ATLAN X Tamaran 1: Die Prophezeiuung von Sais - Hans Kneifel - E-Book

ATLAN X Tamaran 1: Die Prophezeiuung von Sais E-Book

Hans Kneifel

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Beschreibung

In der Mitte des sechsten Jahrhunderts vor Beginn der christlichen Zeitrechnung ist es wieder einmal soweit: Das Ägypten des Pharaos Ah'mes wird von den sich ausbreitenden Persern bedroht. Wichtiger aber noch ist eine Prophezeiung, die seit einiger Zeit am Hof des Pharaos kursiert. Sie spricht von einem Weißen Krieger, der ein bislang unbekanntes "Helles Volk" aus der Sklaverei befreien soll. Ist Atlan dieser Weiße Krieger? Und wer ist die geheimnisvolle "Goldene", die ebenfalls in der alten Schrift erwähnt wird? Atlan bricht auf, um das Rätsel zu lösen ... Folgende Romane sind Teil der Tamaran-Trilogie: 1. "Die Prophezeiung von Saïs" von Hans Kneifel 2. "Sternenfall der Goldenen" von Christian Montillon 3. "Das Urteil des Drachenbaumes" von Marc A. Herren und Dennis Mathiak

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Erster Band der Tamaran-Trilogie

Die Prophezeiung von Saïs

von Hans Kneifel

1.Im Grenzland Kemets

Plötzlich waren sie da. Sie kamen über die Rückseite der niedrigen Düne und zwischen den erodierten Felsen hervor und waren zuerst nur lautlose Schattenrisse vor der tief stehenden Sonne. Eine Reihe Männer mit Schilden, Lanzen und Streitäxten, deren geschliffene Bronzeklingen hier und dort aufblitzten, standen einen Augenblick auf dem Kamm der Düne, dann liefen, stolperten und rutschten sie durch den Sand auf die Karawane des Pharaos zu. Anführer Ka-Nachtmin schätzte nach einem einzigen, langen Blick ihre Anzahl auf acht Dutzend.

»Von rechts! Wir werden überfallen! Greift eure Waffen!«

Hauptmann Ka-Nachtmin war seit zwei Tagen und Nächten misstrauisch geblieben und hatte die Pferde der drei Wagen nicht ausschirren lassen. In dem Augenblick, an dem die Soldaten, die sich zwischen den beladenen Eseln und den Lastenträgern verteilten, sich nach rechts wandten und ihre Schilde hochrissen, begannen die Tjehenu-Räuber ihr trillerndes Angriffsgeschrei. Auf der freien Fläche zwischen dem Fuß der Düne und dem breiten Weg warfen die Körper der Angreifer überlange, schmale Schatten. Noch vielleicht fünfzig, siebzig Schritte trennten die Räuber und die lange Linie der Rômet-Soldaten, die einander Warnungen zubrüllten und sich zum Kampf stellten.

»Paser! Zu mir! Spring auf!«, dröhnte der Hauptmann und ließ die Zügel auf die Rücken der Pferde klatschen. Der Bogenschütze, in der Rechten den Bogen waagrecht über dem Kopf haltend, packte den linken Griff des Kampfwagens, rannte drei, vier Schritte und stand nach einem kurzen Sprung neben Ka-Nachtmin. Auf engstem Raum wendete im prasselnden Sand der Hufe der Wagen; Nachtmin lenkte die Pferde nach rechts, sie sprangen in den kurzen Galopp, und ihre Hufe warfen Sandfahnen und scharfkantige Gesteinssplitter gegen die Front des Wagens und in Gesicht und Oberkörper des Lenkers.

Paser, in dessen rundem, dunklem Gesicht graue Bartstoppeln wucherten, hatte den ersten Pfeil auf der Sehne seines schweren Bogens. Der Hauptmann lenkte den Wagen, dem der zweite Kampfwagen augenblicklich folgte, zurück zur Spitze der Karawane, die sich in voller Auflösung befand. Noch immer gellten die Schreie der Räuber aus dem Westen. Paser zog die Sehne bis ans Kinn, murmelte eine Verwünschung und löste den ersten Pfeil. Das Geschoss heulte durch die heiße Luft, traf einen hochgewachsenen Mann mit brauner Haut, drang unter dessen Kinn ein und zwischen den Schulterblättern wieder heraus, gefolgt von einem Blutschwall. Das nächste Geschoss von der Sehne des nachfolgenden Bogenschützen schickte einen zweiten Angreifer in der Mitte der Angreiferlinie zu Boden.

Entlang der Karawane, die sich aus ungefähr hundert Eseln und Ochsen, zwei Dutzend Treibern, vier Dutzend Trägern und vielleicht siebzig Soldaten zusammensetzte, waren zahlreiche Kämpfe ausgebrochen, Mann gegen Mann oder kleine Gruppen gegen Einzelne.

Ka-Nachtmin schrie aus voller Kehle: »Bleibt zusammen. Wehrt euch! Schlagt sie tot, die Räuber!«

Beide Wagen ratterten nebeneinander auf dem spärlich bewachsenen, sandigen Streifen zur Mitte der Karawane. Der dritte Kampfwagen, von Ptah gelenkt, neben dem ein hellenischer Söldner schoss, näherte sich vom Ende der weit auseinandergezogenen Linie. Staub und Sand wallten an hundert Stellen auf. Die kämpfenden Männer schrien. Äxte schlugen gegen Schilde, Speere zischten durch die Staubwolken, unaufhörlich heulten die Pfeile, hervorgerissen aus den vollen Köchern, schlugen die Sehnen hart gegen die ledernen oder bronzenen Armschutze.

Das Aufheulen und Wimmern der Verwundeten und die Todesschreie mischten sich in das Kreischen der Esel und die dumpfen Laute der Lastochsen. Bisweilen wieherte ein Pferd aus tiefem Hals.

Einzelne Tragetiere hatten sich losgerissen. Andere wurden von halbwüchsigen Räubern, die ihren Vätern und Vatersbrüdern gefolgt waren, mitsamt dem Gepäck weggezerrt. Esel sträubten sich, wurden geschlagen und stießen furchtbare Laute aus, die wie Schreie von gefolterten Verfluchten klangen. Körper lagen zuckend auf dem Boden und versuchten, den Hufen oder den tödlichen Hieben zu entgehen. Tonkrüge, aus den Traglasten gerutscht oder herausgerissen, barsten mit lautem Knacken und hohlem Poltern und entleerten ihren Inhalt, kostbares Öl, nicht minder wertvollen Irep, Wein aus dem fruchtbaren Dreieck, Wasser und kalten Pflanzenaufguss, Salz und Natron auf den staubigen Boden. Zwischen den Räubern und den Soldaten, die mit dem Mut und der Wut der Verzweiflung kämpften, hämmerten die Hufe der schwitzenden Zugpferde und sirrten die Felgen der leichten Kampfwagen auf dem von der Sonne hart gebackenen Boden. Die Bogenschützen schossen ununterbrochen; Paser, der Älteste, tötete die meisten Männer.

Ka-Nachtmin hatte den letzten Wurfspeer aus dem Flechtwerkzylinder gerissen und lenkte die Pferde mit der Linken. Er stand ungedeckt, mit weit nach hinten gelehntem Oberkörper, im Wagenkorb und federte die Stöße des Gefährts mit den Knien ab, ebenso wie Paser. Als er ein Ziel erkannte – einen Angreifer, der sich über einen daliegenden, verwundeten Rômetkrieger beugte, der als einzigen Schutz nur den Schild über seinem Körper festhielt –, schleuderte Ka-Nachtmin mit aller Kraft die Waffe. Die nadelfeine Bronzespitze bohrte sich ins Rückgrat, in der Mitte zwischen Nacken und Gesäßfalte, des Tjehenu. Kreischend bog der Getroffene seinen Körper nach hinten und starb.

Einige Lasttiere und die jungen Angreifer, die sie zerrten und mit Schlägen antrieben, verschwanden zwischen den Felsen. Fluchend und schreiend kämpften die pharaonischen Krieger und trieben die Wüstenleute Schritt um Schritt zurück. Einige Angreifer packten wahllos abgeworfene Tragelasten, schulterten sie und rannten davon.

»Anubisverfluchte Räuber!«, brüllte Pa-Iset, ein Unteranführer der Soldaten. Ein Hirte aus Kush, der bisher zwei Lastochsen geführt hatte, hatte seine Schleuder geladen und wirbelte sie über der Schulter. Der Kieselstein surrte von der Lederschlinge und zerschmetterte einen Flüchtenden den Schädel in einem Ball aus Knochen, Blut und Gehirnfetzen. Mitsamt dem Tonkrug stürzte der Getroffene ohne einen Laut in den Sand der Düne. Beide Streitwagen hatten das Ende des Zuges erreicht, der dritte ratterte auf einem kaum kenntlichen Pfad den Tjehenuräubern hinterher.

Ka-Nachtmin riss den Arm in die Höhe, winkte den wenigen Kämpfern, die auf ihn achteten und schrie: »Hinter mir her! Sie flüchten mit unseren Schätzen!«

Er lenkte die Pferde auf den Fuß der Düne zu, wo Hufe und Räder gerade noch Halt fanden. Der zweite Wagen, den Cha-Month lenkte, folgte in zehn Schritt Abstand. Paser hatte einen Rückenköcher geleert und griff nach den Pfeilen, die im Köcher des Kampfwagens raschelten. Beide Bogenschützen versuchten, jene Räuber zu treffen, die mit ihrer kostbaren Beute flüchteten.

In langsamem Galopp, zwischen Kämpfenden und Toten in Halb- und Viertelkreisen, versuchten die Gespanne den rennenden Räubern den Weg abzuschneiden. Unverändert heulten die Pfeile im Abstand von einzelnen tiefen Atemzügen durch die stauberfüllte Luft, trafen die Körper oder blieben im Sand stecken. Ka-Nachtmins Blicke gingen in alle Richtungen; er sah ein, dass der kurze, erbitterte Kampf zu Ende und ein Teil des Karawanenbesitzes verloren war.

»Aber Ah’mes, der Hohe Herr im Per-Ao, hat ihnen furchtbare Rache geschworen!«, sagte er zu Paser, der den Bogen senkte und den Pfeil in den Köcher zurücksteckte. Dann zog der Wagenlenker die Zügel straff, und die Pferde gingen im Schritt zur Stelle des größten Getümmels zurück.

»Nicht mehr heute«, antwortete Paser und spuckte viel sandigen Speichel aus. »In einer guten Stunde ist Nacht.«

»Und wir sammeln uns zu einem traurigen Nachtlager.«

Die Pferde stanken unerträglich nach Schweiß. Auch das zweite Gespann und, mit einigem Abstand, der dritte Kampfwagen, fuhren langsam zum Wüstenpfad zurück.

Ka-Nachtmin bedeutete den Soldaten, Trägern und Eseltreibern, sich zu versammeln und rief: »Lasst keine Verwundeten und keine Waffen liegen, Männer!«

Die Männer trugen die Verwundeten, und alles, was auf dem breiten Streifen Ödland liegen geblieben war, zum Pfad zurück und bereiteten ein flüchtiges Nachtlager vor. Die wenigen Räuber, die stöhnend, wimmernd und blutend den Kampf überlebt hatten, wurden mit Dolchstößen getötet und, wegen der Aasvögel und der Schakale, zur Düne gezerrt. Zwei Esel, die sich losgerissen hatten, kamen mit verrutschten Lasten zurückgetrottet, weil sie das Wasser witterten. Die schweißübergossenen Karawanenmänner tranken gierig, keuchend, mit hängenden Schultern, einige Ziegenschläuche leer, wuschen flüchtig die Gesichter und tränkten dann ihre Tiere.

Die Lasten wurden den Tragetieren abgenommen, die verstreuten Waffen und Gegenstände in ordentlichen Gruppen und Reihen zusammengetragen, den Tieren warf man Heu und schlaffes, feuchtes Gras von den Eselslasten vor, ein Feuer war schnell vorbereitet. Die Männer versorgten gegenseitig ihre Wunden; für zwei Treiber, einen Träger und zwei Soldaten hoben die Männer des Pharaos flache Gräber aus und wickelten die Leichname in Leinentücher, die Ka-Nachtmin aus dem Bestand der Karawane entnehmen ließ. Er war es auch, der einige Zeilen aus dem Totenbuch aufsagte und mithalf, Sand auf die starren weißen Bündel zu schaufeln.

Die Karawane kam aus dem Gebiet um Peguati nahe der Mündung des westlichsten Arms des Stromes. Die Ionier und Achaier nannten die kleine Stadt Kanopus, und die peguatische Mündung demnach die Kanopische; es ging die Legende, ein griechischer Steuermann namens Kanopus sei vor Zeiten »voll des süßen Weines« von Bord seines Schiffes gefallen und, da er wie die meisten Seeleute des Schwimmens unkundig war, jämmerlich ersoffen.

Das Ziel des langen Zuges voller wertvoller Waren hoffte Ka-Nachtmin in vier, fünf Tagen zu erreichen. Es war Sa’u, von den Griechen in Saïs umbenannt. Bevor sie Sa’u erreichten, mussten viele Tiere und alle Männer zwei Hapiarme überqueren – in Booten oder, wenn es die Wassertiefe einige Monde vor der Hapiüberschwemmung zuließ, durch die Furten.

Viel sonnengebleichtes Leinen war in den Traglasten gefaltet, in ledernen Umhüllungen befanden sich Shafadublätter, auf denen selbst die Hellenen gern schrieben und sie »Papyros« nannten, ausgesuchte Stücke Holz aus angetriebenen Stämmen, Salz, Salpeter und verschiedenes Öl, aus Pflanzen gepresst. In Ziegenbälgen gluckerten Irep von den sandigen Weingärten des Mündungsgebietes, Brunnenwasser und nahrhaftes Henket. Da die Zahl der Überfälle auf Siedlungen und Karawanen in den vergangenen Jahren zugenommen hatten, begleiteten stets Truppen des Großen Hauses die Treiber und bewachten Menschen, Tiere und Waren. Aber Ka-Nachtmin, dessen Hals viele goldene Fliegen schmückten, Auszeichnungen des Pharaos für große Tapferkeit, kannte den Groll und die entsprechenden Befehle seines Herrn, des Gottkönigs, der die Tjehenu bitter strafen würde.

Der molkige Schein des vollen Mondes übergoss die Umgebung des Lagers, die still dastehenden Tiere und die Männer mit seinem dämonischen Licht. Die erste Wache, ein Dutzend satter und bewaffneter Soldaten, umstand das Lager. Ka-Nachtmin saß auf dem Boden seines Streitwagens, dessen Deichsel auf einem Heuballen ruhte. Der Anführer blickte ins Feuer und hielt eine Schale abkühlenden Kräuteraufgusses in beiden Händen.

»Unseren Gottkönig Ah’mes, der seit drei Jahrzehnten im Großen Haus zu Saïs und Men-nefer das Land regiert, haben die Götter auch in seinem vierundsiebzigsten Jahr mit Gesundheit, der Kraft des Heiligen Stiers und mit tapferen Anführern und Soldaten gesegnet.« Er nickte, nahm einen Schluck, betrachtete die Gesichter der Männer, die ihm zugewandt waren, und fuhr fort: »Wir haben unsere Karawane mit Mut und Blut verteidigt. Aber die Tjehenu und die Meschwesch werden uns Rômet immer wieder überfallen. Sie sind lästig wie Stechmücken, aber gefährlicher als Giftnattern. Ich weiß, dass Herr Ah’mes sie vertreiben, ihre Dörfer verbrennen und ihre Frauen und Kinder in die Sklaverei führen wird. Das aber kann erst geschehen, wenn wir jenseits der zwei Hapiarme in Sicherheit sind.«

Zustimmendes Murmeln antwortete ihm. Jeder wusste, dass sie in zwei Tagen den westlichsten Arm erreichen würden – gen Sonnenuntergang lag bis zum Ende der verstehbaren Welt nur die gewaltige Wüste und die Karge Küste, an der jenseits von Kyrene die verbrecherischen Störenfriede lebten.

»Ich schicke Ptah mit seinem schnellen Gespann ins Große Haus. Er wird, ohne Zweifel, mit einem kleinen Heer zurückkommen. Ah’mes wird mich zum Anführer machen.« Ka-Nachtmins Arm deutete auf das weiß-graue Gestirn, das über dem Großen Grünen schwebte. »Ich werde unsere Toten und den Verlust, den wir erlitten haben, furchtbar rächen.«

Er hob die Faust. Ein dünnes Scheit krachte. Funken stoben in die Höhe und wollten sich mit den Sternen vermischen. Einzelne begeisterte Schreie ertönten. Mit schwerer Betonung schloss der Anführer: »Denn ich kenne die Wege, ich spreche die Sprache der Tjehenu, und dass ich im Kampf keine Gnade kenne, weiß jedermann.« Er stellte die halbvolle Schale auf sein narbiges Knie, zeigte auf einen Karawanenmeister und grinste. »Damit diejenigen, die keine Wache halten, gut schlafen können – verteil einen großen Krug Irep an die Tapferen!«

Der Beifall und das Geräusch des Händeklatschens verloren sich in der Weite der leeren, dunklen Umgebung. Ka-Nachtmin lehnte sich zurück. Er wusste, dass er nichts versprochen hatte, das er nicht halten konnte.

Elf Tage nach dieser Nacht führten Ka-Nachtmin und Paser, ebenso ausgeruht wie die Pferde des Kampfwagens, die lange Doppelreihe der Krieger jenseits des Kanopischen Mündungsarms, vorbei an den Sumpfseen und schier endlosen Schilffeldern nach Westen. Den Schluss des kleinen Heeres bildeten die Esel, die Proviant und alles Übrige schleppten, das die Männer nicht mit sich trugen. Seit vor dreihundert Jahren, also vor einer Ewigkeit, Herrscher aus dem Westen von Bubastis und Tanis aus das Land regiert hatten, führten gangbare Wege durch die Sümpfe. Viele dieser Wege waren verwahrlost, zugewachsen oder verschwunden, aber Ka-Nachtmin kannte die wichtigste »Straße« jenseits der Viehweiden, der Flachs- und Kornfelder, der Obsthaine und der Weinhügel. Längst hatten die Krieger die letzten Kanäle hinter sich gelassen; vor ihnen lag die Wüste, zur rechten Hand rauschten die Wellen des Meeres gegen sandige und felsige Ufer.

»Wir haben genug Wasser und Proviant«, hatte er nach Sonnenaufgang erklärt. »Üble Hast in der Hitze führt nur zu schmerzhaften Blasen und früher Kraftlosigkeit. Nur Ausdauer und Siegeswille führen uns zu den Tjehenu.«

Die Männer kannten die Zeit nach dem Kampf und dem Sieg: Fette Braten, Frauen, Wein, frisches Brot, Gefangene und Sklaven. Sie würden nichts davon entbehren, nachdem sie den Befehl Ah’mes’ ausgeführt hatten.

»Du weißt, wo die Dörfer liegen, aus denen die Räuber gekommen sind?«, erkundigte sich Paser, dessen scharfe Augen die Gegend nach möglichen Verstecken der Tjehenu absuchten.

Ka-Nachtmin nickte und spuckte aus. »Sie sind jedes Jahr an einem anderen Platz, aber niemals weit voneinander entfernt«, sagte er und hustete seine Kehle frei.

»Wie viele Tage müssen wir noch durch die Hitze marschieren? Und in der Nachtkälte schlafen?«

»Drei Tage und Nächte. Wir überfallen sie vor dem Morgengrauen.«

»Gibt’s viel Beute? Was glaubst du?«

»Wenig. Das Übliche: Fressen, Saufen und feuchte Schöße.«

»Bringen wir Gefangene mit zurück?«

»Nur die mit dem meisten Wert, Paser. Junge, Schöne, Handwerker, so wie immer.«

»Ihr Vieh?«

»Magere Rinder und Ziegen? Klapprige Schafe?« Nachtmin schüttelte den Kopf. »Sie haben nicht mehr viele, wenn wir uns satt gegessen haben.«

Paser lachte rau. »Es war ihr Fehler, dass sie uns überfallen haben.«

Nach zweieinhalb Tagen erreichten sie das erste Dorf. Nachts sahen die Späher viele Lichter und Feuer und führten die Krieger flüsternd zu den Stellen, an denen sie ungesehen die Felder und Hütten umstellen konnten. Beim ersten Schimmer der Dämmerung gab Ka-Nachtmin das Signal. Lautlos fielen die Krieger über das Dorf her und stimmten ihr Geschrei erst an, als sie die grasgedeckten Rundhäuser erreicht hatten. Sie töteten die wenigen Männer, die sich zu wehren versuchten, dann trieben sie alle Bewohner in der Mitte des Dorfes zusammen, fesselten die meisten und warfen die stärksten Männer zu Boden.

Um Mittag herum erreichten Nachtmins Männer das zweite Dorf, nachts das dritte. Die Dörfler sahen entsetzt zu, wie sich die Eroberer ihrer Vorräte bemächtigten und die Frauen zwangen, sie zu bedienen; die schönsten Tjehenu-Frauen wurden die schluchzende Beute der Angreifer. Ka-Nachtmin verhinderte mutwillige Grausamkeiten und durchsuchte mit einigen Unterführern die Hütten nach Beute; ein meist vergebliches Unterfangen. Eine Nacht der Furcht, des Wehklagens und Geschreis der Kinder verstrich scheinbar endlos lange. Die Dörfler wurden gezwungen, ihre Toten zu begraben.

Am nächsten Morgen trieben die Krieger aus Saïs alle männlichen Gefangenen mitsamt der Beute auf ein freies Feld. Die fettesten Tiere wurden geschlachtet, die Frauen zwang man, Brot aus dem eigenen Korn zu backen und Sud zu kochen; nachdem alle Vorräte verarbeitet waren, wurden die Hütten der drei Dörfer angezündet. Mächtige Rauchwolken brodelten nach Osten und in die Richtung des Großen Grünen.

Ka-Nachtmin und die Unterführer saßen in den Stühlen und auf Hockern, die man aus den schrundigen, dunklen Häuptlingshütten geholt hatte. In langer Reihe kamen die Gefangenen an ihnen vorbei. Die Anführer bestimmten, wer ihnen nach Saïs oder nur bis zur Grenze folgen musste und wer in den Ruinen zurückblieb.

Ka-Nachtmin führte seit zwölf Jahren Krieger an und schützte Handelskarawanen. Er saß schweigend da, schätzte und begutachtete, unterschied mit der Sicherheit langer Jahre zwischen störrischen und solchen Gefangenen, die sich in ihr Schicksal ergaben. Als er vielleicht dreißig junge Frauen ausgesucht hatte, unterdrückte er sein Erschrecken, beugte sich vor und winkte eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, zu sich heran. Sie trug in einem geknoteten, schmutzigen Tuch ein Kind, das nicht schrie, vor der Brust.

»Wie heißt du? Dein Kind? Zeig es mir!«

»Abbina, Neb Anführer. Das Kind gehört Noyana und Gaoyo. Sie … ihr habt sie erschlagen.«

Abbina versuchte, deutlich zu sprechen. Ihre Stimme zitterte. Sie hob das Kind, das jünger schien als ein Jahr, aus dem fadenscheinigen Tuch.

Ka-Nachtmin hatte sich nicht geirrt, als er einen Schopf gesehen hatte, heller als reifes Korn. Als er das Gesicht und die Haut des Kindes sah, hörte er das überraschte Murmeln seiner Unterführer. Er bezwang sich und sagte weniger rau als zuvor: »Zeig mir deine Brüste, Abbina. Hast du Milch?«

Er gab Paser einen Wink. Der alte Bogenschütze verstand und nahm der jungen Frau das nackte Kind ab, das die Hand ausstreckte und mit großen Augen nach Pasers Weset-Brustschmuck tastete.

Abbina nestelte verwirrt an ihrem Kittel und hielt ihn mit zitternden Fingern an den Hüften fest. Sie zeigte den Männern an Nachtmins Seiten ihre jungen, schwellenden Brüste und schüttelte den Kopf.

Paser kam zu Nachtmin und sagte leise: »Neb Nachtmin – denkst du an die Legende? An die Prophezeiung?«

»Daran denke ich. Deswegen bin ich erschrocken«, gab Nachtmin ebenso leise zurück und starrte das Kind an. Es war ein Mädchen mit heller Haut und Haar in der Farbe von weißem Gold. Dann holte er tief Luft und rief: »Welche Frau will ihr Leben retten? Wer hat Milch wie eine Amme und säugt das Kind auf dem Weg nach Tameri?«

Paser nickte anerkennend. Pharao Ah’mes, aus einer armen Familie eines Kaffs nahe Sa’u, war selbst durch Mut, Umsicht und Kraft zum General aufgestiegen. Er hatte Ka-Nachtmin zum Anführer gemacht, weil er dessen Klugheit, Verlässlichkeit und Erfahrung kannte. Überdies sprach er die Sprache der Tjehenu.

Eine Frau, vielleicht fünf Jahre älter als Abbina, schob sich zwischen den weiblichen Gefangenen vor. »Ich, Neb Anführer«, sagte sie. Ihre Stimme bebte wie Abbinas Finger. Das Kind spielte lächelnd mit Pasers leise klirrendem Wesech. »Ich hab’ viel Milch. Vor zwei Tagen ist mein Kind gestorben.«

Nachtmins schweigende, stechende Blicke wechselten zwischen dem namenlosen Kind, Abbinas herausforderndem Körper und der Frau, die ihre schweren Brüste mit den Händen stützte. Die Prophezeiung!

Wie die reinblütigen Rômet der Beiden Lande besaßen auch die Bewohner des Landes zwischen tödlicher Wüste und Meeressaum bräunliche Haut, dunkler als Sand, runde Köpfe und goldfarbene oder schwarze Augen. Nicht so dieses Kind mit der Haut in der Farbe der Morgenröte und dem schmalen Schädel – und …

»Die Eltern«, sagte Nachtmin und zeigte auf das Kind. »Sie hatten helle Haut, fast weißes Haar und blaue Augen? Sie sind nicht in euren von Flöhen strotzenden Hütten geboren?«

Ein Helles Volk, von der Goldenen regiert, wird von einem Weißen Krieger angeführt und gründet sieben ferne Königreiche voller Reichtum! So ähnlich, nicht wörtlich genau, meist blütenreich ausgeschmückt und farbig wie eine Palastwand, geisterte neuerdings der Rätselspruch zwischen den Rômet, und zwischen den bunten Mauern der Paläste war er am häufigsten und lautesten zu hören. Nur die Götter – nicht einmal deren Priester – wussten, woher die Prophezeiung stammte. Dies alles schoss durch Nachtmins Gedanken.

»Sie kamen vor Jahren zu uns«, sagte die Ammenfrau undeutlich. »Sind ein Jahr lang gewandert oder noch länger, von weither. Gib mir die Kleine, Abbina.«

»Gib sie ihr«, ordnete Nachtmin an.

Im Hintergrund, vor dem unerträglich blauen Himmel, schwelten die Reste der Dörfer mit grauen Rauchsäulen. Ein paar übrig gebliebene Schafe und magere Rinderkälber weideten vor den Ruinen. Ratlos standen die Dörfler da und schienen neue Gewalt der Krieger zu befürchten. Abbina knüpfte das Tuch von ihrem Nacken, Paser zeigte Ka-Nachtmin das Kind, bevor er es wieder in das Tuch hüllte.

Der Anführer, fünfunddreißig Sommer alt, betrachtete das Mädchen, als halte der Bogenschütze eine Kostbarkeit von göttlicher Bedeutung in den Armen. Die Kleine gab den Blick mit seltsamer Ernsthaftigkeit zurück, schien auf ein Lächeln im Gesicht des Anführers zu warten und schloss dann die Augen. Tief in seinem Inneren erlebte Ka-Nachtmin, wie ein Augenblick, dessen Bedeutung er nicht beschreiben konnte, vorbeiging. Er riss sich aus dem einzigartigen Moment zurück, und Paser gab das Kind in die Arme der Amme, die es an die Brust anlegte, wo es sogleich zu saugen begann.

Die Ruinen und die Gefangenen stanken jämmerlich. Der Strafmarsch war beendet; Ka-Nachtmin wandte sich an die ältere Frau. »Ihr kommt mit uns. Wenn dem Kind etwas geschieht, sterbt ihr beide, und ich sage euch: Ihr sterbt langsam! Weiter mit euch.«

Eine Stunde später saßen die versklavten Dörfler gefesselt neben den Kriegern, die sich auf den Rückmarsch vorbereiteten. Nachtmin kümmerte sich um seine Pferde, begrübelte die Ereignisse und dachte an das neue Ziel.

Er musste das Kind und die Amme zu Ah’mes in den Palast zu Sa’u bringen, gesund und unversehrt. Es war ein einzigartiges Lebewesen, das aus der Wüste geborgen werden musste. Und der Weg nach Sa’u war lang und voller Gefahren.

Als Ka-Nachtmin das Gespann im Kleinen Hof des Palasts anhielt, war ihm, als habe ein Traum geendet, in dem alle Einzelheiten in rasender Geschwindigkeit abgelaufen wären, und in dem seine Pferde, er selbst, Abbina, die Ammenfrau und das namenlose Kind schneller geflogen wären als Horus, der Falkengott. Er nahm der Frau das greinende Kind aus den Armen, stieg vom Wagen und sagte knapp: »Warte hier. Halte die Pferde.«

Er nannte den Dienern, die ihn zunächst nicht erkannten, seinen Namen und rief: »Bei Sachmets Fangzähnen! Bringt mich zum Gotteskönig. Ah’mes muss dieses Kind sehen!«

Verwirrt und von seiner donnernden Stimme erschreckt gehorchten die Palastdiener. Sie führten ihn durch breite Korridore, zwischen Säulen hindurch, durch kleine Säle in einen großen Raum, von dem weite, lichte große Öffnungen in den Garten führten, zu einer Terrasse, hochgewachsenen Bäumen und einem Teich mit gemauerter Umrandung. Hauchdünne weiße Vorhänge trennten den Saal von der gefliesten Fläche. Ah’mes, einige Dienerinnen und ein bärtiger Mann, den Nachtmin nicht kannte, standen an einem mächtigen Tisch, der mit Shafadurollen, Krügen, dem Modell einer halb armlangen Säule und anderem bedeckt war. Langsam drehte sich der Pharao um; das Weinen des Kindes hatte ihn gestört.

Ka-Nachtmin sank drei Schritt vor dem Gottesherrscher auf das rechte Knie, hielt das Kind in beiden Armen und merkte in dem Augenblick, als er zu sprechen begann, dass das schmutzige Tuch ebenso stank wie der Stoff und das Leder seiner schweißgetränkten Kleidung. »Sohn der Sonne, starker Stier«, sagte er. »Vergib mir, dass ich deine Erhabenheit gestört habe. Aber ich habe dieses Kind ohne Namen gefunden, und du musst es sehen. Denn es ist zweifellos, bei allen guten Göttern, ein Teil der Prophezeiung vom Hellen Volk. Sieh selbst.«

Ah’mes erkannte seinen Hauptmann trotz des Schmutzes, des zerfledderten Kopftuchs und des zwölf Tage alten Bartes. Er setzte sich, bedeutete Nachtmin, aufzustehen und streckte die Arme aus. Die Dienerinnen bekamen lächelnde, weiche Gesichter, als sie zusahen, wie Nachtmin das Kind dem Pharao reichte.

Ah’mes schlug das Tuch zurück, betrachtete schweigend das Kind, fragte leise: »Bei den Tjehenu gefunden, Nachtmin?«

»Die Eltern sind tot. Wir haben eine Amme mitgeschleppt. Siehst du, Herr, was ich sehe? Was alle gesehen haben?«

»Wir haben alle einen Menschen dieser Art niemals zuvor gesehen.« Tiefstes Erstaunen, fast Ehrfurcht lag in Ah’mes’ Stimme. »Sie ist durstig. Und schmutzig, bei Amun. Bringt Milch! Und richtet ein Bad.«

Die Dienerinnen rannten davon. Der schlanke Bärtige, der bisher geschwiegen hatte, hob das Tuch auf, das der Pharao fallengelassen hatte. »Da sind Zeichen … eingestickt«, sagte er leise. »Buchstaben, glaube ich.«

Er sprach mit harter Betonung; ein Hellene also, dachte Nachtmin und setzte sich auf einen Schemel, nachdem Ah’mes noch einmal auf den Hocker gedeutet hatte. Jetzt spürte der Anführer seine Erschöpfung in den Knien.

»Kannst du sie lesen?«, fragte der Pharao seinen Gast. Der Fremde hielt das Tuch mit spitzen Fingern und begann zu murmeln.

»Es ähnelt unserem Tis«, sagte er schließlich. »Und ein Ni, dann ein Te. Tisnite. Tenitis. Nitetis? Barbarensprache, o Sohn der Sonne.«

Die Diener kamen scheu näher, die Dienerinnen brachten einen Krug, Becher und Schalen, Wasser und Tücher. Alle bestaunten die hellrote Haut, das fast weiße, hellgoldfarbene, überraschend kräftige Haar und die tiefblauen Augen. Der Pharao ließ eine Schale halb mit Milch füllen und setzte sie an die Lippen das Kindes, das sofort zu trinken und zu schlucken begann. Milch lief aus den Mundwinkeln, über den Hals und tropfte zu Boden. Dann rülpste die Kleine und lächelte ins dunkle, kantige Gesicht des Gottesherrschers. Verwundert sah Nachtmin, was er noch nie gesehen hatte: Ah’mes lächelte zurück, als sähe er seine verstorbene Gemahlin Ladike und sagte leise: »Dann sollst du Nitetis heißen, Kind der Wüste, der Prophezeiung.«

Er behielt Nitetis im Arm, bis die Schale leer war, dann gab er das Mädchen der ältesten Dienerin und sagte in ruhigem Befehlston: »Wascht sie, salbt ihre Haut mit gutem Balsam, zieht ihr ein Kleidchen an und wickelt sie in frische Tücher. Sie wird in einem Korb liegen, wenn wir morgen nach Men-nefer aufbrechen.«

»Die Schiffe sind bereit, Gesegneter«, erklärte ungefragt ein Diener.

Ah’mes richtete seinen Blick auf Ka-Nachtmin und sprach: »Schreib noch heute deinen Bericht; kurz und erschöpfend. Die Beute und die Gefangenen übergib Wahibre. Such dir ein paar Sklavinnen heraus. Erholt euch, du und deine Krieger. Vielleicht brauche ich dich in Men-nefer. Tameri dankt dir, Hauptmann.«

Er nickte Nachtmin freundlich zu. Der Anführer stand auf, verbeugte sich tief und ging mit schwachen Knien hinaus. Er hielt sich am Rand des Wagenkorbs fest, sah Abbina an und klatschte die Hand auf die Kruppe des Zugpferdes. Eine Staubwolke breitete sich aus.

»Der Pharao hat dich mir geschenkt«, sagte er und zog sich in den Wagen. Er ruckte am Zügel, den die junge Frau ihm gab. Die Pferde hoben die Köpfe. »In meinem Haus wirst du tagsüber arbeiten. In den Nächten, wie auf dem Weg hierher, wirst du mir auf andere Weise dienen.«

Das Gespann ruckte an, er lenkte die Pferde auf die Straße zurück, und als sie ohne seine Hilfe trabten, umfasste er Abbina und legte seine Hand fest auf ihre Brust.

Nachtmin blickte nicht in die Höhe.

Sonst hätte er gesehen, dass der Falke, der ihn und seine Männer seit dem Aufbruch von Saïs in großer Höhe begleitet hatte, seine Kreisbahn verließ und nach Osten abstrich. Sein Flug führte in große Höhe. Der Vogel, der wie Gott Horus alles sah und hörte, war schneller als jedes andere Tier.

Wenn der Anführer geahnt hätte, dass der Horusvogel sich lautlos bisweilen bis auf wenige Ellen genähert hatte und die Fähigkeit besaß, unsichtbar zu sein, würde er an ein anderes göttliches Wunder gedacht haben.

2.Glanz über Kemet und Deshret

»Ja, Gebieter, ich habe dich aus nachvollziehbaren Gründen geweckt«, sagte Rico. »Vier Jahrhunderte, etwas mehr. So, wie du es wolltest.«

Ich wusste nichts davon. Ich erinnerte mich nicht. Ich befand mich im ersten, qualvollen Viertel der Aufwach-Prozeduren. In diesem Stadium, in dem ich körperlich geschwächt und mein Verstand hoch anfällig war, brauchte ich optische und akustische Ablenkung, die nicht besonders anspruchsvoll sein durfte. Ich saß im warmen Bademantel in einem Vibrationssessel, fror innerlich und erkannte immerhin die Bilder aus dem Land, das ich allen anderen Orten an der Oberfläche von Larsafs dritter Welt vorzog: Tameri am Hapi.

»Es haben sich staunenswerte Ereignisse zugetragen, und sie sind weiterhin bestimmend für das Land.«

»Vielleicht begreife ich’s einigermaßen«, gab ich mit tauben Lippen und flatternden Stimmbändern zurück. Aus den Lautsprechern kam rômetische Musik. Ich unterschied immerhin Harfe, Flöten und Trommel. Lebte Ne-Tefnacht noch?

Rico hatte sich wieder einmal in einen Rômet verwandelt, der einen Kopf größer war als die meisten Bewohner Tameris. Mich verwechselte ohnehin niemand mit einem aus dem Land am Hapi, auch wenn ich mein schulterlanges Haar färbte und kürzte. Nach einigen Stunden sickerte salziges Sekret aus meinen Augenwinkeln; meine Aufmerksamkeit ließ schlagartig nach.

Rico, der alle Phasen der langwierigen Prozedur mit robotischer Perfektion kontrollierte, schlug einen verständnisvollen Ton an, als er nicht in Arkonidisch, sondern in Rômetsprache sagte: »Ah’mes, der Pharao aus dem Saïs- oder Sa’u-Herrschergeschlecht, hat das Land in seinem einunddreißigsten Regierungsjahr zu neuer Größe und Blüte geführt. Du hast schon einige wertvolle Eindrücke gewonnen; aber Tameri ist nicht mehr länger eingeschlossen in festen Grenzen. Bald wirst du die Schwierigkeiten erkennen können, Gebieter, denen sich der Auserwählte der Götter seit dem Sturz seines Vorgängers gegenübersah. Jetzt musst du wieder schlafen, Kristallprinz.«

Ich nickte müde. Vor 438 Jahren war ich eingeschlafen. Eine Schwebeplattform brachte mich in meine Privaträume. Nach einiger Zeit würde ich aufnahmefähiger sein und mehr und größere Zusammenhänge erkennen. Die Müdigkeit übermannte mich.

Den Kommentar schien Rico mit stark veränderte Stimme gesprochen zu haben: »Ah’mes-Jachmesj, auch Ahmose der Zweite, von den Hellenen Amasis genannt, dessen Eigenname Der Mond ist geboren lautet, mit dem Thronnamen Versehen mit Willenskraft, ein Rê, und dem Horusnamen Der die Maat festigt und dem Nebtinamen Sohn der Neith, der die beiden Lande trefflich machte, sowie dem Goldnamen Auserwählter der Götter, stammt aus Siuph, einer Siedlung nahe Sa’u, das die allgegenwärtigen Ionier und Karer Saïs nennen. Dieser vierundsiebzigjährige, auffallend kräftige und gesunde Mann ist kein Eroberer, sondern betreibt ein gemäßigtes Verhältnis zu den anderen Reichen, die Tameris Grenzen zu bedrohen in der Lage sind. Er war verheiratet mit Ladike aus der hellenischen Kolonie Kyrene; sie starb an einer unerkannten Krankheit oder an Gift.

Nun ist Tanet-cheta oder Takheta hemet nisut, die Königsgemahlin. Von Ladike habe ich nur klassische Abbildungen, Tanet-cheta siehst du höchst lebendig in etlichen eingeblendeten Sequenzen.«

Rico schwieg, trat zurück und ließ Bilder sprechen. Ich merkte mir die Informationen, betrachtete Bilder und Bewegungsstudien des Gottkönigs und seiner schönen, scharfgesichtigen Gemahlin, studierte die Karten, die sich im Zentralen Holoschirm im Verhältnis zur verstreichenden Zeit farblich und in einer Reihe arkonidischer Symbole veränderten. Herrlich, kaum verändert, die Umrisse und der lange Strom des geliebten Landes! Schwarze Schwemmerde im fruchtbaren Dreieck mit seinen zwanzig Gauen, fast weißer Sand, blaues Hapiwasser, und das Meer, das Große Grüne, die schier unendlichen Wüsten. Indes erschloss sich mir Ricos Entschluss, mich aus dem Kältetiefschlaf zu wecken, nicht völlig; ich sah – noch! – keinen tiefen, unaufschiebbaren Grund, irgendwie einzugreifen und meiner Pflicht als selbstgewähltem Paladin der barbarischen Menschheit zu genügen.

Das Babyla des großen Hammurabi gab es nicht mehr. Ein Herrscher namens Nabuchodonosor, aus dessen Namen die Hellenen Nebukadnezar gemacht hatten, hatte vor drei Jahrzehnten Tameri angegriffen. Sein Angriff war gescheitert, und gegenwärtig herrschte Friede zwischen den Ländern: Ah’mes und der Herrscher des neuen Babyla-Reiches, Nabonid, hatten Frieden geschlossen.

Viele abenteuerdurstige Auswanderer aus Kyrene, Samos, Kreta-Keftiu und Kypros-Alashia kämpften als Söldner in Ah’mes’ Heer. Um die Einfuhren der Inseln und des Festlandes nördlich Keftius und die Kaufleute kontrollieren zu können, gründete ein Gottesherrscher vor rund hundert Jahren am Kanopischen Mündungsarm, unweit von Saïs und von dieser Residenzstadt nur durch einen weiteren Hapilauf getrennt, die Stadt Narukeredj oder griechisch Naukratis. Die Hellenen, erklärte mir Rico, waren im Land unbeliebt, oftmals gehasst, weil sie sich wie die neuen Herren benahmen und nicht zuletzt deswegen, weil sie nahezu jedem Ding und jeder Siedlung ihre fremdländischen Namen aufzwangen.

»Hast du mich nur deswegen geweckt«, fragte ich Tage später meinen Robot, »um mir zu erklären, dass die Kulturen, Zivilisationen, Geschlechter und Namen einem ständigen Wechsel unterworfen sind?«

»Geduld, bitte, o Kristallprinz«, antwortete er und spielte mit seinem protzigen Brustschmuck. Er lächelte geheimnisvoll. »Bevor du dich ins Geschehen wagst, musst du die gegenwärtigen und zukünftigen Feinde deines Lieblingslandes kennen.«

»Meinetwegen.« Ich zuckte mit den Schultern und knurrte. »Mach weiter. Erhelle mich!«

Vor mehr als zwei Jahrhunderten machte sich ein Pârsa oder Meder mit Namen Hachamanish zum Herrscher. Die Hellenen nannten ihn Achaimenes, sein Geschlecht erhielt den Namen Achaiminiden. Seinen Sohn Tschaishpish nannten sie Teispes, dessen Sohn war Kurusch oder Kyros der Erste, dessen eroberungssüchtiger Nachkomme Kambuzhya wurde Kambyses der Erste geheißen. Ihm folgten Kurusch der Zweite, den man aufgrund seiner Eroberungspolitik wohl »den Großen« nennen wird. Und nach ihm wird wohl sein Sohn Kambuzhya oder Kambyses das große Reich beherrschen.

Rico hatte die hellenischen Namen und Bezeichnungen in Klammern gesetzt. Mein Wissen darüber, warum sie die wirklichen Namen nicht aussprachen und schrieben, war für Ionier, Karer, Achaier, Hellenen und Spartaner wenig schmeichelhaft. Sonst redegewandt, zu endlosen Streitgesprächen fähig und bereit, verknoteten sich ihre Zungen, wenn sie die fremden Namen aussprechen sollten. Sie brachten es mühelos fertig, die Sehedhu-Totenmale Pyramiden zu nennen und die Techenuu-Säulen Obelisken. Für mich erfüllte dies den Tatbestand der Gotteslästerung durch unkluge und bedürfnislose legasthenoi.

Die hellenische Sprache kannte ich, schrieb sie zufriedenstellend flüssig; mit manchen Dialekten hatte ich Schwierigkeiten. Widerwillig prägte ich mir die neuen Bezeichnungen ein. Je mehr ich über den Zustand Tameris und seiner möglichen Feinde im Westen und Osten erfuhr, desto mehr wuchs der Eindruck, dass sich im Land des Ah’mes große, wahrscheinlich gefährliche Entwicklungen anbahnten. Ich wandte mich an Rico, betrachtete staunend seinen blütenweißen Schurz, die goldenen Oberarmreife und die herrscherlichen Goldringe an seinen braunen Fingern.

»Du beobachtest den Palast und Pharao Ah’mes seit geraumer Zeit?«

»Grundsätzlich in kurzen Abständen. Vor nicht ganz zwanzig Jahren habe ich Beobachtungen aufgezeichnet, die dich vermutlich faszinieren werden.«

»Später lasse ich mich gern faszinieren.« Ich hob den Zeigefinger und nickte. »Von dir brauche ich eine auf Beobachtungen gestützte Beurteilung dieses Ah’mes, also ein Psychogramm. Bis morgen?«

»Du hast es früher, Gebieter.«

Sechs Stunden später lag das Psychogramm eines etwa Siebzigjährigen vor. Es las sich spannend, das Bildmaterial war kennzeichnend, Ricos Kommentare zeugten von großer positronischer Erfahrung.

Ah’mes-Amasis hatte nicht nur für Frieden mit seinen Nachbarn gesorgt, sondern sich auch durch die Freundschaft mit den hellenischen Fürsten, Söldnern und Abenteurern zunächst seinem Volk entfremdet. Er gestattete ihnen sogar, eigene Heiligtümer zu errichten. Seine erste Frau war Hellenin; er schien sie sehr geliebt zu haben. Er führte Krieger des vierten Herrschers dieses Geschlechts, des zweiten Psammetich, während eines Feldzugs am vierten Hapi-Katarakt gegen das elende Kusch, Wawat und Yam im Süden, und erhielt von Pharao Apriës den Auftrag, einen Aufstand eigener Soldaten in Kemet niederzuschlagen. Ah’mes schloss sich aber den Rebellen an, stürzte mit rômetischen Kriegern den Apriës, verteidigte sich erfolgreich gegen Nebukadnezar den Zweiten und daraufhin gegen Apriës und gewann die Insel Alashia für sein Land.

Ah’mes, der Griechenfreund, galt im Volk als außerordentlich klug. Er liebte die Frauen, den Wein, das Bier und nächtelange Feste. Erstaunlich, für einen alten Mann! Seine Gerechtigkeit und seine galligen Scherze waren bekannt; insgesamt war er gerecht und maßvoll. Er hatte ein leidenschaftliches Verhältnis mit Anch-nes-nefer-ib-Ra, der Schwester des Apriës, der Gottesgemahlin und Hohepriesterin des Amûn, war mit Tanet-cheta verheiratet, mit ihr hatte er drei Kinder, und überdies unterhielt er eine eindrucksvolle Auswahl von Favoritinnen. Er schien von ungebrochener Kraft zu sein und vergötterte seine Wahltochter Nitetis.

Horus, ein positronisches Modell eines großen Falken, der mir schon oft beste Dienste geleistet hatte, war von Rico meisterhaft verbessert, weiter entwickelt und zu einem perfekten Instrument der Beobachtung gemacht worden – die meisten Informationen hatte Rico jenem Horus zu verdanken.

»Du wirst dich an deine vielfältigen Versuche erinnern, aus den Hapi-Flussschiffen seegängige Schiffe zu bauen, Gebieter«, sagte Rico. Ich erinnerte mich, auch daran, Kapitäne und Mannschaften ausgebildet zu haben und sagte:

»Was veranlasst dich zu dieser Bemerkung, du falscher, goldstrotzender Rôme?«

»Pharao Psammetich hat die Flotte für das Große Grüne in bemerkenswertem Umfang ausgebaut. Das Reich, unter Ah’mes vereinigt, hat dadurch größere Möglichkeiten, die Küsten zu verteidigen und Handel zu treiben.«

Ich pflichtete ihm bei. »Damit haben die Pharaonen große Weitsicht bewiesen.«

Rico spielte mir noch einige andere Daten und Informationen ein, die mir weniger wichtig erschienen, dann gewährte er mir einen Einblick in seine Werkstätten.

Der Robot schien keinen Stillstand zu kennen. Sein positronisches Gehirn und die Programmierung ließen keine Phase der Langeweile zu. In der Zeitspanne seit meinem letzten Einschlafen, fast vierundvierzig Jahrzehnte, hatte er nicht nur sämtliche Anlagen der unterseeischen Schutzkuppel kontrolliert, sondern sich selbst verbessert, allerlei nützliche Dinge konstruiert und andere weiterentwickelt.

Von Horus, dem neugierigen Späherfalken, gab es mehrere Exemplare in unterschiedlichen Stufen der Vervollkommnung. Um die Robotskelette von Wölfen und Hunden, die mich bei früheren Aktivitäten begleitet hatten – ich entsann mich der Hunde Truc und Asser –, hatte er rômetische Slughihunde, gut kniehoch, eingerichtet; schmale, leistungsfähige Körper mit akustisch steuerbarem Programm und schwacher Deflektorschirm-Funktion.

Der Extrasinn kommentierte belustigt: Hunde, auf Befehl unsichtbar – eine vorzügliche Idee! Vielleicht bellen sie auch arkonidische Tonleitern.

Der rômetische Streitwagen war in meinen Augen ein Meisterwerk. Unzerstörbare Räder, großer Wagenkorb aus künstlichem Leder und widerstandsfähigem Kunststoff-Flechtwerk, einer auszieh- und zusammenschiebbaren Deichsel, die nie brach, einer gut gefederten Achse und geschmackvollen Verzierungen aus vergoldetem Metall und einigen Staufächern für Ausrüstung und Waffen.

»Mit dem Gleiter, Kristallprinz, lasse ich den Wagen und vielleicht auch die Zugtiere an jeden gewünschten Ort Tameris schaffen, so wie den größten Teil deiner Ausrüstung.«

Ich nickte zufrieden. »Du hast also errechnet, dass ich die Oberfläche der Welt in Tameri betrete!«

»Selbstverständlich. Dein Sehnsuchtsland seit der Freundschaft mit Narmer-Menes.« Er wedelte mit seiner feingliedrigen Hand. »Unter anderem deshalb, weil du mit Ah’mes nächtelang trinken und reden willst, weil in seiner Umgebung die schönsten Frauen zu finden sind, und weil du bald der Held einer Prophezeiung sein wirst.«

»Einer Prophezeiung?«

»Der Weiße Krieger eines Hellen Volkes, das von einer Goldenen Frau in sieben fernen Königreichen regiert wird«, bestätigte er mit durchaus echtem Grinsen und im Brustton der Überzeugung.

Selbst von deinem Hochleistungsrobot bist du noch zu verblüffen, Arkonide!, sagte der Logiksektor voller Häme. Spricht für deine Unvoreingenommenheit. Frage ihn, was er damit meint!

»Erzähl mir mehr über die Prophezeiung!«, ordnete ich an.

»Sofort. Hier sind die Bilder, weißhaariger Kristallprinz.«

Ich lehnte mich im Spezialsessel zurück und bemerkte mit Zufriedenheit, dass ich in meinem Revitalisierungsprogramm den ersten Pokal von Ricos veredeltem Wein trinken durfte. Zwei Stunden lang sah ich zu, wie der Hauptmann Ka-Nachtmin – vor zwanzig Jahren! – seine Karawane rettete, dem Pharao Bericht erstattete, eine größere Truppe Soldaten anführte und drei Dörfer niederbrennen ließ, wie er ein hellhäutiges mit sonnenhellem Haar Kind mit blauen Augen fand, wie er auf dem Rückmarsch die junge Gefangene »verführte« und wie Ah’mes selbst das Kind mit Milch tränkte und einen Namen für das Mädchen fand:

»Nitetis also.« Ich nahm einen tiefen Schluck; der Wein war exzellent. »Etwa dieselbe Nitetis, die Ah’mes als Tochter bezeichnet?«

»Dieselbe. Ungefähr zwanzig Jahre alt. Die schönste Frau am Hof des Gottesherrschers.«

»Du hast selbstverständlich Bilder von ihr?«

»Selbstverständlich, o Kristallprinz. Hier.«

Ich hatte eine bleichhäutige, gezierte Schönheit mit hellblondem Haar erwartet, eine Exotin inmitten der Rômet und der schwarzbärtigen Insel- und Festland-Hellenen, eine abweisende Eisprinzessin, aber ich sah eine liebenswürdige, hochgewachsene junge Frau mit strahlenden Augen von dunklem Blau, deren Haut von der Sonne goldfarben gebräunt war und die sich ungezwungen und graziös bewegte.

Man sah sie fast immer allein oder mit Dienern, nie in Gesellschaft. Mir dämmerte, dass sie wohl meist weggesperrt wurde und nur auserwählte Gäste sie zu sehen bekamen. Also war es gar nicht so selbstverständlich gewesen, dass Rico diese Bilder erhalten hatte.

»Das also soll die Goldene sein?«

»Die Deutung der Prophezeiung übersteigt meine Fähigkeiten, Gebieter.«

»Weißt du, wer mit dem Hellen Volk gemeint sein könnte?«

»Ein Volk, aus dem ihre toten Eltern stammen.«

»Woher stammt diese Prophezeiung?«

»Das habe ich noch nicht erfahren können, Gebieter.«

»Nun«, entschloss ich mich nach einiger Zeit zu sagen, »bereite alles vor. In wenigen Tagen bin ich soweit.«

»In welcher Maske?«

»Erfahrener Meereskapitän. Kaufmann im Land der Hellenen, weitgereister Mann mit großer Erfahrung. Nahe Sa’u oder Saïs sollte ich anfangen; in der Stadt des freien Handels fällt einer wie ich kaum auf.«

»Die Wahrscheinlichkeit, dass du diese Befehle gibst, war überschaubar groß. Womit handelst du, was willst du verkaufen?«, antwortete der Robot und entfernte sich mit dem Klatschen seiner vergoldeten Sandalen.

Das weiß ich noch nicht, dachte ich versonnen.

Und so kam es, dass ich am dritten Tag des Mondes Thot der Jahreszeit Achet, nachdem der Sepedet-Stern über dem Horizont erschienen war, im Schwarzen Land Kemet, im Land der Binse und der Geiergöttin Nechbet, im Schutz des Deflektorfeldes aus dem Gleiter stieg. Langsam, methodisch lud ich zunächst den Wagen ab, befestigte die Räder und wuchtete dann ein Drittel meiner Ausrüstung von der Ladefläche in den Wagenkorb um. Ich vergrub, nachdem Anub und Nubis, meine Hunde mit dem dunkel-sandfarbenen Fell die Umgebung kontrolliert hatten, den Rest am Fuß einer Düne.

»Hier, ganz in der Nähe, hab ich vor langer Zeit mit Menes Flusspferde gejagt«, murmelte und atmete tief den feuchten Nachtduft Kemets ein. »Es ist lange her, Arkonide. Gibt es noch Flusspferde?«

Ich würde es erfahren, bald. Die unersetzlichen Teile meiner Vorräte schützte ich mit einem Hochspannungsfeldgenerator, schaltete im Mehrzweckarmband das Ortungssignal und daraufhin den Robotfalken Horus ein. Ich befahl ihm, zunächst unsichtbar in meiner Nähe seine Kreise zu drehen, und hängte dann die Deichsel in die vergoldeten Halsbänder der Hunde ein. Sie zogen mit meiner Hilfe den Wagen auf die Sandstraße und dann in die Richtung von Naukratis.

Als die Gefahr bestand, dass im Morgengrauen jemand dieses seltsame Gespann entdeckte, koppelte ich die Hunde ab, startete ihr Begleitprogramm und belud mich mit den schwersten Bündeln, in denen die wertvollsten Ausrüstungsteile steckten. Nubis und Anub hetzten fast lautlos davon und nahmen die Witterung des Abenteuers auf.

Naukratis-Narukeredj zeigte sich mir im letzten Mondlicht, im ersten Grau des neuen Tages und im Widerschein vieler Öllampen in Wandnischen als befremdliches Gemisch hellenischer und rômetischer Mauern, Tore, Tempel und Wohngebäude. Die Thebaner und Athener hatten ihren Baustil mitgebracht und versucht, ihn in Lehmziegel-Bauweise auszuführen, mit heimischen Arbeitern und Sklaven, die Naukratis errichteten, als sei es nur eine andere Stadt in Tameri. Im fruchtbaren Dreieck – sie nannten’s Delta – hatten, seit Hellenen einwanderten, die Pharaonen ungefähr zwanzig Städte neu gründen lassen.

Die Sandstraße mündete in einem Stadttor, dessen mächtige Querbalken sicherlich den Weg in einem griechischen Lastschiff hierher gefunden hatten; mit dem weichen Holz der Palmen ließ sich zwischen schlanken, bunten Säulen ein solch großer Zwischenraum nicht überspannen. Eine schläfrige Doppelwache hielt mich auf.

»Ich bin gekommen, um den Reichtum der Stadt zu mehren«, sagte ich nach der Begrüßung und ließ meine schweren Felleisen zu Boden gleiten. »Ich, Atlantos von Alashia, brauche zwei kräftige, ausdauernde Pferde, ein kleines Haus oder einige große Zimmer, ein kräftiges Essen und etwas Zeit und Wohlwollen des Stadtherren.«

»Sonst nichts mehr?« Der bärtige Hauptmann war unverkennbar ein Korinther. »Um diese Stunde? Essen gibt’s am Kanalhafen, im Trunkenen Satyr, und, ich glaube, Demetrios, der Wirt, bringt dich mit Achilleus zusammen. Ihm gehören etliche Häuser.«

»Zeus vergelte dir deine Höflichkeit«, antwortete ich. »Ein ruchloser, geldgieriger Kapitän, ein Rôme, hat mich und mein Zeug drüben am Fluss von Bord geworfen.« Ich deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Gebt bitte auf meinen Wagen Acht. Er steht draußen auf der Straße. Ich hol ihn mit Pferden ab, die ich noch kaufen muss. Frag’ heut Nachmittag nach mir, Hauptmann, und wir leeren zusammen ein paar Humpen Henket. Wo geht’s zum Kanalhafen?«

»Ich bin ’Tigonos«, lautete zwischen tiefem Gähnen die Antwort. »Geradeaus, bis zum Tempel, dann links, dem Geruch und Gegröle nach.«

»Abermals Dank«, sagte ich, hob die Packen auf und folgte der Wegbeschreibung. In den Kronen mächtiger Bäume – Naukratis’ Anfänge lagen ungefähr ein Jahrhundert weit zurück – lärmten die Vögel. Niemand grölte. Es gab keine späten Wanderer. Im Schilf quakten Frösche und Enten und schnatterten Gänse; seit Langem hörte ich wieder frühe Hähne schreien. Noch waren die Straßen menschenleer. In einem halben Mond würde die schlammige Hochflut des Hapi sich auch über Kemet ergießen.

Wenig Lärm kam aus der Schenke; ich trat ein, wich einer Magd aus, die mit heißem Wasser Tische und Bänke schrubbte. Zwei Zecher schliefen nebeneinander auf einem Tisch. Ich rief unterdrückt: »Mir ist an einem Essen gelegen, und ich setz mich auch an einen weniger sauberen Tisch, Mädchen. Verdien’ dir eine Handvoll Gold für heißen Sud und frisches Brot.«

Sie richtete sich auf, musterte mich, und es schien ihr nicht zu missfallen, was sie sah. Es roch nach heißem, frischem Brot. Dann tappte sie in die Küche; ich hörte sie murmeln: »Gold! Pah. Wenn’s bei Kupfer bleibt, wird’s ein glücklicher Tag. Jetzt kommen die Angeber schon im Morgengrauen.«

Ihr Hellenisch war gut, aber ihre Stimme ähnelte einer bronzenen Säge. Ich setzte mich und wartete.

3.Auf dem langen Weg zur »Waage der beiden Lande«

Zweieinhalb Stunden später hatte ich eine Wohnung im ersten Stockwerk mit dem Eingang über eine Treppe vom Garten aus gemietet, deren Fenster und eine kleine Terrasse auf den Hafenplatz hinausgingen. Die Pferde!, mahnte der Extrasinn.