Aufbruch zum Mond - James R. Hansen - E-Book
SONDERANGEBOT

Aufbruch zum Mond E-Book

James R. Hansen

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Am 21. Juli 1969 hält die Welt den Atem an: Neil Armstrong setzt als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond. So berühmt Armstrong dadurch wurde, so wortkarg und scheu trat er in der Öffentlichkeit auf. James Hansen gewährte er erstmals exklusiven Zugang zu privaten Dokumenten und persönlichen Quellen. Von Armstrongs Kindheit bis zum unfassbaren Ruhm durch die Apollo-11-Mission und Armstrongs Beteiligung an der Untersuchung der Challenger-Katastrophe - First Man erzählt das Leben eines Mannes, dessen "kleiner Schritt" Geschichte schrieb.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 689

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zum Autor:

Dr. James R. Hansen hat als Historiker für die NASA gearbeitet und ist heute Professor für Geschichte an der Auburn University, Alabama. Er hat bereits zehn Bücher über die Geschichte der Luft- und Raumfahrt veröffentlicht und wurde dafür vielfach ausgezeichnet. Er lebt in Auburn, Alabama.

Zum Buch:

Am 21. Juli 1969 hält die Welt den Atem an: Neil Armstrong setzt als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond. So berühmt Armstrong dadurch wurde, so wortkarg und scheu trat er in der Öffentlichkeit auf. James Hansen gewährte er erstmals exklusiven Zugang zu privaten Dokumenten und persönlichen Quellen. Von Armstrongs Kindheit bis zum unfassbaren Ruhm durch die Apollo-11-Mission und Armstrongs Beteiligung an der Untersuchung der Challenger-Katastrophe - First Man erzählt das Leben eines Mannes, dessen „kleiner Schritt“ Geschichte schrieb.

JAMES R. HANSEN

AUFBRUCH

ZUM MOND

NEIL ARMSTRONG –

DIE AUTORISIERTE BIOGRAFIE

Übersetzt aus dem Amerikanischen von Elisabeth Schmalen

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel First Man – The Life of Neil A. Armstrong bei Simon & Schuster Paperbacks, An Imprint of Simon & Schuster, Inc., New York.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe 09/2018

© 2005 by James R. Hansen

This Simon & Schuster trade paperback edition April 2018

© der deutschsprachigen Ausgabe 2018 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Ralf Dürr

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Covermotiv: © 2018 UNIVERSAL STUDIOS. ALL RIGHTS RESERVED

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-22412-7V003

www.heyne.de

Für Isabelle, Mason und Luke

Inhalt

Vorwort

Prolog: Der Start

TEIL EINS: Nachwuchspilot

KAPITEL 1Eine amerikanische Familiengeschichte

KAPITEL 2Smallville

KAPITEL 3Aufstieg in luftige Höhen

KAPITEL 4Einführung in die Luftfahrttechnik

TEIL ZWEI: Navy-Pilot

KAPITEL 5Goldene Schwingen

KAPITEL 6Kampfstaffel 51

TEIL DREI: Testpilot

KAPITEL 7Über der Wüste

KAPITEL 8Am Rand des Weltalls

KAPITEL 9Der schlimmste Verlust

KAPITEL 10Auf zu neuen Ufern

KAPITEL 11Das Geheimnis

TEIL VIER: Astronaut

KAPITEL 12 Trainingstage

KAPITEL 13Warten auf den Einsatz

KAPITEL 14Gemini VIII

KAPITEL 15Die Frau des Astronauten

KAPITEL 16Für ganz Amerika

TEIL FÜNF: Apollo-Kommandant

KAPITEL 17Aus der Asche

KAPITEL 18Ohne Flügel auf den Mond

KAPITEL 19Freundlich gesinnte Fremde

KAPITEL 20Die große Frage

KAPITEL 21Vorbereitungen auf die Mondmission

TEIL SECHS: Mondfahrer

KAPITEL 22Unterwegs

KAPITEL 23Die Landung

KAPITEL 24Ein kleiner Schritt

KAPITEL 25Rückkehr zur Erde

KAPITEL 26Für die ganze Menschheit

TEIL SIEBEN: Ikone

KAPITEL 27Am Boden geblieben

KAPITEL 28Ingenieur auf Lebenszeit

KAPITEL 29Die dunkle Seite des Mondes

KAPITEL 30Herzensangelegenheiten

Dank

Literaturverzeichnis

Hinweis zu den Quellen

Bildnachweis

Vorwort

Wenn Neil Armstrong heute noch am Leben wäre, wie würde er sich dann das Vorwort zu dieser neuen Ausgabe seiner Biografie wünschen, die kurz vor dem 50. Jahrestag der Apollo-11-Mission erscheint? Ich weiß genau, was er zu mir gesagt hätte, wenn ich ihm diese Frage gestellt hätte: »Jim, es ist dein Buch. Du bist der Autor, nicht ich. Du solltest den Anfang so schreiben, wie es dir am passendsten erscheint.«

Denn so war Neil Armstrong. Sobald er mir schließlich zugesagt hatte, mich beim Aufschreiben seiner Lebensgeschichte zu unterstützen – ich brauchte fast drei Jahre, von 1999 bis 2002, um ihm das abzuringen –, wollte er, dass das Buch eine unabhängige, faktenreiche Biografie wird. Er ließ sich insgesamt 55 Stunden lang von mir interviewen und willigte ein, die Rohfassung jedes Kapitels zu lesen und mit Kommentaren zu versehen. Doch kein einziges Mal versuchte er meine Analysen oder Deutungen zu verändern oder gar zu beeinflussen. Später weigerte er sich auch rundheraus, das Buch zu signieren. Nicht er habe es geschrieben, meinte er zu den Leuten, sondern Jim. Ich bat ihn einmal, zwei Exemplare für meine Kinder zu signieren. Er sagte, er werde darüber nachdenken. Ich fragte kein zweites Mal nach, und er sprach das Thema nie wieder an. Es stand ihm eben einfach nicht zu, das Buch mit seiner Unterschrift zu versehen. Auch das war typisch für Neil.

Also, was schreibe ich nun in das Vorwort dieser Ausgabe zum 50. Jahrestag der Apollo-11-Mission?

Ich möchte dem Buch gern einige Worte voranstellen, die auch Neil in diesem historischen Augenblick in der Geschichte der Erforschung des Weltalls für wichtig befunden hätte: Zwischen 2018 und 2022 feiert die Welt nicht nur das Jubiläum der ersten Mondlandung, sondern das von insgesamt zehn erstaunlichen NASA-Missionen eines jungen und zukunftsweisenden Raumfahrtprogramms, das bemerkenswert rasch und erfolgreich ausgeführt wurde, in Form eines monumentalen Unterfangens, dessen Name zur Legende wurde: Apollo. Von der gewagten Mondumkreisung durch Apollo 8 im Dezember 1968 bis zur letzten Mondlandung durch die kühnen Astronauten von Apollo 17 im Dezember 1972 sah die Welt dabei zu, wie amerikanische Astronauten ihren Heimatplaneten verließen, um einen anderen, 400000 Kilometer weit entfernten Himmelskörper zu betreten. Der herausragendste Tag war dabei der 20. Juli 1969, an dem mit Apollo 11 die historische erste »bemannte« Landung auf dem Mond gelang.

Nach langem Überlegen, wie ich dieses Buch beginnen soll, erinnerte ich mich an ein Gespräch, das ich 2009 mit Neil geführt hatte – vier Jahre nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe von First Man und vierzig Jahre nach Apollo 11. Unsere Unterhaltung drehte sich um einen der Gegenstände, die Neil 1969 bewusst auf dem Mond zurückgelassen hatte: eine winzige Siliziumplatte, auf der in mikroskopisch kleiner Schrift »Grußbotschaften« von Staatsoberhäuptern aus 73 Ländern auf der ganzen Welt enthalten waren.

Neils Erinnerungsvermögen war oft hervorragend, auch wenn er von Natur aus vergesslich war, wenn es um Themen ging, die für ihn keine große Rolle spielten. In unserem Gespräch fragte ich ihn, an welche dieser Botschaften er sich noch erinnerte und welche ihn am meisten beeindruckt hatten. Er nannte drei, die er mir alle treffend zusammenfasste und zum Teil sogar recht akkurat wiedergab. Sie stammten von den Staatsoberhäuptern der Elfenbeinküste, von Belgien und Costa Rica. Als ich nach Hause zurückkehrte, las ich mir jede der Botschaften, die Neil erwähnt hatte, und auch die siebzig übrigen durch – Neil hatte tatsächlich drei der besten ausgesucht.

Neil ist nun seit sechs Jahren tot. Im Verlauf dieser Zeit wurde uns allen, die ihn gut kannten, immer klarer, was für ein außergewöhnlicher Mensch er war, wie einzigartig sein Wesen und seine Erfolge waren und wie sehr wir ihn vermissen. Mit diesem zeitlichen Abstand können wir nicht nur sein gesamtes Leben darstellen, reflektieren, einordnen und würdigen, sondern uns auch der Frage widmen, was von ihm dauerhaft bleiben wird.

Bei allem, was er in seinem Leben tat, verkörperte Neil die wichtigsten Eigenschaften und Werte eines herausragenden Menschen: Hingabe, Zuverlässigkeit, Selbstvertrauen, Entschiedenheit, Innovationsstreben, Loyalität, eine positive Einstellung, Respekt anderen gegenüber, Integrität, Unabhängigkeit, Urteilsfähigkeit und vieles mehr. Niemand hätte die Menschheit beim Betreten eines anderen Himmelskörpers besser repräsentieren können als Neil. Und keiner hätte besser mit dem strahlenden Glanz des internationalen Ruhms oder der plötzlichen Verwandlung in eine Ikone umgehen können als Neil. Es lag in seinem sanften und bescheidenen Wesen, die Öffentlichkeit zu meiden und an der Realität seines gewählten Berufes als Ingenieur festzuhalten; er war einfach nicht der Typ, der die in seinen Augen unverdienten Auswirkungen seines Namens und seines Rufes auskostete.

Jede Analyse der ruhigen und zurückhaltenden Lebensweise, die Neil nach Apollo 11 pflegte, der Art, wie er in all den darauffolgenden Jahren die öffentliche Aufmerksamkeit mied, muss dem Betrachter vor Augen führen, dass Neil über eine besondere Sensibilität verfügte, die untrennbar mit seinem Wesen verbunden war: Es war, als hätte er gewusst, dass die Leistung, zu der er seinem Land im Sommer 1969 verhalf – die historische Landung der ersten Menschen auf dem Mond und ihre sichere Rückkehr zur Erde – vom lauten Kommerz unserer modernen Welt, ihren überflüssigen Fragen, ihrem leeren Gerede unerbittlich herabgesetzt werden würde. Auf einer zutiefst persönlichen Ebene verstand Neil nicht nur, was für eine überragende Erfahrung er gemacht hatte, sondern auch, was für eine überragende Erfahrung das für die ganze Welt war, für uns alle, und er wusste es zu schätzen.

Neil gehörte zu einer ganzen Riege von Leuten, denen die ersten Flüge ins Weltall gelangen – und er hat stets die gemeinschaftlichen Bemühungen der 400000 Amerikaner betont, die hinter dem Erfolg von Apollo steckten. Er stand an der Spitze der Pyramide, ja, doch es war keineswegs vorherbestimmt gewesen, dass er zum Kommandanten der ersten Mondlandung oder zum ersten Menschen auf der Mondoberfläche wurde. Wie er selbst immer erklärte, war es größtenteils Glück, ein Zusammenwirken der Umstände. Dennoch hatte er seinen Beitrag geleistet, und er verstand, welche großen Opfer, welch ein herausragendes Engagement und welch eine außerordentliche menschliche Kreativität nötig gewesen waren, um das zu erreichen. Er war sehr stolz auf die Rolle, die ihm bei der ersten Mondlandung zugefallen war, aber er nutzte das nicht für eine Zirkusnummer oder als Gelddruckmaschine aus. Nicht dass Neil nach Apollo 11 ein Einsiedlerdasein fristete – das ist ein Mythos, den frustrierte Journalisten erfunden haben, denen er kein Interview geben wollte. Er führte nach der Mondlandung ein sehr aktives Leben, indem er viele weitere Erfolge feierte, in der Lehre, in der Wissenschaft, in der freien Wirtschaft und in der Erforschung der Welt – und all das auf ehrenwerte und integre Weise.

Als Motto, das ich First Man voranstellen möchte, habe ich ein Zitat des amerikanischen Mythologen Joseph Campbell ausgewählt, das ich für sehr tiefsinnig halte. Dieser Satz lautet: »Das Privileg der Lebenserfahrung besteht darin, zu sein, wer man ist.« Neil Armstrong genoss dieses Privileg, und wir alle sollten uns freuen, dass es sich für ihn so ergab – und für uns.

James R. Hansen

März 2018

Das Privileg der Lebenserfahrung besteht darin, zu sein, wer man ist.

– JOSEPH CAMPBELL, REFLECTIONS ON THE ART OF LIVING

PROLOG

Der Start

Nachdem die Mondmission vorbei und die Apollo-11-Besatzung wieder zur Erde zurückgekehrt war, meinte Buzz Aldrin zu Neil Armstrong: »Neil, wir haben das Ganze verpasst.«

Am Cape Kennedy in Florida versammelten sich in den Tagen vor Mittwoch, dem 16. Juli 1969, annähernd eine Million Menschen, die größte Menschenmenge, die je zu einem Raketenstart kam. Fast tausend Polizisten und Bootspatrouillen bemühten sich am Abend vorher darum, die etwa 350000 Autos und Schiffe auf den Straßen und Wasserwegen in Bewegung zu halten.

Trotz der glühenden Hitze, die schon am Vormittag die dreißig Grad überschritt, trotz aller Moskitostiche, trotz der Staus und der gesalzenen Touristenpreise wartete eine große Masse Menschen geduldig darauf, dass die gewaltige Saturn-V-Rakete die Apollo 11 Richtung Mond schoss.

Auf einem großen Motorkreuzer im Besitz des Unternehmens North American Aviation, dem Erbauer des Apollo-Kommandomoduls, standen Janet Armstrong, die Frau des Kommandanten von Apollo 11, und ihre beiden Söhne, der zwölfjährige Rick und der sechsjährige Mark, und warteten nervös auf den Start.

Über ihnen brachten Hubschrauber die VIP-Gäste grüppchenweise zu den reservierten Plätzen auf den Tribünen, die nur rund fünf Kilometer von der Startrampe entfernt und damit am nächsten dran waren. Vizepräsident Spiro T. Agnew saß auf der Tribüne, während Präsident Richard M. Nixon den Start über einen Fernseher im Oval Office verfolgte. Ursprünglich hatte das Weiße Haus geplant, dass Nixon am Abend vor dem Abflug zusammen mit der Besatzung zu Abend essen sollte, doch dieses Vorhaben wurde gekippt, nachdem die Presse Dr. Charles Berry, den für die Astronauten zuständigen Arzt, mit den Worten zitierte, der Präsident könne unwissentlich eine aufkommende Erkältung in sich tragen.

Aus dem Pressebereich des Kennedy Space Center heraus verfolgten 2000 Reporter den Start. Die Mondlandung war ein globales Ereignis, das fast alle Menschen für wichtiger hielten als die politische Situation. In einem niederländischen Leitartikel wurde das Land als »mondverrückt« bezeichnet. Ein tschechoslowakischer Kommentator bemerkte: »Dies ist das Amerika, das wir lieben, es ist ganz anders als das Amerika, das in Vietnam kämpft.« Selbst die Franzosen hielten Apollo 11 für »das größte Abenteuer in der Geschichte der Menschheit«.

Doch nicht überall war die Berichterstattung positiv. In Hongkong attackierten kommunistische Zeitungen die Mission als Ablenkungsmanöver von der Unfähigkeit der Amerikaner, den Vietnamkrieg zu gewinnen, und erklärten die Mondlandung zu einem Versuch, »den Imperialismus auf das Weltall auszudehnen«. Andere erhoben den Vorwurf, der Materialismus des amerikanischen Raumfahrtprogramms werde die Faszination und die ätherische Schönheit des geheimnisvollen Mondes ruinieren, der seit Menschengedenken in Legenden gehüllt sei.

Ein Großteil der direkten Augenzeugen versammelte sich am und rund um das Kap in der Erwartung, einen der beeindruckendsten Anblicke der Menschheitsgeschichte mitzuerleben. Der CBS-Kommentator Heywood Hale Broun, der für seine respektlose Sportberichterstattung bekannt war, erlebte den Start gemeinsam mit Tausenden anderer Menschen am Cocoa Beach, etwa 25 Kilometer von der Startrampe entfernt. Er berichtete den Dutzenden Millionen, die die Sendung schauten: »Bei einem Tennisspiel geht der Blick hin und her. Bei einem Raketenstart geht er höher und höher, die Augen schauen immer weiter nach oben, und auch die Hoffnung steigt, bis schließlich die ganze Menschenmenge wie eine riesige, vieläugige Krabbe nach oben starrte, ohne einen Ton zu sagen. Es war ein leises ›Aah‹ zu hören, als die Rakete abhob, aber danach gab es nur noch die in die Höhe wandernden Blicke. Das war die Poesie der Hoffnung, wenn man so will, unausgesprochen, aber doch deutlich vernehmbar in den konzentrierten Gesten der Leute, deren Blick mit der Rakete immer weiter aufstieg.«

Mitten in Ohio, mehr als 1600 Kilometer von den Tribünen in Florida entfernt, zählte Armstrongs kleine Heimatstadt Wapakoneta die verbleibende Zeit bis zum Start herunter. Die Straßen waren wie leer gefegt, fast alle der 6700 Bewohner klebten vor den Fernsehgeräten. Im Zentrum des Geschehens stand das einstöckige Haus mit der Adresse 912 Neil Armstrong Drive, das einem Farmhaus nachempfunden war und in das Viola und Steve Armstrong erst ein Jahr zuvor eingezogen waren. Beim Start von Gemini VIII 1966 waren Neils Eltern vor Ort dabei gewesen. Ihr Sohn hatte ihnen auch den Besuch des Starts von Apollo 10 im April organisiert. Doch bei diesem Flug hatte er ihnen geraten, zu Hause zu bleiben, denn am Kap »könnte der Druck zu groß werden«. In den Monaten vor dem Start war das Paar »von Reportern aller Art belagert« worden. Viola erinnerte sich: »Ihre neugierigen Fragen zehrten an meiner Kraft und an meinem Nervenkostüm. Ich habe die Zeit nur dank Gottes Gnade überstanden. Er muss ständig an meiner Seite gewesen sein.«

Um während der Zeit der Mission aus Wapakoneta übertragen zu können, hatten die drei großen Senderverbünde gemeinsam einen 25 Meter hohen Sendemast auf der Auffahrt der Armstrongs aufgestellt. Die Garage war in ein Pressezentrum verwandelt worden, mit einem wilden Durcheinander von Telefonen auf klappbaren Campingtischen, und die NASA hatte Tom Andrews geschickt, einen Protokollbeamten, der die Armstrongs dabei unterstützen sollte, mit der Schar von Reportern fertigzuwerden. Da Neils Eltern immer noch nur einen alten Schwarz-Weiß-Fernseher besaßen, stellten ihnen die Senderverbünde ein großes Farbgerät zur Verfügung, auf dem sie die Mission verfolgen konnten.

Der stolze Bürgermeister von Wapakoneta verordnete, dass jedes Haus und jedes Geschäft in der Stadt vom Morgen des Starts an bis zur sicheren Heimkehr der »Jungs« mit einer amerikanischen Flagge geschmückt zu sein hatte. Bei einigen Einwohnern wirkte sich die mediale Aufmerksamkeit auch auf das Erinnerungsvermögen aus. Manche erzählten sogar frei erfundene Geschichten über ihre spezielle Verbindung zum Astronauten.

Da die Telefonnummer der Armstrongs in Auglaize County bekannt war, richtete Tom Andrews zwei private Telefonanschlüsse im Hauswirtschaftsraum neben der Küche ein. Am Tag vor dem Start rief Neil seine Eltern gegen Mittag vom Kap aus dort an. Viola erinnerte sich: »Er klang fröhlich. Er meinte, sie seien bereit für den Start am nächsten Tag. Wir baten Gott, über ihn zu wachen.«

Neils Bruder und seine Schwester waren beim Start in Florida vor Ort. June, ihr Mann Dr. Jack Hoffman und ihre sieben Kinder waren aus ihrer Heimat in Menomonee Falls, Wisconsin, dorthin geflogen. Dean Armstrong, seine Frau Marilyn und die drei Kinder waren aus Anderson, Indiana, wo sie wohnten, nach Florida gefahren. Viola blieb dieser ganz besondere Morgen bis zu ihrem Tod klar in Erinnerung: »Besucher, Nachbarn und Fremde kamen zusammen, um zuzuschauen und zuzuhören, darunter auch meine Mutter Caroline, meine Cousine Rose und mein Pfarrer, Reverend Weber. Stephen und ich saßen nebeneinander und trugen als Glücksbringer die Anstecknadeln von Gemini VIII, die Neil uns gegeben hatte.«

»Es schien, als sei unser Sohn seit dem Augenblick seiner Geburt – oder sogar noch länger, schon als die Vorfahren der Familie meines Mannes und meiner eigenen vor Jahrhunderten noch in Europa lebten – für diese Mission vorherbestimmt gewesen.«

TEIL EINS

Nachwuchspilot

Ich bin in Ohio geboren und aufgewachsen, knapp 100 Kilometer nördlich von Dayton. Die Geschichten über die Leistungen der Gebrüder Wright und ihre Erfindung des Flugzeugs kenne ich, seit ich denken kann … Ursprünglich interessierte mich vor allem der Flugzeugbau, nicht das Fliegen selbst. Man konnte keinen Erfolg mit einem Modell haben, das nicht gut konstruiert war.

– NEIL A. ARMSTRONG ZUM AUTOR, 13. AUGUST 2002

KAPITEL 1

Eine amerikanische Familiengeschichte

Neil Armstrong verstand, dass weder seine Lebensgeschichte noch die irgendeines anderen Menschen mit der Geburt beginnt. Sie reicht weit in die Vergangenheit, in den Stammbaum der Familie zurück, Hunderte Jahre, soweit es Erinnerungen, historische Überlieferungen und Aufzeichnungen gibt. Es ist ein Betrug an jeder Lebensgeschichte, die Vergangenheit der Familie zu ignorieren. Neil bestand darauf, dass seine Biografie diesen Teil der Geschichte enthielt.

Außerdem lag ihm sehr am Herzen, dass die Geschichte seiner Vorfahren wie bei so vielen amerikanischen Familien von Einwanderern und deren mutiger Entscheidung, in ein neues Land aufzubrechen, geprägt war – es war eine »typisch amerikanische Familiengeschichte«, wie er es einst nannte.

Neil lagen Amerika und seine Geschichte sehr am Herzen. Ihm gefiel, wofür das Land schon vor seiner Entstehung im Kampf um die Unabhängigkeit vom Mutterland England zwischen 1776 und 1783 gestanden hatte.

Für Neil galt: »Amerika ist das Land der Möglichkeiten. So war es schon zu Beginn. Die frühen Siedler kamen in die neue Welt, um ihre Religion gemäß ihren Überzeugungen ausüben und sich eine Zukunft auf der Grundlage ihrer Initiative und ihrer harten Arbeit aufbauen zu können. Sie entdeckten ein neues Leben, das mit der Freiheit einherging, individuelle Ziele zu erreichen.«

In Neils Fall reicht die Vergangenheit der Familie mehr als 300 Jahre zurück, bis zu seinen ersten bekannten Vorfahren Ende des 17. Jahrhunderts. Väterlicherseits entstammt Neils Familie einem Clan von Armstrongs, der sich ab dem Spätmittelalter in den berüchtigten »Borderlands« zwischen Schottland und England ausbreitete. Eine kleine Gruppe unerschrockener Armstrongs überquerte vier Jahrzehnte vor der Amerikanischen Revolution den Atlantik. Deren Nachkommen zogen dann in Wagen und Booten stetig Richtung Westen, über die Appalachen hinweg. Sie zählten zu den kühnsten Pionieren dieser Zeit und ließen sich schließlich kurz nach dem Britisch-Amerikanischen Krieg in der fruchtbaren Region im Nordwesten von Ohio nieder.

Schon die Geschichte des Namens »Armstrong« ist schillernd. Er ist anglo-dänischen Ursprungs und bedeutet das, was er sagt – »starker Arm«. Im Lauf des 15. Jahrhunderts entwickelte sich der Armstrong-Clan zu einer bedeutenden Macht in den Borderlands. Im 16. Jahrhundert zählte die Familie unzweifelhaft zu den unverwüstlichsten Viehdieben – die Armstrongs waren also Banditen und Räuber. Ihr jahrzehntelanges, immer ausgedehnteres Treiben zwang die Krone schließlich, dem Unwesen Einhalt zu gebieten.

Adam Armstrong, der 1638 in den Borderlands geboren wurde und dort 1696 starb, bildet die erste von zehn Generationen vor dem ersten Menschen auf dem Mond. Adam hatte zwei Söhne, von denen einer ebenfalls Adam hieß und 1685 im englischen Cumbria zur Welt kam. Dessen Sohn Adam Abraham Armstrong III überquerte Mitte der 1730er-Jahre gemeinsam mit seinem Vater den Atlantik, was sie zu den ersten Vorfahren von Neil macht, die nach Amerika auswanderten.

Die Armstrongs zählten zu den ersten Siedlern der Conococheague-Region in Pennsylvania. 1818 ließ sich John Armstrong, der Enkel von Adam Abraham, mit seiner Familie am Westufer des St. Marys River in Ohio nieder. Die ersten Ernten brachten so viel ein, dass die Armstrongs das sechzig Hektar große Stück Land erstehen konnten, das zur »Armstrong-Farm« wurde, dem ältesten Hof in Auglaize County.

David Armstrong, das älteste von Johns Kindern, und Margaret Van Nuys waren Neils Urgroßeltern väterlicherseits. Ihr Sohn Stephen Armstrong erhielt an seinem 21. Geburtstag das Erbe seines Großvaters, Geld und Güter im Wert von rund 200 Dollar. Er heiratete Martha Watkins Badgley, die 1867 den Sohn Willis zur Welt brachte. Als Stephen 1884 im Alter von 58 Jahren starb, besaß er mehr als 160 Hektar Land, das sein Sohn Willis erbte, der drei Jahre später Lillian Brewer heiratete. Das Paar bekam fünf Kinder und wohnte in einem Bauernhaus an der River Road. 1901 starb Lillian im Kindbett. Willis heiratete 1905 Laura Koenig. Das Paar wohnte zunächst in einem Haus, das Willis in St. Marys gekauft hatte. Später zogen sie in ein beeindruckendes viktorianisches Eckhaus an der West Spring Street um.

Hier wuchs Stephen Koenig Armstrong, Neils Vater, auf. Er war das erste von zwei Kindern von Willis und Laura und kam 1907 zur Welt, freudig begrüßt von seinen Halbschwestern Bernice und Grace und seinen Halbbrüdern Guy und Ray. Seine Kindheit war von unglücklichen wirtschaftlichen Entscheidungen und einer Pechsträhne der Familie geprägt. Willis nahm eine Hypothek auf die Farm auf und investierte auf Anraten seines Schwagers einen Großteil seines Geldes in ein Eisenbahnprojekt. Doch leider zahlte sich das nicht aus, und die daraus resultierende finanzielle Katastrophe lastete schwer auf den Familienbeziehungen, auch auf Willis’ Ehe.

1912 starb Stephens Halbbruder Guy, und 1914 brannte das Haus der Armstrongs ab. Der sechsjährige Stephen entkam nur mit den Kleidern, die er am Leib trug. 1916 ging Willis nach Kansas, um sein Glück auf den Erdölfeldern zu suchen. Als er Anfang 1919 nach Ohio zurückkehrte, zog die Familie innerhalb weniger Wochen zurück auf die Farm an der River Road, obwohl diese noch mit einer Hypothek belastet war. Da Willis schon bald darauf von einer chronischen Arthritis am Arbeiten gehindert wurde, musste Stephen die Felder bestellen; er konnte nur weiter zur Schule gehen, weil seine Mutter darauf bestand.

Noch bevor er die Highschool 1925 abschloss, hatte er entschieden, sein Leben nicht als Farmer zu verbringen. Kurze Zeit später verliebte er sich in eine zurückhaltende junge Frau namens Viola Louise Engel.

Stephen Armstrongs Familie lebte bereits seit mehr als einem Jahrhundert in Amerika, als Violas in Deutschland geborener Großvater, Friedrich Wilhelm Kötter, im Oktober 1864 im Hafen von Baltimore ankam. Seine Familie hatte einen Teil ihres Hofes in Westfalen verkauft, damit der achtzehnjährige Fritz nicht vom preußischen Militär eingezogen wurde und sich so die Überfahrt nach Amerika finanzieren konnte.

Dort kam Friedrich in den kleinen Ort New Knoxville, Ohio. Ein Bundesstaat, in dem über 200000 deutsche Auswanderer lebten, übte auf den Jungen natürlich eine gewisse Anziehungskraft aus. Anfang der 1870er-Jahre heiratete er, nachdem er gut dreißig Hektar Land erstanden hatte, eine Tochter deutscher Auswanderer, Maria Martha Katterheinrich. Das Paar amerikanisierte seinen Namen und nannte sich nun Katter. Es hatte sechs Söhne und eine Tochter, Caroline, die 1888 geboren wurde. Caroline heiratete den Metzger Martin Engel und brachte 1907 ihr einziges Kind Viola zur Welt. Violas Familie gehörte der Reformierten Kirche in St. Paul an, deren Lehren auf Martin Luthers Katechismus basierten. Die junge Viola wuchs sehr fromm auf und blieb es ihr Leben lang.

Martin Engel starb am 4. Mai 1909 an Tuberkulose. Einige Jahre später lernte Caroline den Farmer William Ernst Korspeter kennen, die beiden heirateten 1916.

Viola war ein schlankes, bescheidenes Mädchen mit sehr guten Noten, das seit dem achten Lebensjahr Klavier spielte und für seine Liebe zur Musik bekannt war. Diese Leidenschaft gab sie an ihren Sohn Neil weiter, neben Erfindungsreichtum, Organisationsfähigkeit und Durchhaltevermögen.

Eigentlich war es Violas höchstes Ziel, ihr Leben Jesus Christus zu widmen und Missionarin zu werden, doch das verhinderten ihre Eltern. Stattdessen arbeitete sie als Angestellte in einem Kaufhaus und verdiente zwanzig Cent pro Stunde. Zu der Zeit begann Viola sich mit Stephen Armstrong zu treffen, der gerade die Highschool abgeschlossen hatte. Die beiden sprachen bei einem Jugendgruppentreffen der Reformierten Kirche von St. Paul zum ersten Mal miteinander, und das Feuer der jungen Liebe überdeckte die vielen Unterschiede zwischen ihnen – Unterschiede, die im Lauf der Jahre immer deutlicher zutage traten, bis Viola sich im hohen Alter schließlich insgeheim fragte, ob es eigentlich richtig gewesen war, einen so unreligiösen Mann zu heiraten.

Doch diese Frage stellte sich erst viele Jahre später. An Weihnachten 1928 tauschten Viola und Stephen Verlobungsringe aus, und am 8. Oktober 1929 heirateten sie. In den Flitterwochen fuhr das Paar ins 100 Kilometer entfernte Dayton – es war die erste gemeinsame Reise. Zwei Wochen später kam es zum Börsencrash an der Wall Street, und die Wirtschaftskrise begann.

Stephen holte Viola ins Bauernhaus an der River Road, wo sie seine Mutter bei der Hausarbeit unterstützte. Er selbst ging nach Columbus, um die Aufnahmeprüfung für den Staatsdienst abzulegen, und wurde im Februar 1930 der Assistent des Hauptrechnungsprüfers von Columbiana County. Daraufhin trafen die Armstrongs die nötigen Vorbereitungen, um die Farm zu verkaufen und Stephens Eltern in ein kleines Haus in St. Marys umzusiedeln. Mitte Mai 1930 legten Stephen und Viola, die mittlerweile im sechsten Monat schwanger war, die 370 Kilometer bis nach Lisbon nahe der Grenze zu Pennsylvania zurück. Sie waren »vor Begeisterung sprachlos« darüber, dass es in ihrer möblierten Zweizimmerwohnung elektrisches Licht und fließendes heißes und kaltes Wasser gab.

Zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin, am 4. August, bereitete Viola im Bauernhaus ihrer Eltern alles für die Geburt vor. Stephen blieb in Lisbon. Am 5. August 1930 brachte sie einen kleinen Jungen zur Welt. Die Mundpartie ähnelte der seines Vaters, doch die Nase und die Augen waren ganz Violas. Das Paar nannte seinen Sohn Neil Alden. Viola mochte die Alliteration »Alden Armstrong« und auch den Bezug zu Alden aus Henry Wadsworth Longfellows Gedicht »The Courtship of Myles Standish«. Niemand in beiden Familien hatte je den Namen »Neil« getragen. Vielleicht wussten die beiden, dass »Neil« die schottische Form des gälischen Namens »Néall« war, was übersetzt »Wolke« hieß, oder dass er in seiner modernen Form »Sieger« bedeutete.

KAPITEL 2

Smallville

Zehn Tage nach der Entbindung stand Viola aus dem Bett auf, um sich um das Baby zu kümmern. Der Arzt erlaubte ihr nicht, zum Begräbnis ihres Schwiegervaters Willis zu fahren, aber da Stephen dort war, sorgte sie dafür, dass Neil von Reverend Burkett getauft wurde, dem Geistlichen, der die Armstrongs auch verheiratet hatte. Stephens Arbeit verlangte einen sofortigen Umzug nach Warren, Ohio, wo er einen leitenden Rechnungsprüfer unterstützen sollte. In den folgenden vierzehn Jahren zog die Familie Armstrong insgesamt sechzehn Mal um, eine Odyssee quer durch Ohio, die 1944 in Wapakoneta endete.

Neil stellte sich laut Viola als ruhiges Kind heraus, das zur Schüchternheit neigte. Sie las ihm ständig vor und weckte so die Liebe zu Büchern in ihm. Der Junge lernte extrem früh zu lesen, er entzifferte schon mit drei Jahren die Straßenschilder. Im ersten Jahr in der Grundschule in Warren las Neil über 100 Bücher. Obwohl er sein zweites Schuljahr auf der Gesamtschule in Moulton begann, es aber in St. Marys beendete, merkten die Lehrer, dass er Bücher las, die für Viertklässler gedacht waren. Sie stuften ihn in die dritte Klasse hoch, sodass er erst acht Jahre alt war, als er im folgenden Herbst in die vierte Klasse kam. Dennoch waren seine Noten sehr gut. Wo auch immer die Familie hinzog, Neil gewöhnte sich rasch ein und fand schnell neue Freunde. Seine dauerhaftesten Begleiter waren jedoch seine jüngeren Geschwister. Am 6. Juli 1933, als Neil fast drei war, kam June Louise zur Welt, am 22. Februar 1935 wurde Dean Alan geboren.

Obwohl auch June und Dean sich von ihren Eltern immer geliebt und wertgeschätzt fühlten, spürten sie, dass ihr älterer Bruder »Mutters Liebling« war. »Als bei den Großeltern draußen Kartoffeln gepflanzt werden mussten, war Neil nirgends zu finden. Er saß im Haus, in einer Ecke, und las ein Buch«, erinnerte sich June. »Er machte nie irgendetwas falsch. Er war Mr. Superbrav. Es lag einfach in seiner Natur.«

Neil »kümmerte sich um mich«, sagte June, soweit man das von älteren Brüdern verlangen konnte. Das Verhältnis zu seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Dean war schwieriger: »Ich kam Neil nie zu nahe. Dazu hätte er mich schon einladen müssen.« Obwohl die Brüder beim gleichen Pfadfinderstamm waren, errang Neil deutlich mehr Abzeichen und umgab sich hauptsächlich mit seinen älteren Freunden aus der Schule. Beide liebten Musik, aber Dean reizte zudem auch der sportliche Wettkampf, er spielte in der Schulbasketballmannschaft. Neil war »ganz aufs Lernen fokussiert«, wie seine Mutter, während Dean eher seinem Vater ähnelte und »gern Spaß hatte«.

Neils ungewöhnliche Kombination aus Lässigkeit, Zurückhaltung und Ehrlichkeit konnte undurchdringlich wirken. Doch das war er in den Augen seiner Mutter ganz und gar nicht: »Er hat eine gewisse Aufrichtigkeit an sich«, sagte Viola in einem Interview mit Dodie Hamblin, einer Reporterin der Zeitschrift Life, im Sommer 1969. »Er musste von etwas wirklich und ehrlich überzeugt sein, sonst hielt er sich heraus. Ich habe ihn wirklich nie ein böses Wort über jemanden sagen hören, nie.« Wenn es um seinen Vater ging, hielt sich Neil immer sehr bedeckt: »Die Arbeit meines Vaters sorgte dafür, dass er selten zu Hause war, daher habe ich ihn nie als jemanden wahrgenommen, der den Kindern nahesteht, und könnte nicht sagen, ob er sich einem von uns stärker verbunden fühlte als den anderen.« Auf die Frage, ob Neil und sein Vater ein enges Verhältnis gehabt hätten, antwortete June: »Nein …« Die Mutter nahm die Kinder in den Arm, der Vater nicht. »Neil ist vermutlich nie von ihm umarmt worden und hat ihn auch nicht umarmt.«

Neil konzentrierte sich schon zu Schulzeiten auf die Aspekte seines Lebens, die ihm im Alltag am wichtigsten waren – seine Freunde, seine Bücher und die Schule, die Pfadfinder, seine Nebenjobs und vor allem, wie wir sehen werden, seine Begeisterung für Flugzeuge und das Fliegen. Neil konnte völlig abwesend sein, wie June sich erinnerte: »Neil las als Kind viel, es war sein Zufluchtsort. Er floh nicht vor irgendetwas, sondern in etwas, in eine Welt der Fantasie. Als Kind fühlte er sich sicher genug, zu entfliehen, weil er wusste, dass er hinterher an einen positiven Ort zurückkehren würde.«

Für Neil Armstrong stand das ländliche Ohio für Geborgenheit, Sicherheit und vernünftige Wertvorstellungen. Als er die NASA 1971 verließ, strebte er eine Rückkehr in ein normales Leben an und kaufte sich eine kleine Farm in seinem Heimatstaat. »Ich habe beschlossen, meine Kinder in einem möglichst normalen Umfeld großzuziehen«, erklärte er da.

Armstrongs bodenständige Ansichten wurzelten in seiner Kindheit. In diesen Jahren ersann der Comicautor Jerry Siegel einen Helden namens Superman, der aus »Smallville« kam, einer Stadt mitten in den USA, die für »Truth, Justice and the American Way« (»Wahrheit, Gerechtigkeit und die amerikanische Lebensart«) einstand.

Armstrong lebte zwar nicht in Smallville, aber dafür in anderen Kleinstädten. Keine von ihnen hatte in den 1930er- und 1940er-Jahren deutlich mehr als 5000 Einwohner. In diesen echten Smallvilles entwickelten die jungen Leute – wenn sie die richtige Unterstützung durch ihre Familie und die Gemeinschaft erhielten – einen großen Ehrgeiz.

Diese Einstellung kennzeichnete nicht nur Neil Armstrong, sondern auch alle sieben ursprünglichen Mercury-Astronauten: Alan B. Shepard Jr. aus East Derry, New Hampshire, Virgil I. »Gus« Grissom aus Mitchell, Indiana, John H. Glenn Jr. aus New Concord, Ohio, Walter M. Schirra Jr. aus Oradell, New Jersey, L. Gordon Cooper Jr. aus Shawnee, Oklahoma, und Donald K. »Deke« Slayton aus Sparta, Wisconsin. M. Scott Carpenter war in Boulder, Colorado aufgewachsen, einer Stadt, die in seiner Jugend nur knapp über 10000 Einwohner zählte.

Diese »Ursprünglichen Sieben« hatten in ihren eigenen Augen »das gewisse Etwas«, eben weil sie so aufgewachsen waren. John Glenn, der erste Amerikaner in der Erdumlaufbahn, sagte: »In einer Kleinstadt groß zu werden gibt Kindern etwas Besonderes mit.« Die meiste Zeit des US-Raumfahrtprogramms über kamen mehr Astronauten aus Ohio als aus jedem anderen Bundesstaat. »Die kleinen Städte wie diejenigen, in denen ich aufgewachsen bin, erholten sich nach der Wirtschaftskrise nur langsam«, erinnerte sich Neil. »Wir litten keinen Mangel, aber es war nie viel Geld da. In dieser Hinsicht ging es uns nicht besser und nicht schlechter als Tausenden anderen Familien.« Für manche von Neils Kindheitsfreunden machte die Tatsache, dass sein Vater eine Stelle hatte, sie zu reichen Leuten.

Neil trat seinen ersten Job 1940 an, als er zehn Jahre alt war – und kaum mehr als dreißig Kilo wog. Für zehn Cent die Stunde mähte er den Rasen auf einem Friedhof. Später räumte er in einer Bäckerei Brote in die Regale und half dabei, pro Nacht über 1300 Donuts zu backen. Außerdem kratzte er den riesigen Donutteigmixer sauber: »Wahrscheinlich haben sie mich eingestellt, weil ich so klein war; ich konnte abends in die Teigbottiche klettern und sie sauber machen. Der größte Vorteil der Arbeit war, dass ich mich am Eis und an den selbst gemachten Pralinen bedienen durfte.«

In Wapakoneta, wo die Familie ab 1944 wohnte, arbeitete Neil in einem Lebensmittelladen und in einer Eisenwarenhandlung. Später übernahm er für vierzig Cent pro Stunde kleinere Aufgaben in einer Apotheke. Seine Eltern ließen ihn alle Einnahmen behalten, erwarteten aber, dass er einen beträchtlichen Teil davon fürs College sparte. Von den 294 Astronauten, die zwischen 1959 und 2003 ausgewählt wurden, waren über 200 bei den Pfadfindern aktiv gewesen, darunter auch 21 Frauen. Vierzig der Männer, die Astronauten wurden, hatten den höchsten Rang (»Eagle«) erreicht. Von den zwölf Männern, die auf den Mond flogen, waren elf Pfadfinder gewesen, darunter auch Neil und sein Apollo-11-Kamerad Buzz Aldrin.

Als die Familie 1941 nach Upper Sandusky zog, eine Stadt mit rund 3000 Einwohnern, gab es dort noch keinen Pfadfinderstamm. Das änderte sich nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 – ein Ereignis, von dem Neil über das Radio erfuhr, weil sein Vater ihn deswegen vom Hof hineinrief, wo er gespielt hatte. Am folgenden Tag, als der Kongress den Krieg erklärte, stellten sich die amerikanischen Pfadfinder ganz in den Dienst des Landes. Neil erinnerte sich, dass die Nachrichten des Krieges »uns die ganze Zeit umgaben, in der Zeitung, im Radio. Und natürlich gab es eine ganze Reihe von Sternen in den Fenstern der Familien, deren Söhne in den Kampf gezogen waren.« Ein neuer Pfadfinderstamm entstand, die Nummer 25 in Ohio, er traf sich einmal im Monat unter der Leitung eines Reverends. Neils Gruppe nannte sich die »Wolfspatrouille« und wählte Bud Blackford zum Anführer, Kotcho Solacoff zum stellvertretenden Anführer und Neil zum Schriftführer.

Der Stamm Nr. 25 und die Wolfspatrouille gingen, so Neils Worte, »ganz im Kriegsgeschehen auf«. Eine Aufgabe der Pfadfinder, die ganz nach Neils Geschmack war, war die Flugzeugerkennung. Er und seine Freunde fertigten Modelle an, die ihr Pfadfinderleiter an die militärischen und zivilen Verteidigungsbehörden schickte, damit die Experten besser zwischen verbündeten und feindlichen Flugzeugen unterscheiden konnten. Als der Reverend wegzog, übernahm Ed Naus, »ein weniger strenger Zuchtmeister«, das Kommando, unterstützt von Neils Vater. Zwischen Neil, Bud und Kotcho entstand eine dieser unauslöschlichen Jugendfreundschaften, die auf gutmütiger Rivalität beruhen. Kotcho erinnert sich an einen Streich im Chemielabor: »Ich sagte: ›Hier, Neil, probier ein bisschen C12H22O11.‹ Zu meiner Überraschung und meinem großen Schrecken nahm Neil eine Prise und steckte sie sich in den Mund. Ich schrie: ›Spuck es aus, das ist Gift!‹ Neil meinte: ›C12H22O11 ist Zucker.‹ Ich sagte: ›Ich weiß, aber mir war nicht klar, dass du es auch weißt.‹ Das war das letzte Mal, dass ich davon ausging, etwas zu wissen, das er nicht wusste.«

Über die Jahre ist Wapakoneta immer wieder als Neils Heimatstadt bezeichnet worden, aber es waren die drei Jahre in Upper Sandusky, an die Neil sich am liebsten zurückerinnerte. Doch so sehr die Familie diese Zeit zwischen 1941 und 1944 auch genoss, die Umstände zwangen sie zu einem letzten Umzug, dieses Mal nach »Wapak«. Der Hauptgrund dafür war laut Neil, dass sein Vater trotz seiner 36 Jahre »befürchtete, er könnte eingezogen werden«. Von Wapakoneta aus, das sich rund achtzig Kilometer nördlich von Upper Sandusky befand, hatte Stephen einen deutlich weiteren Arbeitsweg, aber, so erklärte Neil, »Mutter hatte ihre Familie ganz in der Nähe.« Wäre ihr Mann zum Militär einberufen worden, hätte sie dort genügend Unterstützung gehabt.

Die Armstrongs kauften ein großes, zweistöckiges Eckhaus in der West Benton Street mit der Hausnummer 601. Neil hatte wie immer keine Schwierigkeiten, sich einzuleben, und trat sofort dem Pfadfinderstamm 14 bei. Die Blume-Highschool lag nur sechs Blocks von seinem Haus entfernt. Seine Zeugnisse zeigen, dass seine besten Fächer stets Mathe, Naturwissenschaften und Englisch waren.

Da Neil immer schon musikalisch veranlagt war, trat er dem Schulorchester, dem Glee-Club und der Band bei. Trotz seiner geringen Körpergröße spielte er eines der größten Instrumente, das Baritonhorn, weil er dessen besonderen Klang mochte (was nicht allen so ging). Wenn Neil und sein Horn hin und wieder einmal an einem Freitag- oder Samstagabend in einer Ragtime-Combo auftraten, verdienten er und seine jugendlichen Musikerkameraden, die sich die »Mississippi Moonshiners« nannten, höchstens fünf Dollar, die sie sich dann noch teilen mussten.

In der Highschool schloss Neil sich der Schülerorganisation Hi-Y, der Jahrbuchredaktion und der Theatergruppe an. Im elften und zwölften Schuljahr war er Mitglied des Schülerrates und im letzten Schuljahr stellvertretender Schülersprecher. Seine Schulfreunde haben Neil als nicht schüchtern, aber ruhig in Erinnerung. Er traf sich nur sehr selten mit Mädchen, besuchte aber den Abschlussball. Zu diesem Anlass lieh ihm sein Vater das brandneue Oldsmobile der Familie. »Wir fuhren zusammen mit Dudley Schuler und seiner Freundin Patty Cole zum Ball«, erinnert sich Alma Lou Shaw Kuffner, Neils Ballpartnerin. »Leider schlief Neil auf dem Rückweg aus Indian Lake, so gegen drei Uhr, am Steuer ein und fuhr in einen Graben. Ein Mann, der auf dem Weg zur Arbeit in Lima war, musste uns herausziehen. Am nächsten Morgen sah Neils Vater, dass die ganze Seite des Wagens zerkratzt war.«

In jenem Mai 1946 machte Neil, der immer noch erst sechzehn Jahre alt war, seinen Abschluss an der Blume-Highschool, als elftbester seiner 78 Jahrgangskameraden. Neben seinem Foto im Jahrbuch 1946/47 stand der Spruch: »Er denkt, er handelt, schon ist’s getan.« Seine späteren Erfolge im Umgang mit beweglichen Gefährten aller Art machten irgendwann auch die unrühmliche Aktion mit dem Oldsmobile seines Vaters vergessen.

KAPITEL 3

Aufstieg in luftige Höhen

Jacob Zint genoss seine Rolle als Astronomiementor von Wapakoneta. Der ewige Junggeselle lebte mit seinen beiden alleinstehenden Brüdern in einem düsteren, dreistöckigen Haus an der Ecke der Pearl Street und der Auglaize Street, nur wenige Blocks vom Haus der Armstrongs entfernt, und arbeitete als technischer Zeichner in Lima. Oben auf seiner Garage hatte der naturwissenschaftlich interessierte Zint ein Observatorium eingerichtet, eine gewölbte Kuppel mit einem Durchmesser von drei Metern, die sich auf Rollen um 360 Grad drehen ließ. Ein Acht-Zoll-Spiegelteleskop war auf die Sterne und Planeten gerichtet. Durch Zints bestes Instrument schien der Mond nur 1500 Kilometer weit entfernt zu sein, statt der 400000 Kilometer, die es in Wahrheit waren. Die technische Ausrüstung hätte sogar Tycho Brahe gefallen, dem exzentrischen Astronomen aus dem 16. Jahrhundert, der zu Zints Helden zählte.

Jake Zint wäre immer nur ein ortsbekannter Sonderling geblieben, hätte es da nicht die selbst proklamierte Verbindung zum jungen Neil Armstrong gegeben. Eines Abends im Jahr 1946, als der spätere Astronaut sechzehn war, besuchten er, sein Freund Bob Gustafson und ein paar weitere Pfadfinder Zint in dessen Haus. Sie wollten sich das Astronomie-Abzeichen verdienen. Da der 35-jährige Zint nur ungern unangekündigten Besuch empfing, hatte der Pfadfinderleiter Mr. McClintock einen Termin mit ihm vereinbart.

Zint zufolge stellten die Augenblicke, die nun folgten, einen Wendepunkt im Leben des jungen Neil Armstrong dar. Der Mond, so Zint, »schien Neils Hauptinteresse zu sein. Er schwärmte für ihn« und brachte »ein spezielles Interesse« für »die Möglichkeit, dass es auf anderen Planeten Leben geben könnte«, zum Ausdruck. »Wir überlegten hin und her und kamen zu dem Schluss, dass es auf dem Mond kein Leben gab, aber wahrscheinlich auf dem Mars.« Neil war so angetan von Zint und seinem Observatorium, dass er ihn selbst dann noch besuchte, »als er schon auf die Purdue University ging«. Am Vorabend des Starts von Apollo 11 ließ Neil, so Zint, seinem alten Mentor über einen Journalisten eine besondere Nachricht zukommen: »Das Erste, was er überprüfen wird, wenn er den Mond betritt, ist, ob dieser aus grünem Käse besteht.«

Neils großer Augenblick, als er im Mare Tranquillitatis landete, war auch für Zint in Wapakoneta ein Höhepunkt: »Jacob Zint hofft, sein Acht-Zoll-Teleskop am 21. Juli um 2:17 Uhr auf die südwestliche Ecke des Mare Tranquillitatis gerichtet zu halten. Das, was er dort sehen wird, wenn das Wetter es zulässt, bildet den Abschluss einer Odyssee durch Zeit und Raum, die vor 23 Jahren hier begann, als ein kleiner, blonder Junge namens Neil Alden Armstrong durch Mr. Zints Objektiv einen ersten Blick auf den Mond warf.« Jeder wollte wissen, was Zint im Augenblick der historischen Landung dachte: »Es ist unglaublich, wenn ich daran denke, wie oft Neil und ich darüber gesprochen haben, wie es dort oben wäre«, erzählte er den vielen interessierten Reportern. »Und jetzt ist er dort oben.«

Abstruserweise stimmte nichts von dem, was der mittlerweile verstorbene Jacob Zint je über seine Beziehung zu Armstrong berichtet hat – rein gar nichts, auch wenn Zints Teleskop gemeinsam mit der in Einzelteile zerlegten Astronomiekuppel viele Jahre lang an prominenter Stelle im Auglaize County Museum in Wapakoneta ausgestellt war.

»Soweit ich mich erinnere«, erklärte Armstrong 2004 widerstrebend und auf seine typisch zurückhaltende Art, um den in den Medien sehr präsenten Amateurastronomen nicht übermäßig in Verruf zu bringen, »war ich nur dieses eine Mal in Jake Zints Observatorium. Was die Benutzung von Zints Teleskop und die privaten Gespräche über den Mond und das Universum angeht – das ist nie passiert. Mr. Zints Geschichte wuchs immer weiter an, als ich bekannt wurde. Alles, was er erzählt, ist falsch.« Neil machte sich allerdings nie die Mühe, Zint zu berichtigen oder ihn zum Schweigen aufzufordern.

1969 hatten die meisten Menschen keinen Grund, das anzuzweifeln, was in so vielen Zeitungen stand. Außerdem schien Zints Vorhersage von Neils »Schicksal«, wie ein Journalist im Juli 1969 schrieb, »fast zu logisch, um wahr zu sein«.

»Als Neil etwa zwei oder drei Jahre alt war«, erinnerte sich Stephen Armstrong 1969, »brachte er seine Mutter dazu, ihm ein kleines Flugzeug im Zehncentladen zu kaufen, und es gab eine Auseinandersetzung darüber, ob es ein Modell für zehn oder für zwanzig Cent sein durfte. Natürlich kaufte seine Mutter ihm das für zwanzig Cent. Von da an liebte er Flugzeuge, weil er damit ständig im und ums Haus herumschwirrte.«

Seinen ersten Flug erlebte Neil kurz vor seinem sechsten Geburtstag, als die Familie in Warren lebte. Er hatte über die Jahre so viele verschiedene Versionen der Geschichte gelesen und gehört, dass er sagte: »Ich weiß nicht mehr, was stimmt. Ich glaube, dass das Flugzeug für einen geringen Betrag Rundflüge über die Stadt anbot.« Sein Vater hat es so in Erinnerung: »Wir waren auf dem Weg zur Sonntagsschule – das glaubte zumindest seine Mutter –, aber da war dieser Rundflug, der am Morgen recht billig war und dann im Verlauf des Tages immer teurer wurde. Also schwänzten wir die Sonntagsschule und flogen stattdessen zum ersten Mal.«

Bei der Maschine handelte es sich um einen Hochdecker, eine Ford Trimotor. Diese sogenannte »Blechgans« hatte Platz für bis zu zwölf Passagiere in Korbstühlen und kam auf eine Geschwindigkeit von knapp 200 km/h.

In seiner Jugend hatte Neil einen wiederkehrenden Traum: »Ich konnte, wenn ich die Luft anhielt, über dem Boden schweben. Sonst passierte nicht viel. Ich flog nicht und fiel auch nicht in diesen Träumen, ich schwebte einfach. Aber die Unbestimmtheit war ein bisschen frustrierend. Der Traum hatte nie ein konkretes Ende.« Neil wusste nie genau, was das zu bedeuten hatte. »Ich könnte nicht sagen, dass es etwas mit der Fliegerei zu tun hatte. Es gab keinen großen Zusammenhang, außer dass ich über dem Boden schwebte.« Mit einem Augenzwinkern ergänzte er: »Ich habe es später ausprobiert, als ich wach war, aber es hat nicht funktioniert.«

»Mit wahrscheinlich acht oder neun habe ich angefangen, mich für die Luftfahrt zu interessieren«, erinnerte sich Neil, »angeregt durch das, was ich über das Fliegen und den Bau von Modellflugzeugen gelesen und gehört hatte.« Ein älterer Cousin wohnte einen Block entfernt. Als Neil einmal gesehen hatte, was dieser mit Balsaholz und Seidenpapier zustande brachte, war er angefixt.

Das erste Modell, das Neil seines Wissens baute, war ein Hochdecker-Leichtflugzeug, wahrscheinlich eine Taylor Cub, in Schwarz und Gelb. »Es kam mir nie in den Sinn, Modelle mit Motoren zu kaufen«, weil Motoren mehr Geld kosteten und Benzin benötigten – beides Mangelware im Zweiten Weltkrieg. Wenn Neil seine Modelle fliegen ließ, dann mithilfe verdrillter Gummibänder.

Diese Modelle füllten Neils Schlafzimmer plus eine ganze Ecke des Kellers. Laut Dean baute Neil so viele Flugzeuge, dass er diejenigen, auf die er keine Lust mehr hatte oder die ihm nicht gefielen, aus dem Fenster im oberen Stock segeln ließ – manchmal sogar brennend. June weiß noch, dass Neil »fünf oder sechs zusammensuchte, dann die Treppe hinunter- und durch die Haustür hinausrannte, bis zum Ende der Einfahrt. Wir lehnten uns oben aus einem offenen Fenster und warfen die Flugzeuge hinaus. Mutter wäre gestorben, hätte sie es gewusst.«

Neil erinnerte sich: »Normalerweise hängte ich meine Modelle an der Decke meines Schlafzimmers auf. Ich hatte viel Arbeit hineingesteckt und wollte sie nicht kaputt machen, daher war es die absolute Ausnahme, dass ich eines fliegen ließ.«

»Als ich noch in der Grundschule war, wollte ich Flugzeugkonstrukteur werden. Später entschied ich mich dann für den Pilotenberuf, weil ich der Meinung war, dass ein guter Konstrukteur auch die praktischen Aspekte des Fliegens kennen sollte.

Ich las zu der Zeit viele Luftfahrtmagazine, Flight und Air Trails und Model Airplane News, alles, was ich in die Finger bekam.« Als Mitglied des Modellflugzeugvereins der Universität »gewann ich eine Reihe von Wettbewerben, oder ich wurde Zweiter«. Er weiß noch, wie er seine »benzinbetriebenen ›Fesselflugmodelle‹, die an Drähten befestigt waren und sich im Kreis um den Piloten drehten«, auf Geschwindigkeiten weit über 150 km/h brachte. »Ich sog eine Menge neues Wissen auf und lernte Leute kennen, darunter einige Veteranen des Zweiten Weltkriegs, die viel mehr Erfahrung als ich und ein Gefühl dafür hatten, wie man erfolgreich flog.«

Mit fünfzehn begann Neil auf Flugunterricht zu sparen, der pro Stunde neun Dollar kostete. Da er bei seinem Nebenjob in der Apotheke vierzig Cent pro Stunde verdiente, arbeitete Neil 22,5 Stunden für eine einzige Flugstunde.

Jeden Samstagmorgen fuhr er per Anhalter oder »auf einem Fahrrad ohne Schutzbleche« zu einem kleinen Grasflugplatz außerhalb von Wapakoneta. »Dort wurde oft eine Überholung der oberen Zylinder durchgeführt«, erinnerte sich Neil. Sobald er sechzehn war und seinen Schülerpilotenschein erworben hatte, durfte er die Flugzeuge fliegen. »So bin ich auf meine Stunden gekommen.« Bei den Flugzeugen handelte es sich zumeist um alte Militär- und Schulflugzeuge. Zu den neuesten Flugzeugen gehörte die Aeronca Chief, ein im nahe gelegenen Hamilton, Ohio, gebautes Hochdecker-Leichtflugzeug, in dem die zwei Passagiere nebeneinander, nicht hintereinander saßen und das über ein Lenkrad anstelle eines Steuerknüppels verfügte. Die etwas schlichtere Version, die »Champ«, war der Verkaufsschlager von Aeronca. In einer der drei Champs in Wapakoneta lernte Neil zu fliegen.

Den Flugunterricht übernahmen drei erfahrene Army-Piloten. Von den siebzig Schülern in Neils Highschooljahrgang, von denen etwa die Hälfte Jungen waren, machten drei im Sommer 1946 den Pilotenschein. Alle drei legten die Prüfung etwa zur gleichen Zeit ab. Daher weigerte Neil sich stets, es als extrem ungewöhnlich zu bezeichnen, dass er das Fliegen gelernt hatte.

Wirklich ungewöhnlich war hingegen, dass er den Pilotenschein vor dem Führerschein machte. »Er hatte nie eine Freundin. Er brauchte kein Auto«, erklärte sein Vater. »Er musste immer nur irgendwie zum Flugplatz kommen.« »Segelflieger durfte man, glaube ich, mit vierzehn fliegen«, sagte Neil, »doch mit dem Motorflugzeug musste man warten, bis man sechzehn war«, in seinem Fall bis zum 5. August 1946. An jenem Tag erhielt Neil seinen »Schülerpilotenschein« und absolvierte seinen ersten Soloflug in der nächsten Woche.

Dieser fand so spontan statt, dass der Schülerpilot weder seinen Freunden noch seiner Familie Bescheid geben konnte. »Man hörte nur, wie der Fluglehrer seinen Gurt löste, sah seinen wissenden Blick, fühlte, wie er einem die Hand zuversichtlich auf die Schulter legte, und dachte: ›Oh, oh, jetzt geht es los.‹« Dean, der auf dem Flugplatz den Rasen mähte, war vor Ort und erlebte den ersten Soloflug seines Bruders mit. Viola brachte es nicht über sich, ihren Sohn fliegen zu sehen, aber sie versuchte nie, ihn davon abzuhalten. Das lag zum Teil daran, meinte June, dass Neil »nie Angst zeigte, wenn er darüber sprach«.

Armstrong selbst erinnert sich nur vage an seinen ersten Soloflug, der ihm ein beifälliges Nicken des Fluglehrers einbrachte. »Der Tag, an dem man irgendein Flugzeug zum ersten Mal allein fliegt, ist ein außergewöhnlicher Tag«, sagte Neil. »Der Tag, an dem man überhaupt das allererste Mal allein fliegt, ist ein ganz besonders außergewöhnlicher Tag. Ich bin mir sicher, dass ich sehr aufgeregt war, als ich diesen ersten Flug machen durfte. Ich legte erfolgreich eine Reihe Starts und Landungen hin und schaffte es, das Flugzeug ohne Zwischenfälle wieder zum Hangar zurückzubringen.« Eine der positiven Auswirkungen des ersten Soloflugs war finanzieller Natur. Da Neil nun keinen Fluglehrer mehr brauchte, kostete die Stunde nur noch sieben Dollar statt neun.

Schon bald hatte Neil eine eigene Flugtechnik auf dem Grasplatz entwickelt: »Ich gewöhnte mir an, beim Endanflug vernehmlich in den Seitengleitflug zu gehen, sodass ich ziemlich steil herunterkam, um auf dem vorderen Stück der Graslandebahn aufzusetzen und viel Raum zum Ausrollen und Anhalten zu haben.« Neil lernte aber auch die dunkleren Seiten des Fliegens kennen. Am Nachmittag des 26. Juli 1947 flog der zwanzigjährige Flugschüler Carl Lange, der im Zweiten Weltkrieg in der Navy gekämpft hatte, in eine Stromleitung und stürzte mit seiner Champ in eine Wiese. Er starb noch vor Ort an einem Schädelbruch. Sein Fluglehrer überlebte. Neil befand sich zu der Zeit gerade auf dem Rückweg aus dem Pfadfinderlager. Dean erinnerte sich: »Wir sahen das Flugzeug abstürzen. Mein Vater hielt den Wagen an, und wir rannten alle zur Absturzstelle, um Erste Hilfe zu leisten.«

Als Lange starb, hatte Armstrong bereits zwei Überlandflüge ganz allein getätigt – der erste führte ihn in einer gemieteten Aeronca nach Cincinnati. Das waren hin und zurück etwa 350 Kilometer, und das Ziel der Reise war die Eignungsprüfung für das Collegestipendium der Navy. Um sich schon vorab für das Studium an der Purdue University einzuschreiben, flog Neil nach West Lafayette in Indiana, ein Flug von etwa 480 Kilometern.

Man kann sich das Erstaunen des Flughafenpersonals in West Lafayette vorstellen, als ein sechzehnjähriger Junge aus dem Flugzeug stieg, darum bat, die Maschine aufzutanken, und Richtung Campus davonmarschierte.

KAPITEL 4

Einführung in die Luftfahrttechnik

Am 14. Oktober 1947, einen Monat nach Armstrongs Studienbeginn an der Purdue University, durchbrach ein Testpilot der Air Force – einer, mit dem Armstrong später fliegen sollte – die sagenumwobene »Schallmauer«. Dieser Pilot war Captain Charles E. »Chuck« Yeager und das revolutionäre Flugzeug, das er auf eine Geschwindigkeit von über Mach 1 brachte, die raketengetriebene Bell X-1. Bevor das Militär sein Programm zur Erforschung von schallnahen Geschwindigkeiten in einen Mantel der Geheimhaltung hüllte, waren Geschichten über die Leistung der X-1 in der Los Angeles Times und in der Aviation Week erschienen. Luftfahrtprofessoren und -studenten im ganzen Land diskutierten die Bedeutung dieses Ereignisses.

Für Neil hingegen hatte diese neue Ära des Fliegens einen bitteren Beigeschmack. »Als ich alt genug war, um Pilot zu werden, hatte sich die Situation verändert. Die großen Flugzeuge, die ich als Kind so angebetet hatte, verschwanden langsam. Als Junge hatte ich die Männer verehrt, die ich für die Ritter des Ersten Weltkriegs hielt. Doch mit dem Zweiten Weltkrieg schien sich dieser Ritterstand aufzulösen. Der Luftkampf wurde unpersönlich. Die Rekordflüge über die Ozeane und Pole hinweg und in alle Ecken der Welt waren bereits absolviert. Und das ärgerte mich. Insgesamt war ich als jemand, der ganz im Fliegen aufging, enttäuscht davon, dass ich durch eine Falte in der Geschichte eine Generation zu spät geboren war. Ich hatte alle Höhepunkte und Abenteuer im Fliegen verpasst.«

Als Armstrong sein Studium aufnahm, arbeitete das National Advisory Committee for Aeronautics (NACA), der Vorgänger der NASA, gemeinsam mit der neu gegründeten Air Force eifrig daran, neue Forschungseinrichtungen zu schaffen, die sich mit Transschall-, Überschall- und Hyperschallgeschwindigkeiten befassten (Hyperschall ist der Bereich oberhalb von Mach 5, wo sich die Effekte der aerodynamischen Aufheizung bemerkbar machen).

Armstrongs Studium der Luftfahrttechnik an der Purdue University dauerte – einschließlich einer dreijährigen Phase beim Militär – von September 1947 bis Januar 1955. In diesen siebeneinhalb Jahren durchlief die Raumfahrt weltweit eine erstaunliche Entwicklung. Drei Monate nach dem ersten X-1-Flug nahm die NACA den ersten Hyperschall-Windkanal des Landes (mit Geschwindigkeiten bis zu Mach 7) in Betrieb. Ein paar Monate später, zu Beginn von Armstrongs zweitem Semester, schoss ein Militärraketenteam unter der Leitung von Dr. Wernher von Braun in White Sands, New Mexico, eine V-2-Rakete bis auf eine Höhe von mehr als 110 Kilometern. In Armstrongs erstes volles Kalenderjahr an der Universität fielen der erste Flug in einer XF-92 von Convair mit ihren neuen Deltaflügeln, der Flug des ersten zivilen Testpiloten über Mach 1, die ersten zehn Testflüge der X-4 ohne Höhenleitwerk und die Veröffentlichung einer aerodynamischen Theorie, die entscheidend zur Lösung des Hochgeschwindigkeitsproblems mit der Bezeichnung »Rollkopplung« beitrug.

Vor dem Frühlingssemester 1949 verließ Armstrong die Universität und meldete sich zum Militärdienst. In diesen Monaten formulierte die US Army die ersten Anforderungen an ein Boden-Luft-Raketenabwehrsystem; in Cape Canaveral in Florida wurde ein Testgelände für Lenkraketen mit einer Reichweite von 8000 Kilometern errichtet, und eine russische Einstufenrakete mit einer Instrumentennutzlast von etwa 120 Kilogramm brachte es auf eine Höhe von knapp 110 Kilometern. In jenem Sommer, als Armstrong gerade seine Pilotenausbildung in Pensacola absolvierte, transportierte eine V-2-Rakete einen lebenden Affen auf eine Höhe von 130 Kilometern, das amerikanische Militär setzte auf einem bemannten Flug auf eine Höhe von über 20000 Meter zum ersten Mal einen Teildruckanzug ein, und der erste US-Pilot, der je einen Schleudersitz benutzte, stieg bei einer Geschwindigkeit von 900 km/h aus seiner strahlgetriebenen F2H-1 Banshee aus.

Als Armstrong im September 1952 das Studium wiederaufnahm, erkannte er, dass sich die Welt der Luftfahrt in die Welt der Raumfahrt verwandelte. 1950 fand der erste Raketenstart in Cape Canaveral statt, der einen menschengemachten Gegenstand auf die bisher größte Geschwindigkeit brachte – Mach 9. 1951 erfolgte der Startschuss für das Interkontinentalraketenprogramm der Air Force, dessen Trägerraketen später die ersten Astronauten ins Weltall beförderten. Im Jahr darauf wurde im medizinischen Fluglabor in Johnsville, Pennsylvania, eine Zentrifuge eingeweiht, die Menschen auf eine Geschwindigkeit bringen konnte, die 40 g erzeugte. Im gleichen Jahr sagte der NACA-Forscher H. Julian Allen voraus, dass sich die Hitzeprobleme beim Wiedereintritt von Raketen und Raumfahrzeugen in die Erdatmosphäre verhindern ließen, wenn man von einer spitzen auf eine stumpfe Nase umstellte. Nicht nur die Mercury-Kapseln, sondern auch die Raumfahrzeuge von Neils Gemini-VIII- und Apollo-11-Missionen wurden nach diesem Prinzip gebaut. Während Neils erstem Jahr zurück an der Universität, im November 1953, erreichte der NACA-Testpilot A. Scott Crossfield in der D-558-2 von Douglas als erster Mensch eine Geschwindigkeit von Mach 2. Als Neil ein Jahr später seinen Abschluss in der Tasche hatte, trat er eine Stelle bei der NACA an. Er wurde Testpilot an der High-Speed Flight Station in Kalifornien, wo er sieben Mal im Hyperschall-Experimentalflugzeug X-15 flog.

Als Neil Armstrong im Januar 1955 sein Studium abschloss, war er schon tief in die neue Welt des Raumfahrtzeitalters vorgedrungen.

Anfang der 1940er-Jahre schloss weniger als ein Viertel der Amerikaner die Highschool ab, und nicht einmal jeder Zwanzigste ging aufs College. In den meisten ländlichen Gebieten waren acht Jahre Schulbildung der Standard. Mit der Verabschiedung der »GI Bill« 1944, die Kriegssoldaten den Universitätszugang gewährte, stieg der Anteil der Collegebesucher langsam, bis er Anfang 1950 25 Prozent betrug.

Neil war erst der zweite Akademiker in seiner Familie, der erste war sein Großonkel gewesen. Ähnlich erging es vielen der Astronauten und Ingenieure, die später in das noch junge Weltraumprogramm involviert waren. Neil erhielt zwar auch eine Zulassung für das Massachusetts Institute of Technology (MIT), entschied sich aber für die Purdue University in West Lafayette, Indiana, 350 Kilometer von Wapakoneta entfernt.

Vom Collegeprogramm für Navy-Piloten hatte er da bereits gehört. Das Programm, das unter der Bezeichnung »Holloway-Plan« bekannt war, verlangte eine Verpflichtung von sieben Jahren: zwei Jahre Studium an einer beliebigen Universität, die von der Navy anerkannt war, gefolgt von drei Jahren beim Militär und darauf zwei weiteren Jahren College bis zum Studienabschluss. Bei Armstrongs medizinischer Untersuchung wurden ein Gewicht von 65 Kilogramm und eine Größe von 1,76 Metern notiert, die Ärzte schätzten seine Statur und seine Form als »athletisch« ein, seine Haltung als »gut« und seinen Körperbau als »medium«. Ein Ruhepuls von 88 und ein Belastungspuls von 116 Schlägen pro Minute waren ein erster Hinweis auf eine – in den Jahren als Testpilot und Astronaut oft registrierte – Neigung zu einer erhöhten Pulsfrequenz.

Neil erinnerte sich an seine »große Freude darüber, dass ich angenommen wurde und so kostenlos aufs College gehen konnte. Das war eine tolle Sache.«

Einen Monat vor der guten Nachricht von der Navy war Neil bereits an der Purdue University zugelassen worden. »Ich hätte mit dem, was ich tat, dem Ingenieursstudium, nicht zufriedener sein können.«

Das Luftfahrttechnikstudium in Purdue war praktischer ausgerichtet als das am MIT. Im ersten Semester lernten die Studenten am neuen Institut für Luftfahrt, Metall zu schweißen, zu bearbeiten und einer Wärmebehandlung zu unterziehen sowie das Sandformverfahren. An sechs Tagen in der Woche hatte Neil vormittags drei Stunden Seminare und nachmittags drei Stunden Labor.

Zu den Bedingungen des Stipendiums gehörte ein gewisses Engagement für die Navy. Neil belegte aber keinen der eigens eingerichteten Navy-Kurse, sondern spielte in der Universitätskapelle, die als Militärkapelle galt. Während des ersten Semesters wohnte er in einer Pension in Lafayette, danach mietete er ein Zimmer in einem Haus in der Nähe des Campus. Im ersten Jahr erreichte er eine Durchschnittsnote von 4,65, etwa eine Zwei minus.

Im Herbst 1948 erhielt Neil die Nachricht, dass er seinen Militärdienst früher antreten werde, schon nach drei regulären Semestern und einigen Sommerkursen.

Als er die Universität im Februar 1949 verließ, um die Ausbildung zum Navy-Piloten anzutreten, war er erst achtzehneinhalb Jahre alt. Bei seiner Rückkehr im September 1952 war er gerade 22 geworden. »Ich wurde langsam wirklich alt«, erzählte er lachend. »Als ich aufs College zurückkam, sahen die Studenten so jung aus.«

Armstrong hoffte, nach beträchtlichen Erfahrungen im Fliegen und im Umgang mit Hochleistungsjets »vielleicht einen Weg zu finden, den Bau und das Fliegen von Flugzeugen zu verbinden«. Bei einem Praktikum im Testflugzentrum der Navy in Patuxent River, Maryland, im Sommer 1954 verfestigte sich dieses Berufsziel. In Purdue belegte Neil nun Spezialisierungskurse, und in keinem davon erhielt er eine Note unter 5 (die Bestnote war 6). In diesem Wintersemester 1953 lehrte er zudem einen Teil des Kurses »Allgemeiner Maschinenbau, Flugzeugentwurf und Detaildesign«, den er selbst kurz zuvor mit Bestnoten abgeschlossen hatte. Genau wie Neils akademische Leistungen erfuhr auch sein gesellschaftliches Leben beim zweiten Aufenthalt an der Purdue einen Schub. Er schloss sich einer Studentenverbindung an, Phi Delta Theta, und wohnte in deren Haus. Beim Varietéabend der Uni trat er als Sänger der musikalischen Darbietung der Verbindung auf. Im folgenden Frühjahr übernahm er die Leitung der Musicals. Für die »Varsity Varieties« schrieb er zwei kurze Stücke und arbeitete an der Inszenierung mit. Dieses Engagement mag sich auf seine Noten ausgewirkt haben, denn er erhielt mehrere Cs (was in etwa einer Drei entspricht) und schmiss die Einführung in die Kernphysik.

Zweifellos spielte dabei auch die achtzehnjährige Janet Shearon, die erste Liebe seines Lebens, eine Rolle. Neil lernte Janet, eine Hauswirtschaftsstudentin, auf einer Party kennen, die von den Studentenverbindungen organisiert wurde. Ihre zweite Unterhaltung fand an einem frühen Morgen statt, als sie auf dem Weg zu einem Hauswirtschaftslabor war und er die Unizeitung auslieferte. Das war nicht Neils einziger Job, er fuhr auch einen Tomatenlieferwagen für eine ortsansässige Konservenfabrik und zog in den Sommerferien von Haus zu Haus und verkaufte Küchenmesser.

Außerdem gab es am Wochenende immer mal wieder Verpflichtungen durch seinen Status als Reserveoffizier der Navy. Dann fuhr er gemeinsam mit seinen Navykameraden zum Fliegerstützpunkt nördlich von Chicago und flog dort F9F-6-Jets. Darüber hinaus war er ein Mitglied im Purdue-Fliegerclub, wo er zusammen mit ehemaligen Militärpiloten flog, und im Studienjahr 1953/1954 sogar dessen Vorsitzender. Dieser Club besaß ein paar kleine Flugzeuge auf dem Flughafen von Lafayette.