Anne Staël: Deutschland  –  Band 193e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski - Anne Staël: - E-Book

Anne Staël: Deutschland – Band 193e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski E-Book

Anne Staël:

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Beschreibung

Anne Staël wurde von Napoleon gezwungen, Frankreich zu verlassen. Sie reiste nach Deutschland, wo sie in Weimar Goethe, Schiller und Wieland traf. Anne Staël beschreibt in diesem Band sehr authentisch und detailliert ihre Beobachtungen und Schlussfolgerungen über den Charakter der Deutschen im Vergleich zu den Franzosen und anderen Völkern. Einige ihrer Themen: Sitten und Charakter der Deutschen, die Frauen, die deutsche Lese- und Studierfreude, die deutschen Universitäten, die deutsche Sprache, Lessing und Winkelmann, Wieland, Schiller, Goethe, Tiek, Caludius, Jean Paul, Immanuel Kant und andere deutsche Philosophen, Enthusiasmus und Aufklärung. – Rezession: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeit-Epochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!

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Anne Staël:

Anne Staël: Deutschland – Band 193e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski

Band 193e in der gelben Buchreihe

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Die Autorin Anne Staël

Anne Louise Germaine de Staël: Deutschland

Frau von Staël

Sitten und Charakter der Deutschen

Eleganz und Grazie

Vom Geist der Unterhaltung

Die Frauen

Die deutsche Lese- und Studierfreude

Die Universitäten

Pestalozzi und der Geist der Erziehung

Die deutsche Sprache

Vom Stil und der Verskunst in der deutschen Sprache

„Geniale Menschen aller Länder sind geeignet, einander zu verstehen“

Lessing und Winkelmann

Lessings Schauspiele

Weimar

Wieland

Dramatische Kunst

Schiller

Schiller – Don Carlos

Schiller – Maria Stuart

Goethe

Goethe – Götz von Berlichingen

Goethe – Tasso

Faust

Deutsche Romankunst

Tieck – Claudius – Jean Paul

Herder

Ideen und Kenntnisse

Die schönen Künste

Musik

Das Rätsel der Welt

Vom Charakter der deutschen Philosophie

Immanuel Kant

Kant – Locke

Andere deutsche Philosophen

Literarische Theorie

Über die auf persönlichen Eigennutz gegründete Moral

Wetteifer der Empfindsamkeit

Freuden und Leiden des Lebens

Vom Enthusiasmus

Enthusiasmus und Aufklärung

Einflüsse des Enthusiasmus auf das Glück

Die maritime gelbe Buchreihe

Weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche.

Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den See­leuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzu­tragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktio­nen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere.

Hamburg, 2022 Jürgen Ruszkowski

Ruhestands-Arbeitsplatz

Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers

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Die Autorin Anne Staël

Die Autorin Anne Staël

https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/stael.html

Anne Louise Germaine de Staël-Holstein wurde am 22. April 1766 in Paris geboren; sie starb am 14. Juli 1817 in Paris.

Sie war die Tochter des Bankiers Jacques Necker, der Finanzminister Ludwigs XVI. war. Sie wurde seit ihrem 11. Lebensjahr im Salon der Mutter erzogen. 1789 heiratete sie den schwedischen Gesandten in Paris und wurde so Baronesse de Staël.

Ihre anfängliche Sympathie für die Revolution verflog, als diese sich radikalisierte. Sie floh 1792 auf das elterliche Landgut Coppet bei Genf. Dort lernte sie den Schriftsteller Benjamin Constant kennen, mit dem sie eine langjährige Beziehung hatte.

1795 kam sie zurück nach Paris und eröffnete einen literarischen Salon. Sie wurde kurze Zeit später verbannt und kam erst 1797 nach Paris zurück. 1803 wurde sie von Napoleon gezwungen, Frankreich zu verlassen. Sie reiste nach Deutschland, wo sie in Weimar Goethe, Schiller und Wieland traf. In Berlin traf sie August Wilhelm Schlegel, der später Erzieher ihrer Kinder wurde.

Ab 1812 unternahm sie längere Reisen nach Schweden, Russland und England, immer wieder unterbrochen durch Aufenthalte in Coppet.

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Anne Louise Germaine de Staël: Deutschland

Anne Louise Germaine de Staël: Deutschland

https://www.projekt-gutenberg.org/stael/deutschl/deutschl.html

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„Die Deutschen bilden gleichsam den Vortrab der Armee des menschlichen Geistes, sie schlagen neue Wege ein, versuchen unbekannte Mittel; wie sollte man nicht begierig sein zu erfahren, was sie bei ihrer Rückkehr von den Reisen in das Unendliche zu erzählen haben?“

Frau von Staël

Anne Louise Germaine de Staël-Holstein, allgemein bekannt als Madame de Staël, (22. April 1766 – 14. Juli 1817) war eine französische Literatin und politische Theoretikerin, die Tochter des Bankiers und französischen Finanzministers Jacques Necker und Suzanne Curchod, einer führenden Salonnière.

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Frau von Staël

Frau von Staël

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Anna Louise Germaine Necker, in Paris am 22. April 1766 geboren, kam, da ihr Vater, der Finanzminister des Königs von Frankreich, Ludwigs XVI., ihr die große Welt erschloss, schon früh mit den politischen, ästhetischen und moralischen Ideen und revolutionären Wandlungen ihres Zeitalters in Berührung; schon ihr erstes Werk, die „Briefe über die Schriften und über den Charakter J. J. Rousseaus“, das sie im Alter von 21 Jahren herausgab, zeigt sie als Anhängerin der liberalen Aufklärung.

Jean-Jacques Rousseau (* 28. Juni 1712 in Genf; † 2. Juli 1778 in Ermenonville bei Paris) war ein Genfer Schriftsteller, Philosoph, Pädagoge, Naturforscher und Komponist. Seine politische Philosophie beeinflusste den Fortschritt der Aufklärung in ganz Europa.

Sie hatte damals bereits den schwedischen Gesandten in Paris, Baron von Staël-Holstein, geheiratet. Als Frau von Staël ist sie die berühmte Schriftstellerin geworden, von der alle Welt sprach. Sie hat als politische Frau die französische Revolution aus nächster Nähe miterlebt, und ist als „Gemäßigte“ beinahe ein Opfer des Robespierreschen Terrors geworden. Ihr dreibändiges Werk „Betrachtungen über die Hauptereignisse der französischen Revolution“ ist erst nach ihrem Tod veröffentlicht worden. Frau von Staël galt ihren Zeitgenossen als eine der besten Prosaschriftstellerinnen. Ihre Romane, das in Briefform gestaltete Werk „Delphine“ (1802) und „Corinne, ou L'Italie“ (1807) sind glanzvolle Zeugnisse ihrer scharfen Beobachtungsgabe und ihres bedeutenden sprachlichen Stiltalentes.

Napoleon Bonaparte, als Kaiser Napoleon I. (bzw. „Napoléon I“; * 15. August 1769 in Ajaccio auf Korsika als Napoleone Buonaparte; † 5. Mai 1821 in Longwood House auf St. Helena im Südatlantik), war ein französischer General, revolutionärer Diktator und Kaiser der Franzosen.

Napoleon machte aus seiner Abneigung gegen sie kein Hehl, und sie selbst wurde, von ihm aus Frankreich verbannt und selbst im Ausland durch seine Agenten überwacht, unter dem erniedrigenden Zwang seines Despotismus seine Todfeindin, wie sie überhaupt jede Knechtung der Freiheit der Person, der Gedanken und der Meinung als eine politische Todsünde bekämpfte. Der Flucht aus Frankreich verdankt die Nachwelt ihr prächtiges Reisebuch „Deutschland“ (1814), das zum gegenseitigen Verstehen zwischen Franzosen und Deutschen wesentlich beigetragen hat. Frau von Staël musste das Schicksal der Landflüchtigen tragen: ihr Landgut Coppet im Stich lassend, floh sie 1812 vor Napoleon nach Wien und von da nach Moskau, Petersburg und Schweden. Ihr Werk „Zehn Jahre Verbannung“ (1821) enthält die Schilderungen der Ereignisse dieser Jahre. Erst nach dem Sturz Napoleons konnte sie noch ein paar Jahre der Furchtlosigkeit genießen. Unter ihren Schriften ist vor allem auch das Buch „Die Literatur unter Berücksichtigung der sozialen Einrichtungen“ ein bedeutendes, von neuen Ideen durchpulstes Werk. Ein ungewöhnlich reiches, aber auch ruheloses Leben erlosch mit ihrem Tod am 14. Juli 1817.

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Sitten und Charakter der Deutschen

Sitten und Charakter der Deutschen

Deutschland war ein aristokratischer Bundesstaat.

Dem Reich fehlte es an einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt der Aufklärung und des Gemeingeistes. Es bildete keine zusammenhängende Nation; dem Bündel fehlte das Band. So nachteilig diese Verschiedenheit Deutschlands seiner politischen Kraft war, so vorteilhaft war sie allen Versuchen des Genies und der Phantasie. Es herrschte eine Art sanfter friedlicher Anarchie auf den Gebieten literarischer und metaphysischer Meinungen, wobei es jedermann freistand, seine individuelle Ansicht der Dinge ganz nach Gefallen zu entwickeln.

Da es keine Hauptstadt gibt, die der Sammelplatz der guten Gesellschaft von ganz Deutschland ist, so kann der gesellige Geist seine Gewalt nur wenig geltend machen, so fehlt es dem herrschenden Geschmack an Einfluss und den Waffen des Spottes am Stachel. Ein großer Teil der Schriftsteller arbeitet in der Einsamkeit oder in dem engen Kreis kleiner Umgebungen, über die sie die Herrschaft führen. Sie geben sich, jeder besonders, allem hin, was eine ungezügelte Phantasie ihnen eingibt, und wenn sich in Deutschland eine Spur der Modegewalt blicken lässt, so besteht sie bloß darin, dass jeder versteht, sich von allen anderen zu unterscheiden. In Frankreich ist gerade das Gegenteil der Fall; da strebt alles nach dem Lob, das Montesquieu Voltaire erteilt, wenn er sagt: „Er hat mehr als irgend jemand den Verstand, den jedermann hat.“

Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (getauft am 18. Januar 1689 auf Schloss La Brède bei Bordeaux; † 10. Februar 1755 in Paris), bekannt unter dem Namen Montesquieu, war ein französischer Schriftsteller, Philosoph und Staatstheoretiker der Aufklärung.

Voltaire (eigentlich François-Marie Arouet, * 21. November 1694 in Paris; † 30. Mai 1778 ebenda) war ein französischer Philosoph und Schriftsteller. Er ist einer der meistgelesenen und einflussreichsten Autoren der Aufklärung.

In der Literatur wie in der Politik haben überhaupt die Deutschen nicht genug Nationalvorurteile. Bei einzelnen ist die Verleugnung ihrer selbst und die Achtung des anderen eine Tugend; nicht so beim Patriotismus der Nationen: dieser muss egoistisch sein. Der Stolz der Engländer trägt zu ihrer politischen Existenz mächtig bei. Die gute Meinung der Franzosen von sich hat von jeher ihr Übergewicht in Europa verstärken helfen. Der edle Stolz der Spanier machte sie einst zu Herren eines Erdteils des Erdkreises. Die Deutschen sind Sachsen, Preußen, Bayern, Österreicher, aber der Grundcharakter, der die Stärke aller übrigen begründen sollte, ist zerstückelt wie das Land selbst.

Die Deutschen sind im Allgemeinen aufrichtig und treu; fast immer ist ihr Wort ihnen heilig und der Betrug ihnen fremd. Sollte sich je die Falschheit in Deutschland einschleichen, so könnte es nur geschehen, um sich den Ausländern nachzubilden, um zu zeigen, dass sie ebenso gewandt sein können, wie jene; vor allem, um sich nicht von ihnen hinters Licht führen zu lassen. Bald aber würde der gesunde Verstand und das gute Herz die Deutschen zur Überzeugung bekehren, dass man nur durch seine eigene Natur stark sei, und dass die Gewohnheit des Rechtlichen uns ganz und gar unfähig zur Arglist mache, selbst dann, wenn wir sie gebrauchen möchten. Um aus der Immoralität Vorteil zu ziehen, muss man in jeder Hinsicht leicht gerüstet sein, nicht aber ein Gewissen im Herzen und Bedenklichkeiten im Kopf führen, die uns auf halbem Weg aufhalten und es uns umso mehr bereuen lassen, vom alten Weg abgewichen zu sein, als es uns unmöglich wird, in der neuen Straße verwegen fortzuschreiten.

Es wäre, dünkt mich, leicht zu beweisen, dass ohne Moral alles in der Welt Finsternis ist. Trotzdem ist man oft bei den Völkern lateinischen Ursprungs einer Politik begegnet, die mit seltener Gewandtheit die Kunst besaß und ausübte, sich von allen Pflichten zu befreien. Der deutschen Nation hingegen darf man es zum Ruhm nachsagen, dass es ihr beinahe an jener Fähigkeit fehlt, die es geschmeidig-dreist versteht, jede Wahrheit jedem Vorteil zugunsten zu beugen und die heiligen Verbindlichkeiten der kalten Berechnung zu opfern. Ihre Mängel sowohl wie ihre Eigenschaften unterwerfen diese Nation der ehrenvollen Notwendigkeit, gerecht zu sein.

Der mächtige Trieb zur Arbeit und zum Nachdenken ist ebenfalls ein entscheidendes Charaktermerkmal der Deutschen. Sie sind von Natur literarisch und philosophisch; nur dass der Unterschied der Klassen, der in Deutschland hervorstechender als irgendwo ist, in mancher Hinsicht dem, was man unter Geist (Esprit) versteht, im Weg steht. Der Adel hat zu wenige Ideen, die Gelehrten zu wenig Kenntnis der Geschäfte.

Der Geist ist ein Gemisch von der Kenntnis der Dinge und der Menschen; und die Gesellschaft, in der man ohne Zweck und doch mit Teilnahme handelt, ist gerade das, was die am meisten entgegenstehenden Fähigkeiten am besten entwickelt. Was die Deutschen charakterisiert, ist mehr die Einbildungskraft als der Geist.

Jean Paul Richter (* 7. Januar 1847 in Dresden; † 25. August 1937 in Lugano) war ein deutscher Kunsthistoriker. Er wurde vor allem für seine Arbeiten über die Notizbücher von Leonardo da Vinci bekannt.

Jean Paul Richter, einer ihrer ausgezeichnetsten Schriftsteller, sagt irgendwo: „Das Gebiet des Meeres gehört den Engländern; das Gebiet der Erde den Franzosen; das Gebiet der geistigen Atmosphäre den Deutschen“. Und in der Tat wäre es angebracht, Deutschland jener hervorstechenden Denkkraft zu überlassen, die sich in den leeren Raum versteigt und verliert, in die Tiefe eindringt und verschwindet, die in ihrer zu großen Unparteilichkeit zu nichts, in ihrer zu feinen Analyse zum Chaos wird.

Es kostet Mühe, wenn man soeben aus Frankreich kam, sich an die Langsamkeit, an die Ruhe des deutschen Volkes zu gewöhnen; es hat nie Eile, findet allenthalben Hindernisse. Das Wort unmöglich hört man hundertmal in Deutschland aussprechen gegen einmal in Frankreich. Muss gehandelt werden, so weiß der Deutsche nicht, was es heißt, den Hindernissen entgegenstreben; und seine Achtung vor der Gewalt rührt mehr davon, dass sie in seinen Augen dem Schicksal gleicht, als von irgendeinem eigennützigen Grund her.

Sobald man sich etwas über die unterste Volksklasse in Deutschland erhoben hat, bemerkt man bald das innere Leben, die Seelenpoesie, die den Deutschen bezeichnet. Die Bewohner der Städte und Dörfer, Soldaten und Landleute, verstehen fast alle Musik. Es ist mir sehr oft begegnet, in kleine, von Tabaksdampf durchräucherte Häuser zu treten und nicht allein die Hausfrau, sondern auch ihren Mann auf dem Klavier phantasieren zu hören, wie man in Italien improvisiert. Überall verbreitet ist die Einrichtung, dass an Markttagen auf dem Altan des Rathauses mitten auf dem Platz Spielleute mit Blasinstrumenten sich versammeln, so dass die Bauern der benachbarten Dörfer ihren freudigen Anteil an der ersten aller Künste nehmen können. Sonntags singen Chorschüler auf den Straßen geistliche Lieder.

Wie man erzählt, war Luther in seiner Jugend ein solcher Chorknabe. Ich befand mich einst zu Eisenach, einem Städtchen im Herzogtum Sachsen-Weimar, an einem überaus kalten Wintertag; auf den Straßen lag tiefer Schnee. Ich sah einen langen Zug von jungen Leuten in schwarzen Mänteln durch die Stadt ziehen und hörte sie mit lauter Stimme Lieder zum Lobe Gottes anstimmen. Außer ihnen befand sich niemand auf der Straße, so streng war die Kälte; und diese Stimmen, beinahe so harmonisch wie die südlichen, rührten desto mehr, als sie mitten aus der erstarrten Natur hervortönten. Bei der bitteren Kälte durften die Einwohner ihre Fenster nicht öffnen; doch sah man hinter den Scheiben traurige und heitere Gesichter, alte und junge, die mit Freuden die Tröstungen der Religion empfingen, die ihnen der sanfte Gesang zuhauchte.

Die Instrumentalmusik ist in Deutschland ebenso allgemein eingeführt wie die Vokalmusik in Italien. Die Natur hat freilich in dieser Hinsicht wie in so mancher anderen mehr für Italien als für Deutschland getan. Es kostet Mühe und Anstrengung, um es in der Instrumentalmusik weit zu bringen, während der südliche Himmel allein hinreicht, schöne Stimmen zu bilden; gleichwohl würden nie Männer aus den arbeitenden Klassen auf die Erlernung der Musik die notwendige Zeit verwenden, wenn sie nicht natürliche Anlage dazu hätten. Die von Natur musikalischen Völker erhalten durch die Harmonie Gefühle und Ideen, zu denen sie infolge ihrer beschränkten Lage und ihrer alltäglichen Beschäftigungen auf andere Art nicht kommen könnten.

In Deutschland ist nichts so auffallend als der Gegensatz zwischen den Empfindungen und den Gewohnheiten, zwischen den Talenten und dem Geschmack. Zivilisation und Natur scheinen hier noch nicht gehörig zusammengeschmolzen zu sein. Wahrheitliebende Männer erscheinen nicht selten im Ausdruck und im Anstand manieriert, als hätten sie etwas zu verbergen; nicht minder oft zeigt sich die sanfte Seele unter einer rauen Außenseite. Ja, man geht noch weiter; die Schwäche des Charakters blickt hinter harten Worten und harten Formen hervor. Mit dem Enthusiasmus für Dichtkunst und schöne Künste verbinden sich vielfältige gesellschaftliche Sitten und Gewohnheiten. Es gibt kein Land, wo die Gelehrten oder junge Studierende auf hohen Schulen es weiter in den alten Sprachen und in der Kenntnis des Altertums gebracht hätten; und von der anderen Seite kein Land, wo altväterische Sitten und Gebräuche einheimischer wären als in Deutschland.

Die Religion hat in Deutschland ihren Sitz im Innersten des Herzens; zugleich aber trägt sie gegenwärtig ein Gepräge der Träumerei und der Unabhängigkeit, das ausschließlichen Empfindungen nicht den gehörigen Nachdruck beilegt. Dieses Einzelnstehen von Meinungen, Individuen und Staaten, der Macht des deutschen Reichs so überaus nachteilig, findet sich auch in der Religion wieder; eine große Anzahl verschiedener Sekten teilt sich in Deutschland, und die katholische Religion selbst, die durch ihre innere Beschaffenheit einförmige, strenge Zucht hält, wird von den Deutschen nach eines jeden Weise und Gutdünken erklärt. Das politische und gesellschaftliche Gut der Völker, eine gleiche Regierung, ein gleicher Gottesdienst, gleiche Gesetze, gleiches Interesse, eine klassische Literatur, eine vorherrschende Meinung; nichts von allem diesem findet sich bei den Deutschen. Dadurch wird freilich jeder einzelne Staat unabhängiger, jede Wissenschaft besser kultiviert; aber die Nation im Ganzen zerfällt in solche Unterabteilungen, dass man nicht weiß, welchem Teil des Reichs man den Namen Nation beilegen soll.

Die deutsche Nation ist ausdauernd und gerecht; ihr Gefühl für Billigkeit und Rechtlichkeit verhindert, dass eine sogar fehlerhafte Einrichtung zum Bösen führen könne.

Kaiser Ludwig der Bayer, * 1282 oder 1286, † 1347

Als Ludwig der Bayer in den Krieg zog, überließ er die Verwaltung seiner Staaten Friedrich dem Schönen (Friedrich der Schöne (* 1289 in Wien; † 13. Januar 1330 in Gutenstein) aus dem Adelsgeschlecht der Habsburger war ab 1314 römisch-deutscher König), seinem Gefangenen; und dieses Vertrauen, das damals für niemand befremdend war, betrog ihn nicht.

Mit solchen Tugenden hatte man von den Mängeln der Schwachheit oder von der Verwicklung der Gesetze nichts zu befürchten; die Rechtschaffenheit der Menschen ersetzte alles.

Die Unabhängigkeit selbst, die man beinahe in jeder Hinsicht in Deutschland genoss, machte die Deutschen gleichgültig gegen die Freiheit: die Unabhängigkeit ist ein Gut, die Freiheit eine Bürgschaft; und eben weil niemand in Deutschland weder in seinen Rechten, noch in seinen Genüssen gekränkt wurde, fühlte man nicht das Bedürfnis einer Ordnung der Dinge, durch die dieses Gut behauptet würde.

Die alten Urkunden, die alten Privilegien der Städte, jene große Familiengeschichte, die das Glück und den Ruhm der kleinen Staaten ausmacht, war den Deutschen über alles teuer; sie vernachlässigten darüber die große Nationalmacht, die sie vor allen Dingen mitten unter den europäischen Kolossen hätten begrüßen sollen.

Dem Deutschen fehlt es, mit wenigen Ausnahmen, an Fähigkeit zu allem, wozu Gewandtheit und Geschicklichkeit erfordert wird. Alles beunruhigt ihn, macht ihn verlegen; er bedarf ebenso sehr der Methode im Handeln, als der Unabhängigkeit im Denken. Der Franzose hingegen betrachtet die Handlungen mit der Freiheit der Kunst und die Ideen mit der Knechtschaft der Gewohnheit. Die Deutschen, die sich dem Joch der Regeln in der Literatur nicht unterwerfen können, möchten, dass im Leben ihnen alles vorgezeichnet würde. Sie verstehen sich nicht darauf, mit den Menschen zu verhandeln, und je weniger man ihnen Gelegenheit gibt, sich bei sich selbst Rat zu holen, desto willkommener ist man ihnen.

Politische Institutionen können den Charakter einer Nation begründen. Nun stand die Natur der Regierung in Deutschland mit der philosophischen Aufklärung der Deutschen beinahe im Gegensatz; daher kommt es, dass sie die größte Kühnheit im Denken mit dem folgsamsten Charakter verbinden. Der Vorzug, den der Soldatenstand hat, und die Verschiedenheit der Stände überhaupt, haben sie in allen Verhältnissen des geselligen Lebens an die genaueste Unterwürfigkeit gewöhnt; der Gehorsam ist bei ihnen nicht Knechtschaft, er ist Regelmäßigkeit. Sie sind in Erfüllung der an sie ergehenden Befehle so pünktlich, als ob jeder Befehl eine Pflicht wäre.

Die aufgeklärten Köpfe in Deutschland streiten lebhaft miteinander um die Herrschaft im Gebiet der Spekulation; hier dulden sie keinen Widerspruch. Der Geist der Deutschen scheint mit ihrem Charakter in keiner Verbindung zu stehen. Jener leidet keine Schranken, dieser unterwirft sich jedem Joch; und das erklärt sich leicht. Die Vermehrung unserer Kenntnisse in neueren Zeiten dient nur dazu, den Charakter zu schwächen, wenn er nicht durch die Gewohnheit der Geschäfte und die Ausübung des Willens gestärkt wird.

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Eleganz und Grazie

Eleganz und Grazie

Seit Ludwig XIV. setzte die sogenannte schöne Welt des Kontinents in Europa, Italien und Spanien ausgenommen, ihre Ehre daran, sich den Franzosen nachzubilden.

Ludwig XIV., französisch Louis XIV (* 5. September 1638 in Schloss Saint-Germain-en-Laye; † 1. September 1715 in Schloss Versailles), war ein französischer Prinz aus dem Haus Bourbon.

In England gibt es einen beständigen Gegenstand der Unterhaltung, nämlich das politische Problem, worin alle und jeder ihr besonderes Interesse suchen und finden. Im Süden von Europa gibt es keine Gesellschaften; die schöne Sonne, die schönen Künste, die Liebe füllen dort das Leben aus. In Paris unterhält man sich gewöhnlich über die Literatur, und das sich immer mit neuen Stücken bereichernde Schauspiel gibt zu witzigen, scharfsinnigen Bemerkungen Anlass und Stoff. In allen übrigen großen Städten besteht der Hauptinhalt aller Unterhaltungen in Anekdoten, in täglichen Urteilen und Anmerkungen über diejenigen, die zur großen Welt gehören. Es ist ein gewöhnliches Gewäsch, nur, dass die Namen vornehmer klingen; im Grunde sind es Klatschereien, wie in den niedrigsten Volksklassen; denn bei aller Eleganz der Formen, bei aller Wahl der Ausdrücke, läuft doch alles auf die Chronik von der Nachbarschaft hinaus.

Der wahrhaft liberale Stoff zur Unterhaltung besteht in Ideen und Tatsachen von allgemeinem Interesse. Die zur Gewohnheit gewordene Medisance, weil sie doch einmal die Gedankenleere und die Dürftigkeit des Verstandes in den Gesellschaften zum notwendigen Bedürfnis gemacht hat, kann zwar mehr oder weniger durch Herzensgüte gemildert werden, doch nie so sehr, dass man mit jedem Schritt, mit jedem Wort kleine, ärgerliche Anekdoten hören sollte, deren Gesumme, wie das der Fliegen, selbst den Löwen auf die Dauer beunruhigen könnte. In Frankreich bedient man sich der Waffe des Lächerlichen, um sich gegenseitig zu bekämpfen und den Boden zu erobern, auf dem man den Sieg der Eigenliebe davonzutragen hofft. In anderen Ländern lässt man es bei einem harmlosen Geschwätz bewenden, das den Geist abnutzt und alle Spannkraft in jeder Gattung der Verstandesübungen hemmt.

Eine leichte Unterhaltung, in der eigentlich von nichts die Rede ist, und alles auf den Reiz der Worte und Wendungen ankommt, kann großes Vergnügen gewähren, und man darf es ohne Anmaßung behaupten, Frankreich allein stelle diese Gattung von Unterhaltung auf. Man kann sie als eine gefährliche, aber einladende Übung ansehen, in der jeder kleine Gegenstand sozusagen zum Federball wird, den man einander zuwirft, und der im genau berechneten Augenblick aus einer Hand in die andere fliegen muss.

Die Österreicher verbinden im Allgemeinen zu viel Steifes mit zu viel Aufrichtigkeit, um sich fremdes Wesen anpassen zu wollen. Man hält es in Berlin für eine Sache des guten Geschmacks, französisch zu sprechen.

Die Franzosen haben sich in Europa, und vor allem in Deutschland, durch ihre Kunst, Extravaganzen auffallen zu lassen, hervorgetan. In den Worten Eleganz und Grazie lag eine geheime magische Kraft, die für die Eigenliebe ein unwiderstehlicher Ansporn war. Es ist nicht anders, als wären die Gefühle, die Handlungen, als wäre das ganze Leben dieser überfeinen Gesetzgebung des Weltgebrauchs unterworfen, als sei diese Gesetzgebung ein Vertrag zwischen der Eigenliebe des Einzelnen und der Eigenliebe der bürgerlichen Gesellschaft, ein Vertrag, kraft dessen die Eitelkeiten eine republikanische Konstitution unter sich errichtet haben, wo die Strafe des Ostrazismus (Ignorieren oder Ausschließen einzelner Personen oder Gruppen durch andere) gegen alles verhängt wird, was scharf gezeichnet und stark ausgesprochen ist. Diese, dem Schein nach leichten, im Grunde aber despotischen Formen und Verabredungen entscheiden über das ganze Wesen des Menschen; sie haben allmählich und stufenweise alles untergraben, die Liebe, den Enthusiasmus, die Religion: alles, außer dem Egoismus, den der Stachel der Ironie nicht erreichen kann, weil er sich zwar dem Tadel, nie aber dem Spott bloßstellt.

Der deutsche Geist verträgt sich weit weniger als jeder andere mit jener berechneten Kleingeistigkeit; er ist kaum auf der Oberfläche sichtbar, er muss tief eindringen, um zu begreifen. Er hascht nichts im Flug. Vergebens würden die Deutschen es versuchen wollen, ihren natürlichen Eigenschaften und Gefühlen zu entsagen; an der Gründlichkeit würden sie verlieren, und in der leichten Form nicht gewinnen. Sie würden aufhören, Deutsche von Wert und Verdienst zu sein, ohne sich in liebenswürdige Franzosen umzuschaffen.

Ich bin weit entfernt, ihnen die Grazie absprechen zu wollen; sobald sie sich nur ihrer natürlichen Stimmung hingeben, geht sie aus ihrer Einbildungskraft, aus ihrer Empfindung hervor. Ihre muntere Laune (und es fehlt ihnen, besonders den Österreichern, keineswegs daran) hat aber mit der französischen Lustigkeit nichts gemein. Die Tiroler Possen, an denen in Wien die Großen wie das Volk so viel Freude empfinden, haben weit mehr Ähnlichkeit mit dem italienischen als mit dem französischen komischen Spott. Sie bestehen in stark aufgetragenen Karikaturen, in denen die menschliche Natur zwar mit Wahrheit, aber die Gesellschaft nicht mit Feinheit dargestellt wird. Gleichwohl ziehe ich diese Lustigkeit mit ihrem gröberen Anstrich der Nachahmung einer fremden Grazie vor.

Sobald man die Franzosen nachzuahmen sucht, tragen sie über alle und alles den Sieg davon.

Sooft man im Ausland auf einen Nationalfranzosen stößt, freut man sich, mit ihm ein Gespräch über die französische Literatur anknüpfen zu können; man fühlt sich wie zu Hause, man unterhält sich sozusagen von häuslichen Geschäften. Nicht so mit einem französischen Ausländer; ein solcher erlaubt sich keine Meinung, keine Sprachwendung, die nicht den Stempel der Orthodoxie mit sich führte; und nicht selten ist es eine Orthodoxie von ehedem, die er für die Meinung des Tages ansieht. In manchen nordischen Ländern bleibt man noch immer bei den Anekdoten der Regierung Ludwigs XIV. stehen. Man hört Ausländer, die es den Franzosen gern nachtun möchten, und die Hofstreitigkeiten der Madame de Montespan und der Mademoiselle de Fontanges mit einer Weitläufigkeit und mit Umständen erzählen, die ermüden müssten, auch wenn von einem Ereignis von gestern die Rede wäre.

Marquise de Montespan (* 5. Oktober 1640 in Lussac; † 27. Mai 1707 in Bourbon-l'Archambault) war eine Mätresse Ludwigs XIV. Unter dem Einfluss der zeitgenössischen geistreichen Pariser Salonkultur (den sogenannten „Preziösen“) und in Anspielung auf die griechische Göttin Athene nannte sie sich „Athénaïs“ und wird daher auch Athénaïs de Montespan.

Marie-Angélique de Scorailles (ou d'Escorailles) de Roussille, duchesse de Fontanges.

1661 – 1681

Diese kleinliche Lesegelehrsamkeit, dieses eigensinnige Ankleben an einigen allgemein gangbaren Ideen, welches aus der Schwierigkeit entsteht, seinen Vorrat von Zeit zu Zeit zu ergänzen, bringt Langeweile hervor; die wahre Kraft eines Landes besteht in dessen natürlichem Charakter, und die Nachahmung des Auslandes, sei's worin es wolle, zeugt von einem Mangel an Patriotismus.

Dem geistreichen Franzosen ist es auf Reisen nicht angenehm, bei fremden Nationen den französischen Geist zu finden. Er sieht es weit lieber, wenn er auf Männer trifft, die mit der individuellen die National-Originalität verbinden. Die Modehändlerinnen in Frankreich pflegen den Bodensatz ihres Warenlagers nach den Kolonien, nach Deutschland, nach dem Norden zu schicken. Gleichwohl suchen sie sich auf alle mögliche Weise die Nationaltrachten eben dieser Länder zu verschaffen, und stellen sie mit Recht als elegante Nachahmungsmuster auf. Was von der Naturverzierung gilt, gilt ebenfalls vom Geist. Wir senden ganze Ladungen von Calembourgs, von Vaudevilles ins Ausland, wenn wir ihrer in Frankreich überdrüssig sind; aber in der fremden Literatur liebt der Franzose nur, was nicht französisch, was einheimische Schönheit ist. In der Nachahmung gibt es weder Leben noch Natur, und man könnte im allgemeinen auf alle diese Aftergeburten des Geistes, auf alle diese Werke französischer Nachahmung das Lob anwenden, welches im Ariost Roland dem Pferd beilegt, das er hinter sich schleppt: „Mein Pferd vereinigt alle möglichen guten Eigenschaften; es hat nur einen einzigen Fehler; den, dass es tot ist!“

* * *

Vom Geist der Unterhaltung

Vom Geist der Unterhaltung

Wenn man im Morgenland einander nichts zu sagen hat, so raucht man Tabak zusammen und begrüßt sich von Zeit zu Zeit mit verschränkten Armen, um sich ein Freundschaftszeichen zu geben; im Abendland hingegen hat man den ganzen Tag miteinander reden wollen.

Es dürfte anerkannt sein, dass von allen Städten der Welt Paris die ist, wo der Geist und Geschmack der Unterhaltung am meisten verbreitet sind; und was man Heimweh nennt – diese unbestimmte Sehnsucht nach dem Vaterland, die unabhängig ist selbst von den Freunden, die man dort zurückgelassen hat –, ist oft weiter nichts als das Vergnügen, miteinander zu schwatzen; ein Vergnügen, das die Franzosen nirgends in demselben Grad genießen, wie bei sich.

Die Art der guten Stimmung, die eine belebte Unterhaltung gewährt, besteht nicht in dem Gegenstand dieser Unterhaltung; nicht die Ideen und die Kenntnisse, die man darin entwickeln kann, bilden das Hauptinteresse. Dies hängt zusammen mit einer gewissen Manier, aufeinander zu wirken, sich gegenseitig und rasch Vergnügen zu bereiten, so schnell zu sprechen, wie man denkt, sich selbst mit Wohlgefallen zu empfinden, Beifall ohne Anstrengung einzuernten, seinen Verstand in allen Abstufungen durch Ton und Gebärde und Blick zu offenbaren, und, nach Belieben, eine Art von Unruhe hervorzubringen, deren sprühende Funken die Lebhaftigkeit der einen mäßigt und die unangenehme Apathie der anderen verbannt.

Zu diesem Talent passt nichts so wenig, wie der Charakter und die Geistesart der Deutschen. Sie wollen in allen Stücken ein ernstes Ergebnis. Bacon hat bemerkt: die Unterhaltung sei nicht ein Weg, der nach Hause führe, wohl aber ein Pfad, auf dem man sich auf gut Glück ergeht. In der Unterhaltung ist das Nötige die Belustigung.

Der Ideen-Kurs ist seit einem Jahrhundert ganz durch die Unterhaltung bestimmt worden. Man dachte, um zu sprechen, man sprach, um Beifall einzuernten, und alles, was nicht gesagt werden konnte, schien in der Seele überflüssig zu sein. Der Wunsch zu gefallen ist unstreitig eine schätzbare Anlage; allein er unterscheidet sich doch sehr von dem Bedürfnis, geliebt zu werden. Der erstere macht abhängig von der Meinung; das letztere erhebt über dieselbe. Selbst denen, denen man großes Unrecht zufügt, kann man zu gefallen wünschen; und gerade dies ist die Gefallsucht, eine Eigenschaft, die nicht die Frauen allein besitzen, die sich vielmehr in all den Fällen äußert, wo man mehr Gefühl zur Schau trägt, als man wirklich in sich hat.

Die Rechtlichkeit der Deutschen gestattet ihnen nichts dergleichen; sie nehmen die Anmut ganz buchstäblich; sie betrachten den Zauber des Ausdrucks als eine Verbindlichkeit für das gute Betragen. Daher ihre Empfindlichkeit; denn sie vernehmen kein Wort, ohne etwas daraus zu folgern, und noch weniger begreifen sie, wie man die Rede als eine freie Kunst behandeln könne, die keinen anderen Zweck hat, als das Vergnügen, das man darin findet. Der Unterhaltungsgeist hat bisweilen das Üble, dass er die Aufrichtigkeit des Charakters stört; eine durch den Verstand herbeigeführte, aber improvisierte Betrügerei, wenn man sich so ausdrücken darf. Die Franzosen haben in diese Gattung eine Fröhlichkeit gebracht, die sie höchst liebenswürdig macht; aber es ist deswegen nicht minder erwiesen, dass alles, was diese Welt Ehrwürdiges hat, durch diese Anmut erschüttert worden ist; wenigstens durch die, die nichts wichtig findet und alles ins Lächerliche zieht.

Die witzigen Einfälle der Franzosen sind von dem einen Ende Europas bis zum anderen angeführt worden. Zu allen Zeiten haben sie einer des anderen bedurft, wie abwechselnde Zuhörer, die sich wechselweise aufmuntern; zu allen Zeiten haben sie sich hervorgetan in der Kunst, das Nötige zu sagen, und selbst in der, zu schweigen, wenn ein großes Interesse ihre natürliche Lebhaftigkeit unterdrückte; zu allen Zeiten haben sie das Talent gehabt, schnell zu leben, lange Reden abzukürzen und denen Platz zu machen, die nun auch sprechen wollten; zu allen Zeiten haben sie sich darauf verstanden, von Gefühlen und Gedanken nur so viel zu geben, als zur Belebung der Unterhaltung diente, ohne das leichtfertige Interesse zu ermüden, das man gewöhnlich füreinander hat.

Ich habe einen Mann gekannt, den das Lob so in Atem setzte, dass, wenn er dergleichen erhielt, er alles, was er gesagt hatte, übertrieb und, um den glücklichen Erfolg zu verstärken, immer damit aufhörte, dass er ihn einbüßte; ich wagte es nicht, ihm meinen Beifall zu geben, aus bloßer Furcht, er möchte zur Affektation übergehen und sich aus gutherziger Eigenliebe lächerlich machen. Ein anderer fürchtete so sehr den Schein, als wünschte er Eindruck zu machen, dass er seine Worte nachlässig fallen ließ. Wenn die Eitelkeit sich zeigt, so ist sie wohlwollend; verbirgt sie sich aber, so wird sie bitter durch die Furcht vor der Entdeckung und trägt die Gleichgültigkeit, die Sattheit, mit einem Wort, alles zur Schau, was andere glauben machen kann, sie bedürfe ihrer nicht. Diese verschiedenen Kombinationen sind höchst anmutig für den Beobachter, und man wundert sich, warum die Eigenliebe nicht den natürlichen Weg einschlägt: den Wunsch einzugestehen, dass man gefallen möchte.

Der Takt, den der Umgang erfordert, das von ihm herbeigeführte Bedürfnis, sich der Fassungskraft der verschiedenen Geister anzupassen, die große Arbeit des Gedankens in seinen Beziehungen auf Menschen, dies alles würde den Deutschen in mehr als einer Hinsicht nützlich sein; es würde ihnen Maß und Feinheit und Gewandtheit geben. Aber in diesem Talent zu schwatzen, liegt immer eine gewisse Geschicklichkeit, die sich nicht mit einer unbiegsamen Moral verträgt; denn wenn man alles, was mit der Kunst, die Menschen glimpflich zu behandeln, in Verbindung steht, vernachlässigen dürfte, so würde der Charakter umso viel mehr Größe und Energie besitzen.

Die Franzosen sind die geschicktesten Diplomaten Europas. Der Geist der Unterhaltung hat in den Franzosen auf eine ausgezeichnete Weise den ernsteren Geist politischer Unterhandlungen entwickelt. Kein auswärtiger Gesandter vermag in dieser Gattung mit ihnen zu ringen; es sei denn, dass er, alle Ansprüche auf Feinheit beiseite setzend, den Dingen gerade auf den Leib geht, ungefähr wie einer, der sich schlägt, ohne fechten gelernt zu haben.

In Deutschland ist jeder in seinem Rang, auf seinem Platz, wie auf einem Posten, und es bedarf am wenigsten geschickter Wendungen, Parenthesen und Halbwörter, um die Vorzüge auszudrücken, die man durch Geburt oder durch Titel seinem Nachbarn voraus hat. In Deutschland wird die gute Gesellschaft durch den Hof gebildet; in Frankreich waren es alle diejenigen, die sich mit ihm auf den Fuß der Gleichheit setzen konnten; und alle durften dies hoffen, und alle durften auch fürchten, nie dahin zu gelangen. Hieraus entstand, dass jeder die Manieren der Gesellschaft haben wollte. In Deutschland verschafft ein Diplom den Zutritt; in Frankreich verbannte ein Mangel an Geschmack vom Hof, und man beeiferte sich weit mehr, den Weltleuten ähnlich zu werden, als sich in der Welt selbst durch Tapferkeit auszuzeichnen. Eine aristokratische Macht, der gute Ton und die Eleganz galten mehr, als Energie, Tiefe, Gefühl und Geist sogar. Diese sagten zur Energie: du legst zu viel Gewicht auf Personen und Dinge; zur Tiefe: du nimmst mir zu viel Zeit weg; zum Gefühl: du bist allzu ausschließend; zum Geist endlich: du bist eine allzu individuelle Auszeichnung. Es bedurfte solcher Vorzüge, die mehr mit den Manieren, als mit den Ideen zusammenhingen; und es kam darauf an, in einem Menschen mehr die Klasse, zu welcher er gehörte, als sein eigentümliches Verdienst zu erkennen. Diese Art von Gleichheit in der Ungleichheit begünstigt mittelmäßige Menschen sehr, denn sie muss in der Art zu sehen und sich auszudrücken alle Eigentümlichkeiten zerstören. Das gewählte Modell ist edel, anmutig und nicht ohne Geschmack; aber es ist für alle dasselbe, es ist ein Einigungspunkt. Was sich ihm anpasst, glaubt mit seinesgleichen umzugehen. Einem Franzosen würde es langweiliger sein, mit seiner Meinung, als auf seinem Zimmer allein zu sein.

Man würde unrecht haben, wenn man den Franzosen beschuldigen wollte, er schmeichle der Macht durch die gewöhnlichen Berechnungen, die diese Schmeichelei einflößen. Sie gehen, wohin alle Welt geht; Ungnade oder Ansehen, gleichviel. Wenn Einzelne sich für die Menge ausgeben, so können sie darauf rechnen, dass sie wirklich kommen wird. Im Jahr 1789 hat man die Revolution in Frankreich dadurch gemacht, dass man einen Eilboten aussandte, der von einem Dorf zum anderen ausrief: bewaffnet euch, denn das benachbarte Dorf hat sich bewaffnet; alles stand gegen alle, eigentlich gegen niemand auf. Wenn man das Gerücht verbreiten wollte: die und die Manier zu sehen, sei allgemein angenommen, so würde man, selbst gegen das innere Gefühl eines jeden, Einhelligkeit erleben; man würde sich alsdann, um mich so auszudrücken, das Geheimnis der Komödie bewahren. Denn unter vier Augen würde jeder eingestehen, dass alle unrecht haben. Bei geheimen Umfragen hat man Deputierte ihre weiße oder schwarze Kugel gegen ihre Meinung geben gesehen, nur weil sie glaubten, die Mehrheit befinde sich auf der entgegengesetzten Bahn; sie wollten, wie sie sagten, ihre Stimme nicht verlieren.

Aus diesem gesellschaftlichen Bedürfnis, wie alle Übrigen zu denken, kann man sich den Gegensatz des Muts im Krieg zur Feigheit in der bürgerlichen Laufbahn während der Revolution erklären. Über den militärischen Mut gibt es nur eine Ansicht; aber in Bezug auf das Betragen in politischen Angelegenheiten kann die öffentliche Meinung irregeleitet werden. Der Tadel unserer Umgebung, die Vereinzelung und die Verlassenheit bedrohen uns, wenn wir nicht der herrschenden Partei folgen, während man bei den Armeen nur die Wahl zwischen Tod und glücklichem Erfolg hat: eine herrliche Lage für Franzosen, die jenen nicht fürchten und diesen über alles lieben.

Macht die Gefahr zur Mode, d. h. wendet ihr allen Beifall zu, und ihr werdet sehen, wie der Franzose ihr unter allen Gestalten trotzt. Der Geist der Gesellschaftlichkeit geht in Frankreich von dem höchsten Rang bis zum niedrigsten; man muss vor allen Dingen die Billigungen seiner Umgebung haben; um keinen Preis will man sich dem Tadel oder dem Gelächter aussetzen. Denn in einem Land, wo das Schwatzen so großen Einfluss hat, betäubt der Lärm der Worte oft die Stimme des Gewissens.

Man kennt die Geschichte eines Mannes, der eine Schauspielerin, die er soeben gehört hatte, mit Entzücken zu loben begann. Als er auf den Lippen der Umstehenden ein Lächeln bemerkte, mäßigte er sein Lob. Das Lächeln dauerte fort, und die Furcht vor dem Spott nahm in ihm so zu, dass er mit den Worten endigte: bei Gott, die arme Frau hat getan, was in ihren Kräften stand. Die Triumphe der Spötterei erneuern sich unaufhörlich in Frankreich; bald muss man religiös sein; bald muss man seine Frau lieben, bald sich nicht an ihrer Seite sehen lassen. Es hat Augenblicke gegeben, wo man fürchtete, für einfältig zu gelten, wenn man menschlich gefühlt hätte; und diese tiefe Furcht vor dem Lächerlichen, die in den ersten Klassen sich in der Regel durch die Eitelkeit offenbart, hat sich in den untersten oft als Verwilderung ausgedrückt.