Ange und die Pferde - Lise Gast - E-Book

Ange und die Pferde E-Book

Lise Gast

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Beschreibung

Die junge Ange möchte unbedingt einmal Reitlehrerin werden, aber leider ist ihr Vater gegen diesen Wunsch. Trotzdem setzt Ange alles daran um sich ihren Traum zu erfüllen. Als sich Ange dann auch noch in den Reitlehrer Kornelius verliebt und ihm bei der Leitung seiner Reitschulde hilft, ist ihr Glück vollkommen. Mit vollem Elan und Tatendrang gelingt es dem jungen Paar die Reitschule bekannt zu machen und als Ange zum ersten Mal bei einem Reit- und Springturnier mitmachen kann, beginnt das Abenteuer erst richtig... - Eine hoffnungsvolle Geschichte über die Lieblichkeit des LebensLise Gast (geboren 1908 als Elisabeth Gast, gestorben 1988) war eine deutsche Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Sie absolvierte eine Ausbildung zur landwirtschaftlichen Lehrerin. 1933 heiratete sie Georg Richter. Aus der Ehe gingen 8 Kinder hervor. 1936 erschien ihr erstes Buch "Tapfere junge Susanne". Darauf folgen unzählige weitere Geschichten, die alle unter dem Pseudonym Lise Gast veröffentlicht wurden. Nach Ende des zweiten Weltkriegs floh Gast mit ihren Kindern nach Württemberg, wo sie sich vollkommen der Schriftstellerei widmete. Nachdem sie erfuhr, dass ihr Mann in der Tschechoslowakei in einem Kriegsgefangenenlager gestorben war, gründete sie 1955 einen Ponyhof und verwendete das Alltagsgeschehen auf diesem Hof als Inspiration für ihre Geschichten. Insgesamt verfasste Gast etwa 120 Bücher und war neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin auch als Kolumnistin aktiv.-

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Seitenzahl: 190

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Lise Gast

Ange und die Pferde

Saga

Ange und die Pferde

German

© 1980 Lise Gast

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711508251

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Ange und die Pferde

„Trrrr!“

„Ange, es klingelt!“

»Ich bin nicht da!“

„Trrrr!“

„Ange! So geh doch und mach auf!“

„Herrje, ich kann jetzt nicht.“

„Ich auch nicht. Ich bin noch nicht mal halb fertig.“

„Trrrrrrrr ...“

„Du, das sind bestimmt die ersten –“

„Bloß nicht! Zum Fasching kommt niemand pünktlich, geschweige denn eher. Mein einer Stiefel geht nicht ans Bein, ich weiß nicht, woran das liegt. Und mein Zylinder ist weg!“

Bava – eigentlich Barbara-Eva, Anges etwas ältere Schwester – stülpte die Perücke über und rannte selbst zur Flurtür. Zu acht Uhr war eingeladen, und jetzt war es zwanzig vor. Dann konnten es doch wahrhaftig noch keine Gäste sein!

Doch! Natürlich waren es Eingeladene, zwei Freunde von Harm, dem ältesten der Geschwister, der schon studierte. Sie hatten den elektrischen Klingelknopf der Etagentür heruntergedrückt und ein Streichholz hineingeklemmt, und nun bekamen sie das nicht wieder heraus. Es schrillte gellend und ununterbrochen.

„Seid ihr wahnsinnig?“

„Ja, seit wir dich gesehen haben, o schönste aller Frauen!“

Bava reagierte auf dieses erste Kompliment des Abends nicht, sondern rannte schweigend in die Wohnung zurück, stöberte im Handwerkskasten und erschien dann mit einer Zange am Tatort. Gleich darauf schwieg die Klingel.

„Kommt rein“, sagte Bava atemlos, „wir sind noch lange nicht fertig. Wie könnt ihr auch so zeitig kommen!“

„Wir wollen mit Harm zusammen die Bowle ansetzen“, sagte der eine, der aussah wie ein Marsmensch. Er steckte in Papphülsen, die Metall vortäuschen sollten, und bewegte sich in der Manier eines schlecht geölten Roboters.

„Wie der tanzen will, ist mir schleierhaft“, dachte Bava. „Harm, los, wo steckst du?“ rief sie. „Eckart und Dieter sind da!“

Damit verschwand sie aus dem Korridor, um sich im Schwesternzimmer fertig zu schminken. Dort traf sie auch Ange und Heide, das Nestküken, das mit seinen vierzehn Jahren den ersten richtigen Hausball erleben sollte und entsprechend aufgeregt war.

Ange, die mittlere der Schwestern, größer als Bava, langbeinig und schulterschmal, mit ziemlich kurzgeschnittenem Haar, stand vor dem Spiegel und sah sich prüfend an.

„Wie Fasching sehe ich eigentlich nicht aus“, murmelte sie. Bava hob den Blick und sah sie an.

„Nein, da hast du recht. Kannst du nicht ...“

Ange trug Harms abgelegte schwarze Breecheshose, Reitstiefel, weißes Hemd und Zylinder. Sie sah hübsch und sauber, aber sehr sachlich und in keiner Weise dionysisch aus, wie Bava feststellte. Bava hatte schon das Abitur und studierte Philologie, sie mußte es wissen.

„Was macht man denn da?“ fragte Ange kleinlaut.

„Paß auf.“ Bava wußte immer Rat. „Zieh das Hemd aus und meine Bluse an.“ Sie warf ihr ein weißes Etwas zu. Ange strahlte auf.

Bava besaß eine Bluse, um die sie sie immer beneidet hatte: vorn richtiger, klassischer Hemdblusenschnitt, hinten rückenfrei bis auf den Hemdkragen. „Darf ich wirklich?“ juchzte sie unterdrückt.

„Na klar. Schnell, und auf den Rücken –“

Bava stand hinter der Schwester und zückte den Lippenstift. „Halt still, sonst verwackelt es“, mahnte sie und malte.

„Was schmierst du mir denn da drauf?“

„Einen Steigbügel. Wundervoll! Hier, guck dich an!“

Ange nahm den Handspiegel und drehte und wand sich. Wirklich, jetzt wurde die Sache schon besser. „Und nun noch – paß auf!“ Bava hatte ein paar bunte Papierschlangen ergriffen und wand sie um Anges Zylinder, so daß sie hinten herunterwehten.

„Fertig. Großartig. Was meinst du, Heide?“

„Ja wirklich! Und ich?“

„Du bist süß, mein Küken“, sagte Bava zärtlich, „mit Augenmaske erkennt dich keiner. Die Lebedame, wie sie leibt und lebt!“ Sie steckte der kleinen Schwester noch ein künstliches Sträußchen an die Schulter des urkomisch altmodischen Seidenkleides. „Du wirst uns alle abschießen mit deinem Kostüm.“

Eben donnerte es an die Tür. „Ja? Mach auf, das ist Roland.“

Er war es, der fünfte der Birkner-Geschwister. Sechzehn, ungeheuer groß – größer noch als Harm, was den cand. med. insgeheim ärgerte –, und noch mit der Tapsigkeit dieses Alters behaftet, stand er jetzt vor den Schwestern, etwas schüchtern, da er fürchtete, ausgelacht zu werden, gleichzeitig aber durch die Maskierung schon etwas kühn gemacht. „Kann ich so gehen?“

Er trug zur weißen Rennfahrerkombination, an der die Reißverschlüsse glänzten, eine rote Lederkappe mit Autobrille. Dadurch wirkte er noch größer. Ange lachte.

„Herrlich siehst du aus, zum Verlieben. Nimm dich in acht!“ Sie rannte an ihm vorbei in den Flur. „Mutti, Muttiiiii, wo steckst du denn? Mutti, kann ich wirklich so gehen?“

Frau Birkner stand in der Küche und verteidigte den Salat, der das kalte Büfett und damit die Grundlage für die Bowle abzugeben hatte, gegen den Marsmenschen, einen Zirkusdirektor und ihren eigenen Ältesten, der in einem weißen Kittel steckte und sich irgendwo im Krankenhaus requirierte Abhörschläuche in die Ohren gesteckt hatte. Um den Kopf trug er ein Stahlband mit dem Rachenspiegel, der ihm fortwährend über die Augen rutschte. „Bis er in der Bowle liegt!“ jammerte Frau Birkner. „Nein, den Salat gibt’s jetzt noch nicht, erst wenn alle da sind. Machen Sie sich dünne, Herr Doktor!“

„Nur kosten! Nur prüfen! Ich bin vom Staatlichen Gesundheitsamt und beauftragt, nachzuforschen, wieviel Prozent Nitrit sich ...“

„Im Kartoffelsalat ist kein Nitrit“, fuhr Ange empört dazwischen, „Hering ist da drin, wenn du’s wissen willst. Raus mit euch aus der Küche, da klingelt es schon wieder! Los, macht auf!“ Sie trieb die Männer hinaus. „Mutter, du kannst dich ruhig anziehen, ich mach’ das hier schon fertig.“ Sie hatte nach der Uhr gesehen. Frau Birkner tat das auch.

„Ich weiß nicht, Ange, soll ich nicht doch lieber dableiben?“

„Aber Mutti! Soll Vater vergeblich auf dich warten? Fix, ins gute Kleid und ab durch die Mitte!“

Die „Kinder“ hatten Vater und Mutter gebeten, ihren Karneval allein feiern zu dürfen, und ihnen, um sie zu versöhnen, zwei Karten für eine Prachtaufführung der „Fledermaus“ spendiert. „Und hinterher geht ihr noch aus und trinkt einen, hört ihr? Oder zwei. Ihr sollt es doch auch lustig haben!“

Frau Birkner gab nach. Sie lief ins Schlafzimmer und zog sich um. Natürlich durfte sie ihren Mann nicht versetzen. Ein Glück nur, daß er überhaupt drauf eingegangen war, an diesem Abend auszugehen. Sie hatte ihm zugeredet, soviel sie konnte.

„Die Kinder sind jung, und Jugend will unter sich sein. Ich begrüße noch die Gäste, und spätestens halb zwölf sind wir zurück. Das genügt. Dann wird noch ein wenig weitergefeiert, und wir beide tanzen ein-, zweimal herum, du mit Bava und ich mit Harm“, Mutter tanzte sehr gern. Herr Birkner sah sie mißtrauisch an.

„Muß ich das?“

„Du mußt nicht, aber du wirst bestimmt gern wollen“, hatte sie das Gespräch geschickt und diplomatisch beendet, „und nun sag schon ja. Ich jedenfalls freu’ mich auf die ‚Fledermaus‘.“

Das tat sie wirklich, auch heute wieder, als sie sich in Windeseile umzog. Im Flur traf sie auf neu hereinströmende Gäste. Sie kannte und duzte alle Freunde ihrer Kinder. „Jaja, ich komme wieder. Ich bleibe euch nicht erspart!“ rief sie und entwand sich männlichen Armen, die sich kühn um sie zu schlingen versuchten. „Ihr wißt ja, daß ich gehe, da ist es leicht, mutig zu tun.“ Hinaus war sie. Die jungen Leute lachten.

„Frau Birkner ist in Ordnung!“

Das Motto dieses Faschingsabends hieß: „Du und ich in fünfzehn Jahren.“ Zwar fanden alle jugendlichen Gäste, daß sie nach Ablauf dieser unendlich langen Zeitspanne eigentlich schon uralt und sozusagen nicht mehr zu rechnen seien, aber man schwelgte trotzdem in Wunschträumen. Jeder hatte Berufspläne, die jetzt für ein paar Abendstunden Wahrheit werden sollten, und wenn es auch nur das Kostüm war.

Zunächst aber stürzten sich Chirurgen und Marsreisende, Lebedamen und Nobelpreisträger auf den Heringssalat, denn die meisten von ihnen waren Studenten und demnach chronisch hungrig, zumal jetzt gegen Ende des Semesters. Ange und Bava schleppten noch zwei große Holzteller voll Anschovis- und Käsebrötchen heran – einen dritten ließen sie vorsichtshalber versteckt in der Speisekammer –, und Harm füllte die Bowlengläser. Ehe aber der erste Schluck getrunken war, klingelte es, und Ange stürzte zur Tür. Ihr war im selben Augenblick eingefallen, daß ja Margot, ihr „Blutsbruder“ aus frühen Indianerspielen des Landlebens, noch fehlte. Richtig, sie war es.

Und ihr Erscheinen erweckte allgemeines begeistertes Bravo. Denn sie hatte, uneitel, wie sie war, als einzige der Damen gewagt, nicht auf hübsch, sondern auf komisch zu kommen. Jungen taten das eher, Mädel fast nie, was ja begreiflich ist.

Schon an sich nicht schlank, hatte sie die Breite ihrer Hüften noch übertrieben, „untermauert“, wie sie sagte, ein bäuerliches Kleid darüber gezerrt und ihr rotbackiges Gesicht mit einem knallbunten Kopftuch eingerahmt. Bäuerin – wer wollte heutzutage wohl noch Bäuerin sein? Margot. Unter einem Arm trug sie eine lebendige Gans, unter dem andern – kein Wunder, daß alles brüllte – ein ebenso lebendiges Ferkel.

„Deshalb komm’ ich ja so spät“, japste sie, „das Ferkel ist mir in der Straßenbahn ausgerückt. So ein Ferkel! Klar, ich hatte es in einer Kiste, aber ein Mitfahrender wollte unbedingt reingucken, und da mußte ich auch noch nachzahlen!“

Margot stammte aus dem Dorf, in dem der Großvater der Birkner-Kinder, Muttis Vater, Arzt war. Dort hatte Ange drei unvergeßliche Jahre ihrer Kindheit verlebt. Aus einem sechswöchigen Aufenthalt war so eine lange Zeit geworden. Anlaß dazu war eine simple Grippe mit hartnäckigem Husten. Erfolg: eine solch wertbeständige Freundschaft wie die mit Margot und eine immerwährende, nicht auszukurierende Sehnsucht nach dem Land.

Margot brachte sofort noch mehr Leben in die Bude. Sie ließ das Ferkel laufen und die Gans flattern. Allgemeines Gekreisch, das der Gäste aus Vergnügen, das der Gastgeber doch etwas erschrocken.

„Gut, daß Vater nicht da ist.“ Sogar Ange war nicht ganz wohl in ihrer Haut. Alles aber erwies sich als halb so wild. Das Ferkel kam in die Badewanne, die mit Holzwolle gepolstert einen schönen Behelfsstall abgab, und die Gans –

„Der hab’ ich eine Windelhose angezogen. Aus Billroth-Batist. Da kann nichts passieren“, beruhigte Margot und schob sich an den Tisch heran, „wie ist das, kriegt man hier was zu futtern?“

Als die Eltern Birkner kurz nach Mitternacht heimkamen, lief das Fest auf hohen Touren. Der Plattenspieler dudelte, und im Jungenzimmer, zu diesem Zweck ausgeräumt und wild dekoriert, hopsten die Rock’n’Roll-Tänzer und -Tänzerinnen hin und her, daß man selbst Lust bekam, mitzumachen. Der Marsmensch hatte längst die unbequemen Umhüllungen abgeworfen und brachte der kleinen Lebedame, deren Backen ohne Schminke roter glühten als seine angemalte Nase, die ersten wichtigsten Tanzschritte bei. Ange und Margot hockten, in ein eifriges Geflüster vertieft, auf der Kinderbank im Flur. Die Bowle war noch nicht zur Hälfte ausgetrunken, man hatte anscheinend keine Zeit dazu. Auch geraucht wurde wenig, die meisten der jungen Leute waren entweder Sportler oder Nichtraucher von Natur oder aus Prinzip.

Groß jedoch war das Beifallsgeheul, als Frau Birkner jetzt, rasch aus Mantel und Hut geschält, mit Kaffee und Kuchen aufwartete. Ange und Margot waren aufgesprungen und reichten Tassen und Teller herum. Im Nu hatte sich alles um die große Kanne versammelt. Da der Tisch hinausgeräumt war, balancierte man Tasse und Kuchen mehr oder weniger geschickt in den Händen.

„Ihr Kuchen ist ein lyrisches Gedicht“, versicherte der Zirkusdirektor und machte kugelrunde Augen, während er ein unwahrscheinlich großes Stück in den Mund verfrachtete. Er konnte trotzdem weitersprechen. „Ich werde ihn zeit meines Lebens rühmen und nie vergessen, Frau Birkner!“

Mutter lachte.

„Bitte, Herr Birkner, Sie müssen auch eine Tasse trinken“, bat Margot und lief, um eine zu holen, als sie Anges Vater etwas unschlüssig an der Tür zum Jungenzimmer entdeckte. Alle Türen standen offen, das Fest wogte durch alle Räume. „Und hier, ein Stück Bienenstich, bitte, versuchen Sie doch mal!“

„Einen Moment, ich möchte mir erst die Hände waschen.“ Vater Birkner verschwand hinter der Badezimmertür. Margot, plötzlich an ihr lebendiges Requisit denkend, ließ vor Schreck beinah ihre Tasse fallen. „Was wird er jetzt sagen!“

Er sagte nicht viel. Dazu war die Stunde nicht angetan und die Fröhlichkeit zu groß und zu mitreißend. Und Margot erklärte wortreich, daß sie, sie allein schuld sei. Sie kannte Anges Vater.

Nein, er verdarb keine Stimmung. Es wurde fröhlich weitergefeiert, und als die andern gingen, blieb Margot noch da, räumte mit den Geschwistern das Nötigste zusammen, um später auf dem zerlegenen Diwan im Schwesternzimmer zu nächtigen. So war es immer, weil sie so weit entfernt wohnte. Auch Ange blieb stets bei ihr über Nacht, wenn sie dort zu Besuch war.

Am andern Vormittag gab es ein großes Katerfrühstück, es war Sonntag, die Sonne schien, und das ganze Fest wurde noch einmal erzählender- und lachenderweise mit vielen „Weißt-du-nochs“ durchgenommen.

„Ungeschminkt gefallt ihr mir eigentlich besser“, sagte Herr Birkner und sah Töchter und Söhne der Reihe nach an, auch Margot. „Aber es gehört ja wohl dazu. Früher hatten wir allerdings immer ein Motto bei solchen Festen. Das gibt’s wohl jetzt nicht mehr?“

„Doch! Unseres hieß: Du und ich in fünfzehn Jahren!“ sagte Margot und biß in eine Gewürzgurke. „Ich hoffe nur, in fünfzehn Jahren nicht ganz so dick zu sein wie gestern.“

„Aber euer Gut bewirtschaften, das möchtest du doch“, sagte Harm vergnügt. „Mach dir keine Sorgen, so eine richtige dicke Doppelschulzin ist auch was wert!“

„Danke. Ich wollte nur, daß ihr alle günstig abstecht mit euem Figuren, daher nahm ich das Opfer auf mich.“

„Sicher! Nur!“

„Und du, Ange? Was bedeutete dein Kostüm?“ fragte der Vater. „Tumierreiterin? Eine zweite Helga Köhler?“

Ange wurde rot, so sehr sie es zu verhindern suchte.

„Nein. Nur Reitlehrerin“, sagte sie halblaut. Und damit war die Fackel im Pulverfaß.

Übrigens – zur Explosion kam es nicht. In dieser Stunde nicht. Frau Birkner stand, wie ach so oft, als wachsamer Hellebardier Posten. Sie beruhigte und glich aus, verstand, das Thema zu wechseln und den Zorn ihres Mannes zunächst abzufangen. Trotzdem merkten alle die Gefahr, auch Margot. „Au backe, das rauchte“, sagte sie nachher zu Ange, als sie im Mädelzimmer stand und ihren Koffer packte. „Ich hatte mehr Angst als heute nacht wegen des Ferkels. Ich dachte, er wüßte es schon!“

„Ach wo, er hat es nie für bare Münze genommen“, murmelte Ange. Es klang verzagt. „Immer meinte er, es wäre nur Luftschloß und Illusion bei mir. Dabei ist es doch heute gar kein aussichtsloser Beruf mehr!“

„Gar nicht. Reiten ist wieder modern. Jeder sieht das“, sagte Margot eifrig. „Überall werden Reitvereine gegründet, überall Reitlehrer gesucht. Reiten ist als Gegengewicht gegen das Managertum und die Motorisierung jetzt die Masche. Außerdem gibt es wieder Gestüte, die Bereiterinnen suchen. Ich weiß das, mein Onkel hat eins, bei Oldenburg. Der nimmt viel lieber Frauen als Männer.“

„Natürlich.“ Ange saß auf einem kleinen Fußbänkchen, die Arme auf die Knie gestützt und die Hände um die Wangen gelegt. „Aber sag das mal Vater! Der will am liebsten, daß wir alle Beamte werden, mit Pensionsberechtigung.“

„Ach Quatsch, dein Bruder wird doch auch Arzt, und was ist das heute für ein schwerer Beruf!“ sagte Margot. „Mein ältester Bruder studiert auch Medizin, ich weiß, wie schwer es ist, da hineinzukommen. Wenn er das durchgesetzt hat –“

„Ja, aber Arzt ist was anderes. Das ist etwas Seriöses, und das hat es immer schon gegeben. Wenn Vater mich wenigstens jetzt Ostern mit der mittleren Reife aus der Schule gehen ließe!“ seufzte Ange. „Denn Vater als Landgerichtsrat will eben mit seinen Kindern auf Nummer Sicher gehen.“

Dasselbe sagte in diesem Moment Anges Mutter zu ihrem Mann, freundlich, vorsichtig, auf die ihr eigene, nette Art.

„Es gibt in jeder Generation neue Berufsmöglichkeiten. Und je weniger üblich ein Beruf ist, desto eher hat man Chancen, etwas darin zu leisten und hochzukommen“, sagte sie. „Ange ist nun einmal für die Stadt verdorben, sie gehört aufs Land. Ich fände es sehr vernünftig, wenn wir sie diese Ostern aus der Schule nähmen.“

„Und Reitlehrerin werden ließen! Wo soll ich denn nur das Geld für so einen Wahnsinnsberuf hemehmen?“ fragte Herr Birkner aufgebracht. „Teure Ausbildung, überhaupt keine Aussichten, und wer sagt denn, daß sie sich überhaupt dafür eignet?“ Sein Gesicht war vor Zorn gerötet. „Ich finde, du solltest Vernunft annehmen und das Mädel in seinen unreifen Ideen nicht auch noch unterstützen. Lehrerin soll sie werden, das ist etwas Solides, und da kann sie auch aufs Land. Die Ausbildung ist nicht lang und verhältnismäßig billig. Dazu braucht sie aber das Abitur.“

„Sie möchte aber gern ...“

Vater ließ sie nicht ausreden. „Reitlehrerin! Ihr seid von allen guten Geistern verlassen!“

Das letzte sagte er so laut, daß man es auf dem Flur hörte. Dort gingen grade Ange und Margot vorbei, leise, nicht um zu lauschen, sondern um das Ferkel aus dem Bad zu holen und wieder zu verpacken. Ange faßte unwillkürlich nach Margots Hand.

Margot packte mit ihrer fest zu.

„Still, halt den Mund!“ flüsterte sie leise, aber energisch. „Das tritt sich alles fest, sagte Kornelius, als ich das erste Mal vom Satan sauste ...“

Ange stand am Zugfenster, sie brachte es einfach nicht fertig, sich hinzusetzen, so kribbelte es in ihr vor Ungeduld und Spannung. Sie steckte das ganze Abteil an. Und zwei Stationen vor Lauterbach hatte sie schon die Mütze auf dem Kopf, den Mantel an, die beiden Koffer bei Fuß und die Fahrkarte in der Hand. Endlich quietschten die Bremsen.

Der kleine Bahnhof lag friedlich und still im Schein der Aprilsonne da. Niemand außer Ange stieg aus. Sie fühlte eine plötzliche Beklommenheit und sah sich hilfesuchend um, da winkte es auch schon beidarmig über den Zaun. So winkte nur eine: Margot. Nun war alles gut.

„Ja, da staunst du, aber ich konnte dich doch nicht allein hier in der Landschaft stehenlassen“, sprudelte Margot hervor und stemmte die beiden Koffer auf den kleinen, leichten Wagen hinauf, „da bin ich einfach eine Stunde eher aufgestanden und hab’ vorgearbeitet. So was erlaubt die Königin, die ist überhaupt ein Prachtkerl. Und hier auf dem Bock, das ist der Hermann, der ist auch einer, und das hier ist Harras.“

Sie war vorn vor das Pferd getreten und streichelte seinen Kopf. Ange grub bereits heftig in den Taschen nach Zucker.

„Da, mein Guter, du bist das erste Lauterbacher Pferd, das ich kennenlerne. Schmeckt’s? Komm, noch einen! Ja, ja, brav bist du.“

„Gib ihm nur reichlich, er verdient’s“, sagte Margot, „Er bekommt das Gnadenbrot und tut nur noch Gelegenheitsdienste.“

Sie kletterten auf den Wagen, und Harras zog an. Margot redete drauflos, unbekümmert um Hermann, der sich zuweilen schmunzelnd nach den beiden „Frolleins“ umsah. Ange holte tief Luft.

„Margot, ich freu’ mich so!“

„Und ich erst! Nun erzähl! Ging alles glatt? Niemand was gemerkt?“

„Du meinst, meine Eltern? Nein, wie sollten sie? Sie wissen ja nur, daß Lauterbach eins der besten Lehrgüter ist, auf dem man alles lernt, was nötig ist, wenn man landwirtschaftliche Lehrerin werden will oder ...“

„Oder etwas ganz anderes“, vollendete Margot und lachte.

„Du hast doch nicht etwa – du hast doch Frau König nicht etwa gesagt ...“

„Daß du eigentlich Reitlehrerin werden willst? Oder Bereiterin? Nein, das hab’ ich nicht gesagt“, sagte Margot und lachte noch mehr, „das ist auch vollkommen überflüssig. Das sieht sie dir nämlich an der Nasenspitze an, auf den ersten Blick. Die Königin sieht alles, verlaß dich drauf. Aber sie hat nichts dagegen. Das ist nämlich ihr Geheimnis, ihr Trick, stets die besten Lehrlinge zu haben.“

„Das versteh’ ich nicht“, sagte Ange langsam.

„Glaub’ ich, aber wart nur ab. Zunächst sind wir erst mal da, das ist das Gut! Komm, ich bring’ dich in unser Zimmer. Die beiden andern Neuen sind schon gestern angekommen, jetzt sind wir vollzählig. Los, hopp, in zehn Minuten läutet’s zu Mittag, und vorher sollen wir noch zur Königin kommen.“

Sie liefen die Treppe hinauf. Am Ende des Ganges nach Süden zu mit einem wunderschönen Blick auf den Garten hinaus lagen die beiden Lehrlingszimmer nebeneinander. Margot, die schon ein halbes Jahr hier als Lehrling tätig war, riß die Tür auf und schob Ange hinein. Von nebenan hörte man auch eifriges Schwatzen.

„Sind sie genießbar?“ fragte Ange und deutete, während sie ihr Kleid zuknöpfte, mit dem Kopf nach dem Nebenzimmer.

„Ich hoffe. Herta sieht tüchtig und vernünftig aus, sie stammt von einem größeren Gut. Erika ist aus der Stadt, schmächtig, aber nicht dumm, soviel ich mitgekriegt habe. Soweit man das sagen kann von jemandem, der aus der Stadt ist ...“

„Du“, drohte Ange, „ich bin schließlich auch ...“

„Ach Quatsch bist du“, lachte Margot, „wie lange warst du in Neuhausen? Na? Drei Jahre und alle Ferien. Ich glaube, das genügt. Ach Ange, schön war das damals!“

„Ja.“ Ange lachte auch. Es waren die bisher schönsten Jahre ihres Lebens gewesen, diese drei Jahre auf dem Dorf bei den Großeltern. Von da stammte auch ihre Liebe zu den Pferden.

Die mußte allerdings schon in ihr gesteckt haben, so etwas kommt nicht von außen, von einem zufälligen Aufenthalt auf dem Land. Großvater war auch ein begeisterter Reiter, und unter seinen Ahnen gab es viele Landwirte. Vater war ein bißchen aus der Art geschlagen mit seinem Beruf, fand sie im stillen, wie überhaupt jeder Beruf, der nicht mit Pferden zu tun hatte, für sie im Grunde gar nicht zählte. Margot hatte andere Pläne.

„Ich will die Landwirtschaft von allen Seiten lernen“, sagte sie, „ich übernehme das Gut doch einmal. Heinz will Forstmann werden und Helmut Arzt. Aber reiten tu ich natürlich mit.“

Ange fragte sofort wieder, sooft sie es in letzter Zeit, sobald sie mit Margot zusammen war, auch schon gefragt hatte:

„Gibt es denn so was? Weißt du auch bestimmt, daß Frau König es auch dies Jahr erlaubt?“

„Komm, los, es läutet. Pünktlichkeit wird hier großgeschrieben!“ sagte Margot statt aller Antwort und fegte hinaus. Eben ging auch die Zimmertür von nebenan auf, und zu viert liefen sie die Treppe hinunter, standen dann zu viert – denn Margot pochte nicht auf ihr Recht als „Ältere“ – vor der Königin, wie Frau König bei den Lehrlingen nun einmal hieß.

„Ich freu’ mich, daß ihr da seid“, sagte diese nach der Begrüßung und sah lächelnd in die gespannten Gesichter, „Margot hat euch sicher schon manches erzählt. Aber es ist vielleicht trotzdem gut, daß ich in kurzen Zügen alles noch einmal wiederhole. Spitzt die Ohren, ich sage nicht gern etwas zweimal, das könnt ihr euch als allererstes merken.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ja, ihr dürft reiten lernen. Ich habe es immer erlaubt, weil ich selbst als junges Mädel leidenschaftlich gern ritt. Und mein Bruder tut euch den Gefallen, er tut es – um euch gleich auch dieser Sorge zu entheben – unentgeltlich, nicht nur, um, wie er sagt, seine Pferde zu bewegen, sondern weil er große Freude an reitender Jugend hat, an männlicher und weiblicher. Wenn ihr also die elterliche Erlaubnis erhaltet und den kleinen Versicherungsbeitrag aufbringt, steht dem Reiten nichts im Wege.“

„Erzählt mir nicht“, sie lächelte flüchtig, was ihrem