerbrochen – ich war dumm genug, das auch zu tun. Jeder Gelehrte macht das so, daß er zunächst alles das, was die andern gedacht und geschrieben haben, unter die Lupe nimmt und höchst kritisch prüft. Er nimmt dann hier einen Gedanken und da einen Gedanken, gibt ein wenig eigenes hinzu, verwirft die bisher ausgesprochenen Lehren und stellt eine neue auf. Zum Schlusse erklärt er, wenn er ehrlich ist, daß das alles heller Unsinn sei. Daß man von all diesen Sachen noch gar keine Ahnung habe und sich auf reine Mutmaßungen beschränken müsse.
Aber ich denke, es ist ganz gut so, daß wir das noch nicht wissen und manches andere auch nicht. Wie langweilig wäre es, wenn wir schon alles wüßten! Das ist ja der eigentliche Anreiz für alle Wissenschaft, immer neue Rätsel zu raten, immer neue Geheimnisse zu entschleiern!
Ich war einmal als Student auf einem großen Gute am Niederrhein; da ließ sich der Gutsherr eine Anlage bauen, um Kunsteis herzustellen. Als die Aufsteller fertig waren und die Maschine zum ersten Male arbeitete, stand ein alter Knecht dabei, ließ sich alles genau erklären, rauchte seine Tonpfeife und nickte dazu. Wie aber die langen, klaren Eisbarren einer um den andern herauskamen, klopfte er sein Pfeifchen aus, warf einen stolzzufriedenen Blick gen Himmel und sagte:
»Da simmer hinger jekomme, Herrjöttche! Mer komme auch noch hinger mieh!«
O ja, wir werden noch hinter mehr kommen – heute und morgen und alle Tage. Doch sind noch genug Geheimnisse da für die nächsten hunderttausend Jahre und der Liebe Herrgott beschert nur ganz braven Kindern solch schöne Ostereier.
Das Geheimnis von der Vielgestaltigkeit der Ameisen ist noch nicht gelüftet: ›mer sin noch nich dahinger jekomme‹! Wir wissen nicht, wie es geschah, wissen nicht, was es bewirkte. Warum es geschah – das ist leicht zu verstehn: die Vielgestaltigkeit des weiblichen Geschlechtes schafft dem Volke der Ameisen außerordentliche Vorteile. Sie macht die Arbeitsteilung im höchsten Maße möglich, die bei sozial lebenden Geschöpfen ja von höchster Wichtigkeit ist. Das Wie und Was vermag niemand zu sagen; wenn ich also bildmäßig den Hergang zu veranschaulichen versuche, so bin ich mir doch durchaus bewußt, daß das keine Erklärung ist.
Das Einzelwesen gilt nichts im Ameisenvolk: die Gesamtheit ist alles. Was der Gesamtheit nutzt, das ist gut schlechtweg, und was ihr schadet, das ist schlecht. Bei keinem andern Geschöpfe, auch beim Menschen nicht, werden die Jungen so sorgsam behütet und gepflegt wie bei den Ameisen – dennoch gilt das einzelne Ei, die einzelne Larve garnichts: sie werden ruhig aufgegessen oder zur Fütterung der andern verwandt, wenn das notwendig erscheint. Nirgends in der Natur finden wir Kinderarbeit: sie ist den Menschen und den Ameisen vorbehalten.
Der Staat ist den Ameisen alles. Und für das Wohl des Staates ist die richtige Arbeitsteilung von ungeheurer Bedeutung. Darum verlangt der Volksgedanke die Arbeitsteilung, verlangt sie so gebieterisch, daß nicht nur unter gleichen Individuen die einen diese, die andern jene Arbeit übernehmen, sondern daß auch bestimmte Formen hervorgebracht werden, die für eine besondere Arbeit in hervorragendem Maße geeignet sind.
Von frühester Jugend an setzt diese Arbeitsteilung ein. Das Ei, das von den Erwachsenen gegessen wird oder den Larven zur Fütterung gereicht wird, hat damit seine Pflicht für die Gesamtheit erfüllt: es dient als Nahrungsmittel. Die Larven der Spinnerameisen dienen als Handwerkszeug – und es ist dies der einzige Fall in der Natur, daß sich, außer den Menschen, ein Geschöpf regelmäßig eines Gerätes bedient, dazu noch eines lebendigen, das den benötigten Stoff selbst hervorbringt. Die jungen, eben ausgeschlüpften Emsen, noch sehr zart, da ihr Chitinpanzer noch nicht erhärtet ist, beginnen sofort mit der Arbeit und helfen bei dem Kindermädchendienst. Aber die eigentliche Teilung der Arbeit setzt erst bei den erwachsenen Tieren ein. Man kann das im künstlichen Neste leicht beobachten; man braucht nur die einzelnen Emsen, denen eine besondere Arbeit obliegt, mit unterschiedlichen Farbtupfen zu kennzeichnen. Ganz bestimmte Tiere dienen zum Hereinbringen der Nahrung in das Nest, andere dienen als Wächterinnen und Verteidigerinnen. Ja, ich habe festgestellt, daß auch die Arbeit der Putzfrauen, die den Abfall aus dem Neste herausschaffen, um ihn auf den Kehrichthaufen zu werfen, der Totengräberinnen, die die Verstorbenen auf den Friedhof bringen, sowie der Krankenschwestern häufig von denselben Individuen besorgt wurden. Wenn nun so, unter äußerlich gleichen Tieren, eine Arbeitsteilung dem Staate von hohem Nutzen ist, um wieviel mehr mußte es wertvoll sein, besondere Formen hervorzubringen, die zu dieser oder jener Arbeit namentlich geeignet waren?!
So ward der Wunsch und der Wille zur Vielgestaltigkeit im Ameisenvolke und in jeder einzelnen Ameise lebendig. Der Volksgedanke verlangte die Vielgestaltigkeit und erzielte sie – ob es uns Menschen auch heute noch ein Geheimnis ist, wie das geschah. Die Arbeit der Fortpflanzung wurde den beiden Geschlechtern überlassen, während als Nebenform des einen, des weiblichen Geschlechts, eine dritte Kaste entstand, die man eine neutrale, geschlechtslose Form nennen kann, insofern sie, im allgemeinen wenigstens, nichts mehr mit der Fortpflanzung der Art zu tun hat.
Auf die Mitarbeit des Männchens verzichtete der Gedanke des Ameisenvolkes; er wollte einen Amazonenstaat, einen reinen Weiberstaat. Nur für die kurze Hochzeit dienen die Männchen, nur was dazu tauglich war, ward ihnen mitgegeben: also recht gute Augen, um draußen, außerhalb des Baues, das Weibchen leicht finden zu können. Ein Hirn ist zur Hochzeit nicht vonnöten: gute Geschlechtsteile genügen.
Die Emse aber, die Arbeiterin, bekam das entwickeltere Gehirn. Für die Fortpflanzung war sie im allgemeinen nicht mehr nötig, so wurden all ihre Kräfte für die übrige Arbeit frei, die im Staate zu leisten war. Und wie die einzelnen Emsen, sonst völlig gleich, sich auf besondere Arbeiten einstellten, so schuf im Laufe der Zeiten der Wille des Volkes besondere Formen unter ihnen, die zu den einzelnen Arbeiten sich noch besser eigneten.
Diese Formen sind durchaus nicht feststehend; sie entstehen im Flusse der Jahrmillionen und verschwinden wieder, wie es das Staatswohl erfordert. Es ist, als ob der Geist des Volkes da immer neue Versuche mache, als ob er eine ganze Reihe von Arbeiterinnenformen schaffe, um herauszufinden, welche schließlich die geeignetsten seien. Wir finden bei manchen Arten ganz große Arbeiterinnen und ganz kleine – dazwischen aber Dutzende von Zwischenstufen aller Größen. Bei anderen – den Schmalbrüstigen – finden wir ein Dutzend verschiedener Formen, die einen ganz allmählichen Übergang von der Königin zur Arbeiterin zeigen: die geeigneten werden bleiben, die weniger geeigneten Formen verschwinden.