Auf dem Vormarsch - David Welch - E-Book

Auf dem Vormarsch E-Book

David Welch

0,0

Beschreibung

General Motors will die USA in eine Zukunft mit sauberer Energie und umweltverträglichen Verkehrsmitteln führen. CEO Mary Barra, die 2014 allen Widrigkeiten zum Trotz das Ruder bei GM übernommen hat, versucht, das 114 Jahre alte Unternehmen neu zu erfinden und es für die Umstellung auf die Elektromobilität und das autonome Fahren zu rüsten. Der renommierte Journalist und GM-Experte David Welch zeigt anhand des Werdegangs von Mary Barra, welche mühsamen Schritte erforderlich sind, um einen schwerfälligen Giganten wie GM fit für die Zukunft zu machen. Eine wichtige und wegweisende Fallstudie – nicht nur für Autofans!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 365

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Charging Ahead: Gerneral Motors, Mary Barra, and the Reinvention of an American Icon

ISBN 978-1-4002-3359-5

Copyright der Originalausgabe 2022:

© 2022 David Welch.

All rights reserved.

Published by HarperCollins Leadership, an imprint of HarperCollins Focus LLC.

Published by arrangement with HarperCollins Focus, LLC.

Copyright der deutschen Ausgabe 2023:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Rotkel. Die Textwerkstatt

Gestaltung Cover: Daniela Freitag

Gestaltung, Satz und Herstellung: Timo Boethelt

Lektorat: Merle Gailing

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Coveridee: Faceout Studio, Amanda Hudson

Coverfoto: © Getty Images / Jorg Greuel; © Shutterstock / OoddySmile Studio

ISBN 978-3-86470-911-1

eISBN 978-3-86470-912-8

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

www.plassen.de

www.facebook.com/plassenverlag

www.instagram.com/plassen_buchverlage

INHALT

Vorwort

Kapitel 1 – Ein holpriger Start

Kapitel 2 – Das Familienunternehmen

Kapitel 3 – Barra und der Konkurs

Kapitel 4 – Der Aufstieg von Barra und der erste elektrische Schub

Kapitel 5 – Das Zündschloss-Fiasko

Kapitel 6 – Barra im Dienst

Kapitel 7 – Eine vollelektrische Zukunft

Kapitel 8 – Bloody Mary

Kapitel 9 – Der Zorn von Donald Trump

Kapitel 10 – Lordstown

Kapitel 11 – Eine fahrerlose Zukunft

Kapitel 12 – Immer weitermachen

Epilog

Endnoten

VORWORT

Am 10. Dezember 2013, um 8:46 Uhr, informierte Bloomberg News in einem ersten Entwurf mit 1.000 Wörtern die Welt über den größten Wirtschaftscoup des Jahres: Mary Barra, deren Karriere als Praktikantin in der Fabrik begann, würde Dan Akerson als CEO von General Motors Co. ablösen und wäre damit die erste weibliche CEO in der Automobilindustrie weltweit.

In welchem Ausmaß Bloomberg an dieser Geschichte beteiligt war, wurde in der darauffolgenden Ausgabe von Bloomberg Businessweek sichtbar. Diese zeigte Barra mit verschränkten Armen in einem Schwarz-Weiß-Porträt, das am selben Tag aufgenommen worden war. Auf der Titelseite war in blauen Druckbuchstaben „The New General“ zu lesen.

Während die Welt überrascht war, als sie erfuhr, dass eine 51-jährige Ingenieurin den Sieg über drei Männer (den Präsidenten von GM Nordamerika, den Finanzchef und den stellvertretenden Vorsitzenden) davongetragen hatte, von denen jeder als wahrscheinlicher Nachfolger von Akerson gegolten hatte, war Bloomberg bereit, umfangreich über Barras Geschichte zu berichten. Die Reporter und Redakteure waren bereits seit drei Jahren an einer Fraueninitiative des 23 Jahre alten Nachrichtenunternehmens beteiligt, die versuchte, das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in der Berichterstattung und insbesondere in der eigenen Redaktion zu verringern. Die Konzentration auf weibliche Protagonistinnen und ihre Stimmen brachte Bloomberg News näher an Barra heran, als es sonst der Fall gewesen wäre.

Zwölf Monate zuvor hatte Matt Miller, Moderator von Bloomberg Television, Barra auf der North American International Auto Show 2013 in Detroit zum Cadillac ATS, der kompakten Luxuslimousine, als Nordamerikas Auto des Jahres und zum Markt für Luxusautos befragt. Im März diskutierten Barra und Miller auf der New York International Auto Show über die Produkte von GM für den chinesischen Markt. Diese und weitere Interviews, die im Laufe des Jahres folgten, bestärkten uns in der Annahme, dass sich Barra als Spitzenkandidatin für die Nachfolge von Akerson herausstellen würde.

Als Akerson am 17. Juni zur Feier des neuen Bloomberg-Büros in Southfield erschien, tat er nichts, um die Spekulationen zu entkräften, dass GM eines Tages von einer Frau geführt würde. Dank ihm war Barra die erste weibliche Leiterin der Produktabteilung von GM, hatte also den Posten, auf dem traditionell bekanntermaßen der „Auto-Mann Nr. 1“ saß. Akerson hatte bereits 2012 auf einem Forum des Wall Street Journal zu weiblichen Führungskräften angedeutet, dass Barra aufsteigen könnte, wenn sich die Rentabilität von GM verbesserte. Als er sich mit uns über die Gestaltung unseres neuen Newsrooms unterhalten konnte, war das eingetreten.

Im August berichtete David Welch von der Bloomberg Businessweek in einer „Cars“-Kolumne von Bloomberg News, dass sich mindestens vier Führungskräfte um die Führung von GM bewarben, da zu erwarten war, dass Akerson innerhalb von drei Jahren in den Ruhestand gehen würde. Doch Barra und Nordamerika-Chef Mark Reuss waren die einzigen Namen, die in dem Artikel genannt wurden. Einen Monat später signalisierte Akerson, dass ein Wechsel bevorstehe.

„Die Detroit Three werden alle von Nicht-Auto-Typen geleitet“, sagte er in Detroit. „Eines Tages wird eines der Detroit Three von einem Auto-Mädchen geleitet werden.“

Barra erwies sich als furchtlos und weitsichtig in einer Weise, die selbst Alfred Sloan bewundern würde. Nicht zuletzt, weil sie alles, was GM tat, infrage stellte – einschließlich der Relevanz des von ihm aufgebauten weltweiten Imperiums. Dies wurde zum ersten Mal im September 2019 von Welch und Bryan Gruley in dem Bloomberg-Businessweek-Beitrag „Mary Barra Bets Big for GM’s Electric, Self-Drive Future“ enthüllt.

„Es gab eine Zeit, in der wir überall für jeden mit allem da waren“, sagte sie den Reportern in einem Interview in ihrem Büro in der Innenstadt von Detroit. „Wir mussten uns fragen: ‚Okay, wo setzen wir Kapital ein, das keine angemessene Rendite abwirft?‘ Wenn man anfängt, an die Wissenschaft der Erderwärmung zu glauben, und sich das regulatorische Umfeld auf der ganzen Welt anschaut, wird ziemlich klar, dass man [auf elektrische und fahrerlose Fahrzeuge] setzen muss, um in der Zukunft zu gewinnen. Das ist es, was wir wirklich für die Zukunft des Verkehrs halten.“

Hier ist die Geschichte vom Chef des Detroit-Büros der Bloomberg News David Welch. Er begann 1999, für die Businessweek über die Automobilindustrie zu berichten, und er beweist in dieser wunderschön erzählten Geschichte über die Erlösung des einst großen Symbols der amerikanischen Industrie, dass Glück beginnt, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft.

Matthew Winkler,

Mitbegründer und früherer Chefredakteur von Bloomberg News

KAPITEL 1

EIN HOLPRIGER START

Mary Barra war im April 2014 noch nicht einmal drei Monate als Vorstandsvorsitzende von General Motors im Amt, als sie schon eine der schlimmsten Wochen ihrer Karriere erlebte. Sie saß in Washington vor einem Ausschuss des Kongresses, wo ein Unterausschuss den neuen CEO zu einem fehlerhaften Zündschloss befragen wollte, das zu diesem Zeitpunkt mit 13 Todesfällen in Verbindung gebracht wurde. Das berüchtigte Zündschloss im Kleinwagen Chevrolet Cobalt von GM neigte dazu, während der Fahrt in die Stellung „ACC“ zu rutschen, wodurch der Strom für den Motor und die Airbags sowie für die Servobremsen und die Servolenkung abgeschaltet wurde.

Die Krise brach am 31. Januar aus, nur zwei Wochen nach Beginn ihrer Amtszeit. GM gab zunächst bekannt, dass 778.000 Fahrzeuge wegen des defekten Schlosses zurückgerufen werden mussten. Die Zahl wuchs schnell auf 1,6 Millionen, dann auf 2,6 Millionen an. Der Präsident von GM Nordamerika, Alan Batey, entschuldigte sich schon früh öffentlich und das Unternehmen wies seine Kunden darauf hin, dass sich der Schalter in der Fahrposition ausschalten konnte, wenn der Schlüssel an einem mit schweren Gegenständen beladenen Schlüsselbund hing. Die Erklärung wirkte etwas fadenscheinig, denn sie beschuldigte fast schon die Autobesitzer, die Unmengen von Schmuck und Schlüsseln an ihrem Schlüsselbund befestigt haben könnten. So lächerlich diese Schlüsselanhänger mit Hasenfüßen, pelzigen Würfeln und anderem Schnickschnack an klappernden Schlüsselbunden auch aussehen mögen, Leute machen das ständig.

Weitere Einzelheiten kamen durch die Anwälte der Kläger ans Licht. Die Geschichte, die sich abzeichnete, würde dafür sorgen, dass GM bald die Hosen herunterlassen musste. Die Klagen offenbarten, dass die Ingenieure und Anwälte des Unternehmens seit mehr als einem Jahrzehnt wussten, dass das Schloss Probleme machte, und nie einen Rückruf veranlasst hatten. Ein Manager lehnte die Mängelbeseitigung mit der Begründung ab, sie sei zu teuer. Die hohen Kosten? 57 Cent pro Auto, ungefähr der Preis für einen Kaffee in einem schmierigen Diner. Getreu der berüchtigten GM-Kultur, Probleme zu ignorieren und sich vor der Verantwortung zu drücken, wurde nichts unternommen. Einige Ingenieure hatten es sogar intern vertuscht, um ihr Gesicht zu wahren. Das Justizministerium leitete eine Untersuchung ein, der Kongress verlangte Antworten und Barra musste den Kopf hinhalten. Als wäre es nicht schon peinlich genug für das Unternehmen, dass es seinen Konkurs 2009 nur dank staatlicher Hilfsgelder überlebt hatte, sollte es nun erneut gedemütigt werden.

Diese Rettungsaktion stand im Mittelpunkt des Verfahrens. Die Auto Task Force von Präsident Barack Obama hatte 2009 eine Schlüsselrolle bei der Umstrukturierung des Unternehmens gespielt und dazu beigetragen, ein neues GM mit einer soliden Bilanz, einer stärker fokussierten Markenfamilie und einem profitablen Geschäft zu schaffen. Es war jedoch klar, dass, während die Regierung GM finanzierte, einige Insider das tödliche Zündproblem entweder verheimlichten oder bestenfalls ihre Pflicht zum Schutz der Kunden nicht erfüllten.

Zu der Zeit, als das Zündschloss in einem Werk in Ohio in die kompakten Chevy-Fahrzeuge von GM eingebaut wurde, leitete Barra ein Cadillac-Werk in Detroit. Ihr beruflicher Werdegang hielt sie bis Januar von dem in Schwierigkeiten geratenen Auto fern. Doch am 1. April war sie in Washington. Barra und das GM-Management hatten immer noch keine Erklärung dafür, wie das defekte Schloss durch den Entwicklungsprozess des Unternehmens gekommen war, warum es nicht repariert wurde, als die Probleme ans Licht kamen, und wer was und wann wusste. Sie hatte eine externe Anwaltskanzlei mit der Untersuchung der gesamten Angelegenheit beauftragt, konnte aber noch keine konkreten Schlussfolgerungen vorlegen.

Der Zirkus einer Kongressanhörung ist nichts für einen frischgebackenen CEO. Eigentlich für niemanden, der sich nicht an den Machenschaften der amerikanischen Politik erfreut. 1947 gelang es Howard Hughes, den Spieß gegen einen Senator aus Maine namens Ralph Brewster umzudrehen. Aber Hughes hatte seinen eigenen extremen Reichtum im Rücken und den Vorteil, dass sein Ankläger mit seinem Konkurrenten Pan Am unter einer Decke steckte. Seitdem haben es nur wenige CEOs geschafft, diesen Anhörungen zu entkommen, ohne geteert und gefedert zu werden.

Alles sprach gegen Barra. Sie hatte noch nicht viel Zeit im Licht der Öffentlichkeit verbracht und schien sich dabei selten wohlzufühlen. Die Details über das Zündschloss und das, was GM gewusst hatte, waren immer noch in einem Durcheinander aus internen Untersuchungen und technischen Analysen verborgen, zumal die Silomentalität im Unternehmen wenig förderlich für die Kommunikation war. Der für das Schloss verantwortliche Ingenieur sorgte dafür, dass das Problem auch intern schwer zu verorten war. Der Republikaner Tim Murphy aus Pennsylvania und die Demokratin Diana DeGette aus Colorado wollten wissen, warum GM so lange gebraucht hatte, um das Problem zu lokalisieren und ein Zündschloss zurückzurufen, das so günstig zu reparieren war. Sie verlangten auch Auskunft darüber, wer in den oberen Rängen der GM-Führungsetage von dem fehlerhaften Teil gewusst hatte und wann. Die Anhörung im Senat am nächsten Tag verlief nicht besser. Claire McCaskill aus Missouri und die kalifornische Abgeordnete Barbara Boxer nahmen Barra wegen der Vertuschungskultur bei GM und ihrer eigenen Unfähigkeit, Antworten zu geben, aufs Korn. In beiden Anhörungen wich Barra Fragen aus, schob die Schuld auf GM in der Zeit vor dem Konkurs und konnte meist nur sagen, dass das Unternehmen dabei war, die Angelegenheit zu untersuchen.

„Ich kann Ihnen nicht sagen, warum es so lange gedauert hat, bis ein Sicherheitsmangel für dieses Programm bekannt gegeben wurde, aber ich kann Ihnen sagen, dass wir es herausfinden werden“, sagte Barra und fügte später hinzu, dass „alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass wir uns bei GM heute auf die Sicherheit konzentrieren“.

Die Anhörung kam so schlecht an, dass sie vier Tage später als Eröffnungssketch in „Saturday Night Live“ parodiert wurde. Kate McKinnon lieferte eine urkomische Vorstellung als ahnungslose, ausweichende Mary Barra. Der Videoclip wurde in allen sozialen Medien verbreitet und machte in der gesamten Automobilindustrie und bei ihren Kollegen auf den höchsten Ebenen der Fortune 500 die Runde. Der Sketch war auch wirklich gemein. Auf die Frage, warum GM die Rückrufaktion nicht schon Jahre zuvor durchgeführt habe, antwortete McKinnon als Barra: „Wir untersuchen das. Ich kann nicht sagen, wie das alte GM das handhaben würde. Ich kann nur für das neue GM sprechen.“ Als die Parodieversion von Murphy fragte, wann Barra von dem Defekt gewusst habe, sagte McKinnon: „Ich versuche, herauszufinden, wann ich zum ersten Mal davon wusste, aber ich werde nichts über die Ergebnisse dieses Wissens wissen, bis ich es mit Sicherheit weiß.“

Ihre Woche in Washington hatte den gegenteiligen Effekt als die berühmte Anhörung im Jahr 1952, bei der GM-Präsident Charlie Wilson den Senat nach seiner Nominierung als Verteidigungsminister unter Präsident Dwight Eisenhower einwickelte. Wilson sagte bekanntlich: „Jahrelang dachte ich, dass das, was gut für unser Land ist, auch gut für General Motors ist und umgekehrt. Der Unterschied war nicht vorhanden. Unser Unternehmen ist zu groß. Es ist untrennbar mit dem Wohlergehen des Landes verbunden. Unser Beitrag für die Nation ist beträchtlich.“

Für die Zuschauer war es nun genau andersherum. Die Nation hat mehr zu GM beigetragen, als sie zurückbekommen hat. Das US-Finanzministerium hat 2009 mehr als 50 Milliarden Dollar in GM gesteckt und etwa 40 Milliarden Dollar wieder herausbekommen. Die Rettung von GM und Chrysler – und damit auch die Erhaltung der Zulieferbetriebe von Ford, Toyota, Honda und anderen – für eine Nettoauszahlung von elf Milliarden Dollar war ein absolutes Schnäppchen. Ohne Frage hat die Obama-Regierung die US-Autoindustrie gerettet. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass, während das Finanzministerium GM finanzierte und bei der Umstrukturierung des Unternehmens half, unsichere Autos auf den Straßen unterwegs waren. Und es hat den Ruf von GM als Versager verstärkt. Der Unterton der Anhörungen lässt sich mit einer rhetorischen Frage zusammenfassen: „Das ist es, was wir gerettet haben?“

So hatte es nicht laufen sollen. Barra wurde im Dezember 2013 zum CEO von GM ernannt und erregte fast über Nacht Aufsehen. Es war ein wichtiger Schritt zur Emanzipation für sie und für Frauen in der Wirtschaft. In Amerika hatte es andere weibliche Vorstandsvorsitzende in berühmten Unternehmen gegeben. Es gab Indra Nooyi bei Pepsi, Meg Whitman bei Hewlett-Packard und Marillyn Hewson bei Lockheed Martin, um nur einige zu nennen. Aber es handelte sich um ein Automobilunternehmen und nicht um irgendeinen Autohersteller. Es war General Motors. Amerikas einst berühmter Industrie-Riese war wieder im Geschäft.

GM hatte Jahre des Niedergangs hinter sich, bevor es in Konkurs ging, aber es ist wirklich kein gewöhnliches Unternehmen. Es war einst der weltweit dominierende Automobilhersteller. Seine Fabriken trugen zum Aufbau des demokratischen Arsenals bei, das Europa von Nazideutschland befreite und das faschistische Kaiserreich Japan besiegte. Chevys und Cadillacs sind fester Bestandteil der amerikanischen Kultur und wurden von Künstlern wie Don McLean, Bruce Springsteen und Snoop Dogg besungen. Die wirtschaftliche Macht des Unternehmens hat, wie Charlie Wilson betonte, über ein Jahrhundert lang Millionen von Menschen eine Lebensgrundlage geboten. Amerika ohne GM ist wie Amerika ohne die Yankees.

Unter dem CEO Dan Akerson, der maßgeblich an Barras Aufstieg beteiligt war, hat das Unternehmen ein neues Gefühl von Stabilität gewonnen. Kurz bevor Barra ihren Posten antrat, hatte das US-Finanzministerium die letzten GM-Aktien verkauft, die es im Rahmen der Rettungsaktion erhalten hatte. Es war nicht mehr „Government Motors“. Akerson hatte einige der Brände gelöscht. Nun war es an Barra, das Unternehmen neu zu gestalten.

Sie hatte auch eine Vision dafür. Barras Vater war ein Fabrikarbeiter und Mitglied der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) in Pontiac, als jedes zweite Auto, das in Amerika gekauft wurde, von GM hergestellt wurde. Ihre Vision war es, das Unternehmen wieder in eine Führungsposition zu bringen, ein Unternehmen, das großartige Autos herstellt und auch bei neuen Technologien eine Vorreiterrolle einnimmt, so wie es in seiner Blütezeit in den 1960er-Jahren der Fall war. Das Unternehmen hatte bereits Prototypen von Elektroautos entwickelt, lange bevor Elon Musk von Tesla überhaupt geboren wurde. GM-Ingenieure hatten mit der Idee gespielt, Drähte in die Straßen einzubauen, die mithilfe von Funksignalen den Autos helfen sollten, selbst zu fahren. Nein, Google hat das autonome Auto nicht erfunden. GM leistete in den 1990er-Jahren mit dem Elektroauto EV1 ebenfalls Pionierarbeit und machte es zum ersten modernen Elektroauto, bevor es diesen frühen Vorsprung wieder verspielte.

Barras Vision war noch nicht ganz ausgereift und sie hatte sie noch nicht nach außen getragen, aber sie konnte erkennen, dass die Welt kurz vor der größten Veränderung im Transportwesen stand, seit Benzinmotoren Dampfantrieb und Pferde ersetzt hatten. Tesla hatte bewiesen, dass Luxuskäufer Elektroautos mögen. In China, wo GM eine führende Rolle spielt, sah Barra die Regierung mit starken Anreizen und Auflagen eine Ära der Elektrifizierung einläuten. Weltweit wurde der Klimawandel zu einem immer drängenderen Thema. Die Emissionsvorschriften wurden immer strenger und die Herstellung von Autos, die mit fossilen Brennstoffen betrieben wurden, wurde dank der erforderlichen Hardware für saubere Luft immer teurer. Sie wollte diesen Generationswechsel anführen, anstatt ihn Tesla zu überlassen.

Als sie offiziell in das Amt eingeführt wurde, waren die Medienberichte sehr positiv. Wenn es einer Frau gelänge, in einem schwerfälligen alten Unternehmen wie GM einen Spitzenjob zu übernehmen und in die von Männern dominierte Automobilbranche einzudringen, dann könnten Frauen wirklich überall an die Spitze kommen. Und sie war Ingenieurin und keine Finanzexpertin wie die Führungskräfte, die das Unternehmen während seines Niedergangs geleitet hatten. Das Internet war voller überschwänglicher Schlagzeilen.

„Endlich hat Detroit etwas Frauenpower“, jubelte

Forbes.

1

General Motors „zerschlägt eine jahrhundertealte Geschlechterbarriere“, schrieb das

Wall Street Journal.

2

Die langjährige Branchenanalystin Michelle Krebs brachte es für den

Guardian

noch deutlicher auf den Punkt: „Mein erster Kommentar vor den Kollegen war: ‚Heilige Scheiße!‘ Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass dies zu meinen Lebzeiten passieren würde.“

3

Der Autor der

New York Times

, Bill Vlasic, schrieb, Barra habe „Benzin in den Adern“.

Als sich Barra, schon immer eine Teamplayerin, bei einer Mitarbeiterversammlung in Detroit an die Belegschaft von GM gewandt hatte, ging es nicht um sie oder darum, die gläserne Decke zu durchbrechen. Es ging darum, den Automobilhersteller, der einst Symbolcharakter besaß, von seinem Sündenfall zu einer neuen Ära der Seriosität und dann zur Größe zu führen. Das war die gleiche Vision, die Ed Whitacre, der pensionierte AT&T-Vorsitzende, fünf Jahre zuvor, im Jahr 2009, beschrieben hatte, als er nach dem Konkurs des Unternehmens CEO wurde.

„Dies ist wahrhaftig das nächste Kapitel in der Geschichte der Erholung und des Wandels von GM“, hatte Barra den Mitarbeitern versprochen, als sie ihren Posten antrat. „Und ich bin stolz darauf, ein Teil davon zu sein.“

Wäre Barra der Typ für Selbstbeweihräucherung (was sie ganz sicher nicht ist), wäre es eine kurze Feier gewesen. Die Art und Weise, wie sie mit der Zündschlosskrise umging, würde für den Ruf von GM und seine Zukunft entscheidend sein. Auch ohne die Krise hatte sie eine Liste von Problemen, die gelöst werden mussten, bevor sie sich für das GM einsetzen konnte, das ihr vorschwebte. Abgesehen von den USA und China hatten die meisten anderen GM-Geschäftsbereiche Geld verloren. Barras GM konnte nicht wie das alte GM denken, bei dem es darauf angekommen war, das größte Unternehmen der Welt zu sein.

GM war in mehr als 100 Ländern tätig und gab ein Vermögen für die Entwicklung und Vermarktung von Autos in aller Welt aus. Der größte Teil des weltweiten Geschäfts hatte dem Unternehmen nur Geld entzogen. Das Europa-Geschäft mit Opel, das der legendäre Konzernchef Alfred Sloan 1929 übernommen hatte, verlor im Durchschnitt eine Milliarde Dollar pro Jahr.

„Das Unternehmen steckte immer noch in großen Schwierigkeiten“, sagte Tim Solso, der im GM-Vorstand saß und zum nicht geschäftsführenden Vorsitzenden ernannt wurde, als Barra CEO wurde. „Das war inakzeptabel. Alle internationalen Aktivitäten hatten einen geringen Marktanteil und machten Verluste. Es gab immer noch eine Kultur, die verlangte, dass wir die Größten sein mussten.“

Diese Kultur brauchte einen Neustart. Barra mochte in jener Aprilwoche in Washington vielen Fragen ausgewichen sein, aber in ihrer Aussage war eine wichtige Antwort enthalten, die den Kern ihrer Vision für das Unternehmen darstellte. Murphy hatte sie gefragt, ob GMs übermäßiger Fokus auf die Kosten das Unternehmen zu der unglücklichen Entscheidung über den Zündschalter geführt habe. Barra hat das nicht bestritten. Die Kosten für die Pensionäre von GM waren außer Kontrolle geraten. Im Jahr 2003, als sich die GM-Ingenieure auf den Bau des Cobalt vorbereiteten, nahm das Unternehmen 17,6 Milliarden Dollar an Schulden auf, um Geld für seine Pensionsfonds zu beschaffen, weil es nicht genug Geld erwirtschaftet hatte, um seine Rechnungen zu bezahlen. Die Kosten für die medizinische Versorgung der vielen US-Rentner stiegen jedes Jahr. Das Ergebnis: Der Autohersteller hatte pro Fahrzeug eine Belastung von 1.600 Dollar für Rentner, die Konkurrenten wie Toyota und Honda nicht hatten. GM hatte bei seinen Fahrzeugen ständig an der falschen Stelle gespart. Jeder Penny wurde umgedreht. Durch den Konkurs wurde ein Großteil dieser Last beseitigt, aber Barra musste ein Unternehmen, das jeden Penny dreimal umdrehte, dazu bringen, mehr an die Kunden zu denken.

„Das ist nicht die Art und Weise, wie wir heute bei GM Geschäfte machen“, sagte sie zu Murphy. „Im Allgemeinen haben wir nach dem Konkurs unsere Kostenkultur zu einer Kundenkultur entwickelt.“

Ihre Antwort klang für die Mitglieder des Kongresses wahrscheinlich wie eine Floskel, aber sie war der Kern dessen, was sie mit GM zu erreichen hoffte. Wenn sie die Krise überstehen würde, ohne ihre Karriere und den guten Ruf von GM zu beschädigen, wusste sie genau, was sie tun wollte. Sie und Mark Reuss, ein weiterer GM-Veteran, der Barras alten Job als Leiter der Produktentwicklung innehatte, hatten beschlossen, dass es „keine Schrottautos mehr“ geben würde. Dan Ammann war vom Finanzchef zum Präsidenten des Unternehmens befördert worden und hatte ein System eingeführt, mit dem er nachverfolgen konnte, wie viel Geld GM mit jedem Auto auf jedem Markt rund um den Globus verdiente oder verlor. Die GM-Manager konnten nicht mehr verheimlichen, dass ihre Autos oder ihre Geschäftsbereiche zu schlecht liefen. Barra wollte die Ausreden und die Toleranz für Verluste, die Teil der GM-Kultur waren, ausmerzen. Im Jahr 2015 erklärte sie mir, dass sie Ausreden nach dem Motto „der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen“ satthabe.4

Die neuen technologischen Entwicklungen, die Barras Vision für GM prägten, stellten auch eine Bedrohung für das Unternehmen dar. Am Tag vor ihrem Amtsantritt als CEO hatte Tesla bekannt gegeben, dass die Model-S-Limousine im Jahr 2013 22.300 Mal verkauft worden war. Das war ein Klacks für ein Unternehmen wie GM, das jährlich neun Millionen Autos verkauft, aber das Model S kostete in der Regel mehr als 100.000 Dollar und warb Luxuskäufer von Cadillac und anderen Herstellern wie BMW, Lexus und Mercedes ab. Selbst zu diesen Preisen war das Model S nahe dran, den Nissan Leaf EV und den Chevy Volt von GM, der mit Benzin und einer Batterie betrieben wird, auszustechen. Viele Menschen in Detroit standen Elon Musk ablehnend gegenüber, aber er war im Begriff, den Verkehr, wie wir ihn kennen, auf den Kopf zu stellen. Und er konnte das auch finanzieren. Egal, wie viel Geld Tesla verlor, die Investoren gaben ihm einfach mehr.

Während Musk sich einen Vorsprung im Bereich des Elektroantriebs erarbeitete, testete Googles Projekt für selbstfahrende Autos bereits eine zweisitzige, eiförmige Kapsel, die autonom fahren konnte. Sie war nicht schnell und sicherlich nicht bereit, Amerikas Autobahnen zu erobern, aber es war ein Fortschritt. In der Zwischenzeit war Uber Technologies dabei, die Zahl der Fahrgäste im Vergleich zum Vorjahr zu verdoppeln und ein Phänomen zu werden. Beide hatten die Fähigkeit, die Art und Weise, wie Menschen sich fortbewegen, grundlegend zu verändern.

Barra hätte Milliarden gebraucht, um mit dem Vorstoß des Silicon Valley in den Verkehrssektor konkurrieren zu können. Sie verfügte nicht über die scheinbar unerschöpflichen Geldquellen von Tesla an der Wall Street. Sie hatte auch nicht die 65-Milliarden-Dollar-Kriegskasse von Google. Sie hätte kein Sicherheitsnetz, wenn sie wie das alte GM weltweit Geld verlieren würde. Sie musste auch entsprechendes Personal mit dem Know-how einstellen, das die Zukunft des Verkehrs gestalten konnte. So schwierig es für diese Unternehmen war, neue Geschäftszweige hochzuziehen, so schwierig war auch die Aufgabe, die Barra vor sich hatte. Sie musste ein 110 Jahre altes Unternehmen umrüsten, das vergessen hatte, wie man gewinnt. Dazu musste sie rücksichtslos und entschlossen, aber auch einfallsreich sein.

KAPITEL 2

DAS FAMILIENUNTERNEHMEN

Mary Teresa Makela, die Frau, die sich schließlich anschickte, GM neu zu gestalten, wurde an Heiligabend 1961 geboren, nur eine Woche vor dem Beginn eines der besten Jahre in der Geschichte des Unternehmens. Im ersten Jahr ihres Lebens beherrschte GM fast 52 Prozent des US-Automarktes. Das Unternehmen erwirtschaftete riesige Gewinne und führte ein globales Imperium an. Der Vorsprung vor Ford, Chrysler und American Motors in den USA war so groß, dass Alfred Sloan, der legendäre Vorsitzende des Unternehmens, der zu diesem Zeitpunkt ehrenamtlich im Vorstand saß, befürchtete, das Justizministerium würde das Unternehmen zerschlagen.

In den frühen 1960er-Jahren wuchs die Wirtschaft kräftig und die Amerikaner entwickelten eine wachsende Liebe zum Auto und der damit verbundenen Freiheit. Das Wachstum der Vorstädte sorgte dafür, dass die Amerikaner mehr Räder wollten, und GM war in der Poleposition, um diese zu liefern. Die Verkäufe stiegen 1962 in den USA um 30 Prozent und der Umsatz wuchs fast ebenso schnell auf 14,6 Milliarden Dollar. Die Bilanz wurde noch eindrucksvoller. Der Gewinn stieg um 63 Prozent auf 1,5 Milliarden Dollar. Das sind – umgerechnet auf den Dollarwert von 2022 – 14 Milliarden Dollar Nettogewinn, mehr als Barras GM jemals in einem Jahr verdient hatte … und ihr GM machte gutes Geld. Obwohl der Marktanteil 1963 gesunken war, stiegen die Gewinne erneut. Nach Angaben der New York Times war GM das profitabelste Unternehmen der Welt.

Als Barra ins Kleinkindalter kam, war Cadillac der unangefochtene Marktführer im Luxussegment. Der 1957er Eldorado Brougham wurde für mehr als 13.000 Dollar verkauft und lag damit nicht weit unter dem Preis eines Rolls-Royce Silver Cloud. Die Chevrolet-Impala-Limousine war Amerikas Lieblingsauto. Allein 1965 verkaufte Chevy 1,1 Millionen Impalas auf einem Automarkt, in dem etwa acht Millionen Fahrzeuge gekauft wurden. Eines von sieben verkauften Autos war ein Impala. Später lernte ich mit dem blauen Impala-Kombi meines Vaters von 1985 fahren. Er war jahrzehntelang Amerikas Familienauto.

Das GM, mit dem Barra aufgewachsen war, war das größte und reichste Unternehmen der Welt. Sloans lockere Führungsstruktur, in der die Abteilungen Cadillac, Buick, Oldsmobile, Pontiac, GMC und Chevrolet unabhängig voneinander agierten, aber von Sloan selbst zentral kontrolliert wurden, hatte Peter Drucker in seinem Buch „Concept of the Corporation“ beschrieben. Jahrzehnte zuvor hatte Donaldson Brown die Buchhaltungsmethoden des Chemie-Riesen DuPont zu GM gebracht und verbessert und damit die Art und Weise revolutioniert, wie Unternehmen ihr Geld verwalteten. Der Erfolg des Unternehmens war eines der schillerndsten Symbole für den Aufstieg Amerikas in der Nachkriegszeit.

GM galt als Musterbeispiel für Unternehmensführung und als das am meisten respektierte Unternehmen der Welt. Seine Macht und Bedeutung zu dieser Zeit kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. In den 1920er-Jahren erfand GM unter der Leitung des legendären Konstrukteurs Harley Earl das Automobildesign. Er entwickelte das erste vollständige Designstudio, die sogenannte „Art and Color Section“, und ging 1958 in den Ruhestand, wobei er GM als leitender Konstrukteur verließ. Seine letzten Entwürfe standen in Ausstellungsräumen, als Barra geboren wurde. Sein Team erfand die Heckflossen, die in den 1960er-Jahren zum modischen Standard gehörten.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden in den GM-Werken M4-Sherman- und M5-Panzer, B-24-Bomber und Millionen von Munitionshülsen hergestellt. Sie produzierten Hellcat-Panzerabwehrkanonen und gepanzerte Fahrzeuge. Die industrielle Macht Detroits (zu der Ford und eine Handvoll anderer kleinerer Automobilhersteller gehörten) war ein Symbol des Nationalstolzes und wurde als die Kraft und Stärke angesehen, die den Krieg gewonnen und Amerika in den Jahren danach zur herausragenden Weltmacht gemacht hatte.

GM war der Größte von ihnen und zu dieser Zeit auch der Klügste. Seine Forschungs- und Entwicklungsgruppe hatte eine Pumpe entwickelt, die bei der ersten Operation am offenen Herzen eingesetzt wurde. GM und Boeing entwickelten den Apollo-15-Mondrover. Das Unternehmen baute die erste dieselelektrische Lokomotive, die die rußenden Dampflokomotiven im amerikanischen Westen ersetzte. Der Haushaltsgerätehersteller Frigidaire machte Kühlschränke zu einem alltäglichen Gebrauchsgegenstand. In den 1980er-Jahren kamen Mercedes-Fahrzeuge ohne Klimaanlage in die USA. Sie installierten die ACDelco von GM, weil sie die beste in der Branche war.

Heute sehen einige Amerikaner GM nur als ein weiteres Unternehmen, das Pick-ups und SUVs verkauft. Viele andere sehen in dem Unternehmen ein Symbol für den industriellen Niedergang Amerikas. Sein Anteil am US-Markt beträgt rund 17 Prozent. Die Gewinne sind hoch, aber das Unternehmen ist viel kleiner.

In der Blütezeit des Unternehmens war GM eine Maschine, die Wohlstand generierte. Aus dem GM-Jahresbericht von 1962 geht hervor, dass das Unternehmen seinen Investoren 863 Millionen Dollar gezahlt hatte. Das wären im Jahr 2021 7,8 Milliarden Dollar an Dividenden, fast das Vierfache dessen, was das Unternehmen heute zahlt. GM zahlte in jenem Jahr 111 Millionen Dollar an Renten aus, was heute einer Milliarde Dollar entspricht. Der Automobilhersteller beschäftigte 605.000 Arbeitnehmer, mehr als die Einwohnerzahl von Milwaukee. Allein in diesem Jahr beliefen sich die Lohnkosten von GM auf fast vier Milliarden Dollar. Das entspricht heute 36 Milliarden Dollar. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer waren stundenweise beschäftigte Fabrikarbeiter, die durchschnittlich 136 Dollar pro Woche verdienten. Inflationsbereinigt entspricht dieser Lohn etwa 29 Dollar pro Stunde, was in etwa dem heutigen Spitzenlohn der UAW entspricht. Damals war es ein echter Mittelschichtslohn. Nach Angaben der US-Volkszählungsbehörde verdiente die durchschnittliche Familie 6.000 Dollar im Jahr. Die gewerkschaftlich organisierten Fabrikarbeiter von GM verdienten mehr als 7.000 Dollar.

GM ermöglichte Millionen von Menschen, die nicht nur in den Werken, sondern auch als Teilehersteller, bei der Eisenbahn, in Autohäusern und Stahlwerken arbeiteten, eine hohe Lebensqualität. Einer von ihnen war Ray Makela, Barras Vater. Er war Werkzeugmacher in den Pontiac-Motorenwerken von GM, mit denen das Unternehmen einen riesigen Fertigungskomplex besaß. Im Jargon der Gewerkschaftskultur war Makela ein qualifizierter Handwerker. Werkzeugmacher stellten die schwere Ausrüstung her, mit der Karosseriebleche, Kotflügel und andere der 30.000 Teile, die für den Bau eines Autos benötigt wurden, produziert wurden.

Barras Mutter, Eva, geborene Pyykkonen, war Buchhalterin und Näherin. Keiner der beiden hatte ein College besucht, aber sie bestanden darauf, dass Mary und ihr Bruder Paul eine Ausbildung erhielten.1 Beide Eltern waren finnischer Abstammung und Barra selbst spricht gelegentlich mit Stolz davon, Skandinavierin zu sein. Mit ihrem Einkommen konnten es sich die Makelas leisten, in Waterford zu leben, einer überwiegend weißen Mittelschichtgemeinde mit kleinen Seen nördlich von Pontiac. Damals, als Barra die Waterford Mott High School besucht hatte, war das gesamte Gebiet eine solide Mittelschichtgegend und das ist auch heute noch so. Ray Makela hatte einen sicheren Arbeitsplatz in dem 120 Hektar großen Industriekomplex von GM in Pontiac.

Das galt auch für Tausende andere. Pontiac verfügte über vier Montagewerke sowie einen Stanzbetrieb, der Karosserieteile presste. Die Abteilung Pontiac Truck & Coach, die Lastwagen und Busse herstellte, hatte dort ihren Sitz. Die Pontiac-Autoabteilung baute legendäre Modelle wie die Bonneville-Limousine, das Grand-Prix-Coupé und das Tempest-LeMans-Cabriolet. Schließlich produzierte das Werk das legendäre GTO Muscle Car.

Als Schülerin in Waterford Mott war Barra sehr gewissenhaft. Ihr Lieblingsfach war Mathe, was sie dazu inspirierte, an der Universität Elektrotechnik zu studieren. Das war in den 1980er-Jahren eine ungewöhnliche Wahl für Frauen. Ihre Eltern hatten sie ermutigt, diesen Weg einzuschlagen. Außerdem schloss sie als Klassenerste mit dem bestmöglichen Notendurchschnitt ab und wurde mit dem Titel „Beste Erfolgsaussichten“ ausgezeichnet.2

Als Barra 1979 die Schule abschloss, war GM noch mit Abstand der größte Automobilhersteller der Welt. Sein Anteil am US-Markt war zwar zurückgegangen, lag aber immer noch bei beachtlichen 45 Prozent. Auch die Gewinnspannen waren rückläufig, aber da das Unternehmen groß und immer noch sehr profitabel war, hatte die Unternehmensleitung allen Grund, zufrieden zu sein. In seinem Jahresbericht an die Aktionäre verkündete das Unternehmen, dass es den drittbesten Umsatz aller Zeiten und den viertbesten Gewinn des Jahres erzielt hatte.

Es gab Anzeichen dafür, dass die jahrzehntelange Vorherrschaft von GM in Gefahr war. In seinem Brief an die Aktionäre in jenem Jahr beklagte der Vorstandsvorsitzende Tom Murphy, dass die steigenden Kraftstoffpreise und die Benzinknappheit die Amerikaner dazu veranlasst hätten, ihre Kaufgewohnheiten für Fahrzeuge rasch zu ändern. Sie verzichteten auf Trucks und große Autos und entschieden sich für kleine, kraftstoffsparende Modelle. Kleinwagen waren nie die Stärke des Detroiter Automobilherstellers und die dadurch erzielbaren Gewinne waren im Vergleich zu großen Limousinen und Pick-ups mager.

Mary Barra wusste wahrscheinlich auch nicht, dass GM langsam die Kontrolle verlor. Sie bereitete sich darauf vor, Waterford Mott zu verlassen und an die Michigan State zu wechseln, und fragte sich, wie sie das bezahlen sollte. Ihre Eltern hatten nur für ihr erstes Studienjahr genug gespart. Als ein Freund ihr von dem Kooperationsprogramm des General Motors Institute erzählte, bei dem sie für den Automobilhersteller arbeiten konnte, um ihre Ausbildung zu finanzieren, bewarb sie sich. Mit ihren Noten und ihrer Begabung wurde sie natürlich genommen.3

„Sie begann 1980 mit dem Hauptfach Elektrotechnik, als höchstens 15 Prozent der Studenten Frauen waren“, sagte Mo Torfeh, ein im Iran geborener Professor für Ingenieurwesen am General Motors Institute (GMI), das heute Kettering University heißt. Er sagte, Barra sei eine seiner Lieblingsstudentinnen gewesen. Die Tatsache, dass es nur wenige Frauen gab, habe sie nicht gestört. Das Studium der Ingenieurwissenschaften an einer überwiegend von Männern besuchten Hochschule, die Studenten an ein von Männern dominiertes Unternehmen wie GM heranführte, veranlasste Barra dazu, sich für den Rest ihrer Karriere mit dem Minderheitenstatus einer Frau einzurichten.

Torfeh erklärte, seine Studentinnen arbeiteten härter, weil sie das Gefühl hatten, etwas beweisen zu müssen. Barra war da keine Ausnahme. Sie saß ganz vorn in der Klasse und lernte fleißig. Sie hat nie eine große Sache daraus gemacht, eine Frau zu sein. Ganz im Gegenteil, sagte er. Sie war klug, freundlich und eine Konsensfinderin in ihrer Gruppenlaborarbeit. Ihre Klassenkameraden schätzten sie als Organisatorin und Projektleiterin, die auf kollegiale Art und Weise die Verantwortung übernahm. Sie wies die Arbeit zu und kontrollierte ihre Teammitglieder. Torfeh erzählte, dass die Gruppe ein Steuergerät für einen batteriebetriebenen Elektromotor entwickeln musste. Er sollte 300 Umdrehungen pro Minute leisten. Nicht 280 oder 310. Er musste genau und stabil sein.

„Sie hat dafür gesorgt, dass die anderen Teamkollegen ihren Teil dazu beigetragen haben“, sagte er. „Man konnte sehen, dass sie die Führung übernehmen wollte. Sie übernahm gern das Kommando, aber sie war respektvoll. Sie haben das Projekt gut gemeistert und sie hat eine Eins in dem Kurs bekommen.“

Ihr erster Job als GM-Kooperationsstudentin war im Fiero-Werk in Pontiac, nicht weit von dem Ort entfernt, an dem ihr Vater gearbeitet hatte, bevor er ein paar Jahre zuvor in den Ruhestand gegangen war. Nach ihrem Abschluss im Jahr 1985 arbeitete sie als Betriebsingenieurin und Supervisorin zu einer Zeit, als GM versuchte, ein neues Produktionssystem einzuführen, das auf den schlanken Fertigungsmethoden von Toyota basierte. Ihre Aufgabe war es, die Handwerker zu beaufsichtigen und für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen.

Tim Lee, der später als Produktionsleiter bei GM in den Ruhestand ging, war 1987 als Werksleiter bei Fiero eingesetzt worden. Mit 37 Jahren war er der jüngste Betriebsleiter, den das Unternehmen je hatte. Seine erste Amtshandlung bestand darin, sich das Stromverteilungssystem im Werk anzusehen. Wenn das ausfiel, kam die Produktion sofort zum Stillstand.

„Man muss über alles Bescheid wissen, was schiefgehen kann“, sagte Lee. „Ich bat den Elektromeister des Werkes, mich durch den Betrieb zu führen. Wir treffen uns am Pfeiler A12. Da kommt eine zierliche Frau mit einem Funkgerät an der Hüfte und Werkzeug am Gürtel.“

Dieses Bild bringt Barra in vielerlei Hinsicht auf den Punkt. Sie war von kleiner Statur, aber effektiv in dem, was sie tat. Sie erledigte ihre Aufgaben immer mit hochgekrempelten Ärmeln. „Sie war unscheinbar“, sagte Lee.

Damals hatte GM in Fremont, Kalifornien, ein Joint Venture mit Toyota New United Motor Manufacturing, Inc. oder NUMMI. GM wollte von dem japanischen Autohersteller lernen, warum seine Werke so effizient waren und so hochwertige Autos produzierten. Eine von Toyotas Innovationen bestand darin, dass die Arbeiter am Fließband die Produktion stoppen konnten, wenn sie ein Problem sahen, was den Menschen in der Fabrik ein großes Mitspracherecht bei der Steuerung der Produktion gab. Sie konnten an einer Schnur ziehen, dem sogenannten Andon-Cord, die einen Gong auslöste und das Fließband stoppte. Dann eilten Ingenieure und andere Arbeiter herbei, um zu sehen, was passiert war.

Eines Tages ertönte der Gong in der Lackiererei, sagte Cheri Alexander, die als Managerin in dem Werk tätig war und jetzt Wirtschaftsprofessorin an der Universität von Michigan ist. In Automobilwerken sind Lackieranlagen lebenswichtig und Stillstände sind kostspielig. Man musste dafür sorgen, dass die Farbe durch die Schläuche und Sprühgeräte floss, sonst konnte sie verklumpen. Als Alexander im dritten Stock ankam, war Barra bereits vor Ort und beriet sich mit acht Ingenieuren und Mitarbeitern der Lackiererei.

„Wir sind da hochgeeilt“, sagte Alexander. „Als ich dort ankam, war Mary mit etwa acht ihrer Arbeiter da. Sie hörte aufmerksam zu. Sie ging herum und hörte all diesen Männern zu. Sie waren alle breiter, größer und älter als sie. Sie war wahrscheinlich 26. Ihr Team fand eine Lösung und brachte das Band innerhalb von 18 Minuten wieder in Gang. Das war der Moment, in dem ich wusste, dass sie etwas Besonderes war“, sagte Alexander.

Lee mochte sie auch. Während ihrer zweijährigen Tätigkeit in der Fabrik beförderte er sie zur Führungskraft. In vielerlei Hinsicht war die Fabrik eine Erfolgsgeschichte. Sie habe eine hohe Produktivität gehabt und sei in Bezug auf die Qualität eines der besten Werke von GM gewesen, so Alexander. Doch wie ein roter Faden zog sich durch Barras Aufstieg bei GM die Tatsache, dass ihre Bemühungen und die Arbeit ihres Teams aufgrund höherer Mächte vergeblich waren. Die Fiero-Anlage war letztlich zum Scheitern verurteilt, weil das Auto selbst so mangelhaft war.

Der kleine Fiero war als sportlicher Konkurrent zu japanischen Zweisitzern wie dem Toyota MR2 und dem Mazda RX-7 gedacht. Pontiac hoffte, damit junge Käufer für sportliche Autos zu gewinnen, aber der Fiero war Schrott. Er war auf Sparsamkeit ausgelegt und hatte nicht die Power seiner Vorbilder. Der MR2 hatte 122 PS und der „Iron Duke“-Vierzylindermotor des Fiero brachte es nur auf 92 Pferdestärken. Statt ein hipper neuer Pontiac zu sein, betonte er nur die japanische Überlegenheit. Der Autor des Magazins Car and Driver, Rich Ceppos, erinnert sich, wie enttäuschend das Auto war. „Damals waren gute einheimische Autos so rar, dass es wie ein Hoffnungsschimmer erschien“, schrieb er. „Jeder hoffte, dass es anders sein würde. Aber es war Mist.“4

Schlimmer noch, er neigte dazu, Feuer zu fangen. Der Heckmotor des Wagens hatte eine kleine Ölwanne. Wenn das Auto zu wenig Öl hatte, konnten die Pleuelstangen seitlich aus dem Motor reißen und heißes Öl auf den Auspuffkrümmer spritzen, was oft zu einem Brand führte. Einer von 400 Fieros, die 1987 gebaut wurden, geriet in Brand und GM musste 125.000 Wagen zurückrufen.5

Die Brände waren der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es war ein teures Verhängnis für das Unternehmen und der Todesstoß für den Namen Fiero. Lee erzählte, er sei 1987 angekommen und habe das Werk im darauffolgenden Jahr schließen müssen, als im August 1988 das letzte Auto vom Band gerollt war.

Solche Probleme waren in den 1980er-Jahren nicht selten. GM, Ford und Chrysler hatten anhaltende Qualitätsprobleme, die in den 1970er-Jahren begonnen hatten, als die Detroiter Autohersteller von Autos mit Heckantrieb und großen Motoren auf Autos mit Frontantrieb und kleineren Motoren umstellen mussten. Das gelang ihnen nicht schnell genug, ohne dass es zu Qualitätsproblemen kam.

In den 1980er-Jahren, unter der katastrophalen Leitung des Vorstandsvorsitzenden Roger Smith und in den Jahren unmittelbar danach, wurde GM von weiteren Problemen geplagt. Das Unternehmen hatte einen Großteil der Managementstruktur von Alfred Sloan, die den einzelnen Abteilungen Autonomie gewährte, abgeschafft. Stattdessen machte Smith aus einer Mischung von Geschäftsbereichen zwei Einheiten, Chevy-Pontiac-Canada (CPC) für Kleinwagen und Buick-Olds-Cadillac (BOC) für große Autos. Die GM-Abteilungen verloren ihre Autonomie. Die Autos von Chevy, Pontiac, Oldsmobile und Buick hatten so viele Teile gemeinsam, dass sie sich immer ähnlicher wurden. Für einige Cadillacs galt das auch. Rick Wagoner, der von 2000 bis 2009 CEO gewesen war, sagte, dass die neue Abteilungsstruktur die GM-Experten innerhalb des Unternehmens hin und her geworfen hätte, was zu allen möglichen Problemen führte. GM konnte neue Fahrzeuge nicht rechtzeitig auf den Markt bringen und die Qualität litt.

Anstatt sich auf die zu ähnlich aussehenden Designs und die Zuverlässigkeitsprobleme des Unternehmens zu konzentrieren, suchte GM unter der Leitung von Roger Smith immer nach einem Königsweg. Er gab 35 Milliarden Dollar für die Anschaffung von Robotern in den GM-Werken aus, um Arbeitskosten zu sparen. Aber dadurch wurde die Qualität noch schlechter. In einem Werk lackierten sich die Roboter gegenseitig, anstatt die Autos zu lackieren, wie das Wall Street Journal berichtete.6

Er erwarb auch die Electronic Data Systems von Ross Perot, um die Prozesse und Systeme des Automobilherstellers zu modernisieren. Das kostete 2,5 Milliarden Dollar. Perot wurde ein Großaktionär und begann eine Reihe sehr öffentlicher Kämpfe im Aufsichtsrat. Der gerissene Texaner kritisierte Smith und den Vorstand häufig dafür, dass sie ihre Zuverlässigkeitsprobleme nicht behoben oder das Design nicht verbessert hatten. Der Vorstand des Automobilherstellers zahlte Perot später mehr als 700 Millionen Dollar, damit er verschwand.

1985 kaufte Smith Hughes Aircraft für 5,2 Milliarden Dollar, um sich in die Luft- und Raumfahrt zu diversifizieren. Außerdem wollte er die Vorteile der Elektronik und der Satellitentechnik nutzen, um das Auto zu modernisieren. Das letztgenannte Motiv war nicht abwegig. Später wurden die Fahrzeuge mit mehr Computerkapazitäten ausgestattet und für Sicherheit und Kommunikation über Satellit verbunden. Die OnStar-Telematikeinheit von GM war ein direktes Ergebnis von Smiths Akquisitionen, aber seine Geschäfte trugen ansonsten wenig Früchte und er entzog dem Autogeschäft Milliarden. Zum Zeitpunkt des Hughes-Geschäfts sagte der Unternehmenskritiker Ralph Nader, dass Smith „dieses Geld in die Verbesserung seiner Automobile hätte investieren sollen, in die Kraftstoffeffizienz, in die Qualitätskontrolle, in alle Bereiche, in denen sie gegenüber den Japanern mangelhaft sind“.7 Er gab auch bis zu fünf Milliarden Dollar für die Gründung der Saturn-Abteilung aus, mit einem Kompaktwagen mit Kunststoffgehäuse, einem neuen Werk in Tennessee und einem einzigartigen Arbeitsvertrag.8 Trotz des anfänglichen Erfolges geriet Saturn aufgrund des Mangels an neuen Produkten schließlich in Schwierigkeiten. GM konnte sich nicht genügend neue Modelle für die Abteilung leisten. Außerdem hatte er den Pensionsplan auf tragische Weise unterfinanziert.

Im Jahr 1987, als Barra noch einen Werkzeuggürtel trug und in der Lackiererei auf Fehlersuche ging, lag der Marktanteil bei 35 Prozent. Das Unternehmen war gerade dabei, 16 Werke zu schließen und 36.000 Beschäftigte zu entlassen, um seinem sinkenden Marktanteil entgegenzuwirken. Smith erklärte, dass sie sich von alten, überholten Fabriken trennen wollten.9 Das stimmte zum Teil, aber in Wirklichkeit war er dabei, das Unternehmen auf seinen tatsächlichen Marktanteil zu reduzieren. Diese Realität sollte Smith und jeden CEO nach ihm, einschließlich Barra, einholen.

Als das Fiero-Werk geschlossen wurde, war Barra arbeitslos. Sie wäre in der Lage gewesen, eine andere Aufgabe bei GM zu finden. Für einen Manager, der bei GMI ausgebildet wurde, war das kein Problem. Außerdem hielt Lee sie für ein echtes Talent, wodurch sie gute Chancen hatte. Das Dilemma bestand eher darin, was sie als Nächstes tun wollte. Sie beschloss, sich bei GM für ein Sloan-Stipendium zu bewerben, mit dem sie an der Stanford University oder am MIT einen MBA-Abschluss erwerben konnte. Barra entschied sich für Stanford, wo sie zum Star ihres Jahrgangs geworden sei, so Charles Holloway, heute emeritierter Professor in Stanford, der sie damals unterrichtete.

Ihre Erfahrung als Führungskraft in einem Betrieb und ihre Arbeit in einer riesigen Unternehmensbürokratie verschafften ihr eine Perspektive, die andere Studenten nicht hatten. Sie habe auch eine gewisse Ernsthaftigkeit an sich gehabt, sagte Holloway. Barra war im Unterricht sehr lautstark und dank ihrer Fähigkeit, zuzuhören und andere in eine Diskussion einzubeziehen, war sie sowohl autoritär als auch sympathisch.

„Sie kam mit einer Menge Hintergrundwissen aus der Produktion und verstand, wie große Unternehmen funktionieren, aber sie war sehr klug und konnte ihr Wissen artikulieren“, sagte Holloway in einem Interview. „Im Seminar, wenn es eine Diskussion gab, haben alle aufgepasst, wenn Mary gesprochen hat.“

Als sie 1990 ihr Studium in Stanford abschloss, befand sich GM in einer ausgewachsenen Krise. Unter Smiths Nachfolger Robert Stempel verzeichnete das Unternehmen 1991 einen Rekordverlust von 4,5 Milliarden Dollar. Da Smith so viel von GMs Bargeld für Geschäfte und gescheiterte Modernisierungsbemühungen verpulvert hatte, war das Unternehmen knapp bei Kasse, um die Entwicklung neuer Modelle zu finanzieren, die es brauchte, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Unternehmen musste an die Wall Street gehen, um sechs Milliarden Dollar aufzutreiben, was für GM, das früher Geld gedruckt hatte, eine erstaunliche Wende darstellte.