Aufbruch in eine neue Bienenhaltung - Manfred Schmitz - E-Book

Aufbruch in eine neue Bienenhaltung E-Book

Manfred Schmitz

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Beschreibung

Wie verschafft man Bienen Lebensbedingungen, die sie gesund erhalten? Wie sollten Bienenunterkünfte beschaffen sein? Wie sieht ein artgemäßer Umgang und eine bienengerechte Umwelt aus? Erhalten Sie in diesem Buch zu all diesen Fragen wissenschaftliche Anregungen aus der neusten Bienenforschung in Form von ausgearbeiteten Vorträgen der Bienen-Koryphäen Jürgen Tautz, Torben Schiffer und Thomas D. Seeley, und erfahren Sie, wie Sie deren Forschungsergebnisse direkt umsetzen. Manfred Schmitz zeigt anhand seiner Praxiserfahrungen Wege zu einer artgerechteren Bienenhaltung auf und plädiert dafür, die natürlichen Wege der Honigbiene zu ihrer Gesunderhaltung stärker in den Mittelpunkt zu rücken.

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Manfred Schmitz

AUFBRUCH IN EINE NEUE BIENENHALTUNG

Aktuelle Forschung zu bienengerechter Imkerei

INHALT

GELEITWORT

VORWORT

Ein neuer Imkerverein wird gegründet

Imkerkurse, Schulungen und Vorträge

Ausblick in die Zukunft

NATURERFAHRUNG VON ANFANG AN

Koevolution von Bestäubern und Blütenpflanzen

Strategien zur Fortpflanzung

Von solitären und staatenbildenden Bienen

Wildbienen

Hummeln

Honigbienen

Symbiosen, Räuber und Parasiten der Bienen

Von Bienen und Menschen

Aspekt Bienenprodukte

Aspekt Ideologie

Aspekt Bienenhaltung

Übergang zur ökonomisch ausgerichteten Imkerei

Der Superorganismus Bien

IMKERN? NATÜRLICH VON DEN BIENEN LERNEN!

Honigbienen: Das Volk ist das Tier

Arbeiterinnen, Drohnen und Königin

Entwicklung und Aufgaben der Bienenwesen

Die Arbeiterin

Die gentragenden Eltern: Drohnen und Königin

Heimatkörper aus Bienenwachs

Funktion und Aufgabe des Wabenbaus

Optimierungen mit Propolis

Innen- und Außenwelt: Energiekreislauf der Bienen

Sinneswahrnehmungen der Bienen

Nektar, Pollen und Propolis

Schwärmen für die Vermehrung

Verschiedene Formen der Vermehrung

Vorbereitung der jungen Königin

Der Hochzeitsflug

Strategien zur Arterhaltung

Komplizierte Verwandtschaft

Natürliche Teilung durch Schwärme(n)

Von der Blüte bis zum Honig

Energiegewinnung aus Nektar, Honigtau und Pollen

Eintrag über das Bienenjahr – TrachtNet

Weiterverarbeitung im Bienenstock

Kommunikation ist lebenswichtig

AUFBRUCH IN EINE NEUE IMKEREI

Bienengesundheit stärken statt Krankheiten bekämpfen

Beschaffenheit des Standortes

Beutenklimaforschung

Bienengerechte Geometrie der Behausung

Maßstäbe und Methoden in der heutigen Imkerei

Rückkehr zur Baumbienenhaltung?

Verknüpfung von alter und neuer Imkerei

Imkerei im Einklang mit den Bienen

Beginn einer neuen Imkerei

NATÜRLICHE GESUNDERHALTUNG DER HONIGBIENE

(Jürgen Tautz)

Einleitende Worte

Die Bedeutung der Honigbiene im Naturgefüge

Bienen und Blüten

Ohne Bienen geht es nicht – Rettung der Lamarckii-Rasse

Beobachtungen von Johannes Mehring – das Volk ist der Bien

Bienengesundheit

Hohe Populationsdichte

Bienenspezifische Erkrankungen

Aktuelle Gesundheitsforschung

Die Wohnwelt des Biens

ÜBER BIENENVÖLKER IN FREIER NATUR

(Thomas D. Seeley)

1. Schwarmintelligenz: Wahl der Behausung, Entscheidungsprozess und Einzug

Die Intelligenz des Bienenschwarms

Auswahlkriterien bei der Standortsuche

Versuch mit Nestboxen

Informationen bei der Nistplatzsuche

Entscheidungsfindung

Experiment: Wie wählen die Bienen den besten Nistplatz?

2. Freilebende Bienenvölker: Genetik und natürliche Selektion

Standort Arnot Forest

„Bee-Hunting“ – Suche nach Bienenvölkern im Wald

Überleben trotz Varroa

Vorfahren – Museumsbienen und moderne Exemplare

Genetik moderner Völker

Zusammenfassung

3. Varroatoleranz bei freilebenden Bienenvölkern

Übertragung und Verbreitung von Krankheiten

Verteilung der Völker – Bedeutung des Abstands

Die Nestgröße der wilden Honigbienen

Bedeutung der Forschungen für die Imkerei – Schlussfolgerung

Die Wildnis ist es, die die Welt bewahrt

Es wird zukünftig drei Gruppen von Bienen geben

NEUE WEGE IN DER IMKEREI

(Torben Schiffer)

Mein Forschungsauftrag

Das Lebenselement der Nestduftwärmebindung

Von der Baumhöhle in die Imkerkiste

Ein perfekter Wasserkreislauf

Baumhöhlenersatz: Der SchifferTree

Das Ökosystem Baumhöhle und der Bücherskorpion

Bienenhaltung artgerecht

Die Imkerei orientierte sich immer nur an sich selbst, an uns selbst

Ausbildungsvielfalt in der Imkerei

Die neue Verantwortung für die Imkerei

WAS WIR TUN UND WAS WIR VOM BIEN LERNEN KÖNNEN

Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden

Evolution der Kooperation

Aufklärung und Aufbruch in ein neues Denken und Handeln

SERVICE

Über den Autor

Hinweise

Literatur

GELEITWORT

Honigbienen und Menschen stehen in einer höchst facettenreichen gegenseitigen Beziehung. Für den naturunkundigen Laien sind Bienen lediglich Lieferanten von Honig und Wachs. Für informiertere Menschen sind sie als Bestäuberinsekten höchst wichtige Glieder im komplexen Naturgefüge, ohne die wir auf einen Großteil unserer Lebensmittel verzichten müssten. Ganz unabhängig von ihrem direkt erkennbaren Nutzen für die Menschheit faszinieren die Staaten der Honigbienen durch ihre Lebensweise und ihre gemeinschaftlich erbrachten, erstaunlichen Leistungen. Es gibt also viele gute Gründe, sich für Honigbienen zu interessieren und sich um sie zu sorgen. Sich um sie sorgen und kümmern bedeutet, ihnen Lebensbedingungen zu verschaffen, die sie gesund erhalten. Das betrifft die Beschaffenheit der Unterkünfte, die der Mensch den Bienenkolonien bietet, das betrifft die Freiheiten, die der Mensch dem natürlichen Jahresablauf des Bien lässt, und es betrifft die Umwelt, aus der die Bienen ihre Lebensgrundlage beziehen.

Ein bienengerechter Umgang mit unseren kleinsten Haustieren und eine entsprechende Aufmerksamkeit der Umwelt der Bienen gegenüber hat sehr viel weitreichendere Folgen, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Eine bienengerechte Umwelt hilft allen Lebewesen, die über ein vielfältiges Blühpflanzenspektrum indirekt mit den Bienen verbunden sind.

Die achtungsvolle Wertschätzung der Bienenkolonien, die wir in unserer Obhut und Verantwortung haben, verschafft nicht nur dem Imker ein gutes Gefühl, sondern vor allem den Bienen Daseinsbedingungen, die sich in einer langen Evolutionszeitspanne als bienenoptimal herausgebildet haben. Honigbienen sind sehr belastbar. Diese Stärke des Bien sollten wir aber nicht missbrauchen, zumal auch diese Belastbarkeit zunehmend erkennbar an Grenzen stößt.

Die im vorliegenden Buch zusammengestellten Vorträge haben ein auf diese Lebenswelt der Honigbienen aufbauendes Erfahrungswissen als Leitthema. Ein daraus abgeleiteter Aufbruch in eine entsprechende imkerliche Praxis heißt, die natürlichen Wege der Honigbiene zu ihrer Gesunderhaltung stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Die vom Autor beschriebenen und bildunterstützten Fäden aus seiner Praxis sind ein Ansatz dazu. Eine Wertschätzung und Achtung unserer unmittelbaren Natur als sinnstiftende Erfahrung führen dazu, auch über den Beutenrand der Imkerei hinaus zu denken und zu handeln.

Prof. Dr. Jürgen Tautz

HOBOS / we4bee, Universität Würzburg

VORWORT

Am Anfang hatte ich Bienen, jetzt haben die Bienen mich.

Diese Aussage hörte ich zum ersten Mal von meinem Imkervater. Die tiefe Bedeutung erfuhr ich erst einige Jahre später, als sich in mir selbst die Verbindung zu den Bienen eingestellt hatte, die diesem Satz innewohnt.

Von ihm, mit seinen über dreißig Jahren Imkererfahrung, durfte ich nicht nur die Handhabung eines Stockmeißels und das Imkerhandwerk insgesamt erlernen, sondern konnte ein Jahr lang mit ihm seine Bienen durch das Bienenjahr begleiten:

Der wunderschön zwischen einem Waldstück und einer großen Streuobstwiese gelegene Stand, die Spannung beim Öffnen der Beutendeckel, die erste von mir selbst gehaltene Wabe voll mit Bienen waren für mich der Einstieg in die Faszination Imkerei.

Aus der langjährigen Erfahrung meines Imkervaters heraus an die Imkerei herangeführt und zugleich angesteckt vom „Bienen-Virus“, entwickelte ich nicht nur langsam einen eigenen Blick auf die Bienen, vielmehr begann ich, die Umwelt mehr aus der Sicht der Bienen zu sehen. Viele Fragen stellten sich mir aus dieser Sicht meines neu gewonnenen Betrachtungsstandortes.

Am Anfang hatte ich Bienen, jetzt haben die Bienen mich.

Blick auf meinen ersten Bienenstand mit weidenden Schafen im Hintergrund.

Auf der einen Seite gab es Imker, die zwar mit viel Erfahrung schon seit Jahrzehnten imkerten, aber sich viele dieser Fragen gar nicht stellten. Trotz ihrer jahrelangen Erfahrung und entsprechend individuellen Antworten konnten mich ihre Erklärungen nicht zufriedenstellen.

Ich begann durch Veränderungen in der Betriebsweise Erfahrungen mit und von den Bienen zu gewinnen: So stellte ich zunächst alle Beuten meines Imkervaters vom Deutsch-Normal-Maß (DN) in Kunststoff (Segeberger Beute) auf Holz im Zandermaß (ZA) um und experimentierte mit Zargen- und Wabengrößen. Zum ersten Mal tauchte bei mir ein ungutes Gefühl auf, als ich in den Ausbildungen lernte, wie man in Styropor imkert, wie man den Königinnen ihre Flügel schneidet, um sie am Schwärmen zu hindern, wie man mit Zuckerwasser einfüttert, nach der Honigernte, wie man die Rähmchen von hier nach dort, von unten nach oben umsortiert. Als noch unerfahrenem Neuimker wurden mir Betriebsweisen erklärt, die nach ökonomischen Gesichtspunkten ausgerichtet waren und dabei im Verein so vertreten wurden, dass sie oft keinen Widerspruch duldeten.

Dennoch versuchte ich, mit weniger oder gar ohne die gängigen, teils chemischen Behandlungen, meine Völker gesund zu halten, und fragte mich, was für die Bienen natürlich und zugleich für den Imker machbar ist. Einige Ansätze brachten bereits kleine Erfolge, andere Veränderungen hatten in einem Jahr viele tote Bienenvölker zur Folge. Ich sah immer mehr ein, dass ich mit einem Imkergrundkurs und meinem guten Willen allein so nicht sehr weit kommen konnte. Neben der Lektüre verschiedener Werke zur Imkerpraxis und -theorie versuchte ich daher bei möglichst vielen und möglichst verschiedenen Imkern, viele und vor allem andere imkerliche Sichten und praktische Betriebsweisen kennenzulernen. Dazu besuchte ich verschiedene Bio- und Großimker, sprach mit diversen Imkerfachhändlern, diskutierte auf Messen und Imkerausstellungen mit namhaften Buchautoren und belegte diverse Fort- und Weiterbildungen an Bieneninstituten.

Imkerliche Arbeiten mit dem Stockmeißel habe ich als Handwerk von meinem Imkervater erlernt.

Auf Grundlage der so gesammelten neuen Erfahrungen aus der vielfältigen Imkerschaft und dem ein wenig tieferen Verständnis für die komplexen Lebensstrukturen der Honigbiene entschied ich mich nach ein paar Jahren, in Einraumbeuten (Dadant mod.) mehrere Stände mit nur jeweils wenigen Völkern pro Stand aufzubauen. Die Aufbauten (Beutenböcke) entwarf ich wesentlich höher als üblich und die Abstände und Einflugwinkel der Bienenvölker variierte ich so weit wie möglich.

EIN NEUER IMKERVEREIN WIRD GEGRÜNDET

In der zum überwiegenden Teil noch in Segeberger Kunststoffbeuten arbeitenden Imkerschaft der Umgebung stießen diese andersartigen Betriebsweisen und Beutenformate auf unerwartet heftigen Widerstand. Mit dem Drang, die vielfältigen Vorstellungen einer artgerechten Imkerei dennoch umzusetzen und sie zudem auch mit anderen teilen zu können, gründete ich daher mit einer kleinen Gruppe interessierter Imker im Frühjahr 2015 einen eigenen Verein, den Imkerverein DER SCHWARM Königswinter e. V.

Bei der Honigernte gemeinsam mit Vereinskollegen im Imkerverein.

Über die erzeugten Schwingungen der kreativen Individualisten des neu gegründeten Vereins hinaus kommunizierten wir mit anderen gleichgesinnten Vereinen und Instituten, tauschten uns aus und organisierten schon bald den Ersten Siebengebirgs-Imkertag. Besonders stolz waren wir, als wir Herrn Prof. Dr. Jürgen Tautz, einen der renommiertesten Bienen-Experten, für das Hauptreferat des Imkertages gewinnen konnten.

Auf der Festveranstaltung zum 200-jährigen Bestehen des wohl ältesten Imkervereins Deutschlands, dem 1815 als Ambrosius-Bruderschaft gegründeten Imkerverein Straelen, hatte ich erstmalig mit Prof. Tautz Kontakt aufgenommen. In der dann folgenden Vorbereitung zu diesem Termin tauschten wir einige E-Mails aus, führten einige Gespräche und legten uns auf ein Thema fest. Der von ihm dann auf dem 1. Siebengebirgs-Imkertag gehaltene Vortrag Die natürlichen Wege der Honigbiene zu ihrer Gesunderhaltung wie auch er als Mensch selbst beeindruckten uns alle nachhaltig. Wir hatten in Abstimmung mit ihm den Vortrag zum Glück aufgezeichnet, denn schon kurz nach dem Vortrag erhielt ich mehrere Anfragen, ob dieser Beitrag irgendwo nachzulesen sei.

Dieses Interesse von Teilnehmern und die Unterstützung, die ich von Jürgen Tautz erhielt, waren der ursprüngliche Anstoß zu diesem Buch. Im Kapitel Natürliche Gesunderhaltung der Honigbiene habe ich in Abstimmung mit ihm den von der Rede- in die Schriftform übertragenen, leicht redigierten und bebilderten Vortrag zum Nachlesen festgehalten.

IMKERKURSE, SCHULUNGEN UND VORTRÄGE

Durch diesen und einige andere Kontakte mit Bienenforschern wurde mir bewusst, wie wenig wir eigentlich von den Honigbienen verstehen und wie sehr wir nur unsere imkerlichen Bedürfnisse auf die von uns angewendete Betriebsweise übertragen. Was in den unumstößlich quadratischen Wänden der Bienenkisten für die Bienen angenehm sein sollte, entsprach zumeist nur einer Interpretation der imkerlichen Sicht auf die Bienen.

Neben den Tätigkeiten als Vorsitzender des Imkervereins DER SCHWARM baute ich meine Imkerei insbesondere in der Anzahl der Standorte weiter aus. Anfragen zu meinen eigenen und zu den Erfahrungen der Mitglieder des Vereins führten dazu, dass wir seit dieser Zeit in jedem Jahr mindestens einen großen Imkerkurs geben. Auch immer mehr Firmen und Schulen interessierten sich zunehmend für Bienen oder baten um Unterstützung beim Aufbau einer Imkerei. Einige „imkerliche Fäden“ aus den digitalen Kursunterlagen, den Vorträgen und den AGs sind bildunterstützt zusammengestellt und fließen insbesondere in die Kapitel Naturerfahrung von Angang an und Imkern? Natürlich von den Bienen lernen! ein.

Imkerliche Fortbildungen zu Wespen, Hornissen und Wildbienen, wie auch ein mehrtägiger Zeidlerkurs, führten mich 2016 zur Seeley-Tagung, einem von Mellifera e. V. veranstalteten Drei-Tage-Seminar in Rosenfeld mit Prof. Thomas Seeley. Bei der Signierung seines Bestsellers Bienendemokratie lernte ich Prof. Thomas Seeley ein wenig kennen und so traute ich mich einige Wochen später, ihn nach den Rechten für die drei von ihm auf der Tagung gehaltenen Vorträge zu fragen. Nachdem ich auch bei Mellifera e. V. dankenswerterweise die Genehmigung für eine Veröffentlichung erhielt, fand ich in meiner Tochter (die als Studentin der „Mehrsprachigen Kommunikation“ auf dem Gebiet des Englischen mächtiger ist als ich selbst) dankbar eine Übersetzerin, die diese Tonaufzeichnungen der Seeley-Tagung ins Deutsche übersetzte und verschriftlichte. Die umfangreichen Arbeiten, die ich anschließend noch gemeinsam mit dem Autor redigierte, wurden überaus freundlich von Prof. Seeley mit den Worten: „Do this!“ und von Jürgen Tautz an Tom Seeley mit „Thank you for supporting Manfred!“ im gemeinsamen E-Mail-Austausch wunderbar motiviert. Diese so verarbeiteten drei Vorträge der Seeley-Tagung sind im Kapitel Über Bienenvölker in freier Natur festgehalten.

Versuche mit Naturwabenbau. Rähmchen mit wellenförmiger Mittelwand im gesamten Brutraum lassen den Bienen Platz für ihren (Drohnen-)Naturbau.

Nach den Vorträgen von Tom Seeley und der neu gewonnenen Sichtweise, wie Bienen in der Natur, ohne Eingriffe der Imker, leben und sich vermehren, wieder zurück in der eigenen Imkerei, wuchs in mir das Unbehagen, meine Bienenvölker weiter wie bisher imkerlich zu behandeln. Durch Versuche mit Naturwabenbau, die Erfahrungen aus der Zeidlerei und Ansätze zu einem neuen Schwarmmanagement bemühte ich mich um eine bienengerechtere Betriebsweise. Dennoch blieb ein Unbehagen in all dem, wie ich imkerte und was ich den Bienen antat. In den Fortbildungen zum Honig- und Bienensachverständigen wurde uns erklärt, wann man 60- und wann man 85 %ige Ameisensäure einsetzen darf und soll. Es ging darum, wie man Symptome behebt, und nicht darum, was die Ursachen der Bienenkrankheiten sein könnten. Das Unbehagen wurde so zur Erkenntnis, dass wir mit der erlernten „Betriebsweise“ doch einiges falsch machen. Auf Seminaren, Vorträgen und auf Tagungen wie u. a. auf der Utrechter Konferenz „Learning from the bees“ suchte ich also weiter nach Wegen und Antworten. Auf dem Bienensymposium 2018 in Weimar schließlich, auf dem auch Tom Seeley wieder referierte, wurde mir eine Türe geöffnet. So, als hätte ich bisher ein Brett vor dem Kopf gehabt, wurde mir eine Blickrichtung geöffnet:

Warum haben wir die Zusammenhänge bislang nur aus der Sicht des Imkers betrachtet und nicht die Erkenntnisse darüber, was wildlebende Bienen benötigen, als Richtschnur in unsere imkerlichen Tätigkeiten mit einbezogen?

Angesichts dieser Entwicklung war es eine besondere Freude, in Weimar denjenigen kennenzulernen, der uns mit seinen langjährigen Forschungen und Erfahrungen dazu einen möglichen Weg aufzeigen konnte. Der in seinen imkerlichen und wissenschaftlichen Bemühungen versucht, Wege aus der Umklammerung der Abhängigkeiten heraus zu finden, der es wagt, das Weiter-wie-bisher zu durchbrechen.

In seinem Vortrag auf dem Bienen-Symposium 2018 hat Torben Schiffer viele der rund 400 Teilnehmer angeregt, eine imkerliche Revolution mit anzustoßen. In Gesprächen am Rande der in den Folgemonaten von ihm gehaltenen Vorträge in verschiedenen Städten konnte ich ihn gewinnen, diese neuen Wege in der Imkerei auch in einem Vortrag bei uns im Siebengebirge zu erläutern. Sein gleichnamiger Vortrag, den er dann im Mai 2019 auf Einladung unseres Imkervereins DER SCHWARM im Siebengebirge hielt, beeindruckte und veränderte auch die Teilnehmer bei uns in ihrer Einstellung und damit deren imkerliche Betriebsweisen nachhaltig. Das beeindruckende, über dreistündige Plädoyer für eine artgerechte Bienenhaltung und für eine neue Ausbildung in der Imkerei hatten wir aufgezeichnet und – in Abstimmung mit ihm – habe ich dann diesen Vortrag in eine gekürzte Schriftform im Kapitel Neue Wege in der Imkerei überführt.

So bildet die Abfolge der Kapitel in diesem Buch die Entwicklung meiner, und wie ich immer öfter erfahre, vieler anderer Imker nach. Zu Beginn steht die Faszination für ein unbekanntes Lebewesen aus vielen Individuen, stehen die weit gestreuten Schwerpunkte noch offen, für die man sich als Neuimker in der Imkerei interessieren kann. Die imkerlichen Ausbildungsangebote von den Grundkursen bis hin zu Fortbildungs- oder Sachverständigenkursen nehmen dann jedoch den meisten Naturinteressierten den eigentlichen Bezug zum Lebewesen Bien weg und vermitteln vor allem ökonomische Ziele der Imkerei.

AUSBLICK IN DIE ZUKUNFT

Es geht darum zu verstehen, wie Bienen sich natürlich, ohne Eingriffe des Imkers, verhalten, und daraus zu lernen. Es geht nicht darum, wie die Krankheiten, die erst durch unsere Haltungsweise entstehen, wieder „bekämpft“ werden. Diskussionen in der Imkerschaft über Beutenmaße, über Honigmengen und über Verfahren, wie die Völker uns effektiv nutzen und dennoch überleben, sollten wir hinter uns lassen.

Es geht um den Aufbruch in eine neue Imkerei, es geht darum, eine Imkerei anzustoßen, die sich wertschätzend mit dem Lebewesen Bien beschäftigt und sich seiner natürlichen Bedarfe wieder annähert. Wir wollen die natürlichen Lebensgrundlagen wieder in den Mittelpunkt rücken, wir wollen verstehen, wie eine Lebensform, in der so dicht wie in keiner anderen miteinander gelebt wird, es schafft, über Millionen von Jahren zu bestehen. Eine Zeitspanne, von der wir Menschen weit entfernt sind, es mit und auf diesem Planeten schaffen zu überleben. Die heute primär ökonomisch ausgerichtete Imkerei hat vielfach diesen Blick verloren. Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung zeigen uns, wo wir anknüpfen können, um diese neuen Wege in der Imkerei zu gehen. Es ist zunächst eine Veränderung unseres Standpunktes, der zu einer neuen Bienenhaltung führt, auch wenn das konkrete Wie noch nicht klar vorgezeichnet ist. Die nun beginnende imkerliche Umsetzung ist ein Prozess, der daraus zwingend folgt. Erste Ansätze und erste angestoßene Projekte geben uns Mut, mitzumachen bei einer imkerlichen Neuausrichtung, bei einer neuen Bienenhaltung.

Wir leben in einer Zeit, in der Unsicherheiten und Abgrenzungen unser Leben zunehmend bestimmen, in einer Zeit, in der wir uns mit unbedeutenden Informationen überfluten, in der die von uns technisch konstruierten Abbildungen stärker auf uns wirken als das Abgebildete selbst, als die Natur. Vielleicht, weil uns die unmittelbare Naturerfahrung abhandengekommen ist. Wir Menschen müssen etwas ändern, müssen uns ändern, sonst ändert sich unsere uns umgebende Natur so, dass wir von ihr nicht mehr geduldet werden.

Blühende Landschaften schaffen für morgen: Kinder am Wegesrand.

Mit dem Bedürfnis, unter diesem Aspekt „über den Beutenrand“ der Imkerei hinauszudenken, habe ich im abschließenden Kapitel Was wir tun und was wir vom Bien lernen können in diesem Buch versucht, Fragmente aus verschiedenen Quellen, die dazu Denkanstöße geben, zusammenzutragen und eigene Gedanken dazu zu formulieren.

Die aktuelle Forschung in der Imkerei zu verstehen und sie umzusetzen, ist gerade aus diesem Grunde faszinierend und ein hilfreicher Einstieg, um unsere Zukunft mit der Natur, mit den Lebewesen, mit den Bienen zu gestalten.

Die selbst erlebte Freude und Faszination, die ich mit den Bienen erfahre, diese mit anderen zu teilen, in Worten und Bildern mitzuteilen, war und ist für mich auch die Motivation für dieses Buch. Die Kommunikation mit vielen Menschen, die ich durch die Beschäftigung mit einer naturnahen Imkerei machen durfte, hat mich und meine Erfahrungen neu verortet. Dank gilt besonders all denen, mit denen ich diese neu gewonnene Lebenseinstellung teile und denen ich mich freundschaftlich verbunden fühle. Sie teilen mit mir die Wertschätzung für eine unmittelbare Natur als sinnstiftende Erfahrung.

Manfred Schmitz, Königswinter

NATURERFAHRUNG VON ANFANG AN

Wer sich inmitten der wuchernden Technik noch einen offenen Sinn für die Natur bewahrt hat, dem wird die Einsicht in das Leben der Bienen zu einer Quelle der Freude und des Staunens.

Karl von Frisch (Frisch 1993, S. XI)

Wer im Frühjahr oder im Sommer einer Wild- oder Honigbiene zusieht, wie sie sich emsig auf den Blüten zu schaffen macht oder an einem Bienenstand eines Imkers am Flugloch Dutzende Bienen ein- und ausfliegen, fragt sich vielleicht, ob er oder sie (bitte Hinweis zu Gendering beachten, S. 198) etwas für die bedrohte Vielfalt dieser so wichtigen Tiere tun kann.

„Für eine blühende Vielfalt an einheimischen Blütenpflanzen im eigenen Garten sorgen …, unnütze Pflanzen- und Insektengifte meiden …, Nisthilfen für Wildbienen aufstellen …, Bienenhonig von Imkern aus der eigenen Region kaufen …“, das sind einige der gut gemeinten Ratschläge, die dann vielfach gegeben werden.

Honigbiene (Apis mellifera carnica) auf einer Brombeerblüte (Rubus fruticosus), Pollen-Nektarwert: 3-3.

In der Tat ist eine Artenvielfalt an Bienen ein Indikator für ein intaktes Zusammenspiel von Landschaft, Pflanzen und Tieren. Gefährdet wird dieses einmalig abgestimmte Gefüge nicht durch die Natur (die wir schützen müssten), sondern durch die vielfältigen Belastungen, die wir Menschen selbst direkt oder indirekt verursachen. Die nähere Beschäftigung mit den Honigbienen, die in einer Organisationsform mit derart vielen Individuen zusammenleben, ist daher ein wunderbarer Einstieg, die einzigartigen Zusammenhänge der Natur unmittelbar zu erfahren und die verlorene Wertschätzung und Achtung vor der Einheit der Natur wiederzugewinnen.

Bienen sind als Bindeglied im Gefüge der Natur ideal geeignet, Umweltwissen zu vermitteln. Sich zu bemühen, ihre ursprünglichen Lebensbedingungen zu verstehen und sich um sie zu sorgen, vermittelt ein tiefes Verständnis für die Zusammenhänge in der Natur. Ihnen ihre artgerechten Lebensbedingungen, die sie gesund erhalten, wieder zu verschaffen, bedeutet unmittelbare Naturerfahrung. Es bedeutet aber auch, den Zugang zu einer Erfahrung zu gewinnen, von der aus wir uns fragen, wie wir Menschen zurzeit mit der uns umgebenden Natur umgehen und wie wir als abhängiger Teil von ihr in ihr leben wollen.

Im Folgenden sollen drei Entwicklungen nachgezeichnet werden, die unseren gegenwärtigen Wendepunkt in der Haltung der Natur gegenüber vielleicht ein wenig klarer und unser Verhalten ehrfürchtiger machen:

1.Die der Kooperation bestimmter Pflanzen und Tiere miteinander,

2.die einzelner Tierarten untereinander und schließlich

3.die sich geschichtlich wandelnde Beziehung zwischen Bienen und Menschen.

KOEVOLUTION VON BESTÄUBERN UND BLÜTENPFLANZEN

Die seit Milliarden Jahren auf dem Planeten Erde andauernde Wechselbeziehung der zunächst rein mineralischen, später dann pflanzlichen und tierischen „Einheit der Natur“ (Weizsäcker 1971) hat zur Entwicklung eines lebendigen Miteinanders geführt, das wir erst im Zusammenhang beginnen zu begreifen.

Eine dieser evolutionären Entwicklungen zeigt sich in der Koevolution zwischen den frühen Pflanzenarten und der Tiergruppe, die heute den Großteil aller Tierarten ausmacht, den Insekten.

Betrachtet man die Zeitspanne von Milliarden von Jahren, in der sich das Leben auf der Erde entwickelt hat, so sind unter den Pflanzen die Blütenpflanzen eine relativ junge Entwicklung. Gräser, Sträucher und Bäume, die sich über Blüten, Samen und Früchte vermehren, gibt es erst wenige Hundert Millionen Jahre.

Nahezu im gleichen Zeitraum entwickelten sich auch die Insekten vor schon rund 350 Millionen Jahren im Erdzeitalter des Karbons. Aus marinen Vorfahren hervorgegangen, haben sie sich zur vielfältigsten und erfolgreichsten Tiergruppe entwickelt. Sie sind mit mehr als einer Million beschriebener Arten und einer mindestens ebenso großen Anzahl noch unbestimmter Arten mit Abstand die artenreichste und vielfältigste Tiergruppe unseres Planeten. Diese beiden Entwicklungen, die der Blütenpflanzen (Bedecktsamer, Magnoliopsida) und die der Gruppe der Insekten, haben sich gegenseitig bedingt.

Wir kennen heute ein umfangreiches ökologisches Netz von Bestäubern, wissen um die große Bedeutung der Bestäubungsleistung der Wild- und Honigbienen, Hummeln, Schmetterlinge, Käfer, Wespen, Fliegen und Schwebfliegen oder auch Wanzen. Doch wie kommen all diese Tiere dazu, Blüten von Obst, Gemüse und die vielen anderen Wildblütenpflanzen anzufliegen und sie zu bestäuben? Wie haben die Blüten bildenden Pflanzen es geschafft, ganze Tierarten für sich zu gewinnen, um ihre Befruchtung zu übernehmen? Die Antwort findet sich in der gegenseitigen Koevolution dieser Pflanzen und Tiere, die zu Bestäubern wurden.

Strategien zur Fortpflanzung

Das Leben findet immer neue Wege und es nutzt dabei die vorhandenen Bedingungen zur Weiterentwicklung. Pflanzen, die sich aus dem Meer aufmachten, das Land zu erobern, fanden zunächst das mineralische Erdreich, kohlendioxidhaltige Luft und das Sonnenlicht als Energiespender vor. An ihren Ort wurzelnd gebunden, haben sie es geschafft, daraus Stoffe und Energie aufzunehmen, um zu wachsen und sich zu vermehren (s. dazu Coccia 2019).

Eine der so entstandenen Vermehrungsstrategien ist die sexuelle Fortpflanzung der Samenpflanzen über den Pollen, der auf die Narbe der Fruchtblätter trifft und diese befruchtet. Meist geschieht dies dabei durch Fremdbestäubung, das heißt, der Pollen stammt von einer anderen Blüte als derjenigen, die bestäubt wird. Bei Pflanzen mit mehreren Blüten kann der Pollen von einer Blüte derselben Pflanze stammen (Nachbarbestäubung). Von Selbstbestäubung spricht man, wenn die Bestäubung innerhalb einer Blüte erfolgt, welche Organe beiderlei Geschlechts besitzt.

Bei der vorherrschenden Fremd- und Nachbarbestäubung muss also der Pollen aus der einen Blüte in die andere, zu befruchtende Blüte gelangen. Dazu müssen sich die ortsgebundenen Pflanzen externer Hilfen bedienen. Die Windblütigkeit (Anemogamie) ist bei den Samenpflanzen die ursprüngliche Form der Fremdbestäubung. Der Pollenflug mithilfe des Windes existiert seit mindestens 300 Millionen Jahren und ist auch heute noch für viele Pflanzen von primärer Bedeutung bei der Bestäubung. Bei dieser Fremdübertragungsart werden bis zu einige Milliarden Pollen von einer Blüte bzw. Pflanze zu einem günstigen Zeitpunkt dem Wind anvertraut, um möglichst viele andere Blüten der gleichen Art zu befruchten. Da die Wahrscheinlichkeit, dass die vom Wind getragenen Pollen auf eine andere Blüte treffen, relativ gering ist, müssen die Mengen der zur Weiterverbreitung notwendigen Pollen extrem groß sein. Dieses insofern relativ unökonomische Unterfangen erfahren heute noch insbesondere Allergiker, die unter den sehr kleinen und leichten, flugfähigen z. B. Gräserpollen leiden.

Eine weitere, wenn auch seltene Form der Fremdbestäubung, erfolgt über das Wasser (Hydrogamie). In stehenden oder fließenden Gewässern kommt die Nutzung des Wassers zur Bestäubung lediglich bei einigen Wasserpflanzenarten zum Tragen.

Während mit den von den Pflanzen kaum beeinflussbaren Pollenträgern Wind und Wasser die Samen nur zufällig auf die Zielblüten treffen, hat sich die Zoophilie, also die mit Tieren einhergehende Pollenübertragung, als eine in Koevolution erworbene Anpassung der Pflanzen (Tierblütigkeit) sehr weit und facettenreich entwickelt. Die Pflanzen haben ihre Blüten hinsichtlich Form, Farbe, Duft und Aufbau auf eine biotische Bestäubung durch bestimmte Tierarten spezialisiert.

Die dazu vom Bestäuber nutzbaren Ressourcen, wie Pollen, Nektar, Fette, (Duft-)Öle, Harze oder auch Schlafplätze, sind einzigartige Verlockungen für die ebenfalls evolutionär angepassten und sich weiterhin anpassenden tierischen Bestäuber. Die Vielfalt dieser Blüten und Insekten ist das Ergebnis von Millionen Jahren der Koevolution zwischen eben diesen Pflanzen und Tieren. Die Blütenpflanzen, also insbesondere die Bedecktsamer wie Blumen, Gräser und alle fruchtausbildenden Pflanzen, zählen zu den erfolgreichsten Arten der gesamten Flora auf dem Planeten Erde.

VON SOLITÄREN UND STAATENBILDENDEN BIENEN

Die beschriebene Koevolution bestimmter Pflanzen, die mit optischen oder olfaktorischen Auffälligkeiten insbesondere Insekten anlockten, ihre Befruchtung zu unterstützen, und auf der anderen Seite die Insekten, die den Blütenstaub als eiweißreiche Nahrungsquelle und den angebotenen, süßen Nektarsaft entdeckten, liegt in tiefer Vergangenheit. Doch auch heute noch entwickeln sich artenübergreifend Kooperationen und Symbiosen. Viele davon entdecken und verstehen wir erst langsam. Nicht nur der darwinsche Kampf ums Überleben, Jeder gegen Jeden, bestimmt die evolutionäre Entwicklung, auch eine gegenseitige Kooperation unterstützt den Arterhalt und eine langfristige Sicherung des Überlebens (Pilze und Bäume als Beispiel).

Eine zweite Entwicklung, tief im Brunnen der Naturgeschichte, ist die des Sozialverhaltens bestimmter Tierarten, insbesondere bestimmter Insektenarten, der sozialen Bienen. Die Belege für die Ursprünge, Gründe und Bedingungen für die evolutionäre Entwicklung der Insektengruppe der Bienen (Apiformes) sind rar und unsicher, denn sie beginnt weit vor der Geschichte der Menschheit.

Naturforscher gehen heute davon aus, dass die heute sozial hochorganisierten Insektenarten aus denjenigen hervorgegangen sind, die eine geringere Organisationstruktur aufwiesen.

„Wir kennen keine heute lebenden staatenbildenden Insekten, die wir als unmittelbare Vorfahren der Honigbiene betrachten können.“ (Frisch 1993, S. 256).

Uns stellen sich mindestens zwei Fragen: Wie und warum verlief bei einigen Arten eine evolutionäre Entwicklung von den zu Beginn einzeln lebenden Insekten dahingehend, dass sie im Verbund ihre Tätigkeiten und Rollen spezialisierten und in großen Gemeinschaften zusammenwuchsen? Und: Wie und warum lebt dennoch die überwiegende Anzahl der uns heute im 21. Jahrhundert bekannten Bienenarten weiterhin als Einzelwesen und nur die Honigbiene in hoch sozialen Volksgemeinschaften?

Weltweit leben heute 20 000 bis 30 000 Bienenarten in fast allen Klimazonen der Erde. Viele werden immer noch neu entdeckt, klassifiziert und erstmalig beschrieben. In Europa nimmt die Diversität der Bienenarten von den skandinavischen Ländern in Richtung Süden zu. So zählt man auf den Britischen Inseln rund 300, in Spanien oder Italien rund 1000 Arten. In Deutschland leben gut 560 verschiedene Bienenarten (vgl. Westrich, 2018; Schindler, 2017), allerdings in drastisch abnehmender Tendenz (siehe dazu im Service unter: Krefelder Studie, S. 205).

Viele Menschen sind erstaunt, dass es neben der allseits bekannten Honigbiene so viele andere Bienenarten gibt, deren vielfältiges Aussehen und deren Lebensweise sich von der staatenbildenden Honigbiene so sehr unterscheiden. Mit „Bienen“ sind umgangssprachlich daher oftmals nur die Honigbienen gemeint und mit „wilden Bienen“ diejenigen Honigbienenvölker, die sich als Schwarm vom Muttervolk eines Imkers aufgemacht haben, um ein neues Zuhause zu finden oder ohne Eingriffe des Menschen im Wald dauerhaft leben.

Wildbienen

Den Begriff Wildbiene nutzte erstmalig 1791 der Insektenforscher J. L. Christ für die vielen Bienenarten, die zwar verwandt mit der Honigbiene sind, aber keine Lobby wie diese haben (da für den Menschen nicht profitabel). Ihre vielfältigen Lebensräume, Vermehrungsstrategien, Nahrungsquellen oder Nistplätze sind daher kaum erforscht. In „Die Wildbienen Deutschlands“ hat aktuell Paul Westrich (Westrich 2018) auf über 800 Seiten seine umfangreichen Recherchen zusammengestellt.

Bei manchen Arten sehen diese wilden Verwandten der Honigbiene täuschend ähnlich, andere sind viel kleiner und gleichen eher geflügelten kleinen Ameisen oder parasitieren bei denjenigen, denen sie ähneln. Sie bauen Zellen, sammeln Nektar und Blütenstaub und befruchten in Kooperation mit ihren hoch organisierten Verwandten die mannigfaltige Welt der Blütenpflanzen, teilweise hoch spezialisiert auf eine einzige Blütenart, oft in eigenartigen Lebensweisen und -formen. Die Aktions- und damit Sammelradien betragen dabei oft nur wenige Hundert Meter. Jedes Weibchen sorgt nach der Befruchtung allein für die Unterkunft und die Nahrung genau seiner Nachkommen, ohne sie jemals nach dem Schlupf zu Gesicht zu bekommen. Sie bauen ihre Nester im Freien unter Ästen, in leeren Schneckenhäusern, legen in hohlen Gängen ihre Nachkommen ab oder graben in Böden Gänge, an deren Enden die Eier sich, mit Futter versorgt, entwickeln.

Besetzte Nisthilfen für Wildbienen.

Bei manchen Arten hingegen bauen mehrere Weibchen gemeinsam Gänge und nutzen diese in nachbarschaftlicher Kooperation zur Eiablage. Noch weiter gehen die Arten, die gemeinsam Feinde abwehren oder in größerer Gesellschaft von Weibchen in einem verlockenden Unterschlupf überwintern. Doch dieser lockere Gemeinschaftssinn wirkt sich nicht auf die innere Aufgabenverteilung der Gruppe aus, es sind weiterhin Solitär- oder Einzelbienen.

Hummeln

Diese Bezeichnung trifft hingegen nicht mehr nur auf solche Insekten zu, deren Weibchen zwar im Frühjahr alleine beginnen, Nachkommen zu produzieren, aber diese so langlebig betreuen, dass sie ihre Kinder kennenlernen. Manche dieser Arten bilden in ihrem Grad der Sozialorganisation darüber hinausgehende Übergänge zu den hoch organisierten, spezielle Aufgaben verteilenden Sozialgemeinschaften.

Die bekannteste unter ihnen ist die Hummel, deren verschiedene Unterarten auch in die Familie der Echten Bienen (Apidae) eingeordnet werden. Sie ist die einzige Biene, die es – vielleicht durch ihre Art zu fliegen und ihre leichte Unterscheidung von der Vielzahl der anderen – geschafft hat, mit einem eigenen Namen in die Alltagssprache Einzug zu halten.

In Meisenkästen oder auch in einem Mäuseloch (siehe Hinweis auf Film im Service unter Hummeln), zwischen Grasbüscheln mitten in einer Wiese, zwischen Sträuchern oder unterirdisch, baut das Weibchen in einer solitären Phase zunächst ein handtellergroßes Wabennest, in der es seine ersten Eier ablegt. Sobald die ersten weiblichen Nachkommen aus den von der Mutter versorgten Zellen schlüpfen, übernehmen sie als „Hilfsweibchen“ die Versorgung der weiteren Nachkommenschaft. Nicht mehr nur im kommunalen Nebeneinander, sondern in einer sozialen Aufgabenverteilung wächst dann das Hummelvolk bis zu mehreren Hundert Individuen im Jahr heran. Darunter sind in der späteren Phase männliche und voll ausgebildete weibliche Hummeln, die das genetische Erbgut ins nächste Jahr tragen. Die wenigen geschlechtsreifen Weibchen, die noch im Spätsommer begattet werden, suchen im lockeren Boden oder in Erdlöchern, die im Frühjahr von der Sonne erwärmt werden, nach einem trockenen Unterschlupf, um die Kälte des Winters zu überstehen. Wenn den Jungköniginnen ihre bis in den Herbst hinein gesammelten Vorräte an Nektar und Pollen, in ihrem Körper eingelagert (bis zu 200 mg Nektar, das sind mehr als 1/4 des Lebendgewichts), ausreichen, beginnen sie ihrerseits, sehr früh im nächsten Frühjahr, einen geeigneten Nistplatz zu suchen, um ihre eigenen Völker aufzubauen.

Die alten Mütter hingegen, die Hummelköniginnen des Vorjahres, wie auch deren anderen Töchter und Söhne, verenden jedoch noch im ersten Jahr.

Während die Weibchen der Solitärbienen die Eier in ihre eigenen Nester legen, die kommunal lebenden Bienen sich z. B. Eingang oder Verteidigung teilen, bilden die Hummeln mit gemeinsamer Brutfürsorge und -pflege schon eine soziale Lebensgemeinschaft. Verschiedene Wespenarten, wie auch die größte in Mitteleuropa lebende Wespe, die Hornisse (Vespa crabro), gehören ebenso zu dieser Gruppe der sozialen Insekten.

Honigbienen

Die Honigbienen (damit sind hier und im Folgenden die Westliche Honigbiene, Apis mellifera, oder auch Europäische Honigbiene mit ihren Unterfamilien gemeint) bilden durch ihren Zusammenschluss von unabhängigen Organismen zu Superorganismen die nächste Stufe in der Hierarchie der Komplexität lebender Systeme. Bei ihnen haben sich

eine gemeinsame Nestgründung,

eine Teilung in fruchtbare Geschlechtstiere und unfruchtbare Hilfstiere,

eine gemeinsame, kooperative Brutfürsorge und -pflege durch mehrere Tiere,

mehrere unterscheidbare Teilgruppen (Kasten), die arbeitsteilig verschiedene Aufgaben erfüllen,

ein Zusammenleben mehrerer Generationen (Mutter mit ihren Töchtern und Söhnen),

eine gemeinsame Nahrungsbeschaffung, -bevorratung und -verteilung zur Überbrückung von Mangelzeiten, insb. der Überwinterung und

der soziale Futteraustausch unter den erwachsenen Tieren (Trophallaxis), in der evolutionären Entwicklung ausgebildet.

Brutfürsorge und Brutpflege von solitär bis hoch eusozial (nach Schindler 2017).

Diese verschiedenartige Ausprägung von (eu-)sozialem Miteinander findet sich sowohl in der gegenwärtigen Tiervielfalt wieder als auch in der Entwicklungsgeschichte, die sich scheinbar wie in einer aufsteigenden Komplexität des Zusammenlebens von Einzelwesen zu hoch eusozialen Lebensgemeinschaften entwickelt hat.

Symbiosen, Räuber und Parasiten der Bienen

Keine dieser solitär bis hin zu den hoch eusozial lebenden Lebensformen ist dabei gegen Feinde vollkommen geschützt. Denn parallel zu dieser kooperativen Entwicklung entwickelten und bilden sich damals wie heute in Fauna und Flora immer auch solche Arten aus, die in einer symbiotischen, räuberischen oder parasitären Art und Weise ihren Fortbestand sichern und sich anpassen. 30 % aller Bienenarten leben parasitär. Nicht selten haben sich die einen aus den anderen entwickelt oder sind sogar nahe miteinander verwandt (siehe dazu die umfangreich bebilderten Ausführungen in Westrich 2018, S. 81 f.).

Kein Lebewesen existiert für sich alleine, keines kann ohne die Vielzahl anderer Lebensformen existieren. Die dabei von uns definierte Unterscheidung zwischen Nützling und Schädling hat sich in unserer Sprache tief verfestigt. Für ein Bienenvolk in einem hohlen Baum ist das am Höhlenboden entstandene Biotop existenziell lebensnotwendig und nicht nach Nützling und Schädling unterscheidbar. Das vom „Vormieter“ hinterlassene und durch eigene Hinterlassenschaft gebildete Gemüll bildet einen Teil der Lebensgemeinschaft. Zwischen den darin lebenden Spinnentieren, Asseln und vielzähligen Mikroorganismen besteht eine gegenseitige Abhängigkeit von Fressen-und-gefressen-Werden bzw. von Gesundheitssymbiosen. Der Übergang von nützlichen und feindlichen Mitbewohnern ist dabei fließend und oft gar nicht zielführend beim Versuch, die gemeinsamen Lebensräume zu beschreiben.

Auch die solitär lebenden Bienen sind in ihrem oft kleinen Lebensraum mit einer Vielzahl von Pflanzen und Tieren verknüpft. Manchmal leben sie in großen Kolonien der gleichen Art nahe zusammen und schlüpfen zeitgleich mit ihren Artgenossen aus dem Boden. Wie bei manchen Mücken-, Fliegen- oder Schmetterlingsarten finden sich nahezu gleichzeitig viele Individuen ein, um so eine Befruchtung und damit Vermehrung sicherzustellen. Hunderte bis Tausende bodenbrütender Wildbienen kann man daher an einem Sommertag bodennah fliegen sehen. Auch vor den vom Menschen gebauten Nisthilfen (Insektenhotels) sieht man sie dann an bestimmten, warmen Frühsommertagen in großer Anzahl, zunächst die schlüpfenden männlichen Wildbienen, die schon auf die kurze Zeit später folgenden, weiblichen Artgenossen warten, um sie zu begatten.

Die Anzahl der Individuen wird auch hier von den ihnen gegenüberstehenden parasitären und räuberischen Arten begrenzt. Kleptoparasitäre Bienenarten haben es auf Futter, Baumaterial oder gar auf die Brut abgesehen. Sie stehlen diese oder übernehmen direkt das gesamte Nest. Nur die Sozialparasiten sind noch radikaler: Diese Arten bauen erst gar kein eigenes Nest oder sorgen sich um Futter, sondern lassen ihre Brut direkt von anderen Bienen aufziehen. Westrich nennt z. B. die Kuckuckshummel (Bombus-Psithyrus) als typisches Beispiel eines Sozialparasiten (vgl. Westrich 2018, S. 82).

Neben den vielen anderen Lebewesen, die mit den Bienen in einem ausgeglichenen Wechselspiel stehen, sind die Vögel besonders zu erwähnen, nicht als Räuber, sondern eher als Nutznießer und Entsorger. Sie profitieren von den vielen meist kurzlebigen Insekten oder aber auch von den Larven der Bienen, die sie manchmal auch aus Nisthilfen herauspicken. Die Bedeutung als Nahrungsspender im Naturgefüge wird deutlich, wenn man bedenkt, dass ein einziges Honigbienenvolk den Vögeln pro Jahr in einer Größenordnung von bis zu einigen Kilogramm Nahrung in Form von toten Bienen anbietet.

VON BIENEN UND MENSCHEN