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Was tut man, wenn eine Kollegin während eines netten Gesprächs zwischen Kaffee und Mittagspause vor einem steht und davon berichtet, sich in einem Scheidungskrieg mit ihrem Ex-Mann um die gemeinsame Waffe zu streiten? Wenn man Amerikaner nicht von vornherein verschrecken will, dann vor allem eines – zuhören.
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Seitenzahl: 438
Veröffentlichungsjahr: 2017
Simone Vogel-Knels
Amerika ist anders
Leben in Midwest
ErlebnisWelten 4
Simone Vogel-Knels
Amerika ist anders
Leben in Midwest
ErlebnisWelten 4
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: August 2017, durchgesehene und korrigierte Neuausgabe des Originals vom Mai 2012
Simone Vogel-Knels & p.machinery Michael Haitel
Titelfoto: Simone Vogel-Knels
Fotografien: Simone Vogel-Knels
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi
Lektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda, Xlendi
Verlag: p.machinery Michael Haitel
Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee
www.pmachinery.de
ISBN der farbig bebilderten Printausgabe:
978 3 942533 25 6
Dieses Buch ist den Mitgliedern des internationalen Stammtischs in der Umgebung von Detroit gewidmet. Ganz besonders aber jenen, mit denen ich vor allem in 2006 viele Partys in meinem Haus am See gefeiert habe, von denen hier viel zu wenig die Rede ist, und die wir gefeiert haben, einfach nur, weil der See da war und es einen Sonnenuntergang gab. Dies also ist für Toshiko, Madoka, Jasmine, Fred, Vinay, Vijay, Charlene, Ulli, Marcus, Ayako, Scott – und natürlich in Erinnerung an Steph.
Das Buch ist in vier Teile gegliedert, wobei der erste und vierte Teil von der Zeit handeln, in der sie geschrieben wurden. Ich hatte damals innerhalb der drei Jahre meiner Entsendung von Januar 2004 bis Dezember 2006 insgesamt vierundsechzig »Geschichten aus Amerika« an Freunde, Familie und Bekannte daheim geschrieben. Teils, um nicht allen am Telefon dasselbe zu erzählen und zu einem guten Teil sicher auch für mich, um das Erlebte auszudrücken und zu reflektieren.
Teil zwei und drei sind ebenfalls original, aber nicht mehr zeitlich linear, sondern nach Themen geordnet. Teil zwei spielt hauptsächlich im Jahr 2004, Teil drei 2005 bis Ende 2006. Hinzugefügt aus meiner heutigen Sicht sind Tipps und Tricks, die ich 2010 geschrieben habe. Eine Ausnahme ist das Ende des zweiten Kapitels, in dem ich die Erfahrungen des Weihnachtsbesuchs in Deutschland als eine Art Kulturschock so gelassen habe, wie ich sie damals geschrieben und empfunden habe.
Die Anhänge enthalten ehemals in die Geschichten integrierte Einzelthemen, die zeitlich nicht mehr ganz aktuell sind, wie z. B. die Präsidentschaftswahl in den USA im Jahre 2004 oder die Betrachtungen der atemberaubenden Natur im Mittleren Westen.
Vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2006 war ich im Auftrag und Interesse meines damaligen Arbeitgebers in Amerika und habe in diesen Jahren kleine Geschichten nach Hause geschrieben. Sie handeln weitgehend von meinem Privatleben, der Integration und ab und an auch von subjektiven interkulturellen Einsichten. Meine beruflichen Erlebnisse habe ich in diesen Geschichten größtenteils ausgeblendet. Meine Position in der nordamerikanischen Zentrale für Organisationsentwicklung war die des Human Resources Manager im Personalbereich für Führungskräfteentwicklung für USA, Mexiko und Kanada. Die Zentrale lag circa fünfzig Meilen von Detroit, Michigan, entfernt, und ich lebte in Novi, einem kleinen Dorf wenige Meilen davon entfernt.
Der Kern meiner Geschichten handelt aber immer von meinem eigenen Erleben und wie ich Amerika im Unterschied zu meinen bisherigen Erfahrungen unmittelbar wahrgenommen habe als jemand, der für drei Jahre entsandt war und wusste, dass er zurückkehren würde.
So diskutierte ich einmal mit einer Ungarin, die mit Unterbrechungen in Ungarn und Deutschland seit dreizehn Jahren in Michigan lebte, den Begriff Heimat. Aber auch wenn sie nach Ungarn zurückgeht, meinte sie, ist dort nicht alles gut. Es gibt dann Dinge, die es in den USA nicht gibt und die stören plötzlich, auch wenn sie vorher nie gestört haben. Bei ihr war es das Schlange stehen, das in Amerika sehr zivilisiert vor sich geht, alle reihen sich ein und warten, bis sie an der Reihe sind. In Ungarn bildet sich eine ungeordnete Menge vor dem Bus oder vor dem Bankschalter und jeder schaut einem bei Bankgeschäften über die Schulter. Also hat sie angefangen, diese Ordnung, die es in USA gibt, zu vermissen.
Ich glaube, jeder, der seine Heimat für längere Zeit verlässt und sich auf eine andere Kultur einlässt, verliert ein Stück weit seine Heimat als den Ort, an dem alles so ist, wie es sein soll. Plötzlich sieht man auch dort Dinge, die anderswo besser sind, fragt sich, warum die in der Heimat so sein müssen, wie sie sind, wenn es doch anderswo anders und besser ist. Ein Stück weit verliert man seine Unschuld und die Gewissheit, dass es einen Ort gibt, wo alles so ist, wie es sein soll.
Natürlich hat die Geschichte nicht mit meiner Einreise begonnen. Vielmehr begann sie im Frühjahr 2003, als mich jemand aus der Firma fragte, wie ich mir meine weitere Karriere vorstellte und ich von meinem Interesse an einer internationalen Entsendung sprach. Ich war schon zuvor im Rahmen eines Management-Traineeprogramms jeweils ein halbes Jahr in Spanien und in der Schweiz gewesen und hatte Interesse an einem längeren Aufenthalt im Ausland. Es folgte monatelang nichts, dann Gespräche mit einem Amerikaner, der gerade in Deutschland war, dann noch mehr Gespräche mit Geschäftsführern, eine Informationsreise und weitere Gespräche mit Personalleitern. Dazwischen immer wieder nichts, keine weitere Entscheidung und die Unsicherheit, ob es weitergehen würde.
Ende November 2003 kam es dann doch zu Visaformalitäten, für die ich zur Erlangung der Arbeitsbewilligung nach Frankfurt reisen musste und eine der Ersten war, der Fingerabdrücke genommen wurden. Seitdem hat Amerika bei allen Ein- und Ausreisen viele Fingerabdrücke und Fotos von mir bekommen. Mein Vertrag wurde am 15. Dezember 2003 geschrieben und mir am 17. Dezember zugestellt. Meine Wohnung wurde am 16. Dezember 2003 aufgelöst und in einen Container verpackt, der sechs Wochen auf dem Meer sein sollte. Ich war also praktisch drei Wochen ohne feste Bleibe. Einige ziehen dann ins Hotel, ich hatte das Glück, bei Freunden und Eltern unterzukommen, und lebte die Zeit über aus den Koffern.
Diese letzten Monate 2003 waren eine aufregende Zeit und irgendwann, viel zu spät, begriff ich auch wirklich, dass es demnächst wohl losgehen und ich diesen Kontinent Europa verlassen würde. Nicht für einen Urlaub oder einen Besuch, ich würde Freunde und Familie nicht mal eben am Wochenende sehen können, ich würde vielmehr für drei Jahre meines Lebens meinen Lebensmittelpunkt nach Amerika verlegen.
Ich würde in einer fremden Kultur leben. Wie fremd diese Kultur wirklich ist, bei all den Informationen, die Europa mit Amerika teilt, sodass jeder Europäer ein Bild von Amerika viel konkreter im Kopf hat, als von anderen Ländern wie Indien oder China, wie anders Amerika ist, davon handeln diese Geschichten.
Simone Vogel-Knels
Kufstein
30. Oktober 2010
01.14.2004. Allein das Datum sagt schon alles – hier ist es anders. Zuerst kommt der Monat, dann der Tag, dann das Jahr. Auf den vielen verschiedenen Formularen, die ich bisher ausgefüllt habe, habe ich das sicher das ein oder andere Mal verwechselt und bin jetzt wahrscheinlich american official am 1. November oder eben am 11. Januar geboren – denn manchmal, gerade bei sehr offiziellen Formularen ist es dann doch wieder anders (anders eben), dann kommt wie in Deutschland zuerst der Tag, der Monat, dann das Jahr.
Mein dritter Arbeitstag in der Firma. Und wieder etwas völlig Neues – alle Mitarbeiter wurden um 16 Uhr, also 4 p.. (post meridiem, nachmittags) gebeten, doch nach Hause zu fahren, da der Arbeitgeber sonst nicht sicher sein könnte, dass sie wirklich zu Hause ankommen. Das traf vollkommen zu. Wir haben einen der schlimmsten Schneefälle seit Dekaden hier in Michigan. Tagsüber waren es allein in der Umgebung vierhundert Unfälle, Schulen haben geschlossen, diverse Firmen schlossen schon nach Mittag. Das Fernsehen bringt halbstündlich neueste Verkehrsberichte und Unfallnachrichten. Im Spaß sagte ich mittags zu unserer Sekretärin, es wäre sicherer, wir würden jetzt nach Hause fahren, denn abends würden wir sonst unsere Autos vielleicht nicht mehr finden.
Als ich dann selbst an meinem Auto ankam, sah ich, dass es gut zwanzig Zentimeter Neuschnee gegeben hatte, allein über diese acht Stunden (macht 7 inches, 1 inch ist 2,54 Zentimeter). Man versucht, zu streuen, Salz, weder Sand noch anderes Granulat kann das wegschaffen, aber die Streufahrzeuge stecken wie alle anderen im Stau fest und es kann dauern, bis die Straßen, die großen Miles, geräumt sind. Ich musste noch tanken und fragte den Tankwart, ob es denn seiner Meinung nach sicher wäre, noch nach Farmington Hills zu fahren (denn eigentlich wollte ich meinen deutschen Führerschein umschreiben lassen – was ungefähr so wichtig ist, wie einen neuen Pass zu beantragen); er sagte, wenn ich Zeit mitbringen würde, ginge es wohl schon, aber wenn ich andererseits nicht etwas wirklich Wichtiges vorhätte, sollte ich besser nach Hause fahren. Ich folgte seiner Empfehlung, denn das kann ich hoffentlich auch am nächsten Morgen erledigen, und brauchte dann auch für den normalerweise vier Minuten langen Weg eine halbe Stunde. Jeder fuhr langsam, der Schnee auf der Straße wurde selbst für Leihwagen mit Vorderradantrieb wie meinen zu einer nur langsam zu nehmenden Hürde; an jeder Ampel stauten sich die Autokolonnen, auch wenn man bei Rot rechts abbiegen darf. Der Schnee kam waagerecht, keine großen Flocken, sondern sehr viele kleine. Als ich dann wohlbehalten zu Hause ankam, war der Weg vom Parkplatz zur Haustür nicht mehr erkennbar, die Stufen selbst zugeschneit. Zwei Stunden später fuhr eines dieser Riesenfahrzeuge, gelb mit gelbem Warnlicht und mindestens so groß wie drei Autos, durch die Siedlung und schippte tonnenweise den Schnee beiseite.
Es ist kalt, kälter, als ich es aus Deutschland und selbst der Schweiz gewohnt bin. 11 Grad Fahrenheit sind es an einem kalten Tag; ich schätze, an diesem Tag waren es um 0 Grad Fahrenheit. Bei Wind bedeuten diese 11 Grad Fahrenheit –12 Grad Celsius und als gefühlte Temperatur –18 Grad. So genau will ich gar nicht wissen, was das dann heißt, wenn es hier 0 Grad Fahrenheit sind! Selbst der Weg vom Parkplatz zur Firma, wahlweise auch zum Einkaufszentrum (Mall), ist ohne Handschuhe eine Tortur, der Wind bläst durch jede Kleidernaht. Den optimistischen Schätzungen meiner Kollegen zufolge dauert das Ganze bis Mai, dann wird es Frühling, aber immerhin soll der Januar der wirklich schlimmste Monat sein. Alle Schuhe außer Moonboots sollten im Büro bleiben, um dort gewechselt zu werden, sonst macht das Salz sie kaputt. Was bin ich froh, dass meine Schweizer Bergwanderstiefel doch noch ins Handgepäck gepasst haben und so mit mir gekommen sind.
Allerdings haben die Geschäfte ihr Wintergeschäft schon hinter sich – es ist nicht einfach, an wirklich dicke Wintermäntel heranzukommen, da diese schon alle im November verkauft worden waren. Im Moment herrscht die luftige Sommermode in den Geschäften vor, was nicht wirklich hilfreich ist. Aber meine in Deutschland warmen Mäntel, im Zwiebellook getragen, reichen immerhin noch für die Wege zwischen Parkplatz und Wohnung, Büro oder Einkaufszentrum, und bei waagerechten Schneefällen mit eisigem Wind denke ich im Moment auch gar nicht daran, ausgedehnte Wanderungen in einem der zahlreichen Parks der Umgebung zu unternehmen.
Würde ich in Deutschland bei einem ähnlichen Wetter in meinem inzwischen an meine Eltern verkauften 95er Golf ohne Handy durch die Gegend fahren, wie ich das hier tue, ich wäre auf jedem Meter voller Angst, dass irgendwas passieren könnte. Hier nicht. Der Leihwagen kennt anscheinend die Temperaturen, das Schloss ist nie zugefroren, und er fährt sich, wenn er einmal warm ist, so komfortabel, dass man die krude Gegend außerhalb des Wagens schlicht vergessen kann. Alles hat etwas von Abenteuer im Winterwunderland an sich. Nur tanken musste ich sicherheitshalber doch noch – es gibt nichts Dümmeres, als im Stau stecken zu bleiben, nur weil man kein Benzin mehr hat. Die Handbremse habe ich diesmal nicht angezogen, sie könnte ja zufrieren und ich will gar nicht wissen, was für Temperaturen die erwartete kälteste Nacht seit vielen Dekaden bringen würden.
Die erste Woche in Amerika hatte ich Urlaub und das war auch gut so, denn im Büro haben sie die gesamte Personalabteilung, sowohl die Standort- als auch die Zentrale Personalabteilung, deren Mitglied ich bin, renoviert. Das heißt nicht neu gestrichen, sondern neue Büros eingerichtet und Wände eingezogen, mit all dem Lärm, den das mit sich bringt. Als ich Montag begann, hing an meinem Büro ein Riesenschild mit »Welcome Simone« und es ging eben nicht nur mir so, dass ich von meinem Novemberbesuch nicht mehr wusste, wer wo sitzt – das ging allen so, denn gut achtzig Prozent der Abteilungen sind umgezogen. Dank diesem Riesenschild wussten wenigstens alle, wo ich saß. In den nächsten Tagen werde ich mit allen Termine vereinbaren, um mich vorzustellen und mir erklären zu lassen, was sie tun.
Ansonsten sind es die üblichen Anfangswehen – der Computer war zwar vorhanden, aber nicht angeschlossen, meine Telefonnummer im Outlook war nicht up to date und wie meine Voicemail am Telefon funktioniert, muss ich mir noch einmal erklären lassen, wenn jemand zu erreichen ist. Die very important Sendung from Germany kam am Freitag im Büro an, aber wo genau, das habe ich erst heute herausgefunden, sodass ich jetzt mit all den wichtigen geschäftlichen Unterlagen versorgt bin, die ich vor vier Wochen in Deutschland zusammengepackt habe.
Damit beginne ich dann auch, mich auf meinen eigentlichen Job vorzubereiten. Wir haben viel Zeitdruck, das zumindest wurde mir diese Woche schon klar.
Es gibt riesige Malls in der Umgebung, wo man wirklich alles kaufen kann. Am Anfang war mein Favorit KROGERS, dort spart man sogar einiges, wenn man sich als Kunde mit eigener Karte registrieren lässt. Im Moment bin ich nicht mehr so sehr von diesem Laden überzeugt, denn als ich am Freitag für meinen Geburtstag eine Flasche Sekt kaufen wollte, trug sich folgende Geschichte zu:
An der Kasse werden alle Dinge registriert und von der Kassiererin selbst in Plastiktüten verpackt. Als ich schon meine Debitkarte (Kreditkarte gibt es trotz amerikanischem Konto erst mit der Sozialversicherungsnummer – Social Security Number, SSN) durchgezogen hatte, fragte mich die Kassiererin nach meiner Sozialversicherungsnummer, die ich zwar schon beantragt hatte, aber erst in vier bis sechs Wochen erhalten würde. Ich gab ihr meinen deutschen Personalausweis, es nutzte nichts, der Einkauf von Alkohol mit egal welchem Gehalt ginge nur mit amerikanischer SSN oder amerikanischem Führerschein. Ich sagte ihr, ich hätte in diesem Kaufhaus schon Wein eingekauft – im November –, kein Problem mit deutschem Personalausweis; aber nein, sie wollte nicht. Durch eine Kollegin ließ sie ihre Vorgesetzte fragen, die das bestätigte. No chance. Ich fragte nach jemandem aus dem Management – da ich im Auslandsvorbereitungsseminar gehört habe, nach dem Filialleiter zu fragen wäre in solchen Fällen der beste Weg. Allein, es war Freitagabend und keiner da. Ich ließ die noch anwesende Vorgesetzte kommen und entschuldigte mich bei den Leuten in der Schlange nach mir, die alle äußerst verständnisvoll waren – oder eben neugierig, was passieren würde. Wie ich.
Die Vorgesetzte kam, ich zeigte ihr noch mal meinen deutschen Personalausweis, meinen deutschen Reisepass mit amerikanischem Visum, dann meinen deutschen Führerschein, es nutzte nichts. Ich glaube sogar, sie glaubte mir, dass ich über 21 Jahre alt war, denn das ist eigentlich der Grund, warum man seine SSN beim Kauf von Alkohol zeigen soll, aber die Vorschriften von KROGERS besagen nun mal, dass es eine amerikanische SSN sein muss. Ich erläuterte ihr, dass es ja wohl nicht sein kann, dass man in diesem Land vier bis sechs Wochen auf seine SSN warten muss, bis man als vollwertige Person anerkannt wird, denn es ging natürlich nicht mehr allein um den Sekt, mir ging es um die Politik dieses Einkaufszentrums, und dass man bis zur Bewilligung der SSN hier nicht als Kunde anerkannt wird. Ich solle ihr nicht erklären, wie sie ihren Job zu machen habe, war ihre Antwort und ich solle wiederkommen, wenn jemand aus dem Management da wäre. Ich erklärte ihr, dass ich das zum einen geschäftsschädigend fände, zum anderen unfreundlich und dass ich zehn Leuten mindestens von diesen Praktiken erzählen würde (was ich hiermit mindestens tue), aber sie machte ja auch nur ihren Job und der bestand im Befolgen von Regeln.
Also kein Sekt an meinem Geburtstag und seitdem kein Besuch mehr bei KROGERS. In diesem Auslandsvorbereitungsseminar hat man mich darauf vorbereitet, dass gerade in solchen Jobs sehr viele Leute arbeiten, die kurz angelernt sind und über keine Kompetenz verfügen – und genauso war es auch. Allerdings ist es gelinde gesagt unfreundlich, das am eigenen Leib zu erfahren.
Wie auch immer, bei CVS oder auch bei HILLERS MARKET bekommt man alles ohne diese Prozedur, das nur für Urlauber, die nach Amerika wollen und genau wie ich über keine SSN verfügen.
Für Deutsche ist es nicht wirklich einfach, etwas zum Frühstück zu finden. Das Brot ist in all seinen Varianten, ob hell oder dunkel, mit oder ohne Korn, immer labberig und lässt sich auf ein Viertel seiner Größe zusammendrücken. Der Käse hat keinen Geschmack, weder den von französischem noch von Schweizer Käse. Die Wurst ist eine Mischung aus Gewürzen und Sägemehl mit Fett.
Aber man kann etwas Vernünftiges finden, wenn man nur sucht. Beim letzten KROGERS-Besuch fand ich Pastrami und gestern vor dem Schneesturm in HILLERS MARKET italienischen Prosciutto und Salami mit Parmesanrand sowie etwas Ähnliches wie normales Brot. Cornflakes sind okay. Die Suppen sind gut. Es gibt viele Tomatensoßen und alle Sorten von Spaghetti. Viele Supermärkte haben gutes Sushi und selbst gemachte Salate aller Sorten, die zwar preislich hoch liegen, aber auch gut schmecken.
Die kalifornischen Weine und Sekte (brut, nicht extra dry) sind exzellent, das Wasser ohne Kohlensäure preiswert und wohlschmeckend, der Orangensaft in jeder Variante zu haben, mit Calcium, ohne, mit anderen Zusätzen, mit Fruchtfleisch und ohne und in den Größen einer halben oder ganzen Gallone (eine Gallone entspricht etwas mehr als vier Liter).
Teuer ist es allemal, ich war bisher dreimal einkaufen und habe jedes Mal um die siebzig Dollar gezahlt, was bei Aldi die Hälfte gekostet hätte.
Man findet viel mehr an fertig vorbereiteten Speisen als in Deutschland. Diese Fertiggerichte, ob für Mikrowelle, eingefroren oder in Dosen, sind viel weiter verbreitet. Gerade bei KROGERS habe ich erst beim dritten Besuch die ganz normalen Nudeln gefunden, dafür aber drei riesige Gänge mit tiefgekühlten Fertiggerichten. Im HILLERS MARKET ist die Auswahl an Nudeln dagegen kaum überschaubar, aus Italien, Deutschland, Spanien, alles da, und die Essenszutaten aus Korea und Japan sind in Originalverpackungen.
Nach immerhin einer Woche in der Übergangswohnung habe ich festgestellt, dass man die Klimaanlage nachts auch ausschalten kann. Tut man es nicht, geht sie pünktlich um zehn Minuten nach jeder halben und jeder vollen Stunde für zehn Minuten an, was einem nachts um zwei wirklich den Schlaf rauben kann.
Zum Glück ist die Klimaanlage in meiner neuen, richtigen Wohnung nicht ganz so laut sein, wie noch in der Übergangswohnung, und auch der Kühlschrank würde nicht ganz so viel Lärm machen, denn da ich die gesamten Anschlüsse wie Strom und Heizung mit meiner zukünftigen Nachbarin Sue, die unter mir wohnt, teile, wäre es auch nicht so einfach, sie auszuschalten.
An meinem Geburtstag habe ich in der neuen Wohnung übernachtet, mit Schlafsack und Isomatte, und habe gut geschlafen. Der See, Walled Lake, ist inzwischen vollständig zugefroren und wird es wohl bis zum Frühling bleiben. So sah ich beim Einschlafen auf diese riesige weiße und zugeschneite Eisfläche, mit den erleuchteten Häusern des anderen Ufers am Horizont. Manche Häuser tragen noch ihre Weihnachtsbeleuchtung und es scheint winterlich über das Eis.
Ich musste in der nächsten Woche ein neues Auto finden, denn dann läuft der Mietvertrag des jetzigen Wagens aus. Morgen will ich mir die Fords anschauen – Taurus und Escape –; gleichzeitig bin ich in Verhandlungen mit dem firmeneigenen Carpool, denn aus dem werden ab und an auch Wagen an die Mitarbeiter verkauft. Wenn das alles noch nichts ist, gibt es tausend Internetseiten, wo man seine Wünsche eingeben kann und ein Cardealer einen höchstselbst innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden anrufen würde, um ein Angebot zu unterbreiten.
Im Moment fahre ich einen Pontiac Grand Am, ein wirklich nettes Auto, allerdings mit relativ wenig Platz für Dinge, die man befördern will. Das habe ich am Samstag gemerkt, als ich bei SEARS sowohl eine neue Hi-Fi-Anlage als auch einen Computer gekauft habe, dessen Drucker bei mir in der neuen Wohnung auf mich wartet. Nach einigem Drücken und Pressen hat alles gepasst, aber für die Packageboys war es keine leichte Aufgabe.
Im temporary appartment gibt es nur öffentliches Fernsehen, das heißt, kein MTV und auch keinen der wirklichen »in«-Sender. Was auch bedeutet, dass ich vorerst keine neuen Folgen von »Sex and the City« empfangen kann, die am 4.1. auf HBO angefangen haben, also im Kabel. Es ist anstrengend, öffentlich-rechtlich fernzusehen: Alle zehn Minuten gibt es mindesten acht Minuten Werbung; ein Spielfilm ist immerhin die ersten zwanzig Minuten werbefrei – ich vermute ja, bis man sich eingesehen hat –, dann folgen auch hier alle zehn Minuten die üblichen Commercials (Werbungen). – In meiner neuen Wohnung habe ich die Wahl zwischen Kabel und Satellit; auch wenn die vorhandenen Anschlüsse für den Satelliten sprechen, würde ich wohl eher das Kabel versuchen, auch, weil es möglicherweise schon angeschlossen ist. Meine Nachbarin unter mir hat Kabel, und da alles mit allem verbunden ist, kann es gut sein, dass ich das auch haben würde. Genau würde ich es natürlich erst wissen, wenn ich einen Fernseher gekauft habe.
Alle Fernsehsendungen starten entweder zur vollen Stunde oder zur halben, die Prime Time ist um acht Uhr abends, also 8 p.., wenn alle Spielfilme beginnen. Diese restriktive Einteilung ist vielleicht auch der Grund, warum es hier so etwas wie eine Fernsehzeitung nicht gibt. Alles, was es gibt, ist ein kleines, schwarz-weißes DIN-A5-Büchlein, das alle Sendungen aufführt, aber wenig zu den einzelnen erzählt. Also nicht wie in Deutschland, wo es ungezählte Fernsehzeitschriften mit verschiedenen Geschichten und Starausschnitten gibt, nichts davon hier. Natürlich gibt es eine Menge Zeitschriften aus der Abteilung Regenbogenpresse, denn die Amerikaner sind fast verliebt in ihre Berühmtheiten (Celebrities), die aber dann doch eher als eigenständige Personen angehimmelt werden, weniger in Verbindung zum Fernsehen.
Ich kenne noch nicht viele, natürlich. Ich kenne Mike, meinen Vermieter, der vier Kinder hat, drei davon Mädchen, der vier Häuser neben mir wohnt, vorher in meiner Wohnung wohnte und sie extra für die eigenen Bedürfnisse umgebaut hat. Vielleicht würde er später einmal zurückkommen, wenn die Kinder groß sind und er kein großes Haus mehr braucht, sagte er. Mike macht alles gern selbst, bis auf Internet, das ist ihm nicht geheuer. Aber wenn ich Probleme mit irgendwelchen Anschlüssen hätte, sollte ich ihm das sagen, das könne er.
Sue, mit der ich das Haus teile, habe ich einmal gesehen. Sie ist Ende dreißig und sehr krank, als ich sie sah, sodass wir nur kurz Hallo sagten.
Viel mehr kenne ich noch nicht und auch meinen Staubsauger und mein Telefon habe ich noch nicht abgeholt; beides liegt bei Freunden meiner Vorgängerin. Immerhin habe ich der Organisatorin der Frauenstammtische geschrieben – auf die ich später noch ausführlich zu sprechen komme –, dass ich gern an diesen Stammtischen teilnehmen würde, auch wenn das die Frauen der Entsandten und nicht die Entsandten selbst sind.
Bisher habe ich bei CVS eine Kaffeemaschine eingekauft und wieder umgetauscht, da sie nicht funktionierte – noch weiß ich nicht, ob die Neue jetzt geht. Außerdem kaufte ich eine Hi-Fi-Anlage, sowie einen Laptop und einen Drucker bei SEARS. Das waren die großen Dinge. Außerdem gab es bei SEARS eine Decke und einen Schlafsack. An Kleinigkeiten habe ich Bilder entwickeln lassen, Telefonkarten gekauft, die wirklich funktionieren, Briefe verschickt, Briefmarken auf der Post gekauft und bin dabei, mich über Handy, Telefon und Internetanschluss zu informieren. Letzteres ist bei der verwirrenden Anzahl von Anbietern und noch dazu Tarifen nicht wirklich einfach.
Die Entscheidung ist gefallen. Ich lease einen Ford Escape, einen small SUV (Suburban Vehicle oder auch Sport Utility Vehicle, eine Art Geländewagen) in aspen green, einem sehr, sehr dunklen Grün, mit Klappdach, Klimaanlage, heizbaren Sitzen, 20.000 Miles im Jahr und kaum Anzahlung für drei Jahre.
Das Problem ist – die Social Security Number und damit meine Kreditwürdigkeit. Es ist echt zu seltsam, mit diesen paar Zahlen könnte ich alles sofort bekommen, ohne sie ähnelt es immer einem Drama. Mit meinem persönlichen Cardealer, David, habe ich einen Deal ausgehandelt: Er bekommt alles an offiziellen Papieren, was ich bisher habe und er versucht bis nächsten Donnerstag etwas in die Wege zu leiten. Also hat er: meinen Antrag für die SSN, meinen Auslandsreisepass inkl. Visum, die Blanket Petition meines Arbeitgebers, die besagt, dass sie ohne individuelle Prüfung Leute verschicken darf, meinen vorübergehenden Führerschein mit deutschem Führerschein und der Übersetzung desselben ins Englische, meinen amerikanischen Vertrag (eine Seite), meinen deutschen Entsendungsvertrag (zwölf Seiten ohne Anlagen) und meinen Mietvertrag. All die Papiere sollen eigentlich nur das aussagen, was die SSN darlegen soll: dass ich hier lebe und tatsächlich existierte.
Und bis Donnerstag, vielleicht auch Samstag, versucht David, das neue Auto zu bekommen, eine Autoversicherung in die Wege zu leiten und Nummernschilder zu besorgen. Wenn das nicht klappt, muss ich bis Mitte Februar auf die SSN warten und mit meinem Arbeitgeber verhandeln, dass ich das Leihauto, das eigentlich nur für drei Wochen gedacht war, vielleicht länger haben kann.
Aber es sieht gut aus und ich habe auch keinerlei Bedenken, dass der Grand Am verlängert werden kann, wenn es sein muss.
Das ging einfacher als erwartet. Das Secretary of State, wo ich letzten Mittwoch war, hatte nicht allzu viel Betrieb – was verwunderlich ist, denn hier muss alles umgeschrieben oder neu beantragt werden: Adresse, Autonummernschilder etc. Wie üblich hatte ich Ausweis, Visum, Blanket Petition, Führerschein, Übersetzung des Führerscheins und zur Sicherheit noch mal den amerikanischen Vertrag dabei. Zwei Identifikationen sind notwendig, normalerweise die Geburtsurkunde als erstes –, die ich natürlich nicht hatte, sie liegt wohlbehalten bei meinen Eltern. Ich konnte die Dame aber überreden, dass ich Pass, Visum und Führerschein habe und das reichte dann auch. Wieder eines der Formulare ausfüllen, dann 25 US-Dollar zahlen, genau den Betrag hatte ich noch dabei (Kredit- oder Debitkarte werden nicht akzeptiert), dann Foto machen und schon hatte ich den vorübergehenden Ausweis, in drei Wochen soll der offizielle folgen.
Beim Foto fragte sie mich noch, ob ich die Brille nicht ausziehen wollte, und mir ging leider erst nachher auf, dass sie das deshalb fragte, weil ich nun immer mit Brille herumlaufen muss, sonst glaubt mir kein amerikanischer Streifenpolizist, dass ich mit Kontaktlinsen richtig sehen kann. Naja, auch dafür wird sich zu gegebener Zeit eine Lösung finden.
Es gab auch noch einen Sehtest, bei dem man nur eine Zeile lesen musste, und den bestand ich. Zum Glück, denn viele andere Staaten haben noch einen Fahrtest eingeführt, bei dem man im eigenen Auto um den Block fahren muss – und das kann tricky sein, wenn man nicht weiß, wie viele Feet man von einer Ampel entfernt parken darf oder wie viele Miles in welchen Wohngebieten erlaubt sind. Es gibt alles zwischen 25 Miles, wie bei mir in Novi am East Lake Drive, oder 45 Miles auf den großen Straßen. 30 Miles sollte man bei schlechter Sicht fahren, 40, wenn große Kreuzungen in Sicht kommen. Und man sollte sicher sein, dass es an Kreuzungen kein »Don't turn by red«-Zeichen gibt, das sagt nämlich, dass man warten muss, bevor man rechts abbiegt, sonst und ohne dieses Zeichen kann man einfach rechts und nur rechts abbiegen. Leider steht das Zeichen meist hundert Meter vor der Ampel, sodass man es sich merken muss.
Sonntag war ich Shoppen. Das ist so großartig am Sonntag. Den Samstag über verbummeln und den Sonntag dann verschärftes Einkaufen, noch dazu, wenn sie hier gerade Winter Sales haben, also vieles einfach reduziert, um die Winterlager leer zu bekommen. Leider ist das meist schon geschehen und ich habe immer noch keinen wirklich warmen Mantel oder wirklich warme Stiefel gefunden, die sind alle schon verkauft oder einfach nicht wirklich schön. Mit den Kleidergrößen komme ich nicht wirklich zurecht, auch wenn es eigentlich einfach sein sollte – 12 ist 40, 10 ist 38, aber die Kleider halten sich nicht wirklich daran. Der Mantel in 12 war ein Zelt und in 10 viel zu eng, wie eine Wurst. Aber das hatte ich schon in Deutschland; einen wirklich warmen und schönen Mantel zu finden, ist immer eine Herausforderung.
Dafür hatte ich einen anderen Shop gefunden, der Kerzen und Kerzenständer zum halben Preis verkauft und hier habe ich sogar einige Geruchskerzen gekauft. Es gibt kaum Kerzen ohne jeden Flavour, sie riechen nach Apfel, Banane, Kokosnuss, was auch immer man will. Es war etwas ganz Besonderes, als mir die Verkäuferin nach langem Nachdenken Kerzen ohne Geruch anbieten konnte, danach fragt wohl sonst niemand.
Nach einem langen, langen Umzugswochenende schaue ich in der möblierten Wohnung im »Citation Club« die Verleihung der Golden Globes und stelle fest, wie viele Serien, Mini-Serien und Comedies es dann doch nicht über den großen Teich schaffen und mir völlig unbekannt sind.
Freitag um zehn Uhr morgens kam die Umzugscrew – zehn Uhr, weil ich vorher noch einen Kennenlerntermin mit einem der Vice Presidents unserer Personalabteilung hatte, den ich wirklich nicht verlegen wollte. Also, um zehn Uhr waren sie da, vier Packer, zwei davon erfahrener und zwei unter zwanzig, sowie mein 20-ft-Container, den ich zuletzt sah, als er vor meiner Wohnung in Deutschland parkte und vollgeladen wurde. Die Jungs packten von zehn bis dreizehn Uhr nur Kisten aus, von dreizehn bis vierzehn Uhr versuchten sie, die Möbel aufzubauen, und dann waren sie weg. Und ich mit diesen geschätzten fünfzig Kisten allein. So ganz einfach war es nicht, ihnen die Logistik des Aufbaus eines IKEAregals beizubringen – wo ist oben und unten, wozu sind die Pöbbel da, und dass das Ganze auch noch geradestehen sollte, war ebenfalls ein Geheimnis, das ich lüften konnte. Allerdings gegen den Willen der Wohnung. Da war keine Wand gerade, und schon gar kein Fußboden eben. Der Teppich war so dick, dass die Regalteile tief darin versanken. Ich konnte nur hoffen, dass die dicken Ordner, die ich zuunterst eingeordnet hatte, dem Ganzen ein bisschen Stabilität verliehen. Und es war gut, dass ich noch in Deutschland so viel ausgesondert hatte; sogar hier fiel mir noch das eine oder andere in die Hände, bei dem ich mir nicht erklären konnte, warum ich es eigentlich mitgenommen hatte.
Und es war noch Glück, dass wir es überhaupt in die Wohnung geschafft hatten. Das Schloss war dauernd zugefroren, schon vorher, als ich dort war, doch diesmal war es auch nach zehn Minuten Rütteln nicht aufzubekommen und mein Container stand schon auf der Straße. Die Jungs hatten es dann nach fünf weiteren Minuten mit einem wärmenden Feuerzeug geschafft und wir konnten einräumen.
Also, die Jungs packten fleißig aus dem Container in die Wohnung, ich versuchte, wenigstens die Küche einzuräumen, denn die Wohnung war eigentlich nicht so groß, dass ich sechzig Kisten irgendwo ungesehen stapeln konnte. So an die zehn habe ich geschafft, bevor sie wieder abfuhren, und alle Gläser, Tassen und Teller in die Schränke eingeräumt. Sie kommen wieder, sagten sie, um die anderen fünfzig Kisten, inzwischen leer, zusammengedrückt, gefaltet, denn inzwischen habe ich alles ausgeräumt, wieder abzuholen. Ich kann nur hoffen, dass das bald geschieht, denn der gesamte Eingangsbereich ist bis unter die Decke mit leeren Kisten und Papier gefüllt, gerade genug Platz, um die Haustür zu öffnen.
Nach vier Stunden Einräumen und weiteren vier Stunden Auspacken war es für den Freitag genug. Eigentlich wollte ich nur kurz Dinge aus der möblierten Wohnung holen, blieb dann aber doch und schlief erst mal zwölf Stunden. Samstag wollte ich in der neuen Wohnung übernachten und habe alle restlichen Kisten ausgepackt. Alle, fünfzig Stück. Irgendwann verfluchte ich mich, weil ich diese vielen Bücher und Akten hatte – muss man denn wirklich so viel lesen? Und es auch noch behalten? Die Kalkulation mit den IKEAregalen samt Inhalt zumindest scheint aufzugehen, es muss kein neues Regal angeschafft werden oder noch eines an einer unmöglichen Stelle – die Küche hatte ich kurzfristig überlegt – aufgebaut werden. Dafür fehlen für meine gefühlten tausend Kerzenlichter die Fensterbänke, um sie auch aufzustellen. Die Fenster reichen entweder gleich bis zum Boden oder die Fensterbänke haben die hier übliche Breite von gerade mal fünf Zentimetern.
Am Samstag kam ich auch nicht in die Wohnung rein, und weil ich mir einen Enteiser gekauft hatte, der flammable (entflammbar) war, konnte ich den Trick mit dem per Feuerzeug angewärmten Schlüssel nicht guten Gewissens anwenden. Zum Glück war Sue da, meine Nachbarin, durch deren Wohnung ich in meine konnte. Ihr Freund Keith kam auch gleich mit, um zu schauen, ob das wirklich nicht geht mit dem Schlüssel. Und rief gleich Mike an, meinen Vermieter, der dann auch versprach, später vorbeizukommen und nach dem Schloss zu sehen. Sue musste weg und ließ mir ihr Handy da, damit ich wenigstens im Notfall jemanden anrufen konnte. So lieb! Nachdem ich zwei Stunden eingeräumt hatte, kam Mike dann auch und hatte Öl dabei. Zumindest konnte ich danach problemlos raus und rein, es scheint also gewirkt zu haben.
Während des Auspackens habe ich die deutsche Umzugsfirma bestimmt hundert Mal völlig unverdient verflucht. Wie kann man so einpacken? Jedes Buch war in einem eigenen Schutzumschlag! Manchmal hatte ich ein Paket in den Händen, bestimmt fünfzig Zentimeter Papier im Durchmesser, das dann beim Auspacken drei Kugelschreiber und einen Prittstift enthielt! Toll war auch ein anderes, das dann am Ende eine Muschel beinhaltete (ich habe sie selbst am Strand von Andalusien eingesammelt – das war also schon von persönlichem Wert), und ich stand da mit geschätzten sechs Meter Papier für diese Muschel. Wohin damit? Meine Wohnung hat ungefähr sechzig Quadratmeter und keine Garage, also nicht so viel Platz, um leere Kartons und Einpackpapier irgendwo zu parken. Und natürlich arbeitet die Firma, die alles gebracht hat, nicht am Samstag, um es auch wieder mitzunehmen. Aber alles weniger heftig als gedacht, es stapelt sich alles im Eingangsbereich und wartet auf Abholung.
Es ist also alles aufgebaut, das Sofa steht, der Tisch, das Bett, in dem ich geschlafen habe. Sogar die CDs habe ich eingeräumt, alle so, wie es sich gehört, als Beginn der Ordnung.
Eingezogen bin ich aber noch nicht. Weil ich am nächsten Tag meinen ersten Englischkurs habe, abends, der zu Hause und nicht im Büro stattfinden soll, und ich meine richtige Wohnung noch nicht für präsentabel genug halte. Weil es dort weder Telefon noch Fernsehen gibt, das muss ich erst während der nächsten Tage organisieren. Sue meinte, wir können uns das Fernsehen teilen, aber ob sie jetzt Satellit oder Cable hat, muss ich noch herausbekommen. Und einen Fernseher kaufen. Das Telefon, das ich von Ingrid, meiner Vorgängerin an meinem Arbeitsplatz, bekommen habe, funktioniert irgendwie nicht. Also muss ich ein neues kaufen und anmelden, wie immer das geht. Alles Dinge für die nächste Woche.
Und da weiß ich noch nicht mal, was ich in der Woche zu tun hätte. Es kann sein, dass ich Mittwoch bis Freitag auf Seminar sein würde. Meine Kollegin Amy meinte, mein Chef Shawn hätte das mit mir vorgehabt. Aber Shawn ist seit unserer Geschäftsreise nach Chicago Dienstag und Mittwoch letzter Woche krank, also hoffe ich, er käme am Montag wieder und kann mir erklären, wie meine Woche aussehen soll. Montagabend ist dieser Englischkurs und am Dienstag treffen sich die Frauen der Entsandten, wozu ich eingeladen bin. Also schon wieder eine Woche, die so gut wie gelaufen ist, bevor sie überhaupt begonnen hatte, und ich glaube, das wird sich genauso fortsetzen.
Letzten Donnerstag war ich bei Freunden meiner Vorgängerin Ingrid, die ihr Telefon und einen Staubsauger für mich aufbewahrten. Lilly ist Taiwanesin, Chris deutscher Bayer und als Chemiker seit vierzehn Jahren in Amerika – beide arbeiten nicht bei meinem Arbeitgeber. Sie kochte japanischen grünen Tee und es gab bayerischen Apfelstrudel.
Es war ein total nettes Zusammentreffen – und so gut, über die Amerikaner und ihre Eigenarten zu sprechen und Geheimtipps über das beste europäische Essen auszutauschen. Ich bin nicht allein mit meinen Befindlichkeiten, was amerikanische Wurst und Käse angeht.
Es war zwanzig Uhr, als ich zurückfuhr, die Drake entlang, eine eher schwach beleuchtete und anstatt der sonst schnurgerade laufenden sehr gewundene und dunkle Straße. Ein Stoppschild, ich hielt, ließ, wie es hier üblich ist, die anderen Wagen, die vor mir da waren, kreuzen. Weiter, ich wunderte mich noch über ein Schild »Behindertes Kind in der Umgebung«, als hinter mir die Lichter eines Polizeiwagens angingen. Es bedeutete mir, zu halten, ich hielt. Angeblich habe ich ein Stoppschild übersehen, sagte der Officer, der mich aussteigen und den Führerschein zeigen ließ. Keine Ahnung, wo oder wie das passiert sein sollte.
Bestimmt fünf Minuten füllte er meinen Strafzettel aus, während ich wartete und hinter mir dieses Polizeiauto vor sich hin orgelte. Das ist nicht Blaulicht – das ist Blau-, Rot- und Weißlicht, was da durch die Nacht leuchtet. Ich habe also einen Strafzettel, wegen dem ich vor dem 5. Februar eine Nummer anrufen und was auch immer für was auch immer bezahlen soll. Irgendwann werde ich die Strecke wieder abfahren und nachschauen, was ich eigentlich getan habe.
Eigentlich wollte ich ja diesen fabelhaften Ford Escape SUV XLT in aspengreen leasen, aber das war ja nicht so einfach. David, mein Cardealer, hat alles versucht und ich habe ihm alle meine Unterlagen gegeben. Es hat nicht gereicht. Keine Bank in Amerika bietet einen Leasingvertrag an, ohne eine – na, dreimal raten – Social Security Number. David hat sogar beim SSN-Office angerufen, um zu erfahren, ob es denn noch lange dauern würde, aber die geben natürlich keine Auskunft. Also, kein neues Auto, bis dieses Ding durch ist.
Netterweise hatte mein Arbeitgeber den derzeitigen Mietvertrag verlängert – ich fuhr weiterhin meinen netten silver Pontiac Grand Am, in den wohl leider kein Fernseher passt, da man die Rückbank nicht umlegen kann. Positiv gesehen habe ich genug Zeit, wahrscheinlich noch drei Wochen, bis meine SSN durch ist, und kann mich umschauen, ob es nicht doch noch einen netten GM Chevrolet gibt, der mir auch noch gefallen könnte. Aber eigentlich mag ich diesen Escape wirklich gern – vor allem, weil er kein wirklich großer SUV ist und auch kein normaler Jeep, sondern etwas dazwischen – und hätte ihn auch gern am besten morgen gehabt. Nun, so viel Zeit muss anscheinend sein.
Langsam wird es dunkel in Novi. Die Dämmerung setzt um 17:30 Uhr ein und komplett dunkel wird es um 18:30 Uhr sein. Dann sehe ich über die immense Eisfläche des komplett zugefrorenen Walled Lakes zum anderen Ufer, wo in der Entfernung die Straßenbeleuchtung und manchmal auch eine Hausbeleuchtung scheint. Der See ist seit der zweiten Januarwoche zugefroren. Ich sah ihn dieses Jahr gerade noch einmal mit Wellengang, als ich die Schlüssel für meine Wohnung bekam, und schon am nächsten Tag setzte der richtige Frost ein. Nun fahren seit fast vier Wochen die Schneemobile Rennen auf dem See und Eisfischer scheuen sich nicht, bei Temperaturen unter –18 Grad auf dem See zu fischen. Gestern sah ich sogar ein eigens zum Fischen gebautes Zelt, in dem Menschen wahrscheinlich mit mitgebrachter Heizung ein Loch ins Eis geschlagen haben und fischten. Der See ist zentimeter- oder sogar meterdick zugefroren und all der Schnee der vergangenen Wochen liegt darauf.
Heute ist ein Tag, an dem wirklich nichts funktioniert hat. Auch so was gibt es.
Zuerst das Handy, hier Cellphone genannt – der Begriff Handy ist deutsches Englisch, das hier niemand versteht. Mein Arbeitgeber hat Rahmenverträge mit VERIZON WIRELESS, die die monatliche Pauschale günstiger anbieten. VERIZON selbst bietet alle Arten Handys an, und da ich wohl viel reisen werde, bietet sich ein Triband-Handy an, das, je nachdem, wo ich bin, das Netz wechseln kann. Triband-Handys gibt es nicht kostenlos, es wird mich um die hundertdreißig Dollar kosten. VERIZON selbst hat die beste Netzabdeckung in Amerika, dicht gefolgt von SPRINT.
Am Donnerstag war der Mann, der die Telefone in der Firma betreut, nicht da. Freitags war dann die Frau bei VERIZON, die für uns zuständig ist, krank. Heute erreichte ich sie. Wie erwartet, ist es unmöglich, einen Handyvertrag ohne Social Security Number abzuschließen. Aber selbst wenn ich die habe, verlangt VERIZON ein Deposit, eine Kaution von vierhundert US-Dollar, weil ich keine Kredithistorie nachweisen kann – wie auch, denn meine Kreditkarte erhalte ich auch erst, wenn ich die SSN habe, und dann starte ich bei Null, was Einkäufe mit amerikanischer Kreditkarte anging. Die vierhundert Dollar erhielt ich erst zurück, wenn der Vertrag ausgelaufen war, also nach zwei Jahren – was mit der Inflation etc. real einen Verlust bedeutete, da VERIZON keine Zinsen zahlt. Also hatte ich den Herrn der Telefone bei meinem Arbeitgeber angerufen, ob er diese Praxis kannte, und er versprach, die Frau bei VERIZON anzurufen und sich wieder zu melden. Vielleicht konnte die Firma die Bestellung übernehmen und dann wäre das Deposit nicht notwendig. Aber auch das kann wieder dauern.
Ein Fernsehanschluss ging dafür ohne SSN, bekam ich nach langen Telefonaten auf der Suche nach dem richtigen Anbieter heraus. Anbieter sollte eigentlich TIME WARNER sein, doch die behaupten auf ihrer Internetseite, Michigan würden sie nicht bedienen. Die Konkurrenz COMCAST bietet in Novi den Service straßenweise an, leider nicht in meiner. Der Anbieter ist dann BRIGHTHOUSE und des Rätsels Lösung war der Verkauf und die Ausgliederung einer Sparte von TIME WARNER unter dem neuen Namen BRIGHTHOUSE. So weit, so kompliziert.
Allerdings ergab sich die Schwierigkeit, dass mein Vormieter, wer auch immer das war, eine wirklich große unbezahlte Rechnung für Fernsehgebühren beim Auszug hinterlassen hatte und die Firma sichergehen wollte, dass ich wirklich jemand anderes war. Das verstand ich noch. Ich sollte persönlich bei BRIGHTHOUSE erscheinen, inklusive Driver License, die ich inzwischen hatte (!), und Mietvertrag, den ich sogar dabei hatte. Die Damen bei BRIGHTHOUSE bestanden allerdings auf einer Verifikation meines Mietvertrags, da half es auch nicht, dass ich sowohl den Mietvertrag in Kopie als auch im Original dabei hatte. Das muss notariell beglaubigt werden, darauf bestanden sie und das könnten sie selbst nicht. Also bin ich gebeten worden, bei einer Bank vorbeizuschauen, die die beiden Verträge bestätigen kann. Eine Bank, die Verträge notariell beglaubigt? Was es nicht alles gibt? Wo auch immer ich jetzt eine BANK ONE finden kann, das muss ich noch herausbekommen. Und ich erwarte ja fest, dass ich da was nicht richtig verstanden habe und die Bankmitarbeiter mich morgen so verständnislos anschauen würden, wie ich heute die beiden Damen.
Die Social Security Number selbst ist natürlich noch nicht angekommen und jetzt war die Zeit gekommen, nachzufragen. Die kostenlose 1-800-Nummer verband mich mit der Zentrale, die ergebnislos meinen Namen im Computer suchte und mich nach einer geschätzten halben Stunde mit der Telefonnummer meines Social Security Offices verband, bei dem ich mich um die Nummer beworben hatte. Dort suchte man erst mal fünfzehn Minuten in den Unterlagen, unterbrach die Verbindung und als ich nach einer Stunde nach einem Meeting wieder dort anrief, hatten sie mich gefunden.
Mein Nachname, nahezu unaussprechlich für Amerikaner, war falsch eingegeben worden, ein Konsonant war durch einen Vokal ersetzt worden und die Karte ist auf dem postalischen Weg. Sie werden sie jetzt automatisch durch eine richtige ersetzen, allerdings erst Mitte Februar, da das Computersystem nur alle vierzehn Tage eine Eingabe erlaubt (was auch immer das heißen soll), sodass ich Ende Februar dann die richtige Karte mit dem richtigen Namen haben werde.
Die gute Nachricht ist, dass die Nummer selbst auf jeden Fall die richtige ist, ich sie also verwenden kann, wenn niemand die Karte selbst mit dem falschen Namen sehen will. Ob ich damit ein Auto leasen kann, das ist noch dahingestellt. Es kann sein, dass sie die Karte im Original brauchen und das mit all den anderen Dokumenten, die meinen richtigen Namen tragen, das würde wahrscheinlich nicht klappen. Ein Handy müsste ich damit bekommen (bis auf die vierhundert US-Dollar, die ich eigentlich nicht als Deposit zahlen will).
Aus Sicherheitsgründen könnten sie mir die Nummer nicht am Telefon sagen, ich müsste schon vorbeikommen. So ganz sicher bin ich nicht, ob ich mit all den Terminen bei irgendwelchen Banken, Offices etc. wirklich noch arbeiten kann – ich wäre mit diesem ganzen administrativen Zeug gut und gern den ganzen Tag beschäftigt.
Also werde ich früh am nächsten Morgen erst einmal wieder unterwegs sein, bei der Bank zur Vertragsverifikation und beim SSN-Office, um wenigstens mündlich die Nummer in Erfahrung zu bringen, wenn schon die Post noch mindestens eine Woche mit der Karte mit der richtigen Nummer, aber dem falschen Namen braucht.
Schon gewusst, dass das Übersehen eines Stoppschildes hundertsechsundzwanzig US-Dollar kostet? Ich jedenfalls nicht, aber den Scheck muss ich morgen ausstellen und die Punkte dafür kassieren – drei Stück gibt es, und es kann sein, dass dadurch meine Autoversicherung, sollte ich wirklich jemals ein Auto bekommen, steigen wird. Triple A, also AAA, so etwas wie der ADAC, bietet immerhin ein kostenloses Ticket an, das die Rate nicht erhöht. Vielleicht habe ich Glück bei all den Verhandlungen, und da ich kein Neuanfänger bin, was das Autofahren angeht, auch wenn ich nie in den USA gefahren bin, sondern »nur« neun unfallfreie Jahre in Deutschland – die Verhandlungen werden hart genug –, geht auch das durch.
Das war dieser Tag. Geklappt hat immerhin, dass ich meinen Vermieter Mike anrief, ihm auf den Anrufbeantworter sprach, dass der Scheck für die Miete unterwegs ist, und ihn bat, mein Türschloss wieder zu ölen, das seit der letzten Ölung gut und gern anderthalb Wochen perfekt auf- und zugeschlossen hat, doch heute Morgen nicht mehr wollte. Er war wohl im Lauf des Tages hier und hat es geölt. Es funktioniert wieder.
Daueraufträge gibt es nicht. So einfach ist das. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und des technischen Fortschritts (also, ich persönlich glaube ja eher, dass die Zukunft in Asien, speziell in China und Indien liegen wird) ist so was wie ein Dauerauftrag unbekannt. Jeden letzten Freitag im Monat sitzt jeder Amerikaner an seinen Rechnungen und füllt brav Schecks aus, die dann per Post an den Empfänger verschickt werden. Eine Kreditkarte zu haben –, die ich noch nicht habe –, bedeutet nur, auf Kredit zu kaufen, und die Rechnung, die dann irgendwann nach einem Monat eintrifft, an die Firmen per Scheck und Post zu bezahlen.
So unangenehm ist es mir gar nicht, am nächsten Tag zur BANK ONE zu gehen, da ich als Anfangspaket nur zehn Schecks erhalten habe, die schnell aufgebraucht sein werden. Vielleicht bekomme ich auch heraus, wie Internetbanking funktioniert, das die Prozedur insofern vereinfacht, als man seine Favorites, also die regelmäßig gleich bleibenden Rechnungen eingeben kann. Das bedeutet aber nicht, dass sie auch automatisch überwiesen werden, weit gefehlt. Onlinebanking heißt in Amerika nur, dass die Bank die Schecks ausdruckt und verschickt, wenn man monatlich den Anstoß dazu gibt.
Kein Wunder, dass jeder Amerikaner hoffnungslos verschuldet ist. Ich hätte damit keinen Überblick mehr. Nebenbei habe ich den derzeit sowieso nicht, da jede Bank nur einmal im Monat eine Kontoübersicht verschickt, und so etwas wie ein Kontoauszugsdrucker, bei dem man, wann man will, seine Auszüge holen kann, ist völlig unbekannt. Wahrscheinlich werde ich meine Debitkarte weiternutzen, die unserer EC-Karte entspricht. Damit wurde das Geld sofort abgebucht und man kann mit Geheimnummer zahlen. Da die BANK ONE immerhin eine Debitkarte mit Visa anbietet, wurde sie bisher überall, wo ich war, akzeptiert.
Die wohl hilfreichste Neuerung in meinem Leben war meine Englischlehrerin Charlene. Jeder meinte zwar auf der Arbeit, ich bräuchte keinen Englischunterricht, aber ich selbst sah das komplett anders. Ich konnte zwar jedem Amerikaner alles wörtlich erklären, und wenn ich einen Ausdruck nicht fand, umschrieb ich es eben, aber ich war bei den Zeiten nicht sonderlich gut und was Grammatik angeht auch nicht. Und es häufen sich die E-Mails, die ich zu schreiben habe und die offiziellen Schreiben, wo ich gut Unterstützung brauchen kann.
Charlene also ist meine Lehrerin, macht nebenbei ihren Master in Human Resources (Personalwesen) und arbeitet als Computerspezialistin. Und macht nebenbei meinen Relocation Service, kümmert sich also um alles, was man zum Leben braucht und was einem sonst keiner erzählt. Mit ihr war ich den Fernseher und einen Videorekorder kaufen, von ihr weiß ich, wo man Akkus erstehen kann und dass BED, BATH AND BEYOND ein billigerer Laden mit mehr Auswahl als SEARS ist. Ich weiß jetzt, dass man neue Telefone am besten bei BEST BUY ersteht und dass OFFICE MAX eine riesige Auswahl an allen Büroartikeln hat, die man so braucht. Von BEST BUY stammt mein Telefon, nachdem das meiner Vorgängerin auf gar keinen Fall funktionieren will – und Charlene meinte, das könnte daran liegen, dass das Handgerät nicht mit der Station verbunden ist, da der Pager nicht funktioniert und in dem Paket leider die Bedienungsanleitung fehlte –, wie von OFFICE MAX meine externe Floppy-Disk stammt, da dieser Laptop eine Home-Office-Edition ist, der zwar CDs und DVDs abspielen kann, aber kein Diskettenlaufwerk hat (Ob das allerdings funktioniert, werde ich erst Ende der Woche ausprobieren können; für heute habe ich keine Nerven mehr für Dinge, die nicht auf Anhieb klappen).
Ich habe nun also Telefon und mein eigenes Internet, nachdem ich am Freitag SBC angerufen habe, die den Grundservice an Telefon anbieten, also das Freizeichen, und zu dem ich auf Charlenes Anraten den billigsten Tarif gleich mit dazu genommen habe. Der Tarif bietet für zweiunddreißig Dollar kostenlose Telefonanrufe in der Umgebung an und fünf Cent für jeden außerhalb davon in Michigan. Deutschland kann man für zwei US-Dollar die Minute erreichen –, was ich nicht tun werde, vielmehr mit einer Telefonkarte telefoniere, die über eine Prepaid-Karte eine kostenlose 1-800-Nummer erreicht, von der aus man sich dann nach Deutschland verbinden lassen kann, solange das Guthaben auf der Karte eben ausreicht. Und wenn das alles zu teuer oder zu unpraktisch ist, kann ich immer noch zu einem anderen Anbieter switchen.
Den besten »Unterricht« hatte ich letzten Donnerstag mit Charlene, als wir den Fernseher bei SEARS kauften– das gute Stück war als Ausstellungsstück zweihundert US-Dollar heruntergesetzt – und es in ihr Auto luden. Da sie das größere hat, einen SUV, und ich ja immer noch meinen Grand Am, ging das auch nur bei ihr. Als wir hier ankamen, war alles zugeschneit und da Charlene nur Hinterradantrieb hat, kam sie mit dem Wagen nicht bis zur Haustür. Und der Fernseher war schwer, zweihundertzwanzig Pfund, also nichts zum Tragen bei Schnee und Glatteis. Nach einer Stunde Schneeschippen (die Schaufel hatte ich von meiner unteren Nachbarin Sue geliehen), ging es immer noch nicht weiter. Wir waren ziemlich ratlos und durchgefroren. Da sah ich meinen anderen Nachbarn Keith samt Frau Tess und Tochter Chris und fragte, ob sie helfen konnten. Sie konnten und zu viert haben wir das gute Stück dann auch in die Wohnung bringen können. Charlene war gerade noch dabei, einen ehemaligen Schüler von ihr anzurufen und um Hilfe zu bitten, aber das war dann zum Glück nicht mehr notwendig.
An dem Tag habe ich zwar viel erlebt, aber weniger Englisch gelernt.
Der Umzug ist nun endgültig. Die Wohnung im »Citation Club« ist aufgegeben – Freitag war ich ausräumen, Samstag noch vier Stunden mit Säubern beschäftigt – und alle Dinge sind jetzt in 1260 East Lake Drive. Alle Bilder hängen an der Wand, Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad sind soweit eingerichtet, nur das Büro wird noch eine Weile zum Sortieren brauchen. Sue höre ich unten vor sich hin werkeln. Freitag war ein Service hier, der den Schnee geglättet und zur Seite geräumt hat – immerhin muss ich also nicht, wie befürchtet, Schnee schippen; nur mein Auto muss jeden Morgen enteist werden, keiner von uns hat eine Garage. Langsam weiß ich wieder, wo genau was ist, und finde mich zurecht. Vielleicht kann ich in den folgenden Wochen auch ankommen, mental und emotional.
Einige Worte zum Seminar letzte Woche, das wirklich für drei Tage stattgefunden hat, auf halbem Weg zwischen Arbeitsplatz und meiner Wohnung in einem wirklich total abgeschiedenen Ableger der Michigan University (die sich hier in der Gegend vor allem mit Landwirtschaft beschäftigt und so war das Seminar auch auf einer Farm, die allerdings so zugeschneit war, dass man nichts erkennen konnte).
Eigentlich ging es um einen Teambildungsworkshop für eine Nachbarabteilung; da wir aber denselben Bereichsleiter haben und Amy, mein Chef und ich in Organizational Development arbeiten, war das gut für uns, uns kennenzulernen, ebenso zu lernen, wie solch ein Teambildungsworkshop arbeitet. Wir waren also Teilnehmer wie auch Beobachter zugleich. Mir ist vor allem aufgefallen, wie selbstverständlich und offen Amerikaner mit Feedback wie auch persönlichen Einzelheiten umgehen. In Deutschland würde man Persönlichkeitstests machen und sich dann allein vom Trainer die Ergebnisse erklären lassen oder sie sich allein anschauen (zumindest im Geschäftsumfeld, das sieht bei persönlichen Weiterbildungsseminaren sicher anders aus); in den USA macht man den Test, erzählt sich dann, welche Ergebnisse man hat und diskutiert, wie und ob man als Team zusammenarbeiten kann.
Shawn hatte das Seminar mit der Trainerin konzipiert und fragte mich danach, ob es nicht zu persönlich wäre und bei Deutschen auf Vorbehalte stoßen würde (es nahmen vier Deutsche und fünf Amerikaner teil). Ich fand es allerdings eher ganz leicht, von mir zu erzählen und dank der guten Atmosphäre auch nicht befremdlich oder zu persönlich. Was wir Deutschen uns übrigens wirklich abschauen können, ist die Seminareröffnung – man trifft sich um 8:30 Uhr und dann gibt es erst einmal eine halbe Stunde Frühstück. Eleganter Einstieg.
Tatsächlich fällt es mir schwer, mich genau zu erinnern, was diese Woche alles passiert ist. Meiner Englischlehrerin Charlene habe ich schon erzählt, dass ich mich sicher langweilen werde, wenn sich alles einmal beruhigt hat, jeder Tag nicht neuen Hickhack mit Ämtern bringt und ich einfach das Gefühl haben werde, angekommen zu sein. Nichts mehr Großartiges in der Wohnung aufzuräumen, alles eingekauft und Vorräte angeschafft zu haben, zu wissen, wie die Waschmaschine funktioniert und einfach nur das zu tun, was hier jeder macht, leben und arbeiten. Wie eintönig.
Zuerst einmal wünsche ich mir, wieder einen geregelten Arbeitstag auf die Beine stellen zu können. Donnerstag war ich ab Mittag krank – ich warte bei der Kälte ja eigentlich schon seit vier Wochen auf die fällige Verkühlung und jetzt hat sie sich auch eingestellt –, und Freitag musste ich ab Mittag nach Hause, weil sich die Cable Guys angesagt haben, die Jungs, die für viel Geld meinen Fernseher anschließen wollen und gleich noch High-Speed-Internet mitgebracht haben. Immerhin konnte ich wählen, ob sie zwischen acht und eins oder zwischen eins und fünf kommen sollten. Ich wählte Letzteres und sie waren auch wirklich um zwei Uhr nachmittags da und zwei Stunden vollauf mit Strippenziehen durch die Wände und Böden der Wohnung beschäftigt.
Zuerst wollten sie mir nach einer Stunde weismachen, dass die Kabel, die im Haus liegen, nicht funktionieren. Ich bot an, meinen Vermieter anzurufen, der mir gesagt hatte, Kabel wäre kein Problem. Ich wusste ja nicht, dass er bis zu diesem Freitag in Urlaub ist, aber die Aussage hat auch so schon gereicht, dass sie es weiter versuchten und sich am Ende herausstellte, dass die Box, die sie mir da lassen wollten, zwar neu, aber schon kaputt war.
Mit neuer Box war es kein Problem und jetzt habe ich Standard-Kabel und zusätzlich eine Silver Collection, die alle HBO-Sender für 23,45 im Monat ins Haus liefert. Es stellt sich am Wochenende heraus, dass das gar keine schlechte Wahl war, denn HBO ist der einzige unter den ansonsten geschätzten hundertfünfzig Sendern, der absolut keine Werbung, dafür aber gute Filme bringt. Eigentlich wollte ich ihn ja nur, weil ich mir eine Fernsehserie anschaute, von der gerade die absolut letzte Staffel mit einem Megahype an Werbung läuft. Nur HBO bringt das. Außerdem bietet das Standard-plus-Silver-Paket noch circa dreißig Musiksender, die keine Bilder, aber Musik, angefangen von Classics bis 70er über Gospels und Independent bringt. So was wie Radio, nur im Fernsehen.
Freitag war ich außerdem noch bei meinem Autoverkäufer und verhandelte die letzten Einzelheiten wegen des Autos. Wenn alles glattgeht, und da bin ich mir noch nicht sicher, würden wir das am Montag wasserdicht machen.
Als ich dort war, verlor ich plötzlich eine Plombe (nicht zu erwähnen, dass das genau die war, die mein Zahnarzt in Deutschland kurz vor Weihnachten unbedingt noch machen musste, auch wenn es damals überhaupt nicht wehgetan hat – zur Prophylaxe, meinte er, da könnte ein Riss in der Füllung sein, nun gut, jetzt habe ich gar keine Füllung mehr, nur noch eine Zahnruine). Die Jungs bei meinem Cardealer waren so nett, mir einen Zahnarzt zu empfehlen, ein gutes Wort für einen schnellen Termin einzulegen und mir ein Gel zu nennen, das eventuellen Schmerz stillen kann. Das war zum Glück übers Wochenende nicht nötig – ich weiß nicht, wieso, die Ruine ist zwar kälteempfindlich, das ist aber auch alles.
Ich rief also an und fragte auch, ob es denn nicht doch noch am Freitag ginge. Dasselbe tat ich bei dem Zahnarzt, den mir unsere Sekretärin auf der Arbeit nannte. So fand ich heraus, dass in Novi am Freitag kein Zahnarzt Sprechstunde hat. Was auch immer sie tun – golfen wird selbst bei den vielen Golfplätzen in der Umgebung im Winter nicht der Grund sein –, behandeln tun sie jedenfalls auch nicht.
Mein Termin ist jetzt am Montagmorgen um 9:30 Uhr, mein Termin beim Autoverkäufer um fünf Uhr nachmittags. Also würde auch das kein geregelter Arbeitstag werden. Mein Chef muss wirklich Geduld mit mir haben. Und das hat er auch, sagte er. Er habe eh nicht damit gerechnet, dass ich die ersten anderthalb Monate voll einsatzfähig sein würde. Okay, mir ist es peinlich, dauernd privat unterwegs zu sein. Aber wenn wirklich nur ich das so sah, sollte ich damit leben können.
Ich habe meine Social Security Number! Das bedeutete, ich lebe, ich atme, ich bin dabei, den Geisterzustand zu verlassen und ein wirklicher, greifbarer Mensch zu werden. Aber gerade auch nur »dabei«, sozusagen »im Übergang«. Denn gestern bekam ich zwar meinen Ausweis und mit Investition von zwei Stunden Telefonieren am Montag und einer Stunde auf dem Amt am Dienstag weiß ich auch die Nummer, allerdings ist der Name ja falsch geschrieben. Und der richtige Ausweis soll dann Ende Februar kommen.