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In Zeiten mit starkem Gegenwind eine Lanze für die klassische Homöopathie zu brechen, ist der Autorin eine Herzensangelegenheit. Es ist ein Buch entstanden, wie sie es sich selbst als interessierte Patientin und bereits während ihrer homöopathischen Ausbildung gewünscht hätte. Sie beschreibt nicht nur ihren persönlichen Weg zu dieser Heilkunst, sondern befasst sich auch mit den Theorien zur Wirkungsweise der Homöopathie und beleuchtet die aktuelle Studienlage. Die historischen Erfolge der Homöopathie während der Zeit der großen Epidemien finden genauso Beachtung wie die aktuelle Placeboforschung. Im 2. Teil des Buches stellt die Autorin zahlreiche gut gelöste Fälle aus ihrer Praxis vor und schließt mit einem Brückenschlag zur klassischen Medizin.
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Seitenzahl: 192
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Die Autorin wurde 1955 in Frankfurt am Main geboren und lebt im Rhein-Main-Gebiet. Sie ist Mutter von drei erwachsenen Kindern und Heilpraktikerin. Seit 2015 ist sie Mitglied im Arbeitskreis Asyl und im Verein Homöopathen ohne Grenzen e.V.- Abteilung Flüchtlinge. Es ist das zweite Werk der Autorin. Das erste wurde im Dezember 2022 veröffentlicht. Sein Titel ist:
„Wenn ich groß bin ... halte ich mir auch einen Flüchtling“
4 Jahre mit unserem afghanischen Patensohn
Vorwort
1. Wie ich zur Homöopathie kam
2. Blick in eine neue Welt
3. Der Sprung ins kalte Wasser
4. Wie wirkt Homöopathie?
5. Heftiger Gegenwind für die Homöopathie
6. Geht Homöopathie über den Placeboeffekt hinaus?
7. Historische Erfolge bei den großen Epidemien
8. Placebo sei Dank!
9. Eindrucksvolle Fälle aus der Praxis
10. Ein Brückenschlag zur Allopathie
Quellenverzeichnis
Nach 32 Jahren homöopathischer Praxis ist es so weit, sich einmal zurückzulehnen und die Zeit Revue passieren zu lassen. Als ich mit meiner Arbeit begann, befanden wir uns in der Blütezeit der Homöopathie. Sie war im wahrsten Sinn des Wortes in aller Munde. Man fand zahlreiche Artikel in den Zeitschriften, und sie wurde in den Auslagen der Apotheken beworben. Das Fernsehen berichtete in recht sachlicher und offener Weise darüber. Zwar konnte man den Wirkmechanismus nicht erklären, aber dass Homöopathie eine Daseinsberechtigung hatte und immer mehr Patienten sie als sanfte, nebenwirkungsfreie Medizin bevorzugten, wurde nicht permanent in Frage gestellt.
Es hat sich viel verändert seitdem. Durch die Arbeit an der Basis, also mit den Patienten, kam ich über lange Jahre hinweg nicht dazu, mich mit der aktuellen Studienlage oder gar den Hintergründen zu politischen Strömungen gegen die Homöopathie zu beschäftigen. Das habe ich mit diesem Buch nachgeholt und möchte die zusammengetragenen Informationen allen daran Interessierten zur Verfügung stellen.
Das Buch soll Mut machen, sich selbst eine Meinung zu bilden und diese begründen zu können. Wenn man von der Homöopathie überzeugt ist, dann bedeutet das, es bisweilen aushalten zu müssen, gegen den Strom zu schwimmen.
Anhand von zahlreichen Fällen aus meiner Praxis werde ich zudem über die kleinen und größeren Heilerfolge berichten, die mir die Kraft gegeben haben, die Arbeit als Homöopathin fortzusetzen, auch wenn der Gegenwind immer stärker wurde. Ich möchte mit dem Buch eine Lanze für die klassische Homöopathie brechen. Sie reicht weit über das hinaus, was die Verordnung nach der sogenannten bewährten Indikation leisten kann, weil bei der Mittelwahl die Eigenarten, die Lebensumstände, die genetische Disposition und die speziellen Symptome des Kranken eine besondere Berücksichtigung finden. Dadurch ist eine exakt auf den Patienten bezogene Mittelauswahl möglich.
Mein erster Kontakt mit der Homöopathie war ebenso überraschend wie beeindruckend. Unsere Tochter wurde nämlich innerhalb von 10 Tagen von einer monatelangen Schwerhörigkeit geheilt.
Zu dieser Zeit war mein Vertrauen in die Schulmedizin nicht mehr besonders groß. Es hatte zu viele Falschdiagnosen und -prognosen in unserer familiären Krankengeschichte gegeben. Nach ärztlicher Voraussage säße ich seit 17 Jahren im Rollstuhl und hätte meine Zähne schon vor 20 Jahren verloren. Zum Glück ist beides nicht eingetreten. Daneben hatte ich zu einem früheren Zeitpunkt die starken Nebenwirkungen von Antibiotika bei unserer Tochter miterlebt und beschlossen, derartige Medikamente nur noch zu geben, wenn es nicht anders ging.
Ich war nicht die Einzige in den 80er Jahren, bei der sich der Mythos des heilenden Arztes aufzulösen begann. Die Schulmedizin wurde immer stärker in Frage gestellt, weil sie sich so weit von der Natur entfernt hatte, zu der sich die Menschen mehr und mehr hinwandten. Sie wollten nicht länger als kranke Maschinen gesehen werden, die mittels einer volltechnisierten Apparatemedizin, einem sogenannten „Goldstandard“ entsprechend, behandelt wurden. Das Menschliche war inzwischen immer mehr auf der Strecke geblieben.
Es war in dieser Zeit, als bei meiner Tochter ein banaler Infekt auftrat, von dem sie eine Schwerhörigkeit zurückbehielt, die alles andere als banal war. Die Hausärzte in unserem kleinen Ort schlugen nach halbherzigen Versuchen mit naturheilkundlichen Komplexpräparaten schließlich vor, ein Antibiotikum zu geben. Das machte für mich keinen Sinn, denn der Infekt lag bereits Monate zurück, Entzündungszeichen waren nicht mehr vorhanden und schon gar keine Anzeichen eines bakteriellen Geschehens. Ich sah, wie schnell die klassische Medizin an ihre Grenzen stieß. Ihre Hilflosigkeit bestürzte mich und ich erkannte, dass ich nun selbst weitersuchen musste.
Ich glaube nicht an Zufälle. Ich glaube an Türen, die sich im richtigen Moment öffnen, um uns zu helfen, in der Entwicklung weiterzukommen. Wir können an den leicht geöffneten Türen vorbeimarschieren oder sie komplett aufstoßen. Dann aber kann es passieren, dass wir in dem neu sich öffnenden Raum etwas finden, das nicht in unser Weltbild passt und wir die Tür enttäuscht wieder schließen. Sind wir aber zu einem kleinen Quantensprung bereit, dann wird uns unter Umständen Zutritt in eine neue Dimension gewährt.
Wenn das eigene Kind gesundheitliche Probleme hat, welche die Ärzte nicht beheben können, dann sind Eltern - und nach meiner Erfahrung in erster Linie die Mütter - oft bereit, neue Wege zu beschreiten. Ich fand heraus, dass wir eine fähige Heilpraktikerin und Homöopathin in einem Nachbarort hatten. Den Unterschied zwischen diesen Begriffen und wie die Dame arbeitete, kannte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Im Hinterkopf hatte ich nur die nebulöse Geschichte meiner Mutter, der ein Homöopath einmal den Ansatz zu sieben Magengeschwüren geheilt haben soll. Ich glaubte nicht an Wunder, im Falle meines Kindes wollte ich aber gerne eine Ausnahme machen.
Die schon bald aufgesuchte Homöopathin hörte sich die Krankengeschichte meiner Tochter an und stellte viele Fragen. Danach holte sie aus einem hohen Regal mit hunderten von braunen Fläschchen eines mit der Aufschrift Pulsatilla, wovon sie der Kleinen zwei Globuli auf die Zunge legte. Nun werde sie bald wieder hören, kommentierte sie das. Trotz meiner Skepsis überzeugte mich die Gewissheit der alten Dame, dass der Heilung jetzt nichts mehr im Wege stünde. Sie schien genau zu wissen, was sie tat. Wir erhielten die Anweisung, uns in einem Monat wieder zu melden. Dann würde sie die Neurodermitis angehen.
Schon zwei Wochen später war klar, dass die Schwerhörigkeit unserer Tochter verschwunden war. Nun wollte ich wissen, ob die Heilerin noch mehr „Wunder“ in ihrem Repertoire hatte. Da die Hautausschläge meiner Tochter unverändert waren, gingen wir zur zweiten Konsultation. Nach einer genauen Befragung verordnete die Heilpraktikerin ein Folgemittel. Es dauerte nur wenige Tage, bis zu erkennen war, dass die Risse, Furchen und Schüppchen in den Gelenkfalten meiner Tochter langsam verschwanden. Darunter bildete sich eine zarte, neue, gesunde Haut. Das überzeugte mich sehr. Mir wurde schnell klar, dass ich mehr über diese alternative medizinische Behandlung erfahren wollte. Ich hatte als Beamtin die Möglichkeit, nach der Geburt jedes Kindes drei Jahre zu pausieren. Da ich während meiner Arbeit bei der Stadtverwaltung nicht glücklich gewesen war, weil dort die vielgerühmte Bürgernähe nicht gelebt wurde, wollte ich die Zeit mit den Kindern nutzen, um mich beruflich neu zu orientieren. Hier schien sich eine Möglichkeit zu bieten – und ich war bereit dafür.
Schon bald spielte ich mit dem Gedanken an eine Heilpraktikerausbildung, um ähnliche Heilungen wie die Homöopathin vollbringen zu können. Sie sagte damals: „Ich sehe, Sie haben Blut geleckt. Ich garantiere Ihnen, Sie kommen nicht mehr davon los. Ich bin eine alte Frau und werde meine Arbeit nicht ewig machen können. Deshalb bin ich dabei, neue Homöopathinnen und Homöopathen auszubilden. Ich lade Sie ein, an meinem dreitägigen Einführungskurs teilzunehmen, denn nach unseren Gesprächen sehe ich, Sie haben eine sensible Beobachtungsgabe und das Zeug dafür.“
Wie sich später herausstellen sollte, war es der einzige Einführungskurs während der drei Jahre meiner Lehrzeit bei ihr. Wenn es sich um einen Zufall gehandelt hatte, dann schien mir das Schicksal sehr gewogen zu sein. Aber vielleicht gab es ja keine Zufälle!
So kam es, dass ich schon bald die ersten Schritte auf einem anderen Stern unternahm. Denn das war mir schnell klar: Ich befand mich mit der Homöopathie in einem Paralleluniversum, in dem die Denkweise der klassischen Medizin komplett auf den Kopf gestellt wurde.
Die Homöopathie geht auf Dr. Samuel Hahnemann (1755-1843) zurück. Er lebte in einer Zeit, als die Medizin mit Methoden wie Aderlässen bis zur völligen Erschöpfung, sowie Brech- und Abführmitteln bei ohnehin Geschwächten, mehr Schaden als Nutzen angerichtet hatte.
Hahnemann erlangte seine Berühmtheit nicht nur durch seine ärztliche Heilkunst, sondern auch durch seine Arbeit als Chemiker und Übersetzer medizinischer Fachbücher. Zudem verfasste er das wichtigste deutsche Lexikon für Apotheker. Beeinflusst durch die Literatur von Paracelsus, fand er durch Selbstversuche bestätigt, dass Wirkstoffe natürlichen Ursprungs aus Pflanzen, Tieren, Mineralien oder Metallen, die bei einem gesunden Menschen Symptome auslösen, ähnliche Beschwerden beim Kranken heilen können. Alles begann, als Hahnemann eine Arzneimittellehre des schottischen Gelehrten Cullen übersetzte. Der Autor hatte darin behauptet, die Chinarinde helfe deshalb so gut gegen Wechselfieber (Malaria), weil sie den Magen stärke und adstringierend, also zusammenziehend, wirke. Der kritische Geist Hahnemanns bezweifelte die Richtigkeit dieser Begründung, da andere magenstärkende Medikamente keinesfalls in der Lage waren, das Wechselfieber zu lindern. So unternahm er den berühmten Chinarindenversuch, die erste Arzneimittelprüfung. Er trank einen Sud dieser Pflanze zweimal täglich und stellte fest, dass sich nach mehrmaliger Einnahme Fieberschübe einstellten, wie sie bei der Malaria üblich waren. Damit war die These von Paracelsus bestätigt. Sie lautete:
Ähnliches wird mit Ähnlichem geheilt!
Viele Versuche mit anderen Wirkstoffen folgten. Diese mussten, da sie zum Teil giftig waren, vor dem Einnehmen stark verdünnt werden. Es waren langwierige Experimente nötig, um Medikamente herzustellen, die sanft und dennoch wirkungsvoll waren. Denn die Verdünnung allein reichte nicht aus. Es war eine zeitaufwendige Prozedur mit Verreibungen, Verdünnungen und Verschüttelungen nötig, um den Stoffen zunächst die materiellen Teile zu entziehen, während sich gleichzeitig ihr energetisches Potential vergrößerte. Er nannte dies Dynamisierung.
Hahnemann hat seine Methode über einen Zeitraum von 30 Jahren akribisch weiterentwickelt. Während er zu Beginn noch mit D-Potenzen, also mit Verdünnungen im Verhältnis 1:10 gearbeitet hat, fand er im Laufe der Jahre über die C-Potenzen (Verhältnis 1:100) zu den LM-Potenzen (Verhältnis 1: 50.000), mit denen er die besten Wirkungen erreichte.
Sein Ziel war es, die Lebenskraft zu erhöhen. Wie er darauf kam, dass die einzelnen Mittel erst nach einer Verschüttelung oder Verreibung heilen konnten, ist nicht überliefert. Unter Umständen hat er herausgefunden, dass Dilutionen (Arzneien in flüssiger Form) wirksamer waren, wenn sie zuvor bei der Kutschfahrt zu den Kranken kräftig durchgeschüttelt worden waren.
Hugo Schulz konnte später durch seine klassischen Hefeversuche zeigen, dass Gifte in hohen Dosen die Lebensfähigkeit der Hefezellen lähmten oder zerstörten, während kleine Dosierungen deren Vermehrung und Wachstum stark erhöhten. Er schuf damit eine wissenschaftliche Grundlage für die Homöopathie.
Wir halten fest: Eine Heilung ist möglich und umso wahrscheinlicher, je exakter die Symptome des Kranken mit den geprüften Symptomen des homöopathischen Mittels übereinstimmen. Im Alltag erleben wir häufig, dass diese Theorie stimmt. Wenn wir eine Küchenzwiebel schneiden, dann kommt es zu einem Brennen und Beißen der Augen mit starkem Tränenfluss und wässriger Nasenabsonderung. Die potenzierte Küchenzwiebel, Allium cepa, kann hingegen beim Kranken einen Schnupfen mit ähnlichen Symptomen schnell kurieren.
Der Körper in seiner unendlichen Weisheit lässt den Heilkundigen durch klare Symptome erkennen, welches Mittel aus dem Pflanzen-, Tier- oder Mineralreich er benötigt, um geheilt zu werden. Die Idee des Widerspiegelns der Symptome in dem dazugehörigen Heilmittel ist so perfekt, wie wir es bereits aus anderen Bereichen der Natur kennen.
Bei einer homöopathischen Behandlung geht man wie folgt vor:
Die Symptome des Patienten werden nach einer meist ausführlichen Befragung aufgenommen. Dabei gibt es Menschen, die nicht sehr gesprächig sind oder sich nur wenig öffnen können oder wollen. Auch das sind Besonderheiten des Patienten, die wir als wesentliche Zeichen seiner Persönlichkeit sehen und aufnehmen.
Wir untersuchen die Patienten und schauen nach Auffälligkeiten beim Bewegungsablauf, von Haut, Haaren, Nägeln und Zungenbeschaffenheit. Wir hören sie unter Umständen ab und messen Blutdruck und Puls.
Dann vergleichen wir die Symptome mit einem homöopathischen Repertorium, einer Auflistung der Arzneisymptome mit den dazugehörigen homöopathischen Mitteln. Es ist entstanden durch Arzneimittelprüfungen am Gesunden nach dem Ähnlichkeitsprinzip. Anders als bei schulmedizinischen Pharmaka werden die Arzneimittel jedoch nicht an erkrankten, sondern an gesunden Menschen geprüft, um deren Wirkung festzustellen. Die Arzneimittelprüfer nehmen das Mittel so lange ein, bis Symptome auftreten. Diese verschwinden nach Absetzen wieder. Sie schreiben alle Änderungen ihres Befindens, die körperlichen, seelischen und geistigen Symptome, die während der Einnahme auftreten, sorgfältig auf. Durch die Sammlung der Prüfungssymptome aller Prüfer entsteht ein Bild der künstlich erzeugten Krankheit, das sogenannte Arzneimittelbild.
Die beim Patienten in Frage kommenden Arzneimittel werden anschließend mit mindestens einer Arzneimittellehre (Materia medica) verglichen. Darin sind die einzelnen Arzneien ausführlich beschrieben.
Wir verschreiben die Arznei, die dem Symptomenbild des Krankheitsfalles am ähnlichsten ist.
Bei Unfällen und Notfällen geht man anders vor. Hier gibt es, je nachdem welches Gewebe verletzt ist, bewährte Medikamente, die erfahrene Homöopathen im Kopf haben.
In der Homöopathie geht es somit nicht darum, Symptome zu unterdrücken. Ziel ist es vielmehr, die Krankheit zu heilen, ohne dazu mehr chemische Medikamente einzusetzen wie nötig. Denn diese rufen oft neue Symptome hervor, wenn nicht sogar chronische Leiden. Bei den Homöopathen ist es eher so, dass sie fast kriminalistisch nach der möglichen Ursache der Erkrankung fahnden, um das passende homöopathische Mittel zu finden. Es gibt z. B. kein spezielles Kopfschmerzmittel, sondern sehr viele mögliche Mittel, die auf der Basis einer intensiven Befragung mit den Symptomen des Patienten verglichen werden.
Samuel Hahnemann wurde mit Sicherheit von dem mechanistischen Weltbild Isaac Newtons (1643-1727) geprägt, war aber seiner Zeit voraus und erkannte, dass die Einzigartigkeit jedes Organismus unbedingt bei der Mittelgabe Berücksichtigung finden musste.
Dies alles klang für mich nach einer intelligenten Lösung, bei der der Patient wieder als Mensch und nicht länger als defekte Maschine betrachtet wurde. Um mich zu überzeugen, hatte es aber den Erfolg bei meiner Tochter gebraucht. Denn auch ich war von einer starken Wissenschaftsgläubigkeit geprägt. Gleichzeitig fand ich es erschreckend, dass in unserer fortschrittlichen Medizin, die angetreten war, Krankheiten zu überwinden, immer mehr Krankheiten kreiert und Laborwerte verschoben wurden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass damit zusätzliche Kranke generiert werden sollen.
Nach meinem Einführungskurs in die Homöopathie wusste ich nur eines, nämlich, dass ich nichts wusste und dass es einen langen Atem brauchen würde, bis sich das grundlegend ändern sollte. Mein Weltbild war tüchtig ins Wanken geraten. Es eröffneten sich neue Horizonte vor mir – und ich wagte einen vorsichtigen Blick dahinter.
„Wenn Sie acht Jahre Fälle studiert und Patienten behandelt haben, dann wissen Sie in etwa, wie der Hase läuft“, hatte meine Lehrerin im Seminar gesagt. Ich dachte an die zahlreichen Homöopathiebücher für Laien. Hier wurde alles so einfach dargestellt. Aber offenbar war der Weg zum tieferen Erkennen ein eher langer und steiniger.
„Es bringt allerdings nicht viel, die Materia Medica, also die Beschreibung der unzähligen homöopathischen Mittel, trocken zu lernen. Schauen Sie sich die gut gelaufenen Fälle der großen Homöopathen an und lernen Sie daraus.“
Dr. Eichelbergers Buch „Klassische Homöopathie“, erschienen im Haug Verlag, war meine Einstiegsliteratur. Nun sah es schon einfacher aus. Denn er gab in den meisten Fällen erst einmal Sulfur als Einstiegsmittel. Dann las ich Bücher des Schweizer Homöopathen Dr. Adolf Vögeli, anschließend die des griechischen Homöopathen Georgos Vithoulkas. So lernte ich schnell, dass es verschiedene Schulen gab. Und jede war davon überzeugt, die beste Methode zu praktizieren, um das passendste Mittel für den jeweiligen Patienten zu finden.
Ich fand heraus, dass es viele Wege zur Heilung gab. Man kann über den Schornstein ins Haus hineinrutschen, durchs Fenster einsteigen, durch den Keller kommen oder direkt durch die Haustüre. Letzteres dann, wenn man das Similimum gefunden hatte, den Generalschlüssel, der uns den Königsweg beschreiten lässt.
In meinem Einstiegskurs lernte ich schon bald, eine gute Fallaufnahme zu machen, also alle relevanten Symptome des Patienten abzufragen. Mit Verwunderung stellte ich fest, dass dieses nützliche Werkzeug, um die jeweilige Krankengeschichte zu verstehen, von den mir bekannten Ärzten nicht verwendet wurde. Aus Zeitmangel, das ist klar. Aber ich fragte mich, warum für diese wichtige Tätigkeit in der Gebührenordnung der Krankenkassen nur ein so geringer Betrag vorgesehen war. Kein Wunder, dass Patienten, wenn sie es finanzieren können, bisweilen einen Homöopathen konsultieren. Dort fühlen sie sich gesehen und verstanden. Der Behandler schaut sich die Vorgeschichte sehr genau an, und niemand steht mit der Hand auf der Türklinke da, um anzudeuten, dass man schon mehr als genug von der kostbaren Zeit in Anspruch genommen hat. Zudem gibt es jemanden, der versucht, die diversen Untersuchungsberichte zu einem Großen und Ganzen zusammenzufassen, um den roten Faden zu finden. Eigentlich wäre das die Sache des Hausarztes. Meist ist dieser jedoch überwiegend zum Weiterüberweisen da und hat zum Schluss längst die Fäden aus der Hand verloren. Das trifft besonders in Fällen zu, bei denen sich keine klare Diagnose finden lässt, der Patient aber weiterhin leidet. Spätestens dann hat die Stunde der Homöopathie geschlagen, wenn der Patient um diese Möglichkeit weiß.
Knappe zwei Jahre nach meinem Grundkurs wurde mir klar, dass ich selbst Homöopathin werden wollte, um viele Menschen heilend zu begleiten. Deshalb begann ich mit der Heilpraktikerausbildung. In den folgenden drei Jahren eignete ich mir das Wissen für die Prüfung an. Ich beschäftigte mich mit den Grundlagen der Anatomie, Physiologie und Pathologie und mit der allgemeinen und speziellen Krankheitslehre. Es galt, die Krankheiten zu erkennen, die ich in Zukunft nicht behandeln durfte, also in erster Linie die großen Infektions- und Geschlechtskrankheiten. Das sollte eine Maßnahme gegen das sogenannte „Quacksalbertum“ darstellen, die ihre Berechtigung aus einer Zeit bezieht, in der Zeitgenossen durch die Lande zogen und dubiose Wundertränke ans Volk brachten, um sich daran zu bereichern.
Manchmal denke ich, was damals im Kleinen blühte, wächst in unserer Zeit längst im Großen: eine riesige Pharmaindustrie, mit derselben Profitgier wie ehemals bei den umherziehenden Wunderheilern. Und wenngleich wir auch heute viele nützliche und hilfreiche Arzneimittel haben, so ist doch ein Großteil mit so starken Nebenwirkungen behaftet, dass man sie wiederum medikamentös behandeln muss.
Doch zurück zu meiner Entwicklung. Um einen Misserfolg zu vermeiden, lernte ich so viel wie selten zuvor in meinem Leben. Schließlich war es so weit. An einem Karfreitag erhielt ich die spontane Einladung zur Prüfung beim Gesundheitsamt für den folgenden Dienstag. Die mehr als kurzfristige Anberaumung des Termins sollte sicher abschreckend wirken.
Es war keine einfache Prüfung: Neun Kandidaten fielen an diesem Tag durch, zwei bestanden. Ich war dabei. Beinahe hätte mir noch die Tsetsefliege das Genick gebrochen. Ich sollte sie zeichnen. Aber ausgerechnet den Stechrüssel, mit dem sie die heimtückische Schlafkrankheit auf den Menschen übertrug, hatte ich vergessen. An Boden gewann ich wieder dadurch, dass ich die verschiedenen Arten der Schlafkrankheiten kannte und zu beschreiben wusste. Im weiteren Verlauf der Prüfung konnte ich zeigen, wie gewissenhaft ich all die Infektions-, Geschlechts- und Tropenkrankheiten gelernt hatte und dass mir die Gesetze der Desinfektion geläufig waren. So erkannten die Prüfer, dass ich meine Verantwortung als Heilpraktikerin sehr ernst nahm und damit keine „Gefahr für die Volksgesundheit“ darstellte, wie das Heilpraktikergesetz von 1939 es noch immer zu überprüfen vorsieht.
Nach der bestandenen Prüfung konnte es endlich losgehen. Ich wandte mich wieder völlig der Homöopathie zu und stellte fest, was es bedeutete, sich in eine Materia medica (Arzneimittellehre) mit nahezu 2000 homöopathischen Mitteln einzuarbeiten. Ich fand heraus, dass die meisten Homöopathen mit 150-200 Mitteln zurechtkamen. Hahnemann arbeitete zu seiner Zeit sehr erfolgreich mit etwa 130 Arzneimitteln. Viele der selteneren Mittel waren ohnehin bisher unzureichend geprüft worden. Sie deckten in der Regel auch nur wenige Symptome und Krankheitszeichen ab.
Seit über 200 Jahren gibt es diese Prüfungen potenzieller Wirkstoffe. Dabei stellt man durch genaue Beobachtungen fest, welche Symptome und Zeichen vorübergehend bei den Testpersonen (freiwilligen Gesunden, meist Schülern der Homöopathie) nach Einnahme der zu prüfenden Substanzen auftreten. Je größer die Übereinstimmung der Symptome des Kranken mit denen der Arzneimittelprüfung, desto größer die Wahrscheinlichkeit, den Schlüssel zur Heilung gefunden zu haben. Oft müssen allerdings mehrere Schichten abgedeckt werden, weshalb in der Folgezeit ein Teil der Symptome verschwindet, während unter Umständen alte Symptome kurzfristig wieder auftreten und Folgemittel erforderlich machen. Deutlicher wird das bei der Besprechung meiner Heilungsgeschichten im vorletzten Kapitel des Buches.
Jeder Homöopathieschüler ist bestrebt, sich die Besonderheiten der einzelnen Mittel aus dem homöopathischen Arzneimittelschatz gut einzuprägen. Mit Bedacht ging ich an das Studium der Arzneimittellehren. Es würde sicher Monate, wenn nicht Jahre brauchen, bis ich die Essenz der wichtigsten Mittel verinnerlicht hatte. Meine Homöopathielehrerin beobachtete die Zögerlichkeit ihrer Schülerin mit Argusaugen und beschloss kurzerhand, mich ins kalte Wasser zu schubsen.
Sie sagte: „Ohne learning by doing funktioniert das in der Homöopathie nicht. Patienten sind die besten Lehrer. Legen Sie los! Wenn Sie Fragen haben, kommen Sie zu mir. Ich habe Ihnen schon einmal zwei Patienten einbestellt.“ – Hatte ich bereits erwähnt, dass die Dame sehr resolut war?
Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Patienten. Er war Fernmeldetechniker der Postakademie. Damals dachte ich, es gehöre zu meinem Job, den Patienten vor der Anamnese die Wirkungsweise der Homöopathie zu vermitteln. Doch er fiel mir sogleich ins Wort. Es sei ihm berufsbedingt völlig klar, wie das mit den Energien funktioniere. Umso besser! Leider habe ihn nicht nach seiner Erklärung dazu befragt. Es wäre sicher interessant gewesen, zu erfahren, wie ein Techniker, der ebenfalls mit der Übermittlung von Informationen arbeitet, das sieht. Aber ich war anfangs noch unsicher und wollte mir das keineswegs anmerken lassen.
Ich bemerkte schnell, welches Vertrauen in mich gesetzt wurde und wie groß die Verantwortung war, die ich fortan zu tragen hätte. So entschied ich mich, sehr umsichtig damit umzugehen und versuchte, neben meiner Lehrerin einen befreundeten Hausarzt mit ins Boot zu nehmen. Dies sollte mir eine Absicherung für problematische Fälle verschaffen, gelang aber nicht im gewünschten Maße, weil sich wieder einmal herausstellte, wie anders die Schulmediziner dachten. Die ebenfalls abgeschlossene Haftpflichtversicherung brauchte ich zum Glück nie in Anspruch zu nehmen. Ich hatte selten Patienten, die zum Arzt verwiesen werden mussten, denn meist kamen sie genau von dort. Ins Krankenhaus schickte ich in über 30 Jahren drei Patienten. In diesen Fällen erkannte ich schnell, dass weitere Untersuchungen und Eingriffe notwendig waren, um Schlimmeres abzuwenden. Es waren ein kleines Mädchen mit einer Bauchspeicheldrüsenentzündung, eine Frau, deren starke Kopfschmerzen sich als Enzephalitis (Gehirnentzündung) herausstellten und ein alter Herr mit Lungenentzündung.
Die meisten Patienten räumen dem Behandler nur eine Chance ein, das richtige Mittel zu finden. „In 80 Prozent der Fälle haben Sie genau einen Schuss frei“, erklärte damals meine Lehrerin. Das Zeitfenster dazu ist deshalb so begrenzt, weil man als gesetzlich Versicherter alles aus eigener Tasche zahlen muss.
Aus diesem Grund sehen wir die Patienten oft nur ein einziges Mal, auch wenn sie schon jahrelang die verschiedensten Arzneimittel und Therapien aus der Schulmedizin geduldig über sich ergehen haben lassen. Denn „Wunder“ geschehen spontan oder gar nicht, scheinen die Patienten oft unbewusst zu denken, weil sie das homöopathische System nicht verstehen. Indessen arbeiten wir nicht mit Wundern und bloßer Intuition, sondern in erster Linie mit Verstand und nach einem rationalen System. Dabei existieren mehrere Schichten der Krankheit, die es wie Zwiebelschalen abzudecken gilt, um den Organismus in seiner Gesamtheit zu stärken. Eine einzige Sitzung reicht dafür nur selten aus.