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Satire ist oft näher an der Realität, als man meint: Kein Wunder also, dass einem so manches in Stefan Slupetzkys Short Stories merkwürdig vertraut erscheint. Was macht ein schlitzohriger Wiener Privatdetektiv in Hessen? Er wird von einem Vermögensverwalter auf die Entführer seiner Tochter angesetzt. Wie sich bald herausstellt, ist nichts an dieser Entführung, wie es sein soll … Ein britischer Konsulent verschafft einem deutschen Seidenkrawattenfabrikantensohn mit einer absurden Idee auf unkonventionelle Weise zum größten Erfolg seines Lebens – freilich läuft das nicht ohne Kollateralschäden ab. Gruselige Gerüchte treiben zwei Internatsschüler auf den einsamen Turm hinauf. Tatsächlich finden sie dort ein eingelegtes Herz, das ganz und gar nicht tot ist und so einiges im Leben der Buben ändert. Stefan Slupetzky ist wie gewohnt scharfzüngig und scharfsinnig, seine Geschichten verführen zum Lachen und verursachen Gänsehaut.
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Seitenzahl: 142
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Copyright © 2020 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
Umschlagabbildung: Quint Buchholz, Unter Buechern,
aus: Quint Buchholz, Im Land der Bücher
© 2013 Carl Hanser Verlag GmbH & Co KG, München
ISBN 978-3-7117-2101-3
eISBN 978-3-7117-5433-2
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Stefan Slupetzky, Schriftsteller, Musiker und Zeichner, wurde 1962 in Wien geboren. Zwischen 1994 und 2000 schrieb und illustrierte er mehr als ein Dutzend Kinder- und Jugendbücher, für die er zahlreiche Preise erhielt. Seither verfasst er Romane, Kurzgeschichten, Theaterstücke und Liedtexte. Im Picus Verlag erschienen seine Erzählbände »Absurdes Glück« und »Halsknacker«, das Kinderbuch »Pauls Reise« (2013) sowie die Lesereise Mauritius (2016). 2020 erscheint der Erzählband »Atemlos«. www.stefanslupetzky.at
STEFAN SLUPETZKY
SHORT STORIES
PICUS VERLAG WIEN
ARCHE JOHANN
ATEMLOS
ACH AFRIKA
ZIRBITZER
WESTEND STORY
DAS MÄDCHEN MIT DEN SCHWEFELHÖLZERN
DAS GEFANGENE HERZ
BOM
BUMMABUNGA
DIE BEFREIUNG CHIPULCHICAS
Es geschah in einer finsteren Nacht, dass sich der alte Mann in Johanns Träume schlich. Johann nahm ihn anfangs gar nicht wahr, und als er ihn dann doch bemerkte (so wie einem ein störender Fleck im Augenwinkel erst nach einer Weile bewusst wird), da ignorierte er ihn. Wie üblich hatte sich Johann am Abend betrunken, um nach der dritten Flasche Wein – gleich hier, auf einer Bank im Presshaus seines Hofes – in einen tiefen, todesähnlichen Schlaf zu sacken. Johann pflegte nie zu träumen, und er sah nicht ein, warum er diese Gewohnheit eines alten, zerknitterten Männleins wegen ändern sollte.
Wäre nur der Alte nicht so zudringlich gewesen!
»Johann«, rief er mit zittriger Stimme, »Johann, hör zu, wenn ich rede mit dir!«
Da beschloss der gute Johann aufzuwachen, denn er war kein händelsüchtiger Mensch: Wenn ihm einer justament lästig sein wollte, so trat er eben den Rückzug an.
Doch in der Nacht darauf – nach dreieinhalb Flaschen Veltliner – war der Alte wieder da. »Johann, so lass dir was sagen! Schlaf jetzt weiter und hör zu! Es wird kommen eine große Flut zu tilgen den Schmutz von der Welt … Aber was erzähl ich dir, du kennst den ganzen Schmonzes aus der Kirche, möcht ich hoffen. Jedenfalls sollst du ein Schiff bauen, Johann. Ein Schiff, so groß, dass es von jedem Tier zwei Stück … Na, einen Musterkoffer halt von meiner Schöpfung.«
Johann runzelte die Stirn. Immer noch träumend, griff er zur angebrochenen Flasche und schenkte sich nach. »Und woher soll ich wissen …«
»Dass ich wirklich ich bin?«, unterbrach ihn verärgert der Alte. »Es ist immer das Gleiche mit euch, nie wollt ihr mir glauben. Was glotzt du? Soll ich zeigen meinen Ausweis?«
Johann schwieg und trank einen Schluck, worauf der Alte die Augen verdrehte und seufzte: »Natürlich … Ein Wunder möchtest du sehen, so wie alle. Von mir aus, soll sein. Dann sauf jetzt die Flasche aus … Ja, mach sie leer. Und morgen Früh – Simsalabim – da wird sie wieder sein halb voll.«
Und so kam es denn auch: Als Johann erwachte, da galt sein erster Blick der Flasche auf dem Tisch. Unangetastet stand sie vor ihm, keine Menschenseele schien seit gestern Abend daraus getrunken zu haben. Johann kostete ein, zwei Gläser, um den Inhalt zu prüfen: Es war – daran bestand kein Zweifel – sein selbst gekelterter Grüner Veltliner.
Trotz dieses offensichtlichen Wunders brauchte es noch ein weiteres, um Johann vollends von der Identität des nächtlichen Besuchers zu überzeugen. Am folgenden Abend trug er ein Fass voll Riesling ins Presshaus und eine mächtige Platte mit Würsten, Geselchtem und Braten, die ihm seine Frau, die Vroni, gerichtet hatte. Ohne die bereitgestellten Köstlichkeiten anzurühren, schlief er ein und harrte leise schnarchend seines Gastes.
Der Alte ließ nicht lange auf sich warten. »Meschuggener Goi!«, rief er kopfschüttelnd, sobald er Johanns Traum betreten hatte. »Was machst du da?«
Johann schob sich sogleich ein großes Stück Fleisch in den Mund. »Entschuldige«, meinte er schmatzend, würgte und schluckte, spülte mit Welschriesling nach. »Ich wollte nur«, er überlegte kurz, »ich wollte nur wissen … Wie soll es ausschauen, dieses Schiff?«
»Hast du Schmock eine Bibel?«
»Ich … Ja.«
»Und kannst du womöglich auch lesen?«
Johann nickte stumm, mit vollem Mund.
»Dann nimm und lies nach.« Der Alte hob den Zeigefinger. »Aber mach den Kahn nur halb so groß: Wir brauchen nicht so viel Platz wie beim letzten Mal.«
»Nicht? Wieso denn?« Johann hob erstaunt den Kopf. Ein Schwall kleiner Bratenbröckchen spritzte auf das weiße, an ein Krankenhemd gemahnende Gewand des Alten.
»Wieso! Warum! Dann bau doch, wie du willst! Und wenn du fertig bist, holst du mir gleich die Auerochsen und die Atlasbären. Danach die Riesenalks, die Moas und die Dodos …«
»Aber … Wie soll ich … Sind die nicht alle längst ausgerottet?«
»Nu«, brummte grimmig der Alte und wandte sich zum Gehen. »Noch Fragen?«
»Nur eine: Könntest du vielleicht …«, Johann wies mit verlegener Geste auf seine im Schwinden begriffene Schlachtplatte, »ein letztes Mal noch …?«
Unmengen Schwein und Wein verdrückte Johann in dieser Nacht – am nächsten Morgen aber stand das Festmahl wieder völlig unberührt vor ihm. Und so machte sich Johann auf, die verstaubte Bibel aus dem Nachttisch zu holen und seine Familie über das Schiffsbauprojekt in Kenntnis zu setzen.
Johann hatte drei Söhne: Sepp, Franz und Wastel. Wie es der glückliche Zufall wollte, wohnten die drei noch am elterlichen Hof, auch wenn sie bereits verheiratet waren. Während ihre Frauen – Zenzi, Hanni und Gundi – Vroni bei der täglichen Hausarbeit halfen, gingen Sepp, Franz und Wastel dem Vater beim Weinbau zur Hand: junge Kräfte also, die es nun für die gute Sache zu nutzen galt.
Gemeinsam machten sich die Männer auf, um im nahe gelegenen Ort zu beschaffen, was sie zum Bau der Arche benötigten: Holz natürlich und Nägel, Lack und Leim und allerhand Werkzeug. Die Kunde vom verrückten Winzer, der sich (meilenweit vom nächsten Wasserlauf entfernt!) zum Reeder aufschwingen wollte, diese Kunde verbreitete sich wie ein Lauffeuer über die Dörfer. Und als Johann mit seinen Söhnen die Heimreise antrat, da folgte ihm nicht nur ein Pulk aus schwer beladenen Lastwagen, sondern auch ein eilends abgestellter Redakteur der örtlichen Provinzgazette.
Arche Johann: Wahnsinn oder Weltenrettung?, so lautete die Überschrift, die dieser seinem hastig verfassten Artikel voranstellte. Zwei Tage später schon prangte sie auf dem Deckblatt der Winzerpostille. Vier Tage, und man konnte sie – in spärlich abgewandelter Form – auf allen Titelseiten der lokalen Presse finden. Und nach kaum einer Woche hatte die Nachricht die Hauptstadt erreicht.
Wenn einer was Außergewöhnliches tut, dann lässt die Niedertracht der anderen nur selten auf sich warten. Überall wurde Johann verlacht und verhöhnt, und bald schon spottete man auch im Ausland über ihn: Bis nach New York und San Francisco, nach Shanghai und Wladiwostok brandete die Welle aus Zynismus, Häme und Gehässigkeit.
Wenn einer was Außergewöhnliches tut, dann finden sich aber auch immer ein paar, die ihm helfen wollen, die – ungeachtet seiner augenfälligen Psychose – willens sind, ihn mit Rat und Tat und Waren aller Art zu unterstützen. So kam es auch, dass eines sonnigen Nachmittags die große Händlerkarawane Johanns Gehöft erreichte.
Billiges Straßenvolk, möchte man meinen, Schlepper und Nepper, Krämer und Schieber, Lumpengesindel, das mit verwahrlosten Karren durch die Landschaft zieht, um in hundertfach geflickten Zelten auf dem Grund und Boden anderer Leute zu kampieren. Weit gefehlt! Adrette junge Männer waren es, die sich in sportlichen Autos und schnittigen Anzügen vor Johanns Pforte einfanden, um ihm – wie sie es ausdrückten – ihre Aufwartung zu machen.
»Ein unschlagbarer Preis, mein Herr! Zweihundertachtzig Kanäle! Drei Jahre Garantie!«
»Wir brauchen kein Satellitenfernsehen. Es wird ja auch bald keine Sender mehr …«
»Was heißt schon bald? Stellen Sie sich nur die lange Reise vor! Sie müssen an Ihre Familie denken!«
»Wir haben aber keinen Strom auf unserer …«
»Derlei Probleme sind für uns ein Kinderspiel. Ich hätte da einen Topgenerator für Sie! Leistungsstark, robust, und was das Beste ist: zurzeit im Angebot!«
»Hören Sie, ich muss wieder …«
»Aber der Schmutz! Der tägliche Schmutz auf dem Schiff! Wie wollen Sie denn saugen ohne Strom?«
»Wir besitzen einen Besen …«
»Haha! Mir war fast, als hätte ich Besen verstanden! Entschuldigung, wie dumm von mir: Ein Mann von Welt wie Sie, der würde doch seine Gemahlin niemals einen Frachtdampfer auskehren lassen.«
»Wir werden ohne Dampf …«
»Unser brandneues Saugsystem entfernt nicht nur den Staub, es beseitigt auch lästige Gerüche! Ein sensationelles Gerät! Und, ganz im Vertrauen: supergünstig! Sie werden’s mir danken, bei all diesen Tieren …«
Johann warf ohne ein weiteres Wort die Tür ins Schloss und kehrte zurück in die Werkstatt. Mit Einbruch der Dämmerung ging er ins Presshaus, trank drei Flaschen Zweigelt und wartete auf das Erscheinen seines Auftraggebers.
»Schon wieder schikker wie Lot!«, begrüßte ihn der missgelaunte Alte. »Was ist? Soll ich dir zaubern noch mehr Wein? Wie wenn ich hätt nichts Besseres zu tun?«
»Aber nein!« Johann hob begütigend die Hände. »Ich habe eine andere Bitte: Diese Händler da draußen, diese Hausierer, die mich seit Kurzem belagern … Kannst du mir das Pack vielleicht vom Leibe halten? Sie gehen mir auf die Nerven. Schlimmer noch: Sie stehlen mir die Zeit. Ich muss mich doch um deine Arche kümmern …«
Als sich am nächsten Morgen die Vertreterhorde wieder vor dem Bauernhof versammelte, da zog – wie aus dem Nichts – ein gigantisches Unwetter auf. Schon zuckten die Blitze vom plötzlich verdunkelten Himmel, ein wahres Stakkato aus gleißenden Lichtstrahlen, man konnte sie gar nicht mehr zählen. Und kaum dass das Gewitter – schlagartig, wie es gekommen war – ein Ende fand, da trat die Spur der Verwüstung zutage: Drei Bäume, ein Ferkel und mehrere Hühner waren den Feuerstößen zum Opfer gefallen (was Johann berechtigterweise an der sicheren Hand des Alten zweifeln ließ), eine weitere Entladung aber hatte das anvisierte Ziel erreicht: Sie hatte eine der blauen Karossen getroffen, deren Besitzer, ein Generalagent für Tiefkühltruhen, hinter das Steuer geflüchtet war. Der Blitz war in das Blechdach eingeschlagen, um dann – den Rahmen entlang – geradewegs in den Boden zu fahren. Ein Knall, ein Ruck und ein blasser Vertreter, mit anderen Worten: Schall und Rauch. Nicht der geringste Schaden war entstanden.
»Dem Herrn sei Dank«, hauchte der Kühlschrankverkäufer. Zitternd ließ er den Wagen an und fuhr, so rasch er nur konnte, zurück in die Stadt.
Nicht anders seine Kollegen: Sie räumten das Feld. Wenn also die Mächte des Himmels an jenen der Erde gescheitert waren, so hatten sie doch einen Teilsieg errungen: Die Händler schienen bis auf Weiteres in die Flucht geschlagen. Dass sie sich anderweitig neu formierten, um gewieftere Methoden des – wie sie es nannten – Kundenkontakts zu ersinnen, das konnte nicht einmal der Himmel ahnen.
Takuya Nimbus – Eleganz, die jedem Wetter trotzt! So lautete die Aufschrift auf dem riesigen Plakat, das eine Woche später vor Wastels und Gundis Schlafzimmerfenster aufgestellt wurde. Es zeigte ein Auto wie jenes, in dem der Vertreter dem Blitzschlag entgangen war. Nur dass der Wagen lächelte. Inmitten einer – fast unwirklich schönen – tiefgrünen Aulandschaft stand er lässig auf den Hinterrädern und grinste eine dunkle Wolke an, die über ihm hing.
Tags darauf wurden weitere Poster affichiert: Weliba Soft – die Sparmaschine! Töpfe, Teller und Kristall, Weliba umhegt sie all!, stand vor dem Küchenfenster zu lesen. Doktor Hagemann empfiehlt: Hagemann extra mit Lanofanol! Gehen Sie mit Power in den Tag!, vor Sepps und Zenzis Badezimmer. Nicht lange, und der Winzerhof war von Plakatwänden, Litfaßsäulen und Transparenten eingekreist wie ein amerikanischer Siedlertreck von kriegerischen Indianern. Sogar eine Videowand installierte man, um – wie ein mit ihrer Errichtung beschäftigter Techniker Johann erklärte – auch den ländlichen Konsumenten an wichtigen Produktinformationen teilhaben lassen zu können.
»Ich bin kein Konsument«, erklärte Johann.
Der Techniker lächelte nachsichtig.
Die Arbeit an der Arche war bis zu diesem Zeitpunkt gut vorangegangen. Johann, Sepp, Franz und Wastel sägten und hämmerten, schraubten und nieteten, was das Zeug hielt, sodass sich die oberen Schiffsdecks schon über die Giebel des Hauses erhoben. Eines Morgens aber legte Wastel seinen Hammer hin, stemmte die Fäuste in die Hüften und sagte mit leicht angespannter Stimme: »Wir müssen reden, Vater.«
»Reden? Was willst du reden?«
»Das Schiff … Wir werden bald fertig sein.«
»Ja und?«
»Dann werden wir die Tiere holen.«
»Ganz recht. Aus dem Zoo, hat der Alte gesagt, weil in der Natur, da kann man die meisten nur noch mit der Lupe suchen. Und weiter?«
»Weißt du, Vater, ich … ich …«, Wastel druckste ein wenig herum, bevor es aus ihm herausbrach: »Ich will einen Takuya!«
»Taku… wie?«
»Takuya Nimbus!«, mischte sich nun auch Wastels Bruder Franz ein. »Das Auto, Vater! Das Auto!« Er ließ die Säge fallen und deutete zum Himmel. Über ihren Köpfen zog ein Doppeldecker seine Bahnen, hinter dem ein nachtblaues Spruchband flatterte: Takuya Nimbus – Eleganz, die jedem Wetter trotzt!
»Und was, bitte, sollen wir mit einem Auto, wenn die Welt untergeht?«, fragte Johann, ehrlich erstaunt.
»Das Wasser wird ja irgendwann versickern!«, ließ sich jetzt Sepp, der Erstgeborene vernehmen und warf das Maßband auf den Boden. »Dann können wir herumfahren!«
»Herumfahren …« Johann starrte verwirrt von einem zum nächsten. »Herumfahren … Könnt ihr drei Genies mir auch verraten, wer das bezahlen soll?«
»Wir kaufen auf Raten!«
»Wir nehmen Kredit auf!«
»Den Rest erledigt die Flut!«
»Weliba«, sagte Vroni und verschränkte entschieden die Arme vor der Brust. »Die neue Weliba Soft. Eine andere kommt mir nicht … in die Kombüse.«
»Wo wir gerade dabei sind«, warf Hanni ein, »der Franzl findet neuerdings, ich hätte zugenommen. Schau her«, sie tippte mit dem Finger auf das Foto eines Hochglanzkatalogs, den sie rasch unter der Sitzbank hervorgezogen hatte, »der Kombitrainer von Fairfit, mit Stretching und Power-Massage … Den hätt ich gern.«
»Und ihr?«, wandte sich Johann entnervt an Zenzi und Gundi. »Was wünscht ihr euch? Vielleicht … einen Pool auf dem Oberdeck?«
Zenzi nickte schüchtern.
»Aber nicht ohne Solarium«, sagte Gundi.
Johann ließ sich auf einen der Küchenstühle fallen und starrte eine Weile vor sich hin. Wer ihn kannte (und die vier Frauen kannten ihn zur Genüge), der wusste: Johann war kurz davor, weich zu werden.
Irgendwann hob er den Kopf und blickte Vroni müde an. »Was sollen wir denn mit den Tieren machen? Wir haben doch nicht genug Platz …«
»Dann lass die Elefanten eben da«, lächelte Vroni und strich ihm sanft übers schüttere Haar. »Wer braucht schon Elefanten?«
»Wie lange wirst du noch basteln?«, fragte das Männlein.
»Bis morgen«, gab Johann zur Antwort. »Morgen werden wir fertig sein.« Er musterte sein Weinglas, als wollte er es vermeiden, dem Alten in die Augen zu sehen.
»Gut. Dann kannst du die Tiere holen. Und trödel mir ja nicht herum: In vierzehn Tagen geht es los.«
Verglichen mit dem Schleudern wohlgezielter Blitze ist die Inszenierung einer Sintflut eine Bagatelle. Zwar erfordert sie ein beachtliches Maß an Beherrschung der Naturgewalten, aber umso weniger Präzision. Das Verhältnis von Blitz zu Flut ähnelt am ehesten dem einer Uhrmacherpinzette zu einer Abrissbirne, und seine Abrissbirne hatte der Alte nun wirklich gut im Griff.
Zwei Wochen später ließ er den Regen beginnen. Einen kolossalischen, nie (oder höchstens erst einmal) da gewesenen Regen. Man könnte ihn als Wasserwand bezeichnen, die von der Erde in den finsteren Himmel ragte. Nur dass eine Wand in der Regel zwei Seiten besitzt, wohingegen der Regen des Männleins ein einziger, weltumspannender Wolkenbruch war.
Bald waren Wiesen und Felder mit Wasser gesättigt, es brach ihnen nun wie Schweiß aus den Poren; Rinnsale wuchsen zu Bächen an, Flüsse zu reißenden Strömen, die brodelnd über ihre Ufer brandeten und hoch und höher stiegen, um sich miteinander zu vereinen. Im gewaltigen Getöse einer Symphonie aus Donner und Gebraus wurden Städte und Dörfer, Menschen und Tiere verschlungen wie im Strudel eines göttlichen Aborts.
Johann erhob sich und betätigte die Spülung seiner Sanitec-Pro Vakuum-Toilette. Zwischen Kisten, Kartons und Containern hindurch bahnte er sich einen Weg zu den Liften und fuhr zum Panoramadeck hinauf. Zufrieden blickte er aufs Meer hinaus, auf dem noch eine Handvoll Boote durch die aufgewühlten Wogen schipperte. Wenn sie sich aus den Wellentälern kämpften, konnte man Leute darauf erkennen, die heftig zur Arche hin gestikulierten. Lieferanten wahrscheinlich, dachte Johann, die ihre Zustelltermine versäumt haben. Kein Problem. Man hatte alles, was man brauchte, und die Luken waren dicht. Wer jetzt noch versuchte, das Schiff zu betreten, der würde an der Secusafe Alarmanlage scheitern.
»Secusafe Homeguard«, summte Johann vor sich hin, »Sicherheit in jeder Lage bis ans Ende aller Tage …«
»Ach, hier bist du.« Mit leisen Schritten trat Vroni an seine Seite und bedachte ihn mit sorgenvollen Blicken. »Johann, wir … Wir haben Tiere an Bord.«
»Völlig unmöglich.«
»Ich habe sie aber gesehen. Es sind … Ratten.«
»Auf dem zweiten Deck, mein Schatz, irgendwo hinter den Motorrädern, da findest du Rattengift …«
Vierzig Tage lang währte der Regen des Alten, dann aber teilte er das Gewölk, um sein Werk zu betrachten. Und er sah, dass es gut war. Besser, so befand er, würde es nicht werden. Still schloss das Männlein die Wolkendecke, strich noch ein letztes Mal darüber, so wie man den Kopf eines schlafenden Kindes streichelt, und wandte sich anderen Welten zu. Die Sonne nahm er mit.