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Das Personal der Berliner Republik.»Auf ein Frühstücksei mit ...« – mit dieser Ansage lädt Moritz von Uslar seit fünf Jahren Prominente zum morgendlichen Gespräch für seine gleichnamige Kolumne in der Zeit ein. Dabei beginnt Uslars Autorenschaft schon bei der eigenwilligen Auswahl seiner Gesprächspartner: dazu gehören professionelle Meinungsmacher (Anne Will, Sahra Wagenknecht, Jan Böhmermann) genauso wie Hauptstadt-Hipster (Ronja von Rönne, Helene Hegemann, Joko Winterscheidt), aber auch Künstler und Intellektuelle (Katja Lange-Müller, Ulrich Matthes, Doris Dörrie, Diedrich Diederichsen) und einige unerwartete Gesprächspartner (Der Techno – DJ Marcel Dettmann, der Paris-Bar-Chef Michel Würthle). Moritz von Uslars Kunst besteht darin, eine wunderbar entspannte, saloppe und intime Gesprächssituation herzustellen, in der er seine Gäste dann mit ihrem Image, mit Fragen zu Politik und Kultur und einfach nur mit dem unnachahmlichen Uslar-Interviewstil konfrontiert. So entsteht ein fein gezeichnetes Psychogramm des Interviewten sowie ein Abbild der deutschen Politik und Gesellschaft. Das ist modernes Feuilleton. Und das ist höchst inspirierende Unterhaltung.
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Seitenzahl: 156
Moritz von Uslar
Auf ein Frühstücksei mit …
Mit einem Vorwort von Florian Illies
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Dank an Adam Soboczynski, der sich die Kolumne und den Kolumnentitel ausgedacht hat, mir immer in Rat und Tat zur Seite stand und auch sonst so ungefähr der beste Redakteur ist, den ein Autor sich wünschen kann.
Die hier versammelten Texte erschienen zuerst in der ZEIT
Über die »Frühstückseier« von Moritz von Uslar
Komplett falsch, dass ich dieses Vorwort schreibe, denn ich habe keinerlei Distanz, weder zum Autor noch zu dem Ort, an dem diese »Frühstücksei«-Kolumnen zuerst erschienen sind, dem Feuilleton der ZEIT.
Aber da es in diesen kleinen großen Texten ohnehin immer nur um die Frage von Nähe und Distanz geht, um die zwischen dem Autor und den Porträtierten und die zwischen dem Porträtierten und der Kunstfigur, die er von sich in der Öffentlichkeit erschafft, ist Nähe am Ende doch keine schlechte Kategorie. Denn natürlich kommt einem, wenn man selbst schreibt, auch dieser Von-Uslar-Sound schnell so nahe, dieses wunderbar hellwach Verschluffte, Blinzelnde, dass man höllisch aufpassen muss, ihn nicht zu imitieren. Darum habe ich dann auch schnell die Idee verworfen, für dieses Vorwort den Autor selbst zum Frühstücksei zu treffen. Ich hätte mich vollkommen darin verheddert, im Imitieren originell sein zu wollen. Dann hätte ich immer, wenn ich ihn fragen würde, warum er, verdammt noch mal, nicht endlich ganz von Berlin nach Oberfranken segelt, seinen Heimathafen, denken und schreiben müssen: »Kitschfrage.« Oder, wie es von Uslar so gerne schreibt, ihm die »blöde« beziehungsweise »naheliegende Frage« stellen, warum er, dieser leidenschaftliche Langschläfer und Freund des Feierabendbierchens, sich eigentlich immer wieder Kolumnen ausdenkt, die spätestens »Morgens um halb zehn in Deutschland« (im ZEITmagazin) spielen oder, wie bei den Frühstückseiern, eben sogar manchmal um halb acht? Ich hätte über seine wirklich besonderen Augen schreiben müssen, über seinen manischen Hang zu Mützen und seine Neigung, diese Mützen dann zwar gerade, seinen Kopf darunter aber immer leicht schief aufzusetzen. Also besser: nein.
Lieber die Frage, warum das »Frühstücksei« so perfekt ist als Kolumnentitel. Weil allein das, was die Porträtierten bestellen als Eierspeise (und welches Café als Identitätsausweis sie auswählen) bereits so viel über sie erzählt. Wenn man dann noch liest, ob sie es schlürfen, löffeln, gabeln, verschlingen oder beiläufig in den Mund verschwinden lassen, dann hat man sie bereits ziemlich gut kennengelernt. Man kann es auch so sagen: Alle treten mit ihrer morgendlich intakten Eierschale Moritz von Uslar entgegen, manche haben sie sogar österlich eingefärbt. Und dann klopft er diese ganz langsam weich, mit seinen Blicken, seinen Pausen, seinen Fragen – und am Ende mit seinen Worten pellt er sie dann ab. Wenn einer so tut, als habe seine Schale keinerlei Risse, wenn die demonstrative Selbstgewissheit zu laut wird, dann schnaubt er schon mal: »Ach, ihr Fernsehprofis.« Und in diesen Worten mischt sich dann Respekt mit Mitleid. Denn dass das Dauerleben in der Öffentlichkeit eine Hölle ist, das weiß Moritz von Uslar, das ist die Grundbedingung für jede Begegnung, doch er sucht sich als Interviewpartner immer nur die aus, die sich dieser Hölle freiwillig ausgesetzt haben. Und die Frage, die er nie stellt, aber die immer im Raum steht, egal ob er mit Sängern, Schauspielern, Politikern oder Moderatoren sein Ei isst, lautet: Warum tun Sie sich das eigentlich an? Und: Gibt es Sie eigentlich auch noch als Menschen?
Es ist ein großes Vergnügen, dem Autor zuzuschauen (und man hat ja als Leser wirklich das Gefühl dabeizusitzen), wie er seine Gäste langsam umkreist, umgarnt, wie er ihnen Fallen zu stellen versucht. Am abgründigsten immer diese »Stimmt die Geschichte, dass«-Fragen, wenn das Gespräch ins Stocken gerät. Dass ist immer völlig hanebüchen, was von Uslar sich da als Geschichte ausdenkt oder aufgegabelt hat, aber gerade durch das Dementi entlockt er dem Gegenüber dann plötzlich doch eine Geschichte, die stimmt. Es ist wie Schach zwischen zwei Profis – ein Belauern, denn von Uslar weiß natürlich und schreibt es manchmal auch auf, was er »fragen müsste, um dem anderen einen Gefallen zu tun«. Aber das macht er nicht, weil er jemand anderen im Blick hat, dem er einen Gefallen tun möchte, nämlich, ganz altmodisch: den Leser. Unterhaltsamkeit steht bei diesem Feuilleton-Autor glücklicherweise nie unter Banalitätsverdacht, und Lesbarkeit hält er für eine journalistische Tugend. Moritz von Uslar will verdammt noch mal auf diesen 75 Zeilen herausbekommen, ob das Ei unter der Schale seines Gegenübers eigentlich hart oder weich ist. Ob unter der Schale am Ende gar nichts ist. Oder ob das Gegenüber leichte Panik hat, dass von Uslar zu klopfen und zu pellen beginnt. (»Köpfen« übrigens will dieser höfliche Interviewer niemand, diesen Ansatz hält er für eine lächerliche Selbstanmaßung seines Berufsstandes.) Viel lieber beschreibt er genüsslich, wie »brutal langweilig« es mit dem einen Gegenüber ist und wie aussichtslos, einen anderen von seinen gedrechselten Sprachabstraktionsebenen in die Niederungen des Eigelbs auf seinem Teller herunterzuholen.
Und natürlich macht die Lektüre dieser kleinen Texte etwas Großes auch mit uns als Lesern – wir werden genauso weich gekocht von Moritz von Uslar wie die Porträtierten. Denn uns werden beim Lesen unsere eigenen Klischees vor Augen geführt, wir dürfen erleben, wie der Autor dem Gegenüber genau die peinlichen, naheliegenden Fragen stellt, die wir immer im Kopf hatten, aber nie zu fragen gewagt hätten. Nach dem Lesen dieses Buches hat man sehr viele Menschen näher kennengelernt, gerade auch die, die mit Inbrunst und Routine genau das zu verhindern versuchen. Und auch immer ein bisschen sich selbst.
Moritz von Uslar fragt ohne Angst, mal bodenlos, mal himmelstürzend, immer neugierig – und wenn er voreingenommen ist, dann sagt er das, bevor das Fünf-Minuten-Ei auf dem Tisch steht. Und nachher, wenn er diese Texte schreibt, diese handwerklich so perfekt gearbeiteten Kurzporträts, dann lesen wir eben nicht nur eine kleine Reportage über ein gemeinsames Frühstück, sondern dann guckt der Autor auch noch einmal auf sich selbst, seine Gedanken davor und danach, auf seine Worte. Wie bei so viel Selbstreflexion, so viel Nachdenken über das Naheliegende und das Peinliche, über das, was noch geht und was nicht mehr geht beziehungsweise schon wieder, am Ende solch freie, hellwache Texte herauskommen, das ist von Uslars Geheimnis.
Er ist nebenbei der Großmeister des Ein-Wort-Satzes und der eingeklammerten Ein-Wort-Grätsche (genau). Deren Prägnanz und sprühende Vitalität kommt aus den Tiefen der 1910er-, 1920er-Jahre, aus den großstädtischen Kolumnen von Tucholsky, Altenberg, Roth, Kästner (klar), sie kommt natürlich auch aus den kurzen, schneidenden Gesellschaftsporträts Truman Capotes (Frühstücksei bei Tiffanys). Die Prägnanz seiner Kurzsätze, deren begeisternde Gegenwartsgesättigtheit, stammt aber natürlich auch von der Straße, aus den Kneipen, den Gesprächsfetzen, die er aufsaugt, nachts um halb drei, bei den Zigarettenrauchern vor der Bartür und morgens um acht bei Kindern auf dem Schulweg. Sollte ich meinen Eindruck beim Lesen der hier in diesem Buch versammelten gerührten, gelöffelten und geschlürften Frühstückseier in einem Uslar’schen Kurzsatz ausdrücken, dann so: pure Freude. Und eben auch: Bewunderung. Aber lesen Sie selbst.
Florian Illies
Hamburg‑Eppendorf: Stadtteil reicher Mütter und teurer Kinderwagen. Uli Wickert – als Tagesthemen-Sprecher unvergessen – hat an diesem Freitagvormittag um zehn Uhr in sein Stammcafé bestellt. Mit ihm, dem Gentleman, Charmeur und Weltenbürger, wollen wir darüber reden, was die Welt in dieser Woche beschäftigt: bloß nicht zu tiefschürfend. Wie man sich beim Frühstück eben unterhält. Er würde sich außerdem freuen, wenn wir seinen neuen Geschichten-Band Neugier und Übermut erwähnen, eine Art Arbeitsbiografie, in der Wickert für einen angstlosen, lustvollen Journalismus wirbt (hiermit geschehen).
Ist er morgens wach? »Nicht wach, aber ruhig.« Jetzt zieht er umständlich ein rotes Stofftaschentuch von halber Tischdeckengröße aus seiner Cordhosentasche. Wickert bestellt: Croissant, gekochtes Landei, Scheibe Brot. Wie nimmt er sein Frühstücksei? »Fünf Minuten. Aber bitte auf die Sekunde!« Wir steigen, natürlich, mit der Präsidentschaftswahl in den USA ein.
Gehört er zu den von Obama Enttäuschten? Er führt vor, dass man als kultivierter Mensch vom Croissant nicht abbeißt, sondern Stücke abreißt. »Es gab bei dieser Wahl ja keine Wahl. Man konnte nur für Obama sein.« Wickert erinnert daran, dass die Deutschen vor vier Jahren zu 80 Prozent für Obama gestimmt hätten. »Wir haben große Sympathien für Politiker, die sagen: Ich mache es anders. Interessant ist doch, dass wir einen Politiker hatten, der etwas getan hat, aber deswegen nicht wiedergewählt wurde: Gerhard Schröder.« Zeitungsleser Wickert: »Gestern hat Le Monde zwei Seiten über François Hollande gemacht, mit dem Tenor: Er tut zu wenig. Der abschließende Rat der Zeitung lautete: Faites le Schröder. Machen Sie den Schröder.« Frühstückszauber: Jetzt haben wir in zwei Minuten schon drei Länder durchgenommen!
Mag er den Steinbrück? »Der liegt mir, ja.« Die 1,25 Millionen, die Steinbrück für Vorträge eingestrichen hat, werden bis zur Bundestagswahl vergessen sein: »Diese Wahl entscheidet sich im September 2013.« Prognose Wickert: Die FDP wird es schaffen, die Piraten werden weg sein. Ist das Thema der Transparenz, von Schwarz-Gelb und den Piraten angestrengt, ein Flop? »Das sind keine fünf Minuten«, sagt Wickert, »das ist ein Sechs-Minuten-Ei.« Nein, er wolle nicht alles von allen wissen: »Weil ich den Menschen vertraue.«
Vom Frühstücksei zur großen Welt: Woher weiß er, welchen Teil der Welt er gerade angucken soll? Was leitet ihn da? »Ich schaue mit Interesse nach Schwarzafrika, wo die Chinesen Land aufkaufen. Die Chinesen sagen nicht, wir geben euch Geld, damit ihr Straßen bauen könnt, sondern: Wir geben euch Geld für Straßen, die wir selber bauen.« Wie geht es eigentlich im Sudan? Den Völkermord in Darfur hat er als Tagesthemen-Sprecher, damals mit mäßigem Erfolg, auf die Agenda gesetzt. »Man liest wenig, weder in französischen noch in amerikanischen Zeitungen. Mag daran liegen, dass sich die sudanesische Regierung, auch wegen des Konflikts mit dem Süden des Landes, ein wenig zurückhält.«
Der zweite Kaffee ist getrunken. Leichte Unruhe im Gesicht des Frühstückers: Wie ist die Weltlage in Wickerts Lieblings-Käseladen? Die große Frage unter Käseliebhabern, so Wickert, sei die, ob der mit pasteurisierter Milch oder der mit Rohmilch gemachte Camembert der wahre sei. »Gott sei Dank hat sich der Rohmilch-Camembert durchgesetzt.« Grinsen. Das Tolle am Frühstücken ist ja, dass danach der Tag erst losgeht. Er geht jetzt Tennis spielen.
8. November 2012
Montagmorgen um halb zehn in Berlin: Sie hat sich das Café Einstein unter den Linden ausgesucht, Treffpunkt der Politiker, Hauptstadtnetzwerker, Lobbyisten. Man möchte sie beglückwünschen, dass sie es so früh in ein Café geschafft hat: Helene Hegemann, Star aller deutschen Autorinnen unter 21, im Frühjahr 2010 erschien ihr Romandebüt Axolotl Roadkill. Guten Morgen! Sie kommt in einer Art Schlafanzug (Kapuzenpullover unter Watteweste) und mit Charlie, einem serbischen Straßenhund. Gestern, am Sonntag, hat Hegemann Baritone gecastet: Die Oper Köln wird den Wedekind-Text Musik erstmals als Oper aufführen, sie bearbeitet das Libretto.
Gibt es das Wort Morgenfrische für sie? »Logisch.« Wie nimmt sie ihr Frühstücksei? Hegemann ist Veganerin: »Darf ich auch nichts bestellen? Es ist noch so früh.« Zweimal Cappuccino, bitte, Wasser dazu. Und gleich noch eine Frage: »Müssen wir jetzt echt über das Weltgeschehen sprechen? Ich werde da immer so vulgär.« Langsam, die Idee dieses Frühstücks ist ja genau, dass man morgens eben noch ein bisschen gemütlich und unscharf denkt.
Hammerfrage zum Einstieg: Kennt sie die Lösung für den Nahostkonflikt? Ungläubig guckende Jungautorin: »Muss ich da jetzt echt eine Antwort geben?« Charlie ist zum anderen Ende des Lokals unterwegs, zwei Krawattenmenschen von der FDP nehmen sich des Hunds an. Sie möchte dann doch eine Antwort geben: »Es wird wahrscheinlich ewig so weitergehen, oder? Raketen werden abgefeuert, neue vorläufige Waffenruhe, dann kann man glücklich sein, dass es keinen Krieg gibt. Das ist der klassisch unlösbare Konflikt.«
Ihrer Generation, den in den Neunzigerjahren Geborenen, wird ja immer unterstellt, dass sie ihre Informationen nur noch aus Blogs, nicht mehr aus Zeitungen bezieht. »Völliger Quatsch. Alle unter 25, die ich kenne, lesen keine Blogs. Die lesen Zeitung.« Helene hat die FAZ im Abo, natürlich nur deshalb, weil es da eine billige Kaffeemaschine zum Abo dazugab. Simple Frage: Wo in ihrem Alltag spürt sie den Einfluss der Politik? Jetzt macht sie ein paar sehr süße, gequälte Geräusche, weil sie sich morgens um halb zehn diesen Fragen stellen muss. Wo ist der Hund? »Echt, keine Ahnung.«
Verfängt sich bei ihr das In-Thema der Woche, die Forderung aller Parteien nach niedrigen Mieten in den Großstädten? Sehr niedlich und gequält guckende Helene Hegemann: »Das ist schon ein Thema. Ein Freund von mir ist kurz davor, auf der Straße zu sitzen.« Die Autorin erklärt nun: »Ich kriege jeden Tag wirklich fünf Minuten Depressionen, weil ich denke, ich sollte – anstatt Kunst zu machen – besser im Finanzsektor arbeiten. Das sind die Letzten, die einen wirklich vernünftigen zeitgemäßen Job haben. Alles andere, zum Beispiel Bücher schreiben, ist wirklich totaler Quatsch.« Man merkt ein bisschen, dass sie gerade etwas Aufregendes sagen wollte. Aber: Es funktioniert. »Ich frage mich schon, ob es in drei Jahren noch Bücher gibt, wenn ich die jetzt schreibe.«
Helene Hegemann bestellt noch einen Cappuccino, obwohl der Cappuccino vor ihr noch halb voll ist. Letzter Versuch, in einem der Zeitungsthemen dieser Tage irgendeinen Reiz zu finden: Sind Grüne und CDU auf Bundesebene für sie ein sympathisches Team? Große Freude, Ungläubigkeit: »Das ist die Ausgeburt des Unsympathischen. Ein Teufelsteam.« Letzte politische Frage: Sind die Piraten Deppen? »Tja. Ich glaube schon.«
Man kann die Jungautorin nun bei dem Versuch beobachten, ihren Hund im Café Einstein wiederzufinden. Morgenzigarettchen an der Straßenbahn, die Richtung Prenzlauer Berg fährt: »Habe ich jetzt irgendetwas Kluges gesagt?« Wieso? Das war doch super. Guten Tag.
26. November 2012
Elf Uhr vormittags im Grill des Hotels Kempinski am Kurfürstendamm: dunkle Hölzer, gedimmtes Licht. Peter Scholl-Latour, 1924 geboren, der Grandseigneur der Ferne-Länder-Fremde-Menschen-Reportage – er stammt aus einer anderen Zeit: Den Deutschen haben seine Bestseller (Der Tod im Reisfeld, Allah ist mit den Standhaften) die Krisenherde der Welt erklärt, den Vietnamkrieg, die iranische Revolution, den Islam. Er sitzt da in vollendeter Mad-Men-Eleganz (Brille mit Goldrand, Paisley-Schlips, seine berühmte große Nase). Herald Tribune und Le Monde liegen vor ihm. Erst überlegt er noch, ob er sich einen Martini genehmigen soll, aber dann ist es ihm doch noch ein bisschen früh. Sein Frühstücksei nimmt er in Form eines Club Sandwiches (zwei Spiegeleier). Mit ihm, dem Welterklärer, hat man Lust, ein bisschen auf den großen Brocken der Weltpolitik herumzuklopfen und ein paar Funken schlagen zu lassen: Ägypten! Iran! Nahostkonflikt!
Die Scholl-Latour’sche Rasselstimme springt an, und schon nach wenigen Minuten sitzt man mit ihm auf einem Pferd und reitet über die wilde Grenze von Pakistan nach Afghanistan: dunkel lockende Welt! Versteht er, was die Bundeswehr da jetzt in Mali macht? Großes Scholl-Latour-Räuspern: »Ausgeschlossen, dass sie da zurechtkommt. Das setzt eine gewisse Kenntnis der Stämme voraus, die fehlt. Das haben wir schon in Afghanistan erlebt: Die Naivität der Bundeswehr war erschreckend.«
Und gleich weiter zum Nahostkonflikt: Wird er da noch eine Lösung erleben? »Ich sehe keine. Jetzt mit dem neuen Siedlungsplan? Er schafft eine durchgehende israelische Landmasse zwischen Jerusalem und dem Jordantal. Der palästinensische Staat ist illusorisch.« Scholl-Latour hat jetzt Lust, wie es seinem Typ entspricht, etwas Ungeheuerliches zu sagen: »Die Hamas wird als terroristische Organisation deklariert. Das ist sie nicht. Ich habe Hamad Yasin, den Gründer der Hamas, kennengelernt. Die Gründungsidee der Hamas war die einer karitativen Organisation.« Zum vereitelten Anschlag in Bonn: Wie schätzt er die Bedrohung durch Salafisten in Deutschland ein? »Da gibt es natürlich auch Spinner. Das Absurde ist doch, dass der Salafismus der offiziellen Koran-Interpretation in Saudi-Arabien entspricht. Die Hass-Prediger, die wir hier haben, sind in Saudi-Arabien geschult worden. Also: Unsere besten Verbündeten sind im Grunde die größte Gefahr.«
Krisen-Hopping mit Peter Scholl-Latour. Hat er zum Iran noch etwas nie Gehörtes zu sagen? Natürlich: Mit dem Atomstaat Iran kann er sich eine Koexistenz vorstellen: »Was soll’s? Sollen sie doch ihre Atombombe bauen. Die pakistanische Atombombe ist viel gefährlicher als die iranische. Der iranische Staat ist sehr viel solider und kontrollierbarer als Pakistan.« Leichte Unruhe beim Frühstücker Scholl-Latour: Die Geschwindigkeit, mit der wir durch die große Welt jagen, ist ihm nicht geheuer. Woher kommt die Verehrung der Deutschen für ihre großen, alten Weltenerklärer Helmut Schmidt, Weizsäcker und Scholl-Latour? »Wir haben den Krieg erlebt. Und die ungeheuer harte Nachkriegszeit.« Schaut Scholl-Latour Homeland? »Langsam, junger Mann.« Mit Fernsehserien aus Amerika braucht man ihm nicht zu kommen. Im Januar bricht er mit seiner Frau nach Indien auf: Dort gibt es einen Stamm, den er sich mal ein bisschen genauer angucken möchte.
Der Kellner, den Scholl-Latour seit dreißig Jahren kennt, bringt eine leichte Weißweinschorle. Zeit für ein Gläschen. Zeit, in Ruhe die Zeitung zu lesen.
2. Januar 2013
In den Frühstücksraum des Hotels Kurfürst Wilhelm I. in Kassel hat er bestellt. Viel sachlicher, bescheidener kann so ein Frühstücksraum nicht aussehen: mit braunem Plastik bezogene Stühle. Auf die Frage, wann für ihn eine gemütliche späte Frühstückszeit sei, hatte Eichel vorgeschlagen: »Machen wir acht Uhr?«
Der ehemalige hessische Ministerpräsident und Bundesfinanzminister (1999 bis 2005) kommt in Pulli und Jeans. Spiegelei und Kaffee. Eichel-Kenner hatten vor dem Interview darauf hingewiesen, dass er sein Spiegelei stets viereckig zuschneide. Also: Er schneide ein schönes Viereck um das Eigelb und mache sich dann erst über das Eigelb her. Das wollen wir natürlich sehen!
Erste Frage: Was treibt er denn so? Zuletzt war er für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Moskau, er hat ein Buch mit dem Titel Kassel heute geschrieben. Gilt sein bis heute vielleicht noch bekanntester Satz »Eine neue Krawatte erübrigt einen neuen Anzug«? Kichernder Eichel. Ja, er lacht noch gerne. Hat er jetzt auf Anhieb noch parat, wie viel Schulden Deutschland hat? Er stutzt. Er rechnet doch so gerne im Kopf! Eichel spricht: »Ungefähr: 80 Prozent von