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Noch ein Toter in Florenz Carlina und Commissario Stefano Garini besuchen gemeinsam mit der Mantoni-Familie ein turbulentes Treffen der Füllfederhaltersammler in Florenz. Am nächsten Tag wird der Vorsitzende des Vereins tot in seiner Wohnung gefunden. Stefano geht von einem Unfall aus, doch das Opfer hatte viele Feinde. Die Mantonis sind deshalb fest davon überzeugt, dass es sich um Mord handeln muss. Sie bedrängen Stefano so lange, bis er den Fall übernimmt. Der Commissario merkt schnell, dass die Sammler untereinander einen harten Konkurrenzkampf austrugen, bei dem es manchmal um Leben und Tod ging. Schließlich gerät ein Unschuldiger in Lebensgefahr und der Commissario muss schnell handeln …
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Arrivederci Amici
Beate Boeker ist neben ihrem Beruf als Autorin Betriebswirtin mit internationalem Schwerpunkt, arbeitet im Marketing und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Deutschland. Der erste Roman der USA Today Bestseller-Autorin wurde 2008 in New York veröffentlicht. Heute ist eine große Auswahl ihrer romantischen Komödien, Krimis und Kurzgeschichten verfügbar.
Noch ein Toter in Florenz
Carlina und Commissario Stefano Garini besuchen gemeinsam mit der Mantoni-Familie ein turbulentes Treffen der Füllfederhaltersammler in Florenz. Am nächsten Tag wird der Vorsitzende des Vereins tot in seiner Wohnung gefunden. Stefano geht von einem Unfall aus, doch das Opfer hatte viele Feinde. Die Mantonis sind deshalb fest davon überzeugt, dass es sich um Mord handeln muss. Sie bedrängen Stefano so lange, bis er den Fall übernimmt. Der Commissario merkt schnell, dass die Sammler untereinander einen harten Konkurrenzkampf austrugen, bei dem es manchmal um Leben und Tod ging. Schließlich gerät ein Unschuldiger in Lebensgefahr und der Commissario muss schnell handeln …
Beate Boeker
Kriminalroman
Aus dem Amerikanischen von Beate Boeker
Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de
Deutsche Erstausgabe bei MidnightMidnight ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuli 2020 (1)
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020© Beate Boeker 2015Titel der englischen Originalausgabe: Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com
ISBN 978-3-95819-292-8
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Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
Figurenübersicht
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Exklusiver Vorab-Auszug aus Florentinische Morde Band 7
Leseprobe: Hochzeitstorte mit Todesfall
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Cover
Titelseite
Inhalt
Figurenübersicht
Caroline Ashleygenannt Carlina, Besitzerin des Lingerie-Geschäfts Temptation in der historischen Altstadt von Florenz. Ist mit Stefano Garini zusammen.
Stefano GariniInspektor bei der Mordkommission von Florenz
CerviStefanos Chef und Leiter der florentinischen Mordkommission
PiedroDer Sohn von Cervi und Stefanos Assistent
FrancescaCarlinas beste Freundin und Glasbläserin
Tante ViolettaCarlinas entfernt verwandte Großtante, neunundneunzig Jahre alt
OmarDer Adoptivsohn von Tante Violetta
Onkel TeoCarlinas Großonkel, achtzig Jahre alt
FabbiolaCarlinas Mutter
BenedettaCarlinas Tante (Fabbiolas jüngere Schwester)
LeoBenedettas Lebensgefährte (ein Franzose)
EmmaCarlinas Cousine (Benedettas älteste Tochter)
LucioEmmas Ehemann
AnnalisaCarlinas Cousine (Benedettas zweite Tochter)
ErnestoCarlinas Cousin (Benedettas Sohn)
NoraErnestos Freundin
Erdgeschoss (links): Onkel TeoErdgeschoss (rechts): steht in diesem Buch leer1. Stock (links): Emma & Lucio1. Stock (rechts): Benedetta & Leo mit Annalisa2. Stock (links): Carlina & Stefano (nur über das Nebenhaus zugänglich)2. Stock (rechts): FabbiolaDachgeschoss: Ernesto & Nora
»Du weißt, dass ich dich sehr liebe«, sagte Stefano Garini mit sorgfältig kontrollierter Stimme, während er sich das Gesicht mit dem Rasierpinsel einseifte. »Aber sag mir noch einmal, warum wir zu jeder einzelnen Mantonifeier in der Stadt gehen müssen? In den letzten sechs Wochen hatten wir fünf Geburtstage, eine Hochzeit und eine Beerdigung.«
Caroline Ashley hörte auf, sich die Wimpern zu tuschen. »Waren es wirklich fünf Geburtstage?« Sie lehnte sich an das Waschbecken und lächelte den großen Mann neben sich an. Wie schön es war, den Tag gemeinsam zu beginnen.
»Ja. Ich habe mitgezählt.«
»Weißt du, du musst nicht immer mitkommen. Wenn du lieber zu Hause bleiben willst, ist das für mich völlig in Ordnung.«
Stefano seufzte und begann sich sorgfältig zu rasieren. »Ich möchte aber nicht alleine zu Hause bleiben. Ich möchte mit dir zusammen sein, Carlina, nicht umgeben von Massen deiner riesigen Familie. Ich möchte vielleicht sogar – ein tollkühner Einfall, ich weiß – irgendwo mit dir essen gehen, anstatt zum Geburtstag einer Cousine zweiten Grades zu rennen.«
Ein freudiger Schauer überlief sie. Wie schön es war, dass er ihre Nähe wollte. Und wie schwierig. Sie biss sich auf die Lippe. »Das klingt ganz wunderbar, aber es würde doch ziemliche Wellen schlagen, wenn wir bei einem Geburtstag absagen und stattdessen essen gehen.«
»Das weiß ich, und ich bin der letzte Mensch auf der Erde, der dabei zusehen will, wie die Mantonis Wellen schlagen. Das habe ich schon erlebt … Schön ist etwas anderes.« Er beendete seine Rasur und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, dann trocknete er sich ab.
»Nun …« Sie streckte sich und berührte seine Wange. Sie fühlte sich glatt und kühl an. »Wie wäre es mit einem Kompromiss? Nicht mehr als zwei Geburtstage pro Monat. Hochzeiten und Beerdigungen sind allerdings ein Muss.«
»Nur ein Geburtstag.« Er zog sie an sich und verbarg sein Gesicht in ihrem Haar. »Habe ich dir schon einmal gesagt, dass ich deinen Duft liebe, Carlina?«
Sie lächelte, das Gesicht an seine Brust gedrückt. »Vielleicht ein- oder zweimal.«
»Ein Geburtstag pro Monat«, wiederholte er. »Und du erklärst dich bereit, mit mir auszugehen, selbst wenn irgendwo in der Stadt ein Mantoni-Geburtstag stattfindet.«
»Aber nicht an öffentliche Orte.«
»Einverstanden.« Er lächelte auf sie herab. »Gott sei Dank kenne ich eine Menge versteckte Orte in Florenz.«
Sie hob die Augenbrauen. »Jetzt hast du mich aber neugierig gemacht.«
»Gut. Ich zeige dir den ersten Platz am Samstagabend.«
Das Lächeln fiel ihr aus dem Gesicht. »Ach, Stefano, das geht nicht.«
Er beäugte sie misstrauisch. »Eine Überraschungshochzeit? Eine ungeplante Beerdigung? Die Geburtstagsquote ist diesen Monat schon erfüllt.«
»Es ist etwas ganz anderes. Der Mann von Benedettas Kollegin hat uns zu einer privaten Vorstellung seiner Füllfederhalter-Sammlung eingeladen, und Benedetta hat mich dazu gebracht, dass ich zusagte.«
Sein Mund blieb offen stehen. »Der Mann von der Kollegin deiner Tante? Das ist ja noch nicht mal Familie.«
»Richtig. Aber es ist Kultur.«
»Kultur? Ein Konzert ist Kultur.«
»Wenn man ein seltenes Stück voller Schönheit sieht und es Teil einer einzigartigen Sammlung ist, dann ist das auch Kultur. Vielleicht sogar die klassischste Art von Kultur überhaupt.«
Er stöhnte. »Ich sehe schon, wir müssen die Liste erweitern. Ein Geburtstag pro Monat, jede Hochzeit, jede Beerdigung, und ein kulturelles Event alle drei Monate – egal ob klassisch oder nicht.«
»Nur alle drei Monate?«
»Ja. Nur alle drei Monate.« Seine Stimme klang fest.
»Mit Ausnahme von Dezember«, sagte sie. »Dann finden alle Weihnachtskonzerte statt.«
»Meinetwegen. Nun erzähl mir mal, wie wir aus dieser klassischen Füllfederhalter-Nummer herauskommen.«
»Gar nicht. Ich habe zugesagt.«
»Für dich oder für mich oder für uns beide?«
Carlina fühlte, wie sie rot wurde. »Ich habe für mich fest zugesagt, habe aber betont, dass du vielleicht arbeiten musst.«
»Sprich, wenn ich nicht arbeiten will und nicht hingehen will, muss ich mich nach Hause schleichen und dort verstecken, in der Hoffnung, dass mich kein Mantoni sieht?«
Sie kicherte. »Du stellst die Familie ja wie die Geheimpolizei dar. Wir können uns entspannen. Immerhin leben wir nicht mehr im selben Haus, sondern nebenan. Das macht die Sache viel einfacher.«
»Na super. Wir werden solche Lichtblocker-Vorhänge aufhängen müssen, wie sie sie im Zweiten Weltkrieg hatten, damit man nicht sieht, dass in unserer Wohnung Licht ist.«
Sie knuffte ihn in den Arm. »Du übertreibst, Stefano.«
»Ich übertreibe überhaupt nicht. Es ist mein voller Ernst.«
Sie schaute ihn an. »Bitte?«
Er hob beide Hände. »Na gut, na gut. Wir gehen zu diesem noch nie da gewesenen klassischen Kultur-Füllfederhalter-Event. Warum ist es Benedetta überhaupt so wichtig?«
Carlina räusperte sich. Das wird ihm jetzt nicht gefallen. »Anscheinend denkt ihre Kollegin, dass eine größere Menge an Gästen die Spannung etwas auflösen könnte.«
Er beäugte sie. »Warum erwartet sie außergewöhnlich viel Spannung?«
»Weil Xaviero – das ist der Ehemann – seine Kollektion nur alle drei Jahre zeigt, und letztes Mal haben die anderen Mitglieder des Füllfederhalter-Clubs ihn fast umgebracht, weil sie behauptet haben, dass er einige der Füllfederhalter durch nicht ganz saubere Geschäftspraktiken erlangt hat.«
»Jetzt kann ich es gar nicht mehr erwarten«, sagte Garini. »Füllfederhalter, die zu Mord führen. Und ich dachte schon, ich hätte alles gesehen, was es auf dieser Welt zu sehen gibt!« Er neigte den Kopf zur Seite. »Gib’s zu. Du hast Benedetta versprochen, mich mitzubringen, damit ich den Wachhund spiele.«
Carlina zuckte zusammen. Sie fühlte, wie sie erneut rot wurde.
Er schüttelte den Kopf. »Die Dinge, die ich für dich tue, mein Liebling …«
»Es wird bestimmt interessant. Ganz sicher.«
»Interessant? Dass ich nicht lache! Hauptsache, du stützt mich, wenn ich im Stehen einzuschlafen drohe.«
Drei Stunden später hüpfte Carlinas beste Freundin Francesca in Carlinas luxuriöses Lingerie-Geschäft Temptation in der historischen Altstadt von Florenz. Ein strahlendes Lächeln erhellte ihr koboldartiges Gesicht und stellte fast die Septembersonne in den Schatten, die an diesem warmen Nachmittag die alten Hausmauern erwärmte. »Du. Glaubst. Niemals. Was. Mir. Passiert. Ist.« Sie führte einen kleinen Freudentanz zwischen den BHs auf, die entlang der Wand drapiert waren.
Carlina beobachtete ihre Freundin halb lächelnd, halb besorgt. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen die Wand. »Ich weiß, was passiert ist: Du hast einen attraktiven Mann kennengelernt.«
Francesca erstarrte. »Was? Woher weißt du das? Hat er –«
»Weil du immer so aussiehst, wenn du dich gerade verliebt hast. Was im Durchschnitt zweimal pro Jahr geschieht. Ich habe gerade ein echtes Déjà-vu-Erlebnis.«
»Ha!« Francesca machte einen kleinen Freudenhüpfer. Ihr Blick fiel auf einen hellgrünen BH mit weißer Spitze. »Wow, das ist ein tolles Design! Ich glaube, der könnte ihm gefallen.«
»Zweifellos«, sagte Carlina. »Aber du darfst ihn erst anprobieren, nachdem du mir alles erzählt hast. Wer ist es?«
Francescas Lächeln wurde breiter, bis es fast bis zu den Ohren reichte. »Das errätst du nie.«
»Wer auch immer es ist, sag mir bitte nur, dass es sich nicht wieder um einen mammone handelt. Du brauchst nicht schon wieder einen Typen, der ein komplettes Muttersöhnchen ist.«
Das Lächeln verschwand, als ob jemand einen Schalter ausgeknipst hätte. »Na ja, jetzt wo du’s erwähnst … es gibt da ein kleines Problem.«
Carlina unterdrückte ein Stöhnen. »Oh, Francesca, ich weiß wirklich nicht, wie du das anstellst. Warum kannst du dich denn nicht einmal in einen unabhängigen Mann verlieben?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Weil die Unabhängigen alle schon vergeben sind, darum. Ich muss ihn nur von seiner Mutter loseisen, und alles ist gut.«
»Na dann viel Glück!« Carlinas Stimme klang trocken. »Eine echte italienische mamma wird sich mit Klauen und Füßen dagegen wehren.«
Ihre Freundin grinste sie spitzbübisch an. »Deshalb bin ich hier.«
»Wie bitte?« Carlina trat einen Schritt zurück. »Du möchtest, dass ich einen mammone von seiner Mutter löse? Ich bin doch nicht lebensmüde.«
»Na ja …« Francesca hob den grünen BH vom Haken und schaute ihn an, als ob er die interessanteste Sache der ganzen Welt wäre. »Tatsächlich denke ich, dass du mir zustimmen wirst, wenn du erst seinen Namen kennst.«
»Wenn ich erst … Du meinst, ich kenne ihn?«
»Ja.«
Carlinas Augen weiteten sich. »Spuck’s aus!«
»Er ist groß. Er hat tolle Muskeln. Er sieht ein wenig gefährlich aus wegen seiner Tattoos und seines rasierten Kopfes, aber –«
Carlina schnappte nach Luft. »Nein!«
Francesca neigte den Kopf zur Seite. »Was meinst du mit Nein?«
»Sag mir bitte nicht, dass du von Omar sprichst. Meinem Cousin Omar?«
»Ist er wirklich dein Cousin?«
»Mehr oder weniger. Er wurde von meiner Tante Violetta adoptiert, als sie ungefähr sechzig Jahre alt war, und Tante Violetta ist nicht wirklich meine Tante. Sie ist über die Linie meines Großvaters die –«
Francesca hielt eine Hand hoch. »Sag’s mir nicht. Die Mantoni-Familie ist viel zu kompliziert, als dass ich sie verstehen könnte. Aber ich möchte mehr über die Adoption von Omar erfahren.«
Carlina zuckte mit den Schultern. »Nun, Tante Violetta kehrte von einer Kreuzfahrt in Ägypten mit ihm zurück. Frag mich nicht, wie sie es angestellt hat, aber sie hatte alle offiziellen Papiere, also hat sie ihn nicht entführt.«
Francesca beäugte sie. »Glaubst du wirklich, dass deine Tante ein Kind entführen würde?«
»Tante Violetta ist alles zuzutrauen. Kennst du sie denn nicht?«
»Nein.«
»Okay. Das erklärt einiges. Tante Violetta ist … ein Unikat. Und das trotz oder vielleicht auch wegen ihrer neunundneunzig Jahre.«
Francesca hob die Schultern. »Egal. Da muss ich jetzt durch.«
Carlina schüttelte den Kopf. »Ich kann es immer noch nicht fassen. Du und Omar. Das ist … unglaublich.«
»Warum? Weil er nicht spricht?«
»Nun, das ist natürlich ein Punkt.«
Francesca hob das Kinn. »Ich finde das sehr erholsam.«
»Zweifelsohne.« Carlinas Stimme klang trocken. »Selbst ich weiß die Hälfte der Zeit nicht, was er denkt, und ich bin mehr oder weniger mit ihm groß geworden.«
»Ich weiß. Er mag dich sehr.«
»Und ich mag ihn sehr.« Sie nahm die Schultern zurück. »Und darum möchte ich nicht, dass er verletzt wird. Tatsächlich kann ich mich nicht daran erinnern, dass er je eine Freundin gehabt hätte.«
Ein Grübchen erschien in Francescas Wange. »Oh, er hatte einige.«
»Was? Woher weißt du das?« Carlina beäugte ihre Freundin. Falls Omar sie so weit ins Vertrauen gezogen hatte, war diese Liaison ernster als gedacht.
»Er hat es mir aufgeschrieben.« Francesca schwenkte mit einer luftigen Handbewegung den BH. »Aber das ist ja nun alles Vergangenheit. Jetzt hat er mich.«
Carlina schluckte. »Ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll oder nicht.«
»Warum nicht, Carlina? Gibt es etwas, das ich wissen sollte?«
»Nein. Soweit ich weiß, bist du schon vollständig im Bilde. Er spricht nicht, und Tante Violetta und er sind unzertrennlich. Das ist auch schon alles, aber ich denke, das reicht, um eine Beziehung ernsthaft auf die Probe zu stellen.«
Francesca nickte. »Ja, es ist eine Herausforderung, das gebe ich zu. Aber es macht ihn auch zu etwas Besonderem.«
»Er ist ein ganz besonderer Mann.«
»Weißt du, warum er nicht spricht?« Francesca beugte sich nach vorne und lehnte sich über den Tresen.
»Ein traumatisches Erlebnis in seiner Vergangenheit«, sagte Carlina langsam. »So hat es Tante Violetta gesagt, und sie hat es von der Adoptionsvermittlungsagentur. Aber er erinnert sich nicht daran. Er hat mir das einmal aufgeschrieben, in einem der wenigen Momente, in denen er Dinge über sich selbst offenbarte.«
»Aber es gibt keine physische Ursache, oder? Ich meine, seine Zunge ist ganz in Ordnung, richtig?«
Carlina zuckte mit den Schultern. »Soweit ich weiß, ja.«
Francesca richtete sich mit entschiedenem Gesichtsausdruck auf. »Ich denke, daran können wir arbeiten.«
»Sei vorsichtig, Francesca!« Carlina fühlte sich unwohl. »Er ist auch ein sehr privater Mensch. Es könnte ihn verletzen, wenn du die Barrieren einreißt.«
Francesca presste die Lippen zusammen. »Er ist hinter diesen Barrieren einsam. Er muss seinen Ängsten ins Gesicht sehen und darüber hinwegkommen.«
»Wenn Tante Violetta ihn nicht dazu bringen konnte zu sprechen, dann schafft es keiner.«
»Hat sie es wirklich versucht?«
»Oh ja. Alle möglichen Kurse und Sonderunterricht, als er noch klein war. Aber es war für beide traumatisch. Er hat nur geweint und geweint, und am Ende hat sie ihn in Ruhe gelassen und ihm selbst lesen und schreiben und so weiter beigebracht. Er hat einen Schulabschluss, hat aber nie mit irgendeiner Ausbildung angefangen.«
»Jetzt ist er älter.«
»Er ist Anfang dreißig, genau wie du und ich. Ich bezweifle, dass er jetzt noch einmal neu anfangen kann.«
»Pah!« Francesca schmiss den BH auf den Tresen. »Liebe kennt keine Grenzen. Und jetzt kannst du mir diesen BH mit dem passenden Höschen verkaufen. Ich weiß, dass sie passen, also brauche ich sie gar nicht erst anzuprobieren.«
Francesca hatte den Laden kaum verlassen, als Carlinas Mobiltelefon klingelte.
»Carlina? Bist du das? Warum nuschelst du denn immer so?«
Ihr Herz sank. Sie kannte diese dröhnende Stimme. »Tante Violetta!« Sie bemühte sich um einen fröhlichen Ton. »Wie geht es dir? Ist heute nicht ein wunderschöner Tag?«
»Nein, das ist er nicht, und ich brauche dich hier. Kannst du zu mir kommen?«
»Jetzt auf der Stelle?«
»Es ist eilig. Ich bin außer mir vor Sorge.«
Tante Violetta wusste ganz genau, wie sie die Familie manipulieren musste, um alles zu bekommen, was sie sich wünschte. Deshalb war sie mit schöner Regelmäßigkeit ganz »außer sich«. Einmal war es die falsche Salami zum Mittagessen gewesen, ein anderes Mal ein tropfender Wasserhahn. Carlina hoffte inständig, dass es sich wieder um so eine Bagatelle handelte, doch sie glaubte nicht so recht daran. Sie wusste, was auf sie zukam, und tat alles, um es zu vermeiden. »Es tut mir wirklich leid, aber ich kann meinen Laden nicht einfach so spontan zuschließen.«
»Du hast doch eine Assistentin, oder? Lass die doch arbeiten. Wofür hat man Angestellte?«
»Meine Assistentin kommt erst um elf.«
»Na gut, dann kommst du eben um elf. Es wird nicht lange dauern.«
Carlina verdrehte die Augen. Sie kam eh nicht darum herum. Am besten brachte sie es so schnell wie möglich hinter sich. »Na gut.«
»Und sprich mit keinem darüber.«
»Worüber?«
»Über unsere Verabredung natürlich!«
Na super. Das klang ganz und gar nicht gut.
Carlina kam kurz vor zwölf mit einem schlechten Gefühl im Bauch bei der Villa in Fiesole an. Tante Violetta erwartete sie schon im Garten, und Omar war weit und breit nicht zu sehen.
»Ich bin außer mir vor Sorge«, wiederholte Tante Violetta. Ihre gichtigen Hände bewegten sich so ruckartig auf dem Rollstuhl hin und her, dass das ganze Konstrukt wackelte.
Carlina beäugte ihre alte Verwandte misstrauisch. Gleich gibt es kein Halten mehr. »Was ist denn los?« Sie beugte sich nach vorne und legte eine Hand auf die von Tante Violetta, in der Hoffnung, den wackelnden Stuhl damit zu stabilisieren.
»Es ist Omar.«
»Omar?« Carlina hob die Augenbrauen, während ihr Herz sank. Sie hätte viel lieber über einen tropfenden Wasserhahn gesprochen, aber sie tat so, als ob sie von nichts wüsste. »Was hat er angestellt? Ich habe ihn zuletzt vor drei Tagen getroffen, da schien alles super zu sein. Er ist doch nicht etwas krank, oder? Er wirkte kerngesund. Tatsächlich habe ich ihn selten in so guter Laune gesehen. Er –«
»Hör auf, wie ein Wasserfall zu reden, Mädchen.« Tante Violetta funkelte sie an. »Und hör zur Abwechslung mal zu.«
Carlina unterdrückte einen Seufzer. Tante Violetta kam es nie in den Sinn, zu irgendjemandem höflich zu sein, aber das machte sie in der Regel mit Originalität wieder wett.
Tante Violetta verengte die Augen und starrte in die Ferne.
Carlina wartete ungeduldig. Würde ihre Tante gleich in eines ihrer berühmten Nickerchen verfallen? Mit neunundneunzig Jahren hatte sie das Recht, ein wenig exzentrisch zu sein, aber Carlina wollte nicht den Tag damit verbringen, ihr beim Schlafen zuzusehen. Eine Zikade fing an zu zirpen, stellte fest, dass es noch zu früh war, und verstummte wieder. Aus den Büschen hinter ihr kam der aromatische Duft von Thymian und Rosmarin. Carlina räusperte sich, um ein wenig Krach zu machen.
»Du solltest lernen, geduldiger zu sein«, fauchte Tante Violetta.
»Und du solltest lernen, zum Thema zu kommen«, antwortete Carlina mit einem Grinsen. »Ich muss gleich in meinen Laden zurück.«
»Ha!« Ein befriedigtes Lächeln glitt über das verrunzelte Gesicht von Tante Violetta. »Du bist frech.«
»Nun leg schon los, Tante Violetta. Spuck’s aus. Ich sterbe vor Neugierde. Was ist mit Omar geschehen?«
»Er ist zu glücklich.«
Oh, oh. Carlina tat so, als ob sie überrascht sei. »Zu was?«
»Glücklich. Er geht wie auf Wolken. Schon seit Wochen.«
»Und warum ist das schlecht?«
Ein wütender Blick durchbohrte sie. »Weil ich nicht weiß, warum.«
»Frag ihn doch.«
»Hab ich schon.« Ihr runzliger Mund wurde zu einem dünnen Strich. »Aber er tut so, als ob er taub wäre, wann immer ich das Thema anspreche.«
Carlina musste sich auf die Lippe beißen, um ihr Lächeln zu unterdrücken. Sich taub zu stellen, war ein neuer Schachzug von Omar und zeigte ganz klar, wie viel Druck Tante Violetta ausgeübt hatte. »Er ist kein Fünfjähriger mehr. Lass ihm ein wenig Privatsphäre.«
Tante Violettas beeindruckende Brust hob sich. »Ich bin ganz und gar bereit, ihm seine Privatsphäre zu lassen, wie du es nennst, aber das ist einfach zu viel. Er läuft hier so zufrieden herum wie die Katze, die den Kanarienvogel gefressen hat. Häufig denke ich, dass er gar nicht hier ist. Er hört mich nicht immer, wenn ich mit ihm spreche, sondern ist meilenweit weg. Ich glaube, er nimmt Drogen.«
»Hm.« Carlina war sich nicht sicher, ob Tante Violetta sich an den explosiven Gefühlscocktail erinnerte, der mit dem Beginn einer romantischen Beziehung einherging.
»Ich habe ihn mir genau angesehen, aber seine Pupillen scheinen immer die richtige Größe zu haben.« Sie zog an einer Falte ihres umfangreichen Kleidungsstücks, einer Kreuzung aus einem Zelt und einem Kleid. »Vielleicht ist es eine neue Droge. Irgendetwas, was man nicht erkennen kann.«
Es ist eine sehr alte Droge. Carlina lächelte. Eine, die es schon seit Anbeginn der Zeit gibt. Aber ich kann ihr wohl kaum Omars Geheimnis verraten.
»Warum lächelst du so, Carlina?«
»Entschuldigung, ich dachte gerade an etwas anderes.«
»Er hat auch damit angefangen, Dinge wegzuräumen.«
Carlina runzelte die Stirn. »Dinge wegzuräumen? Was für Dinge?«
Tante Violetta verengte die Augen. »Weckgläser.«
Carlinas Mund blieb offen stehen. »Weckgläser?« Die braucht er definitiv nicht für Francesca. Als Glasbläserin hat sie genug davon.
»Ja. Wir hatten sie im Schuppen unten im Garten und haben sie ewig nicht benutzt. Aber letztens fiel mir ein, wo sie stehen, und ich wollte einige ins Haus räumen. Die Tomaten waren diesen Sommer richtig gut, und ich dachte mir, dass wir sie in der Sonne trocknen und dann in Olivenöl einlegen sollten.«
Carlina beäugte ihre Tante, dann schaute sie den Gartenpfad entlang, während sie versuchte, sich an den Standort des Schuppens zu erinnern. Tante Violettas Villa lag in Fiesole, nur einige Kilometer von Florenz entfernt. Das zweigeschossige Haus, gestrichen in einem warmen Terrakotta-Orange und mit grünen Fensterläden, saß auf der Kuppe eines Hügels und bot einen fantastischen Blick über die Stadt. Der Garten zog sich den Hügel hinab, und obwohl er einige gut gepflegte Wege mit Natursteinplatten hatte, war es doch keine Strecke für einen gemütlichen Bummel, wenn man neunundneunzig Jahre alt war und nicht gerade gut zu Fuß. »Nun erzähl mir mal lieber die Wahrheit, Tante Violetta. Du wärst doch normalerweise nie im Leben dort hinuntergegangen, um die Weckgläser selbst zu holen.«
Tante Violetta hob das Kinn. »Ich kann noch sehr gut laufen, wenn ich es will.«
»Ja, das weiß ich.« Carlina nickte. »Aber du würdest lieber Omar hinschicken. Was war also dein wirklicher Grund für den Abstecher in den Schuppen?«
Tante Violetta beugte sich nach vorne und senkte die Stimme. »Ich habe gesehen, wie er in den Schuppen gegangen ist, während er dachte, dass ich schliefe. Mir war kalt, also bin ich aufgestanden und habe das Fenster geschlossen. Da habe ich ihn gesehen.«
Vielleicht hat er Francesca im Schuppen getroffen. Carlina konnte sich nicht daran erinnern, ob man noch auf anderen Wegen zum Schuppen gelangte. Wenn sie recht hatte, führte eine alte Natursteinmauer rings um das Grundstück herum. An heißen Sommernachmittagen hatten sie dort Eidechsen gefangen, aber sie vermutete nicht, dass Omar diese Beschäftigung wieder aufgenommen hatte. Laut sagte sie: »Warum kann Omar denn nicht im Garten spazieren gehen, während du schläfst? Hältst du ihn nicht ein wenig zu straff an der Leine?«
Ihre Tante richtete sich auf. »Ich halte überhaupt niemanden an der Leine! Aber es war seltsam.«
»Ich verstehe im Übrigen nicht, wie die Weckgläser zu deiner Drogentheorie passen.« Und es ist mir auch ganz egal. Solange er glücklich ist, ist doch alles in schönster Ordnung. Carlina stand auf und tätschelte Tante Violettas Schulter. »Mach dir keine Sorgen, Tante Violetta. Lass ihn einfach in Ruhe. Er wird dir schon früher oder später mitteilen, was ihn beschäftigt.«
»Dann ist es vielleicht schon zu spät.« Tante Violetta starrte vor sich hin. »Vielleicht kann ich ihn nicht mehr vom Abgrund wegreißen, wenn er erst völlig unter dem Einfluss dieser Droge steht.«
»Ich glaube nicht, dass es eine gefährliche Droge ist.« Carlina lächelte ihr ermutigend zu.
»Du hast ihn nicht gesehen!«
Nein, aber ich habe Francesca gesehen.
Tante Violettas gichtige Hand schoss nach vorne und hielt Carlinas Rock fest. Sie zog kräftig daran. »Versprich mir, ein Auge auf Omar zu haben, Carlina. Versprich mir, ihm zu helfen.«
»Mache ich.« Carlina versuchte, ihren Rock zu befreien, aber gegen Tante Violettas entschiedenen Klammergriff hatte sie keine Chance. Also blieb sie still stehen. »Ich verspreche, ein Auge auf ihn zu haben.«
»Du kannst ihn am Samstagabend sehen.«
»Samstagabend?«
»Ja. Benedetta hat uns alle zu diesem Budenzauber bei ihrer Freundin eingeladen.«
»Welchen Budenzauber?«
»Die Füllfederhalter-Ausstellung. Erinnerst du dich nicht? Sie hat bei ihrer Geburtstagsfeier davon gesprochen.«
»Ach das.« Das noch nie da gewesene klassische Kulturevent des Monats. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie sich an Stefanos Worte erinnerte.
»Ja. Wir werden dort sein, und bei der Gelegenheit kannst du dir Omar mal genau ansehen und mir sagen, was du denkst.«
»Okay, das werde ich tun.«
Endlich wurde ihr Rock losgelassen. »Gut. Du kannst jetzt gehen. Ich bin müde.«
Carlina grinste. Hatte Tante Violetta überhaupt eine Ahnung, wie königlich sie ihr Gefolge entließ?
Cara, bitte triff mich heute Abend um 19.30 h hinter dem Palazzo Pitti.
Die Notiz war kurz und knapp, wie alle Texte von Stefano. Er kritzelte die Nachrichten nur rasch mit schwarzer Tinte, doch er vergaß nie, mit cara, Liebes, anzufangen. Carlina lächelte und steckte den Zettel in eine kleine Box. Sie hatte schon eine ganze Sammlung von Notizzetteln – mit Verabredungen, mit Dingen, an die sie sich erinnern sollte, und einen, den sie ganz besonders liebte, denn darauf stand nur: »Du hast mir heute gefehlt.« Aus irgendeinem Grund zog Stefano es vor, ihr Zettelchen zu hinterlassen, anstatt ihr Textnachrichten per Telefon zu senden, und das gefiel ihr. Wenn sie sie herausnahm und durchschaute, erinnerte sie sich an die Abende, die sie zusammen verbracht hatten, an das Essen, das sie genossen hatte, und an die gemeinsamen Spaziergänge.
Es war ein schöner Freitagabend, noch sehr warm für Anfang September, und sie entschied sich, das neue Kleid anzuziehen, das sie vor einer Woche gekauft hatte. Die Woche in ihrem Laden war anstrengend gewesen, aber das neue Kleid würde sie den Stress vergessen lassen und ihr helfen, sich auf etwas Schönes zu konzentrieren. Es war aus einem tiefroten Baumwollstoff gemacht, mit ein wenig Spitze am Ausschnitt und den Armen. Der Rock schwang weit aus, während sie lief, und das gab ihr ein sommerlich-leichtes, sorgenfreies Gefühl. Als sie es gesehen hatte, hatte sie sich sofort verliebt.
Aber warum wollte Stefano sie am Palazzo Pitti treffen? Direkt dahinter erstreckte sich der weitläufige Garten, den die Medici angelegt hatten. Sein Name war fast so berühmt wie Florenz selbst – il Giardino di Boboli. Vielleicht wollte er ja dort mit ihr spazieren gehen? Aber nein, der Garten wurde am Abend geschlossen. Sie sollte wirklich wieder einmal hingehen. Wann war sie zuletzt dort gewesen? Die Menschen reisten aus der ganzen Welt an, um die berühmten Boboli-Gärten zu besichtigen, doch sie, die direkt nebenan lebte, nahm sich keine Zeit in ihrem hektischen Leben, um innezuhalten und seine Schönheit zu genießen. Ein Jammer. Sie würde Stefano vorschlagen, ihn bald einmal gemeinsam zu besuchen.
Sie genoss die kurze Fahrt mit ihrer Vespa am Arno entlang, obwohl sie ihr Kleid sorgfältig unter sich feststecken musste, damit es nicht vom Wind hochgeweht wurde. Die Sonne ging gerade unter und goss ihr goldenes Licht über die Stadt, und die Luft war mild und süß. Carlina holte glücklich tief Luft und parkte ihre Vespa so nahe wie möglich am Palazzo Pitti. Als sie ihren Helm verstaut hatte, betrachtete sie das beeindruckende sandfarbene Bauwerk. Es war nicht ihr Lieblingsgebäude, weil es zu sehr wie eine Festung aussah, zu groß und abweisend. Die Architekten der damaligen Zeit wussten, wie man Material so einsetzt, dass die schiere Größe einen fast erschlug, um die Macht ihrer Besitzer eindrucksvoll vorzuführen. Dieser Palast war gebaut worden, um einzuschüchtern. Sie zog den Duomo vor mit seiner detailverliebten Marmorfassade und den unglaublich aufwendigen Mustern, aber dennoch konnte sie sich dem Einfluss des palazzo nicht entziehen. Sie drehte sich auf dem Absatz herum und sagte sich selbst, dass sie das nicht nur tat, um zu sehen, wie ihr Kleid um sie herumwirbelte, dann schaute sie die Straße entlang.
Ihr Lieblingsladen, Giulio Giannini e Figlio, eine traditionelle Papeterie, die handgedruckte Papiere und handgebundene Bücher herstellte, hatte jetzt nicht mehr geöffnet, aber drinnen war noch Licht. Während sie hinschaute, kam die Inhaberin Maria heraus und winkte ihr zu. Carlina winkte zurück. Vielleicht sollte sie eines ihrer handgebundenen Bücher kaufen und Stefanos Notizen hineinkleben, als eine Art Tagebuch ihrer Beziehung. Sie lächelte. Was für eine schöne Idee. Aber jetzt sollte sie sich besser zur Rückseite des palazzo aufmachen, wo Stefano hoffentlich schon auf sie wartete.
Sie eilte über die Pflastersteine, die schon Hunderte von Jahren erlebt hatten, und ging um den palazzo herum. Als sie am verabredeten Treffpunkt angekommen war, schaute sie sich um. Von Stefano war keine Spur zu sehen, doch sie war auch einige Minuten zu früh dran. Kein Problem. Sie zog ihr Telefon aus der Tasche und prüfte gerade ihre Nachrichten, als ein Schatten über sie fiel.
Sie schaute hoch. »Omar! Wie schön, dich zu sehen! Was machst du denn hier?« Es war seltsam, ihn nicht in Begleitung von Tante Violetta zu sehen. Hatte Francesca ihm schon gesagt, dass sie ihr Geheimnis weitergegeben hatte? Er überragte sie, und seine dunklen Augen glänzten. Nun, was auch immer der Grund war, er schien glücklich zu sein.
Omar hielt ihr die Hand entgegen.
Sie hob erstaunt ihre Augenbrauen, aber sie ergriff sie, und als er sanft daran zog, folgte sie ihm den Hügel hinauf zum Eingang der Boboli-Gärten.
»Das bringt uns nicht weiter«, sagte sie. »Die Tore sind schon verschlossen.«
Er nickte und tätschelte ihre Hand.
Ihre Neugierde stieg. »Ich kann jetzt nicht hier weggehen, Omar. Ich warte auf Stefano. Er hat mir gesagt, dass ich ihn an der Rückseite des palazzo erwarten soll.«
Omar nickte, zeigte auf sich selbst und dann wieder den Hügel hoch.
»Du meinst, er hat unser Treffen hier so arrangiert?«
Noch ein Nicken.
Ihr Herz sank. Sie hatte sich auf einen romantischen Abend mit dem Mann, den sie liebte, gefreut. Stattdessen stand schon wieder ein Familienmitglied dazwischen, auch wenn es Omar war, den sie sehr mochte. Aber wenn man verliebt ist, sind drei einer zu viel. Sie bemühte sich, ihre Gefühle nicht zu zeigen. Omar war gut darin, Mienen zu deuten.
»Werde ich Stefano heute Abend sehen?«
Ein Nicken.
Gut. Wenigstens ist das kein komischer Streich. »Bald?«
Ein Nicken.
Na gut, dann würde sie sich in Geduld üben. Anscheinend gab es einen Plan für den heutigen Abend. Vielleicht würden sie ja auch noch Francesca treffen? Hatte Omar sich vielleicht Stefano anvertraut, so, wie Francesca sich ihr anvertraut hatte? Sie lächelte, und ihre schlechte Laune verschwand.
Sie kamen bis zum Tor des Gartens, wo Omar einen Schlüssel hervorzog.
Ihre Augen weiteten sich. »Wo hast du denn den Schlüssel her?«
Omar öffnete die Tür, lud sie mit einer Handbewegung ein, hindurchzugehen, dann folgte er ihr und schloss die Tür wieder hinter sich. Er ging weiter den Hügel hinauf.
Sie beeilte sich, um hinterherzukommen. »Omar? Von wem hast du den Schlüssel bekommen?«
Er malte ein großes S in die Luft.
»Stefano? Er hat dir den Schlüssel gegeben?«
Omar nickte.
Wie seltsam. Carlina entschied sich, alle Fragen zur Seite zu schieben und den Augenblick zu genießen. Der Garten war ruhig, ganz ohne Touristen, rennende Kinder oder Gärtner. Es hatte angefangen zu dämmern, und jetzt schienen die flüsternden Büsche in lavendelfarbenen Schatten zu versinken. Zikaden sangen, und die warme Erde roch nach Sonne und reicher Ernte.
Carlina schob eine Hand unter Omars Ellenbogenbeuge. »Nun, was auch immer ihr geplant habt, es ist eine schöne Überraschung. Der Garten bei Nacht ist zauberhaft und so leise.«
Omar berührte ihre Hand mit einer flüchtigen Bewegung und neigte den Kopf, aber er hielt keinen Augenblick an. Es wurde beständig dunkler, während die Sonne am Horizont immer tiefer sank. Der Kies knirschte unter ihren Füßen.
Nach einigen Minuten hielt Omar an der Ecke eines großen Busches an, den Carlina nicht ganz erkennen konnte. War es Oleander?
Omar zeigte um den Busch herum und gab ihr einen sanften Schubs zwischen die Schulterblätter.
Carlina lachte. »Du meinst, ich soll ab hier alleine weitergehen?«
Er nickte, so viel konnte sie in der Dunkelheit erkennen.
»Na, ich danke. Erst führst du mich in einen dunklen Garten, und dann lässt du mich ganz alleine. Was ist das für ein Streich?«
Omar lächelte. In dem verblassenden Licht konnte sie seine Zähne kurz aufblitzen sehen, aber seine Augen lagen im Schatten. Noch ein freundlicher Schubs, dann drehte er sich um und ging den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Carlina blinzelte. Was um alles in der Welt …? Schließlich zuckte sie mit den Schultern und ging weiter in die Richtung, in die Omar gezeigt hatte. Als sie um den Busch herumkam, hielt sie die Luft an. Vor ihr lag die berühmte ragnaie, die Allee aus knorrigen Bäumen, deren Äste sich weit oben berührten. Sie bildeten einen schattigen Durchgang, der etwas Magisches ausstrahlte. Carlina erinnerte sich daran, wie sie als Kind hier entlanggehüpft war, fasziniert von den Geschichten über die Feen, die hier im Mondlicht tanzten. Ihre Mutter hatte ihr erzählt, dass sie wie kleine Glühwürmchen funkelten, wenn sie tanzten.
Sie rieb sich die Augen. Da funkelten tatsächlich ein paar Lichter, aber es konnten doch keine Feen sein, oder? Langsam ging sie näher heran. Jemand hatte Gläser mit dicken Stumpenkerzen entlang der Allee aufgebaut, neben jedem Baum eine Kerze, auf beiden Seiten. Die leichte Abendbrise ließ das Licht flackern, sodass es aussah, als ob die Kerzen entlang der Allee tanzen würden und sie spielerisch einluden mitzumachen. »Oh, wie wunderschön!« Fasziniert ging Carlina darauf zu.
Ein Schatten löste sich vom Ende der Allee.
Carlina schluckte. Sie kannte diesen Schatten.
Stefano kam auf sie zu und erreichte sie in der Mitte der Allee. Er streckte seine Hand aus.
Sie nahm sie und lächelte zu ihm hoch. »Warum um alles in der Welt hast du das hier aufgebaut? Es ist unglaublich schön! Ist es ein besonderer Anlass?«
Die Kerze, die am nächsten stand, warf ein flackerndes Licht auf sein Profil.
»Noch nicht, aber ich hoffe, dass es einer wird.« Seine Stimme klang ernst.
Sie lachte, aber in ihr fing etwas an zu zittern. »Was meinst du?«
»Ich möchte dich bitten, meine Frau zu werden.«
Carlina stockte der Atem, und ihre Knie wurden so weich, dass sie sich an ihm festhalten musste.
Er nahm sie in den Arm. »Möchtest du mich heiraten, Carlina?«
Sie öffnete den Mund, brachte aber keinen Ton heraus. Stattdessen schlug eine Welle des Glücks über ihr zusammen und trug sie auf glitzerndem Schaum davon.
»Carlina?« Er klang angespannt. »Hörst du mir zu?«
Sie räusperte sich. »Ja. Und ja, ich möchte dich gern heiraten.«
Er seufzte tief auf und zog sie so nahe an sich heran, dass sie kaum noch atmen konnte.
Sie hob ihren Kopf, und seine Lippen trafen ihre. Das Glück zwischen ihnen wurde stärker und fing voller Energie an zu strahlen, bis es heller leuchtete als die Kerzen.
Sie wusste nicht, wie lange sie so blieben. Der Kuss war ein Versprechen, ein Gelöbnis, süß und stark. Die Kerzen flackerten in der Brise, und langsam stieg der Mond über die knorrigen Äste der Bäume, wie eine große orangefarbene Laterne am Himmel, das Gesicht deutlich in der klaren Luft zu erkennen, wie es auf sie herablächelte.
Stefano nahm ihre Hand, und sie schlenderten durch den Garten. Das Mondlicht war jetzt hell genug, um ihnen den Weg zu weisen. Schemenhaft nahm Carlina die Statuen am Wegesrand wahr, die sorgfältig gestutzten Büsche, die formellen Blumenbeete und weit geschwungenen Treppenstufen, aber das Einzige, was sie wirklich sah, war Stefanos liebes Gesicht und die Art, wie er sie anblickte. »Ich gestehe, dass ich überrascht bin«, sagte sie schließlich, als sie sich auf die obersten Treppenstufen gesetzt hatten. Von ihrem Blickwinkel aus konnten sie die Symmetrie der Blumenbeete unter ihnen in jedem Detail erkennen – ohne Farbe im Mondlicht, aber vielleicht sogar noch faszinierender, jetzt, wo sie nur mit ihrer sorgfältig angelegten Geometrie in Schwarz, Weiß und Grau überzeugen konnten.