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Eine bittersüße romantische Komödie zwischen Hochzeitsstress, Beziehungsdramen, Lebenskrisen und längst vergangen geglaubten Gefühlen. Am Silvesterabend bekommt Anna von ihrem Freund Bernd endlich den langersehnten Heiratsantrag. Ihrem Glück scheint jetzt nichts mehr im Weg zu stehen. Das geplante Fest inspiriert sie sogar zu neuen beruflichen Höhenflügen: Sie verwandelt ihren Einrichtungsladen »Vintage Salon« in ein Paradies für Frauen im Heiratsfieber. Doch schon bald passiert ein Unglück nach dem anderen. Nichts läuft wie erwartet: Es gibt Probleme mit der Familie, Krach mit Bernd und lauter Pannen rund um die Hochzeitsvorbereitungen. Und zu all dem Stress drängt sich plötzlich auch noch Annas Ex-Freund Simon zurück in ihr Leben. Das Jahr ihrer Traumhochzeit entwickelt sich für die Braut allmählich zur einzigen Katastrophe … »Annas (fast) perfekte Hochzeit« von Marion Stieglitz ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich! »Annas (fast) perfekte Hochzeit ist einer dieser romantischen Schmöker, bei dem man bis zum Schluss mitfiebert, ob es ein Happy End mit dem Richtigen gibt.« Freundin »Nicht zu für zukünftige oder ehemalige Bräute geeignet, sondern auch für alle Leser, die einfach auf ihr Herz hören wollen.« Bücher Magazin
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Seitenzahl: 357
Marion Stieglitz
Annas (fast) perfekte Hochzeit
Roman
Knaur e-books
Eine bittersüße romantische Komödie zwischen Hochzeitsstress, Beziehungsdramen, Lebenskrisen und längst vergangen geglaubten Gefühlen.
Am Silvesterabend bekommt Anna von ihrem Freund Bernd endlich den langersehnten Heiratsantrag. Ihrem Glück scheint jetzt nichts mehr im Weg zu stehen. Das geplante Fest inspiriert sie sogar zu neuen beruflichen Höhenflügen: Sie verwandelt ihren Einrichtungsladen »Vintage Salon« in ein Paradies für Frauen im Heiratsfieber. Doch schon bald passiert ein Unglück nach dem anderen. Nichts läuft wie erwartet: Es gibt Probleme mit der Familie, Krach mit Bernd und lauter Pannen rund um die Hochzeitsvorbereitungen. Und zu all dem Stress drängt sich plötzlich auch noch Annas Ex-Freund Simon zurück in ihr Leben. Das Jahr ihrer Traumhochzeit entwickelt sich für die Braut allmählich zur einzigen Katastrophe …
Oscar Wilde
Fassungslos starrte Anna auf das Blatt, riss es aus dem Kalender und warf es zerknüllt durch die Luft. Am liebsten hätte sie diesen blöden Spruch mitsamt dem ganzen Kalender aus dem Fenster gefeuert – oder noch besser: ihn in tausend kleine Stücke zerschnippelt. Aber zu derart dramatischen Aktionen war sie nicht in der Lage. Sie war zu erschöpft. Außerdem war der Kalender ein Geschenk von Katja und sie hatte ihr damals nur eine Freude machen wollen. Sie hatte beim Kauf nicht ahnen können, wie sich die Dinge entwickeln würden. In ihrer typisch warmherzigen Art hatte Katja sie angestrahlt, als sie ihr den Kalender überreicht hatte. »Ein Jahr in Sprüchen« stand auf dem Deckblatt, darunter »52 Wochen – 52 kluge Gedanken«.
Und für den heutigen Tag bescherte er ihr tatsächlich Oscar Wildes idiotische Weisheit: »Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende.« Anna hätte Oscar Wilde jetzt gerne persönlich angerufen, um ihm zu sagen, dass er solche dummen Zeilen nicht hätte zu Papier bringen dürfen, solange er keine Ahnung davon hatte, was Menschen alles durchstehen müssen. Und sie hätte ihm dann gleich auch noch erklärt, dass die Idee vom ewigen Happy End vielleicht im verstaubten Dichterhirn des vorletzten Jahrhunderts ein behagliches Plätzchen besaß, aber genau dort verflixt noch mal auch ruhig hätte bleiben können. Still und wohlverwahrt. Ohne Chance, jemanden noch im 21. Jahrhundert mit seinem aufgesetzten Optimismus zu belästigen.
»Der Kalender soll dich durch dieses aufregende Jahr begleiten«, hatte Katja ihr damals erklärt. »Aufregend« – das Wort spukte Anna jetzt wie ein schlechter Drink im Kopf herum. Aufregend ist es immerhin geworden, aber anders, als sie es sich je hätte vorstellen können. Das Jahr ihrer Hochzeit mit der perfekten Party, die sie sich seit Teenagerzeiten ausgemalt hatte. Oder um genauer zu sein, noch früher: Damals war sie sieben Jahre alt und trottete von einem endlos langen Schultag nach Hause, als sie im Schaufenster eines Elektroladens einen Fernseher erblickte, der ihr junges Leben für immer verändern sollte. In flimmernden Bildern war eine Dokumentation über königliche Hochzeiten zu sehen. Lady Di rauschte vorbei – umschmeichelt von einer gewaltigen, weißen Kleiderwolke winkte sie scheu in die Kamera. Danach kam Königin Silvia in einer hochgeschlossenen Robe wie aus einem Ritterfilm. Und irgendwann tauchte plötzlich die strahlende Sarah Ferguson auf, die neben Prinz Andrew in goldverzierter Uniform in einer Kutsche durch die Menschenmenge fuhr. Die Braut präsentierte sich eingehüllt in ein besticktes Seidenkleid mit gewaltig breit geformten Ärmeln. Ein schimmerndes Diadem und ein spitzenbesetzter Schleier waren auf die rote Dauerwelle platziert worden. Damals war Anna ein Stein vom Herzen gefallen. Voll tiefer Erleichterung stellte sie fest, dass auch jemand mit roten Haaren einen Bräutigam kennenlernen konnte. Würde dann nicht auch sie selbst, deren sommersprossiges Gesicht eine dichte Fülle orange-roter Löckchen umrahmte, irgendwann einmal ein wunderschönes weißes Kleid und einen Schleier tragen?
Lange hatte sie daran gezweifelt. Vor allem, nachdem sie in all den Klatschmagazinen ihrer Mutter geblättert hatte und nie eine rothaarige Braut entdecken konnte. Doch nun konnte Anna endlich die berechtigte Hoffnung hegen, irgendwann selbst eine Märchenbraut zu sein. Während ihr Kindheitstraum noch aus Kutschen, Seidentaft und himmelhohen Sahnetorten bestand, nahm er im Laufe der Zeit konkretere Formen an. Als sie mit etwa 16 Jahren feststellte, wie schön der Sommer ist, wenn man ihn fast ausschließlich im Bikini verbringt, plante sie ihre Hochzeit als große Strandparty. In Studentenzeiten verlegte sie das Fest gedanklich lieber vom Strand in einen angesagten Club und später nahm der Tag ihres Lebens die Form einer Landpartie an, wie man sie aus amerikanischen Filmen kannte: ein großes weißes Zelt, Lampions in den Bäumen, dezente Swing-Musik. An ihrer Seite ein strahlender Bräutigam, dessen Gesicht sich im Laufe der Jahre ebenso veränderte wie das Fest selbst.
Der uniformierte Prinz Andrew wurde bald zum Nachbarsjungen, dann zu Pierce Brosnan – beide hatten davon selbstverständlich nicht die geringste Ahnung. Später zu ihrer Jugendliebe Simon, anschließend zum verheirateten Uni-Dozenten, mit dem sie eine kurze Affäre hatte. Und irgendwann wurde der Fantasie-Bräutigam schließlich zu Bernd. Ihre Hochzeit war ein fast komplettes Puzzle, bei dem nur noch ein Teil fehlte: das Gesicht ihres Bräutigams. Bernd passte perfekt. Wie für das Puzzle gemacht. Nur am heutigen Tag schien das alles endlos lange her zu sein. Gestern hatte sich ihr Leben auf den Kopf gestellt – auf eine Weise, wie sie es sich nie hätte ausmalen können. Dabei hatte das Jahr im Januar doch so wunderbar begonnen …
Virginia Woolf
Katja ging nicht einfach durch die Tür – sie stürmte hindurch. Wie immer, wenn sie einen Raum betrat, hatte es etwas von einem theaterreifen Bühnenauftritt. Sie flötete ein langes »Hallööchen« in die Luft und schleuderte ihren Mantel schwungvoll über den Garderobenständer. Dabei geriet das schwarze Gestell aus Metall für einige Sekunden beträchtlich ins Wanken. Katja war mitreißend – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Es schien manchmal so, als ob sie ihren fülligen Körper mit den breiten Hüften nicht immer ganz unter Kontrolle hatte. Ihre gelegentliche Ungeschicklichkeit in grobmotorischen Dingen machte Katja mit einer umso virtuoseren Fingerfertigkeit wett. Anna hätte sicherlich daran gezweifelt, ob die filigran geformten Tortendekore und das hauchzarte Papierfaltwerk tatsächlich von ihrer Freundin stammen könnten, hätte sie diese nicht schon öfter bei ihren zauberhaften Bastelkünsten beobachtet. Ihre kurzen, spitz zulaufenden Finger konnten in einer sekundenschnellen Choreografie wahre Meisterwerke hervorbringen. Eines davon hielt Katja in den Händen, als sie Anna stürmisch in die Arme fiel und dabei die zarte Kostbarkeit fast schon wieder unter ihrem Strickpulli zerdrückte. Anna konnte das schmale Paket verziert mit zwei gefalteten Tauben noch im letzten Augenblick aus der Umarmung retten.
»Herzlichen Glückwunsch, meine Süße!«, sagte Katja, »zum neuen Jahr und du weißt schon.«
Anna wusste. Katja war die Erste gewesen, die sie durch eine SMS in knappen Worten darüber informiert hatte. Und sie hatte Katja noch für den gleichen Tag zu sich nach Hause eingeladen, um ihrer Freundin alle Details des aufregenden Ereignisses zu berichten.
Endlich, nach fünf Jahren und vor wenigen Stunden hatte Bernd ihr einen Antrag gemacht. Für Anna war es keine Überraschung gewesen. Es war sogar so wenig überraschend, dass sie den überraschten Gesichtsausdruck für den entscheidenden Moment zuvor sicherheitshalber vor dem Spiegel der Toilette einstudiert hatte. Schon Wochen vorher hatte Bernd ihr erklärt, sie solle sich für diesen Silvesterabend einmal nichts vornehmen. Sie hatte ihn heimlich beobachtet, wie er ihre Ringe im Badezimmer anprobierte. Er schien sichtlich zufrieden, dass sie genau am kleinen Finger passten. Und mehrfach hatte er sich mit den Worten »Ich muss noch was erledigen« von der Fernsehcouch davongeschlichen. Anna war klug genug, nicht weiter nachzubohren. Womöglich hätten ihn ihre Fragen verunsichert und an seinem Plan zweifeln lassen. Ihr war klar, dass sich hinter seiner Geheimniskrämerei die Vorbereitungen auf einen Heiratsantrag verbergen mussten. Es blieb nur ein Rätsel offen: Wie würde er es anstellen?
Am Silvestertag war Anna auf alles gefasst. Ob er womöglich schon das Frühstück nutzen würde, um die Sache schnell hinter sich zu bringen? Es würde immerhin zu seinem geradlinigen Charakter passen. »Unangenehmes soll man nicht aufschieben«, war sein gern zitiertes Lebensmotto. Deshalb schnitt Anna das auf ihrem Teller bereitliegende Brötchen besonders vorsichtig auf. Sie wünschte es sich natürlich nicht, aber sie hielt es auch nicht für ganz ausgeschlossen, dass Bernd den Ring zuvor in das weiche Innere des Brötchens geschoben haben könnte. Doch beim Schneiden durch das Gebäck gab es keinerlei Widerstand. Anna war erleichtert, als ihr die beiden Hälften eine unberührte Fläche offenbarten. Auch den Kaffee trank sie ganz vorsichtig mit nur leicht geöffnetem Mund, aber nichts Schweres, Hartes stieß an ihre Lippen. Bernd verbarg sich also stillschweigend hinter der Zeitung, weil er tatsächlich las und nicht, um sich im entscheidenden Moment unauffällig zu verhalten.
»Was hast du denn für heute Abend geplant?«, fragte Anna schließlich so lässig wie möglich. Bernd sollte nicht mitbekommen, dass sie vor Neugierde fast platzte.
»Ich dachte mir, wir gehen ins Ballett«, raunte eine Stimme hinter der Zeitung hervor.
Fast hätte sich Anna an ihrem Kaffee verschluckt. Normalerweise tat Bernd keinen Fuß in einen Raum, in dem er – wie er fand – auf engen Stühlen, in Dunkelheit und neben müffelnden Sitznachbarn für teures Geld zum Stillschweigen verdonnert war.
»Zieh dir also was Schönes an«, sagte Bernd. Er blickte kurz hinter der Zeitung hervor und grinste unverschämt gut gelaunt. Und dann versank er wieder in der Lektüre.
Nach einer Weile, in der Anna ihn heimlich beobachtete, stand er plötzlich auf und faltete umständlich die Zeitung zusammen. »Ich muss gleich noch wohin«, sagte er und verabschiedete sich von Anna mit einem Küsschen.
Anna blieb am Tisch zurück und warf einen Blick auf ihren Teller. Ihr Frühstücksbrötchen war noch kaum angebissen. Sie war heute eindeutig zu nervös für Alltägliches wie Nahrungsaufnahme.
Am Nachmittag hatte Anna ausreichend Zeit, sich um ihre Garderobe zu kümmern. Sie konnte sich einfach nicht entscheiden, welches Outfit für diesen besonderen Abend passend sein könnte. Erst fiel die Wahl auf das dunkelgrüne Kleid, dann auf den blauen Overall, auf ihre Lieblingsjeans mit Cordsakko und dann auf das kurze rote Kleid, von Katja getauft als »Erdbeere-will-vernascht-werden-Kostüm«. Und schließlich wählte sie doch das dunkelgrüne Kleid vom Anfang aus. Es war schick genug für das Theater und ausreichend verführerisch für die wohl wichtigste Verabredung ihres Lebens.
Anna saß schon längst abfahrbereit vor dem Fernseher, als Bernd sich in aller Ruhe umzog und beide endlich als eine der letzten Besucher durch den Eingang des Opernhauses eilten. Während Bernd die Mäntel an der Garderobe abgab, wollte sich Anna vom Spurt ins Theater lieber gleich auf den Plätzen erholen. Beglückt stellte sie fest, dass Bernd bei der Wahl der Tickets nicht aufs Geld geachtet hatte. Sie saßen in einem der kleinen, rot ausgepolsterten Balkone, auf dem genau Platz für zwei zierliche Sessel war. Anna setzte sich, ließ den Blick durch den Saal schweifen und vernahm das erste und dann zweite Läuten. Gleich würde die Vorstellung beginnen, aber der Platz neben ihr war immer noch leer. Wo blieb Bernd? An der Garderobe war doch gar keine riesige Schlange mehr gewesen. Warum ließ er sie also so lange alleine hier sitzen?
Endlich öffnete sich die schmale Tür und Anna war unendlich froh, als Bernd neben ihr Platz nahm und eine unverständliche Entschuldigung flüsterte. Das Schlimmste, was Anna sich insgeheim immer ausgemalt hatte, war ein öffentlicher Heiratsantrag, wie man ihn aus dem Fernsehen kannte: Der Vorhang geht auf und statt des zu erwartenden Spektakels tritt ein Mann etwas ungelenk auf die Bühne. Nachdem er einige nervöse Sätze in ein quietschendes Mikro stammelt, richten sich alle Augen des Saals auf die erhoffte Braut, die extra in einen Lichtkegel getaucht wird, damit sie auch für jeden zu erkennen ist. Anna wurde ganz schlecht bei dem Gedanken daran. Sie war so beschäftigt, die Bilder aus dem Kopf zu bekommen, dass die »Nussknacker«-Aufführung ohne Annas Aufmerksamkeit begann. Als sich die Tänzerinnen in ihren federnden Röckchen am Ende des ersten Aktes unter großem Applaus von der Bühne verabschiedeten, wurde Anna bewusst, wie wenig sie das Ballett bislang hatte genießen können. Sie ärgerte sich. Anna war entschlossen, ihren überflüssigen Vorahnungen endlich keinen Raum mehr zu schenken, um sich damit nicht den ganzen Silvesterabend zu verderben. Als Bernd sie in der Pause zielgerichtet zu einem der Bistrotische mit einem »Reserviert«-Schild führte, wo eine gekühlte Sektflasche bereitstand, füllte Anna sich schnell ein Glas und trank einen großen Schluck.
»Sollen wir nicht anstoßen?«, fragte Bernd etwas irritiert.
»Entschuldige, ich musste dringend was trinken«, sagte Anna und nahm gleich noch einen Schluck, um sich noch eine Ausrede zu überlegen. »Die Luft ist so stickig.«
»Echt? Ich finde es diesmal gar nicht so muffig wie sonst.«
»Vielleicht bin ich auch nur nervös«, sagte Anna und bereute es im gleichen Augenblick, da nun unweigerlich eine Frage folgen würde.
Und tatsächlich blickte Bernd sie erstaunt an. »Warum bist du nervös? Ist doch nur Silvester.«
Anna spürte, wie ihre Wangen rot wurden. Sie trank in einem Schluck das Glas leer und blickte sich nach der Toilette um. »Ich muss kurz wohin«, sagte sie noch und eilte davon.
Als Anna den hell gefliesten Raum betrat, empfing sie eine Duftwolke aus Haarspray und süßem Parfum. Hastig drängelte sie sich an Frauen vorbei, die am Spiegel standen und ihren Lippenstift nachzogen. Am hinteren Ende war noch eine Kabine frei. Anna schlüpfte durch die Tür, verschloss sie rasch und setzte sich auf den heruntergeklappten Toilettendeckel.
Dort tat sie nicht anderes, als tief durchzuatmen. Und dabei kam ihr ein Artikel aus einer Frauenzeitschrift in den Sinn, den sie kürzlich entdeckt hatte. Er handelte von Stressbewältigung in Krisensituationen und davon, in wichtigen Situationen nicht die Nerven zu verlieren. Anna hatte gelesen, dass man sich einfach selbst zur Vernunft rufen musste, wenn niemand anderes Vernünftiges parat war. Genau das musste sie jetzt tun – vernünftig sein! Besonnenheit war doch sonst eigentlich ihr leichtestes Spiel. Sie würde ab sofort endlich aufhören, sich konsequent lächerlich zu machen. Einen Heiratsantrag zu bekommen war doch wirklich nichts, was ausgerechnet sie aus der Bahn werfen durfte. Sie hatte immer auf diesen Tag hingehofft, und jetzt sollte sie ihn einfach nur genießen. Wenn einer aufgeregt sein durfte, dann war es Bernd. Aber ihr zukünftiger Verlobter hatte seine Gefühlte eindeutig besser unter Kontrolle. Und das musste ihr nun endlich auch gelingen! Anna atmete tief ein und aus. Dann stand sie auf, zupfte ihr Kleid zurecht und drückte auf die Toilettenspülung. Niemand sollte mitbekommen, dass sie nur hierher geflohen war, um ihre überstrapazierten Nerven zu beruhigen. Ab jetzt würde sie sich souverän verhalten. Nicht wie ein verstörter Teenager, sondern wie eine erwachsene Frau, die bald die alles entscheidende Frage gestellt bekommen sollte. Und dann würde sie anmutig und souverän nicken, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, wenn jemand sie heiraten wollte.
Anna ging zurück zu Bernd und achtete von nun an sorgfältig darauf, keine romantische Situation mehr mit ihrem sonderbaren Benehmen zu ruinieren. Als das Ballettensemble zum letzten Applaus auf die Bühne trat, raunte Bernd ihr zu, dass er gleich noch eine Überraschung für sie parat habe. Anna widerstand der Versuchung, weiter nachzuhaken. Sie lächelte ihn einfach nur an und ließ sich wenig später in ein kleines Bistro entführen. Bernd hatte auch dort extra einen Tisch serviert – in einer lauschigen Nische mit dunkler Holzvertäfelung. Es war der einzige Tisch, auf dem ein Strauß roter Rosen stand.
Als Anna sich gerade setzen wollte, drängelte sich Bernd zwischen sie und den Stuhl.
»Halt! Warte noch! Ich hab da erst noch was«, rief er und kramte umständlich erst in der linken und dann in der rechten Hosentasche.
Anna blieb einfach reglos stehen und war völlig damit beschäftigt, ruhig weiterzuatmen und nicht wieder die Nerven zu verlieren. Gleich würde es so weit sein. Gleich würde sie die große Frage gestellt bekommen, und dann würde sie so tun, als ob sie nichts davon geahnt hätte. Ihre Hände zitterten und ihr Herz pochte wie verrückt.
Bernd grinste sie jetzt schelmisch an und hob eine geballte Faust aus der Tasche. Seine Finger verbargen einen kleinen Gegenstand.
»Endlich hab ich’s!«, rief er.
Plötzlich entzündete sich vor Annas Augen eine Flamme.
»Hab für heute extra dieses Feuerzeug mitgenommen. Ich weiß doch, wie du dich immer ärgerst, wenn die Kellner nicht gleich die Kerze anzünden«, sagte Bernd und ließ im gleichen Moment das Windlicht erleuchten, das auf dem Tisch stand.
»Äh – danke«, stammelte Anna. Sie starrte abwechselnd auf die Flamme und auf das schwarze Feuerzeug und nickte. »Wirklich toll, so eine brennende Kerze! Wie aufmerksam von dir.«
Dann setzte sie sich und faltete langsam die Stoffserviette auseinander, die vor ihr auf dem Tisch lag. Das Aufklappen des festen, gestärkten Stoffs beruhigte sie. Bernd durfte ihr die Anspannung nicht anmerken. Er wollte sie einfach nur auf die Folter spannen und den perfekten Moment abwarten. Sie müsste sich nur noch ein wenig gedulden. Also schenkte sie ihm weiterhin ihre volle Aufmerksamkeit und lächelte ihn verliebt an, als er wieder mal von jener Silvesterparty erzählte, bei der er mit seinen Jugendfreunden alle alten Schulzeugnisse mit Feuerwerkskörpern in Staub aufgelöst hatte. Anna tat nur so, als ob sie sich amüsierte. In Wirklichkeit war sie in ständiger Erwartungshaltung und versuchte trotzdem irgendwie locker zu bleiben. Aber es passierte nichts. Rein gar nichts. Der Kellner präsentierte nach dem Dessert unter der Silberglocke nur die Rechnung und keinen Ring. Und auch später – um Mitternacht – als sie auf einer Brücke zwischen Hunderten feiernden Menschen standen, wartete sie vergeblich auf den eigentlichen Höhepunkt des Abends. Doch zum glitzernden Regen unzähliger Raketen bekam sie nur ein Küsschen und kalte Füße, aber nicht die alles entscheidende Frage gestellt.
Als sie eine kleine Ewigkeit später in den frühesten Stunden des neuen Jahres mit dem Taxi nach Hause fuhren, konnte Anna ihre Enttäuschung kaum verbergen. Sie schaute aus dem Fenster und schwieg, während Bernd dem Fahrer vorschwärmte, welch einen einzigartigen Silvesterabend sie gerade verbracht hatten. Alles habe reibungslos geklappt, dank seiner Planung, plapperte Bernd. Anna verdrehte die Augen, während irgendwo in der Ferne noch eine Rakete den Himmel erleuchtete – obwohl es doch wirklich keinen Grund zu feiern gab! Wer war überhaupt auf die Schnapsidee gekommen, den Jahreswechsel zu feiern? Wozu sollte man das neue Jahr willkommen heißen, wenn einen nichts Aufregenderes erwartete als ein unvermeidlicher Kater von zu viel süßem Sekt?
Wieder zurück zu Hause zog sich Bernd umgehend seinen Flanell-Pyjama an – ein untrügerisches Zeichen dafür, dass Anna keinen Sex erwarten durfte, wonach ihr gerade ohnehin nicht der Sinn stand. Bald schon vernahm sie ein leises Schnarchen, was Anna nicht weiter verwunderte. Bernd konnte immer sofort einschlafen. Egal, ob sie gerade gestritten hatten, ob seine Lieblingsfußballmannschaft die Meisterschaft verloren oder gewonnen hatte oder ob ihm am nächsten Tag eine schwierige Gehaltsverhandlung bevorstand – Bernd schlief tief und fest. Anna stand währenddessen im Bad und starrte fassungslos in den Spiegel. Wie dumm kam sie sich jetzt vor in ihrem grünen Cocktailkleid, das sie sorgfältig für diese Verabredung ausgewählt hatte. Mit ihrer Hochsteckfrisur, die sich schon zur Hälfte wieder gelöst hatte und unelegant in kupferroten Strähnen in ihr Gesicht fiel. Wie naiv erschien es ihr, sich so sicher über den Ausgang dieses Abends gefühlt zu haben. Ihr war schwindlig vom vielen Sekt und von der Anspannung, die sie der Tag gekostet hatte. Anna zog das grüne Kleid aus und warf es achtlos auf den Boden. Sie streifte sich ihren Bademantel über und schnappte sich ein Wattepad, das sie so lange mit Make-up-Entferner beträufelte, bis es wie ein Schwamm durchtränkt war. Damit wischte sie sich in fahrigen Bewegungen über ihre Augenlider und Lippen. Dann betrachtete sie mit einem Anflug aus Selbsthass und Frustration ihre Augenfältchen im Vergrößerungsspiegel, wo sie ihr auf einmal wie tiefe Furchen erschienen. Schließlich griff sie seufzend nach der Zahnbürste und füllte den Zahnputzbecher mit Wasser. Fast hätte sie nicht bemerkt, dass auf seiner Oberfläche plötzlich ein gelbes Kunststoff-Ei nach oben schwamm. Eines von denen, die üblicherweise von zwei schokoladigen Hälften einer Kinder Überraschung umschlossen werden. Anna fischte das Ei heraus und entdeckte darin einen Zettel. Sie las ihn mit zitternden Händen.
Liebe Anna,
möchtest du mich heiraten?
PS: Wenn ja, darfst du mich gerne aufwecken.
PPS: Ist mir die Überraschung gelungen?
Katja klatschte in die Hände, nachdem Anna ihr in aller Ausführlichkeit von dem Silvester-Abend erzählt hatte und dabei selbst ihre wenig rühmliche Rolle nicht aussparte. Katja war eine so gute Freundin, ihr konnte sie alles erzählen.
»Was für eine Geschichte! So viel Kreativität hätte ich Bernd nicht zugetraut«, sagte Katja in begeistertem Ton.
»Ich ehrlich gesagt auch nicht«, antwortete Anna. »Ich dachte immer, dass ich ihn total durchschaue. Es war absolut kein Antrag, wie ich ihn je erwartet hätte.«
Anna erzählte ihrer Freundin, wie sie nach der Entdeckung des Zettels erst mal in die Küche gegangen war, um sich einen Schluck von Bernds kubanischem Rum einzuschenken. Während der Alkohol seinen brennenden Geschmack entfaltete, hatte sie ausgiebig Zeit, um zum wiederholten Male innerhalb der letzten 24 Stunden verblüfft zu sein. Bernd hatte sie eindeutig ausgetrickst. Sie musste den Antrag erst verdauen, bevor langsam so ein Gefühl wie Freude aufkam.
»Wie hat er denn reagiert, als du ihn aufgeweckt hast?«, fragte Katja, die bei jeder Geschichte besonders aufs Ende gespannt war. Sie las bei Büchern deswegen meist erst das letzte Kapitel und dann den Anfang. Alles andere fand sie zu nervenaufreibend.
»Er hat tief und fest geschlafen. Ich musste ihn kräftig wachrütteln«, sagte Anna. »Aber er wirkte nicht sehr überrascht. Er hat gelächelt, mich in den Arm genommen und ist dann gleich wieder eingeschlafen.«
»Und habt ihr bereits einen Termin?«
»Nein. Das wird jetzt ein richtiger Stress. Viele Lokale sind bestimmt schon ausgebucht. Obwohl dieses Jahr erst ein paar Stunden alt ist, sind wir ziemlich spät dran.«
»Ach, mach dir keine Sorgen. Das Jahr ist noch zu jung, um schon die Hoffnung aufzugeben«, sagte Katja und strahlte. »Und sollen wir nicht endlich mal anstoßen? Hast du noch was anderes außer Rum zu Hause?«
Katjas Optimismus war wieder mal ansteckend und ließ Anna alle Grübelei vergessen. Als sie gerade aufstehen wollte, um in der Küche nach einer Flasche Sekt zu suchen, fiel ihr das Paket wieder ein, das die Freundin ihr zuvor überreicht hatte. Es lag noch immer auf dem Sofatisch.
»Darf ich das eigentlich aufmachen?«, fragte sie.
»Na selbstverständlich, meine Liebe«, antwortete Katja.
Vorsichtig löste Anna den Klebefilm ab und faltete verschiedene Lagen hellblaues Seidenpapier auseinander. Nach der letzten Schicht kam ein Wandkalender zum Vorschein. Er war in großen silbergrauen Buchstaben mit den Worten »52 Wochen – 52 kluge Gedanken« bedruckt.
»Der Kalender soll dich durch dieses aufregende Jahr begleiten«, erklärte Katja. »Ich wollte ihn dir sowieso schenken. Aber nach den tollen Ereignissen am Silvesterabend passt er umso besser.«
Anna blätterte auf die erste Seite und musste grinsen, als sie den Spruch las. »Die größte Klugheit einer klugen Frau besteht darin, ihre Klugheit nicht zu zeigen.« Nun, sie war vielleicht weniger klug, als sie es selbst gedacht hatte. Sie hatte sich eindeutig an der Nase herumführen lassen. Aber was zählte, war das Ergebnis. Und auch wenn Bernd noch keinen Verlobungsring für sie ausgesucht hatte, glitzerte in ihrer Vorstellung schon ein Ring an ihrer Hand. Alles in allem hätte das Jahr also nicht glanzvoller beginnen können …
Jane Austen
Nach den Feiertagen bot der Laden beinah ebenso viel Arbeit wie in den Wochen zuvor. All die restlichen Kugeln, Sterne und Tannenbäumchen, die Anna vor dem Advent in vielen Überstunden gruppiert hatte, mussten jetzt in Kisten verpackt werden, um für die Frühjahrskollektion Platz zu schaffen. Seit sechs Jahren führte Anna ihr eigenes Geschäft »Vintage Salon«. Gleich als sie den hohen Raum mit seiner Stuckverzierung und den bis zur Decke reichenden Regalwänden aus geschnitztem Holz zum ersten Mal gesehen hatte, war sie begeistert gewesen. Der vormalige Besitzer hatte dort in dritter Generation eine Apotheke geführt. Da seine Tochter einen anderen Beruf erlernt hatte, freute er sich, dass Anna die historische Einrichtung in ihrem Ladenkonzept übernehmen wollte. Statt mit Kopfschmerztabletten und Heilsalben füllte sie das Mobiliar mit Liebhaberstücken und Kuriositäten, wie man sie in dieser Zusammenstellung sonst in München kaum finden konnte: Französische Bistrostühle, Seidenschals, emaillierte Spiegel, Windlichter aus Dänemark, antike Schmuckkästchen und Duftkerzen, die so natürlich nach Jasmin und Veilchen rochen, als hielte man die Nase in einen frisch gepflückten Strauß.
Anna mochte die Zeit nach den Festtagen. Während sich draußen vor der Ladentür nasskaltes Winterwetter ausbreitete, war es ihre liebste Übung, in ihrem Geschäft schon den Frühling willkommen zu heißen. Nach den gold-rot-silberfarbenen Adventswochen folgte jetzt die Saison der sanften Pastelltöne: zartes Mint, helles Violett und Cremefarben wie jene von Vanilleeis und Sahnebaiser. Im Schaufenster stellte Anna eine große Vase mit Mandelbaumzweigen auf, deren pralle Knospen auf eine baldige Blüte hoffen ließen. Mit dünnen Fäden band sie noch einzelne Federn an die Zweige. Anna hatte ein Faible für diese verspielten Details. Viele ihrer Kunden kamen deshalb so oft in den Laden, weil sie sehen wollten, was Anna sich wieder hatte einfallen lassen. Auch Katja hatte sie auf diese Weise vor drei Jahren kennengelernt. Sie war damals mehrfach vor dem Schaufenster auf und abgelaufen, bis sie schließlich schwungvoll die Türe geöffnet hatte, um Anna zu erklären, dass sie am liebsten gleich bei ihr einziehen wolle. Nach diesem Auftritt wurde Katja zunächst Annas treue Kundin und bald ihre engste Freundin.
Anna befestigte die letzte Feder an einem der Zweige und öffnete probehalber die Ladentür. Durch den Luftzug begannen die Federn leicht zu tanzen – genauso wie geplant. Sie blieb noch eine Weile stehen und betrachtete zufrieden ihre Auslage. Neben dem Strauch hatte sie einen Nachttisch und eine Kollektion bemalter Porzellantassen arrangiert. In den nächsten Tagen wollte sie die Gefäße mit Tulpen und Hyazinthen füllen. So würde nach und nach eine Blumenwiese im Schaufenster wachsen. Wenn es um die Dekoration ihres Geschäfts ging, kamen Anna die Ideen nur so zugeflogen.
»Haben Sie schon wieder geöffnet?«, riss sie eine Stimme aus ihren Gedanken.
Anna drehte sich um und erkannte eine ihrer Stammkundinnen. Es verging kaum ein Monat, in dem Frau Kursell nicht in ihrem Laden vorbeikam. Sie wohnte nur ein paar Straßen entfernt. Anna begrüßte sie herzlich, öffnete die Tür und nahm ihr den Mantel ab, der vom Regen nass war. Darunter trug Frau Kursell ein Wollkostüm, das genauso gepflegt war wie ihre kurzen, silberfarbenen Locken. Anna kam es so vor, als ob sie sich immer extra hübsch zurechtmachte, um bei ihr einkaufen zu gehen.
»Ich hatte gar keine Winterpause – aber das brauche ich nicht. Der Laden ist für mich ja keine echte Arbeit, sondern meine Leidenschaft«, erklärte Anna, während sie den Mantel an der Garderobe aufhing.
Damit hatte sie nicht ganz die Wahrheit gesagt. Es stimmte, dass sie sich keinen schöneren Beruf vorstellen konnte. Sie hatte ihr Jurastudium kurz vor dem Examen abgebrochen, weil sie lieber ihrem Herzenswunsch folgen wollte. Der Laden hatte zwar viele Stammkunden, aber er warf nicht allzu viel Gewinn ab. Anna konnte sich keine Ferien leisten. Selbst eine feste Angestellte war zu teuer für sie. Über solche Dinge sprach sie aber nicht vor ihrer Kundschaft. Die Besucher sollten sich schließlich im »Vintage Salon« wohlfühlen und den Kopf freibekommen von Alltagsproblemen. Außerdem wusste Anna, dass Frau Kursell es selbst nicht leicht hatte. Sie lebte von einer schmalen Rente und kaufte meistens nur Kleinigkeiten, die sie mit viel Bedacht auswählte.
»Wenn ich noch mal jung wäre, würde ich auch so einen Laden aufmachen. Für mich ist es hier immer wie ein kleiner Urlaub. Man kann ständig was entdecken«, schwärmte Frau Kursell und lächelte Anna über eines der Regale hinweg an.
»Das freut mich! Ich gebe mir viel Mühe, meinen Kunden immer neue Schätze anzubieten. Mein Freund nennt mich nur noch Trüffelschweinchen«, sagte Anna lachend.
»Genau so ein Schmuckkästchen hatte ich auch in meiner Jugend«, sagte Frau Kursell und hob eine kleine Holzkiste mit Silberbeschlag nach oben. »Ihr Freund kann stolz auf Sie sein.«
Anna musste kurz nachdenken, ehe sie antwortete. Ob Bernd stolz auf ihren Laden war? Er bewunderte Annas fantasievolles Talent, aber die Kosten-Nutzen-Bilanz des Ladens fiel nun mal nicht so aus, dass ein Ingenieur wie er den ganzen Aufwand verstehen konnte.
»Ich glaube, so ein Geschäft ist doch eher Frauensache. Männer können unsere Begeisterung für die besonderen Kleinigkeiten des Lebens meistens nicht so ganz nachvollziehen. Aber Bernd freut sich, wenn ich mich freue. Er heiratet ja schließlich bald hier ein. Wir haben uns an Silvester verlobt«, sagte Anna. Es fühlte sich immer noch ein bisschen komisch an, endlich von ihrer eigenen Hochzeit zu berichten. Aber es war zugleich ein aufregendes Gefühl.
»Herzlichen Glückwunsch!« Frau Kursell hatte sich mittlerweile eine Seife ausgesucht und legte sie auf Annas Verkaufstresen ab. »Dann haben Sie ja ganz schön was vor sich. Meine Enkelin hat im vergangenen Jahr geheiratet. Es gab gar kein anderes Gesprächsthema mehr«, sagte sie und suchte in der Handtasche nach ihrem Geldbeutel.
Anna schüttelte kurz den Kopf. »Kein Problem! Das schaff ich schon. Meine Hochzeit ist so gut wie geplant.«
Sie hatte in den letzten Tagen bereits damit begonnen nach einem passenden Lokal zu suchen. Anna war zuversichtlich, dass ihr alles gelingen würde. Anders als andere Bräute musste sie immerhin gar nicht darüber nachdenken, was sie wollte. Sie hatte die vergangenen Jahre genug Zeit damit verbracht, sich ihre Traumhochzeit in allen Details auszumalen.
Beschwingt griff Anna nach der Seife, die vor ihr auf dem Tresen lag. Sie duftete nach Rosen und Vanille. »Soll ich das als Geschenk einpacken?«
Frau Kursell schüttelte verlegen den Kopf. »Das müssen Sie nicht. Sie ist ja nur für mich.«
»Nur für Sie? Was soll das denn heißen? Man sollte sich öfters selbst beschenken«, entgegnete Anna und schnitt ein Stück von der Geschenkpapierrolle ab, die sie hinter sich aufgespannt hatte. Sie war geübt im Einpacken und wickelte das oval geformte Stück rasch in das silberfarbene Papier.
»Solange Sie die Seife nicht verwenden, legen Sie das Päckchen einfach in den Kleiderschrank. Dann beduftet die Seife Ihre Garderobe«, sagte sie und überreichte ihrer Kundin das kleine Paket.
Frau Kursell betrachtete das Päckchen andächtig, steckte es behutsam in ihre Handtasche und ging zur Ladentür. Dort drehte sie sich nochmals um und lächelte. »Sie haben mir eine große Freude gemacht. Danke!«
Anna winkte ihr zum Abschied. Dann knüllte sie den Rest des Geschenkpapiers zusammen und legte den eben verdienten Fünf-Euro-Schein in die Kasse. Es war die erste Einnahme des heutigen Tages. Insgeheim war Anna froh darüber, dass Bernd gerade nicht hier war. Er würde nie verstehen, warum sie sich so viel Mühe mit ihren Kunden machte, wenn dabei nur so ein kleiner Gewinn heraussprang. Aber sie würde ihm schon noch beweisen, warum ihr Laden ein Erfolgsprojekt war – trotz oder gerade wegen der Hochzeitsvorbereitungen.
Theodor Fontane
Am heutigen Abend radelte Anna nach Ladenschluss schnell zum indischen Imbiss. Sie bestellte fast die halbe Vorspeisenkarte und ließ sich alles zum Mitnehmen verpacken. Anna wollte abends zusammen mit Bernd gemütlich essen und einige Dinge zur Vorbereitung ihrer Hochzeitsfeier besprechen. In den letzten beiden Wochen hatte sie beinah jede freie Minute genutzt, um ein Restaurant zu finden, das für dieses Jahr noch nicht ausgebucht war. Mehrmals hatte man sie am Telefon lachend abgewiesen: Übernächstes Jahr gäbe es noch Termine, aber diese Saison sei schon längst voll. Sie könne sich natürlich auf die Warteliste setzen lassen, falls eines der Paare doch noch abspränge. Auf so ein Angebot wollte sich Anna aber nicht einlassen. Sie fand die Vorstellung, das eigene Fest von einer Last-Minute-Trennung eines anderen Paares abhängig zu machen, ziemlich makaber.
Anna parkte ihr Fahrrad vor dem zitronengelben Mietshaus, wo sie seit vier Jahren mit Bernd wohnte, und lief hoch in den zweiten Stock. In ihrer Küche verteilte sie alle Speisen in verschiedenen kleinen Schüsseln, sodass der Tisch bald reich mit Möhren-Mango-Salat, Kichererbsenbällchen, Shrimps in Currysoße und gelben Linsen gefüllt war. In der Mitte arrangierte sie noch eine Schale voller Wasser, auf dessen Oberfläche sie Schwimmkerzen und Rosenblüten verteilte. Anna konnte nicht gut kochen, aber sie hatte ein Händchen dafür, jeden beliebigen Snack appetitlich anzurichten. Aus Plastikbehältern aß Anna nur in Notsituationen. Selbst Chips oder Lakritze füllte sie erst in ein Porzellangefäß, bevor sie davon naschte.
Bernd lächelte, als er bald darauf nach Hause kam und das vorbereitete Menü sah. Er liebte es, sich direkt nach der Arbeit an den Tisch zu setzen. Den grauen Mantel und seine Ledertasche ließ er dabei immer rechts und links neben seinem Stuhl fallen. Er arbeitete bei einem großen Automobilhersteller und betreute den Bereich Motorakustik. Als »Mozart der Autoindustrie« hatte Bernd sich ihr beim ersten Date vorgestellt und ihr näher erläutert, dass er sich um alle Geräusche kümmerte, die ein Auto von sich gab: vom Zuschlagen einer Tür bis zum Ton der Hupe. Anna fand das zunächst sehr spannend, auch wenn sie sich nicht viel aus Autos machte. So sehr sie sich aber in den gemeinsamen Jahren mit Bernd anstrengte – einen allzu großen Unterschied konnte sie zwischen den Geräuschen von einem Audi, einem Mercedes oder einem BMW einfach nicht heraushören. Bernd hingegen musste sich nicht umdrehen, um das von hinten nahende Fahrzeug typgenau vorauszusagen. Außerdem schaltete er bei seinem eigenen Auto die Türverriegelung gerne mehrfach hintereinander ein und aus. Ihn begeisterte das sanft klackende Geräusch, das er selbst entwickelt hatte.
Musste Bernd sich im Büro fortwährend auf Töne aller Art konzentrieren, so brauchte er zum Feierabend erst mal eine Weile seine Ruhe. Anna wusste das längst. Beide füllten sich die würzigen Gerichte auf ihre Teller und aßen schweigend. Schließlich räusperte sich Anna. Sie kündigte damit an, dass sie noch einiges besprechen wollte. Bernd blickte sie an und hob die linke Augenbraue. Anna wusste, was das zu bedeuten hatte: Er war bereit, zuzuhören.
»Hast du dir den Link angeschaut, den ich dir gemailt habe? Das Restaurant hätte genau im September noch einen Termin frei«, sagte Anna.
Bernd schluckte noch ein Kichererbsenbällchen herunter, bevor er antwortete. »Tut mir leid, Schatz. Hab ich ganz vergessen. Aber war das nicht das Lokal, wo wir letztes Jahr den tollen Abend hatten? Also zumindest bis das Gewitter losbrach?«
Anna nickte und freute sich, dass er sich gleich an diesen Tag erinnern konnte. Sie hatten damals im August einen Ausflug mit ihren Fahrrädern gemacht und einen See entdeckt. Er war so unwirklich schön wie auf einem der alten Ölgemälde, die man gelegentlich auf dem Trödelmarkt finden konnte: Berge im Hintergrund, Pappeln und Weiden das Ufer säumend, ein hölzerner Steg. Da es einer dieser endlos heißen Tage war, zogen Bernd und Anna spontan ihre Kleider aus und sprangen splitternackt ins Wasser. Später saßen sie in einem Lokal am Ufer und tranken Melonenbowle. Sie war klebrig-süß und schmeckte nach Sommer. Es war ein perfekter Tag – so wie Anna sich ihn für ihre Hochzeit wünschte.
Anna schob den letzten Rest Linsensalat auf ihren Löffel. »Könntest du dir dieses Restaurant denn für unser Fest vorstellen?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Natürlich. Wenn du das möchtest«, antwortete Bernd, ohne zu zögern.
»Aber du sollst es doch auch wollen. Es ist immerhin unsere gemeinsame Feier.«
»Ja, klar. Aber mir ist der Ort einfach nicht so wichtig wie dir«, sagte Bernd. »Weißt du was? Ich rufe da morgen mal an und frage, was der Spaß kosten würde. Wenn sie ein gutes Angebot machen, können wir gerne gleich zuschlagen. Mir ist es ganz recht, wenn wir nicht mehr länger suchen müssen.«
Anna war das ebenso recht, wenn auch aus einem anderen Grund: Sie konnte sich kaum einen besseren Ort als dieses Restaurant mit seiner roten Klinkerfassade und der großen Terrasse ausmalen. Bernd hingegen wollte mit der Suche nach einem Lokal scheinbar keine unnötige Zeit verschwenden.
»Wie findest du die Vorstellung, dass wir im September heiraten?«, fragte Anna, nachdem sie die Teller abgeräumt hatte und beiden Rotwein nachschenkte.
»September ist gut. Da gibt es keine großen Fußballturniere und die meisten Kollegen mit Kindern sind aus dem Sommerurlaub zurück. September ist perfekt, Schatz!« Bernd lächelte sie an, als er antwortete.
Außerdem gibt es im September den tollsten Abendhimmel. Nachts ist die Luft endlich so frisch, dass man gut schlafen kann, und die Bäume sind ein kleines bisschen bunt, aber niemals kahl. Das dachte sich Anna aber nur. Wozu weitere Argumente anführen, wenn der andere schon überzeugt ist?
»Und was hältst du davon, wenn wir bei der Trauung im Standesamt nicht nur Ja sagen? Ich meine, natürlich schon auf jeden Fall auch Ja. Aber dann noch ein bisschen mehr.«
Bernd runzelte die Stirn. »Ja vielleicht. Ja gerne. Ja, wenn’s sein muss. So was in dieser Richtung?«
»Ich meine ein paar Sätze, warum wir heiraten wollen. Was wir am anderen besonders mögen. Etwas Persönliches eben.«
Bernd hob seine linke Augenbraue nach oben und warf Anna einen skeptischen Blick zu. »Ist das nicht etwas kitschig?«
Anna hatte mit seinem Einwand bereits gerechnet und sich eine passende Antwort zurechtgelegt. »Heiraten ist immer kitschig. Und wenn ich das einmal in meinem Leben mache, will ich das volle Programm. Oder möchtest du mir vielleicht einen Grund dafür geben, irgendwann nochmal zu heiraten?«
Bernd schien überzeugt. Er protestierte nicht weiter. »Wie du meinst«, sagte er. »Ich hätte übrigens Lust, mal wieder unseren Film zu sehen.«
Anna fand die Idee großartig. Ungefähr einmal im Jahr schauten sie zusammen »Forrest Gump« an. Ziemlich am Anfang ihrer Beziehung hatten sie bei der Frage nach ihren Lieblingsfilmen eine ganze Weile nach einer Überschneidung suchen müssen. Bernd begeisterte sich natürlich für alle Filme, in denen viele Autos vorkamen. Anna hatte nicht einen davon gesehen. Sie liebte französische Filme und alle, die in verwinkelten Dörfern spielten. Wenn sie mit Katja wieder einen »Chocolat«-Abend machte, stellten sie sich ein ganzes Tablett voller Pralinen und Törtchen bereit. Sobald Juliette Binoche im Film ihr unwiderstehliches Süßwarenparadies betrat, mussten sich Anna und Katja nicht nur mit dem optischen Genuss des Films zufriedengeben.
»Forrest Gump« spielte zwar nicht in Frankreich, aber Anna mochte den Film trotzdem sehr. Alleine die Szene, wenn die kleine Feder zum Klang der Musik vom Himmel genau vor die Füße von Tom Hanks herunterschwebte, konnte sie nicht oft genug sehen. Bernd indes fieberte dem Moment entgegen, wenn Tom Hanks beim hochoffiziellen Staatsempfang im Weißen Haus nach zu viel Dr-Pepper-Cola auf Präsident John F. Kennedy trifft und ihm beim Händeschütteln offenbart: »Ich muss pinkeln.«
Bernd musste dann immer den Film unterbrechen, um zu lachen. Anna fand diese Szene zwar nicht so außergewöhnlich witzig, aber sie mochte es, wenn Bernd so richtig losprusten musste. Er hatte dann nichts mehr von dem angespannten Ingenieur, der ihr abends begegnete, wenn er von der Arbeit kam. Sobald er lachte, schüttelte er den Kopf so stark nach links und rechts, dass sein brauner Kurzhaarschnitt bald in alle Richtungen zeigte. Er erinnerte sie dann an den Bernd auf seinen Jugendfotos, die er in einer Schachtel auf dem Dachboden aufbewahrte. Anna würde zu gerne mal in eine Zeitmaschine steigen, um ihren Freund im Teenageralter zu treffen. Schon oft hatte sie gehört, ihr Bernd sei früher die treibende Kraft aller Abenteuer gewesen, die er mit seinen Freunden erlebt hatte. Selbst die Reise nach Marokko ganz ohne Geld war seine Idee gewesen. Drei Wochen waren er und seine Kumpels damals angeblich getrampt und schließlich als blinde Passagiere in einem Frachtschiff mitgefahren, um ihr Ziel zu erreichen. Bernd berichtete selbst oft darüber und es schien ihn nicht zu stören, dass sein jetziges Leben so gar nichts mehr mit früher zu tun hatte.
Es war so, als habe Bernd seine Jugendzeit wie einen Anzug abgelegt, der aus der Mode gekommen war. Er zog ihn heute höchstens noch zum Spaß an, um sich darüber zu amüsieren, wie komisch man sich doch damals gekleidet hatte. Ob Anna sich in den früheren Bernd überhaupt verliebt hätte? Sie schätzte seine bedachte Art und seine Fähigkeit, für alle Probleme sofort eine Lösung parat zu haben und dabei nie aus der Ruhe zu kommen. Aber manchmal wünschte sie sich doch, dass er seine Welt nicht immer nur in Richtig und Falsch aufteilte, sondern auch all die unzähligen Möglichkeiten dazwischen sah. Konnte sich manches, das zunächst richtig erschien, später nicht doch als Fehler entpuppen? Und umgekehrt?
Für heute Abend gab es aber definitiv Richtig und Falsch. Es fühlte sich sehr richtig an, nebeneinander auf dem Sofa gekuschelt ihren Lieblingsfilm anzuschauen, Annas Kopf an Bernds Schulter.
Charlotte Brontë
Lädst du eigentlich deine beiden Eltern ein?«, fragte Katja. Sie traf damit genau jenes Thema, das Anna schon einige schlaflose Nächte bereitet hatte.
Ihre Freundin hatte sie mal wieder im Laden besucht. Sie hatten es sich in der Sitzecke mit frisch aufgebrühtem Pfefferminztee und den allerletzten Plätzchenresten von Weihnachten gemütlich gemacht. Katja arbeitete als Englischlehrerin in einer Fremdsprachenschule. Die meisten Kurse führte sie abends durch, sodass sie tagsüber oft Zeit hatte, Anna zu treffen. Katja hatte längere Zeit in Amerika gelebt und dort ihren jetzigen Ehemann kennengelernt. Er war ihr zuliebe nach Deutschland gezogen, denn Katja hatte von den schnurgerade verlaufenden Straßen und den riesengroßen Einkaufszentren genug. In München zogen sie umgehend in eine verwinkelte Altbauwohnung mit Balkon. Außerdem mied Katja alle Geschäfte, die größer waren als ihr eigenes Wohnzimmer. Auch deshalb mochte sie Annas gemütlichen Laden so sehr. Katjas Ehemann Dave teilte viele ihrer schrulligen Vorlieben und begleitete sie regelmäßig. In Annas Augen waren sie ein ziemlich perfektes Paar. Zu den etwas zu vielen Pfunden, die beide gleichermaßen auf die Waage brachten, hatten sie ein doppelt so großes Herz wie andere Menschen. Was Anna von ihren eigenen Eltern nicht unbedingt behaupten konnte.
»Die Frage treibt mich schon seit Wochen um. Ich hab keine Ahnung, wie ich das mit meinen Eltern machen soll. Sie haben sich seit der Scheidung nicht mehr gesehen«, sagte Anna und griff nach einem Zimtstern. Statt ihn zu essen, brach sie nur einen Zacken nach dem anderen ab, bis ein krummer Kekskreis übrig blieb. Sie seufzte. »Meine Mutter hasst meinen Vater. Und vor allem hasst sie Melanie.«
»Ist ja auch kein Wunder! Wenn sich auf einmal so ein junges Ding in ihr Leben drängt und ihr den Ehemann wegschnappt«, erwiderte Katja.
Anna nickte stumm, ehe sie weitersprach. »Melanie ist sicher kein Engel in der Geschichte. Aber irgendwie hatte ich immer gedacht, dass sich mit der Zeit die Wogen glätten würden. Immerhin ist das alles zwanzig Jahre her.«