Aru gegen die Götter, Band 5: Der Trank der Unsterblichkeit (Rick Riordan Presents: abenteuerliche Götter-Fantasy ab 10 Jahre) - Roshani Chokshi - E-Book

Aru gegen die Götter, Band 5: Der Trank der Unsterblichkeit (Rick Riordan Presents: abenteuerliche Götter-Fantasy ab 10 Jahre) E-Book

Roshani Chokshi

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Beschreibung

Wer die Götter herausfordert, dem ist echt nicht zu helfen … Das Ende des Universums naht! Der weltenverschlingende Schläfer steht kurz davor, den Nektar der Unsterblichkeit an sich zu bringen. Aru und ihre Pandava-Schwestern sind die letzte Hoffnung der Anderwelt. Nur sie können in das Labyrinth eindringen, in dem der Nektar aufbewahrt wird. Doch diesmal müssen sie dem Schläfer und seiner Armee ganz ohne ihre magischen Götterwaffen entgegentreten. Wie sollen sie das nur schaffen? Persönlich empfohlen von "Percy Jackson"-Autor Rick Riordan! Entdecke alle Abenteuer aus der Reihe "Rick Riordan Presents": "Zane gegen die Götter" von J. C. Cervantes Band 1: Sturmläufer Band 2: Feuerhüter Band 3: Schattenspringer "Ren gegen die Götter" von J. C. Cervantes Band 1: Nachtkönigin Band 2: Jaguarmagie "Sikander gegen die Götter" von Sarwat Chadda Band 1: Das Schwert des Schicksals Band 2: Der Zorn der Drachengöttin "Aru gegen die Götter" von Roshani Chokshi Band 1: Die Wächter des Himmelspalasts Band 2: Im Reich des Meeresfürsten Band 3: Das Geheimnis des Wunschbaums Band 4: Die Magie der goldenen Stadt Band 5: Der Trank der Unsterblichkeit "Tristan gegen die Götter" von Kwame Mbalia Band 1: Mythenweber

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Im Glossar findest du viele nützliche Erklärungen zu Begriffen, die in diesem Buch vorkommen, sowie Hinweise zu deren Aussprache. Alle Wörter, die im Glossar vorkommen, sind bei der ersten Erwähnung im Text kursiv gesetzt.

 

Als Ravensburger E-Book erschienen 2024

 

Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag

© 2024 Ravensburger Verlag

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel „Aru Shah and the Nectar of Immortality“ bei Disney • Hyperion, einem Imprint von Buena Vista Books, Inc.

Copyright © 2022 by Roshani Chokshi

Translation rights arranged by The Sandra Dijkstra Literary Agency.

All Rights Reserved.

Umschlagillustration: Melanie Korte

Umschlaggestaltung: Miriam Wasmus unter Verwendung von Bildern von © Katikam/Adobe Stock und © malkani/Adobe Stock

Übersetzung: Katharina Orgaß

Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

 

ISBN 978-3-473-51226-3

ravensburger.com

 

In der Reihe „Rick Riordan Presents“ sind erschienen:

 

Aru gegen die Götter

Die Wächter des Himmelspalasts

Im Reich des Meeresfürsten

Das Geheimnis des Wunschbaums

Die Magie der goldenen Stadt

Der Trank der Unsterblichkeit

 

Sikander gegen die Götter

Das Schwert des Schicksals

Der Zorn der Drachengöttin

 

Zane gegen die Götter

Sturmläufer

Feuerhüter

Schattenspringer

 

Ren gegen die Götter

Nachtkönigin

Jaguarmagie

 

Tristan gegen die Götter

Mythenweber

Band 2 erscheint im Frühjahr 2025

Band 3 erscheint im Herbst 2025

 

Dieses Buch ist für dich.Es soll dir zeigen, dass du gesehen und geliebt wirst,dass du stark bist und alles schaffen kannst,denn davon bin ich überzeugt. Und Spinnen erschlagenkann man damit bestimmt auch super.

 

Hallo,

ich muss dir etwas beichten. Was du gerade in der Hand hältst (oder in den Ohren/Krallen usw.), ist nichts anderes als eine wilde, gierige … Geschichte.

„So ein Quatsch!“, wirst du sagen. „Das hier ist bloß eine Geschichte.“

Äh …

Ab morgen sorge ich dafür, dass dein Buch dort bleibt, wo du es abends hingelegt hast. Geschichten sind bekanntlich lebendig. Und empfindsam. So etwas wie „bloß“ eine Geschichte gibt es nicht, womit wir beim nächsten Thema wären.

Wie so viele Geschichten, die ich geschrieben habe, ist auch diese hier lebendig, denn sie hat ihre Wurzeln in einer noch heute weltweit aktiven Religion, dem Hinduismus. Mit das Schönste am Hinduismus ist, dass die alten Mythen nicht von der heute gelebten Religion zu trennen sind. Als praktizierende Hindu möchte ich einerseits meiner Fantasie freien Lauf lassen, andererseits aber auch meiner Religion Respekt erweisen. Darum stammen die meisten Gottheiten, denen du in diesem Buch begegnen wirst, aus dem vedischen Zeitalter, das um 1500 vor Christus begann. Die vedische Religion wird oft als Vorläuferin des „klassischen“ Hinduismus betrachtet. Gottheiten wie Durga-Maa, Vishnu, Brahma und Shiva kommen in dieser Buchreihe nicht vor.

Trotzdem ist Arus Geschichte keine Einführung in den Hinduismus, weil hinduistische Mythen je nach Region ganz unterschiedlich sind. Diese Geschichte soll wie ein Fenster sein, durch das man auf ein weites Meer von spannenden Legenden und Traditionen hinausblickt. Wir Geschichtenerzähler schildern immer das, was wir lieben. Als Kind habe ich es geliebt, wenn mir meine Ba Geschichten über Götter, Helden und Dämonen erzählt hat. Für mich ist diese Buchreihe ein einziger langer Liebesbrief.

Ich hoffe, dass Arus Geschichte deine Neugier weckt, deine Vorstellungskraft beflügelt und vielleicht ja sogar (das würde mich am allermeisten freuen) den Weg in dein Herz findet.

Viele Grüße,

deine Roshani

Nicht jeder Verirrte verliert sich

Als Kara das Labyrinth betrat, das den Unsterblichkeitstrank irgendwo in seinen Tiefen verbarg, war sie erst einmal enttäuscht. Sie hatte sich einen Ort wie in den Märchenbüchern vorgestellt, die sie als Kind so oft gelesen hatte, bis sie auseinanderfielen. Einen üppig grünen Dschungel-Irrgarten, durch den fauchende Panther mit glühenden Augen schlichen.

Doch es war ganz anders. Das Labyrinth war eine Höhle. Eine stockdunkle.

Die einzige Lichtquelle war Karas Dreizack Sunny, der aus einem Tropfen Sonnenschein geschmiedet war. Nur Sunny konnte diese Dunkelheit durchdringen und Kara war die Einzige, die sich mit seiner Hilfe einen Weg durch das Labyrinth bahnen konnte, weil sie die Tochter des Sonnengottes Surya war. Dafür, dass ihnen niemand folgen oder sie gar überfallen konnte, hatte sie schon vor ein paar Tagen gesorgt.

Als sie sich daran erinnerte, wurde ihr ganz heiß. Beim bloßen Gedanken an Schuldgefühle bekam sie … Schuldgefühle. Auch wenn ihr Vater ihr immer wieder versicherte, dass sie sich richtig verhalten hatte.

Warum fühlte sie sich dann so elend, wenn sie daran dachte? An Arus bestürztes Gesicht und Brynnes entsetzten Aufschrei. Und daran, wie Mini, die sanfteste und liebevollste Pandava-Schwester, sich gekrümmt hatte wie nach einem Boxhieb in den Magen.

„Bist du so weit, Tochter?“

Karas Vater stand hoch aufgerichtet vor ihr und sah sie mit seinen verschiedenfarbigen Augen – einem blauen und einem braunen – eindringlich an.

„Ich bin sehr stolz auf dich“, sagte er mit seiner tiefen Stimme. „Du musstest heikle Entscheidungen treffen und hast bei jeder einzelnen das Richtige getan.“

Kara wurde warm ums Herz. Im Grunde konnte sie sich keinen besseren Dad wünschen. Er hatte sie von ihren schrecklichen Pflegeeltern weggeholt und sich um sie gekümmert, nachdem Krithika Shah, ihre leibliche Mutter, sie verlassen hatte.

Und doch glaubte Kara manchmal im Traum eine leise Stimme zu hören, die sagte: Er belügt dich.

Es war eine helle Mädchenstimme und wenn Kara sich konzentrierte, sah sie die Sprecherin vor sich: dunkelbraune Haut, geflochtene Zöpfe und eisblau leuchtende Augen. Sie sah genauso aus wie Sheela, eine der beiden Pandava-Zwillinge.

Du bist nicht echt!, hatte sie der Traum-Sheela einmal entgegengehalten.

Sheela hatte ruhig erwidert: Vielleicht wäre dir das bloß lieber.

Vermutlich wollte Kara einfach verdrängen, was ihr Krithika selbst bestätigt hatte: dass sie Kara als kleines Kind zurückgelassen hatte. Wer könnte es ihr übelnehmen?

Krithika hatte noch mal von vorn anfangen wollen und eine zweite Tochter bekommen, Aru. Aru war klug und lustig. Ihr Seelenvater war der legendäre Superheld Arjuna. Kara dagegen war ein unerwünschter Ausrutscher und hätte sich der Schläfer ihrer nicht angenommen, gäbe es sie gar nicht mehr.

„Denk an das, was wir erreichen wollen.“ Ihr Vater legte ihr eine warme Hand auf die Schulter. „Wir wollen eine bessere Welt erschaffen, in der wir alle als glückliche Familie zusammenleben können. So wie ich es dir versprochen habe.“

Eine Familie …

Nichts wünschte Kara sich mehr. Was sie zu Aru gesagt hatte, als sie die Astrakette zerstört hatte, war ihr Ernst gewesen. Sie liebte ihre Mutter und ihre Schwester. Sie tat das alles nur, damit sie zusammen sein konnten, statt einander zu bekämpfen.

Es war die einzige Lösung.

Er belügt dich …, raunte die innere Stimme wieder.

Kara gab sich einen Ruck. „Ja, ich bin so weit.“

Als sie den Dreizack hob, schlängelte sich ein breiter Sonnenstrahl durch das dunkle Labyrinth.

Hinter ihr hielten die Krieger ihres Vaters den Atem an. Sie waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen. Da gab es bleiche Rakshasas, die von ihren Schlachten gegen die Devas Brandwunden und Narben davongetragen hatten, aber auch äußerlich unversehrte Yakshas, die von den Menschen vertrieben worden waren. Und mit jeder Stunde schlossen sich mehr Wesen der Truppe an: Nymphen aus den Wäldern und den Himmelsgefilden, die einst von verwöhnten Menschenkönigen entführt worden waren, Geister, die früher Verbrennungsstätten unsicher gemacht hatten, sowie Affen und Bären, die im Dienst der Devas gekämpft und dafür keinen Dank geerntet hatten.

Ihnen allen hatte Karas Vater zugesichert, dass ihnen diesmal niemand den Unsterblichkeitstrank vorenthalten würde. Diesmal würden sie vom Amrita profitieren. Wann immer er darüber sprach, hingen sie hoffnungsvoll an seinen Lippen.

Trotzdem fragte sich Kara manchmal, was wirklich in ihm vorging. Wenn er sich unbeobachtet glaubte, tastete er oft nach dem Anhänger an seiner Halskette, die er niemals abnahm. Dann huschte jedes Mal ein gequälter Ausdruck über sein Gesicht.

„Geh du voran, Tochter!“, riss Suyodhana sie aus ihren Gedanken. „Sei der Held, der uns in ein neues Zeitalter führt.“

Die Heldin, hätte ihn Kara beinahe korrigiert. Aru, Brynne und Mini bestanden immer auf der weiblichen Form.

Doch Kara kam sich kein bisschen vor wie die Helden und Heldinnen aus ihren Büchern. Sie hatte keine Rüstung, die sie vor unerwünschten Gefühlen schützte. Kein magisches Ross, das sie in eine Schlacht trug, in der von vornherein feststand, wer die Guten und wer die Bösen waren. Sogar die Ungeheuer in ihrer Geschichte waren nicht nur bösartig.

Und was sagt das über dich aus?, raunte die innere Stimme.

Kara ignorierte sie und trat in die Dunkelheit.

Alles Mist!

Aru Shahs Leben war das totale Chaos.

Buh, ihr früherer Mentor in Taubengestalt, war momentan ein in Flammen stehendes Küken. Aiden hatte sie geküsst, verhielt sich aber jetzt, als wäre sie unsichtbar. Ihre Freundin Kara hatte sich nicht nur als ihre Halbschwester, sondern auch als Tochter des Sonnengottes entpuppt. Und als wäre das nicht schon genug für vierundzwanzig Stunden, hatte Kara Aru und die anderen auch noch verraten. Sie hatte die göttlichen Waffen der Pandavas vernichtet und war mit dem Schläfer verschwunden, um den Unsterblichkeitstrank zu suchen.

An Arus Geburtstag.

Zum Glück wusste Aru inzwischen, wo die beiden waren.

In Atlanta wurde es Abend und Arus Ohren brannten vom eisigen Februarwind. Die Potatoes standen vor dem von imposanten Steinpfeilern gerahmten Eingang zum Lullwater-Park. Laut Krithika Shah verbarg sich hier das Labyrinth mit dem Amrita – allerdings nur zehn Tage lang. Da allein Sonnenlicht einem den Weg durch die finsteren Gänge weisen konnte und sich der Schläfer ausgerechnet mit der Tochter des Sonnengottes zusammengetan hatte, standen die Chancen der Pandavas, den Trank als Erste zu finden, eher schlecht.

Es gelang ihnen gerade ja nicht mal, den magischen Schutzwall um den Park zu durchbrechen. Als Aru zum wiederholten Mal die Hand ausstreckte, spürte sie die Energie vor dem Parktor vibrieren wie einen undurchdringlichen Vorhang.

„Ich hatte dich gewarnt, Aru.“ Krithika legte ihrer Tochter den Arm um die Schulter. „Ohne eure göttlichen Waffen kommt ihr nicht hinein. Es war zu erwarten, dass die Devas Vorkehrungen getroffen haben, um Menschen aus dem Labyrinth fernzuhalten.“

„Wir sind aber keine Menschen“, konterte Brynne. „Wir sind Halbgöttinnen!“

In diesem Augenblick spazierte eine junge Familie an ihnen vorbei. Die Mutter hatte Brynne anscheinend gehört, denn sie rief ihr lachend zu: „Endlich spricht es mal jemand aus! Alle Frauen sind Halbgöttinnen!“

„Ist alles in Ordnung, Brynne?“, fragte Mini besorgt. „Deine Schläfenader ist angeschwollen und …“

„Gar nichts ist in Ordnung! Ohne unsere Waffen können wir nicht kämpfen!“

Mini hob halbherzig die Fäuste. „Könnten wir schon. Allerdings würde es wahrscheinlich ein kurzer Kampf werden, der mit unserem Tod endet.“

Brynne tat so, als hätte sie nichts gehört. „Das Nairrata-Heer kann nur befehligen, wer göttliche Waffen besitzt, und unsere sind futsch. Und in das blöde Labyrinth kommen wir auch nicht rein!“ Ihre Stimme überschlug sich und sie schaute verlegen weg. „Wir sind handlungsunfähig.“

„Das stimmt nicht“, widersprach Aru. „Wir haben immer noch das hier.“

Sie kramte in ihrer Hosentasche. Reflexartig tastete sie dabei nach dem elektrisch geladenen Tischtennisball, in den sich ihr Donnerkeil Vajra so oft verwandelt hatte. Doch der Ball war nicht mehr da und Vajra lag auch nicht als Funken sprühendes Armband um ihr Handgelenk. Ohne ihn war alles irgendwie trostlos.

Eigentlich hatte sie die Münze zücken wollen, die ihr der Feuergott Agni geschenkt hatte und auf die FUKK eingraviert war. Doch anscheinend hatte sie die falsche Tasche erwischt, denn sie förderte nur einen abgelaufenen und wahrscheinlich schon steinharten Schokoriegel zutage. Während sie in ihrer anderen Tasche nach der Münze kramte, biss sie davon ab.

„SPINNST DU?“ Mini schlug ihr so kräftig auf den Rücken, dass ihr der Bissen aus dem Mund flog.

„Was denn? Die Schokolade war noch gut!“

„Weißt du nicht, dass abgelaufene Süßigkeiten mit Bazillen verseucht sein können? Sogar mit Salmonellen! Und davon kann man sterben!“

„Wir werden doch sowieso sterben“, sagte Brynne mürrisch. „Vor allem, wenn Aru glaubt, dass uns ein schimmliger Riegel vor dem Untergang bewahren kann.“

„Vergiss den Riegel. Ich rede davon!“ Aru hatte endlich die blitzende Münze gefunden.

„Das Ding funktioniert doch sowieso nicht.“

Aru seufzte. Irgendwie ging heute alles schief. Anscheinend konnte sie nicht mal etwas Süßes naschen, ohne eine Vergiftung zu riskieren.

Die Potatoes hatten bereits versucht, mit Agni Kontakt aufzunehmen. Mini, Brynne und Aru hatten die Münze abwechselnd in die Hand genommen und sich etwas gewünscht. Als nichts geschah, hatten sie die Münze in die Höhe gehalten und nach Agni gerufen, aber auch das hatte nichts gebracht.

„Wie um alles in der Welt sollen wir mit dem Feuergott Verbindung aufnehmen, Shah?“, fragte Brynne jetzt. „Wenn wir uns in der Anderwelt nach ihm erkundigen, reimen sich die Devas zusammen, dass unsere Waffen weg sind, und kriegen Panik. Falls sie nicht längst Bescheid wissen. Vielleicht konnte Rudy die Klappe nicht halten, als er wieder ins Naga-Reich zurückgekehrt ist.“

„Glaub ich nicht. Wahrscheinlich streitet er sich noch mit Aiden darum, wer BB betreuen darf“, entgegnete Mini.

„BB“ war die Abkürzung für „Baby-Buh“. Das Küken war heute früh im Museum geschlüpft und hatte bereits zahlreiche Brandspuren auf dem Fußboden hinterlassen. Mini hatte BB nicht ins Freie bringen wollen, weil er sich erkälten könnte – Aru hatte vergeblich eingewandt, dass es sich bei ihm unübersehbar um einen Feuervogel handelte –, und darauf bestanden, dass sie ihn bei Aiden zurückließen.

„Hanuman und Urvashi werden sich auf keinen Fall täuschen lassen“, fuhr Brynne fort. „Sie können jeden Augenblick hier sein.“

Aru spielte mit der Münze und überlegte. Ihr kam eine Idee. „Kannst du nicht mal mit Sheelas und Nikitas Eltern sprechen, Mom? Vielleicht können uns die Zwillinge weiterhelfen.“

„Mache ich“, antwortete Krithika. „Aber für göttliche Waffen sind sie noch zu jung. Sie können den Schutzwall auch nicht knacken.“

„Wenigstens haben die beiden noch ihre Pandava-Fähigkeiten“, sagte Mini.

Brynnes Miene verfinsterte sich. Auch sie hatte keinen Zugriff mehr auf ihr persönliches Element, den Wind. Weil sie aber eine halbe Asura war, konnte sie immerhin noch die Gestalt wechseln, bekam allerdings keine größeren Erscheinungsformen mehr hin.

„Na und?“, sagte sie. „Nur zu zweit stehen die Zwillinge keine Schlacht durch.“

„Schon klar“, erwiderte Aru. „Aber mit einer passenden Prophezeiung könnten wir uns in der Anderwelt ein paar Tage lang ungestört nach Agni umsehen.“

Brynne trat mit der Schuhspitze nach einem Flaschendeckel. „Tolle Idee. Im nächsten Supermarkt gibt es bestimmt Prophezeiungen zu kaufen.“

Aru überhörte den bissigen Ton. Ihre Seelenschwester litt unter dem Verlust ihrer göttlichen Waffe – wie sie alle. Aber Brynne nahm es ungewöhnlich schwer und Aru fühlte sich für die missliche Lage der Pandavas verantwortlich.

Auf der Fahrt zum Park war sie in Gedanken alles durchgegangen, was sie hätte anders machen können. Sie hätte Kuberas Frage, wem sie das Nairrata-Heer anvertrauen würde, nicht so spontan beantworten dürfen. Sie hätte den Schläfer gleich bei ihrer ersten Begegnung aufhalten müssen. Sie hätte ihre Mutter schon vor Jahren auf ihren Vater ansprechen sollen.

Doch für all das war es jetzt zu spät.

Aru blickte erst zum sich verdunkelnden Himmel hoch und sah dann ihre Mutter und ihre Schwestern an. „Es muss ja nicht unbedingt eine echte Prophezeiung sein.“

Der Teilnehmer ist vorübergehendnicht erreichbar

Eine Stunde danach saß Aru an einem Küchentresen, auf dem alles Mögliche stand – nur nichts zu essen. Da gab es einen Drehständer mit mehreren Sorten Multivitamintabletten, einen gefährlich aussehenden Mixer, Gläser mit grünem Pulver, ein Whiteboard, auf dem die gesundheitlichen Vorzüge von Obst und Gemüse aufgelistet waren, und einen hohen Stapel Bücher mit Titeln wie: Unser Kind ist hochbegabt und Elite-Universitäten – Tipps und Tricks für die Bewerbung.

Brynne knallte den Kühlschrank neben Aru so schwungvoll zu, dass die Magnete von der Tür fielen und der Luftzug Briefe und Zettel vom Tresen auf den Fußboden wehte.

„Nicht so doll!“ Mini bückte sich nach einer leuchtend roten Karte mit goldener Schrift. „Wenn wir irgendwas durcheinanderbringen, schöpfen meine Eltern Verdacht, sobald sie wiederkommen.“

Minis Eltern unternahmen gerade zusammen mit Brynnes Onkeln Gunky und Funky eine Valentinstag-Kreuzfahrt und würden noch vier Tage lang wegbleiben. Minis Bruder hatte mitgemusst, aber Mini selbst hatte sich geweigert, um bei Arus Geburtstag dabei sein zu können. Als Minis Eltern vom Überfall des Schläfers erfahren hatten, hatten sie die Reise abbrechen wollen, aber Mini hatte es ihnen ausgeredet. Schließlich galt für die Familien aller Pandavas: Je weiter weg sie von ihren Töchtern waren, desto weniger konnte ihnen passieren.

Brynne ließ sich auf den Barhocker neben Aru plumpsen. „Wieso haben deine Eltern kein einziges Eis im Kühlschrank, aber dafür zehn verschiedene Sorten vegane Muffins?“

„Weil sie gesundheitsbewusst sind“, gab Mini zurück.

„Weil sie spinnen“, sagte Brynne halblaut.

Aru verkniff sich das Lachen. Sie mochte Dr. und Mrs Kapoor-Mercado-Lopez, auch wenn sie ein bisschen … anstrengend waren. Genau wie ihre Tochter. Neulich hatte Mini die anderen Potatoes zu einem Horrorfilm-Abend eingeladen. Und der Film war tatsächlich der Horror gewesen. Es hatte sich um eine Doku über ansteckende Krankheiten und Viren gehandelt, die durch Küssen und andere „altersentsprechende Aktivitäten“ übertragen wurden.

Seither hatte Mini in Arus und Brynnes Augen ihr Recht verwirkt, Filmabende bei sich auszurichten.

„Wieso ist Ammamma eigentlich so schnell abgehauen, als wir zurückgekommen sind?“, fragte Brynne jetzt. „Ich dachte, er würde auf jeden Fall noch bei uns bleiben, bis die Zwillinge auch wieder da sind. Oder hat er vom Babysitten schon die Nase voll? BB kann einen ganz schön in Atem halten und Rudy kann ihm ja momentan nicht helfen.“ Der Naga-Prinz war von seinen Eltern nach Hause beordert worden, stand aber jederzeit zur Verfügung, falls ihn die Potatoes brauchen sollten.

Aru blickte auf die ovale Auflaufform auf ihrem Schoß, in der sich BB in einen angekokelten Pullover gekuschelt hatte. Ihnen war kein besseres Ersatznest eingefallen und so steckte er wenigstens nichts in Brand. Gerade schlief er tief und fest und aus seinem brennenden blauen Federschopf quollen kleine Rauchwolken.

So klein und schon so tödlich! Aru unterdrückte den Wunsch, ihn zu streicheln.

„Ich habe schon länger den Eindruck, dass Aiden irgendwie neben sich steht“, entgegnete Mini vielsagend. „Findest du nicht auch, Aru?“

Weil so viel los gewesen war, war Aru noch nicht dazu gekommen, ihren Schwestern von dem Kuss zu erzählen, und es stimmte, dass Aiden sich seitdem seltsam verhielt. Er wechselte kaum noch ein Wort mit ihr. War der Kuss ein Missverständnis gewesen? War Aiden bloß gestolpert und Aru hatte die ganze Situation falsch gedeutet?

Doch sie brauchte nicht zu antworten, denn jetzt meldete sich die Kuckucksuhr über ihnen. Beim ersten Ruf des geschnitzten Vogels spaltete sich die Küchenwand und gab ein magisches Tor frei, das die Pandavas im Notfall nutzten, um einander zu besuchen. (Wobei Notfall für Brynne eine Definitionsfrage war. Neulich war Aru davon aufgewacht, dass Brynne die Küche in der Wohnung über dem Museum durchwühlt hatte, weil ihr der Zucker ausgegangen war.) Durch das Tor blickte man in ein gemütliches Wohnzimmer voller Familienfotos. Obwohl niemand zu sehen war, hörte man Arus Mutter mit Mr und Mrs Jagan reden.

„ … verspreche ich Ihnen, dass den beiden nichts passiert und sie gleich danach ins Bett gehen.“

Krithika streckte den Kopf aus dem Tor. „Habt ihr gehört, Mädchen? Ihr habt eine Stunde, nicht länger. Sheelas und Nikitas Eltern wollten eben schlafen gehen.“

„Eine Stunde“, wiederholte Aru.

Ihre Mutter nickte. „Ich bleibe so lange hier.“ Damit verschwand sie wieder.

Im nächsten Augenblick traten die Zwillinge in Minis Küche. Sheela trug einen pinkfarbenen Schlafanzug und Plüschpantoffeln, ihre Haare steckten unter einer farblich passenden Schlafhaube. Nikitas Haube und Schlafanzug waren aus schimmerndem Goldstoff.

Sheela lief sofort zu Aru. „Wo ist denn das Vögelchen?“, säuselte sie. BB streckte verschlafen den Kopf aus dem qualmenden Pulli.

Nikita dagegen verschränkte verärgert die Arme vor der Brust. „Konntet ihr nicht noch ein paar Stunden warten und dann im Traum zu uns kommen?“ Doch als sie in die Runde blickte, wurde ihr Gesichtsausdruck weicher. „So dringend?“

„Irgendwie schon“, sagte Aru. „Immerhin geht es um das Schicksal des gesamten Universums.“

In den folgenden zwanzig Minuten klärte Aru die Zwillinge darüber auf, dass Agnis Münze versagt hatte, dass sie den Schutzwall um den Lullwater-Park nicht überwinden konnten und dass ihnen nur noch ein paar Tage blieben, um sich das Amrita zu sichern. Während sie redete, häkelte Nikita etwas aus magischen Ranken, das offenbar ein Nest für BB sein sollte, und Brynne überwand ihre Skepsis und verputzte einen veganen Muffin nach dem anderen.

Sheela biss sich auf die Unterlippe. „Ich lüge nicht gern, aber meinetwegen kann ich mir etwas ausdenken.“

„Die Prophezeiung muss sich so dramatisch anhören, dass sich danach niemand auch nur in unsere Nähe traut“, sagte Brynne. „Kriegst du das hin?“

Als Sheela nickte, atmete Brynne hörbar auf. „Super. Jetzt muss nur noch die blöde Münze funktionieren.“

Agnis Geschenk lag neben der roten Karte auf dem Tresen.

Sheela musterte die Münze versonnen. „Habt ihr mal versucht, sie anzuzünden?“

„Du hörst dich schon wie Aru an“, sagte Mini.

Sheela strahlte.

Nikita blickte von ihrer Häkelarbeit auf. „Sheela hat recht. Immerhin ist Agni der Gott des Feuers.“

„Aber wie zündet man Metall an?“, fragte Aru.

Brynne schaute sich in der Küche um. „Im Backofen?“

„Der ist kaputt“, sagte Mini.

„Gibt’s hier Streichhölzer?“

„Die haben meine Eltern nach Arus letztem Besuch versteckt.“

„Jetzt bin ich beleidigt“, sagte Aru. „Und geschmeichelt.“

BB streckte das Köpfchen aus der Auflaufform und piepste. Sein Flammenschopf züngelte, als würde er jedes Wort gespannt verfolgen.

„Was willst du uns sagen, BB?“ Aru hielt ihm die Münze hin.

„Stopp!“ Nikita schloss die Augen und drehte die Handgelenke, bis ihre gespreizten Finger aufleuchteten. Zwei sonnenblumengelbe Handschuhe fielen auf den Tresen. „Zieh die über, Aru!“

Aru tat wie geheißen. Der Stoff war kühl wie Seide, aber deutlich dicker.

„Feuerfest, zeitlos elegant und eine Hommage an die Dior-Kollektion von 2008“, verkündete Nikita stolz. Dann legte sie das gehäkelte Nest neben BB. Er pickte argwöhnisch daran herum.

„Das Nest ist aus dem gleichen Pflanzengarn wie die Handschuhe“, sagte Nikita. „Man setzt ein Baby nicht in eine Auflaufform, Aru. Das ist stillos.“

BB piepste zustimmend.

„Wenn du die Handschuhe anziehst, verbrennst du dich nicht an ihm“, ergänzte Nikita. „Deine werden blau, Brynne, und deine violett, Mini. Und Aidens? Mal überlegen …“ Sie nahm das nächste Paar in Angriff.

Aru streifte sich die gelben Exemplare über und hob BB aus der Keramikform. Sonst hatte sich der kleine Feuervogel immer wie ein heißer Pfannengriff angefühlt, aber jetzt spürte Aru nur ein warmes Flaumbällchen.

Mit der anderen Hand hielt sie BB die Münze vor den Schnabel. „Kannst du bitte mal rülpsen?“

Als BB eine tellergroße Flamme ausspuckte, zuckte Aru kreischend zurück und hätte das Küken beinahe fallen lassen. Die Münze fing tatsächlich Feuer. Sheela lachte, Mini zog sich mit einem Aufschrei ihr T-Shirt über Mund und Nase und duckte sich hinter Brynne, während Brynne den Flammen mit den Händen Sauerstoff zufächelte.

Nikita sah sich das Ganze ein paar Sekunden lang an, dann spreizte sie die Finger und drehte wieder das Handgelenk. Eine kleine magische Decke schwebte auf die brennende Münze herab und erstickte die Flammen. „Voilà!“

Brynne ließ enttäuscht die Hände sinken und Sheela zog neugierig die Decke weg, während sie sich immer noch vor Lachen schüttelte. Die Münze war unverändert, höchstens etwas glänzender.

Aru spürte, dass sie schamrot wurde. Es war ihre Idee gewesen, eine Prophezeiung zu erfinden und nach Agni zu suchen, aber was, wenn das nicht klappte?

Der kleine Feuervogel war schon wieder eingedöst und sie setzte ihn behutsam in sein neues Nest. Natürlich war Aru froh, dass Buh wieder bei ihnen war, in welcher Gestalt auch immer, aber sie hätte seinen Rat jetzt gut gebrauchen können.

Ihr Blick fiel auf den Küchentresen. Zum Glück hatten die Flammen die Marmorplatte nicht beschädigt, nur die rote Karte war am Rand angesengt. Hastig versuchte Aru, den Ruß abzuwischen. Erst jetzt sah sie, dass es eine Einladungskarte war. Für den kommenden Tag.

Wir erlauben uns, Sie zur Hochzeitvon Ravi & Trena einzuladen.

Weil während der Feier sämtliche magischen Tore geschlossen werden, bitten wir um pünktliches Erscheinen.

Das Brautpaar nimmt ab dann auch keinemagischen Geschenke mehr entgegen.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.

„Das war der totale Reinfall“, schimpfte Brynne.

Im selben Augenblick erfüllte ein lautes Summen die Küche.

„Das kommt von der Münze!“, rief Mini.

Tatsächlich hatte das Goldstück auf dem Küchentresen angefangen zu vibrieren und eine freundliche Tonbandstimme sagte:

„GUTEN TAG. DER TEILNEHMER IST VORÜBERGEHEND NICHT ERREICHBAR. BITTE ÜBERPRÜFEN SIE IHRE VERBINDUNG ZU EINER HEILIGEN FLAMME UND VERSUCHEN SIE ES NOCH EINMAL. VIELEN DANK.“ Die Münze verstummte wieder.

„Die Verbindung zu einer heiligen Flamme?“, wiederholte Brynne. „Was soll das denn heißen?“ Sie klang noch immer verärgert, aber ihre Augen leuchteten, als würde sie neue Hoffnung schöpfen.

„Ist doch logisch“, sagte Mini. „Agni ist bei allen Zeremonien anwesend, bei denen Feuer eine Rolle spielt. Bei Pujas, auf Beerdigungen und auf …“

„ … Hochzeiten.“ Aru hielt die Einladungskarte hoch. „Diese hier findet morgen statt. Wenn wir hingehen, können wir vielleicht mit Agni sprechen.“

Aru war noch nicht oft auf Hochzeiten gewesen. Die meisten Einladungen, die ihre Mutter erhielt, ersuchten höflich darum, dass Aru nicht mitkam. Trotzdem wusste sie, dass Braut und Bräutigam bei hinduistischen Eheschließungen ein heiliges Feuer umrundeten, während ein Priester Mantras rezitierte und verschiedene Götter anrief, darunter auch Agni.

„Angenommen, wir gehen hin, was machen wir dann?“, überlegte Brynne laut. „Platzen wir einfach rein und schmeißen die Münze ins Feuer? Würde das nicht jemand mitkriegen?“

„Wir verhalten uns unauffällig“, entgegnete Aru.

„Du meinst, wir tricksen sie aus?“

„Ist doch dasselbe. Und wenn Sheela die Prophezeiung morgen früh verkündet, rechnet sowieso niemand mit uns.“

„Auf jeden Fall braucht ihr neue Outfits“, warf Nikita ein.

„Entschuldigung, aber wir können nicht auf diese Hochzeit gehen“, sagte Mini nachdrücklich. „Wir stehen nicht auf der Gästeliste!“

Aru grinste sie nur an.

„Was du vorhast, wird mir nicht gefallen, stimmt’s?“, sagte Mini resigniert.

In diesem Sinne – verzieh dich!

Bis die Hochzeitsfeier losging, war es noch eine Stunde hin. Aru hielt still, während ihre Mutter das letzte Häkchen an ihrem neuen Oberteil schloss. Nikita hatte sich mit Feuereifer daran gemacht, über Nacht für alle nagelneue Sachen zu schneidern. Und Aru, die indische Kleidung wunderschön, aber schrecklich kratzig fand, war von ihrem Outfit positiv überrascht gewesen, als es heute früh eingetroffen war. Es war ein prächtiges goldfarbenes Lehenga. Der bodenlange Rock war mit kleinen Spiegeln verziert und die kurzärmlige Bluse mit safrangelben Mini-Donnerkeilen bestickt.

Es sah toll aus.

Es war superfunktional.

Und es kratzte nicht.

Sämtliche Pandava-Outfits (auch das von Aiden, der sich gern als „Pandava-Anhängsel“ bezeichnete) waren feuerfest. Die kleinen magischen Spiegel reflektierten das Licht und konnten ihre Träger unsichtbar machen. Nikita hatte sogar das Garn verzaubert, damit niemand die Pandavas hörte, wenn sie miteinander sprachen.

„Du bist wunderschön, Aru.“ Krithika lächelte ihre Tochter in dem bodentiefen Wandspiegel an.

Aru glaubte ihrer Mutter zwar nicht, erwiderte das Lächeln aber. Gestern hatten sie es den ganzen Abend geflissentlich vermieden, über die bevorstehende Unternehmung zu reden. Darüber, dass es womöglich ihr letztes Beisammensein war. Stattdessen hatte Arus Mom beim Lieferdienst Essen geordert, Das Vermächtnis der Tempelritter angemacht und sich darüber amüsiert, dass Aru Wort für Wort mitsprechen konnte. Eigentlich ein gelungener Abend – wenn sich Aru darauf hätte verlassen können, dass es noch viele solcher Abende geben würde.

„Ich wünschte, ich könnte mitkommen“, sagte Krithika jetzt.

Aru drehte sich um und umarmte sie. Dabei spürte sie wieder, wie stark ihre Mutter in den letzten Monaten abgenommen hatte, während sie nach dem Labyrinth gefahndet hatte. „Du bist doch eben erst zurückgekommen, Mom, und ich will nicht, dass dir etwas zustößt.“

Krithika tätschelte ihr seufzend den Rücken. „Ist gut. Ich passe auf mich auf und warte auf dich. Und falls du zufällig Kara triffst … Irgendwann setzen wir uns zu dritt zusammen und ich erkläre euch alles.“

Aru musste an Karas geknickten Blick denken, bevor sie verschwunden war. Suyodhana hatte die Wahrheit grausam verdreht. Er hatte es so dargestellt, als hätte Krithika Kara damals nicht gewollt.

„Was hast du eigentlich vor?“, erkundigte sich Krithika.

Aru antwortete nicht. Im Grunde war es ganz einfach. Die Pandavas würden sich ihre Waffen wiederholen und den Schläfer daran hindern, sich den Unsterblichkeitstrank unter den Nagel zu reißen. Danach würden sie das tun, wofür sie von Anfang an ausgebildet worden waren.

Den Krieg beenden.

Was nur gelingen konnte, wenn sie den Schläfer unschädlich machten. Dass er Arus Dad war, dass er sie früher geliebt hatte, dass ihre eigene Halbschwester zu ihm übergelaufen war und seine Krieger einem leidtun konnten … das alles änderte nichts daran.

Sie gab sich einen Ruck. „Mein Bestes zu tun, dem Universum keine Schande zu machen?“

„Ach, Beti“, gab Krithika liebevoll zurück. „In der Gita heißt es: Lebe lieber unvollkommen dein eigenes Leben, als das eines anderen perfekt nachzuahmen. Verstehst du, was ich damit sagen will?“

Äh … nein? Manchmal hatte Aru das Gefühl, dass ihr Hirn unwillkürlich abschaltete, wenn ihre Mom philosophisch wurde. Krithika Shah zitierte oft und gern aus den heiligen Schriften des Hinduismus, aber Aru verstand jedes Mal höchstens ein Viertel von diesen Lektionen.

„Soll das ein guter Rat sein?“

Ihre Mutter lachte. „Es bedeutet, dass du auf dich selbst hören sollst.“

Aru verzog das Gesicht. Als ob das in ihrem Fall funktionieren würde! Ihr eigener Instinkt schien sie jedes Mal in die Irre zu führen. Ihre Mutter wollte sie bloß trösten. Beide wussten, dass Aru nur die Wahl zwischen Aufgeben und Kämpfen hatte. Es war klar, wie die Entscheidung ausfallen musste.

Es klingelte und Krithika ließ ihre Tochter wieder los. Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen und Aru hätte schwören können, dass sie geweint hatte.

Als Aru nach unten hastete und die Tür öffnete, wurde ihr ganz anders. Auf der Schwelle stand Aiden. Er hatte sich seine Kamera Schattenfell und seinen Rucksack über die Schulter gehängt und trug eine schwarze Kurta, deren Ärmel er hochgekrempelt hatte. Die dunklen Haare fielen ihm in die Augen und alles Sonnenlicht schien sich wieder mal nur auf ihm zu sammeln. Aru wusste nicht, was sie sagen sollte.

Doch Aiden kam ihr zuvor. „Hast du es irgendwem erzählt?“

Aru war zumute, als würde sie in eiskaltes Wasser geworfen. „Was denn?“

„Das mit dem …“ Er schaute zu Boden.

„Dem Kuss?“ Sie verschränkte die Arme. „Nein.“ War es Einbildung oder sackten seine Schultern erleichtert herab?

„Aha“, sagte er. „Dann ist ja gut.“

Gut?! Aru fühlte sich, als hätte jemand ihr Herz gerade mit einer Käsereibe malträtiert. Gut bedeutete, dass er nicht wollte, dass jemand davon erfuhr. Weil es ein Missverständnis gewesen war.

Wie hatte sie bloß etwas anderes annehmen können?

„Wir hätten das nicht tun dürfen“, fuhr er fort und schaute immer noch auf seine Füße. „Entschuldige bitte.“

Aru gestattete sich, drei Sekunden lang zu trauern, dann riss sie sich zusammen.

„Und sonst? Bei dir alles okay?“, fragte Aiden. „Sind wir noch Freunde?“

Noch nie hatte sich Aru ihren Donnerkeil dringender zurückgewünscht. Vajra hätte Aiden auf der Stelle gegrillt.

„Ob bei mir alles okay ist?“ Sie trat drohend einen Schritt auf ihn zu.

Aiden wich verunsichert zurück. „Aru? Es hat nichts mit dir zu tun, es –“

„Wenn du nicht sofort die Klappe hältst, grille ich dich auch ohne Donnerkeil!“

Aiden verstummte.

„Gar nichts ist okay, Aiden. Mein Geburtstag war eine Vollkatastrophe, meine Halbschwester hasst mich und meine göttliche Waffe ist weg.“ Aru richtete sich hoch auf. „Ich habe nur neun Tage Zeit, um die Welt zu retten, und keine Zeit für diesen Quatsch!“

„Äh …“

Aru warf schwungvoll die Haare über die Schulter. „Klar können wir ‚Freunde‘ sein, Aiden, wenn wir uns dann wieder auf das konzentrieren können, was zählt. Aber wehe, du sprichst mich noch einmal an, wenn das alles hier vorbei ist. Das dürfte dir ja nicht weiter schwerfallen.“

Sie machte auf dem Absatz kehrt. Dabei fiel ihr Blick auf Aidens Spiegelbild. Er sah bestürzt aus. Und ausgesprochen attraktiv.

Aber vor allem bestürzt.

Ha!, dachte sie und versuchte, den schmerzhaften Stich in ihrem Inneren zu ignorieren.

Erst als sie die Ausstellungsräume betrat und Brynnes empörte und Minis entsetzte Miene sah, ging ihr auf, dass sie das Ganze versehentlich telepathisch gesendet hatte.

Brynne ergriff als Erste das Wort: Aiden ist mein bester Freund, aber jetzt hau ich ihm eine –

Warum hast du uns nichts erzählt, Aru?, unterbrach Mini sie hastig. Und falls du jetzt weinen musst, dann trink bitte Wasser. Sonst trocknest du aus und damit ist nicht zu spaßen!

Echt jetzt, Mini?, kam es von Brynne.

Ich sorge mich bloß um ihre Gesundheit, verteidigte Mini sich. Können wir was für dich tun, Aru?

Das ist doch total unlogisch, knurrte Brynne. Es muss einen Grund haben, dass er jetzt einen Rückzieher macht. Ich rede mit ihm.

Auf keinen Fall!, entgegnete Aru hastig. Vergesst es einfach.

Weder Brynne noch Mini wirkten überzeugt, doch da räusperte sich Arus Mom demonstrativ.

„Hallo, Aiden“, rief Krithika, als er hinter Aru den Raum betrat. „Wollte deine Mutter nicht auch dazukommen?“

„Sie ist schon unterwegs.“ Aiden wich den Blicken der Mädchen aus und hielt seine Kamera hoch. „Ich habe Sheelas Prophezeiung mitgefilmt.“

Jetzt schielte er doch zu Aru, Brynne und Mini hinüber. Als keine der drei etwas sagte, zog er die Aufnahme mit einer Handbewegung aus dem Display und ließ sie in der Luft erscheinen. Er musste heimlich gefilmt haben, denn das Bild war oben abgeschnitten, so dass Sheela und Nikita nur von der Taille abwärts zu sehen waren. Der glitzernde Fußboden deutete auf Urvashis Tanzstudio hin.

„Eine Vision?“, hörte man Urvashi fragen. Sie klang beunruhigt.

Sheela fing zu zittern an und Nikita raunte ihr zu: „Übertreib’s nicht.“

Sheelas Stimme war so klar wie Glockengeläut.

„Keiner kann wissen, keiner kann sehen,

wohin die Pandavas als Nächstes gehen …

Lasst sie zieh’n und folgt ihnen nicht,

weil sonst alles zusammenbricht …“

„Wieso filmst du sie, Aiden?“, fragte Urvashi scharf. „Hol lieber Hilfe!“

„Entschuldige, Masi.“

Die Kamera wackelte heftig, dann erlosch das Bild.

„Und sie sind echt drauf reingefallen?“, vergewisserte sich Brynne.

Aiden nickte. „Hanuman und Urvashi mussten kurz danach aufbrechen und Hinweisen nachgehen, die das Heer des Schläfers betreffen.“

„Was für Hinweisen?“, fragte Aru kurz angebunden.

Aiden sah sie nicht an. „Ohne göttliche Waffe kann man sich keinen Zutritt zum Labyrinth verschaffen. Aber wenn man erst mal drin ist, wie lässt man dann andere rein? Hanuman und Urvashi wollen herausfinden, wie der Schläfer das lösen will.“

Aru wurde flau im Magen. Bis jetzt hatten sie sich nur damit befasst, wie sie in das Labyrinth eindringen konnten, aber nicht damit, wie sie ihre eigenen Unterstützer nachholen sollten.

„Tut mir leid, dass ich zu spät bin!“, rief da eine melodische Stimme.

Als Aidens Mutter den Ausstellungsraum betrat, drehten sich alle zu ihr um. Malini Acharya war groß und schlank, hatte dunkelbraune Haut und wunderschöne Augen, die wie Bernstein bei Mondlicht schimmerten. Einzig ihre übernatürliche Anmut verriet, dass sie eine gefeierte Apsara gewesen war, bevor sie die Himmelsgefilde verlassen und einen Sterblichen geheiratet hatte.

Sie lächelte Krithika und Brynne an, nickte Mini zu und würdigte Aru keines Blickes (so wie immer). Aus irgendeinem Grund schien sie Aru nicht leiden zu können. Sie ging zu ihrem Sohn und legte ihm liebevoll die Hand auf die Wange.

„Ihr müsst los.“ Krithika deutete auf den inzwischen restaurierten Steinelefanten Greg, der das Maul so weit aufgerissen hatte, dass seine Unterlippe den Boden streifte. „Geht mit unserem Segen.“

„Und nehmt das hier mit“, sagte Malini. „Vielleicht könnt ihr es irgendwann gebrauchen.“ Sie stimmte eine kleine Melodie an, die Aru durch und durch ging. So musste es sich anhören, wenn Sternschnuppen über den Himmel zogen. Dann überreichte Malini Aiden einen münzgroßen Lichtfleck.

„Das ist ein reiner Klang. Damit kannst du meine Verwandten erreichen, aber nur im äußersten Notfall.“

Als Aiden den Klang einsteckte, huschte eine sonderbare Mischung aus Ärger und Verwunderung über sein Gesicht.

„Ich glaube an euch. An euch alle“, ergriff Krithika wieder das Wort. „Bitte kommt heil und gesund zurück.“

Aru holte tief Luft. Mini, die ein violettes Lehenga mit silbernem Sternenmuster trug, trat als Erste durch das magische Tor, gefolgt von Brynne in einem nachtblauen Salwar Kamiz mit goldenen Streifen und Aiden. Dann war Aru an der Reihe.

„Bitte denk dran, BB zu füttern“, sagte sie an Krithika gewandt. „Aber gib ihm nicht zu viele Oreo-Kekse, sonst kriegt er Blähungen und fackelt das Museum ab.“

„Alles klar“, gab Krithika lachend zurück.

Aru drehte sich noch einmal nach ihrer Mutter und dem Ort um, der fast zehn Jahre ihr Zuhause gewesen war, dann trat auch sie durch das Tor.

Wie man eine Hochzeitsfeier aufmischt

Aru hatte sich immer vorgestellt, dass man eine Hochzeit am besten durch eine Verfolgungsjagd mit quietschenden Reifen aufmischte, aber letztlich ging es einfach darum, sich unbemerkt unter die Gäste zu mischen und in die Nähe des heiligen Feuers zu gelangen. Dann brauchten sie nur noch Agnis Münze in die Flammen zu werfen und sich wieder zu verdrücken. Das konnte ja wohl nicht allzu schwer sein.

Das Brautpaar hatte sich für eine ziemlich protzige Location entschieden. Für die Jogger und Hundehalter ringsum sah das Hotel nur wie eine halb fertige Baustelle aus, doch die Pandavas sahen es in seiner ganzen Pracht. Die Fassade war mit Efeu und Rosen bewachsen, die verzauberten Bronzelöwen davor gähnten träge, als sie Aru und ihre Schwestern erblickten.

Schwebende brennende Kerzen bildeten den Schriftzug:

Zur Feier von Ravi und Trenabitte hier entlang!

„Wo sind denn die anderen Gäste?“, fragte Mini flüsternd, als sie der Aufforderung folgten.

Es war sehr still. Verdächtig still, dachte Aru. Hinter dem Hotelfoyer lag ein großer Innenhof, in den aus silbrigen Wolken magische Schneeflocken fielen.

„Der Schnee gehört zum Winter-Wunderland-Motto“, sagte Mini sachkundig. „Superteure Magie. Meine Cousine ist ausgerastet, als der erste Hochzeitsplaner statt echtem Schnee tiefgekühlte Styroporkügelchen nehmen wollte.“

Brynne wischte sich die Flocken von der Schulter. „Hochzeiten sind total überbewertet. Wo ist das Büfett?“

„Äh … Leute?“, sagte Aiden.

„WAS IST?“, fauchten ihn die drei Schwestern wie aus einem Mund an.

Aiden zuckte zusammen und zeigte auf eine offene Flügeltür. Das Flimmern in der Türöffnung verriet Aru, dass sie mit Schalldämpfermagie gesichert war. Deswegen hatten sie auch niemanden gehört. Drinnen im Saal hatten die Gäste bereits auf beiden Seiten eines langen Ganges Platz genommen, der mit verschneiten Zweigen und noch mehr schwebenden Kerzen dekoriert war. Am Ende war das Mandap aufgebaut, das Hochzeitszelt. Es war mit unzähligen schneebestäubten Rosen geschmückt. Trotz der Entfernung wehte der Duft des heiligen Feuers zu den Pandavas hinüber. Braut und Bräutigam saßen dahinter und der Priester warf Blütenblätter und andere Opfergaben hinein.

„Die Zeremonie hat schon angefangen?!“ Mini fing an zu hyperventilieren. „Wir wollten doch vorher da sein! Ich muss mich mit der Zeit vertan haben. Was machen wir denn jetzt?“

Aru griff in ihre Rocktasche – alle Röcke sollten Taschen haben, fand sie – und holte Agnis Münze heraus. Das Gold war ganz heiß geworden. „Wir gehen einfach nach vorn.“

Solange wir ganz leise sind, müssten uns die neuen Outfits EIGENTLICH tarnen, hat Nikita gemeint, wandte sich Aru telepathisch an ihre Schwestern. Sie huschten den Gang paarweise auf Zehenspitzen entlang. Zum Glück waren die Augen aller fünfhundert Gäste nach vorn auf das Brautpaar gerichtet.

Dann bin ich ja beruhigt, gab Brynne ironisch zurück. Sie hatte darauf bestanden, mit Mini hinten zu gehen, für den Fall, dass plötzlich etwas aus dem Boden schoss und sich auf die vier stürzte. „Auf Hochzeiten läuft nie alles wie geplant“, hatte sie argumentiert. Und weil Aru vorn sein musste, um die Münze in die Flammen zu werfen, lief sie neben … Aiden.

Noch vier, fünf Meter.

Macht langsam. Keine plötzlichen Bewegungen, mahnte Brynne von hinten.

Und was ist, wenn wir die ganze Feier ruinieren?, fragte Mini. Das arme Brautpaar!

Das Schicksal der ganzen Welt gegen eine poplige Hochzeit, konterte Brynne.

Erzähl das mal den Verwandten meiner Mutter, gab Mini zurück.

Der Altar war höchstens noch drei Meter entfernt. Braut und Bräutigam waren ein wunderschönes Paar. Sie wechselten die ganze Zeit verliebte Blicke und schienen kaum wahrzunehmen, was um sie herum vorging. Was auch besser so war, denn die Gäste zogen im Flüsterton gnadenlos über die beiden her.

„Hat sie die Eltern der Friseurin umgebracht? Anders ist das Gestrüpp auf ihrem Kopf nicht zu erklären.“

„Was für eine Verschwendung. Ich hasse Kapitalisten.“

„Der Ex-Freund der Schwester ihrer Cousine hat mir erzählt, dass –“

Vor lauter Neugier wäre Aru beinahe stehen geblieben, doch Aiden warf ihr einen seiner berühmten vielsagenden Blicke zu. Nur wenige Schritte lagen noch zwischen ihnen und ihrem Ziel. Aru hatte eine richtige Feuerstelle erwartet, doch aus der Nähe betrachtet züngelten die Flammen nur in einem schuhkartongroßen Aluminiumbehälter. Während der Priester seine Mantras rezitierte, warf er als Segensopfer auch Münzen hinein.

Wenn alles nach Plan lief, würde niemand mitbekommen, dass auch eine ganz besondere Münze dort landete.

Und los!

Hoffentlich wirkte sich die Magie von Agnis Münze nur auf die Pandavas und niemanden sonst aus! Aru holte Schwung …

IN die Flammen, nicht DRÜBER, Shah!, sagte Brynne.

Huch! Aru senkte die Hand ein bisschen.

Die magische Münze flog in hohem Bogen durch die Luft und wurde vom Rauch verschluckt.

Aru wartete gespannt. Würde jetzt das Feuer explodieren oder der Fußboden wackeln? Doch man hörte nur die Flammen knistern.

Plötzlich stand in der zweiten Reihe ein kleiner Mann mit weißer Haut und einer unvorteilhaften Kurta aus Jeansstoff auf und rief: „TU’S NICHT, TRENA! Er wird dich nicht glücklich machen!“

Die anderen Gäste schnappten hörbar nach Luft, sogar der Priester verstummte. Aru rieb sich erwartungsvoll die Hände. „Jetzt geht’s rund!“

Hoppla.

Eben hatten noch alle Hochzeitsgäste entsetzt – oder schadenfroh – zu dem kleinen Mann in der Jeanskurta hinübergesehen, jetzt galten auf einmal sämtliche Blicke Aru. Auch die von Braut und Bräutigam.

„Wer seid ihr denn?“, fragte der Bräutigam.

„Verwandtschaft“, antwortete Mini rasch.

„Wir wollten euch gratulieren“, ergänzte Aru.

Aiden schlug sich nur mit der flachen Hand vor den Kopf.

Der Bräutigam stand auf. „Was erlaubt ihr –“

Ein lautes Gurgeln schnitt ihm das Wort ab. Es kam aus dem Feuer. Im nächsten Augenblick loderten die Flammen meterhoch und teilten sich dann wie ein Vorhang.

„Achtung, die Deko!“, rief eine Frau warnend.

„Ich hab dir gleich gesagt, dass wir lieber hätten durchbrennen sollen“, wandte sich die Braut vorwurfsvoll an ihren Zukünftigen.

Aus den Flammen ertönte eine Tonbandstimme: VERBINDUNG DURCH HEILIGE FLAMME HERGESTELLT. IHR ANRUF WIRD WEITERGELEITET. BITTE LEGEN SIE NICHT AUF.

„Was ist denn jetzt los?“, rief der Bräutigam.

Eine strudelnde Feuersäule glitt auf die Pandavas zu und erweiterte sich zu einem flammenden Tunnel.

Aiden nahm Arus Hand. „Komm!“

Als Aru den freien Arm ausbreitete, eilten Brynne und Mini zu ihr. Ein heißer Luftzug peitschte den vieren die Haare aus dem Gesicht, dann sogen die Flammen sie in das magische Tor.

Wegen der Hitze musste Aru die Augen zukneifen, hörte aber noch einen Gast rufen: „Gibt’s trotzdem was zu essen?“

Ein warmer Empfang – ein bisschen zu warm

Es fühlte sich an, als wäre Aru auf heißem Asphalt gelandet. Doch als sie versuchte, sich zu orientieren, versperrte ihr etwas die Sicht. Das Etwas hatte struppiges Fell … und waren das Hufe? Als sie sich ruckartig aufsetzte, sah sie sich einer Ziege gegenüber.

Allerdings war es keine gewöhnliche Ziege. Zum einen trug sie ein T-Shirt mit der Aufschrift ZICKENKÖNIGIN, zum anderen hatte sie zimtbraunes Fell und statt Hörnern zwei rötliche Flammen auf dem Kopf. Sie musterte Aru mit ihren eckigen Pupillen und meckerte verächtlich, als wollte sie sagen: Ich bin so was von nicht beeindruckt. Dann schnaubte sie und trabte davon.

Endlich konnte Aru sich richtig umsehen. Brynne, Mini und Aiden standen bereits neben ihr. Aiden hatte einen Krummsäbel gezückt und Mini betupfte ihr verschwitztes Gesicht mit einem Erfrischungstuch.

„Ist das heiß hier! Und mein Wasser ist auch alle. Hoffentlich holen wir uns keinen Hitzschlag!“

Aiden hielt ihr eine volle Wasserflasche hin.

Minis Gesicht hellte sich auf. „Danke, Schatzi.“ Dann schielte sie schuldbewusst zu Aru hinüber.

Es ist nur eine Wasserflasche, redete sich Aru gut zu. Trotzdem fauchte ihre innere Stimme: Verräterin!

„Soll ich dir hochhelfen, Aru?“, fragte Aiden.

Erst jetzt merkte Aru, dass sie immer noch auf dem Boden saß, aber sie ignorierte das Angebot und kam allein auf die Füße.

Der große leere Raum, in dem sie sich befanden, erinnerte an eine luxuriöse Hotelhalle. An den Wänden aus poliertem Obsidian liefen Lavarinnsale herab und verschwanden in einem Fußboden, wie Aru noch keinen gesehen hatte. Auf den ersten Blick glich er einem Mosaik aus geschliffenen Rubinen und Topasen, doch als Aru den Kopf schief legte, erkannte sie bewegte Bilder darin.

Eines zeigte den Andachtsraum einer Familie und sogar einen Ausschnitt ihrer Küche. Ein zweites eine Frau im weißen Sari, die schluchzend an einem Flussufer saß. In einem dritten schritt das Brautpaar von vorhin lächelnd im Kreis herum.

„Wo sind wir hier?“, fragte Brynne verwundert.

Aru riss sich vom Anblick des Fußbodens los. Erst jetzt merkte sie, wie sehr sie schwitzte, und der Stoff ihres eleganten Lehenga kam ihr mit einem Mal viel zu dick und schwer vor. Dampf waberte über ihnen und stieg trichterförmig auf, wie aus einem Wasserkessel oder einem …

„O nein, wir sind in einem Vulkan!“, rief Mini aus.

Die Ziege, die die ganze Zeit über um die vier herumgetrottet war und dabei ab und zu den Boden beschnuppert hatte, meckerte laut und stampfte mit dem Huf auf. Der Mosaikboden begann zu beben und aus den Edelsteinen stieg eine hochgewachsene Gestalt empor. Aru erkannte den Feuergott auf Anhieb wieder. Agni hatte rötliche Haut und Haare wie kurz geschorene Flammen. Seine scharlachrote Kurta wurde von Flammen gesäumt und um den Hals trug er eine funkelnde Kette. Der Anhänger daran war so groß wie ein Taubenei und leuchtete so gleißend, dass Aru gar nicht richtig hinsehen konnte.

Agni schüttelte missbilligend den Kopf. „Gerade wo es lustig wurde!“ Er spähte auf den Fußboden. „Mist! Jetzt hat der Wachdienst den Typen rausgeworfen, ohne dass ich sein dummes Gesicht gesehen habe!“

Die Ziege kam zu ihm hinübergetrottet und Agni kraulte ihr geistesabwesend den Kopf. Erst dann blickte er die Pandavas an. „Seht ihr denn nicht, dass ich mitten in … allem bin?“ Er zeigte anklagend nach unten.

„Du meinst, du warst im Fußboden?“, fragte Mini.

„Sozusagen.“ Agni schloss die Augen. Als er weitersprach, schien jedes Wort Hitze zu verströmen. „Ich bin … überall. Ich bin die heilige Flamme. Ich bin in Wohnstätten und in Tempeln, auf Hochzeiten und Bestattungen. Ich reinige alles. Ich belebe alles.“

Er machte die Augen wieder auf. „Also – wer seid ihr und was wollt ihr?“

Brynne und Mini sahen Aru erwartungsvoll an.

Es ist deine Münze, sagte Brynne telepathisch.

„Wir wollten dich gern wiedersehen!“ Aru grinste so breit, dass ihr Kiefer schmerzte. „Schließlich sind wir miteinander verwandt. Oder erinnerst du dich nicht mehr an mich? Ich bin Indras Tochter. Das hier sind Mini, die Tochter von Dharma Raja …“

Mini hob die Hand.

„ … und Brynne, die Tochter von Vayu.“

Brynne nickte.

„Und dann noch … Aiden.“

„Ist er auch ein Halbgott?“

„Nicht direkt. Eher eine reinkarnierte Gemeinschaftsgattin.“

„Hi“, sagte Aiden knapp.

Agni musterte Aru. „Ach, du bist’s!“, rief er dann freudig aus. „Mit der neuen Frisur hätte ich dich beinahe nicht erkannt.“

Aru griff sich unwillkürlich in die Haare. Sie waren länger geworden, aber sonst war alles wie vorher.

„Gewachsen bist du auch.“

Das stimmte. Vielleicht fünf Zentimeter.

„Und hattest du früher auch schon keine Flügel?“

„Leider nicht.“

„Hmm“, machte Agni. „Trotzdem – irgendwie habt ihr euch alle drei verändert. Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen? Tausend Jahre?“

„Eher zwei“, sagte Mini.

„Oder so“, ergänzte Aru.

Agni machte ein verdutztes Gesicht, dann brach er in Gelächter aus. „Ach ja, die Zeit. Der größte Witz des Universums!“

„Apropos Zeit“, ergriff Aru die Gelegenheit. „Uns bleiben nur noch neun …“

„Acht“, berichtigte Aiden sie nach einem Blick auf seine Armbanduhr.

Aru bekam einen Schreck. Zum Gott des Feuers vorzudringen, hatte viel zu lange gedauert. „Acht Tage, um uns den Unsterblichkeitstrank zu sichern, damit ihn der Schläfer nicht bekommt und die ganze Welt vernichtet. Er und unsere Schwester – genau genommen meine Halbschwester, aber das würde jetzt zu weit führen – sind schon in dem Labyrinth, in dem das Amrita versteckt ist. Ohne göttliche Waffen können wir ihn nicht aufhalten.“

„Oje, das hört sich gar nicht gut an. Gibt es dort ein Feuer, damit ich mir das Ganze anschauen kann?“

Das war nicht die Reaktion, die Aru sich erhofft hatte. „Kann schon sein.“

„Super!“

„Gar nichts ist super! Du hast damals gesagt, dass du uns dein Waffenarsenal zur Verfügung stellst, falls wir es mal brauchen sollten. Wir sollten dir nur Bescheid sagen. Und das tun wir hiermit.“

Agni holte tief Luft, wie man es machte, wenn man jemandem etwas Unerfreuliches mitteilen musste. In Aru stieg Panik auf, doch sie kämpfte sie nieder.