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Im Glauben steckt ein bedeutsames Potenzial, um gelassener und authentischer zu leben, Talente zu entfalten, Mut zur Menschlichkeit zu zeigen, Ängste und Grenzen wahrzunehmen und immer neu aufzubrechen. Denn Gott ist nicht in einer verlorenen Vergangenheit und nicht in rigider Strenge. Er ist in der Weite, im Risiko der Liebe. Er geht mit und will, dass wir LEBEN. Trauen wir ihm. Trauen wir uns.
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Seitenzahl: 88
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ANGELO CASATI
ÄNGSTE, DIE IN UNS WOHNEN – UND WIE DER GLAUBE UNS BEFREIT
Angelo Casati
VERLAG NEUE STADT MÜNCHEN · ZÜRICH · WIEN
Titel der italienischen Originalausgabe:Le paure che ci abitano, © Edizioni Romena,Pratovecchio (AR), 2011.
Übertragung ins Deutsche: Stefan Liesenfeld
Fotos: S. 11, 23, 31, 51, 89, 110: Stefan Liesenfeld; S. 41:Klaus Honermann; S. 60: Ursel Haaf, S. 69: Martin Schnirch;S. 79: Herbert Schwind; S. 99: Heinz Liesenfeld.
2015, 1. Auflage© Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt GmbH, MünchenUmschlaggestaltung unter Verwendungeines Fotos von Manuela NeukirchGestaltung und Satz: Neue-Stadt-GrafikISBN 978-3-7346-1034-9eISBN 978-3-87996-428-4
www.neuestadt.com
„Fürchtet euch nicht!“
Eine „Engelsstimme“(Lukas 2,10)
„Ihr seid zur Freiheit berufen …“
Paulus(Galater 5,13)
„Lies das; es ist eine Perle!“, sagte der befreundete italienische Verleger, und er sprach nicht von einem Buch aus seinem Verlag. Seine Augen leuchteten, und ich verstand bald, warum … Angelo Casatis Notizen, Gedichte, Reflexionen sind Aufzeichnungen eines hellwachen Geistes, eines weisen alten Menschen, eines Christen, eines „einfachen Priesters, der gern unter den Menschen ist“, wie er selber sagt. Was er schreibt, ist sehr persönlich und universal zugleich, es lässt wie in einem Spiegel etwas aufstrahlen von der befreienden Kraft der „guten Nachricht“, und er hält den Spiegel so, dass diese Weisheit und Kraft hineinleuchtet in unsere Zeit mit ihren – unseren – vielfältigen Ängsten und hemmenden Sorgen.
„Lies das“, sagte der Freund: weil es gut tut, weil das Leben kostbar ist, weil der Glaube frei machen will, weil Gott das Leben liebt!
Stefan Liesenfeld
Frei werden von der bangen Sorge um unser Leben
Frei werden von der Gottesangst
Frei werden von der Angst vor dem Unbekannten
Frei werden von der Angst vor dem Tod
Frei werden von der Angst vor dem anderen
Frei werden von der Angst vor Güte und Sanftmut
Frei werden von der Angst zu lieben
Frei werden von der Angst, seine Schwachheit und Grenzen zu zeigen
Frei werden von der Angst vor der Freiheit
Frei werden von der Angst zu denken
Frei werden vom Gefühl der Unsicherheit
Frei werden von der bangen Sorgeum unser Leben
Meine Hand streichtüber die taubedeckten Gräserder MorgenwieseIch halte den Atem anDer letzte Stern funkeltUm meinen Durst zu stillengenieße ich in vollen Zügendie stille Schönheitgenieße das milde Lichtdes neuen Morgensund atme auf
Jesu Sprache hat es mir angetan. Wie anschaulich, wie reizvoll sind seine Bilder: Da ist die Rede von Vögeln und Getreidespeichern, von Kleidern und Lilien, von Gräsern, die auf Feldern und Wiesen wachsen … Wie leblos sind dagegen so viele Dokumente unserer Tage mit ihrer bilderlosen Sprache, Verlautbarungen voller gewichtiger Formulierungen und ohne Poesie. Spontan kommt mir die bange Frage: Und ich, wie rede ich?
* * *
Besonders gehen mir die Verben nach, die Jesus in der Bergpredigt im Zusammenhang mit unserem Mühen und Sorgen verwendet (vgl. Matthäus 6). Es sind Aufforderungen, Imperative: Jesus sagt uns, was wir nicht sollen und was wir sollen.
Uns Sorgen machen, das sollen wir nicht, heißt es gleich drei Mal:
„Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt …“;
„Macht euch keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen?“;
„Sorgt euch nicht um morgen!“
Positiv heißt es: „Sucht!“ „Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit!“ Doch dies ist nicht das Einzige, was Jesus uns nahelegt; da sind noch andere, oft übersehene oder unterschlagene Imperative:
Schaut! Seht hin!Beobachtet – und lernt!
„Seht euch die Vögel des Himmels an …“; „Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen“ …
Schauen wir hin? Sehen wir? Nehmen wir uns Zeit zum Schauen?
Noch etwas geht mir unter die Haut: Jesu eindringliche Warnung vor dem Anhäufen von Reichtum. Reichtum kann zum „Mammon“ werden, zum verabsolutierten Ziel, zum vermeintlich sicheren Hafen. Wir laufen Gefahr, „Amen“ zum Reichtum zu sagen und nicht zu Gott.
Damit nicht genug; Jesus geht noch weiter. Er will nicht nur von dem irrwitzigen Bestreben abbringen, immer mehr Güter anzuhäufen, sondern er sagt sogar: „Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt.“ Sollen wir uns etwa nicht um das Lebensnotwendige kümmern? Hat Jesus nicht selbst seine Jünger in Schutz genommen, als sie an einem Sabbat Ähren pflückten, um ihren Hunger zu stillen? Hat der Schöpfergott im Paradiesgarten nicht Kleider gemacht für Adam und seine Frau, als sie entdeckten, dass sie nackt waren?
Eine feine Unterscheidung kann weiterführen: Für das Nötige sorgen ist das eine, sich sorgen ist etwas anderes. Wenn jemand sich um die wichtigen Dinge kümmert, heißt das nicht, dass er sich von ihnen in Beschlag nehmen lässt und seine ganze Sorge darum kreist. Wenn aber die Dinge anfangen, uns zu beherrschen, uns immer mehr zu besetzen, dann ist der Kopf nicht mehr frei und das Herz ist voll. Wir sind abwesend, gefangen in unseren Sorgen. Wir verlieren den Blick für die Menschen, für das, was um uns ist und geschieht. Wir verlieren uns in allem Möglichen. Wir verlieren uns – und unser Leben.
Warum wendet sich Jesus so entschieden gegen ein solches Sich-Sorgen?
Zunächst, weil es töricht ist: „Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern?“, fragt er. Wer hätte schon sein Leben in der Hand? Müssen wir uns nicht irgendwann damit versöhnen, dass alles provisorisch ist? Rührt nicht die Angst paradoxerweise auch daher, dass wir der Illusion hinterherlaufen, alles unter Kontrolle zu bringen? Dass wir meinen, alles planen zu müssen und planen zu können?
Wir sollten lernen, Ja zu sagen zur Unsicherheit. Was wir sind und haben, hat provisorischen Charakter. Lernen wir zu lächeln über uns und unsere Allmachtsfantasien, wenn uns auffällt, dass wir wieder mal so tun, als hätten wir die Welt in der Hand.
Jemand erzählte mir, er habe ein T-Shirt mit einem bedenkenswerten Spruch entdeckt:
„Gott existiert.Du bist es nicht!Entspann dich!“
Alle übertriebene Sorge birgt die Gefahr, das Wichtigste zu übersehen. Leben, Atmen … – ist das nicht wichtiger als die Sorge um das, was wir essen und anziehen sollen? Kann es nicht sein, dass uns bei all unserem hektischen Sorgen die Luft ausgeht? Dass wir nur noch hecheln, statt zu atmen? Dass wir uns und die anderen aus dem Blick verlieren?
Das Essen … Denken wir an die Episode von Marta und Maria (Lukas 10,38–42). Jesus ist bei den beiden Schwestern zu Gast. Marta kümmert sich ums Essen, Maria hockt zu Jesu Füßen und hört ihm zu. Maria kann es nicht fassen und wendet sich an Jesus: „Sag ihr, dass sie mir helfen soll!“ Doch der erwidert: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen [es ist dasselbe Wort wie in der Bergpredigt] und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Marta hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.“
Marta wird nicht deshalb getadelt, weil sie ans Essen denkt. Nicht weil sie sich kümmert, sondern weil sie sich so sehr sorgt, dass sie „ganz davon in Anspruch genommen“ ist. Ihr Horizont verengt sich, und sie verkümmert dabei. Jesus will ihr eine neue Weite und ein Bewusstsein ihrer Würde geben. Sie ist mehr als das, was sie schafft; niemand kann und darf sie auf die Hausarbeit reduzieren, auch nicht sie selbst. Es kann und darf nicht sein, dass irgendwelche Dinge, die zu tun sind, einem Menschen den Atem nehmen. Marta – jede menschliche Person – ist weit mehr als das, was sie leistet. Jesus will Marta – jede menschliche Person – verteidigen in ihrer eigentlichen Identität und Würde. Sich vom besorgten Sorgen gefangen nehmen lassen, das nimmt den Lebensatem.
Es gibt eine wohl noch tiefere Motivation, „sich nicht zu sorgen“: Gott ist Vater. Er interessiert sich für uns und für die unscheinbarsten Dinge und Wirklichkeiten. Jesus sagt: „Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? … Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen!“ Glaubt ihr etwa, Gott würde sich nicht um euch kümmern? „Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht!“
Dann folgt die positive Wendung: das, worauf es ankommt, die Quintessenz: „Euch muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“
Das „zuerst“ ist nicht zeitlich gemeint: Wir sollen nicht zunächst dies und dann etwas anderes tun. Es drückt die Rangordnung aus: Der Primat gebührt Gott und seinem Reich. Ihm kommt der erste Platz zu: einem Gott – und das ist sofort hinzuzufügen –, der nicht ein abstraktes, vollkommenes „höchstes Wesen“ ist, sondern „Vater“. Sucht sein Reich, nehmt seinen Traum von dieser Erde zum Maßstab, sucht seine Gerechtigkeit: nicht die der Schriftgelehrten und Pharisäer, sondern die Gerechtigkeit seiner maßlosen Liebe. Sie ist kein „Wie du mir, so ich dir“, sondern Übermaß einer schenkenden Liebe, die keine Vor- und Gegenleistung verlangt. Sucht seinen Traum; lasst euch von seinem Traum erfassen und durchdringen.
Dem, der sich auf diese Prioritätensetzung einlässt, wird Großes verheißen: „Euch muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ „Alles“, das meint nicht noch mehr Besitz; es zielt nicht auf ökonomische Vorteile, sondern, so scheint mir, auf ein ganz anderes, tieferes „Mehr“: Im Horizont des Gottesreiches können wir den Dingen wieder eine Seele geben. Sie sind nicht mehr bloße Waren oder banale Konsumgüter, sondern beginnen zu leuchten als das, was sie sind: Geschenk. Die Engführung wird aufgebrochen, die Verarmung, die Verflachung eines ängstlich auf sich selbst und den Besitz konzentrierten Denkens wird überwunden. Alles bekommt den weiten Atem des „für alle“. Reich ist, wer das begreift. So rettest du dein Leben: nicht nur das künftige, sondern dieses Leben hier.