An den Ufern des Friedens - Berta Reiser - E-Book

An den Ufern des Friedens E-Book

Berta Reiser

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Beschreibung

Berta Reiser: "Am 16. März 1945 war der verheerende Fliegerangriff auf Würzburg. Einige Tage vorher war ich mit meiner Familie (meiner Mutter und drei Kindern) evakuiert worden. Wir kamen in den fränkischen Ort Baunach, wo wir beinahe sieben Jahre blieben. Meine Erinnerungen an diese Nachkriegszeit in ländlicher Umgebung, die uns Heimat wurde, habe ich für meine Kinder und Enkel gesammelt." Eine Sammlung von Kindheitserlebnissen und Geschichte, illustriert durch Zeichnungen und Bilder der Künstlerin.

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Inhalt

Vorwort

Berta Reiser - die Malerin

Zu den Farbbildern

Berta Reiser Erinnerungen

An den Ufern des Mains

Das Heim

Das Kriegsende

Trotz allem: Heimat

Wasser und Holz

Holzgeschichten

Essen

Sommerzeit - Kinderzeit

Badezeit

Herbst

Winter- und Weihnachtszeit

Harter Winter

Nächstes Frühjahr und Sommer

Ausklang

Vorwort

Am 16. März 1945 war der verherende Fliegerangriff auf Würzburg.

Einige Tage vorher war ich mit meiner Familie (meiner Mutter und drei Kindern) evakuiert worden. Wir kamen in den fränkischen Ort Baunach, wo wir beinahe sieben Jahre blieben.

Meine Erinnerungen an diese Nachkriegszeit in ländlicher Umgebung, die uns Heimat wurde, habe ich für meine Kinder und Enkel gesammelt.

Da ich Zeichnerin und Malerin bin, sind es großenteils Zeichnungen und Bilder. Manches stammt aus Beiträgen in der Bamberger Zeitung „Fränkischer Tag“, Beilage Fränkischer Sonntag.

Jetzt, nach einem halben Jahrhundert, ist es Historie geworden.

Ich schildere nicht nur Kindheitserlebnisse, sondern auch Geschichte.

Es ist auch interessant geworden, daß es vieles davon gar nicht mehr zu erleben gibt.

Die Stadt Baunach und ihre Umgebung haben ihr Gesicht verändert.

Die Landwirtschaft ist weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden.

Die 1875 eingerichtete Wiesenbewässerung ist Vergangenheit und mit ihr die Schnakenplage. Es gibt, außer dem neuen Marktbrunnen, keine Straßenbrunnen mehr.

Geblieben sind die historischen Bauten. Für mich war es damals, als ich aus dem zerbombten Würzburg kam, sehr tröstlich, auf dem Lande unzerstörte Kultur zu finden.

Für meine Enkel, die in verschwenderischer Konsumgesellschaft aufwachsen, möchte ich noch etwas anderes aussagen: Es gilt, ein besseres Verständnis zu vermitteln für die wichtigsten Grundlagen unserer Zivilisation, womit sie wohl noch lernen müssen zu sparen:

Wasser, Wärme (Energie), Wald und Wiese.

Trotz Oma‘s mahnendem Zeigefinger hoffe ich, auch unterhaltsame Dinge zu erzählen.

Danken möchte ich allen, die an der Entstehung dieses Büchleins mitgewirkt haben, besonders Herrn Peter Högler, Kreisheimatpfleger im Landkreis Würzburg, für die Unterstützung bei der Auswahl und Anordnung der Zeichnungen.

Die Daten zur Baunacher Geschichte habe ich dem interessanten Büchlein „Stadt und Amt Baunach von Hauptlehrer a.D. Karl Krimm“ (1974) entnommen.

Augsburg, im März 1995

Berta Reiser

Berta Reiser

Zur Malerin Berta Reiser:

Berta Reiser wurde 1908 geboren. Ihre künstlerische Ausbildung erhielt sie an der Kunstakademie in München. 1932 machte sie an der dortigen Technischen Hochschule das Examen für Kunsterzieher. Sie arbeitete als Kunsterzieherin in Würzburg und lebte von 1945 bis 1952 in Baunach bei Bamberg, ab 1952 in Augsburg.

Sie ist Mutter von vier Kindern und Großmutter von zehn Enkeln.

In Bamberg und Augsburg nahm sie als Mitglied des Berufsverbandes Bildender Künstler (BKK) an vielen Ausstellungen teil. In Augsburg und Umgebung hatte sie seit 1985 verschiedene Einzelausstellungen.

Zu den Farbbildern:

Die Bilder sind zwischen 1945 und 1952 entstanden.

Umschlagbild:

Baunach vom Kraiberg aus, Öl Seite 5:

Kirchturm von Baunach Seite 8:

Blick von der Baunachbrücke auf Mühle und Kirche, Aquarell Seite 9:

Dorfstraße im Winter, Aquarell Seite 12:

Kindern beim Spinnen, Aquarell Seite 13:

Bei der Heuernte Seite 16:

Friedhof im Winter, Aquarell

Berta Reiser

Berta ReiserErinnerungen

An den Ufern des Mains

Ein halbes Jahrhundert ist nun bald vergangen seit dem Sommerabend des Jahres 1945, als ich am Ufer des jungen Mains saß, nahe dem heutigen Städtchen Baunach bei Bamberg.

Wenn ich mir die junge Frau von damals vorstelle, fällt mir auf, daß sie anders aussah und sich anders fühlte als heutige Mütter von kaum 37 Jahren, längst nicht so jung. Wohl sind viele junge Frauen heute gestreßt durch Beruf und Familie, aber die meisten sind doch von selbstverständlichem Komfort umgeben, gepflegt und unternehmungslustig.

Alle jungen Mütter, denen ich in der Zeit um 1945 begegnete, waren statt von jugendlicher Lebensfreude von einem zähen Willen erfüllt, zu erhalten, was uns nach dem Zusammenbruch geblieben war, und das Beste daraus zu machen. Der selbstverständliche jugendliche Anspruch auf ein „schönes Leben“ war nicht mehr da.

Es gab schon Frauen, die versuchten, mehr aus ihrem Äußeren zu machen.

Da waren Evakuierte im Ort, Städterinnen aus dem Saarland, die erst spät, beim Vorrücken der Westfront, mit ihren Kindern geflüchtet waren; sie, ebenso besorgte und tüchtige Mütter, brachten es doch schon fertig, sich um ihre Frisuren oder etwas Kleiderverschönerungen oder gar Kosmetik zu bemühen. So etwas nahmen die Dorffrauen übel auf. Die „Fremden“ kehrten auch baldmöglichst wieder heim.

Da ich als Mitglied eines Wandervogel-Jugendbundes nie modisch war, litt ich kaum unter den, im Verhältnis zu heute, ärmlichen Bedingungen: ich war zufrieden, praktisch angezogen zu sein:

mit Kleidern, Hosen oder Schuhen, die sich eben vorfanden; meine Haare trug ich in einem blonden Knoten, aus dem sich immer ein paar Strähnen lösten, meine Hände waren rauh.

Ich war in kurzer Zeit wohlgelitten im Kreis der „Dorf“frauen. Ich denke „Dorf“, wie wir damals auch von „Ober- und Unterdorf“ sprachen, obwohl unser Marktflecken schon halb städtisch war. Der überwiegende Eindruck des Ortslebens war jedoch noch ländlich. Die schwer arbeitenden Bauersfrauen hatten ohne ihre Männer, die Soldaten waren, die Landwirtschaft in Gang gehalten. Hätte es diese Kleinbetriebe nicht gegeben, wäre „der Acker“ nicht so eine heilige Pflicht der Frauen gewesen, es wäre um unsere Ernährung viel schlechter bestellt gewesen.

„Paß mir gut auf die Kinder auf!“ hatte mein Mann zu mir gesagt, als wir Abschied nahmen, bevor seine Einheit nach Rußland kam. Nun, ich hatte alle drei, so gut es ging, durch die Kriegswirren gebracht; jetzt hatte es uns hierher verschlagen, nicht gerade in ein Paradies, aber doch an ein Ufer des Friedens.

Von dem Vater wußten wir damals gerade auch wieder einmal nichts; aber er war ja schon einmal zurückgekommen aus dem Krieg, als Schwerverwundeter sogar, aber er lebte; schon vor Kriegsende hatte er wieder seinen Dienst als Studienrat aufgenommen im Kultusministerium in München; die arge, geheime Angst um den Frontsoldaten war von mir genommen: die Ungewißheit war aber doch zu dieser Zeit wieder da und blieb noch lange.

Als ich hier kurze Zeit müßig saß, kam ich im Halbschlaf ins Träumen.

Neben mir stand ein Leiterwagen, hoch mit Brennholz beladen. Meine zwei Büblein von fünf und drei Jahren spielten am Wasser mit Eifer „Wassermännchen“; sie schleuderten flache Steinchen über die Wasseroberfläche, so daß sie, ehe sie eintauchten, möglichst oft darüber weg spritzten. Anspruchslos und erfinderisch spielten und werkten die Landkinder. Davon haben meine Drei viel mitbekommen.

Der mächtige Kirchturm von Baunach - ein markantes, ortsbildprägendes Denkmal

Das Mühlenwehr der Baunach

Die Wellen des Flusses rauschten um die Trümmer der alten Mainbrücke; es war eine schöne, alte, gedeckte Holzbrücke gewesen, die hier gestanden hatte. Die abziehende deutsche Truppe hatte sie gesprengt. Der neu bestellte Bürgermeister hatte die Trümmer aufräumen und das Holz in ordentlichen Stößen aufsetzen lassen. Ich hatte einen solchen Ster zugeteilt bekommen, und wir hatten ihn in Leiterwagenfuhren hinauf in den Ort gebracht. Dies war die letzte Fuhre: bestes Brennholz, alte Eiche! Ich mußte vor mich hinlächeln, wenn ich an meinen ersten Versuch vor etlichen Wochen dachte, größere Mengen von Brennholz zu ergattern. Damals – wir waren erst ein paar Wochen hier – ging das Gerücht, es werde am Main ein ganzes Floß versteigert, das die Flößer beim Nahen der Kriegshandlungen einfach liegengelassen hatten. Ich rannte natürlich auch hinunter. Meine später so guten Nachbarinnen waren aber schon da und waren für mich schreckerregend. Sie überschrien sich gegenseitig in ihrem Eifer; eine von ihnen, es war eine mir noch unbekannte entfernter wohnende Frau, hatte sich auf einen herausschauenden Stamm gesetzt und kreischte: „Der gehört mir!“ Ich mußte natürlich ohne Erfolg umkehren.

Was sollte ich auch mit solch einem Riesenbaumstamm!? In den Höfen hatten sie Kuh und Wagen, Axt und Säge.

Daß man sich das alles mieten oder beschaffen konnte, wußte ich damals noch nicht.

Als ich saß und dem Wasserrauschen lauschte (es hing noch eisernes Gestänge um die Steinpfeiler, Brocken von Stein und Stahl krachten immer wieder in harten Stößen), da war ich in die Vergangenheit versetzt.

Auf einmal befand ich mich wieder im Feuersturm des brennenden Würzburg. Als ich aus dem dunklen Loch des Luftschutzkellers heraussprang (schnell, eh „die Tür zusammenbricht!“), loderten die Flammen hinter den leeren Fassaden der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Sausen des Feuersturmes wurde immer wieder übertönt vom Krachen einer Zeitbombe oder dem Prall einstürzender Giebel und Dächer. Wir rannten, ein Tuch vor Mund und Nase gepreßt – so wie man im Traum rennt, man glaubt, nicht vorwärts zu kommen – „wir“, ja ich war nicht allein, mein Mann war mit dabei.

Damit war ich wieder wach in der zwar beschwerlichen, aber friedlichen Gegenwart.

Meine kleinen Helfer wurden herbeigerufen, sie mußten das Wägelchen schieben helfen. Mühsam ging es über die Wiesenböschung auf den Weg, und endlich leichter weiter auf der Landstraße. Dann kam die Pontonbrücke, die amerikanische Soldaten gebaut hatten und bewachten. Sie ließen uns friedlich grinsend passieren; die Buben fanden es fein, wie unsere Fuhre über die Bohlen ratterte. Aber jetzt kam die dunkle alte Mainstraße.

Bald ging es steiler bergauf und unter den hohen Alleebäumen neben dem Waldhang dämmerte es schon mächtig. Meine beiden Ritter wurden stiller und vollends ängstlich, als uns an der Kehre ein baumlanger Negersoldat entgegenkam: „ein ungewaschener Ami“, wie mein Kleiner sagte. Als wir mittags mit dem leeren Wägelchen abwärts marschierten, war dieser große Schwarze am letzten Brunnen neben der Straße gestanden und hatte sich in einer Blechschüssel gewaschen: Doppeltes Staunen erregte dies bei Helmutchen: einmal der üppige Seifenschaum; er kannte nur unsere Kriegsseife, ein jämmerliches sandiges Fabrikat, - und zum anderen: der dunkle Riese wurde ja gar nicht heller!

Da kam er in seiner ganzen Schwärze auf uns zu – faßte mit mir die Deichsel und half, das steilste Stück heraufzuziehen. Ich dankte ihm von Herzen und sagte: „You are a gentleman“, als er freundlich lachend wieder abwärts sprang. Welch eine wichtige Erfahrung für meine Söhne!

Das Heim

Als wir vor unserer Baunacher Wohnstatt ankamen, war es fast schon dunkel. Was für ein stattliches Haus: ein barockes Schlößchen! Ein Schloß war es nie gewesen, aber es war als Rathaus des wohlhabenden Marktes 1792 erbaut worden unter Mitwirkung bester Baumeister; inzwischen war es etwas heruntergekommen und wurde jetzt als Schulhaus genützt.

Als wir darin einen Raum bewohnten, hieß es „die alte Schule“, weil es inzwischen eine neue gab. Nur mehr zwei Unterklassen und die Wohnung der Lehrerin gab es in dem weitläufigen Gebäude. Heute ist es renoviert und wieder das Rathaus, ein kennzeichnendes Schmuckstück des Städtchens.

Damals führte eine kleine, stolze Freitreppe zu der hohen Eingangstüre. Sie war freilich sehr ausgetreten und von einem Volk fliegender Ameisen bewohnt. Die beiden Rundbogenfenster, die zu unserem Raum gehörten, hatten noch bleigefaßte Butzenscheiben.

Die drei Meter hohe Rückwand unseres Zimmers ärgerte mich noch lange mit den Spuren der vorherigen Raumbenützung: unter der schlechten Tünche kamen nämlich immer deutlicher Schriftzüge zum Vorschein: bruchstückweise konnte man entziffern: „flink wie Windhunde - zäh wie Leder“ - es waren Parolen der Hitler-Pimpfe: der Raum war Jugendheim gewesen.

Erst als ein Malermeister vom Militär zurück kam, konnte ich diesen Schönheitsfehler oder Schandfleck beseitigen lassen.

Aber was war denn heute abend vor unserem Fenster los? Eine Bande von Nachbarskindern lief bei unserem Kommen auseinander. Der nette Heinrich von gegenüber rief noch zurück: „Mein großer Bruder richtet es morgen wieder.“ Meine Älteste, die neunjährige Irmgard, lehnte halb lachend, halb heulend am offenen Fenster. Hinter dem blondbezopften Mädchenkopf tauchte das vorwurfsvolle Gesicht der Großmutter unter ihrem Kopftuch auf. Irmgard war beauftragt gewesen, das Abendessen bereitzustellen, meine Mutter lag zu der Zeit noch halbkrank und deprimiert zu Bett. Ich konnte mich darauf verlassen, daß mein Töchterlein es verstand, die wesentliche Nahrung, Kartoffeln nämlich, zu kochen, und auch die beliebte Senfsoße mit Magermilch wußte sie herzustellen; eine frühe Tüchtigkeit, aus Not entstanden!

Jetzt sah ich, was passiert war: ein Fensterflügel hing schief, das morsche Fensterkreuz war gebrochen.