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Johann Friedrich Arndt gilt als einer der bedeutendsten Prediger des 19. Jahrhunderts und hatte sehr großen Einfluss am königlichen Hof. In diesem Buch finden sich dreizehn Predigten, jeweils thematisch bezogen auf einen bestimmten Lebensabschnitt von der Geburt, über weltliche und christliche Erziehung, der ersten Liebe, dem häuslichen, bürgerlichen und christlichen Leben, bis zum Tod.
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Seitenzahl: 236
Das christliche Leben
JOHANN FRIEDRICH ARNDT
Das christliche Leben, J. F. Arndt
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849661908
Der Originaltext dieses Werkes entstammt dem Online-Repositorium www.glaubensstimme.de, die diesen und weitere gemeinfreie Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Wir danken den Machern für diese Arbeit und die Erlaubnis, diese Texte frei zu nutzen.
www.jazzybee-verlag.de
Erste Predigt - Geburt und Taufe. 1
Zweite Predigt - Die weltliche Erziehung.9
Dritte Predigt - Die christliche Erziehung.17
Vierte Predigt - Die Gnadenstunden. 25
Fünfte Predigt - Die Tage der ersten Liebe.34
Sechste Predigt - Die Durchgangspunkte.42
Siebente Predigt - Die Offenbarungsweisen des Glaubens.50
Achte Predigt – Das häusliche Leben. 59
Neunte Predigt - Das bürgerliche Leben. 69
Zehnte Predigt - Das kirchliche Leben.79
Elfte Predigt - Die Schicksale des Lebens.88
Zwölfte Predigt - Das Alter.98
Dreizehnte Predigt - Der Tod.107
Text: Joh. III, 6.
Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist.
Die festliche Zeit des Jahres hat vor acht Tagen geendet, g. Z., und es beginnen heute für den bevorstehenden Lauf des Sommers und Herbstes die festlosen Trinitatis-Sonntage. Wenn die erste Hälfte des Kirchenjahres von Christo redete, von den Verheißungen auf ihn im Advent, von seinem Kommen zu Weihnachten, und von seinem dreifachen Amte in der Epiphanias-, Passions- und Osterzeit, so macht diese zweite Hälfte die Anwendung davon auf's Leben und stellt uns den Christen dar vom Tage seiner Geburt und Taufe an bis zum Tage seines Todes. Der Kreis unserer Trinitatisbetrachtungen ist uns demnach vorgezeichnet, und wir haben uns entschlossen, unter Gottes Hülfe an den nächsten Sonntagen, so oft uns die Vormittagspredigt trifft, bis zum Schluß des Kirchen-Jahres, das Leben des Christen zum Gegenstand unserer frommen Erwägung zu machen, nach den verschiedenen Beziehungen, in welche das Alter, der Beruf, das Christenthum den Menschen setzt, und zu sehen, wie der Geist des Herrn alle diese Verhältnisse durchdringt und heiligt. Heute beginnen wir mit dem Anfange, d. h. mit der Geburt, und betrachten nach Anleitung unseres Textes: 1) die leibliche und 2) die geistliche Geburt des Menschen.
I.
Unbeschreiblich wichtig für den Menschen ist der Tag seiner Geburt an das irdische Leben, denn es beginnt mit demselben ein Dasein, das nimmer wieder endet, und das seine seligen oder schrecklichen Folgen bis in die unendliche Ewigkeit ausdehnt. Monate lang harren die süßesten Hoffnungen auf sein Erscheinen, und zärtliche Herzen und hülfreiche Arme bereiten Alles vor, damit es dem Ankömmlinge an nichts fehle, wessen er bedarf. Tritt er dann selbst ein, der mit Furcht und Hoffnung heiß ersehnte Augenblick, wird die Sehnsucht Gewißheit: „uns ist ein Kind geboren“, welche Thränen der Freude, welche Dankesergießungen gegen Gott, welche Aeußerungen des Glücks und der Rührung begrüßen den Neugebornen! Da heißt es: „Ein Weib, wenn sie gebieret, so hat sie Traurigkeit, denn ihre Stunde ist gekommen; wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, daß der Mensch zur Welt geboren ist.“ (Joh. 16, 21.) Da ist es Frühling geworden im Hause, und die theure Gabe des Himmels ein neues Unterpfand göttlicher Gnade und Barmherzigkeit, der Eltern Herzen reich zu machen an Freude und ihr Leben reich an Glück, in engerer Liebe sie mit einander zu verbinden, und nicht nur neue Pflichten, sondern auch neue Hoffnungen ihnen zu bereiten.
Und in der That, es ist doch auch etwas Großes um die Geburt eines Menschen. Schon David singt: „Ich danke Dir darüber, daß ich wunderbarlich gemacht bin; wunderbarlich sind Deine Werke, und das erkennet meine Seele wohl. Es war Dir mein Gebeine nicht verhohlen, da ich im Verborgenen gemacht ward, da ich gebildet, ward unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, da ich noch unbereitet war; und waren alle Tage auf Dein Buch geschrieben, die noch werden sollten, als derselben keiner da war. Aber wie köstlich sind vor mir, Gott, Deine Gedanken! Wie ist ihrer so eine große Summa! Solches Erkenntniß ist mir zu wunderlich und zu hoch, ich kann's nicht begreifen“ (Ps. 139,14-17. 6.) und Luther sagt: „Wenn nur alle hundert Jahre ein Mensch geboren würde, wie würden sich nicht die Leute darüber höchst verwundern.“ In verborgener Werkstatt geheimnißvoll und unerklärlich gebildet, fügt sich künstlich Glied an Glied und verbindet sich ein Sinn mit dem andern, Geist und Odem kommt in den irdischen Körper und setzt ihn in Bewegung, und der Mensch fängt an, nach Seele, Geist und Leib zu seyn und zu leben. Jeder Mensch ist eine Welt im Kleinen, und. die Erschaffung desselben nur eine Wiederholung und Fortsetzung der großen Schöpfung der Welt. Anlagen, Gaben, Fähig, leiten schlummern in dem kleinen Wesen, deren Wirkungen und Entwicklungen kein Erwachsener berechnen kann; wartet einige Jahrzehnte, und der unscheinbare Säugling ist ein Mann geworden, der die Erde durchdringt bis in ihre innersten Schachten und mit ihren Erzeugnissen tausende von Zwecken erreicht, der das Wasser der Weltmeere gangbar macht und die Elemente, Lust, Wasser, ja, das Feuer zwingt, gleichsam für ihn zu arbeiten, der Felsen spaltet, Berge versetzt, Sterne mit ihren Bahnen ausmißt und seine Gedanken in Worten verewigt, die nie wieder vertilgt werden können. Das Auge, welches jetzt meist noch sich schließt auf dem Schöße der Mutter, bald wird es sich öffnen, um die Sonne in ihrer Majestät und das Licht überhaupt in seinem Farbenspiel zu suchen und an den Wundern des Allmächtigen in der Natur sich zu weiden und zu erfreuen; das Ohr, jetzt noch wenig empfänglich für die ihm fremden Aeußerungen der Theilnahme und der Liebe, bald wird es sich erschließen, und die verschiedensten Stimmen, Töne, Klänge, das Rollen des Donners und das Brausen des Meeres, das Brüllen des Löwen und der Lobgesang der Lerche, der wunderbare Klang der Glocken und der bedeutungsvollere Menschenlaut werden durch seine Wölbungen und Windungen bis in seine Seele hineindringen; der ganze bewunderungswürdige Bau des Körpers mit seinen Nerven, Muskeln, Gelenken und Gliedern, und der noch bewunderungswürdigere Bau des Geistes, dieser Verstand, der von einer Stufenleiter zur andern bis zu den höchsten und heiligsten Vorstellungen emporsteigt; dieses Herz, das unbeschreiblich sich sehnt nach etwas Unendlichem und nur in der Liebe, nur im Frieden Gottes seine Seligkeit findet; dieses Gewissen, das unaufhörlich predigt in der Brust und gewaltig mahnet und warnt, spornt und ermuntert; dieser Wille, der geregelt durch Gottes Gesetz zu jeder Kraftanstrengung und Thätigkeit fähig ist - bald werden sie sich in Bewegung setzen und beide Welten, die sichtbare und die unsichtbare, durchschreiten und beherrschen. Fürwahr, wir müssen bekennen: „Der Mensch, ein Leib, den Gottes Hand so wunderbar bereitet; der Mensch, ein Geist, den sein Verstand ihn zu erkennen leitet; der Mensch, der Schöpfung Ruhm und Preis, ist sich ein täglicher Beweis von Gottes Güte und Größe.“ Die Ewigkeit ist ihm in die Seele gelegt und er ist nicht eigentlich für diese, sondern für eine andere Welt erschaffen.
Doch das ist nur die eine Seite der Betrachtung; wollten wir dabei stehen bleiben, so kämen wir bald dahin zu übertreiben, aus dem Menschen einen Engel zu machen und in vermessenem Stolz uns selbst und unsere Natur zu überheben. Die Schrift öffnet uns auch noch eine andere, nicht minder, ja noch mehr zu berücksichtigende Seite, und demüthigt uns eben so sehr, als sie uns erhebt. Der Herr sagt nämlich im Texte: „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch.“ Seitdem das Ebenbild Gottes verloren gegangen ist in der menschlichen Natur, hat alles Fleisch seinen Weg verderbet vor dem Herrn, und wohnet in uns, b. i. in unserm Fleische, nichts Gutes; wenn auch das neugeborene, unmündige Kind noch keine wirklichen Sünden begeht, und in sofern unschuldig genannt werden kann, so liegt doch der Keim zu allem Bösen, die Sündhaftigkeit, schon in seiner Natur; angeschaffen und angeerbt ist ihm der Trieb und die Neigung, sich selbst Gotte gegenüber zu stellen; mit den ersten Regungen der Willenskraft, mit dem ersten Weinen des Auges und Schreien des Mundes offenbart sich schon der Eigensinn, und ein paar Monate später erblickt ihr die Begehrlichkeit, den Neid, die Rechthaberei in vollem Ausbruch. Ein verborgener Zunder der Sünde liegt in jeder menschlichen Brust, und es bedarf kaum äußerer böser Beispiele oder Verführungsworte, so fängt der Zunder Feuer, und die Erbsünde wird wirkliche Sünde in Gedanken, Worten und Werken. David sagt: (Ps. 51, 7.) „Ich bin aus sündlichem Samen gezeugt und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen.“ Die Anlage zu allem Guten ist vorhanden in jedem Säugling; aber die Anlage zum Bösen ist größer, stärker, und nicht nur Anlage, sondern Trieb, Neigung, Lust. Die Fähigkeiten schlummern, aber die Sünde weiß sie zu mißbrauchen, und statt Gott zu dienen, sich selbst dienstbar zu machen und zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit zu gestalten. Darum hat jeder Vater und jede Mutter, wenn sie das Kind ihres Herzens auf den Armen tragen, eben so sehr für dessen Zukunft zu zittern, als zu hoffen, und mit unermüdlicher Weisheit, Liebe und Treue ihm nachzugehen, daß es nicht Schaden nehme an seiner Seele. Darum ist der Anblick eines Kindes allezeit nicht bloss ein froher, sondern zugleich ein wehmüthiger, weil er an unser tiefes Verderben uns erinnert, das bis in die zartesten Jahre des menschlichen Lebens hineingedrungen ist und Alles mit seinem Gifte vergiftet hat, und nun auch die Quelle geworden ist alles Elends, das in der Welt herrscht und schon in den ersten Tagen unseres Daseins sich anmeldet. Sehet doch das Kindlein, wie es da liegt, so Hülflos und hülfsbedürftig, so nackt und bloß, wie kein Wesen in der Schöpfung; wie sein erster Laut ein Laut des Weinens und Klagens ist, als ahnete es schon die unermeßliche Fülle von Jammer und Noth, die in diesem Jammerthal sein warten, und alle die Thränen, welche später noch über seine Wangen fließen werden. Seitdem aus dem Paradiese der Fluch erscholl über die Mutter der Lebendigen: „Ich will dir viel Schmerzen machen, wenn du schwanger bist, du sollst mit Schmerzen Kinder gebären,“ seitdem ist es ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen Leben von Mutterleibe an, bis sie wieder in der Erde begraben werden, die unser Aller Mutter ist; da ist immer Sorge, Furcht, Hoffnung und zuletzt der Tod (Sirach 40, 1. 2.) „Es währt siebenzig Jahre, und wenn‘s hoch kommt, so sind‘s achtzig Jahre, und wenn‘s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.“ (Ps. 90,10.) Könntet ihr das Alles erwägen, ohne Mitleid zu haben mit jedem Neugebornen, der gleich wie ihr die Bahn des Elends betreten und durchschreiten soll, und ohne die Freude über die Geburt zu mäßigen durch den Gedanken an die Sünde und das Elend, die mit dieser Geburt an das Erdendaseyn einmal unabänderlich geknüpft sind?
So oft sie denn wiederkehren in eurem Leben, die Jahrestage eurer Geburt, feiert sie in fröhlicher Stimmung mit Dank gegen den Herrn beim Ruckblick auf das, was Er an euch gethan, und laßt gerührten Herzens an euch vorübergehen den Ort, wo eure Wiege stand und euer kindlicher Fuß gewandelt und ihr die glücklichsten Tage des Lebens am Herzen der Vater- und Mutterliebe sorglos und freudenreich verlebtet, und alle die folgenden Tage und Jahre mit den Lehren, die sie euch gegeben, mit den Wohlthaten, die euch zugeflossen, den Vorzügen vor vielen Hunderten, die euch zu Theil geworden, und den Bewahrungen, Errettungen, Durchhülfen, deren ihr euch zu rühmen habt, und jubelt laut und fröhlich: „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen; lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat. Ich will den Herrn loben, so lange ich lebe, und meinem Gott lobsingen, weil ich hier bin.“ (Ps. 103, 1. 2. 146, 2.) Dann aber denkt auch mit Ernst an eure gehäuften Sünden, und vergesset es nicht, daß ihr um ein Jahr wieder euerm Ziele näher gekommen, daß Tod und Ewigkeit, Gericht und Rechenschaft unabweislich und vielleicht bald euch bevorstehen, prüfet euch selbst, ob ihr die euch verliehenen Kräfte und Fähigkeiten zur Ehre Gottes und zum Heil eurer Seele gebraucht, ob ihr Ihn allezeit vor Augen und im Herzen gehabt, ob ihr seine Fügungen unterwürfig und ergeben angenommen, ob ihr im Kleinen wie im Großen treu gewesen, und mit dem Pfunde gewuchert habt, das Gott euch anvertraute.
II.
Wie indeß der Himmel höher ist, als die Erde, so sieht auch die geistliche Geburt durch das Sacrament der heiligen Taufe höher als die leibliche Geburt ans Licht der Welt, und hier erst verschwindet das trübe Bild vom Menschen und Menschenleben, das mehr oder weniger Jeden beim Gedanken an den Eintritt ins Leben ergreift und ergreifen sollte. Der Herr sagt: „Was vom Geiste geboren wird, das ist Geist,“ und bezeichnet eben damit die Geburt durch den Geist für das höhere Glaubensleben oder die Wiedergeburt im Sakrament der Taufe, wie er denn auch unmittelbar vorher gesprochen: „Es sey denn, daß jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“
Noch ahnt das Kind gar nicht, was mit ihm vorgeht; es kennt weder seine Eltern auf Erden, noch seinen Vater im Himmel; es fühlt noch keine Dankbarkeit, keine Liebe, keine heilige Entschließung: da wird es schon gerufen von dem, der einst selbst ein Kind ward, um unsere Kindheit zu heiligen, und der die Kinder zu sich rief und sie herzte und segnete. Die vorbereitende Gnade arbeitet an seinem Herzen, und Arme der Liebe tragen es ihr zu, daß sie es zubereite zu ihrem Eigenthum, und aus dem Kinde der Erde ein Kind des Himmels werden lasse. Es wird das Kreuz über das Kind geschlagen an Stirn und Brust, es wird über dasselbe gebetet und der Glaube bekannt, es wird endlich ihm die Taufe ertheilt im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Die Zeugen stehen betend umher, mit ihren leiblichen Augen gewahren sie nichts als Wasser, aber mit den Augen des Geistes sehen sie wunderbar die Wiederholung jenes feierlichen Auftritts am Jordan, wo der Sohn Gottes selbst sich taufen ließ von Johannes und alle Gerechtigkeit erfüllte. Wie bei ihm die feierliche Einweihung in seinen Beruf an der Spitze seines öffentlichen Lebens stand, so soll auch uns die Taufe das Geleit und den göttlichen Segen mitgeben auf den Gang durch unser irdisches Senn und Wirken. Wie bei ihm die Stimme aus der Höhe erschallte: „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe;“ so soll auch uns bei der Taufe nicht allein äußerlich der Name gegeben werden, den wir in der Welt zu führen haben, sondern auch innerlich die Gotteskindschaft und das Erbe der Heiligen im Licht. Wie über Christum der heilige Geist kam zur Weihe für sein Wirken und Lehren: so soll auch unsere Taufe ein Bad der Wiedergeburt senn und der Erneuerung des heiligen Geistes und der Bund eines guten Gewissens mit Gott. In der Taufe werden wir Christo eingepflanzet, zu Kindern Gottes angenommen, mit dem heiligen Geist gesalbt, und treten ein in Christi Unschuld und Gerechtigkeit. Der Herr sieht uns liegen in unserm Blute, in unsern Sünden und in unserm Elend, und spricht zu unserer Seele, indem er uns darin liegen sieht: du sollst leben! Es kann daher gar keinen größern Schmuck und keine glänzendere Ehre geben, als die, welche im Sacrament der heiligen Taufe uns zu Theil wird. Da tritt der Herr vor uns hin und verbindet sich mit unserer Seele auf das allerengste und geheimnißvollste; da öffnet er die Schätze seiner Gnade und gibt uns Verheißungen und Unterpfänder, Segnungen und Wohlthaten, die bis in die Ewigkeit hinein fortlaufen und den Himmel erst zum Himmel machen; da offenbart sich eine Liebe ohne Grenzen und ein Erbarmen ohne Gleichen, und wir erfahren recht lebendig an uns die Wahrheit des Psalmworts, daß Gott seine Segnungen seinen Freunden schlafend gibt; wir erkennen es, daß im Christenthum, wie im Leben überhaupt, Alles Gnade ist, daß nicht wir den Herrn erwählt haben, sondern Er uns, und daß Er uns gemacht hat, und nicht wir selbst, zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide; wir müssen jauchzen mit der heutigen Epistel: „Welch eine Tiefe des Reichthums, beide der Weisheit und Erkenntniß Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? oder wer ist sein Rathgeber gewesen? oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, das ihm werde wieder vergolten? Denn von ihm, und durch ihn, und zu ihm sind alle Dinge, ihm sey Ehre in Ewigkeit!“ Ja noch mehr, wie Gott immer an die höchsten Wohlthaten die geringeren als Zugabe oder als Aufnahm- und Bewahrungsmittel der ersteren anknüpft, so ist die Tauft nicht allein das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung des heiligen Geistes, sondern auch der Eintritt in den Schoß der äußern christlichen Kirche, in die Gemeinschaft der Jünger des Herrn, wir stehen als Getaufte nicht mehr allein, sondern es bildet sich zugleich um uns herum ein Kreis von Glaubensgenossen, der unabsehbar über die ganze Erde sich ausbreitet, der alle Jahrhunderte und Jahrtausende umfaßt, der durch seine Liebe und durch seine Fürbitten für unser Seelenheil mitsorgt und durch seine Sitten, Vorstellungen, Empfindungen, Gesinnungen, Einrichtungen, Bildungs- und Erziehungsmittel uns für den Himmel vorbereitet und zu Bürgern macht im Gottesreiche. So umfängt uns Liebe von oben und von unten, Gott erklärt uns für seine Kinder um Christi willen, und die Menschen erklären uns für ihre Brüder um Christi willen, und Himmel und Erde reichen sich die Hand, uns zu beglücken und zu segnen. Wunderbares Bad der Wiedergeburt! Festtag unserer Kindheit, erster Festtag unseres Lebens, du Tag unserer Taufe! Fürwahr, unser Geburtstag wäre ein trauriger Tag, ein Tag schmerzlicher Rückerinnerung, und es könnte Gemüths- und Lebenslagen geben, wo wir mit Hiob und Jeremias ihn verfluchten, wenn du ihn nicht heiligtest, du Segenstag ohne Gleichen, wenn du ihm nicht Weihe und Bedeutung gäbest und das Wunder der Allmacht bei unserer Geburt verklärtest zum Wunder der Gnade bei unserer Wiedergeburt.
Vergleichen wir beide Tage mit einander, unsern Geburts- und unsern Tauftag: so müssen wir gestehen: wir legen in der Regel zu viel Werth auf unsern Geburtstag und machen uns zu wenig aus unserm Tauftag. Die meisten Menschen wissen nicht einmal, wann und wo sie die Weihe für‘s Christenthum empfangen haben, und schwelgen in den täuschendsten Lustbarkeiten und allen Zeichen elender Selbstvergötterung an ihren Geburtstagen, ohne im mindesten daran zu denken, daß sie ohne die darauf gefolgte Taufe die unglücklichsten und verwahrlostesten Geschöpfe, Kinder des Zornes und der Ungnade wären. Es ist wirklich unbegreiflich, wie ein solcher mehr auf die äußere Erscheinung als auf das innere Leben gerichteter Sinn in der Christenheit hat einreißen und sich erhalten können, und wie die Stimmen dagegen im Laufe der Jahrhunderte sich nicht lauter erhoben haben. Christ senn, sieht doch unendlich höher als Mensch senn; ein Kind Gottes ist doch etwas anderes als ein Kind der Sünde; vom Geiste geboren senn, ist doch wahrhaftig eine bessere Geburt als die Fleischesgeburt, und wäre sie noch so ausgezeichnet und herrlich. O laßt uns die Taufe und die Tauftage wieder zu Ehren bringen, Geliebte; laßt sie uns hoch stellen, recht hoch, wir können nicht hoch genug sie stellen und heilig halten, und jener fromme König Frankreichs im dreizehnten Jahrhundert, Ludwig der Heilige, hatte Recht, wenn er den Ort seiner Taufe (Poissy) besonders liebte und öfters besuchte; sich in seinen Briefen zur Erinnerung an seine Taufe unterschrieb: „Ludwig von Poissy“, und zu sagen pflegte, es wäre ihm an dem Ort mehr Glück und Heil widerfahren, als an irgend einem andern, und als man ihm vorstellte, daß er gleichwohl zu Rheims die königliche Krone empfangen, antwortete: „Ja, aber zu Poissy habe ich die Christenkröne empfangen, und drei Hände voll Wasser achte ich höher als alle königliche Kronen.“ Unsere höchste Ehre, unser größter Reichthum, unsere unvergängliche Freude ist die Taufe! Das Taufwasser ist goldenes Lebenswasser, kräftiges Labsal und Gegengift gegen den Tod. Auf den Namen des dreieinigen Gottes getauft, tragen wir einen hellen Schein um unser Haupt, den die Welt zu sehen nicht wert ist; tragen wir das Siegel des Gekreuzigten auf der Stirn und auf dem Herzen, und sind bekleidet mit dem Purpur des Blutes Jesu Christi. Wir sind reich, mächtig, geehrt, selig um unserer Taufe willen, und der Himmel sieht uns offen bei Tag und bei Nacht; gelobt sey Gott in alle Ewigkeit!
Haltet sie denn heilig, die Taufe eurer Kinder, geliebte Eltern; und wenn ihr die Säuglinge und Lieblinge eures Herzens von der Mutterbrust der Kirche zurück empfanget an eure Mutterbrust, geliebte Mütter, dann übergebet sie dem Herrn im heißen Gebete, ganz und gar, damit der, welcher sie erkauft hat mit seinem Blute, in der Taufgnade erhalten möge für und für. Haltet sie heilig die Tauft der Täuflinge, ihr Taufzeugen, und erscheinet nicht leichtsinnig, gedankenlos, ungläubig und stumpfsinnig am Tauftische; denn es ist ein Wunder der Gnade, das Gott der heilige Geist an einer unsterblichen Menschenseele vollbringen will, und dieses göttlichen Gnadenwunders sichtbare Zeugen sollet ihr seyn: wie könntet ihr in der Nähe des allmächtigen und allgegenwärtigen Herrn stehen, ohne zu ihm aufzublicken und mit theilnehmender Liebe die zeitlichen und ewigen Bedürfnisse des Kindes dem Gott der Liebe zu befehlen? wie könntet ihr die Stirn benetzen sehen mit dem sinnbildlichen Wasser und das Jawort aussprechen, ohne an euren eigenen Taufbund zu gedenken und wie oft ihr ihn gebrochen, ohne ihn zu erneuern und in tiefer Reue und Buße von neuem um den heiligen Geist zu flehen, daß er euch sicher führen möge auf dem Wege zur Seligkeit? Wenn ihr das thut, Geliebte, welch ein Trost, welch eine Seelenstärkung wird dann in jeder Noth des Lebens und der Seele es euch senn, daß auch euch in einer glücklichen und gesegneten Stunde der Herr durch sein Sacrament in seine Gnadengemeinschaft an- und aufgenommen hat, und daß ihr es wißt, seine Berufung möge ihm nicht gereuen, (Röm. 11, 29) er ist getreu und kann sich selbst nicht läugnen. (2 Timoth. 2, 13). Als Luther einmal in Wittenberg einen Professor, Namens Weller, betrübt und niedergeschlagen einhergehen sah, fragte er ihn theilnehmend, wie es ihm ginge? Der Professor entgegnete: er wüßte nicht, wie es ihm gehe. Da fragte ihn Luther: „seid ihr denn nicht getauft?“ d. h. wie könnt ihr so trostlos antworten, da euch Gott an Kindesstatt angenommen hat und gewiß für euch, wie für sein Kind, sorgen wird; einem Christenmenschen kann es gar nicht anders als gut gehen. Diese Frage: „seid ihr denn nicht getauft?“ - laßt sie uns festhalten; sie begleite uns durch die Freuden- und Schmerzensstunden des Lebens, sie heilige unsere Freuden, sie lindere unsere. Schmerzen, sie verkläre unser Daseyn, sie helfe mit das apostolische Wort (Gal. 3, 27) an uns verwirklichen: „Wie viel euer getauft sind, die haben Christum angezogen.“ Amen.
Text: Epheser VI, V. 4.
Ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn, sondern ziehet sie auf in der Zucht und Vermahnung zum Herrn.
Nach unserm Plane, das Leben des Christen in den Trinitatis-Sonntagen durchzugehen, liegt uns heute, nachdem wir vor acht Tagen von der Geburt und Taufe des Menschen gesprochen haben, der wichtige Gegenstand der Erziehung vor. Der Apostel spricht im Text von einer doppelten Erziehungsweise, einer verkehrten und einer rechten. Die erstere beschreibt er warnend also: „Ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn;“ die andere ermahnend: „ziehet sie auf in der Zucht und Ermahnung zum Herrn.“ Jene können wir die weltliche, diese die christliche Erziehung nennen, Laßt sie uns beide, da der Gegenstand so sehr wichtig ist, näher prüfen, und diesmal von der weltlichen Erziehung, das nächste Mal aber von der christlichen Erziehung reden. Vier Punkte sind bei beiden Gegenständen zu berücksichtigen: 1) ihr Grund, 2) ihr Zweck, 3) ihre Beschaffenheit und 4) ihre Folgen. Wir fassen demnach heute dies Vierfache bei der weltlichen Erziehung in's Auge.
I.
Fragen wir zunächst nach dem Grunde der weltlichen Erziehung, so müssen wir sagen: er beruht auf der Meinung der Eltern, die Kinder seien ihr Eigenthum, nicht wie der Psalmist sagt: „Kinder sind eine Gabe des Herrn und Leibesfrucht ist ein Geschenk“ (Ps. 127, 3.), sondern ein Besitzthum der Eltern, über das sie frei und unabhängig zu schalten und zu walten haben; von unten herauf, nicht von oben herab, seien sie geboren, und kein Anderer habe an sie ein Recht, und sei befugt, darin zu helfen und zu rathen, als sie allein. Diese verkehrte, selbstsüchtige Ansicht führt zu allen möglichen Folgerungen. Denn nun sind die Eltern nicht mehr Stellvertreter Gottes, die für die Kinder Gottes Bild an sich zu tragen und sie auf dieselbe Weise zu erziehen haben, wie Gott die ganze Menschheit unaufhörlich erzieht; sondern sie sind Herren derselben, und was sie wollen, das muß geschehen, was sie verbieten, muß unterlassen werden um ihretwillen. Nun ist es keine besondere Gnade mehr, und kein großes Vertrauen, was einem Gott beweiset, wenn er ein Ehepaar würdigt, Werkzeuge in der Auferziehung unsterblicher Menschenseelen zu senn, und in gebrechliche, schwache Hände das zeitliche und ewige Heil derselben zu legen; sondern etwas, was sich von selbst versieht, und Alles bloßes Naturwerk und Zufall. Nun ist jede Verantwortlichkeit beseitigt, und kein Vater und keine Mutter denkt mehr an die Rechenschaft, welche Gott einst von ihnen fordern, und wie schwer es ihnen dann werden wird zu antworten: Herr, hier bin ich, und hier sind die, die du mir gegeben hast. Aber nun ist auch das elterliche Ansehn kein göttliches mehr, sondern nur noch ein menschliches, und wir dürfen uns nicht wundern, wenn von beiden Seiten Mißgriffe über Mißgriffe geschehen, von der einen kein Ernst, keine Würde, kein heiliger Sinn bewiesen wird in der Erziehung, und von der andern keine Freudigkeit, keine Treue, keine Liebe im Gehorsam. Die Ordnung Gottes ist mit jenem Grundsatze verrückt und umgestoßen; alle Wichten und Ansprüche werden verkannt, und es ist eigentlich genau genommen völlig gleichgültig, ob die armen Kinder in solchen Händen noch Eltern haben oder nicht.
II.
Sieht es nun mit dem Grunde der weltlichen Erziehung so bedenklich aus, so dürfen wir uns gar nicht wundern, wenn der Zweck, den sie vor Augen hat, unsere Bedenklichkeit noch viel höher steigert. Wie nämlich von der Selbstsucht Alles ausgeht, so steuert endlich auch Alles auf die Selbstsucht wieder hinaus. Nicht der Himmel, sondern die Erde; nicht die Ewigkeit, sondern die Zeit; nicht der große, barmherzige Gott, sondern der armselige Mensch und die arge Welt ist es, um deretwillen und für die man an den Kindern wirkt und sorgt. In den niedern Ständen verschlingt jede Thätigkeit der eigne Vortheil, in den höhern die eigne Freude und Ehre; daher dort Arbeit, hier sogenannte feine Bildung die Hauptsache ist, auf welche es ankommt.
Grauenhaft ist es, wie viele Eltern unter uns ihre Kinder bloß als Mittel zum Broterwerb betrachten. So früh als möglich zwingen sie sie zur Arbeit, sie achten es nicht, Leib und Seele zu verkrüppeln; sie schicken sie, nur mit Mühe, und mit Gewalt dazu angehalten, höchstens in eine Sonntagsschule; es liegt ihnen gar nicht daran, ob ihre Kinder etwas lernen oder nicht, wenn sie nur recht viel verdienen; sie behaupten sogar, daß ihre Kinder nicht mehr zu lernen brauchten, als sie gelernt hätten; sie entschuldigen ihre Grausamkeit und Lieblosigkeit mit der Noth, und sagen, daß der Unterhalt dem Unterrichte vorgehe, und wollen es nicht zu Herzen nehmen, wie das gar keine Entschuldigung ist, wie das Wenige, was ein Kind verdient, sich leicht auf andere Weise, durch größere Einschränkung und eignen verdoppelten Fleiß wieder einbringen läßt und wie unverantwortlich schwer durch solche Verwahrlosung sie sich versündigen. Arme, unglückliche Kinder! Um des geringen leiblichen Brodes willen läßt man eure Seelen darben und verkümmern; jedes Mittel, in Erkenntniß, Tugend und Gottseligkeit zu wachsen und von. Bösen frei zu werden, wird euch versagt; der Schulbesuch, der Katechumenen-Unterricht beim Prediger sogar, die einzige Zeit im ganzen Leben, wo noch etwas gelernt werden könnte, wird so viel wie möglich verkürzt, und im schlechtesten Umgange mit andern gleich euch vernachlässigten Kindern wird jedes Gefühl für Wahrheit und Recht, für Tugend und Sittlichkeit abgestumpft und vernichtet.
Mit Wehmuth und Unwillen wendet ihr vielleicht euch weg von solchen Häusern, und freuet euch, daß es bei euch anders zugeht und ihr auf bessere Weise für eure Kinder zu sorgen und Bedacht zu nehmen in den Stand gesetzt seid. Aber, Geliebte, laßt uns näher zusehen, ob nicht auch bei vielen unter euch dieselbe Selbstsucht, nur feiner und verdeckter, die Triebfeder eurer Handlungen und Schritte im Werk der Erziehung ist. Es ist wahr, euern eignen Vortheil habt ihr nicht im Auge bei dem, was ihr für sie thut, auch habt ihr's nicht nöthig; aber ist's nicht vielleicht eure eigne Freude und Ehre? Es ist wahr, zum Arbeiten, zumal zum schwerern, unausgesetzten Arbeiten werden eure Kinder nicht angehalten, oft so wenig, daß sie gar keine Arbeit lernen und treiben, daß ihnen dieses wichtige Uebungs- und Stärkungsmittel für Leib und Seele völlig abgeht und die bürgerliche Gesellschaft gerade nicht die brauchbarsten Mitglieder dereinst an ihnen zu erwarten hat; ihr laßt sie viel lernen, ihr schickt sie regelmäßig in die Schule und haltet ihnen noch besondere Lehrer, ihr sorget unermüdlich für ihre Bildung und Veredlung, ihr führet sie frühe ein in die Welt, damit sie Menschenkenntniß, Gewandheit und Feinheit im Umgange erhalten, in Gesellschaft sich sittsam und ehrbar benehmen, den Menschen gefallen und sich beliebt machen können; aber wozu das Alles? was ist's am Ende, was ihr dabei bezweckt? Das Wohl der Kinder? die Ehre Gottes? Nein, seid offen und ehrlich, nichts als eure Freude, euern Ruhm; ihr rechnet es für den süßesten Lohn, das Lob zu erndten, solche wohlerzogene Kinder zu haben, und denket gar nicht daran, daß diese Kinder unsterbliche, theuer erkaufte Menschenseelen sind, daß sie durch die Taufe zu Angehörigen Christi und zu Gliedern seines Himmelreichs geweihet wurden, daß es eine Gnade Gottes gibt, die unendlich hoch über alles Wohlgefallen der Menschen zu schätzen ist. Arme, unglückliche Kinder, die ihr auf diese Weise gleichsam nur das Spielzeug seid in den Händen eurer Eltern; wie Vieles müßt ihr euch aneignen und lernen, was euch verwirrt und unbrauchbar macht für's ganze Leben, was euers Leibes und eurer Seele Gesundheit im höchsten Grade gefährdet, was euch in späten, Jahren eine Menge großer Versuchungen bereitet, und entweder wieder von euch vergessen werden muß oder zur Reue treibt, daß ihr so viel unnütze Zeit damit vergeudet habt. Eine solche Erziehung für die bloße Welt hienieden ist im Grunde nichts anders als ein Reizen der Kinder zum Zorn, wie der Apostel im Texte schreibt.
III.