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Das Lehrbuch stellt anschaulich den gesamten Bereich des Arztstrafrechts dar, von dessen Kernbestand (u.a. ärztlicher [Heil-]Eingriff als vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung inklusive der strafrechtlichen Bewertung von SARS-CoV-2-Sachverhalten, Delikte gegen das werdende Leben, die durch die jüngste Rechtsprechung veränderte Sterbehilfedogmatik, Triagekonstellationen, Verletzung der Schweigepflicht) über wirtschaftsstrafrechtliche Einschläge (Abrechnungsbetrug, Korruption im Gesundheitswesen inklusive Compliance im Gesundheitswesen, Vertragsarztuntreue) bis hin zu nebenstrafrechtlichen Bereichen und den strafrechtlichen wie außerstrafrechtlichen Sanktionen bei ärztlichem Fehlverhalten. Zahlreiche Fälle aus der (insbesondere neueren) Rechtsprechung und Schemata fördern das Verständnis für die komplexe Materie.
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von
Dr. Erik KraatzProfessor an derHochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
3., überarbeitete Auflage
Verlag W. Kohlhammer
3. Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-042892-8
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-042893-5
epub: ISBN 978-3-17-042894-2
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Das Lehrbuch stellt anschaulich den gesamten Bereich des Arztstrafrechts dar, von dessen Kernbestand (u.a. ärztlicher [Heil-]Eingriff als vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung inklusive der strafrechtlichen Bewertung von SARS-CoV-2-Sachverhalten, Delikte gegen das werdende Leben, die durch die jüngste Rechtsprechung veränderte Sterbehilfedogmatik, Triagekonstellationen, Verletzung der Schweigepflicht) über wirtschaftsstrafrechtliche Einschläge (Abrechnungsbetrug, Korruption im Gesundheitswesen inklusive Compliance im Gesundheitswesen, Vertragsarztuntreue) bis hin zu nebenstrafrechtlichen Bereichen und den strafrechtlichen wie außerstrafrechtlichen Sanktionen bei ärztlichem Fehlverhalten. Zahlreiche Fälle aus der (insbesondere neueren) Rechtsprechung und Schemata fördern das Verständnis für die komplexe Materie.
Prof. Dr. Erik Kraatz ist Professor für Strafrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht und die rechtswissenschaftlichen Grundlagenfächer an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.
Obwohl das Arztstrafrecht so alt ist wie der Wissenschaftscharakter der ärztlichen Tätigkeit, hat es durch zahlreiche gesetzgeberische Aktivitäten und grundlegender höchstrichterlicher Entscheidungen in jüngerer Zeit nichts von seiner Aktualität und rechtspolitischen wie gesellschaftlichen Brisanz eingebüßt: So stellte in den letzten Jahren zum einen die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste Atemwegserkrankung COVID-19, die in mehreren Wellen über die Welt fegte und hierbei bis zum 15.12.2022 weltweit 648 Mio. Menschen ansteckte und rund 6,6 Mio. Menschen tötete (https://covid19.who.int), nicht nur unsere Gesellschaft, sondern auch das Recht und hierbei das Strafrecht vor vielfältige Herausforderungen, von einer (gefährlichen?) Körperverletzung durch bloße Ansteckung (etwa durch das Weiterpraktizieren eines auf SARS-CoV-2 positiv getesteten Arztes: https://www.aerztezeitung.de/Nachrichten/Arzt-soll-Patienten-mit-Corona-infiziert-haben-412951.html) über die Strafrechtsrelevanz der (auch in Deutschland immer wieder befürchteten, bislang aber wohl noch in keinem Fall eingetretenen) Auswahl in einer Notaufnahme, welche COVID-19-Patienten bei nicht ausreichenden Intensivbetten mit Sauerstoffversorgung gerettet werden und welche nicht (sog. Triage – nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts [BVerfG, NJW 2022, 380 ff.] hat der Gesetzgeber mit § 5c IfSG zumindest einen gewissen Rechtsrahmen festgelegt) bis hin zur Reformierung der §§ 275 ff. StGB und §§ 73 ff. IfSG (BGBl. 2021 I S. 4906), um neben dem Fälschen von Impfausweisen auch das Ausstellen unrichtiger Befreiungen von Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung umfassend strafrechtlich erfassen zu können. Dieses fast allgegenwärtige „Pandemiestrafrecht“ verdeckt fast die Umgestaltung des Rechts der Sterbehilfe in den letzten Jahren: So hat nicht nur das Bundesverfassungsgericht mit „historischer Entscheidung“ (Schroth, GesR 2020, 477 [478]) ein neues „Supergrundrecht“ (Höfling, GesR 2021, 351 [352]) auf selbstbestimmtes Sterben geschaffen und § 217 StGB (geschäftsmäßige Förderung der Sterbehilfe) für nichtig erklärt (BVerfGE 153, 182 ff.). Der Bundesgerichtshof hat auch mit zwei Grundsatzentscheidungen (endlich) seine im berühmten „Wittig“-Urteil (BGHSt. 32, 367 [374]) aufgestellten Grundsätze aufgehoben und eine Straflosigkeit ärztlicher Sterbebegleitung (auch nach der Bewusstlosigkeit des Suizidenten) festgestellt (BGHSt. 64, 121 ff. und 135 ff.). Für mehr Freiheit sorgte der Gesetzgeber schließlich nach dem Fall Hänel (zuletzt OLG Frankfurt a. M., NStZ-RR 2021, 106 ff.) und der darauf erfolgten Empörungswelle in Gesellschaft und Politik mit der Aufhebung des § 219a StGB (Werbung für den Schwangerschaftsabbruch) (BGBl. 2022 I S. 1082) sowie der Reform des § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) im Hinblick auf die Mitwirkung Dritter bei der Berufsausübung (BGBl. 2017 I S. 3618). All dies machte eine Überarbeitung dieses Buches notwendig.
Dieses richtet sich nicht nur als „klassisches Lehrbuch“ an Studierende, sondern zugleich an Rechtsreferendare, Anwälte und Ärzte, die sich unterschiedlich tief in der Praxis mit dem Arztstrafrecht als Teilgebiet des klassischen Strafrechts beschäftigen (müssen), in dem die strafrechtlichen Grundsätze eingebunden sind in zivilrechtliche und sozialrechtliche Regelungen; dem wurde durch eine Vielzahl an Fällen aus der Praxis sowie der Einbindung aktueller Rechtsprechung in den Fußnotenapparat Rechnung getragen.
Abgeschlossen wurde das Manuskript Ende Oktober 2022, auf deren Rechtsstand es sich befindet. Verbesserungsvorschläge senden Sie bitte an [email protected].
Mein Dank gilt vor allem meiner Familie, ohne deren Liebe, Unterstützung und Verständnis eine derart umfangreiche Neuauflage parallel zur Tätigkeit als Dekan nicht realisierbar gewesen wäre.
Berlin, im April 2023Erik Kraatz
Vorwort zur 3. Auflage
Abkürzungen und abgekürzt zitierte Literatur
1. Teil:Einführung
§ 1Begriff, Bedeutung und Rechtsquellen des Arztstrafrechts1
I.Historische Entwicklung und Begriff des Arztstrafrechts2
II.Rechtsquellen4
§ 2Rechtsverhältnisse eines Arztes5
I.Arztrechtliche Maxime5
1.Selbstbestimmungsrecht des Patienten5
2.Freier Beruf6
3.Therapiefreiheit6
4.Berufsethik7
5.Regeln der ärztlichen Kunst7
6.Wissenschaftsfreiheit7
II.Rechtsbeziehung des frei praktizierenden Arztes zum Privatpatienten7
1.Rechtsnatur des Behandlungsvertrages7
2.Parteien des Vertrages8
3.Form9
4.Pflichten aus dem Vertrag9
III.Rechtsverhältnisse eines Vertragsarztes9
1.Das vertragsärztliche Vierecksverhältnis9
2.Rechtsbeziehungen zum Kassenpatienten11
3.Rechtsbeziehungen zur Kassenärztlichen Vereinigung11
4.Rechtsverhältnis zu den Krankenkassen?11
IV.Rechtsverhältnisse der Krankenhausärzte12
V.Rechtsverhältnisse der Zahnärzte12
VI.Parallelberufe13
VII.Standesrecht13
2. Teil:Die einzelnen Bereiche des Arztstrafrechts
§ 3Ärztlicher (Heil-)Eingriff als vorsätzliche Körperverletzung14
I.Vorbemerkungen14
1.Begriff des Behandlungsfehlers14
2.Kein strafrechtlicher Sondertatbestand15
II.Strafbarkeit als einfache (vorsätzliche) Körperverletzung (§ 223 StGB)15
1.Vorbemerkungen15
a)Geschütztes Rechtsgut15
b)Geschütztes Tatobjekt16
c)Pränatale Eingriffe mit postnatalen Folgen17
d)Aufbauschema18
2.Objektiver Tatbestand19
a)Körperliche Misshandlung und Gesundheitsbeschädigung19
b)Tatbestandseinschränkung beim ärztlichen Heileingriff24
3.Subjektiver Tatbestand26
4.Rechtswidrigkeit28
a)Rechtfertigende Einwilligung28
b)Mutmaßliche Einwilligung55
c)Hypothetische Einwilligung59
d)§ 34 StGB63
e)Zwangsbehandlungen, insbesondere im Straf- und Maßregelvollzug63
f)Weitere Rechtfertigungsgründe64
5.Schuld65
a)Erlaubnistatbestandsirrtum65
b)Erlaubnisirrtum66
6.Strafantrag (§ 230 StGB)69
III.Strafbarkeit als gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB)69
1.Vorbemerkungen69
a)Rechtsnatur69
b)Aufbauschema69
2.Die einzelnen gefährlichen Begehungsweisen69
a)§ 224 I Nr. 1 StGB69
b)§ 224 I Nr. 2 StGB72
c)§ 224 I Nr. 3 StGB75
d)§ 224 I Nr. 4 StGB75
e)§ 224 I Nr. 5 StGB76
3.Subjektiver Tatbestand78
IV.Strafbarkeit als schwere Körperverletzung (§ 226 StGB)78
1.Vorbemerkungen78
a)Rechtsnatur78
b)Aufbauschema79
2.Schwere Folgen79
a)§ 226 I Nr. 1 StGB79
b)§ 226 I Nr. 2 StGB81
c)§ 226 I Nr. 3 StGB82
V.Strafbarkeit wegen Verstümmelung weiblicher Genitalien (§ 226a StGB)84
1.Verfassungsmäßigkeit85
2.Objektiver Tatbestand85
3.Subjektiver Tatbestand86
4.Rechtswidrigkeit und sonstige deliktsrechtliche Besonderheiten86
VI.Strafbarkeit als Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB)86
VII.Strafbarkeit als Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB)?89
§ 4Ärztlicher (Heil-)Eingriff als fahrlässige Körperverletzung oder Tötung90
I.Vorbemerkungen90
1.Begriff der Fahrlässigkeit90
2.Geschütztes Rechtsgut und Tatobjekt91
3.Aufbauschema91
II.Objektive Fahrlässigkeit91
1.Objektive Sorgfaltspflichtverletzung91
a)Maßstab: Der Facharztstandard92
b)Beschränkung auf grobe Behandlungsfehler?98
c)Diagnosefehler98
d)Übernahmefahrlässigkeit100
e)Fehler bei Wahl und Durchführung der ärztlichen Maßnahme101
f)Bereitschaftsdienst102
g)Verantwortlichkeit bei Arbeitsteilung104
2.Objektive Vorhersehbarkeit112
III.Pflichtwidrigkeitszusammenhang112
IV.Schutzzweckzusammenhang114
V.Schuld115
§ 5Verweigerung der Behandlung116
I.Abgrenzung von Tun und Unterlassen116
II.Unechtes Unterlassungsdelikt117
1.Unterlassen und Aufbauschema117
2.Garantenstellung118
3.Hypothetische Kausalität121
4.Rechtfertigende Pflichtenkollision122
5.Zumutbarkeit123
III.Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c I StGB)123
1.Vorbemerkungen123
a)Strafgrund und Rechtsgut123
b)Rechtsnatur124
c)Aufbauschema124
2.Der objektive Tatbestand124
a)Tatsituation124
b)Tatbestandsmäßiges Verhalten: Unterlassen einer Hilfeleistung128
3.Der subjektive Tatbestand132
4.Tätige Reue?132
5.Konkurrenzrechtliche Besonderheiten132
IV.Aussetzung (§ 221 StGB)132
V.Triage133
1.Ex-ante-Triage134
2.Ex-post-Triage137
3.Präventive Triage139
§ 6Ärztliche Sterbehilfe139
I.Abgrenzung strafloser Teilnahme an eigenverantwortlicher Selbsttötung von strafbarer Fremdtötung140
II.Formen der Sterbehilfe143
1.Direkte Sterbehilfe (ohne Behandlungsabbruch oder -verzicht)145
a)Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB)145
b)Totschlag (§ 212 StGB)/Mord (§ 211 StGB)147
2.Behandlungsabbruch/Behandlungsverzicht149
a)Grundsätze von BGHSt. 55, 191 ff.149
b)Hilfe beim Sterben152
3.Indirekte Sterbehilfe152
4.Hilfe zum Sterben155
III.Ärztliche Sterbebegleitung156
1.Einzelne Sterbebegleitung156
2.Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung160
3.Berufsrechtlicher Rahmen161
IV.Feststellung des Patientenwillens161
V.Betäubungsmittel zur Selbsttötung165
1.Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung165
2.Verschreibung/Überlassung von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung165
VI.Früheuthanasie166
§ 7Strafbare Organ- und Gewebetransplantation167
I.Bevorzugung von Transplantations-Wartelistenpatienten167
II.Organ- und Gewebehandel170
III.Organ- und Gewebeentnahme vom Toten172
IV.Organ- und Gewebeentnahme vom Lebenden173
V.Implantation fremder Organe175
VI.Verletzung der Schweigepflicht176
§ 8Schutz des ungeborenen Lebens176
I.Überblick über die einzelnen Schutzphasen176
II.Extrakorporaler Schutz von Embryonen178
1.Schutzweite des Embryonenschutzgesetzes178
2.Präimplantationsdiagnostik179
3.Stammzellgesetz180
III.Schwangerschaftsabbruch (§§ 218 ff. StGB)180
1.§ 218 StGB (Schwangerschaftsabbruch)181
a)Vorbemerkungen181
b)Objektiver Tatbestand181
c)Subjektiver Tatbestand186
d)Rechtswidrigkeit187
e)Strafausschließungsgrund bzw. Absehen von Strafe, § 218a IV StGB190
f)Deliktsrechtliche Besonderheiten191
g)Anhang: Nothilfe zugunsten des ungeborenen Kindes?193
2.§ 218b StGB (fehlende bzw. unrichtige ärztliche Feststellung)193
3.§ 218c StGB (ärztliche Pflichtverletzung)194
4.§ 219b StGB (Inverkehrbringen von Mitteln zum Schwangerschaftsabbruch)195
5.Werbung für den Schwangerschaftsabbruch195
§ 9Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht195
I.Vorbemerkungen zu den §§ 203, 204 StGB196
1.Kriminologische Bedeutung196
2.Rechtsgut196
3.Systematik des § 203 StGB196
II.Offenbarung von Privatgeheimnissen durch primär Schweigeverpflichtete (§ 203 I und II StGB)197
1.Objektiver Tatbestand198
a)Täterqualifikation198
b)Tatobjekt199
c)Tathandlung: offenbaren203
d)Tatbestandsausschluss, § 203 III 1 StGB204
e)Qualifikation, § 203 VI Var. 1 StGB204
2.Subjektiver Tatbestand204
a)Vorsatz204
b)Qualifikation, § 203 VI Var. 2 StGB205
3.Rechtswidrigkeit: Unbefugtheit205
a)Einwilligung (Entbindung von der Schweigepflicht)205
b)Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB)209
c)Gesetzliche Offenbarungspflichten210
d)Erforderliche Offenbarung an sonstige mitwirkende Dritte, § 203 III 2 StGB210
III.Offenbarung von Privatgeheimnissen durch mitwirkende Personen (203 IV 1 StGB)211
IV.Verpflichtungsfehler (§ 203 IV 2 Nr. 1 und 2 StGB)211
V.Verwertung fremder Geheimnisse (§ 204 StGB)212
VI.Deliktsrechtliche Besonderheiten der §§ 203, 204 StGB212
1.Strafantrag, § 205 StGB212
2.Konkurrenzen212
§ 10Ausstellen und Gebrauchen unrichtiger Gesundheitszeugnisse213
I.Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB)214
1.Objektiver Tatbestand214
a)Täterqualifikation214
b)Tatobjekt: Unrichtiges Gesundheitszeugnis215
c)Tathandlung: Ausstellen218
2.Subjektiver Tatbestand219
3.Besonders schwerer Fall219
4.Konkurrenzen219
II.Sonderregelungen für Bescheinigungen über Impfungen und Tests bei SARS-CoV-2220
III.Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 279 StGB)221
IV.Vorbereitung der Herstellung von unrichtigen Impfausweisen (§ 275 Ia StGB)221
V.Weitere Urkundsdelikte222
§ 11Abrechnungsbetrug222
I.Überblick über das ärztliche Vergütungssystem224
1.Die vertragsärztliche Abrechnung224
a)Das Abrechnungssystem224
b)Typische Fallgruppen des Abrechnungsbetrugs227
2.Die vertragszahnärztliche Abrechnung228
3.Die privatärztliche Abrechnung228
4.Die Abrechnung von Krankenhäusern229
II.Dogmatische Vorbemerkungen zur Betrugsstrafbarkeit229
1.Geschütztes Rechtsgut229
2.Aufbauschema230
III.Objektiver Tatbestand230
1.Täuschung230
a)Ausdrückliche Täuschungen232
b)Konkludente Täuschungen233
c)Täuschung durch Unterlassen237
2.Irrtum237
3.Vermögensverfügung239
a)Begriff des Vermögens239
b)Person des Geschädigten240
c)Zulässigkeit des Dreiecksbetrugs241
d)Verfügungshandlung241
4.Vermögensschaden242
a)Saldierung mit formell rechtswidrigen werthaltigen Leistungen?242
b)Berechnung durch Hochrechnung?245
IV.Subjektiver Tatbestand245
1.Vorsatz245
2.Bereicherungsabsicht246
V.Deliktsrechtliche Besonderheiten246
1.Versuch246
2.Qualifikation und Regelbeispiele246
3.Konkurrenzen247
§ 12Korruption im Gesundheitswesen247
I.Bestechung von Klinikärzten nach §§ 331 ff. StGB248
1.Rechtsgut und Deliktsnatur249
2.Vorteilsannahme (§ 331 StGB)249
a)Objektiver Tatbestand250
b)Subjektiver Tatbestand256
c)Genehmigung, § 331 III StGB256
d)Konkurrenzrechtliche Aspekte257
3.Bestechlichkeit (§ 332 StGB)257
4.Vorteilsgewährung (§ 333 StGB)258
5.Bestechung (§ 334 StGB)258
II.Bestechung von Vertragsärzten259
1.Strafbarkeit nach §§ 331 ff. StGB259
2.Strafbarkeit nach § 299a StGB (Bestechlichkeit im Gesundheitswesen)260
a)Rechtsgut und Deliktsnatur262
b)Objektiver Tatbestand263
c)Subjektiver Tatbestand268
d)Strafzumessungsvorschrift des § 300 StGB268
e)Konkurrenzen269
3.Strafbarkeit nach § 299b StGB (Bestechung im Gesundheitswesen)269
4.Strafbarkeit nach § 266 StGB (Arztuntreue)270
a)Vertragsarztuntreue270
b)Untreue zu Lasten der privaten Krankenversicherung/Beihilfestelle276
III.Compliance im Gesundheitswesen277
§ 13Nebenstrafrechtliche Bereiche279
I.Strafbare Verschreibung von Betäubungsmitteln279
1.Das Ärzteprivileg des § 13 BtMG279
2.Strafbarkeit nach § 29 I 1 Nr. 6a und b BtMG280
II.Strafbarkeiten nach dem Arzneimittelgesetz281
III.Strafbare Werbung283
1.Strafbarkeit nach § 16 I UWG283
2.Strafbarkeit nach § 14 HWG284
3.Strafbarkeit nach § 148 Nr. 1 und 2 GewO285
3. Teil:Sanktionen
§ 14Strafrechtliche Sanktionen286
I.Strafen286
II.Die Anordnung eines Berufsverbots (§ 70 StGB)286
1.Formelle Voraussetzung: Anlasstat286
a)Missbrauch des Berufes oder Gewerbes287
b)Grobe Verletzung berufsrechtlicher Pflichten288
2.Materielle Voraussetzung: Gefahrenprognose288
3.Die richterliche Entscheidung289
4.Folgen des Berufsverbots290
§ 15Außerstrafrechtliche Sanktionen290
I.Berufsrechtliche Folgen290
1.Berufsunwürdigkeit291
2.„Berufsrechtlicher Überhang“291
3.Rechtsfolgen295
II.Widerruf und Ruhen der Approbation295
1.Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs295
2.Berufsrechtlicher Überhang298
3.Widerrufsentscheidung298
4.Ruhen der Approbation299
III.Vertragsärztliche Folgeverfahren299
1.Entzug der Kassenzulassung299
2.Disziplinarverfahren300
3.Erstattung zu Unrecht erhaltener Vergütung300
IV.Hochschulrechtliche Folgen301
Stichwortverzeichnis
1Die mit dem medizinisch-technischen Fortschritt der Gegenwart verbundenen gestiegenen Behandlungsmöglichkeiten haben zur Absicherung der Patienteninteressen sowie seiner „verantwortlichen Entscheidungsautonomie“1 die Summe der Rechtsnormen anwachsen lassen, „unter denen der Arzt und seine Berufstätigkeit stehen“2. Dieses Arztrecht umfasst neben Gesundheits- und Berufsgesetzen sowie spezifischen Verordnungen und Satzungen auch die jeden Bürger bindenden allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts, Öffentlichen Rechts und Strafrechts3, die in ihrem Regelungsbereich ergänzend ineinanderfließen. Die hierdurch erfolgte Verrechtlichung der letzten Jahrzehnte sowie der Wandel des Rechtsempfindens in der Bevölkerung, die Entscheidungen der einst unantastbaren „Halbgötter in Weiß“ zu hinterfragen4, hat das Spannungsverhältnis von Medizin und Recht zu einem Dauerproblem anwachsen lassen5, das zu einer steigenden Kriminalisierung ärztlichen Verhaltens geführt hat. Es sind nicht mehr nur drohende Schadensersatzprozesse (mit teils horrenden Summen für Folgebehandlungen, selbst wenn die verursachende Behandlung [z. B. die Verabreichung einer Spritze] dem Arzt eine nur geringe Vergütung einbringt), sondern insbesondere die hieran zumeist gleichzeitig geknüpften strafrechtlichen Verfahren mit teils existenzbedrohenden strafrechtlichen wie berufsrechtlichen Folgen (Berufsverbot von bis zu fünf Jahren [§ 70 I StGB], Widerruf der Approbation, Entzug der Kassenzulassung), die wie ein Damoklesschwert über jeder ärztlichen Behandlung schweben, zumal „auch der geschickteste Arzt nicht mit der Sicherheit einer Maschine arbeitet“ und „trotz aller Fähigkeiten und Sorgfalt“ etwa eines Operateurs „ein Griff, ein Schnitt oder Stich misslingen kann, der regelmäßig auch dem betreffenden Arzt selbst gelingt“6. Zu Arzt und Tod hat sich daher längst auch der Jurist ans Krankenbett gesellt. Diese allgegenwärtige Haftungsangst hat dazu geführt, dass sich vielerorts eine sog. Defensivmedizin etabliert hat.7
2Der Bereich des Arztstrafrechts war hierbei lange Zeit entsprechend seiner historischen Vorprägung8 beschränkt auf die besonderen strafrechtlich bedeutsamen Gefährdungslagen des Arzt-Patienten-Verhältnisses (sog. „klassisches Arztstrafrecht“):
Bei den meisten Völkern der Antike, die die Medizin noch als Mächte der Natur ansahen und einen Kausalverlauf zwischen ärztlichem Verhalten und Schädigung daher nicht behaupteten, geschweige denn nachweisen konnten, war ein Arzthaftungsrecht noch unbekannt oder zumindest sehr beschränkt9: In Altbabylonien kannten die Gesetze des Königs Hammurabi (1793–1750 v. Chr.) zwar eine Bestrafung von Ärzten, aber nur von Chirurgen für fehlerhafte Schnitte mit dem Operationsmesser.10 In Ägypten waren – nach Aussage von Diodor (um 60 v. Chr.) – Ärzte „nicht zu belangen“ und gingen straffrei aus, sofern sie sich „an die entsprechenden Regeln, die sie einem heiligen Buch“ entnahmen, hielten, selbst wenn „sie etwa den Erkrankten nicht retten“ konnten. Handelten sie aber diesen Regeln zuwider, so wurden sie „eines todeswürdigen Verbrechens angeklagt. Denn der Gesetzgeber war der Ansicht, niemand könne vermöge seines Verstandes etwa jenen Heilmethoden überlegen sein, die aus alter Zeit überkommen und von den besten Vertretern ihres Faches angewandt worden seien.“11 Gleiches galt nach dem 9. Buch von Platons Gesetz aus der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. für Griechenland; „Strafe“ war lediglich ein schlechter Ruf der Ärzte.12
Erst als die Medizin bei den Römern große Fortschritte machte, begann man, sich über die rechtlichen Konsequenzen ärztlicher Fehlleistungen Gedanken zu machen13: So unterfiel im römischen Recht der Lex Aquilia (287/286 v. Chr.) auch die vorsätzliche (sowie nach der Lex Cornelia de iniuriis [88 v. Chr.] fahrlässige) Verletzung durch einen Arzt (z. B. durch unsachgemäße Operation oder das Verabreichen eines schädlichen Arzneimittels), wobei bei Vorliegen eines Kunstfehlers die Kausalität für den Schaden vermutet wurde, da das begrenzte medizinische Wissen der damaligen Zeit einen Nachweis nicht zuließ.14 Im Mittelalter wurde nach Art. 134 der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. (Constitutio Criminalis Carolina) von 153215 – die bis ins 18. Jahrhundert hinein unmittelbare oder mittelbare Anwendung fand – ein Arzt für eine Tötung „aus Unfleiß oder Unkunst“ bestraft. Unter den Landesgesetzgebungen war Anfang des 19. Jahrhunderts die Zahl der Strafverfahren gegen Ärzte wegen Behandlungsfehlern angesichts der noch nicht sehr weit entwickelten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse jedoch noch äußerst gering.16 Ein anschauliches Beispiel hierfür ist der berühmte Fall „Horn“17: 1811 wurde die 21-jährige, an einer unbestimmten psychischen Erkrankung leidende Louise Thiele in der Charité in Berlin vom Wundarzt Dr. Heinrich Horn in der Psychiatrie mit den damals gängigen Methoden der Wechselbäder, Brechmittelgabe, Fesselung in der Zwangsjacke sowie des Steckens in einen Sack bei besonders heftigen Anfällen behandelt; bei einer solchen Behandlung mit dem Sack erstickte sie. Ein Verwandter erstattete Anzeige. Dennoch nahm das Kammergericht keine Ermittlungen auf, da es in der Behandlung keinen verschuldeten Tod erblickte. Daraufhin schrieb Dr. Kohlrausch, ebenfalls in der Charité tätig und seit langem im Streit mit Dr. Horn, einen Brief an einen hohen preußischen Beamten, in dem er Dr. Horn der grausamen und unmenschlichen Behandlung bezichtete sowie als Verursacher des Todes der Louise. Nach der Einholung von drei medizinischen Gutachten, die die Methoden des Dr. Horn jedoch als allgemein üblich und nicht ursächlich für das Ersticken der Patientin bezeichneten, sprach das Kammergericht Dr. Horn 1812 frei. Dr. Kohlrausch wurde der bewussten falschen Verdächtigung beschuldigt, ihm konnte dies aber nicht nachgewiesen werden. Dr. Horn wurde nach dem Freispruch von der Charité befördert, Dr. Kohlrausch verließ sie.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der Arzthaftungsprozesse deutlich an. Dennoch enthielten das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 sowie das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 (und trotz diverser Reformversuche das Strafgesetzbuch auch heute noch immer) keine Spezialnormen für den (grundsätzlich straflosen) ärztlichen Heileingriffs wie (einen Spezialtatbestand für) die eigenmächtige Heilbehandlung (unten Rn. 26).
3Stattdessen sind in den letzten Jahrzehnten zu den klassischen Bereichen der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte als Folge des ärztlichen Heileingriffs, dem Schwangerschaftsabbruch, der Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht, der Sterbehilfe und der Verschreibung von Betäubungsmitteln immer weitere (vor allem wirtschaftsstrafrechtliche) Deliktsbereiche im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden geraten, wie Abrechnungsbetrug, Vertragsarztuntreue, Vorteilsannahme und Bestechlichkeit, so dass der Begriff der Arztstrafrechts inzwischen in diesem Sinne (alle Delikte im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit) wesentlich weiter gefasst werden muss (sog. „Arztstrafrecht im weiteren Sinne“). Die Zahl neuer strafrechtlicher Ermittlungsverfahren in diesem weit verstandenen arztstrafrechtlichen Bereich hat sich (mangels verlässlicher bundesweiter Zahlen) nach Schätzungen auf der Grundlage exemplarischer empirischer Untersuchungen18 auf einem hohen Niveau von jährlich 1.50019 – 3.00020 eingependelt.
4Die Rechtsquellen des „Arztstrafrechts im weiteren Sinne“ sind durch die notwendige Anknüpfung an arztrechtliche Vorregelungen vielfältig:
(1) Strafgesetzbuch (StGB)
(2) Embryonenschutzgesetz (ESchG), ergänzt durch das Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG)
(3) Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben (Transplantationsgesetz – TPG), insb. §§ 3 ff. (Entnahme von Toten) und §§ 8 ff. (Entnahme bei lebenden Spendern) mit den §§ 18 ff. TPG (Straf- und Bußgeldvorschriften)
(4) Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens (Transfusionsgesetz – TFG), insb. §§ 31, 32 TFG (Straf- und Bußgeldvorschrift bezüglich des Umgangs mit Blut und Blutbestandteilen)
(5) Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG), insb. §§ 29 ff. BtMG für die Verschreibung von Betäubungsmitteln, in Verbindung mit der Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung – BtMVV), etwa zur Verschreibung von Substitutionsmitteln (§§ 5 ff. BtMVV)
(6) Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG), insb. §§ 95 ff. AMG (Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten)
(7) Gesetz gegen Doping im Sport (AntiDopG), insb. § 4 I Nr. 1 iVm § 2 AntiDopG (Strafvorschrift gegen unerlaubten Umgang mit Dopingmitteln)
(8) Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG), insb. die Bußgeldvorschrift des § 73 IfSG und die Strafvorschriften der §§ 74 ff. IfSG, darunter insb. die Spezialstrafvorschriften in Zusammenhang mit unrichtigen Dokumentationen einer SARS-CoV-2-Schutzimpfung (§ 74 II, 73 Ia Nr. 8 IfSG) und unrichtigen Testbescheinigungen oder Testzertifikaten (§ 75a IfSG)
(9) Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinie 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates21 sowie Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission22, ergänzt durch das Gesetz zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Medizinprodukte (Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz – MPDG), insb. §§ 92 ff. MPDG (Straf- und Bußgeldvorschriften bzgl. des Inverkehrbringens von Medizinprodukten)
(10) Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz – HWG), insb. §§ 14, 15 HWG (Straftatbestand/Ordnungswidrigkeiten bei verbotener Werbung)
(11) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG): § 16 UWG (strafbare Werbung)
(12) Landesgesetze über Schutzmaßnahmen bei psychisch Kranken (Landes-PsychKG)
(13) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insb. §§ 630a ff. (Behandlungsvertrag), §§ 1626 ff. (Vertretung von Minderjährigen durch ihre Eltern), §§ 1896 ff. (Betreuung), §§ 1901a ff. BGB (Patientenverfügung), ergänzt durch das Familienverfahrensgesetz (FamFG), insb. §§ 300 f. FamFG (einstweilige Anordnung)
(14) Berufsrechtliche Regelungen, insb.
– Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), insb. §§ 72 ff. (Beziehungen der Krankenkassen zu Ärzten), § 77 (Regelungen der Kassenärztlichen Vereinigungen), §§ 95 ff. (ärztliche Zulassung), §§ 115 ff. (Beziehungen der Krankenkassen zu Krankenhäusern und Vertragsärzten), §§ 129 ff. (Beziehungen der Krankenkassen zu den Apothekern) und §§ 143 ff. SGB V (Organisation der Krankenkassen)
– Bundesmantelvertrag für Ärzte (BMV-Ärzte) und Bundesmantelvertrag für Zahnärzte (BMV-Zahnärzte)23 zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bzw. der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (vgl. §§ 82, 217a ff. SGB V)
– Bundesärzteordnung (BÄO), insb. §§ 3 ff. BÄO (Regelungen zur Approbation)
– Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV)
– Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) bzw. für Zahnärzte (GOZ)
– Kammer- und Heilberufsgesetze der Länder (berufsständische Vertretung der Ärzte, Überwachung der Berufspflichten und Berufsgerichtsbarkeit)
– Deutsche Ärztinnen und Ärzte-(Muster-)Berufsordnung (MBO-Ä) bzw. Musterberufsordnung Bundeszahnärztekammer (MBO-Z) mit grundsätzlichen Rechten und Pflichten der ärztlichen Berufsausübung.
5Das Strafrecht dient mit seinen Normen, Sanktionen und Verfahren dem Schutz von Rechtsgütern vor Gefährdung oder Verletzung24 und knüpft damit zwingend an rechtliche Vorwertungen an, so dass das Verständnis der arztstrafrechtsrelevanten Normen zumindest einen groben Überblick über die Rechtsverhältnisse eines Arztes erfordert:
6Ausgangspunkt aller medizinrechtlichen Fragestellungen muss der Mensch und seine auf Art. 1 I, 2 I GG beruhende Privatautonomie25 sein. Hieraus ergibt sich das Bestimmungsrecht des Patienten über die Art der ärztlichen Behandlung (verknüpft mit einem Recht auf umfassende Aufklärung)26, ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und hierzu die Hilfe Dritter zu suchen27, ein Recht auf Einsicht in die (vom Arzt als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag sowie berufsrechtlich aus der landesrechtlichen Umsetzung des § 10 II MBO-Ä niederzulegenden) Krankenhausaufzeichnungen des Arztes28 (§ 630 g BGB bzw. nach Art. 15 DSGVO29) bzw. auf Unterstützung bei der Aktualisierung der patientengeführten elektronischen Patientenakte30 (§ 346 I, III SGB V), ein Schutz vor unberechtigter Weitergabe seiner persönlichen Daten (sichergestellt durch die einfachrechtlichen Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes) sowie eine umfassende Schweigepflicht der Angehörigen der Heilberufe, strafrechtlich sanktioniert über § 203 StGB und verfahrensrechtlich abgesichert durch die Zeugnisverweigerungsrechte der §§ 53 I Nr. 3 StPO, 383 I Nr. 6 ZPO.
7Der Arztberuf ist als freier Beruf (Art. 12 GG) mit einem hohen „Maß von eigener Verantwortlichkeit und eigenem Risiko in wirtschaftlicher Beziehung“31 und unabhängiger und eigenverantwortlicher Stellung32 bei der Berufsausübung ausgestaltet. Dies gilt auch für den Vertragsarzt, der (trotz Verpflichtung zur Behandlung der Kassenpatienten aufgrund seiner Zwangsmitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung mit seiner Zulassung) das „ganze wirtschaftliche Risiko seines Berufs selbst“ trägt; „die Kassenzulassung bietet ihm nur eine besondere Chance“ zum Aufbau einer „auskömmlichen Kassenpraxis“33. Die gesteigerte Verantwortlichkeit für das Gemeinwohl wird durch ein berufsständisches, organisationsrechtliches Gefüge sichergestellt.
8Das „Kernstück der ärztlichen Profession“34 bildet die Therapiefreiheit, die den Arzt nur auf seine eigene wissenschaftliche Überzeugung verweist35 (vgl. § 2 MBO-Ä). Er kann also nicht zu einer diesen Grundsätzen widersprechenden Behandlungsmethode gezwungen werden.36 Dies gewährleistet nicht nur ein Fortschreiten der Medizin, sondern es verhindert auch, dass die Individualität des jeweiligen Behandlungsgeschehens durch die schematische Anwendung der anerkannten Regeln nicht hinreichend berücksichtigt wird, und dient damit der Autonomie des Patienten. Denn die Therapiefreiheit ermöglicht es dem Arzt, „unabhängig von der Fessel normierender Vorschriften nach pflichtgemäßem und gewissenhaftem Ermessen im Einzelfall diejenigen therapeutischen Maßnahmen zu wählen, die nach seiner begründeten Überzeugung unter den gegebenen Umständen den größtmöglichen Nutzen für seinen Patienten erwarten lassen“37.
9Das Berufsverhalten der Ärzte ist ausgehend vom Eid des Hippokrates38 an ethischen Grundsätzen auszurichten wie zu messen: Der Arzt ist mit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten dem Wohl des Patienten und dessen Leben verpflichtet. Dem Patienten darf durch die Hilfsmaßnahmen nicht geschadet werden. Der Wille des Patienten ist zu achten. Über vom Patienten anvertraute Tatsachen ist zu schweigen. Bei der Behandlung der Patienten sind diese gleich zu behandeln. Die Behandlung ist begründbar und nachvollziehbar zu gestalten.39 Diese Forderungen der Standesethik „übernimmt das Recht weithin zugleich als rechtliche Pflicht. Weit mehr als sonst in den sozialen Beziehungen des Menschen fließt im ärztlichen Berufsbereich das Ethische mit dem Rechtlichen zusammen.“40
10Die ärztliche Behandlung muss unter Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen, d. h. nach dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse.41 Als allgemein anerkannt gilt hierbei eine Heilmethode, wenn die medizinische Wissenschaft mit breiter Mehrheit von der Wirksamkeit der in Rede stehenden Behandlungsmethode ausgeht42; eine (mit der Therapiefreiheit unvereinbare) Beschränkung auf die sog. Schulmedizin ist hiermit nicht verbunden.43
11Wissenschaftlichkeit (Art. 5 III GG) ist ein „Grundthema des Medizinrechts“44, wie die Anbindung der Leistungserbringung an den Stand der medizinischen Erkenntnisse (§§ 2 I 3, 135 I 1 Nr. 1 SGB V) zeigt.
12Das Behandlungsverhältnis zum Patienten ist bürgerlich-rechtlich.45 Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung des bis dahin weitgehend durch Richterrecht geprägten Behandlungsvertrages erfolgte zum 26.2.2013 mit dem PatRG46 in den §§ 630a ff. BGB, die entsprechend der bisher überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung47 und Literatur48 den Behandlungsvertrag als „besonderen Dienstvertrag“49 (§§ 611 ff. BGB) und nicht als Werkvertrag (§ 631 BGB) einordnen. Denn angesichts der Unwägbarkeiten des menschlichen Körpers kann der Arzt bei deren Heilung einen Erfolg kaum garantieren und darf es standesrechtlich auch gar nicht (§ 11 II 2 MBO-Ä).
13Der Behandlungsvertrag kommt grundsätzlich zwischen dem Arzt und dem Patienten zustande (§ 630a I BGB). Ist der Patient noch minderjährig, so richtet sich die Wirksamkeit des Vertrages nach den §§ 104 ff., 1626, 1629 I BGB. In der Regel kommt der Vertrag dann jedoch mit dem gesetzlichen Vertreter zugunsten des Patienten iSd § 328 BGB zustande.50 Bei bestehender Ehe gibt der Patient im Zweifel die vertraglichen Erklärungen zugleich auch für den anderen Ehegatten ab (§ 1357 BGB), sofern Art und Kosten der Behandlung sich im Lebenszuschnitt der Familie halten, wie er nach außen in Erscheinung tritt (vgl. §§ 1360, 1360a BGB)51; bei teuren Behandlungen bedarf es jedoch einer vorangehenden ausdrücklichen Abstimmung der Ehegatten hierüber.52 Ist der Ehepartner beihilfeberechtigt oder privat versichert, scheidet eine Verpflichtung des anderen gemäß § 1357 I BGB aus.53 Begleitet jemand seinen Lebensgefährten ins Krankenhaus, so wird er nicht allein dadurch zum Kostenschuldner.54 Dies gilt selbst dann, wenn im Anmeldeformular per Allgemeine Geschäftsbedingungen eine gesamtschuldnerische Haftung des Anmeldenden mit dem Patienten angeordnet wird, da eine derartige Klausel nach § 309 Nr. 11a BGB unwirksam ist.55
Mit dem zum 1.1.2023 in Kraft tretenden § 1358 BGB56 stehen Ehegatten (nach § 21 LPartG auch Lebenspartnern) bei medizinischen Notfällen (d. h. bei Bewusstlosigkeit oder Entscheidungsunfähigkeit aufgrund von Krankheit) ein Notvertretungsrecht zum Abschluss von Behandlungsverträgen sowie zur Einwilligung in medizinische Untersuchungen und Eingriffe zu.
Bei einer gemeinsamen Ausübung ärztlicher Tätigkeit ist zu differenzieren57: Bei einer Organisationsgemeinschaft, einem rein organisatorischen Zusammenschluss mehrerer Ärzte, hat jeder Arzt seinen eigenen Patientenstamm und seine Karteiführung, so dass der Behandlungsvertrag nur jeweils zwischen dem Patienten und dem einzelnen Mitglied der Praxisgemeinschaft zustande kommt; selbst bei einer Vertretung werden keine Vertragsbeziehungen zum Vertreter begründet. Begibt sich der Patient dagegen zur Behandlung in eine ärztliche Berufsausübungsgemeinschaft (früher als „Gemeinschaftspraxis“ bezeichnet), so kommt der Arztvertrag zwischen ihm und der Ärztegemeinschaft als Gesellschaft bürgerlichen Rechts bzw. Partnerschaftsgesellschaft58 zustande.
14Eine Form ist für den Behandlungsvertrag grundsätzlich nicht vorgeschrieben.59 Er kommt daher in der Regel konkludent zustande, wenn der Patient sich in die Behandlung des Arztes begibt und der Arzt die Behandlung auch tatsächlich übernimmt.60 Gleiches gilt, wenn der Patient den Arzt telefonisch kontaktiert und der Arzt hierauf eingeht.61
15Aufgrund des Behandlungsvertrages ist der Arzt nach § 630a I BGB zur persönlichen ärztlichen Behandlung verpflichtet, einschließlich Anamnese (Ermittlung der Krankenvorgeschichte), Untersuchung, Diagnosestellung, Indikationsstellung, die ärztliche Behandlung selbst, das Ausstellen von Attesten und sonstigen Bescheinigungen sowie die ärztliche Nachsorge und Kontrolle. Hinzutreten als Nebenpflichten die ärztliche Schweigepflicht, die Dokumentationspflicht (§ 630f BGB) und die Gewährung eines Einsichtsrechtes in diese Aufzeichnungen (§ 630g BGB, Art. 15 DSGVO) sowie die Pflicht zur Auskunft über Diagnose und Behandlungsverlauf (§ 630c BGB).
Der Patient (bzw. der dritte Vertragspartner) schuldet dem Arzt das vereinbarte oder übliche (§ 630a I BGB) Honorar, welches anhand der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) als zwingendes Preisrecht für alle beruflichen (auch medizinisch nicht indizierten) Leistungen zu bemessen ist.62 Gegenüber seiner privaten Krankenversicherung kann der Privatpatient nach einer Verauslagung des Honorars eine Kostenerstattung (§ 192 I VVG) entsprechend der Bestimmungen des Versicherungsvertrages verlangen.
16Die Rechtsverhältnisse der rechtlichen Verhältnisse bei der vertragsärztlichen Behandlung von Kassenpatienten wird klassischerweise als „vertragsärztliches Viereck“ dargestellt63, das durch die Einführung des Gesundheitsfonds zum 1.1.2009 nur unwesentlich verändert wurde:
Die Krankenkasse (KK) schuldet ihren Mitgliedern und deren Familienangehörigen (§ 10 SGB V) aus dem öffentlich-rechtlichen Versicherungsverhältnis nach dem grundsätzlichen Sachleistungsprinzip (§§ 2, 27 ff. SGB V) einen (durch das Wirtschaftlichkeitsgebot [§ 12 I SGB V] begrenzten) Anspruch auf ärztliche Versorgung.64 Ihre Sachleistungsverpflichtung erfüllen die Krankenkassen durch Bundesmantelverträge (§ 82 I SGB V) mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, deren Inhalt Bestandteil der auf Landesebene zwischen den Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) geschlossenen Gesamtverträge (§§ 2 II 3, 82, 83 SGB V) wird, in denen der den Patienten gegenüber zu erbringende Leistungsrahmen näher konkretisiert und die Gesamtvergütung festgelegt wird (§ 85 SGB V). Aufgrund dieser Gesamtverträge übernehmen die Kassenärztlichen Vereinigungen die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung der Kassenpatienten (§§ 73 II, 75 I SGB V). Die Vertragsärzte werden durch ihre Zulassung öffentlich-rechtliche Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung (§ 95 III SGB V) und damit zur Übernahme der ärztlichen Versorgung der Kassenpatienten nach der Maßgabe der Gesamtverträge zwischen den Verbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung verpflichtet.
17Aufgrund des Versicherungsverhältnisses hat der Patient Beiträge an die Krankenkasse zu entrichten, die als Einzugsstelle für alle Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber fungiert (§§ 28d, 28h SGB IV). Die Krankenkasse leitet die vereinnahmten Beiträge an den Gesundheitsfonds (verwaltet durch das Bundesamt für Soziale Sicherung) weiter (§ 271 I Nr. 1 SGB V) und erhält von diesem entsprechend dem Ausmaß der „Morbidität“ der bei ihr Versicherten eine Grundpauschale mit risikoadjustierten Zu- und Abschlägen zurück (§§ 266, 268, 270 SGB V).65 Der einzelne Vertragsarzt stellt die von ihm gegen Vorlage der Krankenversicherungskarte erbrachten Leistungen durch quartalsweise Einreichung der Abrechnungen bei der Kassenärztlichen Vereinigung auf der Grundlage des von den Kassenärztlichen Vereinigungen im Benehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen als Satzung festgesetzten Honorarverteilungsmaßstabes (§ 87b I 2 SGB V) in Rechnung, mit dem grundsätzlich die Bewertungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM)66 an den Arzt leistungsproportional weitergereicht werden, teils unter Beibehaltung der früheren (teilweise modifizierten) Grundsätze individuell zugewiesener Regelleistungsvolumina. Eine gemeinsame Prüfstelle der Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen und der Kassenärztlichen Vereinigungen überprüft (mit Stich- und Zufallsprüfungen) die Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnung (§§ 106 ff. SGB V).
Die von den Krankenkassen gezahlte (in den Gesamtverträgen festgelegte) Gesamtvergütung (§ 85 SGB V) wird von den Kassenärztlichen Vereinigungen auf die in ihrem Bezirk zugelassenen Ärzte verteilt (ausführlich hierzu unten Rn. 307 ff.).
18Durch seine Zulassung (§ 95 SGB V) erlangt der Vertragsarzt das Recht und die Pflicht, an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung von Kassenpatienten teilzunehmen, wobei er an das Sachleistungsprinzip (§ 2 II SGB V) und an den Leistungskatalog des EBM und nachgeordneter Richtlinien gebunden ist. Das Behandlungsverhältnis zum Kassenpatienten wurde bereits vor Inkrafttreten der §§ 630a ff. BGB nach der privatrechtlichen Rechtsprechung67 und Literatur68 als privatrechtlicher Dienstvertrag angesehen (sog. „Vertragskonzeption“), während es nach der sozialrechtlichen Rechtsprechung und Literatur69 als öffentlich-rechtlich geprägtes und durch gesetzliche Pflichten geprägtes Rechtsverhältnis (ohne das Zustandekommen eines Dienstvertrages) angesehen wurde („Versorgungskonzeption“). Die letztere Sichtweise ist seit Inkrafttreten der §§ 630a ff. BGB überholt70, die der Gesetzgeber bewusst nicht auf Privatpatienten beschränkt, sondern dem Wortlaut nach auch auf die gesetzlich Versicherten erstreckt hat, um deren Rechte zu stärken. Seither schließen auch Arzt und Kassenpatient einen privatrechtlichen Behandlungsvertrag ab, aus dem der Arzt „die Leistung der fachgerechten Behandlung schuldet“71.
19Mit seiner Zulassung wird der Vertragsarzt Zwangsmitglied der für seinen Sitz zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (§ 95 III SGB V), einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die genossenschaftliche Mitgliedschaft löst eine Reihe von Rechten aus, insbesondere die Berechtigung zur Behandlung aller gesetzlich Krankenversicherten sowie sonstiger Anspruchsberechtigter (z. B. Heilfürsorge der Soldaten und Polizeibeamten), der Vergütungsanspruch als Teilhabe an der Gesamtvergütung (§§ 85 II, 87b SGB V)72 sowie die Teilnahme an der Selbstverwaltung. Dem stehen als Pflichten insbesondere eine Beschränkung auf einen Vertragsarztsitz, die Einhaltung der üblichen Sprechstunden, die Behandlung aller gesetzlich Krankenversicherten, die Teilnahme am organisierten Notfall- und Bereitschaftsdienst (§§ 75 I, Ib SGB V), die Pflicht zur Vertretung bei Abwesenheit in der Praxis (§ 98 II Nr. 13 SGB V) sowie die Verpflichtung zur fachlichen Fortbildung (§ 95d SGB V) gegenüber.73
20Vertragsärzte und Krankenkassen wirken zwar zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten nach § 72 I 1 SGB V zusammen, konkret geregelte Rechtsbeziehungen zwischen ihnen bestehen jedoch nicht. Die Krankenkassen können daher nicht die Behandlung eines Versicherten gegenüber einem Vertragsarzt einklagen, der seinerseits von der Krankenkasse selbst kein Honorar für die Behandlung eines der Versicherten fordern kann.
21Für die stationäre Krankenhausbehandlung ist regelmäßig nur der Krankenhausträger Vertragspartner des Patienten (sog. totaler Krankenhausvertrag)74, wobei der Behandlungsvertrag die Rechtsnatur eines (gemischt) zivilrechtlichen Dienstvertrages75 (Privatpatient) hat oder (beim Kassenpatienten) das Zivilrecht vom sozialrechtlichen Sachleistungsanspruch (§§ 2 II, 13 SGB V) überlagert wird. Die im Krankenhaus tätigen Ärzte, deren Rechtsbeziehungen zum Krankenhausträger je nach der Trägerschaft dem Beamtenrecht (bei juristischen Personen als Trägern) oder dem bürgerlich-rechtlichen Dienstvertragsrecht zuzuordnen sind, erfüllen auf dieser Grundlage den Behandlungsanspruch des Patienten gegen den Krankenhausträger, so dass sie insoweit die gleichen Nebenpflichten wie bei einem selbst geschlossenen Behandlungsvertrag treffen. Bietet ein selbstliquidierungsberechtigter Krankenhausarzt (regelmäßig die Leitenden Abteilungsärzte) dem Patienten eine Wahlleistung an, so tritt der Patient in eine weitere Vertragsbeziehung nach § 630a BGB zum Wahlarzt (sog. Arztzusatzvertrag)76 und verpflichtet den Wahlarzt persönlich77.
In Belegkrankenhäusern schuldet der Krankenhausträger nur die pflegerische und medizinische Betreuung (vgl. § 18 KHEntG). Der Belegarzt wird hinsichtlich der ärztlichen Behandlung grundsätzlich alleiniger Vertragspartner.78
Bei der ambulanten Krankenhausbehandlung richtet sich der Vertragspartner des Patienten nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere danach, wer liquidierungsberechtigt ist. So ist Vertragspartner eines Privatpatienten grundsätzlich nur der Chefarzt selbst.79 Beim Kassenpatienten ist Vertragspartner zumeist der nach §§ 95, 116 SGB V zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigte Arzt80, bei einer Behandlungsübernahme durch ein Krankenhaus als Institution dagegen der Anstaltsträger81.
22Die Rechtsverhältnisse zwischen dem Zahnarzt und dem Privatpatienten richtet sich nach den §§ 630a ff. BGB82; abgerechnet wird aufgrund der GOZ. Die Rechtsstellung des Vertragszahnarztes entspricht jener des Vertragsarztes: Der Vertragszahnarzt wird mit seiner Zulassung Pflichtmitglied der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und wird damit dem Vertragszahnarztrecht unterworfen, insbesondere der aufgrund der Gesamtverträge zwischen den Krankenkassen und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung von letzterer übernommenen Verpflichtung zur vertragszahnärztlichen Versorgung, abgerechnet über die Kassenzahnärztliche Vereinigung, sofern der gesetzlich Versicherte nicht die Kostenerstattung gewählt hat und die Vergütung unmittelbar durch den Patienten erfolgt, der den Kassensatz von seiner Krankenkasse erstattet erhält (§ 13 II SGB V).
23Für Psychotherapeuten (mit nach § 2 PsychThG erteilter Approbation) gelten nach § 72 I SGB V iVm § 1 III Ärzte-ZV die Regelungen über das Vertragsarztrecht entsprechend. Zugelassen werden können hierbei nur Diplompsychologen.
Ein Heilpraktiker gilt dagegen für eine selbstständige Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit als nicht genügend geeignet83; umgekehrt darf ein approbierter Arzt nicht als Heilpraktiker tätig sein84.
24In den einzelnen Bundesländern existieren Ärztekammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in denen die Ärzte Pflichtmitglieder sind. Zu den umfangreichen Aufgaben der Ärztekammern zählt auch die Regelung der Pflichten ihrer Mitglieder über Berufsordnungen und deren Überwachung durch die von den Kammern getragenen Ethik-Kommissionen85.
25Seit der Antike wurde (insbesondere vorsätzliches) ärztliches Fehlverhalten rechtlich verfolgt und sanktioniert. Erst 1797 findet sich jedoch eine erste Definition des Kunstfehlerbegriffs durch den Mediziner Christian Fahner, Königlicher Landphysikus der Grafschaft Hohenstein: Kunstfehler seien „Vergehungen gegen die von den Lehrern der Arzneikunst als zuverlässig und allgemein angenommenen Regeln der gesamten Arzneikunst“ aus „argloser Übereilung, grober Unwissenheit, Vorwitz, Verwegenheit, Bosheit, menschlicher Schwachheit, zu großer Ängstlichkeit oder unverzeihlicher Nachlässigkeit“1. Die wohl bekannteste Definition entwickelte der Mediziner und Anthropologe Rudolf Virchow (1821–1902) anlässlich der Schaffung des Preußischen Strafgesetzbuchs: „Approbierte Medizinalpersonen, welche in Ausübung ihres Berufes aus Mangel an gehöriger Aufmerksamkeit oder Vorsicht und zuwider allgemein anerkannten Regeln der Heilkunst durch ihre Handlungen oder Unterlassungen die Gesundheit eines ihrer Behandlung übergebenen Menschen beschädigt haben, sollen bestraft werden.“2 Folgten dem anfangs noch Rechtsprechung und Schrifttum3, so wurde der Begriff „Kunstfehler“ wegen der Gefahr einer Gleichsetzung mit einem persönlichen ärztlichen Versagen sowie wegen der Wandlung des Verständnisses der Medizin, die inzwischen als Wissenschaft und weniger als „Kunst“ verstanden werden wollte4, durch den Begriff des „Behandlungsfehlers“ ersetzt. Dieser liegt vor, wenn der Arzt nicht „unter Einsatz der von ihm zu fordernden medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen im konkreten Fall vertretbare Entscheidungen über die diagnostischen sowie therapeutischen Maßnahmen getroffen und diese Maßnahmen sorgfältig durchgeführt hat“5.
26Seit dem Jahre 1911 wurden stetig neue Gesetzesentwürfe eines Sonderstraftatbestandes der eigenmächtigen Heilbehandlung6 sowie eines Ausschlusstatbestandes, der nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführte Heilbehandlungen aus dem Anwendungsbereich der Körperverletzungen herausnahm7, vorgebracht und diskutiert, zuletzt 1996 im Referentenentwurf des 6. Gesetzes zur Reform des Strafrechts8. All diese Entwürfe scheiterten jedoch, anfangs wegen des rasanten Wechsels der politischen Systeme in Deutschland9, später sachlich, weil insbesondere durch die Schaffung des Sondertatbestandes letztlich nur die Probleme der rechtfertigenden Einwilligung auf die Tatbestandsebene verlagert würden, wobei es angesichts der umfassenden Rechtsprechungsgrundsätze zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Einwilligung (hierzu unten Rn. 40 ff.), insbesondere an eine Aufklärung, mutmaßlichen Einwilligung (unten Rn. 73 ff.) sowie neuerdings einer hypothetischen Einwilligung (hierzu unten Rn. 79 ff.) kaum gelingen kann, diese mit der nötigen Rechtssicherheit zu normieren.10 Die Folge wären nicht nur neue Abgrenzungsprobleme zu den Körperverletzungsdelikten11, sondern in einigen Anwendungsfällen eine teilweise Ausdehnung der Strafbarkeit des Arztes12 – so dass sich die Ärzteschaft gegen die Notwendigkeit einer Neuregelung aussprach13 –, in anderen Bereichen eine Straflosigkeit mit Auswirkungen auf die zivilrechtliche Rechtslage und damit verbundener Rechtseinbuße der Patienten14. Obwohl Teile im Schrifttum auch heutzutage noch für entsprechende Reformbestrebungen (entsprechend des Sondertatbestandes in § 110 des österreichischen Strafgesetzbuchs) plädieren15, sind derartige noch nicht einmal in Planung. Die Strafbarkeit ärztlicher (Heil-)Eingriffe richtet sich daher (weiterhin) nach den allgemeinen Strafbarkeitsbestimmungen.
27a) Geschütztes Rechtsgut. Geschütztes Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB ist entsprechend der Überschrift des siebzehnten Abschnitts des Strafgesetzbuchs „die körperliche Unversehrtheit“.
b) Geschütztes Tatobjekt.
28Fall 1 (nach BGHSt. 65, 163 ff. – „Berliner Zwillingsfall“): Bei S wurde eine diamnot-monochiale Zwillingsschwangerschaft festgestellt, d. h. jeder Fötus hatte zwar eine eigene Eihülle (Amnion) und damit eine eigene Fruchthöhle, beide teilten sich jedoch eine Plazenta. Bei einem der Zwillinge zeigten sich aufgrund eines fetofetalen Transfusionssyndroms Hirnschädigungen. Als sich S aufgrund von Wehen in eine Klinik begab, führte Dr. R nach Absprache mit S – um das gesunde Kind nicht zu gefährden – bei S den Kaiserschnitt durch, entband den gesunden Zwilling und tötete in Kenntnis der Rechtslage erst dann, aber noch im Mutterleib den gesunden, jedoch lebensfähigen Zwilling mittels Kaliumchloridinjektion. Strafbarkeit von Dr. R, wenn nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann, ob es sich bei den Wehen von S bereits um die Eröffnungswehen gehandelt hatte?
Geschütztes Tatobjekt ist „eine andere Person“, die Menschqualität aufweisen muss. Während das Bundesverfassungsgericht offengelassen hat, ob verfassungsrechtlich der Schutz des menschlichen Lebens (Art. 2 II 1 GG) bereits mit der Befruchtung der Eizelle beginnt16, beginnt strafrechtlich der tatbestandliche Anwendungsbereich des Schwangerschaftsabbruchs (§§ 218 ff. StGB) nach der Legaldefinition des § 218 I 2 StGB (erst) mit dem „Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter“ (sog. Nidation). Für §§ 211 ff. StGB und §§ 223 ff. StGB beginnt der tatbestandliche Schutz – wie früher aus § 217 StGB a. F. (Kindstötung: „Eine Mutter, welche ihr nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet […]“) folgte und als „tradiertes Begriffsverständnis“17 weitgehend unwidersprochen noch heute anerkannt ist, mit Beginn der Geburt (und damit zeitlich früher als nach dem Zivilrecht: dort beginnt nach § 1 BGB die Rechtsfähigkeit eines Menschen erst „mit der Vollendung der Geburt“).18 Nach heute überwiegender Ansicht19 beginnt die Geburt nicht erst mit den Presswehen, mittels derer das Kind endgültig aus dem Mutterleib gepresst wird, sondern bereits (unabhängig von der Lebensfähigkeit des Kindes20, von der Dauer des Lebens unabhängig vom Leben der Mutter21 und der Lebensqualität22) mit dem tatsächlichen Beginn der Eröffnungswehen, durch die der Gebärmutterhals und der äußere Muttermund erweitert werden. Diese Vorverlagerung des Beginns der Menschqualität beruht neben einem gewollten Gleichklang mit den medizinischen Anschauungen maßgeblich auf einer kriminalpolitisch gewollten Erweiterung des Lebensschutzes (da die §§ 218 ff. StGB nur eine vorsätzliche Begehungsweise kennen). Wann das Leben bei operativer Entbindung (Kaiserschnitt) wie in