Amélie und der deutsche Major - Jürgen von Rehberg - E-Book

Amélie und der deutsche Major E-Book

Jürgen von Rehberg

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Beschreibung

Ein deutscher Major verliebt sich im besetzten Paris in eine französische Widerstandskämpferin und wird zum Verräter. Eine abenteuerliche Flucht führt sie über die Schweiz bis nach Haiti. Ihr gemeinsamer Sohn verliebt sich Jahrzehnte später in Deutschland und vollzieht mit der Dame seines Herzens noch einmal die Flucht seiner Eltern nach. Eine Geschichte voller Abenteuer, Liebe und Gefahren mit beeindruckenden Protagonisten. https://www.juergen-von-rehberg.at

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„Meinen Wagen, bitte!“

Der junge Mann in Livree nahm den Schlüssel, den ihm der Hotelgast entgegenhielt, und er antwortete mit einer leichten Verbeugung:

„Sofort, Herr Konsul.“

Es war ein trüber Herbsttag und der Wind trieb den Regen beinahe waagerecht vor sich her. Er war so heftig, dass an den Gebrauch eines Regenschirms erst gar nicht zu denken war.

Eine junge, hübsche Frau hatte sich in unmittelbarer Nähe zu dem Konsul gestellt und blickte erwartungsvoll auf die Straße.

Jaques vorm Walde, Honorarkonsul von Haiti, schaute die junge Frau an und, er erkannte in ihr die Hausdame des Hotels, Frau Heller, die man neudeutsch als „Housekeeper“ zu bezeichnen pflegt.

„Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen, Frau Heller?“, fragte er in einem väterlichen Ton, begleitet von einem feinen Lächeln.

„Danke nein, Herr Konsul“, antwortete Franziska Heller und fügte hinzu:

„Es ist sehr nett, dass Sie mir das anbieten; aber ich warte auf ein Taxi.“

„Das kann heute dauern“, setzte der Konsul nach, „bei diesem Mistwetter wollen alle ein Taxi.“

Inzwischen hatte der Mann in seiner schmucken Livree den Wagen des Konsuls vorgefahren und sich einen Schirm gegriffen, von denen einige im Eingangsbereich des Hotels aufbewahrt wurden.

Er hielt ihn aufgespannt über das Haupt des Gastes, um diesen damit - mit einem „Bitte sehr“ – zu seinem Wagen zu geleiten.

Der Konsul nahm dem beflissenen, jungen Mann den Schirm aus der Hand, hielt ihn über die Hausdame Franziska Heller und sagte:

„Kommen Sie, ich fahre Sie.“

Es lag so viel Charme und Herzlichkeit in seiner Aufforderung, dass Franziska Heller nicht widerstehen konnte.

Sie hakte ihren Arm unter den Arm des Konsuls, und dann eilten sie raschen Schrittes zu dem vorgefahrenen Wagen.

Das Auto, auf welches sie zugingen, war ein Traum in aubergine. Es war das Schmuckstück der französischen Automobilfirma Citroën, „La Déesse“, „Die Göttin“.

Bevor der Konsul die Tür öffnete, fragte er seinen Fahrgast, wo er einstigen möchte; hinten oder vorne.

„Vorne, wenn ich darf“, antwortete Franziska mit leicht geröteten Wangen.

„Aber ja doch“, antwortete der Konsul, „mit dem größten Vergnügen.

Franziska Heller ließ sich in den Sitz gleiten, und Konsul Molnar schloss die Tür. Während er um das Auto herumging, um einzusteigen, betrachtete sie das Innenleben des Traumgefährts.

Und als der Konsul eingestiegen war, sagte Franziska:

„Mit einem so wunderschönen Auto bin ich noch nie gefahren.“

Jaques lächelte.

„Und wohin darf ich Sie nun fahren, junge Dame?“, fragte er.

„Bis zur nächsten U-Bahn-Station“, antwortete Franziska, die bei der Bezeichnung „junge Dame“ leicht errötet war.

Mit ihren zweiundvierzig Jahren empfand sie sich nicht mehr als junge Dame, vielmehr als eine Frau, an der das Leben bisher achtlos vorübergegangen war.

Jaques hatte bemerkt, dass seine Mitfahrerin etwas verwirrt schien, und er fragte weiter:

„Ich nehme an, dass eine beliebige U-Bahn-Station nicht das gewünschte Endziel ist. Oder irre ich mich da?“

„Natürlich nicht, Herr Konsul“, antwortete Franziska in einem etwas trotzigen Ton.

„Dann verraten Sie mir doch bitte, wohin Sie wollen“, sagte Jaques, „ich werde Sie gerne dorthin fahren. Oder ist das ein Geheimnis? Wenn ja, dann ist es bei mir gut aufgehoben; ich kann schweigen wie ein Grab.“

Er unterlegte seine Worte mit einem Lächeln, und er schaute Franziska damit ins Gesicht.

Franziska konnte sich nicht dagegen wehren. Obwohl sie es gar nicht wollte, erwiderte sie das Lächeln des Konsuls.

„Das ist sehr lieb von Ihnen, dass Sie das anbieten, aber Sie haben sicher etwas Besseres zu tun, als mich durch die Gegend zu kutschieren.“

„Also, dass Sie meine Göttin als Kutsche bezeichnen, das ist schon ein starkes Stück“, sagte Jaques, und mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu:

„Dann sagen Sie aber jetzt dem Kutscher sofort, wohin er seine Rosse lenken soll.“

Franziska musste herzlich lachen. Ein warmes Gefühl erfasste sie. Dieser Mann hatte einen Zugang zu ihrer Seele gefunden, die sich schon vor langer Zeit zurückgezogen hatte.

Die Worte, die dann folgten, drangen von ganz allein aus ihrem Mund:

„Dann bringen Sie mich zum Pflegeheim Aurora in die Bergheimer Straße.“

„Darf ich fragen, wen Sie dort besuchen wollen?“, fragte Jaques.

„Meine Mutter“, antwortete Franziska leise.

Jaques fiel der Tonfall in Franziskas Antwort auf, und er verzichtete darauf, weiter nachzufragen.

„Meine Mutter ist schon seit ein paar Jahren dort“, fuhr Franziska nach einer längeren Pause fort, „sie ist dement.“

Als sie das sagte, rannen ihr Tränen über das Gesicht.

„Das tut mir sehr leid“, sagte Jaques und reichte Franziska ein Taschentuch, welches er der Innentasche seines Sakkos entnommen hatte.

Jaques war noch ein Kavalier alter Schule. Oldschool eben, wie man das heutzutage nennt. Sakko, Hemd, Krawatte, Einstecktuch, und immer ein sauberes Stofftaschentuch in der Innentasche des Sakkos.

„Entschuldigen Sie bitte, Herr Konsul“, sagte Franziska, während sie ihre Tränen abwischte.

„Da gibt es nichts zu entschuldigen“, antwortete Jaques, „und bitte lassen Sie den Konsul weg; ich heiße Jaques.“

„Das geht doch nicht“, antwortete Franziska, „Sie sind ein Gast des Hotels und ich bin nur eine Angestellte.“

„Aber jetzt bin ich kein Gast, sondern einfach nur ein Mann in den besten Jahren“, sagte Jaques, „und Sie sind keine Hausdame, sondern eine junge, traurige und sehr hübsche Frau, die zu chauffieren ich das große Vergnügen habe.“

Franziska lächelte. Wieder umfing sie das warme Gefühl der Geborgenheit, und wieder kamen die Worte wie von selbst:

„Dann nennen Sie mich bitte Franziska!“

„Mit dem größten Vergnügen, liebe Franziska.“

*****

Jaques vorm Walde, 64 Jahre alt, Sohn des Hermann vorm Walde und der Amélie vorm Walde, geborene Dubois, war das Kind einer Ehe, die ihren Ursprung kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs genommen hatte.

Major Hermann vorm Walde diente damals unter dem Stadtkommandanten von Groß-Paris, General Dietrich von Choltitz.

Der Major hatte schon vor einigen Monaten die hübsche Pariserin Amélie kennengelernt und sich Hals über Kopf in sie verliebt.

Das war damals nicht ungefährlich, denn das Fraternisieren mit dem Feind war strengstens verboten. Es hielt sich nur nicht jeder daran. Man durfte sich halt nicht erwischen lassen.

Es war in einem Café auf dem Montmartre. Major Hermann vorm Walde liebte dieses Café. Er kam stets in Zivil, um nicht aufzufallen.

Sein akzentfreies Französisch ließ ihn nicht sofort als Deutschen erkennen. So mischte er sich – selbst ein Künstler – unter die anderen Künstler und lauschte ihren aufgeregten Diskussionen.

Major vorm Walde hatte, bevor er Soldat wurde, Kunst studiert und mit der Malerei begonnen. Irgendwann holte ihn aber die Familientradition ein.

Er stammte aus einer Offiziersfamilie, deren Ursprung bis in die Napoleonische Zeit zurückführte. Sein Vater war General, ebenso sein Großvater.

Nachdem er mit seiner Leidenschaft nicht den erhofften Durchbruch schaffte, gab er schließlich dem Drängen seines Vaters und auch seines Großvaters nach und wurde Berufsoffizier.

Seinen großen Wunsch sich als Maler zu etablieren gab er jedoch nicht auf; er vergrub ihn in seinem Herzen.

Es war einer der Abende, an denen er für ein paar Stunden vom Soldaten wieder zum Künstler wurde. Er saß mit ein paar jungen Leuten zusammen und beteiligte sich an deren lebhaften Diskussionen.

Als er einmal von einem der Diskutanten darauf angesprochen wurde, woher er eigentlich komme, stutzte er für einen kleinen Moment. Doch dann sagte er im Brustton der Überzeugung, dass er Schweizer sei.

Und als Untermauerung seiner Antwort sagte er ein paar Worte in einem angedeuteten Schwyzerdütsch, und er lachte dazu, als ob es sich um eine lustige Redewendung handeln würde.

Es dauerte einen kleinen Moment; aber dann lachten alle mit. Die Initialzündung wurde von einer Frau ausgelöst, die mit am Tisch gesessen war.

Diese Frau war Amélie, die sofort erkannte, dass Hermann ebenso wenig Schweizer war, wie sie eine Künstlerin.

Amélie war Mitglied bei der Resistance, immer auf der Suche nach einem Opfer. Sie wusste, dass es immer wieder Deutsche gab, die sich auf Montmartre herumtrieben.

Es waren vornehmlich Offiziere, welche die Nähe zu den Künstlern suchten. Gewöhnliche Soldaten hatten keinen Zutritt. Vermutlich wollten sie sich mit dem Flair der Künstler parfümieren.

Vielleicht war es aber auch nur der Hauch der Verderbtheit, welcher dem Montmartre anhing.

Hermann hatte Amélies Interesse erweckt. Sie setzte geschickt die Waffen einer Frau ein, über welche sie in reichem Maße verfügte.

Schwarze Haare, dunkle Augen und eine Figur, die keine Wünsche offenließ.

„Ich mag die Schweiz.“

Mit diesen Worten begann Amélie ein Gespräch, um ganz sicher zu sein, dass ihre Vermutung auch zutraf.

„Ich war als Kind mit meinen Eltern am Lac Léman, das war eine schöne Zeit.“

Major vorm Walde schluckte. Damit hatte er nicht gerechnet.

„Da war das Hotel <Wilhelm Tell>, vis-à-vis vom Bahnhof. In dem haben wir immer logiert. Das kennen Sie doch bestimmt.“

„Ja, sicher“, antwortete Major vorm Walde, „das ist ja sehr berühmt.“

„Genau“, antwortete Amélie, „ein Haus mit Klasse. Ich muss nach dem Krieg unbedingt wieder einmal hin. Aber zuerst müssen wir einmal die< Boches> besiegen.“

Major vorm Walde zuckte zusammen, als er den Schimpfnamen für seine deutschen Kameraden hörte.

Amélie lachte lauthals dabei und die versammelte Runde fiel mit ein. Einer der Anwesenden hob sein Glas und brüllte:

„Tod allen Boches, Tod den deutschen Teufeln!“

Amélie hielt ihr Glas dem Major entgegen, stieß mit ihm an und sagte:

„Darauf, dass alle Boches verrecken und der Krieg bald vorüber ist!“

Es schnürte Hermann vorm Walde die Kehle zu, als er sein Glas zum Mund führte, um auf den Tod seiner Kameraden zu trinken.

Er hatte für einen kurzen Moment erwogen aufzustehen und sich zu deklarieren; aber zwei Dinge hielten ihn davon ab.

Erstens die prekäre Lage; denn er wäre wohl nicht mehr lebendig in sein Quartier zurückgekommen.

Und zweitens die Augen von Amélie, die wie eine Gefängnistür waren, durch die er gegangen war, ohne es zu bemerken. Er war dieser Frau von Anbeginn verfallen.

*****

„Wir sind gleich da“, sagte Franziska zu dem Konsul. Es hatte inzwischen zu regnen aufgehört. Der Himmel tat sich auf und die Sonne zwängte sich mit ihren ersten Strahlen hindurch.

„Die nächste links, und dann sieht man schon das Pflegeheim.“

Die Einrichtung namens <Aurora> lag auf einer kleinen Anhöhe, inmitten eines Parks.

„Wie kann man eine solche Einrichtung nur <Aurora> nennen?“, murmelte Jaques leise vor sich hin.

„Was meinen Sie damit?“, fragte Franziska, welche die Bemerkung von Jaques gehört hatte.

„In der Mythologie bezeichnet man mit <Aurora> die Göttin der Morgenröte, und die Morgenröte ist wiederum das Synonym für die rötliche Färbung des Osthimmels vor dem Sonnenaufgang.“

Und nach einer kurzen Pause fügte Jaques hinzu:

„Eine solche Einrichtung steht aber mehr für Sonnenuntergang, als für Sonnenaufgang; meinen Sie nicht auch?“

Franziska nickte und bekam feuchte Augen.

„Verzeihen Sie, liebe Franziska“, sagte Jaques, „das war wohl gerade nicht sehr sensibel von mir; es tut mir leid.“

Franziska schüttelte ihren Kopf und antwortete:

„Sie müssen sich nicht entschuldigen; Sie haben ja recht. Wenn man in die Gesichter dieser Menschen schaut, dann ist da kein Leben mehr zu erkennen. Es scheint, als wären sie nur noch leere Hüllen…“

„Erkennt Sie Ihre Mutter, wenn Sie sie besuchen?“, fragte Jaques.

„Manchmal schon und dann wieder gar nicht. Es wird in letzter Zeit immer weniger“, antwortete Franziska. Dann sah sie Jaques an und fragte:

„Würden Sie mich zu meiner Mutter begleiten?“

Jaques war überrascht ob dieser Frage, und er überlegte krampfhaft, was er darauf antworten sollte.

Franziska half ihm bei der Entscheidungsfindung, indem sie ihre Frage mit den Worten ergänzte:

„Es würde mir sehr helfen.“

„Aber ja, ich komme natürlich gern mit, wenn Sie das wünschen“, antwortete Jaques.

Kurz darauf betraten sie das Zimmer von Martha Heller, Franziskas Mutter.

Ein Raum von ca. 20 Quadratmeter mit einem kleinen anschließenden Badezimmer, einem Bett, einem kleinen Tisch und zwei Stühlen, einem Sessel und zwei Fenstern zum Park.

Zwischen den Fenstern stand eine kleine Kommode, auf welcher mehrere gerahmte Bilder platziert waren.

Martha Heller saß in ihrem Sessel und schaute in den Park. Es war, als hätte sie die Eintretenden gar nicht bemerkt.

„Hallo Mutter!“

Franziska war zu ihrer Mutter hingetreten und hatte ihr einen Kuss auf die Stirn gegeben.

„Ich habe dir Besuch mitgebracht“, sagte Franziska, „das ist der Herr Konsul, ein lieber Gast unseres Hotels.“

Martha Heller zeigte keinerlei Regung. Sie hatte weder auf die Liebkosung ihrer Tochter reagiert, noch auf das von ihr Gesagte.

Während Franziska ein paar Dinge auspackte, die sie für die Mutter mitgebracht hatte, ein wenig Obst und ein paar Zeitschriften, sagte sie zu Jaques:

„Meine Mutter empfängt heute nicht. Sie hat sich in ihre Welt zurückgezogen, zu der ich keinen Zugang habe.“

Die Wehmut, die schon leicht an Ironie grenzte, war nicht zu überhören. Jaques hätte Franziska in diesem Augenblick am liebsten in den Arm genommen. Aber stattdessen zeigte er auf die Fotografien, welche auf der Kommode standen.

„Wer ist das?“, fragte er und Franziska nahm jedes der Bilder in die Hand und gab die dazugehörenden Erklärungen ab.

„Das sind Bilder aus einer anderen Zeit, einer besseren Zeit. Alles liebe Menschen; aber inzwischen Fremde für meine Mutter.“

Ein Bild hielt sie besonders lange in ihren Händen. Und wieder stiegen Tränen in ihre Augen. Sie musste kämpfen, bevor sie sagen konnte, wer die Personen sind.

„Das sind mein Vater, meine Mutter, meine beiden Brüder Wolfgang und Martin und ich.“

„Die Brüder sehen sich sehr ähnlich“, sagte Jaques.

„Ja, es waren Zwillinge“, antwortete Franziska.

„Wieso waren?“, fragte Jaques.

„Sie sind tot“, antwortete Franziska, und bevor Jaques weiterfragen konnte, ging sie zum Bett der Mutter und schüttelte das Kopfpolster auf.

Danach ging sie zu ihrer Mutter, gab ihr erneut einen Kuss auf die Stirn und beim Hinausgehen sagte sie:

„Bis nächste Woche, Mutter!“

Jaques folgte ihr mit einem unruhigen Gefühl.

„Können Sie mich bitte zur U-Bahn-Station bringen?“, sagte Franziska, als sie das Gebäude verlassen hatten.

„Das wird nicht nötig sein“, antwortete Jaques, „Kutsche und Kutscher stehen nach wie vor zu Ihrer Verfügung, mein Fräulein.“

Während er das sagte, setzte Jaques das bezauberndste Lächeln auf, das er gerade zur Verfügung hatte.

„Es tut so weh; es bringt mich schier um…“

Mit diesem Aufschrei der Seele schlang Franziska ihre Arme um Jaques und ließ ihrem Schmerz freien Lauf.

*****

Seit jenem Vorfall im Café auf dem Montmartre, der dem Major Hermann vorm Walde arg zugesetzt hatte, waren einige Wochen vergangen.

Hin- und hergerissen, ob er je wieder dorthin gehen sollte, siegte schlussendlich der Wunsch Amélie wiederzusehen.

„Hallo Suisse! Wo warst du so lange?“, fragte Pierre, einer aus der Runde.

„Ich war krank“, antwortete Hermann vorm Walde, der gegenüber dem Fragenden eine starke Aversion verspürte.

Er war es, der ihm den Namen <Suisse> gegeben hatte, nachdem Hermann auf die Frage nach seinem Namen in höchster Bedrängnis geantwortet hatte:

„Ich heiße Wilhelm Rütli.“

Bei der dringlichen Namensfindung waren dem Major Wilhelm Tell und der Rütlischwur als typische schweizerische Attribute in den Sinn gekommen.

„Wilhelm, das klingt mir zu Deutsch“, hatte Pierre damals gesagt, „ich nenne dich <Suisse>, mein schweizerischer Freund.“

Und so wurde aus dem deutschen Hermann und dem assimilierten schweizerischen Wilhelm ein französischer Suisse.

„Wo ist Amélie?“, fragte Hermann in die Runde.

„Die hat noch etwas zu tun“, antwortete Pierre mit einem feisten Grinsen im Gesicht. „Aber vielleicht kommt sie ja noch. Hast du vielleicht Sehnsucht nach ihr, Suisse?“

Hermann hasste diesen arroganten Menschen, der sich ständig in den Vordergrund drängte.

„Vielleicht“, antwortete Hermann etwas gereizt, „und selbst wenn, würde es dich stören?“

„Aber nein, mein Freund“, antwortete Pierre lachend, „das zeugt nur von deinem guten Geschmack, was Frauen betrifft“.

In sein Lachen fielen auch die restlichen Anwesenden mit ein, und damit war die Situation entschärft.

Es war schon kurz vor Mitternacht, und Hermann hatte schon erwogen zu gehen, als die Tür aufging und Amélie das Café betrat.

Sie hatte einen fliehenden Blick in ihren Augen, und sie wirkte leicht verstört. Als sie Hermann erblickte, erschrak sie im ersten Moment, fing sich aber schnell wieder.

Amélie ging zum Tisch ihrer Freunde, ergriff den ersten Cognac, der ihr in die Finger kam, und kippte ihn in einem Zug hinunter.

„Was ist passiert?“, fragte Manon, das einzige weibliche Wesen in der Gruppe.

Der Zustand Amélies berechtigte diese Frage durchaus. Ihre Haare waren zerzaust und ihre Kleidung war leicht derangiert.

„Ein verrückter Autofahrer hätte mich beinahe überfahren. Ich konnte gerade noch zur Seite springen und bin dabei gestürzt“, antwortete Amélie.

„Das ist ja schrecklich“, sagte Manon, „hast du die Polizei gerufen?“

„Nein“, antwortete Amélie, „das hätte keinen Sinn gehabt.“

„Aber wieso nicht?“, fragte Manon weiter.

„Weil es ein deutsches Militärfahrzeug war“, antwortete Amélie und sah Hermann dabei an.