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Die Folgen der Globalisierung, drohende Klima-und Ökokatastrophen oder die neue Gefährdung des Weltfriedens liefern reichlich Stoff für eine Neuauflage apokalyptischer Zukunftsängste. Erleben wir gerade ein Scheitern der Vernunft, oder haben die Religionen versagt? Ingo Hofmann, Physiker und Hochschullehrer, will dieses Thema nicht Theologen, Philosophen, Unheilspropheten oder Fundamentalisten überlassen. Er findet, dass die Deutung apokalyptischer und endzeitlicher Bilder eines zeigt: Sie war schon immer den Nöten der jeweiligen Zeit geschuldet und auf die Abwehr unterschiedlicher 'feindlicher Mächte' ausgerichtet. Im Mittelpunkt des vorliegenden Essays steht als Schlüsselfigur die apokalyptische Himmelsfrau des neutestamentlichen Sehers Johannes und ihre Deutung: Von der epochalen Kunst Albrecht Dürers, über Aufklärung und Evangelikale bis hin zur aktuellen Erfahrung eines Umbruchs der Zeit. Überraschen und zugleich herausfordern dürfte die neue, entmystifizierte Deutung im Kontext der Offenbarung des Bab (1819-50), der 1844 die Bahai-Religion eröffnete: Apokalypse als Zukunftschance.
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Seitenzahl: 71
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Meinen Kindern Nadi, Nura, Anisa und Amin und Enkelkindern May, Parissa, Malaika und Nayla
Über dieses Buch
Vorbemerkungen
Vom „Anfang“ und vom „Ende“
Die apokalyptische Frau am Himmel
Die Himmelsfrau in der Kunst
Reformation und danach
Joachim von Fiore: Seher des „Dritten Zeitalters“
Newtons Dilemma von Endzeit und Physik
Endzeit vom 19. ins 20. Jahrhundert
Lieber ein Himmelreich auf Erden?
Szenenwechsel: Zur Endzeit in der Offenbarung des Báb
Und die weitere Zukunft?
Über den Autor
Danksagung
Bildnachweis
Eine drohende Klima- und Ökokatastrophe und die Gefährdung des Weltfriedens: Bringt die Sorge um die Krisen der Globalisierung eine Neuauflage apokalyptischer Zukunftsängste mit sich? Liegt die Hoffnung der Menschen heute wieder mehr in der christlichen Verheißung einer Erlösung von oben oder gar eines Reichs Gottes auf Erden? Oder werden sie sich eher auf ihre irdische Vernunft mit ihren technischen und wissenschaftlichen Lösungen besinnen, um der Krisen der Globalisierung Herr zu werden?
Der vorliegende Essay durchstreift Etappen endzeitlicher Deutung: von ihrer Widerspiegelung in der Epochen-Kunst Albrecht Dürers in der frühen Renaissance über die Zeit der Aufklärung bis hin zur evangelikalen Bewegung unserer Tage. Der Autor zeigt auf, dass die Offenbarung des Báb aus dem Iran des 19. Jahrhunderts1 – und mit ihr die Bahá’í-Religion – in ihren Bezügen zur neutestamentlichen Apokalypse des Johannes ein gänzlich neues Kapitel der Deutung eröffnet.
Überraschen - und herausfordern - dürfte die Deutung der apokalyptischen Frau am Himmel im 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes als Allegorie auf ein Geschehen weit außerhalb des christlichen Geschichtshorizontes. Diese Sicht auf religiöse Endzeit liegt ganz im Diesseits und sie erblickt in den Stürmen der Gegenwart einen Neubeginn und kein Ende. Die Apokalypse wird entmystifiziert. Sie wird zur Allegorie für die Herausforderungen einer neuen Ära der Menschheit.
Potsdam, im Juli 2019
Ingo Hofmann
1 [arabisch „Pforte“, „Tor“], religiöser Name von Siyyid ‘Alí Muammad Shírází (* 1819, [hingerichtet] 1850), dem Begründer des Babismus. Die Religion des Báb ging wenige Jahre später in der Bahá’í-Religion auf.
Haben wir die Apokalypse2 schon verpasst, kommt sie noch, oder wird sie ohnehin niemals kommen? Gibt es noch Gründe, die für ein Ende der Zeiten sprechen, oder sind solche Gründe längst hinfällig?
Da dem Menschen die Zukunft verborgen ist, hofft er seit jeher, in der Religion Antworten auf seine Fragen zu den letzten Dingen zu finden; dies auch in der Erwartung, die mit einer ungewissen Zukunft verbundenen Ängste zu überwinden und Hoffnung zu schöpfen. Eine wiederkehrende apokalyptische Neigung mit dazugehörigen Bedrohungsszenarien lässt sich über zwei Jahrtausende zurückverfolgen. Erstaunlicherweise gilt das – aller Aufklärung zum Trotz - selbst bis zum heutigen Tag. Sie zeigt sich in konservativen Endzeiterwartungen bis hin zur Rückkehr spaltender, rassistischer und antisemitischer Denkmuster, die in moderne Verschwörungstheorien über die Bedrohung unserer Zivilisation verpackt werden. Zuletzt mit deutlicher Hochkonjunktur zur Jahrtausendwende und wiederum jüngst in der Rückkehr rechtsesoterischer Bewegungen.
Zum mehr traditionellen christlichen Verständnis über Schöpfung, Sünde und Heilsgeschehen gehört auch heute noch die Vorstellung, dass die Welt in ihrer jetzigen Gestalt ein Ende haben muss. Sie soll durch eine andere, aus dem Jenseits kommende und vollendete Welt abgelöst werden, auch wenn dies kaum vereinbar sein dürfte mit einem modernen, naturwissenschaftlichen Weltbild.
Verbunden mit der Frage nach den letzten Dingen war immer auch die Sehnsucht nach einer zukünftigen Gerechtigkeit. Wird es sie jemals geben, erst im jenseitigen Reich Gottes oder doch schon auf Erden, in meinem persönlichen Dasein, für einige Auserwählte oder doch für alle Menschen?
Die Offenbarung des Johannes – das letzte Buch des Neuen Testaments - lieferte bereits vor zwei Jahrtausenden die Vorzeichen und eine Fülle erschreckender Bilder von Ereignissen kosmischer Dimension, die das erwartete Ende begleiten sollen. Bekannt sind die sieben Siegel, die vier apokalyptischen Reiter, die Naturkatastrophen, Schrecken und Tod bringen.
Doch was genau hat der neutestamentliche Seher Johannes bei seinen endzeitlichen Visionen am Himmel eigentlich gesehen? Seine Worte geben über fast zwei Jahrtausende hinweg nicht nur Theologen Rätsel auf. Zugleich wurden zahllose Künstler – bis in die Gegenwart – von seinen Visionen inspiriert.
Im Mittelpunkt dieses Essays steht deshalb das Bild der apokalyptischen Frau am Himmel im 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes:
„Und es erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.“
Großen Schrecken jagte den Menschen die Bedrohung durch einen Drachen ein, der ihr das zu gebärende Kind zu entreißen versucht.
„Und der Drache trat vor die Frau, die gebären sollte, damit er, wenn sie geboren hätte, ihr Kind fräße ...“3
Da Johannes die Frau am Himmel jedoch nicht näher benannte, blieb ein sehr weiter Raum für Interpretationen im jeweiligen historischen und glaubensbedingten Kontext, der über die Jahrhunderte auch ausgiebig genutzt wurde – bis heute. Dabei tut sich etwas Grundsätzliches auf: Werden die Schilderungen des Johannes wörtlich genommen, deuten sie auf zu erwartende reale Ereignisse hin. Werden sie hingegen als Allegorien betrachtet, können sie an die jeweilige Zeit angepasst metaphorisch gedeutet werden.
Wer kennt nicht die Statue oder das Bildnis einer Marienfigur auf der Mondsichel stehend mit dem Jesusknaben auf dem Arm - bekannt als Mondsichelmadonna -, der man in ungezählten und nicht nur katholischen Kirchen begegnen kann? Befreit von den ursprünglichen furchterregenden apokalyptischen und endzeitlichen Attributen wie des Drachens sollte sie später den Glauben an die wahre Kirche und vor allem an Maria stärken. Und noch bis zum heutigen Tag wandelt sich das Verständnis. Denn die Verbindung zum ehedem apokalyptischen Geschehen ist vollends getrennt, wenn die christliche Botschaft über die Endzeit bei manchen Theologen im eher zeitgemäßen Bild des Aufrufs zu mehr Menschlichkeit gedeutet wird.
Man mag einwenden: Hat die Menschheit mit ihren spürbar zunehmenden weltumspannenden Problemen nicht ganz andere Sorgen, als sich über die letzten Dinge den Kopf zu zerbrechen? Steuert sie nicht auf eine gänzlich andere Art des apokalyptischen Schreckens zu, ganz weltlich und von Menschenhand gemacht? Diese tritt seit einem guten halben Jahrhundert mit unterschiedlichen Gesichtern auf: in Gestalt der real existierenden Gefahr einer atomaren Selbstzerstörung der Menschheit, einer drohenden Klimakatastrophe oder der schrittweisen Zerstörung der ökologischen Lebensbedingungen auf dieser Erde.
Zwei Beispiele ihrer medialen Schlagkraft waren der viel beachtete Film Apocalypse Now4, der den Vietnamkrieg zum apokalyptischen Ereignis inszenierte, und Mohammed el-Baradei, Friedensnobelpreisträger und Chef der Internationalen Atomenergie-Organisation, der in seinem Buch verheißungsvoll Wächter der Apokalypse5 genannt wurde. Doch sein Buch erschien bereits in einer Zeit, in der die öffentliche Aufmerksamkeit längst zu anderen Themen gewandert war – obwohl die atomare Gefahr unverändert weiter besteht.
Zur medialen Verbreitung trugen weiterhin US-amerikanische Katastrophenfilme bei. So etwa Armageddon6 aus dem Jahr 1998, bei dem zumindest der Filmtitel die Verbindung herstellt. Der Film selbst verknüpft Asteroidenpanik mit Allmachtsfantasien der Rettung durch einen Atombombeneinsatz des US-Präsidenten – eine Hightech-Version moderner, aber nicht unbedingt nur säkularer Apokalypse.
Hier mag auf den ersten Blick überraschen, dass gerade in dem technologischen Spitzenland USA die traditionellen apokalyptischen Vorstellungen des Johannes Hochkonjunktur haben. Die bereits vor dem 19. Jahrhundert verbreitete, wortgetreue Auslegung der Bibel lebt dort in einer Fülle von umfänglichen Kirchen und Bewegungen weiter, die als evangelikal7 oder streng fundamentalistisch gelten – Trend deutlich zunehmend. Von den USA ausgehend breiten sie sich über andere Kontinente aus, vor allem in Südamerika, Asien, Afrika, aber auch erkennbar in Europa. Entsteht mit der Ausbreitung evangelikalen Glaubens eine neue Form der Endzeitunruhe?
Die Vorstellung einer endzeitlichen großen Entscheidungsschlacht, die auf das apokalyptische Bild einer kosmisch-irdischen Endschlacht von Harmagedon8 zurückgeht, steht dabei an zentraler Stelle, so bei den sich stark verbreitenden Pfingstkirchen, Adventisten, Zeugen Jehovas, Mormonen und anderen freikirchlichen oder evangelikalen Glaubensrichtungen, die davon überzeugt sind, dass es nach diesem Eingreifen Gottes in das Weltgeschehen eine Auferstehung der Toten und ewiges Leben geben wird.
Wie ernst ist das zu nehmen? Nach einer Umfrage der Zeitschrift Newsweek9 über „Prophezeiungen und das Ende der Welt“ aus dem Jahr 1999 erwarten vierzig Prozent der US-Amerikaner, dass die Welt auf ein Ende zusteuert – nach der großen Entscheidungsschlacht von Harmagedon und den auf sie folgenden Schrecken. Auffallend ist, dass 71 Prozent hiervon zu den evangelikalen Christen gehören. Ob man es glauben will oder nicht, sind laut Newsweek 47 Prozent dieser Harmagedon-Überzeugten auch der Auffassung, dass der Antichrist bereits auf Erden ist. Hiervon wiederum glaubt fast die Hälfte daran, dass Jesus Christus noch zu ihrer Lebenszeit wiederkommen wird. Die politische Dimension dieser Entwicklung ist beunruhigend. Die Nähe der Umfrage zum Jahrtausendwechsel dürfte dabei keine signifikante Rolle gespielt haben, da vorausgehende Umfragen ähnliche Ergebnisse zeitigten.