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Eine malerische Insel vor der spanischen Küste! Zumindest eine Hälfte davon … Eigentlich könnte die mittellose Studentin Sienna sich über ihr unerwartetes Erbe freuen. Aber es gibt einen Haken: Die andere Hälfte der Insel gehört ausgerechnet dem mächtigen Unternehmer Alejandro Acosta! Der ist nicht nur gefährlich sexy, sondern will offenbar alles für sich. Soll Sienna ihm besser sofort ihren Anteil abtreten? Ehe dieser aufregende Mann sie aus purer Berechnung verführt – und danach mit gebrochenem Herzen zurücklässt …
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Seitenzahl: 202
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2023 by Susan Stephens Originaltitel: „Kidnapped for the Acosta Heir“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe 2023 in der Reihe JULIA, Band 2621 Übersetzung: Susan Stephens
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 10/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751518895
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Kühl, zurückhaltend und unglaublich attraktiv leuchtete Alejandro Acosta wie ein Feuer mitten im Raum.
Mit seiner gebräunten Haut und dem gestählten Körper sah er aus wie ein Mann, der weniger Zeit hinter dem Schreibtisch als auf seinem riesigen Landgut in Spanien und dem Rücken seiner Pferde verbrachte.
Und erst diese dunklen Augen, mit denen er ihr bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken schien.
Was wusste Sienna über ihn? Abgesehen von der Tatsache, dass er der beste Freund ihres verstorbenen Bruders Tom gewesen war und zur mächtigen Acosta-Familie gehörte, so gut wie gar nichts.
Er musterte sie gleichgültig. „Möchten Sie sich nicht setzen?“ Seine Stimme klang zutiefst männlich und fast beleidigend schroff.
Von ihrem Bruder hatte Sienna erfahren, dass Alejandro lange Zeit für die Armee gearbeitet hatte. Außerdem hatte er ein Vermögen mit diversen Technologieunternehmen gemacht und vor Kurzem den Auftrag erhalten, einen neuen Drohnentyp in einem Kriegsgebiet zu testen. Wahrscheinlich hatte das die beiden Männer in jener schicksalhaften Nacht zusammengeführt.
Tom hatte ihr erklärt, dass sein Freund einer von vielen Unternehmern war, die bestimmte Aufgaben für das Militär erfüllten. Mit seinem Wissen über die Anforderungen der Armee und aufgrund der Tatsache, dass eine seiner Firmen Weltmarktführer auf dem Gebiet der Drohnenüberwachung war, war Alejandro der perfekte Mann für diesen Job.
Aber nicht der perfekte Mann, um mir Respekt entgegenzubringen, dachte Sienna verärgert, als er versuchte, sie niederzustarren. „Danke, ich stehe gern.“
Als Antwort zog er nur eine seiner geschwungenen ebenholzfarbenen Augenbrauen in die Höhe.
Er machte sich keine Mühe, zu verbergen, dass er die Anwesenheit einer Fremden in seinem Londoner Haus als unangenehm empfand. Ausgesprochen feindselige Schwingungen gingen von ihm aus, und Sienna versuchte, die Trauer über den Verlust ihres Bruders vor diesem kalten Mann zu verbergen.
Erst vor wenigen Wochen war Tom im Kampf getötet worden und die Erinnerung an seine Beerdigung schmerzte sie noch immer sehr. Jeden anderen Ort hätte sie Alejandro Acostas elegantem Arbeitszimmer vorgezogen, wo sie einem Eisklotz und einem gleichgültigen Anwalt gegenüberstand, um der Testamentseröffnung ihres Bruders beizuwohnen.
Señor Acostas Sekretärin hatte ihr erst kurz zuvor Bescheid gegeben. Angeblich war dies der einzig mögliche Termin für Acosta. Sienna war gerade dabei gewesen, sich für ihren Auftritt im Klub anzuziehen, in dem sie jeden Abend sang. Das Timing hätte nicht schlechter sein können, aber das schien er nicht einmal zu bemerken.
Wenn Acosta einen Befehl erteilt, springen alle, vermutete sie.
Alejandro Acosta war der rätselhafteste der spanischen Acosta-Brüder und so mächtig und reich, dass er unantastbar war. Nur wenige Privilegierte bekamen ihn zu Gesicht, und für die kurze Zeit, die Sienna hier verbrachte, gehörte sie dazu.
„Setzen Sie sich!“
Beim Klang seiner Stimme zuckte sie zusammen und wünschte sich sofort, sie hätte sich nichts anmerken lassen. Wie unhöflich dieser Mann war! Glücklicherweise würden sich ihre Wege wohl nie wieder kreuzen. Ihre Leben könnten nicht unterschiedlicher sein.
Sienna lebte von der Hand in den Mund, war aber voller Tatendrang und Optimismus – zumindest war das bis zu Toms Tod so gewesen. Wenn man der Presse glaubte, war Alejandros Reichtum dagegen unermesslich. Doch er wirkte nicht, als würde ihn sein Geld glücklich machen.
Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihr, was sie bereits geahnt hatte. Sie würde zu spät in den Blauer Engel kommen, wo sie der Star des Abends war. Der Klub lag auf der anderen Seite Londons und der Manager achtete streng auf Pünktlichkeit. Genau wie Sienna. Ihr Publikum war ihr wichtig, doch heute musste sie es enttäuschen, nur weil Alejandro Acosta sich für nichts und niemanden außer sich selbst interessierte.
Und was war, wenn sie ihren Job im Klub verlieren würde? Wie sollte sie die Prüfungsgebühren für das College bezahlen? Ohne den Abschluss wäre das jahrelange Studium zur Musiktherapeutin nutzlos.
Als die Sekunden verstrichen, wuchs Siennas Panik. Respektable Gesangsjobs waren schwer zu finden, und auch wenn der Blauer Engel nicht gerade zu den gehobenen Etablissements gehörte, wie Acosta sie vermutlich besuchte, war es wenigstens ein anständiges Lokal. Die Gäste kamen, um das gute Essen und die tolle Musik zu genießen, und nicht, um das Personal zu belästigen.
Ihr Blick auf die Armbanduhr erregte Acostas Aufmerksamkeit. Sie hob den Kopf und starrte zurück. Nie zuvor war sie einem so distanzierten und kalten Mann begegnet, der gleichzeitig auch noch so gefährlich sinnlich war. Er sah aus, wie man sich den perfekten Milliardär vorstellte.
Für diesen Anlass hatte er sich für einen dunklen maßgeschneiderten Anzug entschieden. Schwarze Diamanten blitzten an den Manschetten seines makellos weißen Hemdes auf und erinnerten sie daran – falls sie eine Erinnerung gebraucht hätte –, dass allein der Anzug wahrscheinlich mehr gekostet hatte, als sie in einem Monat verdiente.
„Halten wir Sie auf, Miss Slater?“
Seine Stimme war ein tiefer, heiserer Bariton, der kaum einen Akzent verriet.
„Sienna, bitte“, erwiderte sie. Wenigstens in Anwesenheit des Anwalts konnten sie so tun, als würden sie höflich miteinander umgehen. „Ich hatte Ihrer Sekretärin erklärt, dass ich jetzt eigentlich überhaupt keine Zeit habe.“
„Ich bin sicher, Sie werden sich die Zeit nehmen, um sich die Einzelheiten des umfangreichen Vermächtnisses Ihres Bruders anzuhören. Schließlich sind Sie die Hauptbegünstigte, oh, und bitte“, fügte er mit einem ironischen Unterton hinzu, „nennen Sie mich Alejandro.“
Sein Gesichtsausdruck war ausgesprochen spöttisch. Kein Wunder, räumte sie ein. Für ihn musste sie wie ein Partygirl wirken, das an einem Freitagabend daran gehindert wurde, seinem Vergnügen nachzugehen, um sich anzuhören, was der Bruder, der kaum unter der Erde lag, ihr hinterlassen hatte.
Der kühle graue Blick des Anwalts, der an Alejandros Platz hinter dem Schreibtisch saß, verstärkte ihr Unbehagen. „Bitte fahren Sie fort“, sagte sie in dem Versuch, Alejandros einschüchternde Anwesenheit zu ignorieren.
Als die dröhnende Stimme des Anwalts erklang, war sie sich Alejandros Wärme überdeutlich bewusst, und sein Duft hüllte ihre Sinne ein. Entschlossen wandte sie die Gedanken wieder Tom zu. Sie hatte ihren Bruder geliebt und bewundert, darum war sie erstaunt, wie sehr sich Tom von Alejandro, seinem sogenannten besten Freund, unterschied.
Der Lebenshunger ihres Bruders war unersättlich gewesen und Toms schwarzer Humor hatte sie immer zum Lächeln gebracht …
„Amüsiert Sie etwas, Miss Slater?“
Alejandros Frage machte sie nervös. „Ich habe an meinen Bruder gedacht und daran, wie sehr ich ihn geliebt habe. Und wie Tom mich immer zum Lachen bringen konnte.“
Offenbar fielen darauf weder Alejandro noch dem Anwalt eine schlaue Antwort ein.
Als Toms Testament nun endlich verlesen wurde, war Sienna fassungslos. Sie hatte nicht einmal geahnt, dass ihr Bruder so viel Geld angehäuft hatte oder dass er alles ihr hinterlassen würde. Als ihre Eltern auf tragische Weise bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, war sie vierzehn gewesen und Tom nur vier Jahre älter.
An jenem Tag hatte ihr Bruder versprochen, sich um sie zu kümmern, aber alles, was sie wollte, war ein kleines Andenken an Tom. Sie schaute zu einem Armeefoto auf Alejandros Schreibtisch. Offensichtlich hatte Alejandro die Gruppe der Männer angeführt, aber Tom stach mit seinem unbeschwerten Lächeln und seinem guten Aussehen hervor.
Erneut fragte sie sich, wie ihr Bruder sich mit diesem kalten Mann hatte anfreunden können.
Als die Offiziere aus Toms Regiment ihr die schreckliche Nachricht überbracht hatten, war sie von Trauer und Schock überwältigt gewesen. Sie hatten angedeutet, dass Alejandro in das Unglück verwickelt war … Warum nur hatte Tom sich nicht selbst gerettet?
Ärger. Das war das Erste, was Alejandro in den Sinn kam, wenn er Toms Schwester Sienna anschaute. Sie war eine blasse Frau mit langen kastanienroten Haaren und angezogen, als hätte sie vor, die Nachricht von ihrem Erbe mit einer riesigen Party zu feiern.
Tom hatte ihr ein Vermögen hinterlassen, dazu beträchtlichen Grundbesitz auf einer Insel vor der spanischen Küste – einer Insel, die zur Hälfte Alejandro gehörte. Alejandro hatte es jahrelang geschafft, seine Gefühle zu unterdrücken, aber Toms Tod hatte alte Wunden aufgerissen. Doch auf keinen Fall würde er vor dieser Frau seine Selbstbeherrschung verlieren.
Erneut wandte er seine Aufmerksamkeit dem Anwalt zu. Bei dessen nächsten Worten war er zutiefst schockiert: „Alejandro, ich würde dir mein Leben anvertrauen, aber fang nichts mit meiner Schwester an.“
Was sollte das bedeuten? War das eine Warnung aus dem Jenseits?
Der Inhalt von Toms Testament war auch so schon schlimm genug gewesen. Allerdings musste er fairerweise zugeben, dass Sienna genauso überrascht zu sein schien wie er selbst.
Es folgte etwas Gesäusel für Sienna nach dem Motto: Ich werde dich immer lieben, und alles, worum ich dich bitte, ist, dass du deinen Träumen folgst.
In Siennas Augen schimmerten Tränen. Tom hätte sich die Mühe sparen können, diese Worte festzuhalten. Zerrissene schwarze Strümpfe, ein zu enger Rock, dazu ein grelles paillettenbesetztes Oberteil ließen Alejandro nur eins denken: Im Leben nicht.
Er konnte nicht fassen, dass diese Frau nun einen Teil seiner geliebten Insel besaß. Aber es ging noch um mehr. Tom hatte Glück an der Börse gehabt und mit dem Geld etwas Sinnvolles tun wollen. Ihnen beiden war die Idee gekommen, gemeinsam ein Rehabilitationszentrum für Kriegsveteranen auf ihrer Insel aufzubauen.
Alejandro hatte gehofft, dass sie endlich etwas gefunden hatten, das Tom retten würde.
Dieses Projekt wird trotzdem realisiert, versprach er sich im Stillen. Und nichts und niemand würde sich ihm dabei in den Weg stellen. Er würde dafür sorgen, dass es gebaut wurde, auch jetzt noch. Zum Andenken an Tom.
Und Sienna? Was würde sie dazu sagen?
Aber das Leben war voller Herausforderungen. Sie war einfach nur eine mehr.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, blickte sie auf. Ihre Augen blitzten herausfordernd. Sofort war er misstrauisch. Was hatte sie vor?
Sein Körper schien seine Abneigung nicht zu teilen und reagierte heftig auf ihren festen Blick. Natürlich setzte sein Verstand sofort wieder ein. Sie war einfach nicht sein Typ.
Tom hatte seine Schwester als verrückt und lustig beschrieben. Aber sie kann auch stur sein, hatte er entschuldigend hinzugefügt. Eher unberechenbar und dreist, so würde Alejandro Sienna Slater einschätzen – was sich als Problem erweisen könnte.
Als er Tom gefragt hatte, wo sie arbeite, hatte sein Freund ihm nur eine sehr vage Antwort gegeben. „In einem Nachtklub. Sie hat angekündigt, dass sie mir sehr bald ein wirklich großes Geheimnis erzählen wird. Ich hoffe, sie ist nicht schwanger.“
Alejandro zwang seine Gedanken zurück zur Insel. Die Lösung ist ganz einfach, erkannte er. Er würde sie auszahlen. Das würde Tom gefallen.
Er würde sicherstellen, dass Sienna alles hatte, was sie für ihren Lebensstil brauchte. Toms letzte Worte auf dem Schlachtfeld hatten seiner Schwester gegolten: „Sag Sienna, dass ich sie liebe und immer lieben werde, egal, wohin mich dieses neue Abenteuer führt.“
Aus Respekt vor seinem Freund würde Alejandro alles in seiner Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass Sienna in Sicherheit war und es ihr an nichts fehlte.
Er schaute auf. „Sie gehen?“, fragte er überrascht, als sie auf die Tür zusteuerte.
Erst jetzt bemerkte er, dass auch der Anwalt seine Unterlagen zusammenpackte.
„Diese Dokumente sind für Sie beide – je eine Kopie“, erklärte der Anwalt auf dem Weg zur Tür. „Denken Sie in Ruhe über alles nach.“
„Danke schön …“
Siennas sanfter Ton erregte Alejandros Aufmerksamkeit. Er musste zugeben, dass er noch nie jemanden so traurig gesehen hatte. In diesem Moment war er froh, dass es ihr erspart geblieben war, den Körper ihres Bruders zu betrachten oder die schreckliche Stille nach seinem Tod zu ertragen. Er würde ihr nichts darüber erzählen, denn das würde ihr das Herz brechen.
Es war nicht seine Aufgabe, gebrochene Herzen zu heilen, aber es lag in seiner Verantwortung, auf Sienna aufzupassen.
„Bis sich meine Schwester an ihre neue Situation gewöhnt hat, vertraue ich meinem Freund Alejandro die Verwaltung des Erbes an …“
Bei diesen Worten hatte der Anwalt zwar missbilligend geseufzt, aber sie bedeuteten, dass Alejandro das letzte Wort hatte, wenn es um Siennas Pläne für die Insel und den Umgang mit ihrem neuen Reichtum ging.
Als die Wanduhr hinter ihm zu läuten begann, rief Sienna besorgt aus: „Ich bin spät dran.“
Alessandro beherrschte sich nur mühsam. Was könnte dieser Frau wichtiger sein als das Testament ihres Bruders?
„Ich singe heute Abend“, erklärte sie.
Wütend entgegnete er: „Um Himmels willen, dann hauen Sie schon ab!“
Schlimm genug, dass die Trauer um Tom die Mauer um seine Gefühle eingerissen hatte, auch ohne dass Sienna ihm unterstellte, er würde sie zwingen hierzubleiben.
Doch dann fiel sein Blick auf ihr Gesicht.
Sie sah gebrochen aus. Was war nur los mit ihm? Sie hatten beide ein Stück ihres Lebens verloren. Sein bester Freund war tot. Unwillkürlich musste er daran denken, wie verzweifelt seine Geschwister beim Tod ihrer Eltern gewesen waren.
„Bevor ich gehe …“ Jetzt klang ihr Tonfall nicht mehr so herausfordernd.
„Ja?“
„Ich weiß, wie nah Sie Tom standen.“ Sie sah ihm direkt in die Augen. „Ich möchte Ihnen für alles danken, was Sie für ihn getan haben.“
„Danken?“ Er zog sich zurück. „Wofür?“
„Dafür, dass Sie am Ende an meiner Stelle bei Tom waren“, erklärte sie.
Was wusste sie über Toms Ende? Was konnte irgendjemand wissen? Vielleicht hatte man Sienna über Toms Verletzungen informiert, aber wusste sie, dass der eigentliche Kampf im Kopf ihres Bruders stattgefunden hatte? Doch es war nicht seine Aufgabe, ihr das zu sagen. Wofür wäre das gut?
Um das Thema zu beenden, machte er eine abweisende Geste. „Sie müssen mir für nichts danken.“
Die Insel und ihr gemeinsames Projekt hätten ihren Bruder wieder zu dem Mann machen sollen, den Sienna zu kennen geglaubt hatte. Es war ein Segen, dass sie nie mitbekommen hatte, wie sein innerer Kampf Tom erdrückt hatte. Vor seinem Zusammenbruch war er nicht nur ein tapferer Soldat gewesen, sondern ein Mann, der alles für seine Kameraden tat.
Alejandro würde Tom als einen Helden in Erinnerung behalten und er war wie ein Bruder für ihn gewesen. Er würde für immer in Toms Schuld stehen.
„Dann gehe ich jetzt …“
Was erwartete sie von ihm? „Ist Ihnen klar, dass Sie nicht sofort auf Toms Geld zugreifen können?“
„Ja, das weiß ich.“ Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen, und ihre Stimme klang rau, aber er redete weiter. „Ich gebe Ihnen gern einen Kredit …“
Sie runzelte die Stirn und wirkte verblüfft. „Einen Kredit wofür?“
Lässig zuckte er mit den Schultern. „Für alles, was Sie brauchen.“
„Ich brauche nichts, danke.“
Er blieb misstrauisch. Was wusste er schon über sie? Würde Sienna der Verlockung seines Geldes widerstehen können? „Denken Sie über mein Angebot nach, und kommen Sie darauf zurück, wenn Sie Hilfe brauchen.“
„Das wird nicht nötig sein“, versicherte sie ihm. „Zwar kann ich gerade nicht klar denken, vor allem nicht an Geld, aber eins weiß ich ganz sicher: Ich brauche Ihre Hilfe nicht.“
„Nicht so voreilig“, riet er ihr. „Bald tragen Sie Verantwortung …“
„Um die ich mich kümmere, wenn es so weit ist“, unterbrach sie ihn. „Ich werde keine überstürzten Entscheidungen treffen.“ Ihre Miene verriet Entschlossenheit.
„Ich versuche nur, es Ihnen leicht zu machen“, erklärte er.
Zynisch hob sie eine fein gezeichnete Augenbraue. „Beurteilen Sie mich nach meinem Aussehen? Glauben Sie, ich brauche Geld?“
„Nein.“ Doch. „Haben Sie vor, per Anhalter nach Spanien zu fahren – um sich Ihren Besitz anzuschauen?“
Sie stieß einen missbilligenden Laut aus. „Sie haben keine Ahnung, wie viel Geld ich habe. Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihr Angebot, aber bitte sparen Sie sich die Mühe, mir noch eins zu unterbreiten. Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der ich Sie um Hilfe bitten würde.“
„Jeder braucht irgendetwas, Señorita“, bemerkte er und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. „Vielleicht ändern Sie Ihre Meinung ja. Rufen Sie mich an, wenn das passiert.“ Er griff in die Brusttasche seiner Jacke und zog eine Karte heraus.
Ohne sie anzusehen, nahm sie sie entgegen und ging an ihm vorbei zur Tür. Er öffnete sie für sie, und als sie sich berührten, errötete sie. Seine Reaktion war ursprünglicher.
„Ein letzter Rat noch“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Erzählen Sie Ihren Glücksfall nicht herum.“
„Meinen Glücksfall?“ Sie funkelte ihn an. „Wollen Sie damit sagen, ich würde das Erbe meines Bruders als einen Glücksfall betrachten?“
„Ich habe den Eindruck, dass Sie mich absichtlich missverstehen.“
„Tue ich das?“, fragte sie bissig.
Wenn Blicke töten könnten … aber, dios, sie war wunderschön. Jünger, als er gedacht hatte. Hatte Tom vierundzwanzig gesagt? Wenn ja, wirkte sie sehr jung für ihr Alter. In ihren Augen las er Unschuld und Wut. „Ich verstehe, dass Sie verärgert sind …“
Aufgebracht schüttelte sie den Kopf, aber er fuhr ruhig fort: „Ich möchte Sie nicht beleidigen, und mein Angebot bleibt bestehen …“ Hörte sie ihm überhaupt zu? „Vergessen Sie nicht, Ihre Kopie von Toms Brief mitzunehmen …“
Als sie ihm den Brief aus der Hand riss, erwartete er, dass sie ihn zu dem Testament in den Umschlag stecken würde. Stattdessen hielt sie ihn fest, als wäre das Blatt Papier ein Stück von Tom.
Er bemerkte, dass ihre Hände zitterten und sie traurig wirkte. Als Tränen über ihr Gesicht strömten, fiel es sogar ihm schwer, nichts zu fühlen. Ihre Verzweiflung bestärkte ihn in dem Vorsatz, ihr niemals die ganze Wahrheit über Toms Tod zu erzählen.
„Bei unserem nächsten Treffen werde ich darauf achten, angemessen gekleidet zu sein …“, erklärte sie kühl.
Seltsamerweise gefiel ihm die Vorstellung von einem nächsten Treffen.
„Sagen Sie mir eins, Alejandro.“ Sie überraschte ihn damit, dass sie sich noch einmal zu ihm umwandte.
Die Leidenschaft in ihren Augen fesselte ihn. „Ja?“
„Wie konnte ein Mann wie Sie der beste Freund meines Bruders sein?“
Er war nicht beleidigt. Dieselbe Frage hatte er sich selbst schon oft gestellt. Wahrscheinlich hatte Tom etwas in ihm wachgerufen, bis schließlich die Dunkelheit über seinen Freund hereingebrochen war und jede Leichtigkeit mit sich fortgerissen hatte.
„Tom war wunderbar warmherzig und lustig“, fuhr Sienna fort, ohne sich der schrecklichen Ironie ihrer Worte bewusst zu sein. „Mein Bruder war der freundlichste Mensch, den ich kannte. Er lebte im Licht – lebte für das Licht … nicht in der Dunkelheit wie Sie!“
„Sich aufzuregen bringt Tom nicht zurück“, entgegnete er.
Seine Sorge nahm zu. Konnte er Sienna in diesem Zustand wirklich gehen lassen? Sie könnte stolpern und verunglücken.
„Sagen Sie mir gefälligst nicht, dass ich mich beruhigen soll“, fauchte sie ihn an. „Ich bin traurig, mein Herz ist gebrochen, und trotzdem erwarten Sie und der Anwalt offenbar, dass ich diese ganzen Neuigkeiten sofort verarbeite …“
„Sie sind offensichtlich verzweifelt …“ Er streckte die Hand aus, um sie tröstend auf ihre Schulter zu legen.
„Nein!“ Sie schlug seine Hand weg. „Wagen Sie es ja nicht, mich anzufassen! Was denken Sie, wie ich mich in Ihrem düsteren Haus fühle? Mit diesen schweren Vorhängen und Jalousien, die die Welt ausschließen? Und …“ Einen Moment lang wirkte sie ratlos, bevor sie fortfuhr: „Und Ihr Butler trägt weiße Handschuhe.“
Trauer kann zu Hysterie führen, vermutete er und beschloss, mit sanftem Humor auf sie einzugehen. „Sie mögen keine weißen Handschuhe?“
„Ich mag dieses scheußliche dunkle Haus nicht“, erwiderte sie.
Sein Londoner Haus war von einem preisgekrönten Innenarchitekten eingerichtet worden, der sich große Mühe gegeben hatte, Alejandros Persönlichkeit widerzuspiegeln. Unglücklicherweise erkannte Alejandro in diesem Moment, dass Sienna recht hatte. Es war wirklich düster.
„Und …“, unterbrach sie seine Gedanken, lief zum Fenster, fegte die Vorhänge beiseite und ließ das Licht der Straßenlaternen in den Raum fluten. „… Sie mag ich auch nicht! Wenn Sie etwas Licht in Ihr Leben lassen würden, würden Sie einige Dinge vielleicht klarer sehen.“ Mit diesen Worten stürmte sie an ihm vorbei und in die Halle.
„Danke, ich finde selbst hinaus“, hörte er sie noch sagen, dann schloss sich die Haustür hinter ihr und eine belastende Stille umfing ihn.
Nachdem Sienna Alejandros Haus verlassen hatte, brauchte sie einige Minuten, um zu erkennen, dass sie unter Schock stand. Sie hatte sich vorgestellt, er wäre wie Tom, doch Alejandro war ganz anders. Die Erkenntnis erschütterte sie zutiefst.
Da sie ihre Gefühle bisher immer durchs Singen ausgedrückt hatte, konnte sie es kaum erwarten, in den Klub in Soho zu kommen und auf der Bühne zu stehen. Wie sie dort hinkam, war ihr allerdings ein Rätsel. Wie von selbst fanden ihre Füße den Weg durch die Stadt.
Toms Vermächtnis machte sie sprachlos. Sie hatte nicht geahnt, wie vermögend er gewesen war. Und eine halbe Insel vor der spanischen Küste? Unglaublich. Aber warum hatte er ihr nie davon erzählt?
Ihr letzter Kontakt hatte in einem Telefongespräch bestanden. Tom hatte ihr keinen Hinweis auf eine drohende Gefahr gegeben. Aber wie hätte er das auch tun sollen, wenn seine Arbeit strengster Geheimhaltung unterlag? Er war wie immer optimistisch gewesen und hatte das Gespräch schnell auf Sienna gelenkt. Wie üblich.
Sie hätte ihn nach mehr Details aus seinem Leben fragen sollen … Würden die Schuldgefühle jemals vergehen?
Es war ein einziges Chaos und das Treffen mit Alejandro hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Schlechter hätte es nicht laufen können. Sie mochte den Mann nicht, und es war offensichtlich, dass die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber das war nicht zu ändern.
Von Tom hatte sie immer nur eins gewollt – seine Liebe. Doch jeder Versuch, Alejandro davon zu überzeugen, war sinnlos.
Warum hatte Tom in seinem Testament zur Bedingung gemacht, dass sie Alejandro um Erlaubnis bitten musste, um an ihr Erbe zu kommen?
Hatte Tom ihr nicht vertraut? In ihrer Vergangenheit gab es nichts, was jemals darauf hingedeutet hätte. Wäre die Idee nicht so absurd, könnte sie sich vorstellen, dass Tom sie und Alejandro absichtlich zusammenbringen wollte.
Allein der Gedanke reichte aus, um sie schaudern zu lassen. Alejandro war wie zwei Seiten derselben Medaille. Eine Seite stieß sie ab, während die andere eine unheilvolle Faszination ausübte. Sie konnte sich keinen besseren Grund vorstellen, Abstand zu ihm zu halten.
Als sie durch den beißenden Londoner Wind lief, wirbelten die Gedanken nur so in ihrem Kopf herum. Nach dem ruhigen Mayfair war es fast eine Erleichterung, jetzt durch das betriebsame Soho zum Klub zu eilen.
Der Kontrast zu Alejandro in seinem düsteren Herrenhaus in der stillen gepflegten Straße brachte sie zum Lächeln. Sie selbst lebte in einer Einzimmerwohnung in einem nicht sehr guten Stadtteil Londons, aber wenigstens war ihr Zimmer hell und fröhlich, und bis zu Toms Tod war sie dort glücklich gewesen. Alejandro dagegen sah nicht im Geringsten glücklich aus.
Beim Anblick des Klubs hob sich Siennas Stimmung ein wenig. Vor dem Gebäude wartete die übliche lange Schlange von Gästen darauf, dass sich die Türen öffneten.
Schon immer hatte sie Trost in der Musik gefunden und ihre Trauer nach dem Tod ihrer Eltern damit ausgedrückt. Auf der Suche nach einem Weg, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, hatte sie sich erneut der Musik zugewandt. Und auch nach Toms Tod fand sie Trost im Singen.
Ein dankbares Publikum war ein unbezahlbares Geschenk, und die Menschen waren nicht in den Blauer Engel gekommen, um traurige Gesichter zu sehen. Dies war die Gelegenheit für Sienna, ihre Sorgen für eine Stunde oder zwei hinter sich zu lassen, und sie nahm sie dankbar wahr.
Tom zu verlieren war, als wäre ein Licht in ihrem Leben erloschen, aber während der Testamentsverlesung war ihr klar geworden, dass Tom ein anderes Licht entzündet hatte – das Licht der Möglichkeiten. Und niemand, nicht einmal der beeindruckende Alejandro Acosta, würde dem im Wege stehen.