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Was unterscheidet den arabischen Porno von seinem westlichen Pendant? Die Motive? Die Einstellungen, Perspektiven? Die Techniken? Mit Begeisterung untersucht der ägyptische Schriftsteller und Journalist Youssef Rakha in diesem aufregenden englischsprachigen Essay, den er auf Arabisch so nicht hätte schreiben dürfen, das ebenso verfemte wie verbreitete Genre der östlichen und der westlichen Popkultur. Beschreibung wechselt sich ab mit Analyse, Kultur und Politik verschmelzen in den Bildern der Lust. Der Porno ist Spiegel der Gesellschaft, seine Bildsprache ist so formalisiert wie kulturell bedingt, gleichzeitig wirkt er zurück in die Gesellschaft. Gelingt am Ende dem arabischen Porno, was der arabischen Rebellion misslang?
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Seitenzahl: 54
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punctum 003
Youssef Rakha
Aus dem Englischenvon Milena Adam
Arab Porn
Eines Nachts gab ich ›arabisch‹ in die Suchleiste einer Pornoseite ein, und mein Leben war nicht mehr dasselbe.
Ich erzähle eine Lüge, aber nur, indem ich einen beiläufigen Zusammenhang andeute. Es stimmt, dass ich im Internet nach arabischen Pornos suche; ich tue es aus den naheliegenden Gründen. Aber angesichts des absoluten Mangels einer Industrie für Erwachsenenunterhaltung in der arabischen Welt tue ich es auch, weil ich herausfinden will, wie ein ›arabischer Porno‹ aussieht.
Die Einführung des Breitbandinternets in Ägypten hat mein Leben als Schriftsteller und heterosexueller Mann verändert, mir viele neue Möglichkeiten eröffnet.
Könnte ich aber ernsthaft behaupten, dass Internetpornos mein Leben verändert haben?
Ich könnte es nicht.
Gleichzeitig bin ich mir der Tatsache bewusst, dass die arabische Wirklichkeit, zu der mein Leben gehört, eine Jauchegrube voller Konflikte und Widersprüche ist. Und ich glaube, dass Pornos eine Art der Erkundigung sein könnten, wie das Internet diese Jauchegrube reflektiert und verzerrt. Kann der erotisch aufgeladene Cyberspace überhaupt irgendeinen Teil der arabischen Realität erklären oder verbessern?
Ob als Schriftsteller oder als heterosexueller Mann interessiere ich mich dafür, wie die arabische Gesellschaft kompensiert, was Ian McEwan – als Antwort auf die Terroranschläge vom 13. November – den »Todeskult« nennt. »Das Paradies der Dschihadisten«, fügt er in Klammern hinzu, »erweist sich als eine der schlechtesten Ideen der Menschheit überhaupt; Mord und Totschlag in diesem Leben, ewige Ruhe und Kitsch im nächsten.«
Doch ein Araber muss nicht gleich ein Sektierer sein, um dem Gewicht des Buchstabenglaubens und der Entsagung nachzugeben, die in der einen oder anderen Form in jedem Aspekt des Lebens offen zutage liegen. Im arabischen Porno scheint sich dieses Gewicht zu heben und dabei eine Wirklichkeit zu enthüllen, die, wenn sie sich auch nicht von der des politischen Diskurses unterscheidet, zumindest ehrlicher ist.
Der arabische Porno ist das Spiegelbild des Blicks der arabischen Gesellschaft auf sich selbst. Am Porno kann man erkennen, wie konservative Kräfte durch die Aufhebung des Begehrens in der Gesellschaft die kreativen und produktiven Impulse durch jene rückschrittliche, todessehnsüchtige Identität ersetzt haben, an der viele Araber heute festhalten.
Die Dynamiken der Erotika in einer bestimmten Kultur besitzen immer eine gewisse Aussagekraft über diese Kultur selbst (man vergleiche einen typisch amerikanischen Videoclip mit seinem japanischen Pendant). Doch die Art von Porno, um die es mir geht – mit versteckter oder stationärer Kamera aufgenommen, mit der Webcam, dem Handy, oder, selten, mit unprofessioneller Kameraführung von Dritten gefilmt – wird mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit echte Intimität preisgeben.
Es wird immer ethisch fragwürdig bleiben, ob und unter welchen Vorgaben ein privates Video öffentlich gemacht werden sollte. Es ist möglich, dass den Frauen in diesen Kurzfilmen, wie anderen in kommerziellen Pornos auch, ihre Zustimmung abgenötigt wurde, den Forderungen der Männer nachzukommen, ohne dass sie selbst Spaß an der Sache hätten. Doch es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass selbst die stilisierteren arabischen Pornos für die Augen von Zuschauern gemacht wurden, die nicht an seiner Entstehung beteiligt waren.
Obwohl ich so viele verschiedene Arten sexuell expliziter Videos gesehen habe, bin ich mir tatsächlich noch immer nicht sicher, wie ein arabischer Porno aussieht. Alles, was ich weiß, ist, dass ich in den fünfzehn Jahren der Suche, die der zum Sektierer-Alptraum gewordenen säkular-liberalen Revolution namens ›Arabischer Frühling‹ vorausgegangen sind, wichtige Einsichten gewonnen habe. Und diese Einsichten haben weniger mit meiner Geilheit zu tun als mit der Jauchegrube.
Wenn es stimmt, dass Menschen sexuelle Beziehungen nicht allein aus sexuellen Motiven eingehen, dann kann man vielleicht das Gleiche über jemanden behaupten, der Pornos in Kairo schaut.
Wenn man ›arabisch‹ auf einer Pornoseite oder einem Pornoportal eingibt, verändert sich der Bildschirm. Das Nebeneinander der gut ausgeleuchteten und sorgfältig gestalteten Vorschaubilder von Genitalien, Gesichtern und Gliedmaßen verliert an Schärfe, wirkt beliebiger. Die Bildwinkel weiten sich, Hintergründe drängen ins Sichtfeld. Die Gesichter sind weniger schön, die Stellungen weniger extravagant. Körperteile glänzen nicht mehr und werden nicht länger absichtlich zur Schau gestellt.
Das gebrochene Englisch derjenigen widerspiegelnd, die sie hochladen, imitieren die Titel solche von kommerziellen Pornos. Sie sind übertrieben, anstößig und meist nichts, nach dem man sich richten sollte.
Auf den Islam oder jenen Fetisch für braune Haut verweisend, der dieser Klassifizierung zugrunde liegt, beinhaltet ›arabisch‹ oft auch türkisch, iranisch oder indisch-pakistanisch. Doch kommerzielle Videoclips mit arabischen Frauen – seien es nun der aufstrebende libanesisch-amerikanische Pornostar Mia Khalifa oder irgendwelche französisch-arabischen beurettes – ähneln weniger dem ›arabischen Porno‹ als vielmehr gewöhnlicher Erwachsenenunterhaltung.
Noch vor einem Moment fiel in der allgegenwärtigen Nacktheit gelegentlich ein Ballknebel oder ein Klistier im Krankenhauszimmer auf. Doch sobald man ›arabisch‹ eingegeben hat, tauchen verblüffend unerotische Szenen in den Vorschaubildern auf: zwei verschleierte ältere Gestalten, die eine Straße überqueren; ein Mädchen im Hidschab, das in einem bürgerlichen Wohnzimmer tanzt; ein altes Filmstandbild von einer Frau in der Dusche, von der nur das Gesicht zu sehen ist …
Es ist, als ob die Anwesenheit von Frauen jede Szene der Pornofizierung würdig macht; das lässt an die Golfstaaten denken. In deren traditionellen Gesellschaften kann durch die von der Religion vorgeschriebene Geschlechtertrennung und die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen in allem Weiblichen erotisches Potenzial stecken. Und während dies in einer Megacosmopolis wie Dubai längst nicht mehr der Fall ist, hat der in den Golfstaaten geführte Wahhabismus-Diskurs, zusammen mit dem Ölgeld, zum Export dieser ›fetischisierten Weiblichkeit‹ in die früheren Zentren arabischer Modernität beigetragen.
In Ägypten wird der Gesichtsschleier nach Art der Golfstaaten, Niqab genannt, als Zeichen der Frömmigkeit oder der politischen Zugehörigkeit getragen. Vor allem aber trägt er dazu bei, öffentliche Räume mit sexueller Spannung, einem Gefühl des Verbotenen zu füllen. Es ist das beinah flächendeckende Vorkommen des Hidschab seit Beginn der Neunziger, das den Anblick von Frauen mit unbedecktem Haar erotisiert hat.
Entgegen der Behauptung religiöser Autoritäten verringert der Hidschab die Lust nicht; er verstärkt sie, und es ist eine besondere, hilflose Art der Lust, die oft in sexueller Belästigung zum Ausdruck kommt. Laut einem Bericht der United Nations Entity for Gender Equality and the Empowerment of Women waren im Jahr 2013 93 Prozent der ägyptischen Frauen Belästigungen ausgesetzt. Zugang zum öffentlichen Raum ist infolgedessen das Privileg von Frauen geworden, die wohlhabend genug sind, um mit dem Auto zu fahren und exklusive Einrichtungen und Geschäfte zu besuchen.