Auf der Suche nach dem unbekannten Vater - Wolfgang Petzold - E-Book

Auf der Suche nach dem unbekannten Vater E-Book

Wolfgang Petzold

4,8

Beschreibung

Ein purer Zufall ist der Ausgangspunkt für die Suche nach seinem Vater. Es entwickelt sich eine spannende Geschichte, die wohl als einmalig anzusehen ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 109

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
12
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ein deutsch – serbisches Schicksal

Meiner Mutter

Frida

sowie meinen Vätern

Vitomir und Rudolf

gewidmet

Ein deutsch-serbisches Schicksal –

Die Wahrheit kommt immer ans Licht -

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 - Prolog

Kapitel 2 - Historische Rückblende

Kapitel 3 - Vorgeschichte

Kapitel 4 - Wunder gibt es immer wieder, Die Chronologie einer Odyssee

Kapitel 4.1. - Serbischer Kriegsgefangener „Zeppelin“

Kapitel 4.2. - Die Suche geht weiter

. Velizar Colic

. Vojislav Vrancevic

. Vlastimir Jovanovic

. Milan Precanica

Kapitel 4.3. - Endgültig gefunden, meine neue Fam. Boskovic

- Der erste Besuch

- MDR „Unter uns“

- Der zweite Besuch

Kapitel 5 - Man lebt nicht allein auf dieser Welt

Kapitel 6 - Epilog

Quellenangaben

Kapitel 1 – Prolog

Mit 71 Jahren kann ich auf ein erfülltes und außergewöhnlich bewegtes Leben zurückblicken. Ob es nun die Kindheit, meine Sturm- und Drang-Jahre, die Vor-und Nachwendezeit oder meine vielen Auslandseinsätze mit der Bundeswehr waren – all das war nichts gegen die einmalige und kaum fassbare Geschichte, die im Sommer 2011 begann und zum jetzigen Zeitpunkt seine Fortsetzung findet.

In meinem Buch „Jahrgang 44“ (erschienen im Juli 2014 zu meinem 70. Geburtstag) habe ich mein gesamtes bisheriges Leben mit all meinen Stärken und Schwächen den Lesern offeriert. Es hat trotz fehlender Werbung durch Verlage und Sponsoren einen relativ breiten Leserkreis gefunden. Als Höhepunkt meines Lebens sehe ich aber die folgende Geschichte an, die mein bisheriges Dasein abrundet und mir ganz neue Sichten auf meine Vergangenheit aufzeigt.

Den Lesern möchte ich das Gefühl vermitteln, dass hier ein Stück deutscher Geschichte der letzten 74 Jahre in den Mittelpunkt gerückt wird, die heute aktueller denn je ist. Ich will Menschen mit ähnlichen Schicksalen den Mut und die Kraft geben, auch nach vielen Jahren nach ihren wahren Wurzeln zu suchen. Denn jeder Mensch hat das Recht, seine Herkunft zu kennen.

Außerdem möchte ich das vernachlässigte Thema „Kinder von Kriegsgefangenen“ in das öffentliche Interesse rücken. Überall, wo ich im Fernsehen, in den Zeitungen und bei Lesungen zugegen war, wurde mir bescheinigt, dass ich zwar ein erstaunlich außergewöhnliches Schicksal aufzuweisen habe, eine öffentliche künstlerische Verarbeitung als Spieloder Dokumentarfilm aber aus Kostengründen keine Berücksichtigung finden kann. Allerdings hat der MDR am Ort des Geschehens - Kühnhaide bei Zwönitz - eine sehenswerte Dokumentation darüber gedreht, die aber leider nur als Kurzvideo zu sehen war.

Hier also mit dem vorliegenden Buch ein erneuter Versuch, eine breite Leserschaft mit meinem Anliegen zu erreichen. Ich habe bewusst viele Fotos und Dokumente eingesetzt, um authentische Belege für meine Geschichte zu erbringen. Die vielen Namen und Daten sollen nicht irritieren, sondern meinen Kindern und deren Nachfahren wichtige Lebensdaten vermitteln.

Die letzten vier Jahre werde ich chronologisch vorüberziehen lassen, weil dies die beste Methode ist, um zu verstehen, was von 1941 bis jetzt geschehen ist. Mit den Rückblenden auf persönliche und historische Hintergründe möchte ich Zusammenhänge verdeutlichen. Diese basieren auf akribischen Recherchen, die ich im Laufe der letzten vier Jahre durchgeführt habe.

Ich danke auch den vielen Menschen, Institutionen und öffentlichen Medien in Deutschland, in Serbien und in der Schweiz, die mir bei der Suche nach meinem Vater geholfen haben. An erster Stelle gebührt aber meiner Frau Ilse der höchste Dank, weil sie mich in schier auswegslosen Situationen immer wieder bestärkt hat, weiterzuforschen.

Allen Menschen, egal welcher Nationalität, die in solch schwerer Zeit in Liebe zueinander gefunden haben, gilt meine tiefste Zuneigung und Hochachtung.

Ihnen will ich mit meiner Geschichte ein Denkmal setzen.

Dresden, im Oktober 2015

Kapitel 2 – Historische Rückblende

Wir schreiben das Jahr 1941, konkret den 06. April. Hitlers Luftwaffe bombardiert die Hauptstadt Serbiens, Belgrad. Zehntausende Menschen verlieren dabei ihr Leben. Innerhalb weniger Tage kapituliert Serbien am 18. April vor der übermächtigen deutschen Militärmaschinerie. Etwa 250.000 serbische Soldaten geraten in Gefangenschaft, wobei ca.150.000 nach Deutschland deportiert werden. Diese werden zur Zwangsarbeit in Betrieben, vor allem aber auf dem Land bei Bauern eingesetzt.

28 von ihnen gelangten in das kleine Dorf Kühnhaide/Zwönitz Kreis Aue. In diesem Dorf wurde ich am 23. Juli 1944 geboren. Bei meinen Nachforschungen der Lebenswege von etwa 20 Gefangenen bin ich auf historische Ereignisse gestoßen, die mich auch heute noch am Menschen zweifeln lassen. Wozu dieser fähig sein kann, hier nur einige Beispiele:

Gleich zu Beginn des Jugoslawien/Serben-Feldzuges wurden in den Städten Kraljevo 1.700 und Kragujevac 2.300 unschuldige und unbeteiligte Menschen umgebracht. Ein ganzes Gymnasium mit über 300 Schülern und Lehrern exekutierte man. Aus Pancevo, Smederevka Palanka und Selevac sind mir ebensolche Greueltaten bekannt geworden. Insgesamt wurden auf dem Territorium Serbiens 80.000 Menschen als Geiseln durch die Wehrmacht vernichtet, ein großer Teil davon Juden. Fast 2 Millionen Menschen in Jugoslawien/Serbien (das sind etwa 10% der damaligen Bevölkerung) verloren durch den Zweiten Weltkrieg ihr Leben.

Die in deutsche Gefangenschaft geratenen serbischen Soldaten hatten demgegenüber eine vergleichsweise „bessere“ Aussicht aufs Überleben. Wie in den letzten Jahren erst bekannt geworden, hatten viele von ihnen die Wahl, an der Seite der deutschen Wehrmacht bei den blutigen Schlachten verheizt zu werden oder in Gefangenschaft zu gehen. Die meisten von ihnen sind diesen vermeintlich besseren Weg gegangen. Wie in Kühnhaide wurden die Serben zwar als Gefangene behandelt und waren auch all diesen menschenunwürdigen Prozeduren ausgesetzt, hatten aber eine gute Chance, nach Hause zurückzukehren. Da die serbischen Gefangenen in der Regel die deutschen Hausherren, die an der Front oder gefallen waren, auf dem Bauernhof ersetzten und nach Aussagen von noch lebenden Zeitzeugen fleißig arbeiteten und die täglichen Abläufe auf den Höfen mit bestimmten, blieb es nicht aus, dass sich in dieser Zeit zwischenmenschliche Beziehungen anbahnten. Diese waren natürlich bei strengster Strafe verboten, wurden aber meist geheim gehalten, was sich für meine Recherchen auch noch nach so vielen Jahren als sehr schwierig erwies. Selbst nach über 70 Jahren ist es in diesem Dorf ein großes Tabu, worüber nicht geredet wird. Ich hatte dennoch Glück, das Vertrauen etlicher Einwohner gewonnen zu haben.

Die meisten serbischen Kriegsgefangenen gerieten bis zum 19. Juli 1941 bei Sarajevo in Gefangenschaft, u.a. auch Vater Svetozar (*1897) und Sohn Radojica (*1919) Miljkovic. Erst nach dem Krieg haben sie erfahren, dass sie gleichzeitig 4 Jahre in deutschen Lagern inhaftiert waren; der Vater im Sta-lag VI D (Dortmund), Nürnberg-Langwasser und im Offizierslager XIII B (Hammelburg) und der Sohn im Stalag VIII A (Oberlausitz, Görlitz) und zuletzt Stalag IV B (Mühlberg, bei Dresden).

Von Radojicas Töchtern Branislava und Natalija habe ich in Erfahrung gebracht, dass ihr Vater Radojica 1941 einer Exekution nur knapp entgangen ist. Er war zu einem Kurzbesuch bei seinen Eltern in Smederevka Palanka und hat mit ansehen müssen, wie unbeteiligte Menschen wahllos zusammengetrieben wurden. Ich habe Filmaufnahmen des deutschen Wehrmachtsfotografen Gerhard Gronefeld gesehen, die eine solch unfassbare Grausamkeit bei Verbrechen in Pancevo dokumentierten. Er selbst sprach mit Fassungslosigkeit von seinen gemachten Filmdokumenten.

Zur Erinnerung und auch als Mahnung habe ich die Schicksale der serbischen Gefangenen und auch meine Geschichte in den Mittelpunkt gestellt.

Den Weg dieser folgenden serbischen Kriegsgefangenen erforschte ich besonders akribisch. Diesen Namen wird der Leser im Laufe meiner Ausführungen noch öfters begegnen. Ich danke euch, meine lieben serbischen „Landsleute“, die ihr in schlimmer Zeit so viel Menschlichkeit, Mut, Bescheidenheit und Liebe bewahrt habt:

Feldwebel

Precanica,   Milan

Feldwebel

Jovanovic,   Zivko

Unteroffizier

Colic, Velizar

Obermaat

Simic, Slavoljub

Soldat

Boskovic, Vitomir

Soldat

Vrancevic, Vojislav

Soldat

Jovanovic, Vlastimir

Soldat

Miljkovic, Radojica (genannt „Zeppelin“)

Ein Gedicht von „Zeppelin“, das um das Jahr 1943 entstanden sein muss, legt Zeugnis ab von der Sehnsucht junger Menschen nach ihrer Heimat und ihren Lieben.

Ein wahrlich historisches Zeitdokument:

 

ERINNERUNG

Wie ein Blümchen fällt

Im kalten Winter

So vergeht auch unsre Jugend

Und wird mit großem Schmerz ertränkt.

Gruppenfoto aller 28 Serben in Kühnhaide - Winter 41/42

Auf die Rückseite dieses Fotos hat Radojica Miljkovic sein Gedicht geschrieben.

Verabschiedung der Serben am 09. Mai 1945

Heuernte: 3 Bäuerinnen und eine Serbe

Unterkunft der serbischen Kriegsgefangenen, wie sie noch im Jahre 2011 fast unverändert aussah

Erkennungskarte eines Gefangenen

Ersatzgeld für Gefangene

Kapitel 3 – Vorgeschichte

Goldene Hochzeit von Wolfgangs (links außen) Großeltern

19 Jahre

70 Jahre

Beim Betrachten dieser Fotos kommt man nicht umhin, sich Gedanken zu seiner Abstammung zu machen.

Leider habe ich das in meiner Jugend und schon gar nicht im reiferen Alter getan.

Aber, seit ich meine Frau Ilse kenne, gab es immer wieder einmal Nachfragen von ihr, weil ich so gar nicht in die Familie der „Kellers“ und „Petzolds“ hineinpasste.

Dieser ganzen Diskussion konnte ich jahrzehntelang erfolgreich aus dem Weg gehen. Ich sah auch überhaupt keine Veranlassung, an meiner Herkunft zu zweifeln.

Wenn man das Thema irgendwann auch nur andeutete, wurde immer behauptet, ich sehe aus wie Großmutter Martha aus Neudorf oder Großvater Reinhard aus Kühnhaide.

Mit Abstand von so vielen Jahren kann man auch heute keinerlei Ähnlichkeit erkennen. Aber ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich in meiner Jugend öfter einmal als Franzose oder Italiener angesehen wurde.

Meine liebe Tante Else, jetzt im schönen Alter von 91 Jahren, hat mich bei Familienfeiern in den 50er Jahren vor versammelter Mannschaft schon mal als charmanten Franzosen bezeichnet. Wusste sie vielleicht doch etwas über meine Herkunft? Warum sagte sie so etwas im Beisein meiner Eltern? Für Ilse stand jedenfalls fest, dass meine Wurzeln im mediterranen Bereich liegen mussten. Sie vermutete sogar, dass ich eventuell in den Kriegs- und Nachkriegswirren adoptiert worden sein könnte oder einer meiner Vorfahren aus einem anderen Land stammt.

Als unsere Söhne Robert und Sascha geboren wurden, staunten selbst die Ärzte und Krankenschwestern über deren außergewöhnlich dunklen Teint, die schwarzen Haare und Augenbrauen.

Ein Ereignis Mitte der 90erJahre ist mir noch besonders im Gedächtnis haften geblieben.

Sascha wohnte mit seiner Familie in Berlin und hatte sich zu seinem Geburtstag etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Er lud uns in ein wunderschönes türkisches Restaurant ein. Es wurde ein unvergessliches Erlebnis.

Da ich schon immer ziemlich freundlich und kommunikativ mit anderen Menschen umgehen konnte, kamen wir schnell mit dem überaus zuvorkommenden türkischen Kellner ins Gespräch. Er bediente uns sehr flott und war ständig an meiner Seite. Das machte mich schon ein wenig stutzig; bis zu dem Moment, da er mich persönlich lauthals und sehr ernsthaft ansprach: „Sagen Sie bitte, mein Herr, wann haben Sie wieder vor, zu Ihren Verwandten nach Anatolien zu fliegen?“

Wir fanden die Situation sehr lustig und Ilse sah sich in ihren Vermutungen bestätigt. Obwohl wir schon bezahlt hatten, saßen wir noch gute zwei Stunden fröhlich beisammen.

Von dieser Zeit an habe ich mich schon öfters gefragt, was denn an dieser ganzen Theorie stimmen könnte.

Sicherlich aus beruflichen und zeitlichen Gründen habe ich diese Gedankengänge vor mir hergeschoben. Erst ab etwa 2005 bekamen diese Überlegungen wieder Nahrung, nämlich als Ilse mit ihrer Ahnenforschung und der Erstellung ihres Stammbaumes tiefer in ihre und unsere Geschichte eintauchte.

So erforschte sie Mitte des Jahres 2011, dass sie direkte Nachfahrin des legendären Rechenmeisters Adam Ries in der 12. Generation ist. Als dann auch noch die Urkunden dazu vom Adam-Ries-Bund Annaberg eintrafen, gab es auch für mich kein Zögern mehr.

Meine liebe Ilse bedrängte mich sehr, die noch offenen Äste und Zweige meiner Vorfahren mit Leben zu erfüllen.

Das war sicher der Anstoß für mich, noch mehr als bisher über mein Leben in Erfahrung zu bringen.

Von jetzt an befasste ich mich intensiver mit dieser Problematik und die Suche nach meinen Wurzeln begann.

Zuerst wurde natürlich im Internet recherchiert.

Ich habe erfahren, dass August der Starke um 1700 ein türkisches Regiment in Sachsen stationiert hatte. Danach war mir klar, dass meine Großmutter Martha aus Neudorf aus eben dieser Linie stammen musste, und ich demzufolge nun als türkischstämmig anzusehen war. Beim näheren Betrachten der alten Fotos konnten wir dies definitiv ausschließen, weil sie keinerlei mediterrane Züge aufzuweisen hatte. Wir haben aber noch in eine andere Richtung ermittelt.

Ein Hundefreund, den wir oft beim „Gassigehen“ treffen, ist sehr belesen. Er kannte mein Anliegen.

Eines Tages zeigte er mir einen Zeitungsausschnitt der „SZ“ mit einem Artikel über den sächsischen Bergbau zu Zeiten August des Starken. Dort war zu lesen, dass im 18. Jahrhundert die Bedeutung des Bergbaus rapide zunahm und extra dafür Bergleute eines kleines italienischen Volkstammes, genannt die „Walen“, nach Sachsen kamen. Die Stollen wurden noch manuell vorangetrieben, so dass vorwiegend kleinere Menschen dafür geeignet waren. Solch hervorragend kleine Arbeiter wurden also aus Italien rekrutiert.

Fortan waren die „Walen“ die Favoriten bei der Suche nach meinen Wurzeln, weil ja auch ich nur mittelgroß bin.

Es gab großes Gelächter, als ich Zeichnungen und Bilder von diesen Menschen zu Gesicht bekam. Mit Zipfelmützen als Kopfbedeckung krochen diese kleinen Italiener zu ihren Erzlagerstätten.

Quelle Wikipedia

Die ganze Geschichte bekam aber eine andere Wendung. Der Zufall stand Pate, und es begann eine unglaubliche Geschichte, die schon an ein Wunder grenzt.

Kapitel 4 – Wunder gibt es immer wieder – die Chronologie einer Odyssee

An einem wunderschönen Wochenende, am Sonnabend, den 16. Juli 2011, sollte meine ungewöhnliche Reise in die Vergangenheit beginnen.