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Angst wird in der gegenwärtigen Corona-Pandemie oft nicht oder nicht hinreichend mit einbezogen. Dazu möchte dieses Buch einen Anstoß geben. Denn es ist auch Angst, mit der wir in dieser besonderen Zeit, in der wir alle von einem ansteckenden Virus bedroht werden, umgehen müssen. Den meisten gelingt das gut. Die Angst, die sich gegebenenfalls einstellen mag, lähmt sie nicht, sondern schärft ihren Blick für das Notwendige. Sie begegnen der Gefahr mit Vertrauen und Hoffnung. Vertrauen in die Politik, dass sie Übergangslösungen zu unserem Schutz findet und durchsetzt sowie Hoffnung in Wissenschaft und Forschung, dass Impfstoffe und Medikamente entwickelt werden, um das Virus zu bekämpfen und so bald wie möglich seiner Herr zu werden. Andere wiederum leugnen den Virus oder seine Gefährlichkeit. Sie protestieren gegen die verordneten Maßnahmen und glauben lieber an abstruse Verschwörungstheorien, gegen die sie sich auflehnen. Ihnen ist anscheinend auch Eigenverantwortung und Rücksicht auf andere vollkommen abhandengekommen. Angst ist hier in vielen Fällen ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis dieser Menschen.
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Seitenzahl: 122
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Zu diesem Buch
Bei diesem Buch handelt es sich um die Veröffentlichung einer freien wissenschaftlichen Arbeit der Autorin zur Erlangung des Grades eines Magister Artium. Eingereicht im Februar 1989 am Religionswissenschaftlichen Institut im Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften II der FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN mit dem Titel „ZWISCHEN FURCHT UND ANGST.
Religionswissenschaftliche Aspekte der Angsttheorien von Freud, Riemann und Pfister“.
Der Text wurde nur unwesentlich verändert, jedoch wurde die neue Rechtschreibung verwendet. Bei sämtlichen Zitaten wurde selbstverständlich die Originalrechtschreibung beibehalten, ebenso die Fußnoten. Die Quellennachweise befinden sich am Ende des Textes.
Zur Autorin
Evelin Dehl-Storbeck wurde am 1. April 1951 in West-Berlin geboren. Sie studierte Religionswissenschaft, Psychologie und Spanisch an der Freien Universität Berlin. Von 1991 bis 2013 lehrte sie im Auftrag des Humanistischen Verbandes Deutschland Lebenskunde an verschiedenen Grundschulen in Tiergarten (Berlin-Mitte). Sie ist Humanistische Beraterin.
Zweifle nicht an dem, der dir sagt er hat Angst, aber hab Angst vor dem, der dir sagt, er kenne keinen Zweifel.
Erich Fried
Jage die Ängste fort Und die Angst vor den Ängsten.
Mascha Kaléko
Warum jetzt, nach über 30 Jahren, meine Magisterarbeit veröffentlichen? Die Antwort ist so einfach wie verwunderlich: die Angst hat in unserem Leben wieder Aktualität. Eine neue Aktualität. Für viele eine völlig neue Erfahrung.
Es ist erstaunlich, wie viele Menschen auf die Frage, ob sie Angst vor Covid-19 haben, antworten: „Nein, ich habe keine Angst“. Es scheint, als ob Angst vor der Pandemie nicht gerne zugegeben wird. Tatsächlich ist das kein neues Phänomen: Furchtlosigkeit und fehlende Angstbereitschaft gehören schon immer zu den menschlichen Idealen. Aber ist es nicht gerade unsere Angst, die uns in dieser Pandemie den Lockdown unseres gesellschaftlichen und auch privaten Lebens akzeptieren oder zumindest hinnehmen lässt?
Dass wir ein englisches Wort dafür benutzen, verweist vielleicht schon auf unsere Angst. Ein Wort in einer fremden Sprache greift uns nicht so an, wir empfinden eine gewisse Distanz zu seiner Bedeutung. Und was meint eigentlich LOCKDOWN? Wörtlich übersetzt bedeutet das englische Wort „Ausgangssperre“. Das ist ein unheilvolles Wort, es erinnert an den Krieg. Wir haben uns für den englischen Begriff entschieden. Lockdown bedeutet in der momentanen Situation für uns und übrigens auch für die Briten ganz etwas anderes: Es bedeutet das Herunterfahren unseres gesamten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Lebens auf das Nötigste, und auch in Großbritannien musste das Wort erst mit diesem neuen Inhalt gefüllt werden. Wir befinden uns ja nicht in einer „Ausgangssperre“ in dem Sinne, dass wir nicht vor die Tür gehen dürfen, zumindest nicht hier bei uns. Ganz anders sieht es in anderen Ländern aus, zum Beispiel in Spanien. Dort benutzt man dann auch tatsächlich das spanische Wort für Ausgangssperre „confinamento“, meint damit aber nicht nur das in der Tat verordnete Ausgangsverbot, sondern ebenfalls das Herunterfahren aller Lebensbereiche, das Schließen der Bars und Restaurants, der meisten Geschäfte, der Kinos, Theater usw. Wir hier in Deutschland jedenfalls durften von Anfang an lebensnotwendige Dinge uneingeschränkt einkaufen gehen. Niemand kontrollierte, ob ich den Supermarkt an der Ecke dazu wählte oder den ein paar Straßen weiter: Lebensmittelgeschäfte, Drogeriemärkte und Apotheken hatten und haben geöffnet, ja sogar die Buchläden. Wir durften und dürfen spazieren gehen und selbst einzeln Freunde oder Verwandte besuchen. Die Kinos aber, die Theater, Shows, Kabaretts und Konzerthäuser sind zu, die Sport- und Schwimmhallen geschlossen. Kein Restaurantbesuch mehr, nicht einmal einen Kaffee trinken in dem kleinen Café an der Ecke. Wir können nicht ins Museum, in keine Ausstellung und auch nicht in den Zoo oder ins Aquarium. Teilweise waren sogar die Spielplätze gesperrt und Parkbänke blockiert, damit man sich ja nicht hinsetzte – warum eigentlich nicht? Wir haben Angst uns anzustecken und zu sterben oder davor, in irgendeiner Weise durch die besiegte Krankheit, wenn uns dies denn gelingen sollte, an ihren Folgen in unserem Körper zu leiden, was inzwischen „Long Covid“ genannt wird.
Natürlich haben wir nicht nur Angst, selbst an Covid-19 zu erkranken, wir haben auch Angst, unsere Liebsten anzustecken. Und so isolieren wir uns, gehen uns aus dem Weg und geben vieles auf, was unser Leben bisher schön, interessant und lebenswert gemacht hat.
Eine Frau auf einer dieser Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstrationen brachte es für mich dann auf den Punkt: Auf die Frage, warum sie hier sei, antwortete sie ganz schlicht: „Ich will nicht dauernd in Angst leben, darum bin ich hier und protestiere.“ Das war es also: Angst. Und Angst macht mit uns das Absonderlichste, sogar die Leugnung der Gefahr durch Corona und somit der Notwendigkeit der folglich als überflüssig oder übertrieben angesehenen Maßnahmen dagegen. Es ähnelt in auffälliger Weise der Leugnung des Klimawandels, der auch von vielen geleugnet oder bagatellisiert wird – weil er eben Angst macht.
Da kam mir meine Magisterarbeit in den Sinn: Zwischen Furcht und Angst. Ich holte sie hervor, las sie, und es hat mich erstaunt, wie aktuell alles klang und wie interessant plötzlich noch einmal die verschiedenen Aspekte der Angst und der Furcht waren.
Zum Beispiel zitiere ich da Paul Tillich, ein deutscher und später US-amerikanischer protestantischer Theologe und Religionsphilosoph. Er gehörte – zusammen mit Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer, Rudolf Bultmann und Karl Rahner – zum Kreis einflussreicher deutschsprachiger Theologen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er sagt, der von Angst ergriffene Mensch neige dazu, sich „Gegenstände der Furcht zu schaffen; denn der Furcht kann durch Mut begegnet werden.“ Die Angst jedoch entziehe „sich auch noch dem mutigsten Angriff.“ Das heißt, diese Frau, und mit ihr sicherlich sehr viele andere, verwandelt ihre Angst vor der Pandemie, gegen die sie sich machtlos fühlt, in eine Furcht vor der Gefahr der Entstehung einer „Corona-Diktatur“, wie es von vielen Corona-Leugnern und Demonstranten wegen der Maßnahmen der Regierung behauptet wird – neben vielen anderen hanebüchenen Theorien. Und so gelingt es diesen Menschen, der Angst vor der realen Gefahr der Pandemie zu entkommen.
Das führt uns direkt zu meiner Arbeit, die ich mit der Erläuterung der Bedeutung der beiden Begriffe „Furcht“ und „Angst“ beginne. Es folgt ihre Darstellung sowie Interpretation in der Philosophie und ihre unterschiedliche Gewichtung. Tillich ordnet darüber hinaus die verschiedenen Ängste den verschiedenen Epochen der Geschichte zu. Ich habe mich gefragt, ob wir wieder, wie in einem Kreis, in der Angst der Antike angelangt sind, wo die Angst vor Schicksal und Tod im Mittelpunkt stand. Diese Pandemie zeigt uns jedenfalls so deutlich wie seit vielen Jahren nicht mehr, wie zutiefst wir Menschen unseren Ängsten ausgeliefert sind, wenn wir es mit etwas zu tun haben, das wir nicht kennen, demgegenüber wir also unwissend sind, und das wir weder einschätzen noch beherrschen können. Das bringt dann auch bei einigen irrationale Reaktionen hervor.
Schließlich wende ich mich in meiner Arbeit der Psychologie zu, hier ganz speziell den Bemühungen der Psychoanalyse, Angst zu bekämpfen, gar aufzulösen. Freud selbst war der Überzeugung, das Angstfreiheit möglich sei. Er glaubte dabei an die Macht der Vernunft und die Erfolge der Wissenschaft. Der Psychoanalytiker Riemann (1902-1979) hingegen war der Meinung, dass der wissenschaftliche Fortschritt zwar viele Ängste des Menschen beseitigen werde, er aber neue Ängste zur Folge haben wird.
In unserer gegenwärtigen Situation erleben wir genau das, und es wird noch viel zu tun geben. Ganz besonders bei den jungen Menschen, die anfangs gar nicht groß im Fokus standen, auf die wir aber zunehmend aufmerksam werden und hier speziell die Schüler und Schülerinnen, die plötzlich zu Hause per Videokonferenz lernen sollen und keinen Kontakt untereinander haben dürfen, gerade aber in ihrem Alter dringend den direkten körperlichen und geistigen Umgang mit Gleichaltrigen brauchen, um ihre Identität zu finden und erfolgreich erwachsen zu werden. Welche Auswirkungen das hat und welche Ängste bei ihnen entstehen, beginnen wir gerade erst zu ahnen.
Schließlich komme ich in meiner Arbeit auf die Angst in den Religionen zu sprechen, die einerseits für viele Menschen eine Hilfe anbieten, Ängste zu bewältigen, auf der anderen Seite schon immer eine Quelle von Ängsten gewesen sind.
Und wenn der mit der psychoanalytischen Methode arbeitende Seelsorger Oskar Pfister (1873-1956) sagt: „Ich muß gestehen, daß ich bei aller Freude an den Fortschritten der Wissenschaft und Technik an die Suffizienz und Tragfähigkeit dieser Lösung des Lebensproblems nicht glaube“, dann sind wir wieder ganz in der Gegenwart.
Die Pandemie ist da. Wir haben es mit einer realen Gefahr zu tun und in deren Folge also, um mit Sigmund Freud zu sprechen, mit Real-Angst. Wie gehen wir nun damit um?
Ich habe keine Lösung anzubieten, nur meine Arbeit, die vielleicht hilft, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen oder zumindest einen kleinen Denkanstoß gibt.
Berlin, im April 2021
ZWISCHEN FURCHT UND ANGST.
Religionswissenschaftliche Aspekte der
Angsttheorien von Freud, Riemann und Pfister
EINLEITUNG
ALLGEMEINES
Definition
Erscheinungsbild
Sprachgeschichte: Angst/Furcht
Die Angst in der Philosophie
Die Angst in der Religion
Die Angst im Christentum
DIE ANGST BEI FREUD
Erste Angsttheorie (1915/16)
Zweite Angsttheorie (1932)
Das Wesen der Angst
DIE ANGST BEI RIEMANN
Die vier Persönlichkeitsstrukturen und ihre Angstbedingungen
Angstbedingung für die schizoide Persönlichkeitsstruktur
Angstbedingung für die depressive Persönlichkeitsstruktur
Angstbedingung für die zwanghafte Persönlichkeitsstruktur
Angstbedingung für die hysterische Persönlichkeitsstruktur
Das Wesen der Angst
OSKAR PFISTER
Die Angst bei Pfister
Pfister als analytischer Seelsorger
SCHLUSSBEMERKUNG
Quellennachweise
Literaturverzeichnis
Das Studium der verschiedenen Auffassungen Freuds über die Angst und die Frage, welche Bedeutung die Angst und vor allem die Angstüberwindung in der christlichen Religion hat, bildeten den Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit.
Ich werde zunächst den Begriff Angst in seinen allgemeinen Zusammenhängen wie Begriffsklärung, Erscheinungsbild und Sprachgeschichte darstellen sowie einen kurzen Überblick über die Bedeutung und Bewertung der Angst in den verschiedenen Epochen der westlichen Philosophie und Religion geben. Hierbei werde ich mich weitgehend an dem Artikel „Angst“ für das Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe von Renate Schlesier orientieren, und ich möchte Frau Schlesier an dieser Stelle danken, dass sie mir ihr Manuskript so bereitwillig zur Verfügung gestellt hat.1
Anschließend werde ich Sigmund Freuds Angsttheorie ausführlich erläutern und zeigen, was Angst nach Freuds Auffassung ist, wie sie entsteht, wie sie bewältigt bzw. scheinbar bewältigt wird. Freud unterscheidet zwischen Realangst und neurotischer Angst. Er war der erste, der die neurotische Angst, die „nicht normale“, krankhafte Angst ernst nahm, und schließlich zeigte, dass sich hinter ihr eine reale Ursache verbirgt, das heißt, dass sie ebenso wie die Realangst ein Konflikt ist, der aufgelöst werden kann. Seine methodischen und theoretischen Fundamente haben sich nach Wolfgang Loch bis heute als „fest gegründet und tragfähig erwiesen“,2 und die Psychoanalyse Freudscher Schule ruht immer noch auf ihnen.
Im 3. Kapitel werde ich die Lehre von der persönlichkeitsprägenden Wirkung der Angst vorstellen, wie sie vom Psychoanalytiker Fritz Riemann 1976 entwickelt worden ist.3 Riemann wurde 1902 geboren. Er praktizierte in Berlin und München als Psychoanalytiker und wurde dort Dozent sowie Lehranalytiker im Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie. Er starb 1979.
Im Gegensatz zu Freud schließt sich Riemann der Auffassung der Existentialisten an, für die die Angst eine „Grundbefindlichkeit“ (Heidegger) des Menschen ist, und er geht ebenso wie Paul Tillich davon aus, dass die Angst ontologisch begründet und verursacht sei und Angstfreiheit eine Illusion.4
In ca. dreißig Jahren praktischer Erfahrung mit der Psychoanalyse hat Riemann die Auffassung gewonnen, dass sich hinter den verschiedenen individuellen Ängsten existentielle Ängste verbergen, die er „Grundängste“ nennt, von denen sich niemand befreien kann. Diese Auffassung der Angst Riemanns werde ich darlegen, wobei es mir weniger darum geht, seine Fallgeschichten von neurotischen Patienten zu referieren als vielmehr die allgemein menschliche Bedeutung der Riemannschen Grundängste für den Menschen darzustellen, die sich nach seiner Auffassung in einer bestimmten Charakterstruktur manifestieren und denen er auch durchaus eine positive Kraft zuschreibt. Wie Paul Tillich so ist auch Riemann davon überzeugt, dass zwischen neurotischer oder, wie Tillich es nennt, „pathologischer“ Angst und existentieller Angst unterschieden werden muss. – Ich werde mich in meiner Arbeit immer wieder auf die Schrift Tillichs „Der Mut zum Sein“ beziehen, ohne diese jedoch darzustellen.
Im 4. Kapitel werde ich die Auffassung der Angst des Schweizer Theologen Oskar Pfister vorstellen und zeigen, wie er mit Hilfe der psychoanalytischen Methode die Angst, der er bei seiner seelsorgerlichen Tätigkeit immer wieder begegnet, zu überwinden hilft. Pfister wurde 1873 in einem Vorort von Zürich geboren. Er studierte in Zürich und Basel Theologie und promovierte in Berlin zum Dr. phil. Er war über dreißig Jahre Pfarrer und widmete sich seiner seelsorgerlichen Arbeit mit großer Hingabe. Dreimal hat er eine akademische Laufbahn abgeschlagen, weil er die Pastoraltheologie als seine eigentliche Berufung ansah.5 Er stand zwar der Aufklärung mit gewissen Vorbehalten gegenüber. So schreibt er in einem Brief an Freud: „»Reine« Erfahrung ist in meinen Augen sowieso eine Fiktion, und wenn wir die Geschichte der Wissenschaften überblicken, so sehen wir, wie dubios die Wirklichkeit ist, die in unserer so genannten Erfahrung steckt. Und auch diese Mischung von Illusion und Wahrheit, die wir »Erfahrung« nennen, gewinnen wir nur mit Hilfe von transempirischen Annahmen. [...] Der Nur-Empiriker ist in meinen Augen ein Nonsens, [...].“6 Dennoch lehnte er sich an Freuds Auffassung an, dass Angst ein Konflikt ist, der bewältigt werden kann. „Aufgrund seiner ausführlichen theologischen und praktischen Beschäftigung mit der Psychoanalyse wurde er einer der ersten »Laienanalytiker«.7 Pfister starb 1956.
Für Pfister ist jedoch völlige Angstfreiheit nicht das unbedingte Ziel seiner analytisch-seelsorgerischen Tätigkeit: „Vom Standpunkt des Christen aus gesehen gilt zunächst einmal der Grundsatz, die Angst nicht unter allen Umständen radikal auszurotten, sondern mit ihr umzugehen, dass sie die Liebe zu Gott, dem Menschen und sich selbst möglichst wenig beeinträchtigt oder sie sogar bestmöglich fördert.“8 Hier deutet sich einerseits schon an, dass für Pfister die Liebe eine bedeutende Rolle spielt, und in der Tat steht sie im Mittelpunkt seines gesamten philosophischen und theologischen Denkens. Er sieht sie verkörpert in Jesus, der für ihn »ganz nur Liebe und Erbarmen gewesen« und »der große Erlöser von der Angst«9 ist. Andererseits wird hier die „Mittelstellung“ Pfisters erkennbar, die er zwischen Freud und Riemann einnimmt, und die ich in meiner Arbeit deutlich zu machen gedenke. Während für Freud die Angst ausschließlich ein Konflikt und somit zumindest theoretisch lösbar ist, gilt Riemann Angstfreiheit als eine Illusion, die dem Wesen des Menschen widerspricht. Pfister dagegen, der Theologe, vertritt die Position, dass die Angst zwar prinzipiell lösbar sei im Sinne Freuds, aber Angstfreiheit trotzdem nicht unbedingt das Ziel sein muss, sondern, im Gegenteil »ein bisschen« Angst könnte vielleicht sogar förderlich wirken bei der Bemühung des Menschen, die Gottes-, Menschen-und Selbstliebe zu fördern.
Angst wird im allgemeinen als ein Gefühl der Enge und Beklemmung definiert, als ein Zustand, in dem der Mensch in seinem wesentlichen Sein selbst bedroht ist.10 „Die Unsicherheit, Instabilität, Gefährdetheit der menschlichen Existenz, die Ungewissheit des Zukünftigen, die nie ganz auszuschließende Gefahr einer Veränderung zum Schlechteren, schließlich die Sterblichkeit, bilden die objektive Grundlage der Angst.“11