Andachten - Johann Friedrich Arndt - E-Book

Andachten E-Book

Johann Friedrich Arndt

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Beschreibung

Arndt glit als einer der bedeutendsten Prediger des 19. Jahrhunderts und hatte sehr großen Einfluss am königlichen Hof. In diesem Buch finden sich fast vierzig seiner schönsten Andachten, jeweils thematisch bezogen auf einzelne Bücher des Alten und Neuen Testaments.

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Seitenzahl: 681

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Andachten

 

 

JOHANN FRIEDRICH ARNDT

 

 

 

 

 

 

 

Andachten, J. F. Arndt

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849661915

 

Der Originaltext dieses Werkes entstammt dem Online-Repositorium www.glaubensstimme.de, die diesen und weitere gemeinfreie Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Wir danken den Machern für diese Arbeit und die Erlaubnis, diese Texte frei zu nutzen.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Altes Testament1

Andachten zu 1. Mose - Genesis. 1

Andachten zum Psalter4

Andachten zum Prediger Salomo. 96

Andachten zu Jesaja. 105

Andachten zu Jeremia. 125

Andachten zu Daniel129

Andachten zu Hosea. 132

Andachten zu Joel133

Andachten zu Micha. 134

Andachten zu Haggai135

Andachten zu Sacharia. 136

Andachten zu Maleachi139

Neues Testament140

Andachten zum Matthäusevangelium... 140

Andachten zum Markusevangelium... 163

Andachten zum Lukasevangelium... 166

Andachten zum Johannesevangelium... 179

Andachten zur Apostelgeschichte. 199

Andachten zum Römerbrief221

Andachten zum 1. Korintherbrief236

Andachten zum 2. Korintherbrief250

Andachten zum Galaterbrief262

Andachten zum Epheserbrief267

Andachten zum Philipperbrief274

Andachten zum Kolosserbrief279

Andachten zum 1. Thessalonicherbrief283

Andachten zum 2. Thessalonicherbrief287

Andachten zum 1. Timotheusbrief290

Andachten zum 2. Timotheusbrief295

Andachten zum Titusbrief299

Andachten zum Philemonbrief302

Andachten zum 1. Petrusbrief303

Andachten zum 2. Petrusbrief308

Andachten zum 1. Johannesbrief310

Andachten zum 2. Johannesbrief315

Andachten zum 3. Johannesbrief316

Andachten zum Hebräerbrief317

Andachten zum Jakobusbrief330

Andachten zum Judasbrief334

Andachten zur Offenbarung. 335

 

 

Altes Testament

 

Andachten zu 1. Mose - Genesis

 

1. Mose 3,15

Gott rufe noch; sollt' ich nicht endlich hören?

Wie lass' ich mich bezaubern und betören!

 

1 Mos 3,15

 

Der Weibessame soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.

 

Advent ist die Zeit der Verheißungen auf Christum. Die Reihe der Verheißungen eröffnet die Weissagung vom Weibessamen und Schlangentreter, an Eva gegeben nach dem Falle im Paradiese. Sie wird von der Kirche das Urevangelium genannt, und sie ist es, ist der Inbegriff des ganzen Evangeliums. Jesu Geburt, Jesu Tod, Jesu Kampf und Sieg, Jesu Herrschaft und Herrlichkeit, und daß Er dem Satan die Macht genommen hat, daß im Fluche der Segen liegt, d es Feindes Fall unser Auferstehen, des Feindes Not unser Brot, des Feindes Tod unser Leben ist: das Alles liegt in diesen verheißungsvollen Worten ausgesprochen. Dieses Wort mußte schon bei unsern Stammeltern mächtig alle Tränen trocknen, und ihren Lebenshimmel in die Farbe der Morgenröte kleiden und Tag und Nacht wie Geläut einer hellen, fröhlichen Adventsglocke über ihrem Haupte tönen. Dieses Wort mußte ihnen werden zum Stern in ihren Nächten, und zum offnen Brünnlein, daraus sie mitten auf dem fluchbeladenen Distelfelde Mut und Friede tranken. Dieses Rettung verheißende Wort hob sie wie auf Engelsflügeln über alles Drückende und Beschwerliche ihrer Lage hinweg und machte ihr Herz wieder frei und froh zu Dem, von dem sie so schnöde sich losgerissen. - O so lobe denn auch meine Seele den Herrn, und vergiß nicht, was Er dir Gutes getan hat! Was ist's nun doch, daß ich mit Adam von meiner Höhe sank, da sich ein solches Erbarmen meiner angenommen! Auf einem solchen Dornenacker läßt sich wohl noch leben, wo eine solche Gottesliebe ihre Arme nach mir ausstreckt. In einem solchen Tränenthale ist es noch wohl auszuhalten, auf dessen Trübsalswegen mir eine solche Huld begegnet. Wie trüb und dunkel es denn auch um mich aussieht: es strahlt doch das Versöhnungskreuz in diesen Wolken! Eine ewige Zuflucht sehe ich doch geöffnet; es wandelt durch das Nachtstück meines Lebens ein Sünderheiland; und an den Säulen dieser Erde steht ein großer Name: „Immanuel!“ Den Namen lesen, und niedersinken, und frohlocken, und das Paradies nicht mehr vermissen, das kann nur Eins sein. Und ist der Lebensadvent schon durch Seine Gnade schön: wie viel schöner wird erst der ewige Christtag sein! Hosianna dem Sohne Davids! Komm, Herr Jesu! Amen.

 

Wach auf, du werte Christenheit,

nimm wahr der freudenreichen Zeit,

dein Heil ist nun vorhanden,

der helle Tag ist wiederbracht,

vergangen ist die finstre Nacht

und große Freud erstanden.

Denn Gottes Sohn kommt uns zu gut,

nimmt an des Menschen Fleisch und Blut,

und will am Kreuze sterben.

Wohl dem, der seine Zuversicht

und Glauben hat auf Ihn gericht,

der wird das Reich ererben.

Durch das gehörte Wort allein

kehrt Er bei jedem Christen ein,

der's nur nimmt recht zu Herzen.

Wer so nicht spürt des Herrn Advent

und Ihn durch's Wort nicht recht erkennt,

der wird das Heil verscherzen.

Hilf, Vater, hilf, Du wahres Licht,

wenn halten wird Dein Sohn Gericht,

daß wir recht wohl bestehen,

und wie die Jungfraun, klug und fein,

mit Lampen schön gezieret sei,

zur Hochzeit einzugehen.

1. Mose 49,9-12.

 

Als Jacob auf seinem Sterbebette lag und seine Kinder alle um sein Lager versammelt hatte, that er als ein Prophet Gottes über einen jeden einen Spruch. alle diese Sprüche waren wunderbar, keiner aber wunderbarer, als den er über Juda that. Er verhieß ihm nicht allein Sieg und Macht über alle seine Feinde, sondern auch königliche Gewalt und Herrschaft über seine Brüder und alle Stämme Jacobs. Deßhalb nennt er ihn auch einen jungen Löwen, der, wenn er vom Raube gesättigt, zu den Bergen zurückkehrt, daselbst nun sich niederläßt und im Gefühl seiner Kraft erwartet, ob ihn sammt der Löwin und ihren Jungen Jemand angreifen werde. Das ist nun Alles erfüllt, denn es ist Juda der königliche Stamm geworden, der Heerführer der andern, aus welchem auch David entsprossen ist, der wie ein Löwe alle seine Feinde erwürget hat und ist König worden über alle Stämme Israels. Noch herrlicher ist es erfüllt worden, da Christus kam, welcher aus dem Stamme Juda nach dem Fleisch geboren ist, auch genannt wird in der Schrift der Löwe aus dem Stamme Juda (Offbg. 5,5), darum, daß Er, nachdem Er gleichsam niedergekniet und sich erniedrigt zum Leiden des Todes, hoch kommen ist und als ein König seines Volks und Ueberwinder aller seiner Feinde erwartet, wer sich wider Ihn auflehnen werde. Denselben verkündigt Jacob noch deutlicher, wenn er Ihn den Helden und Gesetzgeber nennt, dem die Völker werden anhangen; wenn er nicht nur die Fruchtbarkeit und den Weinreichthum des Landes Juda rühmt, sondern auch den edlen Reben und Weinstock, an den die jüdische Kirche und die ganze Welt sollte gebunden werden, Jesum Christum, preist und seine Farben roth und weiß nennt, roth vom Blut, das Er für die Sünder vergossen, und weiß wie die Unschuld. Du hast gesiegt, Du Löwe aus dem Stamme Juda, Sünde, Tod, Teufel und Hölle liegt zu Deinen Füßen, wer will sich wider Dich auflehnen? Deine Brüder aber loben Dich, daß Du sie erlöset hast von der Hand ihrer Feinde, und kennen keinen andern Helfer und Meister als Dich. Komm heran, Du Held, gürte Dein Schwerdt an Deine Seite, zeuch einher der Wahrheit zu gute, und führe Dein Gericht zum Siege hinaus, damit Deines Vaters Kinder sich alle vor Dir neigen. Amen.

 

 

Andachten zum Psalter

 

Psalm 1

 

Vor Gott gibt es keine Mittelklassen, sondern nur zwei Klassen von Menschen: Gottlose und Gerechte. jene bilden drei Stufen: Gottlose im engeren Sinne, ungöttliche Menschen, die kein Leben aus Gott haben, sondern nur von der Welt sind, dann Sünder, bei denen das innere Verderben nicht mehr verborgen, sondern herausgetreten ist in mehr oder minder groben Ausbrüchen, welche bis zur Leidenschaft, bis zum Laster erreifen; sie fallen von einer offenbaren Sünde in die andere, und werden zuletzt Spötter und Verräther alles Heiligen. So geht es mit ihnen immer tiefer herunter, bis sie sterben, und die Seele dann entblößt dasteht und schnell dann dem anheimfällt, dem sie innerlich angehört. Traurige Zukunft der Gottlosen! Ihnen ist nicht wohl, wie den Gerechten, sie bestehen in keinem göttlichen Gerichte, sie haben sich selbst ausgeschieden aus der Gemeinde Gottes, und die ganze Summe ihrer Grundsätze, Wünsche, Pläne und Hoffnungen wird zuletzt in ihrer Nichtigkeit offenbar. – Wie ganz anders die Gerechten, deren Lust es ist, Gottes geoffenbartes Wort zu lesen und zu lernen, zu hören und zu verstehen! Wie sie wachsen wie Bäume in der Gnade durch die beständigen Geisteszuflüsse von oben! Wie sie Früchte des Glaubens und der Treue, der Liebe und des Gehorsams und der Hoffnung des ewigen Lebens tragen! Wie ihre Werke in lange dauerndem Segen bleiben und ihnen nachfolgen in die Ewigkeit! Wie der Herr sich zu ihnen und ihrem Wege bekennt! – Herr, bewahre meine Worte vor der Gemeinschaft, vor den Rathschlägen und Spottreden der Gottlosen, ja, vor jeder Lust an der Sünde, und gib mir Gnade, daß ich meine einzige Lust an Deinem Worte habe, darnach meinen Gang, meine Worte und Werke einrichte, täglich den einen oder andern Spruch in meinen Gedanken habe, damit aus- und eingehe, in Deiner heiligen Furcht wandle, davon gern rede und mich Deiner niemals schäme. Laß diesen ersten Psalm zeitlebens meine Lebensregel bleiben, und wenn ich davon weiche, führe mich zurück. Amen.

 

Psalm 2.

 

Die Wahrheit dieser Worte hat besonders das Osterfest bewährt. Da hast Du freilich, ewiger und mächtiger Gott, Deinen Sohn zum Könige in Deiner Kirche auf Deinem heiligen Berge Zion eingesetzt, daß Er ihr Haupt, Regent und Beschützer sein soll. Laß Ihn nun auch in mir seine köstliche Regierung aufrichten, daß Er regiere meine Gedanken, damit ich beständig mit Dir umgehe, an Dich denke, mich Deiner Liebe erfreue, wo ich aus- und eingehe, arbeite und bin, mir Deine heilige Gegenwart vorstelle; - daß Er meine Zunge und Lippen regiere, damit nichts Unreines vorgebracht werde, sondern ich sie aufthue zu Deinem Lobe, zum Nutzen des Nächsten und meinem Beruf ein Genüge zu thun; - daß Er regiere mein Leben, meine Gänge, damit ich als ein Kind Gottes auf Dein Gebot und Deinen Willen sehe. O seliges Leben, wenn Jesus mein König ist! Unter Seiner Regierung ist mir wohl. Er bewahrt mich vor schweren Rückfällen, schenkt mir seinen heiligen Geist zum Führer und Tröster, der mich heilige, Welt und Sünde mir bitter mache. Andere Könige nehmen von ihren Unterthanen Geschenke und Gaben, lassen sich Schoß und Zoll zahlen; aber mein Jesus schenkt mir herrliche, himmlische und ewige Gaben hier in der Zeit und unaussprechliche Güter in der Ewigkeit. Er kleidet mich mit seiner Gerechtigkeit, wäscht mich von Sünden mit seinem Blut, und bringt mich endlich zum völligen Genuß seines Königreichs. Indessen gibt Er mir Kraft, wider die Sünde zu streiten. Darum toben die Völker, mein Fleisch und Blut widerstrebt dieser Regierung, die Welt lacht darüber; allein ich befinde mich wohl dabei. Mein Jesu, sei und bleibe heute und allezeit mein König, Licht und Leben, ich entsage allen Dingen ab und übergebe mich Dir mit ganzem Herzen und Willen. Lösch’ alle Sünden aus in mir, mein Herz mit Lieb’ und glauben zier’, und was sonst ist von Tugend mehr, das pflanz’ in mir zu Deiner Ehr’! Amen.

 

Psalm 3 u. 4.

 

Wohl denen, die also sprechen können: „Ich liege und schlafe ganz in Frieden; denn allein Du, Herr, hilfst mir, daß ich sicher wohne.“ David hatte in seinem Leben viel zu schaffen mit seinen Feinden, er warnte sie vor Majestätsschändung, Eitelkeit und Lügen, er ermahnte sie zur Erkenntniß der wunderlichen und doch so herrlichen Wege Gottes, zur Mäßigung, Sanftmuth und Gerechtigkeit: Alles umsonst, er richtete nichts damit aus, sie spotteten meistentheils seiner nur um so frecher und riefen: wie sollte uns dieser weisen, was gut ist? Da wendet er von ihnen sich weg zu seinem Gott und jauchzt: „Du erfreust mein Herz, ob jene gleich viel Wein und Korn haben; ich liege und schlafe ganz mit Frieden; denn allein Du, Herr, hilfst mir, daß ich sicher wohne.“ Er wußte aus Erfahrung, worin die rechte Freude besteht. – Gottes Gnade allein gibt uns Schutz und Schirm. Wer ihrer gewiß ist, läßt der Welt gern ihre Schätze, Freuden und Ehren, bekümmert sich um das Zeitliche niemals, und kein Feind ist im Stande, seine Ruhe zu stören. Aber freilich kommt Alles darauf an, daß wir in der Gnade fest stehen, und das ist nicht leicht. Manche geben sich ein heroisches Aussehen, und im Herzen wackelt doch Alles. Wenn man diese fragt: Hast du denn wirklich etwas Festes? so können sie weder Ja noch Nein sagen. Und dies ist das sicherste Zeichen, daß sie noch nichts Festes haben. Sie bauen in die Höhe, und haben noch keinen Grund gelegt: was Wunder, wenn dann Stöße kommen und das ganze Gerüste zusammenfällt? Und doch ist die Gnade Gottes etwas, das Jeder frei und umsonst haben kann. Gott schenkt sie jedem armen Sünder, aber auch nur Dem. Man muß zuerst innerlich zusammenbrechen, dann erst wird man von oben stark und kräftig. Die Naturkraft muß der Gnadenkraft Platz machen, und die falschen Stelzen dem Grund, außer dem kein anderer gelegt werden kann. Christus muß den Stärksten zum Schwächsten und den Reichsten zum Aermsten gemacht haben, dann wird Eisen und Erz an unser Schuhen sein, und unser Alter wird sein wie unsere Jugend. (5. Mos. 33,25.) Die festesten Gottesmänner sind nur in den Abgründen und in den Thränen stark geworden. Amen.

 

Psalm 6.

 

Dies ist der erste Bußpsalm Davids in der Reihe der sieben Bußpsalmen, (32. 38. 51. 102. 130. 143.) und enthält ein gar bewegliches Klaggebet um Abwendung des göttlichen Zorns. Mit diesem Psalm tröstete im Jahre 1541 Dr. Luther eine betrübte und angefochtene Person und sagte: „Ich, Dr. Luther, bin auch in solchen Anfechtungen gewesen, die meinen Leib gar verzehrten, daß ich nicht wohl Athem hatte und mich schier kein Mensch trösten konnte; denn wem ichs klagte, der sagte: „Ich weiß nichts von dieser Anfechtung,“ daß ich darauf sagte: Bin ich’s denn allein, der ich den Geist der Traurigkeit leiden muß? Aber ich war’s nicht allein. Siehe den König David an, der hat diese Anfechtung auch gehabt. Er sprach wohl ernstlich: „Ich aber sprach, da mirs wohl ging, ich werde nimmermehr darniederliegen.“ (Ps. 30,7.) Darnach aber sprach er: „Ach, Herr, strafe mich nicht in Deinem Zorn und züchtige mich nicht in Deinem Grimm.“ (Ps. 6,2.) Diesen Vers habe ich aus der Erfahrung gelernt: „Ich schwemme mein Bett die ganze Nacht und netze mit meinen Thränen mein Lager.“ (Ps. 6,7.) – Freude und Leid, beides gehört zusammen; wer das Eine will, muß auch das Andere haben. Darum stehen neben den Lob- und Dankpsalmen auch Buß- und Klagpsalmen und folgt auf den Sonntag Jubilate der Buß- und Bettag des Jahres. Mit der Genesung der Seele geht’s einmal nicht anders. Sünde und Gnade bleiben, so lange wir leben, die Angeln, um die sich unser Christenthum dreht. Beim Blick auf die Gnade daher lauter Dank, beim Blick auf unsere Sünde lauter Buße! Des Christen Leben daher ein immerwährendes Loben und sich Beugen! Auf das: Herr, sei mir gnädig! folgt immer das Bekenntniß: denn ich bin schwach. Die Noth allein macht Füße. Vollends die Seelen- und Sünden-Noth. Die Bußthränen sind das beste Vorbeugungsmittel vor der Hölle. Doch ist es nicht sowohl das weinende Auge, als das zerbrochene Herz, worauf Gott sieht. Um solches Herz bitte ich Dich; Herr, gib, Herr erhalte es mir bis an mein Ende. Amen.

 

Psalm 8.

 

Herr, wie sind Deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weislich geordnet! Du hast die Sterne erschaffen. Du hältst sie in ihren Bahnen. Seit Jahrtausenden wandeln sie ihren stillen Gang nach unwandelbaren Gesetzen. Noch ist keiner aus seiner Bahn geglitten, noch hat keiner seinen Weg verändert. Wie am ersten Morgen der Schöpfung, so gehen noch heute auf und nieder die Sterne. Wie ein Hirt seine Heerde, so weidet Jehovah das Heer derselbigen. Sie gehorchen alle dem Wink ihres einigen Meisters. Wo ist denn das starke Band, das die Welten in ihrem Umschwung hält? Deine Allweisheit, Unendlicher, hat gewoben das unsichtbare Band. – O meine Seele, lobe den Herrn! Gehe mit deinen Augen von Stern zu Stern, und erkenne es tief im Staube, wie groß Gott ist und wie klein du bist, wie Thorheit so oft deine Schritte bezeichnet, aber Weisheit die Bahnen der Sterne! Willst du Ihm nicht unwandelbar vertrauen? Der die Sterne hält, wird auch dich nicht fallen lassen! Der den Welten die Bahnen zeigt, wird auch deinen Weg durch’s Leben bahnen! Der das All regiert, wird auch deines Hauses sich erbarmen! Gott, heller und heller lese ich es in Deinen Sternen: Du bist die Liebe! – Freundlich ist der Sterne Schimmer. Wie hebt das dunkle Blau des Himmels ihren funkelnden Glanz! Von jedem Stern grüßt Seine Liebe uns. Wenn es hier unten dunkelt, dann wird es dort oben helle. Nur die Erde kennt Nacht: im Himmel ist es Licht. Wenn ich auf Erden nicht sehen kann, will ich aufwärts zu den Sternen meinen Blick erheben. Wie es schon jetzt am Himmel helle ist, wenn es auf Erden dunkel ist, so wird einst im Himmel alles Erdendunkel sich lichten. – O meine Seele, lobe den Herrn! Sein Licht ist dir aufgegangen! Die Irrlichter sind nur auf der Erde, also – am Himmel zünde dein Licht an! In Gott das höchste Licht zu erblicken, das lehret mich der Sternenhimmel. Die Erde ist dunkel, das menschliche Herz ist es auch. Die Erde wird von oben erleuchtet, das menschliche Herz wird es auch. Von oben muß kommen das Licht in die Seele, sonst bleibt sie ein dunkler Ort. Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichtes! Amen.

 

Psalm 10.

 

Habe Dank, Herr Jesu, für Deine große Liebe, welche Dich bewogen, Dich in’s Gericht stellen zu lassen an meiner Statt, und in allen Stücken mir gleich zu werden und alle Lagen zu theilen. Du bist der König Himmels und der Erde; sei nun auch der König meines Herzens. Du bist ein ewiger König: so ist auch Dein Reich ein ewiges, unvergängliches Reich. Mache mich zu einem treuen Unterthan in demselben, damit ich in Deinem Reich unter Dir lebe und Dir diene in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit. – Herr Jesu, Pilatus zeugt von Deiner Unschuld; eine Stunde vorher hatte Judas ein Zeugniß davon abgelegt, jetzt thut es gar der Richter selbst. So mußte Deine Unschuld offenbar werden, damit wir wüßten, ob Du um eigner oder um fremder Sünden willen littest. Gottlob, daß Du bezahlet, was Du nicht geraubt hast! Das war aber dem Satan unerträglich, daß Du solltest unschuldig sein; deßwegen feuerte er auf’s neue seine Werkzeuge an, Dich hart zu verklagen. Du schwiegest aber still wie ein Lamm, das verstummet vor seinem Scheerer. Herr Jesu, dies laß mich Dir im wahren Glauben nachthun. Wenn der Verkläger mir meine Sünden vorrückt, so laß mich in heiliger Stille meine Zuflucht zu Deiner Unschuld nehmen und mich weiter in keinen Wortwechsel mit ihm einlassen. In allen Leiden lehre mich die große Kunst, stille zu sein, damit ich mich nicht durch Entschuldigungen oder Klagen versündige; sei Du auch in diesem Stück mein Versöhner und Exempel. – Der Landpfleger verwunderte sich sehr über Dein Stillschweigen; o wenn er die tiefen Geheimnisse Deines heiligen Stillschweigens eingesehen hätte, wie würde sich der Heide dann erst verwundert haben! Darnach fragt er aber nicht. So macht’s die Welt noch. Wenn etwas Merkwürdiges im Reich der Natur oder Gnade geschieht, so verwundert sie sich wohl zuweilen sehr; das ist aber auch Alles. Daß es doch bei mir anders sei! Daß Du doch durch Alles Deinen Zweck an mir erreichest! Gib Du mir ein solch aufmerksames und folgsames Herz, um der Verdienste Deiner Leiden willen. Amen.

 

Psalm 11.

 

Herr Jesu, tausend Dank sei Dir gesagt für alle vor Herodes übernommenen Leiden, in denen Du den 11. Psalm auch an Dir bewährt hast! Laß mich aus Deinem heiligen Verhalten Weisheit, Sanftmuth, Geduld und Stille lernen. Dein Verspotten, Dein Verhöhnen müsse meine Schuld versöhnen! Dein Herumführen von einer Obrigkeit zur andern befreie mich von der Obrigkeit der Finsterniß. Dein Stehen im Gericht helfe mir, daß ich im jüngsten Gericht bestehe und nicht zu Schanden werde. Deine Sanftmuth sei die Versöhnung meines rachgierigen Herzens. Dein weißes Kleid, mein unschuldiger Heiland, war wohl ein Bild Deiner Heiligkeit und Unschuld: diese sei mir eine vollkommene Decke meiner Schuld. Möchte ich so oft an Dein weißes Spottkleid gedenken, als ich ein weißes Hemd anziehe, und mir meine tägliche Kleidung dadurch geweihet sein! Dein weißes Kleid heilige mir auch mein weißes Sterbekleid; Dein Blut, Unschuld und Gerechtigkeit sei auch alsdann mein Schmuck und Ehrenkleid, daß ich sagen könne: In des Keltertreters Wunden hab’ ich meinen Schmuck gefunden. – Herr Jesu, alle Schmach, die Du vor Herodes erduldet, widerfährt Dir noch täglich, ob Du schon auf dem Thron der Herrlichkeit sitzest. Erfülle mein Herz mit einer heiligen Ehrfurcht vor Deiner Majestät, daß ich Dich ja nicht verunehre. Dein heiliger Geist verkläre Dich in meiner Seele in Deiner unaussprechlichen Würdigkeit, daß ich Dich über Alles hoch und theuer achte, und Dir zu dienen und im Staube zu Deinen Füßen anzubeten für meine größte Ehre halte, Dich auch in Deinen von der Welt verachteten Gliedern nicht kränke, sondern Dein Bild an ihnen ehre und sie stets höher achte als mich selbst. Wie Du bist zum Hohngelächter ausgestellt worden, so laß mich die Welt mit allen ihren Thorheiten verlachen. Lache Du mich an, mein Freund, und zeige mir Dein holdseliges Angesicht in meinem Leben, im Leiden und besonders im Sterben. O da sei mir nur nicht schrecklich, meine Zuflucht in der Noth, sondern stärke mich so kräftig durch die Erkenntniß Deiner Freundlichkeit, daß ich auch im Tode Dir entgegenlache und den Tod selbst verlachen kann: Alles um der Verdienste Deiner Leiden willen. Amen.

 

Psalm 12.

 

Wenn irgend Einer die Zunahme der Gottlosigkeit auf Erden erfuhr, so warst Du es, Herr Jesu. Eine neue Ungerechtigkeit wurde an Dir verübt durch die Zusammenstellung Deiner Person mit der des Barrabbas. Freilich stehst Du da an meiner Statt. Niemand kann mit Grund der Wahrheit ein Verbrechen auf Dich bringen, und Du mußt doch haften. Der Mörder kommt los, und Du bleibest im Gerichte stecken. O der Mörder und Aufrührer, der den Tod verdient hat, der sonderliche Bösewicht und Aufrührer, der den Tod verdient hat, der sonderliche Bösewicht vor andern, der bin ich. Nun darf mir vor keinem Steckenbleiben, in keiner Noth, im Tod und auch selbst im Gericht angst sein, Du hilfst mir durch Alles hindurch und heraus, wenn ich mich nur im rechten Glauben an Dich halte. Ja, Du sagst sogar, wer an Dich glaube, der komme gar nicht in’s Gericht. So Vieles hast Du hier erworben. Aber ob Du gleich ein so köstlicher Heiland von so unschätzbaren Verdiensten bist, so mag Dich doch fast Niemand haben. Die Hohenpriester, Schriftgelehrten und das ganze Volk sähen Dich gern aus dem Lande der Lebendigen vertilgt, rufen und schreien unablässig: Weg mit diesem! Pilatus weiß auch nicht, wozu er Dich brauchen soll, fragt daher das Volk: „Was soll ich denn machen mit Jesu?“ Ei nun, mein Heiland, mir bist Du ganz unentbehrlich, Du allerhöchstes Geschenk des Himmels; komm, komm her zu mir, ich kann und will Dich zu Allem brauchen, und Du bist mir von Deinem Vater zu Allem gemacht, wozu ich Dich nöthig habe, besonders zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung. Dazu will ich Dich denn auch gebrauchen, denn dazu habe ich Dich eben nöthig, und Du bist mir daher ganz recht. – Pilatus ergibt Dich in den Willen des Volkes: Dein Vater übergibt Dich mir, auch zu meinem Willen. Daß ich nur mit Dir handle nach dem durch Deinen Geist in mir gewirkten guten Willen, den Du aber immer mehr stärken und reinigen wollest. So werde ich Dich gläubig annehmen und recht gebrauchen zu meinem Hohenpriester, Propheten und König. Ich werde einst Rechenschaft geben müssen, wie ich Dich angewendet und mir zu nutze gemacht habe. Dein Steckenbleiben im Gericht gebe mir Freudigkeit, mich täglich selbst zu richten, den Richter aber getrost als meinen versöhnten Vater im Beten anzurufen. Amen.

 

Psalm 13.

 

Mußte nicht Jesus so jammern, als seine Leiden gar kein Ende nehmen wollten? Unschuldig warest Du, o Herr, und doch ließ Pilatus Dich nicht los, sondern begnügte sich damit, Wasser zu nehmen, seine Hände zu waschen und zu sprechen: Ich bin unschuldig an dem Blute dieses Gerechten; da denn das Volk mit lauter Stimme ruft: “Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ Ach mein Heiland, ich kann nicht sagen, daß ich unschuldig sei an Deinem Blute; nein, ich bin schuldig daran, meine Sünden haben es Dir im Oelgarten ausgepreßt, sie waren die Peitschen, die Dich bis auf’s Blut gegeißelt: die Henker, die Dich gequält; die Dornen, die Dich gestochen; das Marterzeug, das Dich gekreuzigt. Ich bin schuldig geworden an Deinem Blute, da ich meine Seele, welche Du bei der heiligen Taufe in demselben gewaschen, wieder durch muthwillige Sünden befleckt; ja, durch jede Unterlassungs- und Begehungssünde habe ich mich in Deinem Blute schuldig gemacht. Ach, mein Erbarmer, ich erkenne und bekenne meine Schuld, rufe aber mit bußfertigem und glaubensdurstigem Herzen: Dein Blut komme über mich, nicht zum Fluch, sondern zum Segen und zu meiner Reinigung. In Dein Blut muß ich meine nackte Seele verhüllen, darum komme Dein Blut über mich zu meinem Kleide. Mit Deinem blute muß ich meine häßliche Seele schmücken und zieren, darum komme Dein Blut über mich zu meinem Schmuck. Mit Deinem Blute muß ich meine hungrige und durstige Seele speisen, tränken und laben, darum komme es über mich zu meiner Sättigung und Erquickung. Dein Blut muß meine Wunden heilen als die beste Salbe in Gilead, so komme dasselbe über mich zu meinem Heilbalsam. Soll ich in Sünden Todter wieder zu dem geistlichen Leben, das aus Gott ist, gelangen, so muß Dein Blut mich beleben. Ja, soll ich ein Mitgenosse des frohen, ewigen Lebens werden, so muß ich es um Deines Blutes willen erbitten und erlangen. Kurz, Herr Jesu, Dein Blut komme über uns und über unsere Kinder zu dem Endzweck, wozu Du es vergossen. Amen.

 

Psalm 15.

 

Ich gehe nun zu meiner Ruhestätte nach vollbrachter, mühsamer Tagesarbeit; ich höre auf mich zu bemühen, vergesse der Welt und lege alle meine Sorgen in Deinen Schoß. Bewahre mich und die Meinigen, Du nimmer schlafender Hüter und Wächter Israels, vor allem, was mir Schaden bringen könnte; halte ab alle, die nicht schlafen, bis sie Böses gethan. Behüte mich vor unruhigem Wachen, vor herzfressenden Sorgen, und vor gefährlichen Zufällen. Laß mich mit guten Gedanken einschlafen, unter Deinem mächtigen Schutz sicher liegen, und morgen mit einem fröhlichen Gemüthe, mit gesundem Leib und neuen Kräften mein Lager zu rechter Zeit verlassen, und Dir zu Ehren und meinem Nächsten zum Besten ferner dienen, so lange es Dir beliebt, damit ich allezeit wohne in Deiner Hütte und bleibe auf Deinem heiligen Berge.

Die Liebe, mit der ich meinem Nächsten verbunden bin, heißt mich auch für denselben bitten. Schone deren, o Gott, die Dich heute beleidigt haben, und denke an die in Gnaden, die noch nicht ernstlich an Dich denken in Buße und Besserung; erleuchte, die noch in Finsterniß wandeln, und deren Namen in Dein Buch geschrieben sind. Erbarme Dich derer, welche die Sonne in ihrem Zorn haben untergehen lassen; stärke, die in der Nacht noch arbeiten müssen; begleite die Reisenden; sei ein Vater aller Trostlosen, ein Arzt und Helfer der Kranken, die elender Nächte viele haben, und erleichtere die Stunden denen, die nicht schlafen können.

Und weil mein Leben einmal wird ein Ende nehmen, so laß mich auch am Ende dieses Tages an das Ende meines Lebens denken. Wann der letzte Abend meines Lebens kommt und mir die Sonne zum letztenmal untergeht, so fahre sie immer hin: bleib’ Du nur alsdann bei mir, Herr Jesu, Du Sonne der Gerechtigkeit; gehe in meinem Herzen nimmermehr unter, und nimm meine Seele zu Dir. Deine Heiligen werden wie die Sterne droben im Himmel leuchten: laß mich auch, wie das geringste Sternlein, ewig leuchten droben in Deines und meines Vaters Reich, und gib mir aus Gnaden mein Kindertheil, was Du für mich verwahrt und hingelegt hast in dem Himmel. Amen.

 

Psalm 16.

 

Kommst Du, Herr Jesu, dem schwachen Thomas entgegen: so eile auch zu meinem Trost und zur Hülfe herbei, wenn mein Glaube schwach und wankend wird, damit ich allezeit den 16. Psalm beten kann. Hast Du Thomä Verlangen erfüllt, weil es seiner Seele heilsam und nothwendig war: ach, so gib mir auch die himmlischen Gaben in reichem Maaß, Deinen heiligen Geist, ein frommes Herz, Abscheu vor allen Sünden, eine heilige, aufrichtige und beständige Liebe zu Dir, einen lebendigen, mein Herz und Leben heiligenden Glauben. Du weißt, daß ich ohne diese Gaben nicht in Deiner Gnade bleiben und auch nicht selig werden kann; darum laß Deine Liebe mich umfassen und erfreuen. Warest du willig, Deine Wunden dem Thomas nach Verlangen zu zeigen, so sollen auch dieselben mir in meinem ganzen Leben und zu allen Zeiten zu meiner Seele Erquickung dienen. Ich will daran gedenken in gesunden Tagen, und in Betrachtung derselben vor der Sünde fliehen, wie vor einer Schlange. Sollte ich Den mit Wissen noch betrüben wollen, der sich für mich hat blutig schlagen lassen? Ich will an Deine Wunden gedenken in meinen Angststunden, wenn das Sündenregister mich schreckt. Wenn mir der Satan die Seligkeit abspricht, so will ich im Glauben sprechen: diese Wunden sind auch für mich geschlagen, sein Blut ist das Lösegeld für alle meine Sünden. Mein Jesu, reiche mir auch Deine Wunden dar in der Stunde meines Todes, daß ich darein fliehe, mich Deiner Genugthuung tröste und um derselben willen Gnade erlange. Du wirst ja nicht zugeben, daß ich verwese, sondern mir kund thun den Weg zum Leben; vor Dir ist Freude die Fülle und liebliches Wesen zu Deiner Rechten ewiglich. Erschienest Du dem Thomas bald zum Troste und ließest ihn nicht länger als acht Tage in seinem Zweifel und in seiner Ungewißheit: ach, so verzeuch auch nicht, wenn ich mit Trübsal umgeben bin, wenn ich allerlei äußerliches oder innerliches Elend an meinem Leibe oder Gemüthe trage. Indessen laß meinen Glauben nicht aufhören, stärke und erhalte mich in Deiner Gnade, und erfreue mich, wie Du Thomas erfreut hast. Amen.

 

Psalm 17.

 

Ein Klagepsalm Davids, in großer Noth und Gefahr durch feindliche Bedrängniß! Er schildert ausführlich und beredt die gottlose Bosheit der Feinde, welche Gott laut zum Einschreiten auffordert, und hofft zum Schluß freudig auf das Heil des Herrn, - warum? Um seiner Gerechtigkeit willen, die so fern ist von aller Heuchelei, daß sie die schärfste Prüfung der in die verborgensten Tiefen des Herzens eindringenden göttlichen Allwissenheit nicht zu scheuen braucht. „Wie? Erkannte und fühlte denn David nicht seine Sünde?“ Allerdings, und tief genug, z.B. Ps. 143: „Gehe nicht ins Gericht mit Deinem Knechte, denn vor Dir ist kein Lebendiger gerecht.“ Er meint damit auch keine vollendete Heiligkeit, sondern nur das aufrichtige, sittliche Streben, die der Erfüllung des göttlichen Gesetzes eifrig nachtrachtende Grundrichtung des Gemüths, bei deren Vorhandensein Gott die mannichfachen Schwachheiten nach seiner Gnade verzeiht. Und in dem Sinne müssen auch wir beten können: Herr, erhöre die Gerechtigkeit. Diese Lebensgerechtigkeit sproßt aus der Vergebung der Sünden, welche das Aufgeben aller eignen Heiligkeit und Verdienstlichkeit zur Voraussetzung hat, aus der Glaubensgerechtigkeit, die Jesu Verdienst als das allein zur Seligkeit Unentbehrliche und Ausreichende ergreift, und ist so gewiß ein unterscheidendes Merkmal aller Erwählten, so gewiß eine unerläßliche Bedingung der göttlichen Hülfe, als der wahre Glaube durch und durch sittlichen Character trägt und denjenigen, welche Gott mit müßigen Gefühlen abfinden zu können wähnen, gleich von vorn herein das ernste Wort entgegenruft: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.“ – Ach, Herr, das Gebet: „Erhöre die Gerechtigkeit“ erschreckt und erfreuet mich zugleich; es erschreckt mich, wenn ich an meine wirkliche Ungerechtigkeit gedenke, und doch erfreut es mich auch wieder, da die Gerechtigkeit Deines Sohnes für mich zu Dir ruft und schreit und Du das Herz ansiehst, das aufrichtig und ernst es mit Dir meint und gern gerecht und heilig sein möchte vor Deinen heiligen Augen, und den Mund in seinen Gebeten zum Dolmetscher seiner Arglosigkeit macht. Und so wage ich denn auch, ohne Beben zu sprechen: Herr, erhöre die Gerechtigkeit. Amen.

 

Psalm 18,1-21.

 

Herr, Du großer und reicher Gott, ich weiß nicht, was ich von Dir bitten soll. Du allein weißt, was ich bedarf, und liebst mich mehr, als ich mich selbst zu lieben weiß. Ich wage es nicht, weder um Trübsale, noch um Tröstungen zu bitten; ich komme bloss vor Dein Angesicht, ich öffne Dir mein Herz. Siehe meine Bedürfnisse, die ich nicht kenne; siehe und thue nach Deiner Barmherzigkeit. Schlage mich oder heile mich, lege mir eine Last auf oder erlöse mich davon, ich bete in allen Stücken Deinen Willen an, ohne ihn zu erkennen, ich schweige, ich opfere mich auf, ich gebe mich hin. Ich habe keinen Wunsch als den Wunsch, Deinen Willen zu erfüllen.

Du, o mein Gott, mein Vater, Du weißt, ob ich Dich lieb habe. Du weißt es, denn mir selbst ist der Grund meines Herzens verborgen. Aber ich will Dich lieben; ich fürchte Dich nicht genug zu lieben, und ich bitte Dich um Fülle der Liebe. Du siehest mein Verlangen und wirkst es in mir. O Gott, der Du mich so innig und so endlos liebst, siehe an nicht mich und meine Ungerechtigkeit, sondern was Du in mir liebst, und gib mir Fülle der Liebe.

Was kann mir mangeln, wenn ich Dich habe? Nichts ist gut als Du, Herr. Nimm mir Alles, Ehre, Freude, Gesundheit und Leben; so lange Du selbst Dich meinem Herzen nicht entziehst, bin ich reich und habe Alles, und ist mir nichts verloren. Ich bin in Deiner Hand. Du leitest mich nach Deinem Rath, und nimmst mich endlich mit Ehren an. Wenn Deine Kraft in meiner Schwachheit mächtig ist, so kann mir nichts mangeln.

Gott, Du bist Herr der ganzen Natur; Alles gehorcht Deiner Stimme, Alles lebt durch Dich. Du bist meiner Seelen Seele, bist mir näher als ich mir selbst bin. Alles ist Dein; soll mein Herz es nicht auch sein? Du hast es gemacht und Du liebst es. Dir gehört es und nicht mir. Und Du willst auch mir gehören und mein sein. Nun, Herr, ich liebe Dich und habe kein anderes Gut, und will kein anderes haben. Ich begehre nicht außerordentliche Erkenntnisse, ich begehre nur Dich, und was mich zu Dir führen kann. Nach Dir dürstet meine Seele. Mache es mit mir, wie es Dir wohlgefällt; nur bleibe Du mein Trost und meines Herzens Theil. Amen.

 

Psalm 19.

 

Von drei Lauten und eindringlichen Stimmen redet David im verlesenen Psalm. Die erste Stimme, welche Gottes Ehre verkündigt, ist die Stimme der Natur, auf ihren Höhen und in ihren Tiefen, bei Nacht wie bei Tage, im Herbst und Winter wie im Frühling und Sommer. Die Himmelskörper sind Prediger aller Völker, und zwar solche, die auch alle Völker verstehen, gewaltige Zeugen von Gottes Allmacht, Weisheit und Güte. Die zweite Stimme, welche noch deutlicher die Ehre des Herrn, seinen Willen und seine Gnade offenbart, ist die Stimme des göttlichen Worts in der heiligen Schrift. Dieses Wort zeigt uns den geraden Pfad zum Himmelreich, und belehrt, schützt, tröstet und bessert wie keine menschliche Ermahnung und Bitte vermag. Wie reich sind wir schon, wenn wir diese beiden Stimmen hören! – Aber noch reicher sind wir durch die dritte Stimme, die wir selbst beim Bewußtsein unserer Sündhaftigkeit laut werden lassen, durch das Gebet: „Laß Dir wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens vor Dir, Herr, mein Hort und mein Erlöser!“ Da wir dies große Privilegium besitzen, mit dem Herrn reden zu dürfen, könnten wir es da je unterlassen, uns zu Ihm zu erheben? Brauchen wir denn nicht täglich neues Oel in unsere Lampe? Ist Er nicht das höchste Gut, das wir verlangen können? Können wir leben, wenn wir nicht in Ihm leben und sind? Ist der Umgang mit Ihm nicht die beste Stärkung unter der Last des Lebens, das sicherste Losreißen von der Welt und die beste Vorbereitung auf den Tod? Hinauf denn, ihr Gedanken und Triebe, zu dem Quell alles Guten! Des Herrn Ohr ist Tag und Nacht jedem Geschrei jeder elenden Menschenseele auf dem ganzen Erdboden offen. Was wären wir, wenn wir nicht beten könnten und dürften? Höre mich denn auch jetzt, o Herr, da ich um Kraft zu beten bitte. Nimm mein Lob an, daß ich selbst im Lobe hohe Seligkeit empfinde, vergib mir meine Sünden, schütze und bewahre mich durch Deine Obhut; Herr, nimm mich Dir aufs neue hin und sprich zu meinem Seufzen: Ehe sie rufen, will ich antworten. Amen.

 

Psalm 22.

 

“Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Herr Jesu, was ist mir dieses Wort werth! Wärest Du in dem Stillschweigen gestorben, da Du die drei Stunden der Finsterniß beobachtetest, so hätte ich nicht gewußt, daß Du die Hölle für mich geschmeckt, und welch ein Trost wäre mir da entgangen! Aber Du redest wohl mit recht beklemmtem Herzen, das zeigt die Wiederholung Deiner Worte. Was Du bei dem Aussprechen derselben empfunden hast, das erreicht kein Mensch in der Sterblichkeit. Ein jedes Wort in Deiner Jammerklage ist von der größten Wichtigkeit. Das schöne Glaubenswort mein setzest Du voran, und das versüßt mir Dein ganzes Klaggeschrei. lehre mich alle meine Gebete auch damit anfangen, und Dich und Deinen Vater dadurch gleichsam zu mir reißen. Du nennest aber an Deinem Kreuze nichts Dein, als nur Gott, das allerhöchste Gut. So arm Du freiwillig wurdest und Alles fahren ließest, so lässest Du Dir doch Deinen Gott nicht rauben. O laß mich fleißig in diese Glaubensschule gehen, Herr Jesu, und von Dir glauben lernen; aber Deinen verdienstlichen Glauben laß mir dabei zu Statten kommen. Der süße Vatername ist gegenwärtig nicht auf Deinen Lippen, Dein Vater hatte sich in einen Grausamen verwandelt gegen Dich, den Bürgen des menschlichen Geschlechts. Aber die Veränderung Deiner Sprache, da Du nicht Vater, sondern Gott sagtest, soll mich eben tiefer in das Geheimniß Deiner Verlassung führen: ach, gib mir Kraft und Gnade dazu. Du sprichst gar bedenklich: warum hast Du mich verlassen? Du wußtest es wohl, warum; aber mir willst Du diese Frage in den Mund legen, ich soll fleißig mich um die Ursache bekümmern, welche Dich in solchen Jammerstand gesetzt. Ach, es ist meine Sünde! Darum mußt Du von Gott verlassen werden, damit ich ewig wieder mit dem höchsten Gute könnte vereinigt werden. Du sprichst: mich, Deinen gehorsamen Sohn. Ja, mein Erlöser, weil Du eben das Menschengeschlecht vom Fluch, Zorn, Tod und Hölle erlösen solltest und wolltest, deswegen steckst eben Du, und kein Anderer, in dieser Angstgrube. Ach, keine andere Kreatur wäre auch solches zu ertragen im Stande gewesen. Sei in Ewigkeit dafür gelobet, und laß mir die Sünde nun auch recht sündig und mich derselben recht gram werden. Amen.

 

Psalm 23.

 

Herr Jesu, Du großer Hirt der Schafe, Du bist ja auch mein treuer Hirt, der mir verheißen hat: „Siehe, ich will mich meiner Heerde selbst annehmen und sie suchen, wie ein Hirt seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Heerde verirrt sind. (Ezech. 34,11.) Ich will selbst meine Schafe weiden und ich will sie lagern. Ich will das Verlorne wiedersuchen und das Verirrte wiederbringen, und das Verwundete verbinden und des Schwachen warten, und was fett und stark ist, will ich behüten, und will ihrer pflegen, wie es recht ist.“ (34,15.16.) Darum trage ich das Vertrauen zu Dir, Du werdest es mir nicht mangeln lassen an allem, was mir nützlich und selig ist. ich danke Dir von Herzen, daß Du mich bis auf diese Stunde hast geweidet auf Deinen gesegneten Auen und geführt zu den frischen Wassern Deines Worts und heiligen Sacraments; und ich bereue nur, daß ich Deine Hirtenstimme nicht jederzeit gehört habe und Dir nicht immer nachgefolgt bin, in bösen wie in guten Tagen. Dennoch hast Du nicht nachgelassen, mir zuzurufen, daß ich von meinen Irrwegen zurückgehen sollte. O wie unbegreiflich groß ist Deine Langmuth, und wie nicht minder unbegreiflich groß meine Thorheit, daß ich meine eigne Wohlfahrt so wenig erkenne! Nun, ich will Dir durch den Beistand des heiligen Geistes folgen, wohin Du mich lockest. Ach, sei noch ferner mein Hirte, so wird mir nichts mangeln. Wer ist, der mir schaden könnte, so ich Dir, Herr Christe, anhänge? Bist Du für mich, in und bei mir, wer mag wider mich sein? Dein Stecken und Stab trösten mich. Der Stab Deines Wortes leitet mich, daß ich nicht strauchle. Dein heiliges Kreuz ist mein Wanderstab, daran halte ich mich fest. Dein mächtiger Arm kann den Kopf meiner Seelenfeinde zerschlagen. Tobe, Welt, und springe, ich stehe hier und singe in gar sichrer Ruh. Wer Jesum bei sich hat, kann sicher reisen, Er wird ihm schon den Weg zum Himmel weisen, wer Jesum bei sich hat, kann nicht verderben; wer Jesum bei sich hat, kann fröhlich sterben. Amen.

 

Jesaias 9,2-7. Psalm 24.

 

Sei willkommen, Herr Jesu Christe, der Du Dich durch Deine wunderbare Zukunft uns armen verlornen Menschen so nahe thust und Deine ewige Erlösung uns anbietest. Siehe, die Tochter Zion, eine jede gedemüthigte und glaubenshungrige Seele, soll Dich mit Freuden empfangen als ihren Bräutigam, und mein Herz soll Dir auch entgegengehen. Laß mich nur gerne meines Vaters, des alten Adams, Haus und Unart vergessen und an Dir Lust gewinnen. Komm herein, Du Gesegneter Deines himmlischen Vaters, stehe nicht draußen vor meines Herzens Thür. Ach, klopfe nicht vergeblich an mit Deinem Worte, sondern thue Dir selbst auf. Wecke mich mit den klugen Jungfrauen aus aller Sicherheit, Trägheit, Fleischeslust, Weltliebe und Eitelkeit auf, daß ich Dir munter und begierig entgegengehe, und mich mit Loths Weib nicht wieder nach meinen alten Sünden umsehe. O Herr Jesu, Du kommst ja so sanftmüthig und armselig zu mir, wie sollte ich denn nicht Lust zu Dir gewinnen! Du bist von Herzen demüthig, warum sollte ich mich schämen, Dir mein Elend zu klagen und mich aller Strafen schuldig zu geben? Bist Du doch dazu erschienen, unsere Sünden wegzunehmen. O so komm und hebe auf die Feindschaft, die zwischen Gott und mir ist durch den Fall, und versöhne mich in Buße wieder bei dem Vater. Komm in mein Herz, und bringe mit den Geist der Gnaden und des Gebets, der mich vertrete. Komm und schenke mir Deine ganze Erlösung, um welcher willen Du gekommen bist. Bist Du nicht unser König? O so beherrsche auch unsern Willen, daß wir Deinem sanften Stabe gern und treulich folgen, und Dein Scepter ein gerader Scepter in und über uns werde. Kommst Du nicht zu uns als ein Lehrer von Gott, der uns den rechten Weg lehren will? O so leuchte doch in unsere Herzen als ein helles Licht, daß wir Dir nachfolgen und nicht mehr in der Finsterniß unseres blinden Herzens dahingehen, sondern da Licht des Lebens haben. Willst Du nicht, Immanuel, zu uns kommen als unser Versöhner und Vertreter? Ach, komm, es ist Zeit, daß wir loswerden vom bösen Gewissen und eine Freudigkeit empfangen, durch Dich einzugehen zum Vater mit Gebet und Glauben, und Deine ewige Erlösung in der That zu genießen. Darum komm alsbald mit aller Deiner Kraft in mich. Siehe, mein Herz ist Dir offen, nimm es ganz ein, brauche mich, wie Du willst, laß mich Dir weiter nicht widerstreben.

Komm mit Deiner Gnadengegenwart zu mir, so werde ich vor Deiner Zukunft zum Gericht nicht erschrecken, sondern mein Haupt getrost emporheben und Dir entgegenkommen. Nun, mein Geist spricht: Komm, und Du antwortest mir auch in Gnaden: Ja, ich komme bald. Amen, ja so komm, Herr Jesu, alle Augenblicke, und bleibe bei mir ewiglich unverrückt. Amen.

 

Psalm 24, 7

 

Fürwahr, das ew'ge Wort

Wird heute noch geboren.

Wo das? Da, wo du dich

In dir hast selbst verloren.

 

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe! Ps. 24,7

Als Jesus in Jerusalem einzog, erhob sich in der ganzen Stadt die Frage: Wer ist der? Auch wir wollen durch das ganze folgende Jahr alle Stunden und Augenblicke fragen: Wer ist der, welcher in unserm Herzen will wohnen und uns erhalten zum ewigen Leben? Wer ist derselbige König der Ehren? Auch wir wollen mit Freuden die Antwort hören: Es ist der Herr Zebaoth, der große Himmelskönig, damit wir die Tore unserer Ohren und Herzen Ihm öffnen. Denn der Held von zwei Naturen muß eine hohe Tür haben, und weil er viel mitbringt, muß ihm ein weites, breites Tor geöffnet werden. Es gibt aber eine dreifache Zukunft Christi, einen dreifachen Advent: ein Kommen ins Fleisch, ein Kommen im Geiste und ein Kommen zum Gericht. Er kam, Er kommt, Er wird kommen: das sagt, der da war, der da ist und der da kommen wird. Er kam vor 1800 Jahren bei seiner Menschwerdung und Geburt in die Welt, und erschien damals im Fleische für die Menschen. Er kommt täglich und will täglich kommen in uns durch den Glauben und die Wiedergeburt, und wohnen und leben allezeit in unserm Herzen. Er wird endlich kommen am Tage seiner Offenbarung wider die Welt, um die Ungläubigen zu strafen und zu richten und die Gläubigen selig zu machen und zu belohnen. Die erste Ankunft hilft uns nichts und die dritte wird uns fürchterlich sein, wenn wir uns der zweiten nicht teilhaftig machen. Kommt Christus nicht in uns, so ist Er auch nicht für uns gekommen, und wird dereinst wider uns kommen. An seinem Kommen in uns ist daher Alles gelegen, wie das Lied sagt: „Wäre Christus tausendmal geboren und nicht in euch, so seid ihr ewiglich verloren!“ Da wir nun nicht wissen, wann die dritte Ankunft des Herrn eintreten wird, so sollen wir vor allem uns um seine zweite Ankunft in unsere Herzen bestreben. Wer wird bestehen vor Seinem Zorn, wenn er Ihn nicht selbst in sich wohnend hat? Wer Ihn nicht in sich hat, wird als Spreu ohne Kern zu leicht erfunden und ins Feuer geworfen. Wer Ihn nicht in sich hat, kann nicht sagen: Komm, komm, Herr Jesu! Oder er ruft Feuerflammen, daß sie ihn verzehren. - O Herr Jesu, komm denn in unser Herz, damit wir Dich einst mit Freuden können kommen sehen zum Gericht und zur Vergeltung. Komm! Ich will Dein geschworner Untertan bleiben, bleib Du mein geschworner König und Seligmacher, bestätige und erneuere meinem Herzen im neuen Kirchenjahre die alten Privilegien: so genügt mir zeitlich und ewiglich.

 

Nun schwinge Siegespalmen und öffne weit dein Tor:

Jerusalem, dein König, Dein Heiland steht davor;

und breite Festgewänder und Blumen vor Ihm aus,

und gehe Ihm entgegen und ruf' Hosianna aus!

Denn keiner ist dem Deinen von allen Fürsten gleich:

Sein Schemel ist die Erde, Sein Thron das Himmelreich;

und was er gibt, ist Segen, und Liebe Sein Gebot;

Sein Reich das ist der Friede, Sein Wort ist Lebensbrot.

Und vor des Königs Schritten weicht rings der Erde Qual,

und Himmelsblumen blühen im kalten Erdental:

Der Lahme schreitet wieder, der Blinde grüßt das Licht,

im Grab erwacht der Tote, sein Lob der Stumme spricht.

 

Psalm 25.

 

Ein Angstpsalm! Wäre es ein Wunder, wenn er Jesu vor Augen geschwebt hätte in seiner großen Pein? Du wurdest gegeißelt, Herr Jesu; das sind wenige Worte, aber viele Schläge und große Schmerzen und eine unbeschreibliche Liebe, die Dich zur Uebernahme dieses schweren Leidens gebracht. Ach wie hast Du meine Fleischeslust und Zärtlichkeit so empfindlich büßen müssen! Durch das Blut, das unter Deiner Geißelung von Dir geflossen, hast Du mir die Vergebung aller, besonders auch meiner Fleischessünden erworben. – Nach der grausamen Geißelung wurde Dir ein alter Purpurmantel zum Spott umgehängt. Von einer Salbe und linderndem Oele hört man nichts; alle Erleichterung und Linderung Deiner Schmerzen mußt Du entbehren, und damit hast Du mir so manche Erleichterung und Linderung der leiblichen Schmerzen erworben. O ich komme zu Dir und bitte Dich um Deinen Purpur, meine nackte Seele, die sich mit vielen garstigen Sünden verschuldet hat, zu verhüllen. - Doch damit auch Dein holdes Angesicht mit Blut beflossen sei, so wurde Dein heiliges Haupt mit Dornen gekrönt, wo dann jede Dornspitze eine neue Wunde machte, und gleichsam ein Brünnlein grub, daraus ich meinen Glaubensdurst stillen kann. Wenn ein irdischer König gekrönt wird, da läuft Alles zu, man gibt viel Geld für ein kleines Fenster, daß man zusehen kann; aber aus Deiner Krönung macht Niemand etwas, und doch geschieht dieselbe der ganzen Welt zum Heil und Segen. O daß meine Seele Dich und Deinen Dornenschmuck recht hoch und theuer achten möchte! Denn mit Deiner Dornenkrone hast Du mir die Ehrenkrone jenes Lebens erworben. Möchten Deine Dornen lauter Röhren sein, in welchen das Blut aus Deinem Haupte in den Garten meiner Seele geleitet werde, daß ich ein fruchtbarer Garten sein möge, in welchem Du edle Früchte finden könnest. Deine Dornenkrone heilige mir alle Schmerzen meines Hauptes. Durch das Verdienst Deiner Dornenkrone kröne mich schon hier mit Gnade und Barmherzigkeit, und dort mit der ewigen Ehrenkrone. Herr Jesu, laß das Blut aus Deinem Haupte als ein göttliches Salböl für mich, als ein lebendiges Glied an Deinem Leibe, fließen, damit ich dadurch auch ein geistlicher Priester und König werde. Amen.

 

Psalm 26

 

Wohl dem, der also mit David sprechen kann und auch durch seinen gotteshäuslichen Sinn ein Mann nach dem Herzen Gottes ist! Wer den Herrn lieb hat, der hat auch des Herrn Haus, Wort, Altar und Alles lieb, was Er zu seiner Ehre und zu unserm Heil angeordnet hat. Er dient zwar Gott alle Tage seines Lebens und an allen Orten; betet, lieset und betrachtet Gottes Wort, hat Gott vor Augen und im Herzen, und hütet sich, dass er an den Werktagen mit den Werken den nicht verläugne, den er an den Feiertagen mit der Gemeinde anbetet. Aber am Tage des Herrn zum Hause des Herrn zu gehen, zu hören und mit einzustimmen in die Stimme des Dankes, aufzumerken, auf das Wort göttlicher Predigt und Theil zu nehmen an dem Altar des neuen Bundes: das ist ihm doch eine besondere Freude und süße Pflicht, daran hat er auch einen besondern Segen, den der zu seinem Schaden entbehrt, der die Stätte des Hauses Gottes nicht achtet. Kirchen sind ja Dankhäuser, in denen so vieler Christen Mund von Gottes Lob erschallet, und Dankhäuser der göttlichen Wunder; Wunder werden gepredigt von den Kanzeln, am Taufstein und bei den Altären. Sie sind Wohnungen der Ehre Gottes, wo Er verheißen hat zu uns zu kommen mit seiner Gnade und uns zu segnen. Es weiß jeder aus Erfahrung, dass es ein anderes ist, die Predigt des Wortes Gottes zu hören, als für sich das Wort Gottes und eine Predigt über das Wort zu lesen. Es stehet nicht ohne Grund geschrieben: „Selig sind, die Gottes Wort hören; denn der Glaube kommt aus der Predigt.“ Darum lasset uns nicht verlassen unsere Versammlungen; lasset uns den Feiertag heiligen; lasset uns zum Hause Gottes kommen, mit Heilsbegierde Gottes Wort hören und unsere Liebe zum Hause Gottes vor allem durch Gehorsam gegen das Wort beweisen. Herr, hilf mir dazu und mache mir die Sonntage zu rechten Sonnen- und Lichttagen; dann werden auch die andern Tage im Glanz dieses Lichtes stehen und mich segnen. Amen.

 

Psalm 27.

 

Daß ich mich so trösten darf, habe ich Deinen Leiden zu verdanken, Herr Jesu. Wie muß ich mich schämen vor der Liebe, die alle Schmach und Qual übernimmt, und sich so erbärmlich zurichten läßt, daß selbst Pilatus, als Du wieder vor ihn gebracht worden, Dich in größter Bewunderung dem Volke mit dem Aufruf vorstellt: “Sehet, welch ein Mensch!“ und es durch Deine Jammergestalt zum Mitleiden gegen Dich bewegen will. O laß doch Deinen heiligen Geist diese Worte mir immer in mein Herz hineinrufen: „Siehe, welch ein Mensch ist Jesus für dich geworden!“ Siehe, wie Er an deiner Stelle steht! Siehe, wie hoch Er dich geliebt hat! Aber Herr Jesu, Du weißt, wie ich so blind und untüchtig bin, Dich zu sehen, und wie meine Augen eher auf alle Kleinigkeiten fallen, als auf Dich. Darum erleuchte die Augen meines Gemüthes, und ziehe sie immer auf Dich und Deine Marter, Du Magnet der Liebe. – „Sehet, welch ein Mensch!“ Ja, Herr, ich will sehen; Du sollst mir allezeit vor Augen sein, Deine Martergestalt will ich mir tief in’s Herz drücken, damit sie meine Sünde strafe, mein Fleisch kreuzige, meine Seele heilige; Dein Bild, Du Schmerzensmann, soll mich überall begleiten, auf jedem Wege, damit ich richtig vor Dir wandle, in jeder Versuchung, damit dieser Anblick mich schütze, in jeder Noth, damit er mich tröste, durch diese Passionswochen, damit sie für mich reich gesegnet seien, durch meine ganze Lebenszeit, damit ich für den Himmel mich bereiten, in meiner Todesstunde, damit ich selig sterben möge. Du bist mein Licht und mein Heil, spreche ich jetzt auch mit David und mit viel mehr Grund als er, vor wem sollte ich mich fürchten? Du bist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen? Wenn sich schon ein Heer von Seelenfeinden wider mich legte, Du deckest mich mit Deinem Verdienst und verbirgst mich in Deinen Wunden. Wenn alle Freunde, Vater und Mutter, mich verlassen sollten, Du kannst und wirst mich niemals verlassen. Herr Jesu, Dir leb’ ich; Herr Jesu, Dir sterb’ ich; Herr Jesu, Dein bin ich todt und lebendig. Amen.

 

Psalm 28.

 

Es irret mich nicht, mein Jesus, daß Du, der Heiland der Menschen, voll Blut und Wunden in Schmach eines Missethäters das schwere Kreuz nach Golgatha trägst, um an demselben zu sterben. Es irret mich nicht, daß Du so matt wirst und unter dieser Last beinahe erliegst. Es irret mich nicht, daß Du in Dein Eigenthum gekommen bist und die Deinen Dich nicht aufgenommen haben, sondern Dich durch den Kreuzestod auszurotten gedenken. Vielmehr sind das mir die deutlichsten Kennzeichen, daß Du mein Erlöser bist. Tausendmal sei Dir gedankt für die Uebernahme des schweren Kreuzes, mit welchem Du meine und aller Menschen Sündenlasten getragen. Nun, so trage nur meine Sünden hin an’s Kreuz und in’s Grab, trage sie aus den Augen und dem Andenken des Vaters hinweg, trage sie von meinem Herzen und Gewissen weg. Laß mich aber auch diese große Gnade, daß Du meine Sünden hinweggetragen, in einem völligen Glauben und nach der Absicht Deines treuen Herzens genießen. – Dein Weg geht den Gang des 28. Psalms, er geht zum Kreuz und vom Kreuz zum Himmel: ist für mich wohl ein angenehmerer Weg zu finden, als dieser? O mache mich willig und tüchtig, ihn zu gehen, Du Heerführer und Herzog meiner Seligkeit, und laß mich ja keinem andern nacheilen. Alle andern Wege führen stracks in die Hölle; aber Dir nachfolgen auf dem Leidenswege, das führt gerade in den Himmel. Laß mich Dir nachfolgen durch Deine Kraft, so gut ich kann; und ob ich schon mit meinem schwachen Kinderschritte Dich nicht völlig erreichen kann, so laß mich desto mehr meine Hände nach Dir ausstrecken, damit, wenn ich fallen will, Du mich sogleich mit Deiner stärkenden Helfershand ergreifen kannst. Sonst kostet’s viel, wenn man eine weite Reise macht, Dich hat’s wahrlich auch viel gekostet; Dein theures Blut und Leben, ja Alles hast Du daran gewagt. Da hast Du aber auch zugleich für mich die Reisekosten bezahlt; Nothdurft, Nahrung und Erquickung hast Du mir erworben; überfällt mich Mattigkeit, so darf ich mich auf Dich lehnen. So machst Du meine Leidensbahn zu einem Himmelsweg. Amen.

 

Psalm 29.

 

Deine Stimme, o Herr, ist eine gewaltige Stimme. Sie geht durch die ganze Welt, und wer nur hören will, vernimmt die Offenbarungen Deiner Macht und Größe, Deiner Allgegenwart und Herrlichkeit. Sie geht durch die Natur bei Tag und Nacht, sie schallt aber noch lauter durch Dein geoffenbartes Wort im Reich der Gnade, insbesondere durch das Evangelium Jesu Christi, Deines lieben Sohnes, und bedenken wir das recht, so müssen wir wohl mit Luther beten.

„Lieber Gott, Du sprichst durch Deinen lieben Sohn die selig, so Dein Wort hören. Wie viel billiger wäre es, daß wir Dich, o ewiger, barmherziger Vater, ohne Unterlaß mit fröhlichem Herzen selig preiseten, Dir dankten und lobeten, daß Du Dich so freundlich, ja väterlich gegen uns arme Würmlein erzeigest, und mit uns von der größten und höchsten Sache, nämlich vom ewigen Leben und Seligkeit redest. Gleichwohl unterlässest Du nicht, uns freundlich zu locken durch Deinen Sohn, Dein Wort zu hören, da Er spricht: „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren,“ als könntest Du unseres Gehörs nicht entbehren, und wir, wie wir Erde und Asche sind, nicht viel tausendmal mehr Deines seligen Worts bedürften. O wie unaussprechlich groß und wundersam ist Deine Güte und Geduld! Wiederum Ach und Weh über die Undankbarkeit und Staarblindheit derer, die Dein Wort nicht allein nicht hören wollen, sondern es auch muthwillig verachten, verfolgen und lästern!“

Nun, Herr, hier bin ich. Ich höre nicht bloss die Stimme Deines Donners, sondern auch die süße Stimme Deiner Sünden vergebenden Gnade. O höre mich wieder. Antworte mir väterlich, so will ich Deiner süßen Rede wie ein Kind folgen.

 

Drum soll das Wort, das Du gegeben,

Stets meines Fußes Leuchte sein;

Zu Dir soll es mein Herz erheben,

Mich stärken, trösten und erfreu’n:

Noch sterbend will ich darauf baun.

Was es verheißt, wird’ ich einst schauen. Amen.

 

Psalm 30.

 

Das haben wohl alle Gläubige in ihrem Leben unzählige Male erfahren, daß den Abend lang das Weinen währet und des Morgens die Freude, und werden es noch eben so oft erfahren; denn unser Gott ist ein Gott, der da Lust hat zum Leben. Insbesondere haben es die erfahren, deren Herz voll so großer Bekümmerniß war, als Jesus gestorben war. Da finden wir auf allen Wegen und Stegen nur Weinende; Maria Magdalena stand weinend am Grabe, die andern Frauen sind nicht minder trostlos, die Jünger von Emmaus ziehen traurig ihrer Straße, die übrigen Jünger sitzen in großer Herzensangst bei verschlossenen Thüren. Wie bald aber sahen sie Ihn wieder, den sie verloren glaubten! Und als sie Ihn sahen, war ihre Freude so groß, daß sie vor Freuden nicht glaubten, daß Er es sei. Denn so ist es mit unserm Herzen; es wird der Glaube hienieden angefochten in Betrübniß und in Freude, und ist entweder der Mangel oder die Fülle zu groß, und des Trostes zu viel oder zu wenig. – David bricht darauf in den Lobgesang aus: „Du hast mir meine Wege verwandelt in einen Reigen, Du hast meinen Sack ausgezogen und mich mit Freuden gegürtet;“ aber ehe er das thut, sagt er: „Herr, höre und sei mir gnädig, Herr, sei mein Helfer!“ Dank und Bitte, Preisgesang und Hülfegeschrei stehen dicht bei einander. So ist’s hier auf Erden. Der Bedürfnisse, der Schwachheiten der Nöthe sind so viele, daß bei dem letzten Tone des Reigens der erste der Klage folgt. Aber dem David sollen wir’s ablernen, daß wir die Klage dann gar nicht durch viele Töne fortgehen lassen, sondern nach dem kurzen Seufzer gleich mit dem Triumphgeschrei einfallen und im Glauben den Herrn schon preisen für die Hülfe, als sei sie gekommen, noch ehe sie erschienen. Mein Gott, ich will nicht klagen, sondern lobsingen, lobsingen will ich immerdar Dir, meine Ehre; auf daß zu Deiner Ehre mein’ Ehre sich erhöb’, und nimmer stille wäre, bis daß ich Deine Lieb und ungezählte Schaar der großen Wunderdinge mit ew’ger Freude singe im goldnen Himmelssaal. Amen.

 

Psalm 31.

 

Dein letztes Wort, Herr Jesu, war das des 31sten Psalms: “Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Nun höre ich wieder den lieblichen Vaternamen von Dir, wie süß klingt er doch! Diese Benennung Deines Gottes ist ein deutliches Kennzeichen, daß Du allen seinen Willen vollbracht und recht vollkommen Gehorsam bewiesen hast, damit Du mit lauter Stimme und aller Freimütigkeit Vater sagen konntest. Ich könnte und dürfte Gott nie mit Freudigkeit Vater nennen, wenn ich mich nicht in Dein Verdienst einwickelte und in Deinen vollkommnen Gehorsam; denn ich bin in mir selbst ein gar böses, ausgeartetes, ungehorsames Kind. Wohl mir, daß ich Dich zu meinem Mittler habe, der mir bei meiner Schuld ganz unentbehrlich ist! – Dir lag im Sterben nichts an als Deine Seele: o daß auch mir im Leben und im Tode nichts so sehr anliegen möchte, als meine Seele, damit ich sie als eine Ausbeute davon bringe; daß ich doch mit Wahrheit wie David sagen könnte: ich trage meine Seele immer in meinen Händen! Schenke mir diese Klugheit der Gerechten, denn Seele verloren, Alles verloren. Herr Jesu, Du gibst Deine Seele als unser Haupt in die Hände des Vaters, und also mit derselben auch die Seelen Deiner Glieder. Wenn ich meinen unsterblichen Geist ansehe hier unter so vielen Gefahren, so wird es mir angst vor dem Durchkommen; betrachte ich ihn aber als mit Deinem Geiste vereinigt in den Händen des Vaters, so bin ich ganz getrost und meiner Seligkeit gewiß. – Du sprichst Dein letztes Wort mit einem lauten Geschrei aus: das mag wohl ein rechtes Siegesgeschrei heißen, denn das große Werk der Erlösung war glorreich vollbracht; aber auch ein Angstschrei, weil eben jetzt der Tod seinen unzerbrochenen Stachel mit ganzer Macht in Dein treues Herz schoß, den Du da erst zerbrechen mußtest. Ach, Herr Jesu, dieses Dein lautes, letztes Sieges- und Angstgeschrei komme mir kräftig zu Statten im Leben und im Sterben. Laß mich’s im Leben Dir fleißig nachsprechen, so wird mir’s nicht schaden, wenn ich auch in meinem Tode es nicht mehr sprechen könnte, denn Du hast es für mich gesprochen, es gilt mir wahrhaftig. Amen.

 

Psalm 32.

 

Der Hahn verwies dem Petro seine Untreue am allerersten; er rief ihm mit seinem Geschrei gleichsam zu: Petre, du hast schwer gesündigt. Ein herrlicher Bußwecker! Sein Geschrei brachte Petrum zur Reue. Der andere Bußwecker war Christi Anblick. Sobald er Petrum ansah, rührte Er ihm das Herz. Petrus erinnerte sich Jesu Vorherverkündigung seiner dreimaligen Verleugnung; er ging hierauf in sich und kam zur Erkenntniß seiner Sünden. Er bekam von Jesu einen freundlichen An- und Gnadenblick. Daraus strahlte ihm eine große Liebe Jesu in's Herz. Diese wirkte von Stund an schmerzliche Reue und Buße; sein Herz zerschmolz ihm im Leibe wie Wachs; seine Gebeine hoben an zu zittern! die Thränen ergossen sich häufig in seinen Augen; die Hände rang und wand er ängstlich. Heiße Sonnenblicke ziehen gern Wasser und geben Regen: hier machen die Blicke der Sonne der Gerechtigkeit Petri Augen zu nassen Wolken; siehe, was für ein fruchtbarer Regen herausfällt! Milde Thränen, bittere Thränen, heiße Thränen vergießt er. Gerson sagt: Petrus sei in einen Winkel gegangen, und habe sich rein ausgeweint. Lyra will, so oft der Hahn gekrähet, habe Petrus eine Betstunde angestellt, und so lange stehend zu Gott geflehet, bis der Hahn zum andernmal gekrähet. Solche heftige und bittere Thränen sollen ihm auch Schrunden in’s Angesicht gemacht haben, daß man’s ihm Zeitlebens hat ansehen können.

Herr, ich habe gesündigt, wie Petrus; ich nehme auch, wie er, meine Zuflucht zu Deiner bis in den schmählichen Tod aushaltenden Treue; die müsse mir zu Statten kommen. Schenke mir aber nun auch ein bis in den Tod getreues Herz, und laß es meine größte Lust sein, eine Probe meiner Treue nach der andern gegen Dich abzulegen. Mit der Sorgfalt, mit welcher Du über Petrum wachtest, wollest Du, guter Hirt, auch über mich zu meiner gänzlichen Bekehrung wachen. Laß mich aber auch selbst über mein untreues Herz wachen, und mich vor der Gelegenheit zur Sünde hüten; denn ich sehe es wohl an Petro und habe es zu meinem großen Schaden schon oft selbst erfahren, daß es selten bei einer Sünde bleibt, und man immer tiefer hineinfällt. Amen.

 

Psalm 33,4

 

Gott ist wahrhaftig stets,

Die Welt hat Schein und Lügen.

Ach, trau auf Gottes Treu,

Er wird dich nie betrügen.

Des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was Er zugesagt, das hält Er gewiß.