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Humorvoll, unterhaltsam, spannend – der Auftakt der beliebten Cosy-Crime Reihe der USA Today Bestseller-Autorin Beate Boeker Eine halbe Stunde vor der Hochzeit ihrer Cousine Emma finden Carlina und Emma ihren Großvater tot in seiner Wohnung in der Altstadt von Florenz. Carlina merkt schnell, dass Emma nicht bereit ist, ihre Hochzeit wegen des plötzlichen Todesfalls abzusagen – ein natürlicher Tod liegt ja auch nahe. Also lässt sich Carlina überreden, ihren toten Opa in seinem Bett zu verstecken und jedem zu erzählen, dass er sich nicht gut genug fühlte, um an der Hochzeit teilzunehmen. Nicht ahnend, dass dies dramatische Folgen haben wird: Am nächsten Morgen finden die Familienangehörigen die Leiche – und rufen die Polizei. Tatsächlich stellt sich heraus, dass Carlinas Opa vergiftet wurde. Und plötzlich ist sie die Hauptverdächtige des attraktiven Commissario Garini … Von Beate Boeker sind bei Midnight in der Reihe Florentinische Morde erschienen: Hochzeitstorte mit Todesfall (Band 1) Amore Mortale (Band 2) Mord all' arrabbiata (Band 3) Einmal Mord, aber pronto! (Band 4) Mord al Mare (Band 5) Arrivederci Amici (Band 6) Mord in Milano (Band 7) Immer Ärger mit der Famiglia (Band 8)
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Hochzeitstorte mit Todesfall
Beate Boeker, geboren 1969, ist neben ihrem Beruf als Autorin Betriebswirtin mit internationalem Schwerpunkt, arbeitet im Marketing und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Deutschland. Der erste Roman der USA Today Bestseller-Autorin wurde 2008 vom Verlag Avalon Books in New York veröffentlicht. Heute ist eine große Auswahl ihrer romantischen Komödien, Krimis und Kurzgeschichten auf Englisch verfügbar. Ihre Bücher wurden für viele Auszeichnungen nominiert, z.B. den Golden Quill Contest, den National Readers' Choice Award und den Best Indie Books. Obwohl sie Deutsche ist, entschied sie sich, zunächst nur auf Englisch zu schreiben, weil sie in den USA mehr Hilfe bei der Entwicklung ihrer schriftstellerischen Fähigkeiten fand. Jetzt übersetzt sie ihre Bücher auch ins Deutsche.
Humorvoll, unterhaltsam, spannend – der Auftakt der beliebten Cosy-Crime Reihe der USA Today Bestseller-Autorin Beate Boeker
Eine halbe Stunde vor der Hochzeit ihrer Cousine Emma finden Carlina und Emma ihren Großvater tot in seiner Wohnung in der Altstadt von Florenz. Carlina merkt schnell, dass Emma nicht bereit ist, ihre Hochzeit wegen des plötzlichen Todesfalls abzusagen – ein natürlicher Tod liegt ja auch nahe. Also lässt sich Carlina überreden, ihren toten Opa in seinem Bett zu verstecken und jedem zu erzählen, dass er sich nicht gut genug fühlte, um an der Hochzeit teilzunehmen. Nicht ahnend, dass dies dramatische Folgen haben wird: Am nächsten Morgen finden die Familienangehörigen die Leiche – und rufen die Polizei. Tatsächlich stellt sich heraus, dass Carlinas Opa vergiftet wurde. Und plötzlich ist sie die Hauptverdächtige des attraktiven Commissario Garini …
Von Beate Boeker sind bei Midnight in der Reihe Florentinische Morde erschienen:Hochzeitstorte mit Todesfall (Band 1)Amore Mortale (Band 2)Mord all' arrabbiata (Band 3)
Beate Boeker
Kriminalroman
Aus dem Englischen
Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de
Deutsche Erstausgabe bei MidnightMidnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinMärz 2017 (2)
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017© Beate Boeker 2013Titel der englischen Originalausgabe: Delayed DeathUmschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com
ISBN 978-3-95819-109-9
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Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
Figurenübersicht
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Brief an die Leser
Leseprobe: Winterliebe in Venedig
Empfehlungen
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Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Figurenübersicht
Caroline Ashleygenannt Carlina, Besitzerin des luxuriösen Lingerie-Geschäfts Temptation in Florenz
Stefano Gariniermittelnder Inspektor der Mordkommission in Florenz
Onkel TeoCarlinas Großonkel, 80 Jahre alt
FabbiolaCarlinas Mutter
BenedettaCarlinas Tante (Fabbiolas jüngere Schwester)
Leopold Morin (Leo)Benedettas Lebensgefährte (ein Franzose)
EmmaCarlinas Cousine (Benedettas älteste Tochter)
LucioEmmas Ehemann
AnnalisaCarlinas attraktive, rothaarige Cousine (Benedettas zweite Tochter)
ErnestoCarlinas rothaariger Cousin, der jüngste im Hause Mantoni (Benedettas Sohn)
Tante Violettadie Matriarchin der Mantoni-Familie, 99 Jahre alt, lebt in einer Villa in
Fiesole
Omarder Adoptivsohn von Tante Violetta
»Ich habe noch nie eine Braut gesehen, die so sexy aussieht.« Carlina trat einen Schritt zurück und lächelte ihre Cousine Emma an. »Die Gäste werden in Ohnmacht fallen.«
Emma drehte sich auf ihren schimmernden Stiletto-Pumps und prüfte ihre Rückenansicht im Spiegel, der von der Decke bis zum Fußboden reichte. Siebzehn Deckenstrahler erleuchteten Emmas schneeweißes Schlafzimmer und zeigten sie in voller Pracht. »Das will ich hoffen.« Sie schwenkte ihren formvollendeten Po in dem hautengen Kleid. »Die Braut mit dem größten Sexappeal in Florenz.« Ihr Lächeln war der personifizierte Triumph.
Carlina nahm den Schleier und hob ihn hoch. Er war weich wie eine Spinnwebe und duftete nach einem Hauch von Emmas Parfüm. Wahrscheinlich hatte Emma ihn schon mehrmals anprobiert und sich im Spiegel bewundert. »Deine neue Schwiegermutter wird allerdings wahrscheinlich einen Schlaganfall bekommen.« Sie zwinkerte ihrer Cousine zu.
»Warum?« Emma schlüpfte unter den Schleier und zog ihn mit den Fingerspitzen in die richtige Position. »Nur, weil das Kleid sexy ist?«
Carlina warf einen Blick auf Emmas Beine und schluckte ihre Antwort herunter. Die späte Septembersonne schien zusätzlich zu den Strahlern, die für die perfekte Ausleuchtung des Raumes sorgten, in Emmas Schlafzimmer und schimmerte auf ihren exquisiten Seidenstrümpfen. Ihre Beine sahen heute noch länger aus als sonst, weil das Hochzeitskleid so kurz war, dass man sich fragte, warum es mehr als ein Monatsgehalt gekostet hatte.
Emma bemerkte das Zögern ihrer Cousine nicht. »Kann ich so gehen?«
Carlina nickte. »Du siehst toll aus.« Die Familie war mit vielen gut aussehenden Frauen gesegnet, und Emma hatte nicht nur die Pfirsichhaut ihrer Mutter geerbt, sondern versprühte eine Energie, die sie noch viel attraktiver machte. Ein leises Gefühl der Melancholie beschlich Carlina. Emma heiratet heute. Jetzt wird alles anders werden.
Die Stimme in ihr machte sich über den Gedanken lustig. Emma wird nach wie vor zwei Stockwerke unter dir wohnen und Lucio wohnt auch schon seit Monaten hier bei ihr. Und sie wird immer deine kleine Cousine bleiben. Jetzt werde bloß nicht rührselig, nur weil es eine Hochzeit ist.
Emma holte tief Luft. »Ich bin froh, dass ich Mama und den Rest der Familie weggeschickt habe. Sie hätten mich in den Wahnsinn getrieben.«
Carlina nickte. »Ganz deiner Meinung.« Sie schaute ihre attraktive Cousine von der Seite an. »Aber sie waren ein wenig beleidigt. Ich war überrascht, dass sie überhaupt gegangen sind, vor allem Benedetta. Ich hatte erwartet, dass sie darauf besteht, bei dir zu bleiben. Immerhin bist du ihre älteste Tochter und die erste, die heiratet und –«
»Das liegt eben daran, dass ich heute die Braut bin.« Emma öffnete ihre Arme weit und warf den Kopf zurück. »Heute bin ich der Star.«
Carlina unterdrückte ein Lächeln. »Du bist immer der Star, und ich hoffe, dass dein großer Tag perfekt sein wird.«
»Natürlich wird er das!« Emma lachte. »Denk an die ganzen Stunden der Vorbereitung! Ich habe auf jedes Detail geachtet. Es kann gar nichts schiefgehen.«
Ein Schauder überlief Carlina. Ich hoffe, die Götter hören das nicht. »Denkst du nicht, dass das Haus sich ganz seltsam anfühlt, jetzt, wo alle weg sind? Es war noch nie so leise.«
Bevor Emma antworten konnte, kam ein Klingelton aus Carlinas schwarzer Abendhandtasche, die auf der weißen Kommode lag.
»Oh nein, nicht schon wieder!« Mit einer geschmeidigen Bewegung beugte sich Emma vor und schnappte Carlinas Arm. »Geh da jetzt nicht ran. Ich finde wirklich, dass deine Assistentin es ausnahmsweise auch mal ohne dich schaffen sollte, den Laden zu schmeißen. Sie hat schon zweimal angerufen. Warum will ganz Florenz an meinem Hochzeitstag Unterwäsche kaufen?«
»Es ist das erste Mal, dass ich Elena ganz alleine im Geschäft gelassen habe und ich habe ihr gesagt, dass sie jederzeit anrufen kann, wenn sie eine Frage hat.« Carlina schüttelte die Hand ihrer Cousine ab und öffnete den winzigen Verschluss an ihrer Handtasche. »Wir haben außerdem noch jede Menge Zeit, also keine Panik.«
Mit geübtem Griff zog sie das Telefon hervor und schaute auf das Display. »Oh nein.« Sie schloss die Augen, als ob das etwas ändern würde. »Es ist Mama.«
»Geh nicht ran!« Emmas Stimme wurde höher. »Ich weiß, dass sie meinen Hochzeitstag verderben wird!«
»Quatsch.« Carlina schüttelte den Kopf und legte zur Beruhigung eine Hand auf Emmas Arm. Emma ist viel nervöser, als sie zugeben möchte. »Ich wette, sie hat nur etwas vergessen.« Sie drückte auf den grünen Knopf. »Ciao, Mama.«
Sie hörte der quakenden Stimme am anderen Ende zu, und unwillkürlich verzog sich ihr Gesicht.
Emma runzelte die Stirn. »Was ist los? Warum schaust du so komisch?«
Carlina machte eine beruhigende Handbewegung und sagte ins Telefon: »Also gut. Keine Sorge. Ciao.« Sie legte auf, warf den Kopf zurück und brach in Gelächter aus.
Emma tanzte um sie herum, zu ungeduldig, um stillzustehen. Ihre Pfennigabsätze hinterließen kleine Vertiefungen in dem cremefarbenen Teppich. »Ich habe kein Wort verstanden. Was will sie? Warum lachst du so?«
Carlina schnappte nach Luft. »Ich hatte recht. Sie hat etwas vergessen.«
»Was?« Emma stemmte die Hände in die Hüften. Ihr roter Mund zog sich an den Mundwinkeln nach unten.
Carlina holte tief Luft und sagte mit Genuss. »Sie hat Opa vergessen.«
Emmas Mund blieb offen stehen. »Sie hat Opa vergessen? Wie hat sie denn das fertiggebracht?«
Carlina schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Er wollte wohl heute Morgen nicht mitgehen, als sie zum Frisör und zur Maniküre aufgebrochen sind, war noch nicht mal fertig angezogen, also hat Mama entschieden, dass sie ohne ihn losfährt, hat aber vergessen, es mir zu sagen, damit ich ihn dann mitnehme.« Sie fing wieder an zu lachen. »Das ist echt typisch.«
Emma glättete eine nicht vorhandene Falte an ihrem Kleid. »Sie ist nicht ganz normal.«
»Niemand in unserer Familie ist normal.«
»Ich weiß wirklich nicht, warum du so glücklich aussiehst, wenn du das sagst.« Emma schob ihren Schleier zur Seite und funkelte sie an.
»Nein?« Carlinas Lächeln wurde breiter. Sie öffnete den Mund, aber bevor sie ein Wort herausbekam, unterbrach Emma sie.
»Nein, sag es mir nicht. Ich will’s gar nicht wissen.« Sie schaute wieder in den Spiegel. »Wann kommt Onkel Ugo noch mal?«
Carlina sah auf ihre Armbanduhr. »In zwanzig Minuten.«
Emma seufzte. »Ich wünschte, er könnte vor die Tür vorfahren.«
»Wenn du nicht darauf bestanden hättest, die größte Limousine zu mieten, die man in ganz Italien auftreiben kann, dann hätte er das sicherlich tun können. So wirst du die wenigen Schritte zur Via Ghibellina laufen müssen. Er hat gesagt, dass er im Auto warten wird.«
»Er hätte es ruhig versuchen können.«
»Das finde ich auch.« Die Ironie in Carlinas Stimme war nicht zu überhören. »Das muss richtig lustig sein, eine Limo durch eine historische Straße zu quetschen, die lange vor der Erfindung von Automobilen gebaut wurde. Und wer hätte für die Lackkratzer auf beiden Seiten der Limo gezahlt? Du?«
Emma zog eine Schnute. »Du darfst an meinem Hochzeitstag nicht böse zu mir sein. Jetzt lass uns endlich gehen.« Sie drehte sich auf ihren hohen Absätzen um und stolzierte zur Tür. »Ich hoffe nur, dass Opa sich zwischenzeitlich angezogen hat.«
»Du hast vergessen, dein Make-up in die Handtasche zu packen.« Carlina hielt das schmale Täschchen in glänzendem Gold hoch. »Mach das schnell und ich gehe derweil schon mal runter und sehe zu, dass Opa fertig wird.«
Emma zog ihre sorgfältig gezupften Augenbrauen zusammen. »Ich hoffe, Opa beeilt sich. Was ist, wenn er auf einmal wieder eine seiner Schnapsideen bekommt und –«
»Keine Sorge. Alles wird gut. Ich verspreche es.« Carlina schob Emma in Richtung Badezimmer, ein modernes Wunder in Schwarz mit versteckten Strahlern im Boden. »Pack jetzt deine Sachen ein. Ich kümmere mich um Opa.« Sie hing sich ihre Abendhandtasche über die Schulter und verließ Emmas Apartment, um die Treppe hinabzusteigen. Wie immer legte sie eine Hand auf das polierte Holzgeländer, denn sie liebte die glatte Oberfläche und die weichen Kurven, in denen das Geländer vom obersten Stockwerk an allen Familienwohnungen vorbei nach unten führte. Heute nutzte sie ihre andere Hand, um ihr langes Abendkleid hochzuhalten. Die Treppe roch nach Bienenwachs. Benedetta muss es gestern poliert haben. Carlina holte tief Luft.
Die Glocken von Santa Croce schlugen zur vollen Stunde. Carlina blieb einen Augenblick lang auf dem Absatz stehen und lauschte. Wie oft hatte sie schon die Glocken gehört, wie sehr war das Läuten Teil ihres Lebens. Sie liebte dieses Haus, ihr Heim. So lange sie zurückdenken konnte, war es ihr immer wichtig gewesen, schon als Kind, als sie in den langen Sommerferien mit ihrer Familie zu Besuch kam und später, als sie nach dem Tod ihres Vaters ganz hierherzogen. Ein plötzlicher Schmerz durchfuhr sie. Ich wünschte, er könnte heute mit uns feiern. Nach all den Jahren hatte die Trauer nachgelassen aber ab und zu überkam sie ein plötzliches Verlustgefühl ohne Vorwarnung.
Sie schob den Gedanken beiseite und zwang sich, die ausgetretene Holztreppe ein wenig langsamer als sonst herunterzugehen, um in ihren hohen Schuhen nicht zu stolpern. Das Rascheln ihres dunkelroten Kleides klang festlich. Ich habe Emma noch nie so nervös gesehen, aber das ist wahrscheinlich normal, wenn man heiratet. Ich hoffe, sie wird mit Lucio glücklich. Er ist so … so emotional manchmal. Carlina runzelte die Stirn. Aber Emma ist ja nun auch kein sanftes Täubchen. Es wird schon gut gehen.
Sie kam ins Erdgeschoss, wendete sich nach links und klopfte an die grüne Holztür. Als sie nichts hörte, klopfte sie noch einmal, diesmal lauter. Ohne auf eine Antwort zu warten, holte sie ihren Schlüssel aus der Tasche, schloss auf und öffnete die Wohnungstür. Die Wohnung war völlig überheizt und roch nach den Pfefferminzbonbons, die ihr Großvater so gern aß. Sie ging hinein und rief: »Opa, ich bin’s, Carlina! Bist du fertig für Emmas Hochzeit?«
Er war nicht im Wohnzimmer.
Carlina runzelte die Stirn. Was soll das?Ich bin wirklich nicht in der Stimmung, mit einer nervösen Cousine und einem bockigen Großvater Verstecken zu spielen.
Sie öffnete die Tür zur Küche und – erstarrte.
Emmas hochhackige Schuhe klapperten hinter ihr auf den schiefen Steinfliesen des alten Hauses. »Carlina, ist er fertig? Wir müssen jetzt los.«
Carlina starrte auf ihren Großvater, der zusammengesunken auf seinem Stuhl saß, das Kinn auf der bewegungslosen Brust. Seine Augen waren weit geöffnet. »Er … er ist nicht fertig.« Die Worte kamen wie automatisch aus ihr. Ihre Stimme klang fremd und emotionslos.
Emma kam näher. »Dann muss er sich jetzt mal beeilen. Ich bin nicht bereit, zu meiner eigenen Hochzeit zu spät zu kommen, nur, weil –« Sie brach mitten im Satz ab, krallte sich an den Türrahmen und schrie.
Carlina fuhr herum und packte sie bei den Armen. »Schhh. Es wird alles gut. Bitte schrei nicht.« Sie zitterte selbst am ganzen Körper.
Emma zeigte mit einem perlmuttglänzenden Fingernagel auf ihren Großvater. Ihre Hand bebte. »Er ist tot!« Ihr Schrei hallte in der alten Küche wieder.
Carlina schluckte. »Ja. Er ist tot.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Es tut mir so leid.« Ein Gefühl von Trauer und Hilflosigkeit überschwemmte sie.
»Es tut dir leid?« Emmas Augen verengten sich. »Er hat meine Hochzeit zerstört!«
»Aber Emma«, Carlina legte ihre plötzlich eiskalte Hand auf Emmas Arm. »Man stirbt schließlich nicht absichtlich.«
»Nicht absichtlich!« Emma stemmte die Hände in die Hüften und blickte mit zusammengebissenen Zähnen auf ihren Großvater. »Da bin ich mir nicht so sicher. Er hat mir immer Schwierigkeiten gemacht, immer.«
Carlina starrte sie an. »Das ist jetzt nicht fair. Natürlich war er manchmal ein wenig eigenwillig, aber –«
»Eigenwillig?« Emma zischte Carlina so böse an, dass diese unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. »Erinnerst du dich an das Mal, wo unser lieber Opa mich vom Krankenhaus abholen sollte und einfach nicht erschien? Er sagte, dass er leider an diesem Tag die Sonne anbeten musste, weil sie das erste Mal nach Wochen geschienen hatte. Das war die Sonnen-Anbetungs-Phase. Ich stand zwei Stunden alleine vor dem Krankenhaus und habe gedacht, dass meine Familie mich vergessen hat. Erinnerst du dich?«
Carlina biss sich auf die Unterlippe. »Doch, ich erinnere mich. Aber bitte beruhige dich doch. Wir müssen –«
Emma unterbrach sie. »Und der Tag, an dem wir alle in den Urlaub fahren wollten, alle zusammen, und er brachte uns dazu, in letzter Sekunde aus dem Zug zu springen, weil er eine böse Vorahnung hatte? Das war die Böse-Vorahnungs-Phase. Weißt du das noch?«
Carlina blickte ihre Cousine entsetzt an. Sie hatte nicht mit so einem heftigen Ausbruch gerechnet.
»Erinnerst du dich an die Böse-Vorahnungs-Phase?« Emmas Stimme wurde mit jedem Wort lauter.
Ein Lächeln huschte über Carlinas Gesicht. »Ja. Das war meine Lieblings-Phase.« Eine Träne rollte über ihre Wange. »Ich werde ihn schrecklich vermissen.«
Emma warf ihr einen Blick voller Verachtung zu. »Und jetzt stirbt er einfach, ein paar Minuten, bevor ich heirate. Das ist echt unglaublich! Heute Morgen war er doch noch völlig fit, jedenfalls munter genug, um mir mitzuteilen, dass mein Hochzeitskleid völlig unpassend und viel zu kurz ist.«
Carlina stockte der Atem. »Meinst du …«, sie musste schlucken, bevor sie weitersprechen konnte, »… meinst du, dass er irgendwie nicht auf natürlichem Wege gestorben sein könnte?«
Emma machte eine ungeduldige Bewegung mit der Hand. »Nein, das meine ich natürlich nicht. Er ist immerhin neunundsiebzig. Leute in seinem Alter sterben nun mal. Ich wünschte nur, er hätte sich nicht genau diesen Augenblick ausgesucht!« Sie stampfte mit dem Fuß auf.
»Aber er kann doch nichts dafür.« Carlina wischte sich eine Träne weg. Sie öffnete ihre Handtasche und holte ihr Handy hervor. »Ich muss Mama anrufen.«
»Nein!« Emma sprang auf sie zu und riss ihr das Telefon aus der Hand.
»Aber Emma!« Carlina starrte sie an.
Ihre Cousine presste die Lippen zusammen, sodass sie zu einer einzigen, wild entschlossenen Linie wurden. »Er wird meine Hochzeit nicht zerstören.« Sie betonte jedes Wort. »Das akzeptiere ich einfach nicht.«
»Aber … aber was willst du denn tun?« Carlina hob die Hände. »Wir haben doch keine Wahl. Ich meine, er –«
»Wir lassen ihn einfach hier.«
»Was?«
»Es ist doch nun wirklich egal, ob er heute oder morgen stirbt.« Emma hob ihr Kinn unter dem Schleier.
Carlina blinzelte. »Wenn du das so sagst, klingt es fast, als ob man es sich aussuchen könnte.«
»Aber so ist es!« Emma beugte sich nach vorne und nahm Carlina am Arm. Ihre dunklen Augen glitzerten. »Heute ist sein Tod unpassend. Sehr unpassend. Morgen kann er von mir aus jederzeit sterben. Ab dann bin ich auf Hochzeitsreise in Afrika, weit weg, wo er mir nicht in die Quere kommen kann. Wir schieben seinen Tod einfach ein wenig auf.«
Carlina schwankte zwischen Entsetzen und einem wilden Bedürfnis, zu lachen.
»Aber –«
»Bitte, Carlina.« Emmas Augen wurden groß. »Für ihn macht es doch überhaupt keinen Unterschied. Für mich jedoch bedeutet es alles.«
Carlina fühlte, wie sie schwach wurde. Irgendwo hatte Emma ja recht.
Emma nutzte die Gelegenheit. »Du musst auch an Onkel Teo denken. Der Arzt hat ihm erst letzte Woche gesagt, dass er jeglichen Stress vermeiden soll, weil er ein schwaches Herz hat. Er hat ihm doch sogar fast verboten, an der Hochzeit teilzunehmen, und das ist ja wohl gar nichts, verglichen mit dem plötzlichen Tod seines Zwillingsbruders!«
Carlina zögerte. »Aber –«
»Wenn wir ihm jetzt sagen, dass Opa gestorben ist, könnte Onkel Teo auch sofort tot umfallen.«
»Oh mein Gott. Meinst du wirklich?«
»Ja.« Emma nickte. »Sie sind immerhin eineiige Zwillinge. Also lass Onkel Teo erst mal die Party genießen und die ganze Aufregung um die Hochzeit hinter sich bringen, und morgen, wenn er sich gut ausgeschlafen hat, können wir es ihm schonend beibringen.«
Carlina kaute unentschlossen auf ihrer Unterlippe. »Das klingt schon vernünftig. Aber es erwarten doch alle, dass Opa zur Hochzeit kommt.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie werden uns alle fragen, wo er ist. Sie werden sich Sorgen machen!«
»Niemand wird sich Sorgen machen.« Emma legte Carlinas Telefon auf den Küchentisch und sah ihren Großvater aus zusammengekniffenen Augen an. »Wir behaupten einfach, dass die Böse-Vorahnungs-Phase wieder zurückgekommen ist und dass Nico entschieden hat, seine Teilnahme an der Hochzeit würde Unglück bringen. Das wird niemanden wundern.«
Carlina fühlte sich, als ob sie in einer seltsamen Zwischenwelt gelandet sei, völlig losgelöst von der Wirklichkeit. Sie schüttelte ihren Kopf, aber das Gefühl blieb. »Das wird nicht funktionieren. Es wissen doch alle, dass die Böse-Vorahnungs-Phase vor einem Jahr zu Ende ging. Im Moment hat er die Schlechte-Vergangenheits-Phase. Hatte, meine ich.« Sie fror und schlag sich die Arme um den Körper.
Emma zuckte ihre perfekten Schultern unter dem hauchdünnen Material des Hochzeitskleids. Es schimmerte in dem leichten Sonnenlicht, das durchs Fenster fiel. »Na, dann hat er eben seine Meinung geändert.«
»Er hat noch nie seine Meinung geändert. Er ging nie zu irgendeiner alten Phase zurück. Ich kenne ihn doch.« Ein Kloß saß in Carlinas Hals.
»Jetzt hat er eben mal seine Meinung geändert. Man ist nie zu alt für plötzliche Überraschungen, stimmt’s, Opa?« Mit einem ungeduldigen Gesichtsausdruck stieß Emma ihren Großvater leicht in die Seite und wich entsetzt zurück, als er zu kippen begann.
Carlina sprang nach vorne und fing ihn auf. Sie hatte noch nie eine Leiche berührt. Sie war schwer und warm. Warm?
Sie schluckte. »Emma?« Ihre Stimme klang wackelig. »Ich … ich glaube, er ist erst vor einer Minute oder so gestorben.«
Emma starrte sie an. »Warum?«
»Weil er noch ganz warm ist.«
Emma wich zurück. »Madonna.«
Irgendetwas roch seltsam. Ein würgendes Gefühl griff nach Carlinas Kehle. »Ich schaffe es nicht, ihn wieder hinzusetzen.«
»Dann leg seinen Kopf auf den Tisch.« Emma machte einen Schritt zurück. »Mein Kleid –«
Irgendetwas in Carlina zerbrach. »Dein Kleid interessiert mich einen feuchten Kehricht.« Sie funkelte ihre Cousine an. »Wenn du willst, dass deine Hochzeit heute stattfindet, dann hilf mir, ihn in eine anständige Position zu bringen. Jetzt.«
Emma kam mit offensichtlichem Widerwillen näher. Genau in dem Augenblick, als sie vor dem Küchenfenster stand, ging ein Mann auf der Straße vorbei. Er pfiff, als er sie sah. Emma drehte ihm abrupt den Rücken zu und blickte ihre Cousine mit vor Angst weit geöffneten Augen an. »Ich kann mich nicht umdrehen«, flüsterte sie. »Ist er noch da?«
»Wer?«
»Der Typ auf der Straße!«
Carlina erstarrte. So gut sie konnte, schob sie das Gewicht ihres Großvaters zur Seite und streckte den Kopf, um an Emmas schlanker Gestalt vorbeisehen zu können. »Nein. Er ist weg.«
Emma schluckte. »Wir können Opa nicht hier sitzen lassen, wo ihn jeder sehen kann, der durchs Fenster schaut.«
Carlina schloss die Augen. Das Gewicht ihres Großvaters zerrte an ihren Armen und von dem ekelerregenden Geruch wurde ihr übel. »Meinetwegen, aber jetzt komm endlich her und hilf mir!«
Emma drehte sich herum und zog die weißen Vorhänge zu. »Vielleicht sollten wir Opa ins Bett legen«, überlegte sie laut. »Dann findet ihn niemand zu früh.«
»Okay.« Carlina biss die Zähne zusammen. »Jetzt nimm seine Füße.«
»Aber ich –«
»Emma.« Carlina wusste, dass Emma den drohenden Unterton in ihrer Stimme erkennen und ihrer älteren Cousine gehorchen würde, so, wie sie es vor vielen Jahren schon getan hatte, als sie noch Teenager waren. Sie gebrauchte diesen Ton nicht mehr oft, aber er funktionierte immer noch.
Emma seufzte und griff nach Nicos Füßen. »Nicht dass mein Kleid durch diese Aktion noch reißt. Es ist nicht dafür gedacht, dass man damit Sport treibt.«
Carlina antwortete nicht. Nico war ein kleiner Mann und jetzt, ohne seine Persönlichkeit, die den Raum um ihn herum stets gefüllt hatte, sah er noch kleiner aus als je zuvor, aber er war so schwer, dass sie zu keuchen anfingen.
»Er wiegt eine Tonne.« Emma schnappte nach Luft.
»Lass ihn nicht fallen.« Carlina wackelte auf ihren hochhackigen Schuhen vorwärts und stieß die alte Tür zum Schlafzimmer mit ihrem Fuß auf.
Sie seufzten beide vor Erleichterung, als sie ihn auf dem Bett abgelegt hatten. Mit einem leichten Ächzen gab die Matratze nach.
»Wir müssen ihm das Hemd und die Hose ausziehen.« Carlina wurde schlecht.
»Was? Warum?«
Carlina hielt sich am Bettpfosten fest, um sich zu stützen. »Wie wahrscheinlich ist es wohl, dass er in voller Hochzeitsmontur zu Bett geht?«
Emma warf ihr einen Blick zu und zog ihre schmalen Augenbrauen zusammen. »Dein Gesicht ist ganz grün.«
Carlina presste ihre Hand vor den Mund. »Oh.« Sie rannte zum Badezimmer.
Als sie einige Minuten später wiederkam, musste sie eine Hand an die Wand stützen, um sicher zu sein, dass es noch irgendetwas auf der Welt gab, an dem sie sich festhalten konnte.
»Ich hab’s schon erledigt.« Emma stopfte einen Bettzipfel hinter Nicos Schulter und richtete sich auf. »Wir können jetzt gehen.« Sie sah kühl und gelassen aus, als ob sie jeden Tag Tote ausziehen würde.
»Wo hast du seine Hose hingetan?«
Emma machte eine vage Handbewegung. »Sie ist da hinten.«
Carlina zwang sich, die stützende Mauer zu verlassen und ging quer durch den Raum. »Wir müssen sie aufhängen. Opa war ein Pedant. Er hätte niemals seine beste Hose so auf den Stuhl geworfen.«
Emma seufzte. »Vielleicht fühlte er sich schon schlecht.«
»Niemals.«
»Na, meinetwegen.« Emma nahm die Hose und faltete sie entlang der Bügelfalte, dann strich sie mit der flachen Hand darüber und hängte sie über die Holzlehne des Stuhls in der Ecke.
»Ich habe meinen Schal vergessen.« Emma verließ den Raum, ohne die Tür hinter sich zu schließen. »Ich laufe nur rasch hoch, um ihn zu holen. Und ich öffne die Vorhänge in der Küche wieder, damit sich niemand wundert. Vergiss dein Telefon nicht. Es ist noch auf dem Tisch. Und beeile dich.« Ihre letzten Worte wurden fast vom Klappern ihrer hochhackigen Schuhe übertönt.
Carlina faltete Nicos weißes Hemd und legte es neben seine Hose. Sie schaute sich noch einmal in dem Zimmer um, sorgfältig darauf achtend, nicht auf die eingesunkene Gestalt im Bett zu sehen, dann schloss sie die Tür hinter sich.
Für einen Augenblick lehnte sie sich an die Tür und ließ ihre heiße Stirn auf das glatte Holz sinken. Das ist der größte Fehler deines Lebens.
»Carlina? Kommst du?«
Carlina richtete sich auf. »Sì, sì. «
»Wo ist denn Vater?« Carlinas Mutter schob sich entlang der Kirchenbank näher an ihre Tochter heran. Ihr langer, blauer Rock wickelte sich um ihre Beine, und sie zog ungeduldig daran, um sich zu befreien.
»Schhhh.« Carlina legte einen Finger auf die Lippen und zeigte auf den Altar, wo Emma und Lucio vor dem Priester standen.
Fabbiola stellte sich auf die Zehenspitzen und brachte ihren Mund ganz nah an das Ohr ihrer Tochter. »Warum wart ihr so spät?« Ihr Parfüm roch nach Maiglöckchen.
»Erzähl ich dir später.« Carlina stand stocksteif und starrte nach vorne. Lass mich in Ruhe. Bitte.
»Wo ist dein Opa?« Fabbiola bohrte ihr den Ellenbogen in die Seite.
Schweißperlen bildeten sich auf Carlinas Stirn. Sie senkte ihre Stimme, sodass nur Fabbiola sie verstehen konnte. »Er wollte nicht kommen.«
»Warum nicht?« Fabbiolas Stimme wurde lauter.
Tante Maria, die auf der Bank vor ihnen saß, drehte sich herum und sah die beiden Frauen vorwurfsvoll an. Die drei riesigen Federn, die ihren Hut verzierten, hatten einmal quer durch Carlinas Gesicht gewischt und sie an der Nase gekitzelt.
Carlina nieste.
»Sei leise«, flüsterte Fabbiola. »Du störst den Gottesdienst.«
Der Priester wandte sich an die Gemeinde. »Liebe Schwestern und Brüder vor dem Herrn, lasst uns jetzt Hymne 232 singen, das goldene Tor zum Paradies.«
Während alle mit den Liederbüchern raschelten, stieß Fabbiola ihre Tochter erneut in die Seite. »Du versteckst etwas, Carlina. Raus damit.«
Carlina nahm das gefaltete Programmheftchen und fächelte sich damit Luft zu. »Es ist heiß hier.« Wie gut, dass ihr Kleid vorne und hinten weit ausgeschnitten war.
»Caroline.« Oh Gott. Jetzt war sie schon Caroline anstelle von Carlina. In zwei Minuten würde sie zu Caroline Arabella werden. Verzweifelt beugte sie sich zum Ohr ihrer Mutter. »Er hat gesagt, dass er eine böse Vorahnung hatte.«
Die Orgel spielte die ersten Noten.
»Eine böse Vorahnung?« Fabbiolas blauer Hut wackelte. »Aber er war über die bösen Vorahnungen doch schon hinweggekommen!«
»Schhhh.« Carlina legte den Finger auf den Mund. »Du störst den Gottesdienst.« Sie holte tief Luft und trällerte zusammen mit der Gemeinde »Ja, das goldene Tor zum Paradies, zum Paradies, zum –«
»Caroline Arabella!«
Carlina brach mitten im Paradies ab. »Sie kam zurück.«
»Was kam zurück?« Fabbiola hatte zur Feier des Tages ihre Fingernägel knallrot lackiert. Sie sahen wie fette Bluttropfen aus.
Carlina wendete ihren Blick ab. Mir wird nicht schlecht. Nicht noch einmal. »Die Böse-Vorahnungs-Phase ist zurückgekommen.«
»Oh Madonna.«
»Ja, die goldenen Tore zum Paradies, zum Paradies, zum Paradies …« Carlina sang so laut sie konnte. Vielleicht würde ihre Mutter den Hinweis verstehen und aufhören zu reden.
»Hat er das mit der bösen Vorahnung vor Emma gesagt?« Fabbiolas Flüstern übertönte die Musik.
Carlina schloss für einen Moment die Augen. »Ja.«
Fabbiolas braune Augen wurden rund. »Ich wette, sie hat einen Anfall bekommen.«
Das zumindest stimmt. Carlina nickte und trällerte eine letzte Note. Ein Jammer, dass das Lied so kurz war.
Sie setzten sich wieder und eine Minute lang hörte man nur das Rascheln der Kleider und das Husten von Onkel Teo.
Der Priester öffnete seine Bibel.
»Hat Vater sich gut gefühlt?« Fabbiola warf dem Priester, der es wagte, sie mit dem Beginn seiner Predigt zu unterbrechen, einen verärgerten Blick zu.
»Besser als je zuvor.« Die Worte kamen aus ihrem Mund, bevor sie sie zurückhalten konnte. Carlina wurde rot. Das ist jetzt nicht der richtige Augenblick für schwarzen Humor, Carlina.
»Aber –«
Tante Maria drehte sich wieder herum. Der Blick ihrer schwarzen Augen war erfüllt von einer Mischung aus Vorwurf und Neugierde, als er über sie hinwegschweifte. Eine Wolke aus Knoblauchgeruch waberte in Carlinas Richtung.
Carlina funkelte ihre Mutter an. »Jetzt nicht, Mama. Ich erzähle es dir später.«
Fabbiola seufzte, dann zuckte sie mit den Schultern und blickte zum Priester.
Carlina beobachtete sie misstrauisch aus den Augenwinkeln. Sie wusste, was jetzt passieren würde. Ihre Mutter brauchte in der Kirche immer nur eine Minute, um festzustellen, dass der Priester nicht interessant genug war, um sie wachzuhalten. Heute dauerte es noch nicht einmal so lange.
Fabbiola schnappte sich ihr geliebtes Kissen, das schon auf der Bank bereitlag, rutschte tiefer und schob es hinter ihren Kopf.
Carlina unterdrückte einen Seufzer. Wenn sie nicht so klein wäre, könnte sie nicht in der Kirche schlafen. Andererseits, wenn sie größer wäre, könnte sie sich kurzerhand der Länge nach auf der Bank ausstrecken. Das wäre mal ein Anblick. Der Gedanke brachte sie zum Lächeln. Wenigstens schnarcht sie nicht.
Sie blickte wieder zum Priester. Der riesige Altar, das lebensgroße goldene Kreuz und die flackernden Kerzen in fünf massiven Kerzenleuchtern ließen den Mann Gottes da vorne trotz seines weißen Talars klein und unbedeutend erscheinen.
Aber er hat eine beruhigende Stimme. Ein wenig wie Opa. Carlina schluckte. Ich werde ihn vermissen. Es war nie langweilig, wenn er in der Nähe war. Sie biss sich auf die Lippe. Ich werde nicht weinen. Wenn sie das tat, würden diverse Familienmitglieder glauben, dass sie weinte, weil sie noch nicht verheiratet war. Sie sollte sich besser einige schlaue Antworten auf die unvermeidlichen Fragen überlegen, die später kommen würden.
Der Priester leierte seinen Text weiter herunter. Er schien seine Predigt nie zu ändern. Carlina fühlte sich, als ob sie die Zeremonie bald selbst abhalten könnte. Wie viele Mantonis hatte er dieses Jahr schon getraut? Fünf? Sechs? Die letzte Hochzeit war die von Angela und Marco gewesen, vor drei Monaten. Sie hatte noch nie ein so schönes Brautpaar gesehen. Die Braut war nicht so sexy gekleidet gewesen wie Emma, aber voller Klasse und Eleganz. Marco hat genug Sexappeal für zwei, egal ob im Anzug oder in Jeans. Carlina konnte seinen dunklen Kopf zwei Reihen vor sich sehen. Er wird ein erfolgreicher Arzt werden, obwohl er neu in Florenz ist. Die Frauen werden in Scharen zu ihm stürmen.
Als der Gottesdienst vorbei war, versteckte Carlina sich hinter einer Säule an der Seite der Kirche. Sie wollte mit niemandem sprechen.
Schließlich leerte sich die Kirche und nur der Priester blieb zurück. Als er an ihr vorbeiging, hallten seine Schritte auf den Steinplatten wider. Carlina zwang sich, ihm zu folgen. Ihr Herz war schwer. Die doppelflügelige Tür zu der katholischen Kirche stand weit offen und die Septembersonne tanzte in staubigen Strahlen auf den alten Holzbänken. Lautes Lachen grüßte Carlina, als sie auf die Stufen trat. Sie schloss die Augen, geblendet von dem hellen Licht, und atmete tief ein. Die Luft roch klar, ein willkommener Wechsel zu dem schweren Dunst des Weihrauchs in der Kirche.
»Bitte stellt euch alle auf die Stufen.« Onkel Ugo wedelte mit seiner großen Kamera und breitete die Arme aus, während er einzelne Familienmitglieder wie abtrünnige Schafe in die richtige Position brachte. »Jetzt lächeln!«
Carlina blieb, wo sie war, fast komplett verborgen hinter ihrer dicken Tante Maria. Gehorsam lächelte sie an den wehenden Federn von Tante Marias Hut vorbei, aber ihr Blick ging weit über die Gruppe hinweg.
Zu ihrer Linken erstreckten sich die fliederfarbenen Hügel der Toskana in weichen Wellen. Von ihrer Position aus hatte sie einen fantastischen Blick über Florenz und das historische Stadtzentrum unten im Tal. Die beeindruckende Kuppel des Doms glänzte im Sonnenlicht, ein sattes Gold, mit dem Campanile direkt daneben, der mit schlanker Eleganz in den Himmel ragte. Die rötliche Farbe der Terrakottadächer um sie herum wirkte warm und einladend. Carlinas Herz weitete sich vor Glück. Sie liebte Florenz, seine Schönheit, seine Geschäftigkeit. Sie hatte sich schon während der Sommerurlaube als Kind in die Stadt verliebt, aber auch als sie endgültig nach Florenz gezogen war – eine verängstigte und trauernde Dreizehnjährige –, hatte der Zauber nie nachgelassen. Vielleicht ist das anders, wenn du hier geboren bist, dann siehst du es nicht als Geschenk. Sie blickte in die Gesichter neben sich. Hatte irgendjemand einen Blick für die Stadt übrig, die wie Dornröschen zu ihren Füßen schlief? Sie fing den Blick ihres Bruders auf. Enzo war sechs Jahre alt gewesen, als sie von Seattle hierher zogen. Vielleicht war er mehr Italiener als sie es war.
Ihr Bruder winkte ihr zu. »Carlina!«
Sie winkte zurück, aber blieb, wo sie war, denn ihre Mutter stand neben ihm. Sie musste ein Auge auf ihre Mutter haben, den ganzen Tag lang, um sicherzustellen, dass immer genug Abstand zwischen ihnen lag. Fabbiola wusste, wie man ihr ein Geheimnis entlocken konnte.
Zu Carlinas Rechten, hinter der Kirche, standen fünf Zypressen in einer Reihe wie schlanke Wachen. Ein weicher Schleier lag in der Luft und milderte ihr dunkles Grün ab. Der Sommer war vorbei, aber es war noch warm genug, um kurzärmelig herumzulaufen. Hinter den Zypressen befand sich ein Friedhof, der sich über den sanft abfallenden Hügel bis nach unten ausdehnte. Der Anblick brachte sie unsanft auf die Erde zurück. Opa war tot. Sie würden das nächste Mal zur Beerdigung wieder hier sein. Carlina unterdrückte einen Seufzer.
Die Federn von Tante Maria wischten wieder über Carlinas Gesicht, als sie sich umdrehte. »Du wirst auch bald an der Reihe sein, Carlina.« Die kleinen Augen blinzelten ihr zu.
Carlina nickte, biss die Zähne zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. Sie ging einen Schritt zurück, um zu vermeiden, dass die Federn sie ein drittes Mal streiften.
In diesem Augenblick erschien Alberta, die älteste Schwester ihrer Mutter, aus dem Nichts und warf Carlina unter ihrem entsetzlichen grünen Hut einen prüfenden Blick zu.
Verdammt. Bestimmt hat sie Tante Maria gehört.
Tante Maria drehte sich mit einer so schnellen Bewegung weg, dass Carlina ein Lächeln unterdrücken musste. Dann wappnete sie sich innerlich. Tante Alberta war bekannt für ihre stechenden Bemerkungen.
»Du solltest aufhören, sie alle zu verjagen, Carlina.« Alberta schob ihren Hut höher, sodass sie besser sehen konnte. »Du machst den Männern Angst. Niemand will eine unabhängige Frau haben. Ich kann schon verstehen, dass Giulio die Verlobung gelöst hat.«
Ich habe die Verlobung gelöst. Nicht er. Carlina wollte den blöden Hut von Tante Albertas Kopf schlagen. Außerdem ist das fünf Jahre her, also könnten wir uns wirklich über einen aktuelleren Skandal unterhalten.
Alberta entschied sich, Carlinas wütenden Blick zu ignorieren und fuhr ungehemmt fort. »Du solltest ein wenig verständnisvoller sein. Du wirst auch nicht jünger, weißt du. Mit fünfunddreißig bist du fast schon eine alte Jungfer.« Ihr falsches Lächeln spannte die runzelige Haut über ihren Lippen.
»Zweiunddreißig«, sagte Carlina durch ihre zusammengebissenen Zähne.
Alberta winkte nonchalant ab. »Wie auch immer. Meine Angela hat einen wunderbaren Mann gefunden.« Sie seufzte theatralisch. »Aber sie ist natürlich auch eine Schönheit.«
Und das weiß sie auch genau. Carlina schaute an ihrer Tante vorbei. Ich möchte mich jetzt gern auf meine Vespa schwingen und einfach losfahren. Das Weinlaub ist schon rot und um diese Jahreszeit riecht die Erde so intensiv.
Ihre Tante schaute sie prüfend an. »Du siehst nicht wie die anderen Mädchen der Familie aus.« Sie blies die Luft aus der Nase. »Du kommst wohl eher nach deinem Vater.«
Jetzt reicht es aber. »Ich habe auch keine Zunge, die so scharf ist wie ein Küchenmesser, was ein anderer typischer Familienzug zu sein scheint.« Carlina tat so, als ob sie lächeln würde und hoffte, dass es gelassen wirkte.
An dem Zucken von Tante Marias Schultern sah Carlina, dass sie vor sich hin lachte.
Alberta wurde rot. »Ich werde mit deiner Mutter über deine Manieren sprechen müssen.« Sie verschob ihren Hut erneut. Jetzt saß er wie ein schiefes Ei auf ihrem Kopf. »Wo ist eigentlich Vater?« Ihre Stimme klang laut, deutlich vernehmbar über alle Köpfe hinweg. »Ich habe ihn noch gar nicht gesehen. Deine Mutter sagte, dass ich dich fragen solle.«
Mehrere Leute schauten sich um.
Carlina nahm die Schultern zurück. »Er hat sich entschieden, zu Hause zu bleiben.«
»Was?« Alberta runzelte die Stirn so sehr, dass ihr Gesicht wie eine alte Walnuss aussah. »Er wird so langsam wirklich komisch.«
Er war immer komisch. Aber auf eine liebenswerte Art.
»Warum um alles in der Welt wollte er denn nicht kommen?«
»Die Böse-Vorahnungs-Phase ist zurück. Er meinte, es sei sicherer, wenn er zu Hause bleiben würde.« Je häufiger sie es sagte, umso mehr klang es wie die Wahrheit.
»Aber diese Phase hatte er doch hinter sich gelassen!« Alberta presste die Lippen zu einem Strich zusammen. »In den letzten Monaten hat er doch immer nur darüber gesprochen, dass unsere dunkle Vergangenheit uns einholen würde.«
»Wirklich?« Carlina tat so, als ob sie noch nie von Nicos letztem Tick gehört hätte. »Welchen Teil deiner Vergangenheit hat er erwähnt?«
Alberta richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. »Nichts, was dich etwas angeht.«
Bravo, Opa. Ich hoffe, du hast sie kräftig irritiert, auch wenn du alles erfunden hast. Carlina nickte ihrer Tante kühl zu und tat so, als ob sie jemanden auf der anderen Seite der Menge entdeckt hätte. »Ich muss los. Wir sehen uns später, Tante Alberta.«
Den Rest des Tages wich sie ihrer Mutter aus und wechselte das Thema, sobald jemand Nico erwähnte. Jedes Mal, wenn sie einen Blick mit Emma wechselte, fragte sie sich, wieso ihre Cousine so wirken konnte, als ob kein Wölkchen am Horizont die Stimmung trüben könne. Emma sah ausgeglichen und glücklich aus, souverän und kontrolliert. Aber Emma ist eine sehr zielstrebige Frau. Sie hat ihre Gefühle immer im Griff. Carlina traute sich nicht zu seufzen, obwohl ihr danach war. Sie hatte heute schon genug mitleidige Blicke geerntet.
Um Viertel vor neun fiel sie erleichtert in ihren Stuhl an der festlichen Tafel. Das Schlimmste war vorbei. Essen, dann ein wenig tanzen und dann konnte sie nach Hause gehen. Morgen … nein, sie wollte lieber nicht an Morgen denken. Sie würde –
»Oh, hallo«, sagte eine dunkle Stimme über ihr.
Carlina schaute überrascht hoch. »Hallo.«
Angela erschien und nahm ihren Mann beim Arm. »Das ist Caroline, Marco. Sie ist meine Cousine.«
»Wir haben uns schon kennengelernt.« Carlina lächelte Marco an und stand auf, um ihm die obligatorischen Familienküsschen auf die Wangen zu geben. Er roch gut, nach Zedernholz und einem anderen Duft, den sie gerade nicht zuordnen konnte.
»Es tut mir leid.« Ein Lächeln erschien in seinen Mundwinkeln. »Es ist ein wenig schwierig, sich alle Namen zu merken, obwohl ich mich an dein Gesicht erinnere.« Er hielt ihr den Stuhl hin und wartete, bis sie saß, dann half er seiner Frau und setzte sich selbst. »Es scheint sehr viele Cousinen und Cousins zu geben.«
»Absolut.« Carlina mochte ihn. »Meine Mutter hat sechs Brüder und Schwestern, die alle mehrere Kinder haben. Es ist schwer, sich durch Florenz zu bewegen, ohne über ein Mitglied des Mantoni-Clans zu stolpern.«
Er lächelte. »Das habe ich schon bemerkt.«
»Wir nennen sie ›die Gang‹.« Carlina schob das kunstvolle Arrangement aus Orchideen mit beiden Händen zur Seite, um mehr Platz zu haben.
Marco hob die Augenbrauen. »Das klingt gefährlich.«
»Ist es auch.« Und wenn du wüsstest, dass ich gerade meinen toten Großvater verstaut habe, würdest du mir auch glauben.
Angela beugte sich nach vorne, sodass ihr dunkles Haar über ihre Schulter fiel. »Jetzt erschrecke ihn nicht, Caroline. Wir sind eine ganz normale Familie.«
»Das hängt davon ab, wie du normal definierst.« Sie ist die Einzige, die mich nie Carlina nennt.
»Quatsch.« Angela fingerte nervös an ihrer leinenen Serviette herum. »Es ist überhaupt nichts falsch an –«
»Carlina!« Die dröhnende Stimme hinter Carlina brachte die Kristallgläser zum Klirren.
Marco schrak zusammen.
»Onkel Teo!« Carlina sprang auf und küsste ihren Großonkel. »Wie geht es dir?« Sie blickte prüfend in sein Gesicht, um nach Zeichen von Erschöpfung Ausschau zu halten.
»Ging mir nie besser, mein Mädchen, nie besser!« Die wenigen Haare auf Onkel Teos Kopf standen wild in die Höhe, im krassen Gegensatz zu seinem perfekt sitzenden dunklen Anzug und dem weißen Hemd. Seine Augen glänzten und seine Wangen waren rosig, sodass man sah, wie gut er sich amüsierte.
Die Ähnlichkeit zu Nico traf Carlina wie eine Faust in den Magen.
»Was höre ich von Fabbiola?« Onkel Teo grinste sie an. »Nico ist krank?«
Marco schnappte nach Luft. »Für einen Augenblick habe ich geglaubt, es sei Nico selbst«, sagte er leise zu Angela.
Carlina hörte es. Ha, ha. Unsere normale Familie verwirrt ihn jetzt schon. Sie umarmte ihren Großonkel. Er fühlte sich zerbrechlich und klein an. Traurigkeit übermannte sie.
Angela beugte sich näher zu ihrem Mann. »Nein, das ist Teo. Er zieht sich besser an als Nico. Das ist der einzige Unterschied, an dem du sie auseinanderhalten kannst.«
Carlina richtete sich mit Mühe gerade auf. »Er hat wieder die Böse-Vorahnungs-Phase.« Ihre Stimme klang unsicher. »Also hat er sich entschieden, zu Hause zu bleiben.«
Onkel Teo kicherte. »Also so schlimm, ja?«
Carlinas Mund wurde trocken. »Was meinst du?«
»Ich wette, er fühlte sich zu schlapp und wollte nicht die ganze Nacht wach bleiben.« Er stolzierte zwei Schritte auf und ab und zwinkerte Carlina zu. »Aber ich bin noch lange nicht am Ende, ganz egal, was der Arzt sagt!« Er schaute quer durch den Raum zu seiner Frau.
Tante Maria hob einen Arm und winkte ihm zu.
»Maria sagt, ich muss zu unserem Tisch zurückkommen. Wir sehen uns später.« Er wackelte mit seinen weißen Augenbrauen. »Aber vergiss nicht, dass ich mit dir tanzen will. Ich möchte mit all meinen schönen Nichten tanzen.« Er grinste Angela an. »Ich bin nicht zu alt dafür. Schlechte Vorahnungen. Ha. Ich wette, Nico ist noch nicht einmal annähernd so fit, wie ich es bin.«
Carlina schluckte. Wie recht er hat.
Onkel Teo winkte ihnen noch einmal zu und stolzierte davon.
Puh. Carlina fühlte sich, als ob alle ihre Muskeln zu Wasser geworden wären.
Marco schüttelte den Kopf. »Warum ist er so glücklich, dass sein Zwillingsbruder nicht dabei ist?«
Angela seufzte und fuhr sich mit der Hand durch das lange Haar.
Carlina sagte: »Weil sie in ewigem Wettstreit stehen. Vom ersten Tag ihres Lebens an wollten sie sich gegenseitig übertrumpfen. Manche sagen, dass sie nur deshalb beide sieben Kinder bekommen haben, weil jedes Mal, wenn einer ein neues Baby bekam, der andere schnurstracks nach Hause ging und seiner Frau sagte, dass er auch noch eines haben wolle.«
»Caroline! Wenn du das so sagst, klingt es ganz schön anstößig.« Angela zog ihre schmalen Augenbrauen zusammen.
Marco lachte in sein Glas.
»Aber gar nicht.« Carlina spielte mit der weißen Zuckermandel auf ihrem Teller. Jetzt ist der Wettkampf vorbei, aber Onkel Teo weiß es noch nicht.
»Warum haben sie denn bei sieben Kindern aufgehört?« Marco legte eine Hand auf den Arm seiner Frau, aber schaute weiterhin Carlina an.
»Weil meine Großmutter nach der Geburt des siebten Kindes starb.« Sie drehte die Mandel im Kreis, versunken in ihre Gedanken. »Mein Opa hat alle Kinder alleine aufgezogen, obwohl man ehrlich sagen muss, dass Onkel Teo und Tante Maria ihn immer sehr unterstützt haben.«
Marco pfiff durch die Zähne. »Wow.«
Angela zog ihre Hand zurück. »Ich hasse es, wenn du das tust.«
»Was?«
»Dieses Pfeifen. Das ist so vulgär.«
Mamma mia. Carlina unterdrückte das Bedürfnis, die Augen zu rollen. Sie ist so spießig! Vielleicht wurde sie bei der Geburt vertauscht? Sie lächelte in sich hinein.
»Was ist so lustig?« Marcos dunkle Augen blickten ihr fragend ins Gesicht.
»Ach, nur die Familie. Ich finde, sie ist eine Quelle unerschöpflicher Unterhaltung.« Allerdings nur in Kombination mit meinen Gedanken.
»Carlina!«
Jemand zog ihr die Bettdecke weg. Carlina hielt sie mit aller Kraft fest, die ihre müden Arme hervorbringen konnten, aber ihre Finger glitten von dem weichen Baumwollstoff ab, und ein kalter Windzug wehte um ihre Beine. Sie schauderte.
»Carlina! Steh auf!« Fabbiola schluchzte. »Vater ist tot.«
Carlina schoss hoch, der Schock wie ein heißer Blitz in ihrem Körper. »Oh Gott, ich habe verschlafen.« Ihre Stimme war schlaftrunken.
»Was?« Fabbiolas Augen waren gerötet. »Was hast du gesagt?«
»Nichts.« Carlina sprang aus dem Bett und rannte zur Wohnungstür.
»Carlina! Stopp!«
Carlina fuhr herum. Wach auf, du Dummkopf.Du brauchst jetzt all deine Kraft. »Ich … ich kann es nicht glauben, Mama. Ich muss runtergehen und es mir selbst ansehen.« Sie rieb sich die Augen.
»Du kannst aber nicht in diesem … diesem Nichts aus Spitzen runtergehen.« Fabbiola zeigte mit einem wackeligen Finger auf das Nachthemd ihrer Tochter.
»Oh. Richtig.« Carlina lief rasch in ihr kleines Badezimmer und schnappte sich den weißen Bademantel aus Seide mit dem roten Gürtel. Sie beugte sich über das Waschbecken, machte den Wasserhahn an und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. So langsam wurden die Dinge klarer. Sie trocknete ihr Gesicht ab und drehte sich zu ihrer Mutter herum, die an der Schwelle zum Badezimmer stand.
Fabbiolas hennarotes Haar hing in Strähnen herunter und die Mascara der letzten Nacht hatte große dunkle Schatten unter ihren Augen hinterlassen. Sie trug ihren gelben Morgenmantel aus Seide – ein Geschenk von Carlina – links herum.
Eine Welle aus Zärtlichkeit überkam Carlina. »Wer hat ihn gefunden?«
Fabbiola wrang die Hände. »Teo. Er sagte, er wollte mit seinem Bruder über die Hochzeit sprechen.«
»Oh Gott.« Carlina wurde ganz kalt. »Geht es ihm gut? Was ist mit seinem Herzen?«
»Es ist alles in Ordnung. Er sagt, dass sein Herz ihm überhaupt keine Probleme macht.«
Carlina seufzte. Wahrscheinlich wollte er damit angeben, dass er die ganze Nacht wach geblieben war und alle möglichen schwerverdaulichen Dinge gegessen hatte, ohne dass es einen negativen Effekt gehabt hatte. Verdammt. Ich wollte ihm den Schock ersparen. »Und dann?«
»Er fand ihn tot im Bett und kam dann hoch, um mich zu wecken.«
Oh nein. Carlina ging zu ihrer Mutter und umarmte sie. »Es tut mir so leid, Mama. Er war ein wunderbarer Mann.«
Fabbiola erwiderte die Umarmung mit einem Schluchzen. »Es kommt so unerwartet. Gestern war er noch wie immer und heute …« Sie zitterte und weinte haltlos.
Carlina hielt sie tröstend im Arm. Sie wartete, bis ihre Mutter sich beruhigt hatte, dann sagte sie mit sanfter Stimme. »Habt ihr den Arzt gerufen?«
Fabbiola wischte sich die Augen. »Ich habe es versucht, aber er ist krank und ich hatte nur den Anrufbeantworter dran. Die Ansage lautet, dass man im Notfall das Krankenhaus anrufen solle.« Sie schnupfte. »Natürlich ist Enrico krank, wenn man ihn mal braucht. Das ist so typisch.«
»Aber Mama, er war doch immer hier, wenn einer von uns krank war. Hast du einen anderen Arzt angerufen?« Carlina schaute sich nach ihrem Mobiltelefon um.
Fabbiola richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. »Natürlich nicht! Als ob ich jemanden anrufen würde, den ich noch nie im Leben gesehen habe.« Sie beäugte ihre Tochter, die mit entschlossenem Gesicht ihre Handtasche durchsuchte. »Und wag es bloß nicht, einen Fremden anzurufen. Ich möchte keinen unbekannten Mann in meinem Haus haben.«
»Mama.« Carlina fischte ihr Mobiltelefon aus der Tasche und hielt es hoch. »Wir müssen jemanden anrufen. Ohne Sterbeurkunde können wir nichts tun. Wir brauchen einen Arzt, um eine Sterbeurkunde zu bekommen.«
»Oh Madonna, ich möchte das nicht diskutieren!« Fabbiola schlang ihre Arme um ihren Körper. »Mein Vater ist tot und wir streiten uns über Nebensächlichkeiten.«
»Es ist keine Nebensächlichkeit, Mama.« Carlina versuchte, ihre Stimme ruhig zu halten. Es lenkte sie von ihrer Trauer ab, sich um Organisatorisches zu kümmern. »So ist das Gesetz. Wir haben gar keine Wahl.« Sie schaute auf ihr Telefon und runzelte die Stirn. »Vielleicht –«
»Warte!« Fabbiola streckte ihre Hand aus. »Ich habe eine Idee! Wir rufen Marco.«
Carlinas Hand sank nach unten. »Marco? Warum sollte Marco uns helfen können?«
Fabbiola zischte ungeduldig. »Nicht Marco der Tischler. Ich meine Angelas Marco. Dein neuer Cousin! Er ist doch Arzt, oder nicht?«
»Na ja, schon, aber er ist doch gerade erst mit der Uni fertig und –« Carlina schauderte und zog ihren Bademantel enger um sich.
»Quatsch.« Fabbiola hielt ihre Hand gebieterisch hoch. »Gib mir dein Telefon. Ich rufe ihn an. Er gehört zur Familie. Das zählt.«
Als Marco an der Via delle Pinzochere 10 ankam, schlugen die Glocken von Santa Croce gerade elf Uhr. Carlina hörte das vertraute Läuten mit Erleichterung. In fünf Minuten würde Emmas Flugzeug von Pisa abfliegen und nichts würde ihren Urlaub in Afrika stoppen können. Die Hochzeit war ein voller Erfolg gewesen, die Hochzeitsreise würde ohne Probleme verlaufen und wenn Emma wiederkam, würde das Schlimmste schon vorbei sein. Ich muss jetzt nur noch ein oder zwei Tage stark sein. Solange ich mich an meine Geschichte halte und dabei bleibe, wird niemand auf die Idee kommen, komische Fragen zu stellen.
Die halbe Familie war in Nicos kleiner Küche versammelt. Die, die nicht hineinpassten, standen im Eingang herum. Carlina schüttelte den Kopf. Sie verstand immer noch nicht, wie sich Neuigkeiten im Mantoni-Clan schneller als mit Lichtgeschwindigkeit verbreiten konnten.
Tante Maria lehnte am Gasherd und atmete schwer. Jeder Atemzug brachte eine Wolke voller Knoblauchgeruch mit sich, so wie ein kleiner Drache mit jedem Atemzug eine Flamme spuckte.
Carlina runzelte die Stirn. Wo war Onkel Teo? War er noch bei seinem toten Bruder? Auf der anderen Seite der Küche, so weit weg wie nur irgend möglich von Tante Maria, entdeckte sie Angela, die ihre Arme vor der Brust verschränkt hatte und ungeduldig mit einem elegant beschuhten Fuß auf das abgenutzte Linoleum klopfte. Ich wette, sie ist nicht glücklich darüber, dass ihr Mann die Sterbeurkunde unterzeichnen soll.
Neben ihr standen Ernesto und Annalisa, Cousin und Cousine von Carlina, mit weit aufgerissenen Augen. Ihre roten Haare leuchteten in der späten Morgensonne, die durch das Fenster schien. Mit ihren siebzehn und neunzehn Jahren waren sie vom Tod noch stärker erschüttert als die Älteren. Ihre Mutter Benedetta hatte den Arm um Annalisas Schultern gelegt und schniefte in ein Taschentuch, aber sie hatte die Zeit gefunden, ihren leuchtend roten Lippenstift aufzutragen. Hinter ihr entdeckte Carlina ihre Schwester Gabriella mit ihrem Mann Bernando, beide mit verweinten Augen. Gabriellas braune Locken waren in wirrer Unordnung, als ob sie sie zuletzt vor einer Woche gebürstet hätte. Wo kommen die denn her? Sie leben dreißig Kilometer weit weg. Gott sei Dank hatten sie die kleine Lilly nicht mitgebracht. Sie würde schon genug um ihren Urgroßvater trauern, auch ohne ihn tot zu sehen.
Fabbiola regierte über die Menge, indem sie in der Mitte stand und Papiertaschentücher verteilte. Carlina schlüpfte in die Küche und vermied jeden Augenkontakt. Sie wusste, dass sie sofort anfangen würde zu weinen, wenn sie ein trauriges Gesicht sah.
Eine Bewegung an der Tür brachte sie dazu, sich umzudrehen. Es war Marco. Sein gut aussehendes Gesicht war blass. Er zog die Schultern ein, als ob er einen Schlag erwartete und wendete sich an Carlina. »Hast du einen Stift?«