Aufstand in Amerika - Stephen Marche - E-Book

Aufstand in Amerika E-Book

Stephen Marche

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Beschreibung

Der Sturm auf das Kapitol war nur der Anfang. Denn die amerikanische Demokratie ist dabei zu scheitern. Das packende und erschreckend realistische Zukunfts-Szenario über den direkt bevorstehenden nächsten Bürgerkrieg in den USA. »Es sollte Pflichtlektüre für alle sein, denen der Erhalt unseres 246-jährigen Selbstverwaltungs-Experiments am Herzen liegt … Das Buch wechselt ab zwischen fiktionalen Depeschen eines zukünftigen sozialen Zusammenbruchs und Abschweifungen, die diese Vorhersagen mit Beweisen aus der Gegenwart untermauern … Die Erzählung liefert ein Cormac-McCarthy-würdiges Drama, während die nicht-fiktionalen Nebensächlichkeiten diesem Drama die Autorität des Dokumentarischen verleihen.« – Ian Bassin, The New York Times Book Review »Wieso waren und sind Millionen Amerikaner überzeugt, Donald Trump sei die Lösung ihrer Probleme? Wieso sind sie noch immer bereit, jeder Lüge zu glauben, wenn sie nur nicht die Lebensrealität spiegelt? Wer die tieferen Zusammenhänge durchschauen will, greift nun zu Stephen Marche und seinem Buch.« – Handelsblatt In fünf so verstörenden wie absolut realistischen Szenarien über das, was den USA politisch und gesellschaftlich unmittelbar bevorsteht, zeichnet Stephen Marche das Bild eines zutiefst gespaltenen Landes am Abgrund: Das Land erscheint kaum noch wie die größte westliche Demokratie und stabile Weltmacht. Die aktuellen Anzeichen wären in jedem anderen Land Grund zur Sorge vor einem direkt bevorstehenden Staatsversagen. Wie Marche eindringlich zeigt, braucht es dafür nicht mehr, als einen Funken, der das Land zum brennen bringt. Stephen Marches fünf Szenarien sind so schockierend, weil sie so realistisch sind und so nah erscheinen: - Ein aufständischer Sheriff widersetzt sich Washington, wird zum Idol der schwerbewaffneten Allianz aus Anti-Regierungs-Patrioten und es kommt zum ersten Bürgerkrieg seit 150 Jahren mit verheerenden Folgen. - Eine Naturkatastrophe zeigt, wie marode die Infrastruktur amerikanischer Städte ist und zwingt die Verantwortlichen zu entscheiden, wer leben darf und wer nicht. - Ein Attentat auf oberster Ebene beweist, wie schnell das Land mit der höchsten Waffendichte weltweit in den Strudel der Gewalt herabsinken kann. - Ein Anschlag auf das Herz der US-Demokratie bringt das soziale Gleichgewicht aus den Fugen und teilt den Staat in zwei erbittert verfeindete Lager. - Eine Koalition aus diversen, separatistischen Lobbyisten-Gruppen bringt die Föderation zu Fall und teilt sie in mehrere neue Staaten, um ein Blutbad in den USA zu verhindern. Ob gewaltsam oder nicht - die USA sehen ihrem Ende entgegen und Stephen Marches beeindruckendes Buch ist der längst fällige Warnruf. Denn auch den ersten Bürgerkrieg wollte niemand wahr haben, bis ihn niemand mehr ignorieren konnte.

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Stephen Marche

Aufstand in Amerika

Der nächste Bürgerkrieg - ein Szenario

Aus dem amerikanischen Englisch von Christiane Bernhardt

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Längst folgt das Leben in den demokratischen »blue states« und den republikanischen »red states« jeweils völlig anderen Regeln, sind die Differenzen in den tiefsten Überzeugungen ihrer Bürger unüberbrückbar geworden. Die Vorstellung von einem wieder geeinten Land unter Biden ist ein Wunschtraum, der schon jetzt nichts mehr mit der Realität zu tun hat, in der mindestens zwei Versionen von Amerika mehr schlecht als recht nebeneinander existieren. Das Vertrauen in die staatlichen Organe und ihre Vertreter ist so niedrig wie seit Generationen nicht mehr. Die Gewalt im Inneren ist auf dem Höchststand seit der Bürgerrechtsbewegung, und von rechts-radikalen Nationalisten verübte Verbrechen sind seit 2018 offiziell die größte Gefahr für die Zivilgesellschaft. Kommunalpolitiker und selbst Gouverneure und Senatoren proben den immer offeneren Aufstand gegen Washington. Der Kulturkampf zwischen rechts und links kennt nur noch Sieger und Besiegte – wer regiert, muss mit erbittertem Widerstand der Gegenseite rechnen. Ob gewaltsam oder nicht – die USA sehen ihrem Ende entgegen, und Stephen Marches beeindruckendes Buch ist ein längst fälliger Warnruf. Denn auch den ersten Bürgerkrieg wollte niemand wahrhaben, bis ihn niemand mehr ignorieren konnte.

Inhaltsübersicht

Widmung

Motto

Einführung in die unmittelbare Zukunft der Vereinigten Staaten

Die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs

Die Vereinigten Staaten als komplex ineinandergreifendes System (cascading system)

Die Auslöser

Die Perspektive der Szenarien

Die Ablenkung Trump

Was bei dem Konflikt auf dem Spiel steht

Der Wunsch, nicht zu sehen, was kommt

Die Vorbereitungen sind bereits in vollem Gange

Szenario eins: Die Schlacht an der Brücke

Bürgerkriegsvorbereitungen des rechten Flügels

Die Brücke

Im Fokus: Ein interpositioneller Sheriff

Die politischen Konsequenzen der »Informationsverschmutzung«

Das Spektakel des Sheriffs

Wie man sich die extreme Rechte Amerikas vorzustellen hat

Die Versammlung an der Brücke

Im Fokus: Eine Prepper-Konferenz

Die Gegendemonstranten

Exkurs: Die Bedrohung seitens der Linken

Die politische Krise

Die Unterwanderung der Strafverfolgungsbehörden und des Militärs durch die extreme Rechte

Der Ursprung eines Sumpfes

Der General

Die Waffen der Aufständischen

Im Fokus: Die größte Waffenschau der Welt

Zugriffsmöglichkeit auf Militärwaffen

Die taktische Situation

Krieg als Spektakel

Der unmittelbare Auslöser

Der Vorabend der Schlacht

Die Schlacht an der Brücke

Die Bedeutung der Schlacht an der Brücke

Die unmittelbaren Folgen

Die bleibenden Schäden

Der Wiederaufbau

Szenario zwei: Porträt eines Attentats

Stochastischer Terrorismus

Die Tradition des Präsidentenmords

Aktuelle Entwicklungen hinsichtlich von Attentaten

Die Unfähigkeit, sich zu binden

»Sich selbst als historische Figur betrachten«

Der politische Mord als Suche nach Erlösung

»Selektiver Konsum von Online-Materialien«

Der Attentäter als Symptom

Der Mangel an Unabhängigen

Die Tiefe des Hasses

Demografischer Wandel und Bürgerkrieg

Die sich abzeichnende Legitimationskrise

Die symbolische Bedeutung der Präsidentin

Die erste Stufe bei der Verwandlung zum Attentäter

Der plötzliche Zugang zu Mitteln und Gelegenheiten

Die Vorbereitungen des Secret Service

Die zweite Stufe der Verwandlung des Attentäters

Die letzte Stufe der Verwandlung

Das vereitelte Attentat

Der Unfall

Die Überlebenschancen

Die unmittelbaren Folgen

Was ist schon ein Präsident mehr oder weniger?

Der Attentäter als Held

Die Trauer um die Präsidentin

Die Hyperpolarisierung der Politik und der Niedergang der institutionellen Legitimität

Der nächste Präsident

George Washingtons Warnung

Das große Knirschen

Die Kosten der Illegitimität und der Lähmung

Szenario drei: Der Untergang New Yorks

Ein Sturm braut sich zusammen

Die Ungewissheit des 21. Jahrhunderts

Die drei maßgeblichen Risikomultiplikatoren

Das Langeweile-Problem

Das Demokratie-Problem

Corona als Testlauf

Das Corona-Thanksgiving

Der erste Risikomultiplikator: Ungleichheit

Die Auswirkungen der Einkommensungleichheit auf Marktzyklen

Ungleichheit – ein Problem ohne Lösung

Das Wirtschaftskrisen-Thanksgiving

Die Präzision von Klimamodellen

Die Grenzen von Klimamodellen

Der zweite Risikomultiplikator: Dürren

Die Anpassungsfähigkeit des amerikanischen Bauern

Die Innovationsfalle

Die Auswirkung verminderter Ernteerträge

Die Politik des Hungers

Das Dürre-Thanksgiving

Der dritte Risikomultiplikator: Urbanisierung

Der nicht lineare Klimawandel

Das verzahnte Scheitern urbaner Systeme

Die Überfahrt

Die drohende Krise der Klimaflüchtlinge

Im Fokus: Klimaflüchtlinge

Die Politik der Klimaflüchtlinge

Das Thanksgiving nach dem Untergang New Yorks

Szenario vier: Gewalt greift um sich

Die Macht der Geste

Wie wenig noch fehlt

Was eine schmutzige Bombe anrichtet

Wie sich das Land verändert

Die amerikanische Strategie zur Aufstandsbekämpfung

Das spektakuläre Wesen des Konflikts im 21. Jahrhundert

Die Bedeutung des Militäreids

Die Ausgangslage

Die unmögliche Lösung

Die Wurzeln der Hoffnungslosigkeit

Die Vergänglichkeit der Demokratie

Die Unwahrscheinlichkeit eines »harten« Putsches in den Vereinigten Staaten

Das Problem der Kontrolle

Der Kreislauf spektakulärer Gewalt und Unterdrückung

Die Erschöpfung

Das Ende der Union

Was ein Sieg bedeuten würde

Szenario fünf: Das Ende der Republik

Die Möglichkeit einer Sezession

Der Wunsch, sich zu trennen

Wie eine Sezession aussehen könnte

Wo würden die Bruchlinien verlaufen?

Differenz als Definitionsmerkmal der Vereinigten Staaten

Die politischen Folgen der Spaltung

Das große Aussortieren

Die Positionen der amerikanischen Separatistenbewegungen

Die Verfassungsmäßigkeit einer Sezession

Wie die Verhandlungen ablaufen würden

Meinen es die Separatisten ernst?

Amerika überwinden

Der Bildersturm

Ein Beispiel des amerikanischen Bildersturms: Silent Sam

Die anhaltende Verfassungskrise

Sind die Voraussetzungen für eine Sezession erfüllt?

Wie würde ein neues Nordamerika aussehen?

Verlust und Gewinn einer Abspaltung

Schluss: Eine Anmerkung zur amerikanischen Hoffnung

Was der drohende amerikanische Bürgerkrieg für Deutschland bedeutet

Dank

Quellen

Für Elijah und Aviva

»Wann aber ist mit dem Herannahen von Gefahr zu rechnen? Ich antworte, sollte sie uns je ereilen, muss sie uns selbst entspringen. Sie kann nicht aus der Fremde kommen. Wenn Zerstörung unser Los ist, müssen wir selbst ihr Urheber und Vollender sein. Als Nation der Freien müssen wir alle Zeiten durchleben oder durch eigene Hand sterben.«

 

Abraham Lincoln

Einführung in die unmittelbare Zukunft der Vereinigten Staaten

Die Vereinigten Staaten gehen ihrem Ende zu. Fragt sich nur, wie. Die Antwort wird sich auf jede Regierung, jedes Unternehmen, jeden Menschen auswirken.

Das Unvorstellbare ist in Amerika zum Alltäglichen geworden. Clownhafte Mobs schänden das Kapitol, Tränengas und Panzer in den Straßen Washingtons, Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Bürgerwehren, bewaffnete Rebellen, die versuchen, amtierende Gouverneure zu entführen, Ungewissheit über einen friedlichen Machtwechsel – läse man all das über ein anderes Land, man würde meinen, der Bürgerkrieg hätte bereits begonnen. Die Vereinigten Staaten gleiten in die Art sektiererischen Konflikt ab, den man üblicherweise in ärmeren Ländern mit einer Geschichte der Gewalt erwartet, nicht jedoch in der beständigsten Demokratie und größten Volkswirtschaft der Welt. Der Fall kam plötzlich. Noch vor einem Jahrzehnt waren die Stabilität und die globale Vormachtstellung selbstverständlich. Die Erinnerung an den 11. September führte zu regelmäßigen Massenbekundungen nationaler Einheit. Die Vereinigten Staaten standen für Ruhm und Glanz der Demokratie. Doch das ist vorbei. Die Solidarität hat sich aufgelöst. Das amerikanische System ist zu einer Fallstudie der Handlungsunfähigkeit geworden. Politische Gewalt ist auf dem Vormarsch.

Der nächste Bürgerkrieg in Amerika wird nicht wie ein Bürgerkrieg in einem kleineren Land aussehen. Die Vereinigten Staaten sind gebrechlich, aber gewaltig. Ihre Militärmacht bleibt unübertroffen. Ihre Wirtschaft bestimmt über die Gesundheit der globalen Ökonomie. Fällt die amerikanische Republik, so fällt die Demokratie als führendes politisches System in der Welt. Fällt die Demokratie, so werden Friede und Sicherheit der globalen Ordnung fallen. Niemand wird den Konsequenzen entkommen.

Die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs

Peter Mansor, ein pensionierter Offizier der amerikanischen Armee und Professor für Militärgeschichte an der Ohio State University, ist ein Veteran des Irakkriegs, der heute die bewaffneten Aufstände der Vergangenheit erforscht. Ihm fällt es nicht schwer, sich etwas Entsprechendes im Amerika der Gegenwart vorzustellen. »Es wäre anders als beim ersten Bürgerkrieg; ohne Armeen, die sich auf dem Schlachtfeld in Stellung bringen«, sagt er. »Ich denke, dass jeder mitmischen könnte, Nachbar gegen Nachbar, basierend auf Überzeugungen, Hautfarbe und Religion. Und es wäre entsetzlich.«

In einer Umfrage, die kurz nach Trumps Wahl durchgeführt wurde, rechneten 31 Prozent der amerikanischen Wähler damit, dass innerhalb der kommenden fünf Jahre ein zweiter Bürgerkrieg ausbrechen würde. In der Zeitschrift Foreign Policy bewertete eine Gruppe nationaler Sicherheitsexperten die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs »in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren«. Die Antworten reichten von fünf bis 95 Prozent. Die große Mehrheit bezifferte die Wahrscheinlichkeit mit 35 Prozent. Sachverständige wie Durchschnittsamerikaner schätzen die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs in naher Zukunft als ebenso hoch ein wie die, ein großartiges Blatt von einem Stapel Spielkarten zu ziehen.

Eine Meinungsumfrage der Georgetown University von 2019 wiederum wollte wissen, wie nahe »am Rand eines Bürgerkriegs« amerikanische Bürger ihr Land auf einer Skala von 0 bis 100 verorten würden. Die Gesamtsumme ihrer Antworten ergab einen Wert von 67,23, also beinahe zwei Drittel des Weges. Der Druck nimmt zu, und die Kräfte, die die amerikanische Einheit aushöhlen – die Hyperpolarisierung innerhalb der Politik, die Zerstörung der Umwelt, die wachsende Ungleichheit – werden stärker.

Laut Definition des Center for the Study of Civil War am Peace Research Institute in Oslo spricht man bei einer Anzahl von tausend im Kampf Getöteten innerhalb eines Jahres von einem Bürgerkrieg. Zivile Unruhen liegen laut Definition ab fünfundzwanzig Toten innerhalb eines Jahres vor. 2019 töteten inländische regierungsfeindliche Extremisten in den Vereinigten Staaten 47 Menschen; 2018 waren es 53; 2017: 37, 2016: 72 und 2015: 70. Theoretisch befindet sich Amerika demnach somit bereits in einem Stadium ziviler Unruhen – an der Schwelle zum Bürgerkrieg.

Die Vereinigten Staaten als komplex ineinandergreifendes System (cascading system)

Einem Bürgerkrieg liegt nie nur eine einzelne Ursache zugrunde. Eine Vielzahl an Faktoren trägt dazu bei, wenn eine friedliche, wohlhabende Gesellschaft in Gewalt abgleitet. Deren Zusammenspiel ist turbulent, was selbst stabilen Szenarien den Anschein verleiht, aus dem Nichts ins Chaos zu stürzen. Es ist das Wesen komplex ineinandergreifender Systeme, das erklärt, warum das Unvorstellbare dennoch immer wieder geschieht.

Das Unvorstellbare ist nicht gleichzusetzen mit dem Unvorhersehbaren. Der Zusammenbruch wird schneller und plötzlicher eintreten, als irgendjemand erwartet, doch wenn er kommt, wird es jeder gewusst haben. Amerika zerbricht in einer Zeit, in der die Ausbreitung der Risse mit nie da gewesener Klarheit sichtbar wird. Als die NASA kürzlich ihre Klimamodelle analysierte, kam man zu dem Ergebnis, dass die Prognosen bis auf ein Zwanzigstel eines Grades genau waren. Sowohl die detailgenaue Präzision der Modelle als auch die Qualität der Prognosen sind bemerkenswert. Wenn ein Hurrikan der Kategorie eins, zwei oder drei New York trifft – und dass dies geschehen wird, steht außer Frage –, lässt sich bis auf die Straße genau vorhersagen, welche Teile der Stadt unbewohnbar sein werden. Auch die Wahlprognosen bilden die politische Spaltung derart wirklichkeitsgetreu ab, dass ihre Urheber den Ergebnissen manchmal selbst nicht glauben wollen – eine Gruppe von Politikwissenschaftlern etwa weigerte sich, ihrem eigenen Programm zu trauen, als es ihnen mitteilte, dass Trump gewählt würde. Es erschien zu abwegig. Nie traten die Konturen wirtschaftlicher Ungleichheit deutlicher zutage; nie waren ihre Auswirkungen auf die Demokratie so gut untersucht. Bürgerkriegsforscher, die es gewohnt waren, Konflikte im Ausland zu analysieren, werden nun Zeugen davon, wie sich ihre etablierten Muster auf identische Weise im reichsten Land der Welt, dem Zuhause des mächtigsten Militärapparats der Menschheitsgeschichte, wiederholen.

Geschichtsbücher zum Thema Bürgerkriege beginnen üblicherweise mit Kapiteln über das Vorfeld des Konflikts. Im Fall der USA könnte ein solches Kapitel am heutigen Tage geschrieben werden. Die wirtschaftliche und ökologische Instabilität wächst mit jedem Jahr. Die Früchte des Landes kommen nur denen zugute, die ganz an der Spitze stehen. Auf die Regierung, deren Legitimität nie von allen anerkannt wird, kann man sich nicht verlassen. Das Vertrauen in Institutionen jedweder Art nimmt immer weiter ab. Die traditionelle Führungsrolle des Landes schwindet dahin. Die Solidarität im Land erodiert. Selbst wenn ihr eindeutige Mandate erteilt werden, vermag es die Regierung immer seltener, dem Willen ihres Volkes zu entsprechen. Das politische Ränkespiel zu beherrschen, hat Vorrang vor allen anderen Regierungsbelangen. Zwei der vier letzten Präsidenten sahen sich umfassenden Amtsenthebungsverfahren ausgesetzt. Bei zwei der vergangenen vier Wahlen wurde der Sieger, der die Mehrheit der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte, von einem obskuren, aus dem achtzehnten Jahrhundert übernommenen System bezwungen. Die Justizbehörden sind dogmatisch und derart verkrustet, dass das Gesetz außerhalb des politischen Zusammenhangs, in dem es vom Gericht angewandt wird, seine Bedeutung verliert. Massenmorde sind fester Bestandteil der Abendnachrichten. Gewöhnliche Amerikaner weigern sich, auf die Autoritäten zu hören, selbst wenn es um Fragen geht, die für ihr eigenes Überleben ebenso wichtig sind wie für die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung.

Seit nunmehr 160 Jahren haben die Vereinigten Staaten Bestand und mit ihnen ein halbgarer Mythos der Einheit. Doch solche Mythen sind zerbrechlich. Selbst die traditionsreichsten nationalen Identitäten, uralte Verbindungen von Menschen und Glaubensrichtungen, können mit erschreckender Geschwindigkeit auseinanderbrechen. Bevor der Irak von ethnisch motiviertem Hass verzehrt wurde, vor 2006 also, lag der Anteil an zwischen Schiiten und Sunniten geschlossenen Ehen bei 40 Prozent. Die angeblich immerwährende und unüberwindbare Kluft zwischen den Religionen war ein Relikt alter Zeiten – doch dann war es damit wieder vorbei.

Wo auch immer eine Regierung versagt, wann auch immer eine friedliche Machtübergabe scheitert, braucht es nicht weniger als ein Wunder, um wieder zu einer geordneten Demokratie zurückzufinden. Amerika wird keine Ausnahme sein. Wenn sich weder Demokraten noch Republikaner repräsentiert fühlen, wird die Regierung zu etwas degradiert, das es zu bekämpfen gilt. Empörung nährt einen alles verschlingenden Kreislauf der Rache. Und ist die Stabilität im Land erst einmal passé, fällt es leicht, Gründe dafür zu finden, seine Nachbarn zu töten.

Die Auslöser

Die nachfolgenden Szenarien basieren auf den derzeit besten zur Verfügung stehenden Modellen, deren Prognosefähigkeit als gesichert gilt. Es handelt sich dabei also um mehr als um nur begründete Vermutungen. Bei den Auslösern jedoch ist das etwas anderes. Sie sind gründlich recherchiert, entspringen aber der Vorstellungskraft.

Komplexe ineinandergreifende Systeme sind abstrakt. Sie bilden menschliche Opfer nicht ab. In jedem der folgenden Szenarien beschreibe ich daher ein auslösendes Moment, das die menschlichen Opfer aufzeigt. Inspiriert wurde ich dabei von The Effects of Nuclear War, einer Studie des damals beim Senatsausschuss zur Außenpolitik angesiedelten Office of Technology Assessment [vergleichbar mit dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung im Deutschen Bundestag, Anm. d. Ü.] und das wohl einflussreichste fiktionale Werk der Geschichte. Aus The Effects of Nuclear War entstand der TV-Mehrteiler Der Tag danach. Der Tag danach übersetzte »abstrakte Maßnahmen strategischer Macht« in verständliche Begriffe und spielte die Folgen eines Nuklearkriegs basierend auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen durch. Ronald Reagan zitierte Der Tag danach in seinen Tagebüchern als wichtigste Inspirationsquelle für den Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme.

Die gegenwärtige Krise erfordert ebensolche Prognosen, da so viele Menschen nicht sehen wollen, was sich vor ihren Augen bereits entfaltet. Zugleich ist die Zukunft jedoch grundsätzlich nicht vorhersehbar. Niemand hätte vorhersagen können, dass ein Mitarbeiter bei Cup Foods in Minneapolis einen gefälschten Zwanzigdollarschein melden würde und dass ein Beamter namens Derek Chauvin beim Eintreffen der Polizei einen Mann namens George Floyd aus seinem Auto zerren und sich während der Festnahme für sieben Minuten und sechsundvierzig Sekunden auf dessen Nacken knien und dabei ignorieren würde, dass dieser ihn mehr als zwanzig Mal anflehte, atmen zu dürfen. Niemand hätte vorhersagen können, dass Beamte in Zivil fälschlicherweise in die Wohnung von Breonna Taylor eindringen und sie töten würden. Und noch viel weniger hätte irgendjemand wissen können, dass genau diese Fälle von Polizeigewalt – im Gegensatz zu buchstäblich Tausenden anderen – massive Proteste in den gesamten Vereinigten Staaten entfachen würden. Doch jeder, der den Geschehnissen aufmerksam folgte, hätte längst wissen können, dass die Militarisierung der amerikanischen Polizeikräfte bereits seit Jahrzehnten vorangetrieben wurde; dass die Polizei in den Vereinigten Staaten ihre eigenen Bürger zwischen drei und dreißig Mal öfter erschießt als die Polizei in anderen Ländern; dass große Teile der afroamerikanischen Bevölkerung die Polizei nicht als legitime Hüter der Gerechtigkeit betrachten und dass Protestbewegungen gegen Polizeigewalt seit der Obama-Administration an Fahrt aufnehmen. Breonna Taylor war eine von 48 afroamerikanischen Frauen, die seit 2015 von der Polizei erschossen wurden. Ihr Name, der genaue Umstand ihres Todes – diese Fakten waren nicht abzusehen. Wohl aber das Ereignis selbst sowie seine Nachwirkungen. Inzwischen ist es vollkommen vorhersehbar, dass sich weitere Fälle von Polizeigewalt ereignen werden, und ebenso vorhersehbar ist es, dass ihnen Ausschreitungen folgen.

Die Perspektive der Szenarien

Meine Nationalität beschert mir einen besonderen Vorteil, wenn es darum geht, den drohenden Zusammenbruch Amerikas zu beschreiben. Zivile Konflikte zwingen Menschen dazu, sich für eine Seite zu entscheiden, und ihre Perspektive wird von ebendieser Seite geprägt. Jedem zivilen Konflikt geht Chaos voraus. Doch als Kanadier befinde ich mich außerhalb dieser spezifischen Wirren.

Kanada verhält sich zu Amerika wie Horatio zu Hamlet, es ist ein nahestehender und mitfühlender, zumeist jedoch irrelevanter Zeuge des großen Dramas auf der anderen Seite der Grenze. Ich bin ein Fremder, der in den Vereinigten Staaten gelebt hat, der in den Vereinigten Staaten arbeitet, der die Vereinigten Staaten liebt. Während ich mich in meinem Land ziemlich in der Mitte des politischen Spektrums befinde, möchte ich nicht unterschlagen, dass ein Großteil der Amerikaner meine Ansichten in politischen Fragen als liberal betrachten würden. Ich lebe in einem Land, in dem ein staatliches Gesundheitssystem und Waffengesetze als gegeben hingenommen werden, sogar von Konservativen.

Demokrat oder Republikaner zu sein, gleicht jedoch immer stärker einer Stammeszugehörigkeit als einem Bekenntnis zu einer bestimmten Politik. Und ich gehöre keinem der beiden Stämme an. Als ich quer durch die Vereinigten Staaten reiste, um mir ein Bild von den Umständen vor Ort zu machen, begegnete ich weißen Nationalisten und Black-Lives-Matter-Demonstranten, Waffenhändlern und den Müttern der Opfer von Amokläufen, all das war gleichermaßen fremd für mich, die sogenannten Flyover States in der Landesmitte wie die von Eliten geprägten Küsten, der Norden wie der Süden. Für mich sind das allesamt unterschiedliche Länder. Auch die Experten, die diese Szenarien beeinflusst haben – militärische Führungskräfte, Vollzugsbeamte, Agrarexperten, Umweltaktivisten, Historiker und Politikwissenschaftler –, kommen aus einem breiten politischen Spektrum. Viele sind zeit ihres Lebens Republikaner. Fast die Hälfte würde sich selbst als konservativ bezeichnen. Auch wenn ich keine unterschiedlichen Blickwinkel angestrebt habe, stammen die Menschen, die wissen, wovon sie reden, doch von beiden Seiten. Sie dienen höheren Zielen als der Parteipolitik. Das vorliegende Buch zeugt von diesem Wissen und diesen Zielen.

Die Ablenkung Trump

Jeder vertritt gegenüber Donald Trump eine Meinung. Entweder ist er der letzte Verteidiger der amerikanischen Größe oder eine fundamentale Bedrohung für die Demokratie der Vereinigten Staaten. Entweder ist er ein Kämpfer für traditionelle amerikanische Werte oder ein Verbrecher, dessen einzige Motivation darin besteht, ungestraft davonzukommen. Dabei ist eigentlich unerheblich, was man glaubt. Trump ist weit weniger bedeutend, als beide Seiten annehmen. Das Intelligenteste, das er je über seine politische Laufbahn geäußert hat, sagte er bei einer Pressekonferenz 2017: »Ich bin nicht einfach aufgetaucht und habe das Land gespalten. Das Land war bereits zerrissen, bevor ich hier ankam.« Trump ist – allenfalls – ein Symptom.

Es ist wesentlich, die folgende unbequeme Wahrheit anzuerkennen: Selbst wenn Clinton 2016 gewählt worden wäre, wären alle Kräfte, die auf den Untergang der Republik hindeuten, ebenso mächtig, wie sie es heute sind. Ebenjene Kräfte sind Thema des vorliegenden Buches – die Hyperpolarisierung innerhalb der Politik, die Teilung des Landes in Blau und Rot, der gewaltsame Hass gegenüber der Bundesregierung, der Mangel an wirtschaftlicher Nachhaltigkeit, die einsetzenden Krisen bei der Nahrungsmittelversorgung und der urbanen Umweltsicherheit, der Aufstieg extrem rechter, regierungsfeindlicher patriotischer Milizen. Das amerikanische Experiment war nie darauf ausgelegt, sich dem zu stellen, was den Vereinigten Staaten heute bevorsteht. Unabhängig davon, wer Präsident ist, wird sich daran nichts ändern.

In seiner Siegesrede nach der Wahl von 2020 verkündete Joe Biden »eine Zeit der Heilung«. Reines Wunschdenken. Selbst als der designierte Präsident versuchte, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen, lenkte sein noch amtierender Vorgänger nicht ein. Liberale Amerikaner in den großen Städten halten an einer Art verzweifeltem Glauben an die Institutionen ihres Landes fest, der fast schon an Verblendung grenzt. Seit 250 Jahren reden sich die Amerikaner ein, dass ihr Land mit all seinen Idealen und Systemen die Antwort auf die Geschichte ist. Unter diesen Vorzeichen fällt es schwer zu akzeptieren, dass auch man selbst von der Geschichte hervorgebracht wurde, man selbst halb Täter, halb Opfer ist.

Die Hoffnung auf eine Restauration durch Biden ist wahrlich schwach. Barack Obamas Präsidentschaft beruhte auf etwas, das wir aus reiner Höflichkeit als Illusion bezeichnen werden, die Illusion eines höheren nationalen Ziels. Am leidenschaftlichsten und unverfälschtesten artikulierte er diesen Gedanken in seiner 2004 beim Parteitag der Demokraten gehaltenen Keynote. »Es gibt nicht ein liberales Amerika und ein konservatives Amerika – es gibt die Vereinigten Staaten von Amerika. Es gibt nicht ein Schwarzes Amerika und ein weißes Amerika und nicht ein Amerika der Hispanics und der Asiaten – es gibt nur die Vereinigten Staaten von Amerika.« Es war eine schöne Vision, aber auch ein Trugbild. Es gibt sehr wohl ein rotes Amerika und ein blaues Amerika. Sie bilden unterschiedliche Teile der Gesellschaft mit unterschiedlichen Werten ab, und die politischen Parteien sind Botschafter dieser Unterschiede.

Unglücklicherweise scheint es so, als wäre Amerika in einer selbstzerstörerischen Endlosschleife gefangen, in der das kollabierende System Reformen ebendieses Systems verhindert. Die Kongressabgeordneten bringen es noch nicht einmal fertig, sich darauf zu einigen, den gewalttätigen Extremisten nachzugehen, die ihren Geschäftssitz attackiert und ihre Leben bedroht haben. Nach den Trump-Jahren haben die Demokraten versucht, die den amerikanischen Institutionen zugefügten Wunden zu heilen, aber sie halten dabei überwiegend an alten Methoden fest, an den Vereinigten Staaten, in denen sie aufgewachsen sind. Eine Art, die gegenwärtige politische Situation zu deuten, ist, dass die Republikaner den Niedergang der Institutionen schlicht bereits vor den Demokraten bemerkt haben. Indes schließt sich das Zeitfenster, das es ermöglicht, die Demokratie Amerikas zu wahren.

Parteipolitik ist unter diesen Umständen kaum mehr als eine Ablenkung. 2021 wurde der Abgeordnete Mike Nearman aus dem Parlament Oregons ausgeschlossen, weil er den Randalierern, die das Kapitol des Bundesstaates stürmten, eine Tür geöffnet hatte. Die Republikanische Partei hat inzwischen einen gewählten Flügel und einen bewaffneten militanten Flügel. Tatsache ist, dass weder die Parteien noch die Menschen in den Parteien viel Gewicht haben. Einer Seite die Schuld zuzuweisen, nährt eine widersinnige Hoffnung. »Wenn doch nur mehr moderate Republikaner im Amt wären, wenn das Zweiparteiensystem doch nur wieder in den Zustand zurückversetzt werden könnte, in dem es einmal war.« Solche Hoffnungen zeugen nicht nur von Leichtfertigkeit, sondern sind verantwortungslos. Das Problem besteht nicht darin, wer an der Macht ist, sondern in den Strukturen der Macht. Das amerikanische System ist eine archaische Form des Regierens, die den Realitäten des einundzwanzigsten Jahrhunderts nicht im Geringsten gerecht wird. Gefordert ist die Erneuerung seiner Grundlagen, bloß neue Gesichter reichen nicht.

Auch früher schon haben die Vereinigten Staaten gebrannt. Der Vietnamkrieg, die Bürgerrechtsproteste, die Ermordung John F. Kennedys und Martin Luther King jr.s und Watergate – allesamt nationale Katastrophen, deren Erinnerung auch heute noch lebhaft präsent ist. Allerdings haben die Vereinigten Staaten noch nie eine Krise der Institutionen erlebt wie die, mit der sie sich heute konfrontiert sehen. Das Vertrauen in die Institutionen war in den 1960er-Jahren sehr viel größer. Der Civil Rights Act fand bei beiden Parteien breite Zustimmung. Die Ermordung John F. Kennedys wurde kollektiv als nationale Tragödie betrauert. Rückblickend war Watergate der Beweis für ein funktionierendes System. Die Medien berichteten über die Verbrechen des Präsidenten. Die Amerikaner nahmen die Medien ernst. Die politischen Parteien fühlten sich dazu verpflichtet, auf die ans Licht gekommene Korruption zu reagieren. Nichts von alldem könnte man heute mit Sicherheit behaupten. Das politische System Amerikas ist inzwischen derart von Wut ergriffen, dass selbst die grundlegendsten Regierungsaufgaben zunehmend unmöglich sind. Das Rechtswesen verliert mit jedem Tag an Legitimität. Das Vertrauen in die Regierung befindet sich auf allen Ebenen im freien Fall. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Kongress, dessen Zustimmungswerte sich bei etwa zehn Prozent bewegen – tiefer kann er kaum noch sinken. Nichts von alldem ist eine Vorhersage, ein bloßes Gedankenexperiment. All das ist bereits geschehen. In den Ruinen der alten Ordnung erblühen schon heute die grellen Flammen blinden Hasses.

Was bei dem Konflikt auf dem Spiel steht

Dieses Buch ist eine Warnung. Bürgerkriege sind totale Kriege voller Gräueltaten, ausgefochten nicht zwischen professionellen Soldaten, sondern zwischen zivilen Bevölkerungsgruppen. Aufrührerische Konflikte sind Kriege um Bedeutungshoheit, Konflikte, die ausbrechen, weil sich Ideale und die gemeinschaftliche Vision eines Landes zersetzt haben. Genau deshalb sind Kriege gegen Aufständische so teuflisch: weil die Bedeutungshoheit auf dem Spiel steht. Wer für seine Freiheit und seine Seele kämpft, ist bereit, alles zu geben.

Amerika wurde unter dem Motto »Aus vielen eines« gegründet. Wenn aber das eine versagt, werden daraus viele: die Schwarzen und die Weißen, der Norden und der Süden, die Küsten und das Landesinnere, Juden, Christen, Muslime, Hindus, Mormonen, Scientologen, die Nation of Islam, fünfzig Staaten, die Seminolen und die Sioux, die Blackfeet und die Komantschen, Einwanderer aus allen Ländern der Erde. Wenn man wollte, könnte man Amerika auf 327 Millionen Arten zerbrechen.

Die Kräfte, die Amerika auseinanderreißen, sind sowohl absolut neu als auch so alt wie das Land selbst. Alles, was heute an die Oberfläche drängt, lauert seit Jahrzehnten darunter, wenn nicht seit Anbeginn der Nation. Blutige Aufstände und eine drohende Sezession sind grundlegende Bestandteile des amerikanischen Experiments. Amerika hatte schon immer viele Gesichter, war schnellen Veränderungen unterworfen. Die Frage heute lautet daher nicht, ob die Situation zwischen den Konfliktparteien eskaliert, ja noch nicht einmal, wie der Konflikt verlaufen wird, sondern vielmehr, welches Amerika siegreich aus diesem Konflikt hervorgeht.

Der Wunsch, nicht zu sehen, was kommt

In gewissem Sinne ist die Krise bereits da. Einzig die auslösenden Vorfälle stehen noch aus. Im Fall des ersten Bürgerkriegs ging James Buchanans Rede zur Lage der Nation dem Krieg selbst um fünf Monate voraus. Doch markiert seine Aussage – dass die Sezession gesetzeswidrig sei, er gemäß der Verfassung aber nichts dagegen ausrichten könne – den Moment, in dem sich Amerika spaltete und der Krieg unabwendbar war. Von da an steuerten zwei separate Staatswesen das Land, zwei Rechtsordnungen. Schon vor seiner tatsächlichen Teilung war das Land von Rissen durchzogen.

Am Vorabend des ersten Bürgerkriegs war sein Eintreten weder für die klügsten noch die bestinformierten, noch die hingebungsvollsten Köpfe des Landes absehbar. Selbst als konföderierte Soldaten am 12. April 1861 mit ihrem Bombardement von Fort Sumter begannen, glaubte niemand, dass der erste Bürgerkrieg unabwendbar wäre. Jefferson Davis, der Präsident der Konföderierten Staaten von Amerika, erklärte, das Ereignis, bei dem niemand zu Tode kam, sei »entweder der Anfang eines schrecklichen Kriegs oder das Ende eines politischen Wettstreits«. Es war beides und keines von beidem. Der Krieg hatte bereits früher begonnen. Der politische Wettstreit sollte noch lange danach andauern.

John Quincy Adams Enkelsohn Henry Adams verkündete im Washington des Winters 1861, dass »niemand in Amerika den Bürgerkrieg je gewollt, erwartet oder angestrebt hat«. James Chestnut, der Senator von South Carolina, der sich wie wenig andere darin hervortat, das Eintreffen der Katastrophe heraufzubeschwören, versprach, alles Blut, das während des gesamten Kriegs verschüttet würde, zu trinken. Seinerzeit lautete die gängige Meinung, er müsse dann wohl noch nicht einmal »einen Fingerhut« davon zu sich nehmen. Der Norden war so wenig auf den Krieg vorbereitet, dass sie noch nicht einmal Waffen hatten.

An welchem Punkt genau aber wurde der erste Bürgerkrieg unabwendbar? Eine Frage, die so quälend ist, weil sie nicht beantwortet werden kann. In South Carolina war die Anwesenheit von Delegierten aus Georgia nötig, damit der Süden seinen kollektiven Mut für die Sezession sammeln konnte, darüber hinaus waren die Delegierten aus Georgia da, um die Fertigstellung einer Eisenbahnstrecke zwischen den beiden Bundesstaaten zu feiern. »Ob es wohl zu einem anderen Zeitpunkt und in anderer Form oder überhaupt eine Spaltung gegeben hätte, wenn der Bau der Eisenbahnstrecke zwischen Charleston und Savannah einen Monat früher oder später abgeschlossen worden wäre?«, fragt der Historiker William Freehling in The Road to Disunion. Wäre diese eine Eisenbahnstrecke nur einen Monat später fertiggestellt worden, hätte dies möglicherweise Hunderttausende Amerikaner vor ihrem Tod bewahrt.

Je näher man an einem Ereignis dran ist, desto unvermeidbarer erscheint es. Hätte es einen Krieg gegeben, wenn Lincoln nicht gewählt worden wäre? George Custer, der später General der Union im Norden werden sollte, beschrieb, wie sich in seiner Zeit als Kadett an der Militärakademie West Point die Männer aus dem Süden zur Anlegestelle der Dampfschiffe aufmachten, um sich ihren Bundesstaaten anzuschließen: »Zu weit weg, um mir ein Adieu zuzuwerfen, selbst wenn die Militärdisziplin es erlaubt hätte, erblickten sich mich, als ich die Strafe für meine Regelverstöße widerwillig über mich ergehen ließ, und zogen ihre Hüte zum Zeichen des Abschieds. Erst nachdem ich mich versichert hatte, dass kein wachsamer Vorgesetzter in Sicht war, erwiderte ich ihren Gruß, indem ich meine Muskete präsentierte.« Die beiden Seiten, selbst damals eng durch ihre Bruderschaft verbunden, gingen salutierend auseinander, zogen voll Kummer ab. Schon seit Jahren hatten die Männer von West Point miteinander über die Sklavenfrage gerungen. Der Gedanke, dass sie sich deshalb gegenseitig umbringen würden, schien jedoch absurd.

Doch je weiter man in die Vergangenheit zurückblickt, desto weniger vermeidbar erscheinen die Ereignisse. Wie hätte es nach der Hinrichtung John Browns und den als »bleeding Kansas« in die Geschichte eingegangenen, blutigen Auseinandersetzungen um die Einführung der Sklaverei in jenem Staat keinen Bürgerkrieg geben können? Wie hätte es keinen Bürgerkrieg geben können, nachdem Preston Brooks, ein Sklavenhalter und Senator, den Abolitionisten Charles Sumner auf dem Boden des Senats mit einem Gehstock mit goldenem Knauf halb totgeschlagen hatte? Wie hätte es keinen Bürgerkrieg geben können, nachdem South Carolina die Schutzzölle des Bundes während der Nullifikationskrise von 1832 ignorierte? Nach den Auseinandersetzungen über das Diskussionsverbot im Repräsentantenhaus, der sogenannten gag order? Im Nachhinein betrachtet, machte es Amerikas »offensichtliche Bestimmung«, seine »manifest destiny«, unmöglich, den Bürgerkrieg abzuwenden. Mit jedem neuen Territorium – Missouri, Kansas, Texas – stellte sich erneut die Frage, ob Amerika ein Land der Sklaven oder ein freies Land sein wollte. Doch darauf gab es keine Antwort. Jedes neue Territorium stellte die unbeantwortbare Frage: Was ist Amerika?

Niemand sah die Katastrophe des ersten Bürgerkriegs kommen, doch als er begann, war er mit einem Schlag unausweichlich. Heute erscheinen die Ereignisse aus der Nähe betrachtet chaotisch und verwirrend, doch wenn man genauer hinsieht, wenn man dahinter blickt, ist es nicht schwer zu erkennen, in welche Richtung sie führen. Trägheit und Optimismus sind starke Kräfte. Es ist so einfach, sich einzureden, es werde schon alles gut gehen. Und es passiert leicht, sich in das unmittelbare Chaos hineinzusteigern, in die Frage, welcher Funke wohl das gesamte Land in Flammen aufgehen lässt. Niemand wünscht sich das, was uns bevorsteht, und daher möchte niemand dem ins Auge sehen, was auf uns zukommt. In den entscheidenden Momenten der Geschichte blickt uns die Zukunft direkt ins Gesicht. Doch wir bringen es nicht über uns, ihren Blick zu erwidern.

Die Vorbereitungen sind bereits in vollem Gange

Es wird diejenigen geben, die meinen, von einem neuen Bürgerkrieg zu reden, sei alarmistisch. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass die Realität selbst die alarmistischsten Prognosen bereits überholt hat. Stellen Sie sich vor, zehn Jahre in der Zeit zurückzureisen und den Menschen zu erklären, dass der republikanische Präsident die Diktatur Nordkoreas unverhohlen unterstützt. Kein Verschwörungstheoretiker hätte gewagt, sich so etwas je zu erträumen. Alle, die es vorhergesehen haben, sahen es nur schemenhaft. Die Entwicklungstendenzen waren sichtbar; wo sie hinführen würden, nicht.

Schon heute werben Sheriffs freimütig für den Widerstand gegen die Bundesbehörden. Schon heute trainieren und bewaffnen sich Milizen in Vorbereitung auf den Untergang der Republik. Schon heute verbreiten sich die Lehren einer radikalen, unerreichbaren, messianischen Freiheit im Internet, im Talkradio, im Kabelfernsehen und in den Malls. Schon heute dürstet es radikale Patrioten danach, ihre politischen Fantasien mit Gewalt durchzusetzen. Denn das Vertrauen in die Demokratie ist zerrüttet. Im Nachgang der Wahl Bidens kam eine vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov für die Wochenzeitung The Economist durchgeführte Umfrage zu dem Ergebnis, dass 88 Prozent der Republikaner nicht glaubten, Biden habe rechtmäßig gewonnen.

Die Geheimdienste anderer Länder setzen bereits Dossiers zur Wahrscheinlichkeit eines Zusammenbruchs Amerikas auf. Regierungen im Ausland müssen sich für ein postdemokratisches Amerika rüsten, eine autoritäre und somit weit weniger stabile Weltmacht. Sie müssen sich für ein gebrochenes Amerika bereitmachen, eines mit vielen unterschiedlichen Machtzentren. Sie müssen sich für ein verlorenes Amerika wappnen, eines, das derart von seinen Krisen eingenommen wird, dass es nicht länger in der Lage ist, innen- oder außenpolitisch zu planen, geschweige denn zu handeln.

Ziel dieses Buches ist es, den Lesenden Zugang zu ebendiesem Informationsvorsprung zu geben. Die folgenden Szenarien sind konkrete Prognosen, keine reinen Produkte der Fantasie. Der kommende Bürgerkrieg ist nicht länger Science-Fiction. Die Pläne für die erste Schlacht wurden bereits entworfen. Und zwar nicht von Schriftstellern. Sondern von ranghohen Offizieren.

Szenario eins:

Die Schlacht an der Brücke

Bevor das Töten beginnt, sieht der Aufstand aus wie eine Party. Am Fluss, in der Nähe der Brücke, werden sich die regierungsfeindlichen Patrioten an Lagerfeuern versammeln.

Bei ihren von Fackeln beleuchteten abendlichen Protestkundgebungen werden lebensgroße Puppen verbrannt. Dicke Rauchschwaden und Sprechchöre liegen in der Luft: »Nicht mein Präsident«, »Amerika den Amerikanern«, »Die Brücke bleibt offen«. Allabendlich geraten die Milizionäre in Rage, was live gestreamt wird und immer damit endet, dass Maschinenpistolen in die Luft gereckt werden. Wie ihre Ideologien ist auch ihr Aufzug eine wilde Mischung. Unter ihnen sind Boogaloo Bois in Hawaiihemden, Neo-Konföderierte in voller Montur, Milizionäre, die gekleidet sind, als würden sie gleich auf Wildjagd gehen.

Der Sheriff trägt wie immer seine Uniform – gebügelte schwarze Bundfaltenhosen, ein hellbraunes Hemd, einen schwarzen Stetson. Er ist mit seinen Männern da, um für Ordnung zu sorgen, aber vor allem ist er der Star der Veranstaltung, der Mann, der sich der Regierung im Namen des American Way of Life widersetzt hat, der Freiheitskämpfer, der Rebell. Mit dem Rauch der Lagerfeuer steigt Gelächter in den Himmel. Es liegt eine Häme in dieser Bruderschaft, eine Häme in dem ganzen Spektakel.

Auf der anderen Seite der Bezirksgrenze harren die amerikanischen Streitkräfte schweigend aus. Ihre Stimmung ist gedrückt. Der General, verantwortlich für die erste Full Spectrum Operation im Inneren1, eine Offensive, die Angriff, Verteidigung und zivile Unterstützungsmaßnahmen miteinander verbindet, hat seine Befehle. Dennoch, diese Stunden sind betäubend. Der General fürchtet den Feind nicht. Die Protestkundgebungen ähneln eher Halloween als einer Bewegung. Sie ziehen eine Ansammlung wütender, leicht aberwitziger Fanatiker an. Selbst den Sheriff umweht ein Hauch des Versagens – als würde er in Tränen ausbrechen, wenn ihm jemand seinen schwarzen Stetson vom Kopf schlägt. Die regierungsfeindlichen Patrioten sind mit Maschinenpistolen bewaffnet, mit unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen und unterschiedlichen selbst gebauten Waffen, darunter hochgerüstete Panzerfäuste und improvisierte Drohnen. Der General weiß, dass ihre Feuerkraft, so imposant sie auf Zivilisten auch wirken mag, nicht viel gegen eine Berufsarmee ausrichten kann. Er hat Apache-Kampfhubschrauber und Marines.

Die »Autobahnarmee«, wie CNN die Truppen der regierungsfeindlichen Patrioten getauft hat, die sich an der Brücke versammelt haben, bedrohen die Hoheitsgewalt der Vereinigten Staaten. Dennoch hegt der General Zweifel. Handelt es sich bei ihnen um eine ernst zu nehmende Gefahr für die Union oder ist es doch nur ein Haufen Hooligans, die Dampf ablassen? Sind es Landesverräter oder Festivalbesucher? Die Entscheidung, amerikanische Soldaten einzusetzen, um amerikanisches Blut zu vergießen, unterscheidet sich von einem Polizeieinsatz, ja selbst von einem konzertierten Einsatz einer Bundesbehörde. Der General steht kurz davor, Krieg gegen amerikanische Bürger zu führen, denen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zusteht, die jedes Recht haben, Waffen zu besitzen.

Und wie würde so ein Blutbad aussehen? Sechzig Jahre Erfahrung haben die Amerikaner immer wieder die gleiche Lektion über die Bekämpfung von Aufständen gelehrt. Wer verliert, verliert. Wer gewinnt, verliert auch. Aber der General hat seine Befehle. Ihm bleibt keine andere Wahl, als den nächsten Bürgerkrieg zu beginnen. Niemand wird sich fühlen, als hätte er eine Wahl.

Bürgerkriegsvorbereitungen des rechten Flügels

Unmittelbar nach der Wahl Bidens kam es zu einem deutlichen Anstieg von Aufrufen zu aktivem bewaffnetem Widerstand gegen die Bundesregierung. Mehrere der Anwälte des noch amtierenden Präsidenten riefen zu Gewalttaten gegen Wahlhelfer auf. Der ehemalige General und Trump-Verbündete Michael Flynn forderte den Ausnahmezustand. Anschließend forderte er einen gewaltsamen Militärputsch im Stil Myanmars. Ein Redner bei einer von Donald Trump jr. veranstalteten Kundgebung sagte: »Wir sind bereit, zu schießen.« Das Ausmaß der Gewaltrhetorik mag neu gewesen sein, der Inhalt war es nicht. Seit 2008 bereiten sich amerikanische Konservative aktiv auf einen Bürgerkrieg vor. Sie haben sich intellektuell dafür gerüstet, indem sie einen Bürgerkrieg vorhergesagt und seinen Verlauf verbal erprobt haben. Materiell haben sie sich mit Waffenkäufen und durch Training gewappnet.

Es ist nicht mehr zutreffend, Bürgerkriegsbefürworter als »rechtsradikal« zu bezeichnen. Vor 2008 hatten nur die extremsten Gruppen an den Rändern der konservativen Bewegung sezessionistische Bestrebungen. Inzwischen ist die Bereitschaft zur gewaltsamen Rebellion gegen die Bundesbehörden im Mainstream angelangt. Am 12. September 2016, als sich das Gros der Experten mehr oder minder darüber einig war, der Sieg Hillary Clintons stünde kurz bevor, wiegelte Matt Bevin, damals Gouverneur von Kentucky, sein Publikum zu gewalttätigem Widerstand auf. »Jemand hat mich gestern bei einem Interview gefragt: Halten Sie es für möglich, dass, wenn Hillary Clinton die Wahl gewinnt, wir überleben werden, dass wir uns als Volk davon erholen könnten?«, erzählte er der Menge beim Values Voters Summit in Washington, D.C. »Und auch wenn andere, die auf dieser Bühne standen, sagten, es wäre nicht möglich, bin ich da anderer Meinung. Ich denke, es wäre möglich, aber um welchen Preis? Um welchen Preis? Womit werden die Wurzeln des Freiheitbaums gewässert? Mit wessen Blut? Dem der Tyrannen, gewiss, aber mit wessen Blut noch? Dem der Patrioten! Wessen Blut wird vergossen werden? Möglicherweise das der in diesem Raum Versammelten. Möglicherweise das unserer Kinder und Enkelkinder.« Der Mann, der hier spricht, ist nicht irgendein Kerl, der seinem Ärger in einem Facebook-Post Luft macht, oder ein Verschwörungstheoretiker, der seinen finsteren Unfug aus irgendeiner Straßenecke speit. Es ist der Gouverneur von Kentucky, der hier einen blutigen Aufstand heraufbeschwört.

Schwammige Prophezeiungen des Untergangs der Republik gehören seit den 1990er-Jahren zum Hauptprogramm des rechten Talkradios. In letzter Zeit jedoch wurden die Rufe nach einer Abspaltung konkreter. »Das Land steuert auf einen Bürgerkrieg zu, insofern es zwei Seiten gibt, die einander einfach nur hassen, und wenn Robert Mueller es so will, ist da ein großer roter Knopf in der Mitte des Tisches«, sagte der Fernsehmoderator Sean Hannity am 2. April 2018 auf Fox News. »Und wenn Robert Mueller so wichtigtuerisch und arrogant und machthungrig und korrupt ist, dass er den roten Knopf drückt, wird er damit eine Schlacht entfachen, wie wir sie in diesem Land noch nie zuvor erlebt haben.«

Das Genre »Bürgerkriegs-Fantasy«, das umfassender ist, als man es sich vielleicht vorstellt, findet fast ausschließlich im rechten Spektrum statt. Die Abspaltung Texas’ von der Union bietet besonders reichhaltigen Stoff. Eine bewaffnete Auseinandersetzung mit der Bundesregierung ist heutzutage eine der populärsten Wunschvorstellungen in den Vereinigten Staaten. Manchmal ist den Möchtegern-Kriegern bewusst, dass sie nur so tun als ob. Beim American MilSim – einem Extremsport, der historisches Reenactment mit militärischen Live-Action-Simulationen verbindet, um realen Kampfhandlungen so nahe wie möglich zu kommen – dienen Szenarien amerikanischer Aufstände als glaubwürdige Hintergrundkulisse.

Weitaus mehr Amerikaner sind sich jedoch nicht darüber bewusst, dass sie sich nur etwas zusammenfantasieren. 2015 gab die in den Vereinigten Staaten routinemäßig durchgeführte Militärübung Jade Helm 15 Anlass zu einer gewaltigen Anzahl an Verschwörungstheorien. Millionen glaubten, ihre eigene Regierung bereite die amerikanische Bevölkerung auf eine Invasion Chinas vor. Andere waren der Überzeugung, die Übung falle mit der Kollision eines Asteroiden zusammen. Der rechte Radiomoderator und Verschwörungstheoretiker Alex Jones behauptete, dass »Helm« ein Akronym sei und für »Homeland Eradication of Local Militants« stehe, also für die »Auslöschung lokaler Milizen auf Heimatboden«. Der texanische Gouverneur Greg Abbott, offensichtlich von der Annahme befeuert, die Bundesregierung habe vor, die Kontrolle über Texas mit Gewalt an sich zu reißen, entsandte die texanische Staatsgarde, um die Operation zu überwachen. Die Desinformations-Pipeline mündet in reale Macht: Internetgenerierte Hirngespinste geistern durch die konservativen Medien und dringen von dort in die Arena der Politik. Der Gouverneur von Texas reagiert mit der Entsendung von Truppen auf Theorien, die jeglicher realen Grundlage entbehren.

Der Wunschtraum eines Bürgerkriegs hat sich auf allen Ebenen der amerikanischen Konservativen fest etabliert – in radikalen Gruppen, unter Medienpersönlichkeiten, bei gewählten Amtsträgern. Ein Symbol wird genügen, ein Aufhänger, an dem sie ihre Wut, ihr Gefühl, bedroht zu sein, festmachen können, damit sie ihre Überzeugung ganz auf die Fantasievorstellung einer säubernden Gewalt lenken.

Die Brücke

Wenn die Schlacht beginnt, wird keiner sich mehr daran erinnern, dass eine Brücke ihr Auslöser war. Keine wichtige Brücke, nicht eine der großen menschlichen Leistungen, die zu den Errungenschaften Amerikas zählen. Nicht die Brooklyn Bridge, nicht die Golden Gate, sondern eine kleine zweispurige Brücke, um deren Benennung sich niemand geschert hat. Eine Brücke über einen Fluss, den gewöhnliche Menschen überqueren müssen, in einem kleinen ländlichen Bezirk, in dem man die Bundesregierung verachtet und beschließt, sich ihren Vorschriften nicht länger zu beugen. Für die extreme Rechte wäre diese Brücke das perfekte Symbol.

Nichts verkörpert die zugrunde gehende amerikanische Regierung mehr als ihre Brücken. Von den 616087 Brücken Amerikas sind beinahe 40 Prozent fünfzig Jahre oder älter. Die Vereinigten Staaten ließen Infrastrukturwunder bauen, kümmerten sich danach aber nicht mehr um ihren Erhalt. Die Instandhaltung erfordert Geld, und niemandem fällt eine Brücke auf, solange sie nicht gefährlich ist. Aktuell beläuft sich der Rückstand für Brückensanierungen auf 171 Milliarden Dollar. 2016 waren beinahe zehn Prozent der Brücken des Landes baufällig. Die Brücke, die zum Auslöser der ersten Schlacht des kommenden Bürgerkriegs wird, könnte jede von ihnen sein.

An dieser einen Brücke tauchen Beamte des Verkehrsministeriums für eine Routineinspektion auf. Sie finden bröckelnden Beton vor, Wasserschäden durch unsachgemäße Dichtstoffe und dünn gewordene Knotenbleche, aus denen die Nieten herausbrechen könnten. Es bleibt ihnen keine Wahl, als die Aufsicht führende Behörde des Bezirks anzuweisen, die Brücke als Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu schließen. Es wird allerdings auch nicht einfach werden, die Brücke wieder instand zu setzen. Die Umweltschutzbehörde fordert eine Umweltprüfung, bevor die Reparaturen durchgeführt werden. Aufgrund von Budgetkürzungen und dem Rückstau von Infrastrukturprojekten mit angeordneter Überprüfung kann die Umweltschutzbehörde keine Frist festsetzen. Einstweilen wird die Brücke mit Betonpfeilern und Stacheldraht abgesperrt. Autofahrer müssen einen langen Umweg auf sich nehmen.