Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
OM C. Parkin verbindet die östliche Tradition von "Advaita" mit dem westlichen Erkenntnisweg. Die Antworten, die OM C. Parkin in diesem Buch gibt, zielen klar und direkt auf das letztendlich Wesentliche und beleuchten die Wahrheit dessen, was der Mensch wirklich ist. Sie erweitern und vertiefen die Themen seines ersten Buches: "Die Geburt des Löwen". "Die Frage: 'Was ist es, was ich wirklich will?' führt die wiederstrebenden, konkurrierenden Willenskräfte wieder zu ihrer einen Wurzel zurück. In seiner Essenz will der freie Wille die Auslöschung eines 'freien', persönlichen Eigenwillens, um nach Hause zurückzukehren und wieder mit dem Einen zu verschmelzen. Das Konzept des freien Willens führt sich letzlich selbst ad absurdum." OM C. Parkin auf Seite 123
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 320
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Auge in Augemit dir Selbst
Parkin, OM C.
Auge in Auge mit dir Selbst – Gespräche im Sein
Originalausgabe:
© advaitaMedia Publications GmbH, Hamburg
[email protected], www.advaitamedia.com
In J. Kamphausen Verlag & Distribution GmbH, Bielefeld
[email protected], www.weltinnenraum.de
Lektorat: Chandravali D. Schang
Typografie und Satz: KleiDesign
Umschlag-Gestaltung: Frauke Büker
Druck & Verarbeitung: Wiener Verlag, Himberg bei Wien
1. Auflage 2003
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 3-936718-01-6
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige, auch elektronische Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.
Vorwort
Der direkte Weg
Die Vermeidung der Freiheit durch Leiden
Wünsche – die Drogen der Hoffnung
Das Ich-Konstrukt, ein Akt des Festhaltens
Wer stirbt? – Die Begegnung mit dem Tod
Alleinsein in der Herde
Zurückweisung oder Einladung? Die männliche und die weibliche Annäherung
Sich-Berühren-Lassen
Verantwortung – die vollkommene Täterschaft
Das Feuer bedingungsloser Bereitschaft
Der Lehrer
Glaube und Vertrauen
Hingabe
Demut
Gnade
Wahre Stille
Glückseligkeit
Liebe
Mann und Frau
Arbeit – die Umsetzung der Wesensqualitäten
Zeitlosigkeit
Das Verschwinden der Welt
Verstehen landet nie
Gottes Wille ist das Herz des persönlichen Willens
Der innere Zeuge
Das unpersönliche Leben
Anhang: Biographische Notizen
Glossar
Stille ...
In dieser neuen Liebe, stirb.
Dein Weg beginnt auf der anderen Seite.
Werde der Himmel.
Nimm die Axt gegen die Wände des Gefängnisses.
Fliehe.
Geh hinaus wie jemand,
der plötzlich in die Farben geboren wurde.
Tu es jetzt.
Du bist in dicke Wolken gehüllt.
Schlüpfe an der Seite hinaus.
Stille ist das sichere Zeichen,
daß Du entkommen bist.
Dein altes Leben war ein aufgeregtes Wegrennen
vor der Stille.
Der sprachlose Mond steigt jetzt auf...
Rumi
Nach zwanzig Jahren auf der Suche, traf ich 1999 in OM C. Parkin den ersten Lehrer, der mich ermutigt hat, die Axt in die Hand zu nehmen und das Gefängnis meiner Scheinheiligkeit aufzugeben. Durch die Arbeit mit OM C. Parkin habe ich gelernt, die Schattenaspekte zu schätzen und zu respektieren. Sie dienen mir als Wegweiser. Nur indem ich sie willkommen heiße, Auge in Auge mit mir selbst, ist der Weg in die Freiheit möglich. In Liebe zerstört die Kraft des Zornes jede Lüge.
Die ständig liebevolle Präsenz von OM C. Parkin stärkt das Vertrauen in meinen tiefsten Wunsch nach Befreiung. Dieselbe Liebe, als Schwert des Zornes, konfrontiert mich rücksichtslos mit meinen versteckten Widerständen. Mit wunderbarem Humor hilft er mir über Momente tiefster Verzweiflung und Niedergeschlagenheit hindurch.
Er holt den Schüler da ab, wo er ist, aus seiner Verstrickung und Verblendung, denn OM selbst lebt mitten in der Gewöhnlichkeit des Menschseins und das in völliger Freiheit.
OM C. Parkin erwachte 1990 nach einem schweren Autounfall zur WIRKLICHKEIT. Danach begegnete er seiner Lehrerin Gangaji und ihrem Lehrer Shri Poonjaji. Dieser gab ihm den Namen OM. 1991 begann OM in Deutschland zu lehren. Im Darshan und in Innerer Arbeit erforscht er mit Suchenden ihre wahre, nicht-duale Natur.
Damit macht er viele Menschen mit der Selbsterforschung, die auch Poonjajis Lehrer Ramana Maharshi lehrte, bekannt. Die alte Weisheit der seit Jahrhunderten in Indien gelehrten Advaita-Lehre, die auch die Essenz des Zen darstellt, erfährt so eine neue zeitgemäße Vermittlung.
Inzwischen bereist OM regelmäßig viele Städte in ganz Europa und wo anfangs vielleicht fünfzehn Menschen mit ihm saßen, kommen heute zweihundert. Der kleine Freundeskreis in Hamburg wurde 1995 zu einem gemeinnützigen Verein und heute hat die Allionce e.V. über vierhundert Mitglieder. Seit der Veröffentlichung seines ersten Buches „Die Geburt des Löwen – Dialoge zur Selbsterforschung“ (1998) ist ein kraftvolles Feld um OM entstanden, das viele Früchte hervorbringt: das AdvaitaJournal, das zweimal jährlich erscheint, die Enneallionce – School for Inner Work und Gut Saunstorf – Ort der Stille, ein europäisches Zentrum, das gerade in Mecklenburg-Vorpommern, unweit von Wismar entsteht. Dies wird ein Ort des Rückzuges sein, der Raum bietet für spirituelle Lehrer der verschiedensten Traditionen, Innere Arbeit, Körperarbeit und für die Begegnung von Spiritualität, Kunst und Wissenschaft.
Dieses Buch besteht aus mündlichem Material, d.h. Aufzeichnungen von Gesprächen, die OM C. Parkin in den letzten fünf Jahren mit Suchenden führte. Es ist eine Einladung sich einzulassen, die Worte der Klarheit zu hören und sie wirken zu lassen. Diese Worte erreichen die Wurzel des Leidens und öffnen das Tor – zur Freiheit.
Oktober 2002
Jörg Dauscher
Der direkteste Weg ist der gerade Weg. Noch direkter als der gerade Weg ist der Weg, bei dem das Ende am Anfang ist. Natürlich ist es ein Widerspruch, einen Weg zu gehen und doch keinen Weg zu gehen. Solange ich einen Weg gehe, bin ich nur am direktesten Weg interessiert. Der direkteste Weg ist das direkte Hindurchtreten durch Illusion in diesem Moment. Für dieses direkte Hindurchtreten durch jede Form von Illusion ist kein Konzeptwissen notwendig. Es kann für manche Menschen hilfreich sein zu verstehen, aber das Verstehen muß so wie alles andere auch wieder aufgegeben werden.
Es gibt sehr viele Lehren, die sich mit dem Werden beschäftigen, Aufsteigen oder Absteigen, das ist das Werden. Das Werden ist der Weg, aber direkter als der Weg ist das Schauen in das Sein selbst, und es ist nicht das Ich, das in das Sein hineinschaut, es ist das Sein selbst, das sich seiner selbst gewahr wird. Das ist die Essenz von Satsang. Wenn spirituelle Lehren nicht im Dienste von Satsang stehen, dann führen sie weg von dir, immer nur weg.
„Weg“ und „weg“ ist dasselbe. Der direkte Weg, der genau dort ansetzt, wo das Verständnis des Suchenden ist, und der im Dienste von Satsang steht, von der einen Wahrheit des Seins, dieser Weg ist ein dienlicher Weg. Er ist dazu da, um im nächstmöglichen Moment aufgegeben zu werden. Ich vertrete keinen bestimmten Weg und ich vertrete auch keinen Glauben, ich deute einzig und allein auf die direkte Erfahrung deiner Selbst.
Dennoch mußt du in diesem Moment von dort gehen, wo du glaubst dich aufzuhalten und von dort aus die Erforschung von Wahrheit beginnen. Das Konzept, daß es keinen Weg gibt, daß der ganze Weg eine Einbildung ist, nützt dir gar nichts. Auch das wäre nur eine Vermeidung der Erforschung von Wahrheit und Liebe in diesem Augenblick.
Alles, was zählt, ist deine direkte Erfahrung. Um die Autorität wieder zu gewinnen, die du für diese direkte Form von Erforschung brauchst, mußt du aufhören, dich mit all dem zu beschäftigen, was die innere Autorität nicht nährt, sondern unterwandert.
Die Menschen leben ein Leben voller Kompromisse. Kompromisse, um etwas zu bekommen: Kompromisse, um Liebe zu bekommen, Kompromisse, um Anerkennung zu bekommen, Kompromisse, um gut dazustehen, Kompromisse, um es sich bequem zu machen, Kompromisse, um nicht zu fühlen, Kompromisse, um sich dem Chaos, der Unkontrollierbarkeit, nicht hingeben zu müssen. Und dieses Leben voller Kompromisse ist ein Leben, in dem die Lebenskraft nicht gewürdigt wird und dementsprechend auch nicht vollkommen zur Verfügung steht.
Menschen bringen Energie auf für alles mögliche, aber es fehlt die Energie für das Wesentliche. Und das ist die direkte Erforschung von Wahrheit und Liebe, und diese Erforschung trägt die Früchte der Erkenntnis. Indirekte Erforschung ist es, vorher einen Rahmen zu stekken, dadurch daß ich an etwas glaube, und dann darin zu versuchen, die Realität zu bestätigen. Vieles ist nichts anderes als eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Die wirkliche innere Wissenschaft des Bewußtseins kann nur in totaler Offenheit und Unwissenheit stattfinden. Deshalb muß alles, was du an Wissen, an Halb- und Viertelwissen aus der Vergangenheit angenommen hast, zurückgewiesen werden. Gleich, wer dich etwas gelehrt hat, ob es deine Eltern waren, Freunde oder Priester.
Die vollkommene Zurückweisung von allem hinterläßt ein Vakuum. Wir schätzen dieses Vakuum nicht. Wir versuchen wieder nach etwas zu greifen. Wir fühlen uns unsicher, hilflos, verloren, allein gelassen oder was auch immer die Färbung in deinem Bewußtsein ist angesichts dieses Vakuums, wenn du es berührst. Jede Erforschung kann nur aus diesem Vakuum beginnen. Es ist ein vollkommener Neubeginn von allem. Alles zurückzuweisen heißt, bei vollkommenem Bewußtsein bereit zu sein dafür, daß all das, was ich angehäuft habe, sterben kann und muß, damit ich der Realität, der Wahrheit ins Auge blicken kann.
Mit der wirklichen Lehre zu sein, bedeutet nicht Flickschusterei mit allen Halblehren zu betreiben, die dich jemals gelehrt worden sind. Du weißt, was aus dieser inneren Haltung von Flickschusterei geschieht. Es ist die Fortsetzung der inneren Haltung ständiger Kompromißhaftigkeit. Ich rede nicht davon, daß die Außenwelt radikal abgeschnitten werden muß, ich rede nur von der Innenwelt. Die Außenwelt folgt der Innenwelt. Wir brauchen nicht zu versuchen, in der Außenwelt Veränderungen vorzunehmen, und dann glauben, daß die Innenwelt folgt. Das Hindernis ist nicht, daß wir keine spirituellen Lehren empfangen hätten, nein, das Hindernis ist diese Anhäufung von Halb- und Viertellehren im Geiste, die begrenzt sind. Sie sind wie Haufen geistigen Mülls, die den direkten Weg versperren. Du kannst glauben, was du willst. Und du kannst auch anzweifeln, was du willst, das ist keine Erforschung des Seins.
Du brauchst die ganze Leidenschaft für die Wahrheit. Wenn ein Mensch die Leidenschaft für die Wahrheit in diesem Moment noch nicht ganz aufbringt, wenn sie ihm noch nicht gänzlich zugänglich ist, dann müssen durch das Gehen eines Weges Schalen der Zwiebel entfernt werden. Auch das ist ein Bild für den direkten Weg. Denn diese Leidenschaft ist verschüttet worden, eingeschläfert worden, und du hast es zugelassen, weil du den Schmerz nicht ertragen wolltest, den Schmerz der Unwahrheit, den Schmerz deiner Lebenslüge. Der Beginn der Trennung ist auch der Beginn von Lüge dir selbst gegenüber. Es ist schmerzhaft vorzugeben, etwas anderes zu sein als das „Ich Bin“. Aber das ist es, was du gelernt hast, was du glaubst und dann auch noch glaubst zu wissen.
Dieser Moment des Neubeginns ist nicht etwa der Beginn eines neuen Weges, nein, jeder Moment ist wie ein Neubeginn. Plötzlich weißt du, daß du nichts weißt. Es ist gut zu wissen, daß du nichts weißt. Denn das ist das Vakuum, von dem ich gesprochen habe. Und dieses Vakuum ist bereit dafür, daß ES einfließt. Dieses Vakuum ist kein Gefäß, das begrenzt ist. Es ist groß genug, um die Größe, die Fülle in sich aufzunehmen. Es ist nicht das Ich, das Wissen erlangen kann. Wissen kann einströmen in das Vakuum, in dem es die Idee von Ich für den Moment nicht mehr gibt.
Wir sind seit Jahrtausenden belehrt worden, die spirituelle Suche sei ein langer Weg. Wir kennen keinen anderen spirituellen Weg als einen langen Weg, nicht nur über ein Leben, sondern über viele Leben. In allen Religionen, das weißt du im Herzen oder das ahnst du, ist der Kern der Wahrheit enthalten. Jesus sprach die Wahrheit, Buddha sprach die Wahrheit, Mohammed sprach die Wahrheit. Nur wurde das, was ursprünglich einmal die Sprache der Wahrheit war, dann über Generationen hinweg so verwässert, daß daraus etwas wurde, was nicht mehr aus dem Munde eines Erleuchteten stammte, sondern aus dem Munde von Generationen unerleuchteter Schüler. Der Kern der Wahrheit ist immer noch enthalten, aber manchmal fällt es schwer, die Nadel im Heuhaufen zu finden, den Samen zu finden unter all dem, was ihn verschüttet hat. Was den Weg also lang werden läßt, ist die Verwässerung der radikalen Lehre, der Lehre, die den direkten Weg zeigt.
In Satsang geht es nicht mehr um Rituale. Die Religionen verbringen ihre Zeit mit Ritualen, Verehrungen, Anbetungen, Praktiken usw. Wir wissen nicht mehr den direkten Weg zu gehen. Wir sind Symbolik gewohnt, wir sind es gewohnt, den indirekten Weg zu gehen. Wir sind es gewohnt, in den Spiegel eines Symbols zu schauen, um indirekt zu verstehen. Und deshalb sitzen viele in Satsang und gehen weiter einen indirekten Weg des Verstehens zwischen „dir“ und „mir“. Du mußt davon ausgehen: Das, was scheinbar zwischen uns ist, ist nicht ein Leben, sondern die karmische Geschichte von Jahrmillionen. Das ist das, was den denkenden Geist ausmacht und was den indirekten Weg ausmacht.
Sei bereit für die absolute Direktheit der Übermittlung. Und diese Direktheit der Übermittlung von Wahrheit nimmt keine Anleihe in der Vergangenheit. Sie bezieht sich nicht auf Buddha, sie bezieht sich auch nicht auf Christus oder auf Mohammed. Sie bezieht sich auf überhaupt keine Idee der Vergangenheit. Natürlich ist das, was Buddha wirklich ist, was er lehrt, und was er verkörpert, keine historische Figur. Er muß in diesem Moment vollkommen lebendig sein. Wenn er das nicht ist, kann er nicht die Wahrheit sein. Vollkommen und direkt zum Wesentlichen zu kommen, das bedeutet, radikal zu sein.
Du brauchst eine radikale Einstellung zum Leben, eine radikale Einstellung zu dir selbst und eine radikale Einstellung zu deiner Suche nach Wahrheit. Eine absolut radikale Einstellung, die alles durchtrennt wie ein Schwert. Und es ist diese radikale Einstellung, mit der du in Satsang sitzt und hörst, mit der du wirklich hörst. Hörst, was nicht in Beziehung steht zu den Jahrmillionen spiritueller Lehre, geschweige denn zu den Jahrmillionen der Lehre deines Egos. Es steht weder in Beziehung zur Vergangenheit, noch steht es in Beziehung zur Zukunft, denn ich weiß selbst nicht, was ich sage. Ich weiß selbst nicht, was in diesem Moment geschieht, weil es nicht aus der Zeit stammt und nicht aus dem Raum, weil es nicht aus der dritten Dimension stammt. Wenn du bereit bist für diesen einen radikalen Moment, der „dein“ Leben zerstört, öffnet sich die vierte Dimension. Es ist diese absolute Radikalität, die ich bei all denjenigen gefunden habe, durch die endgültiges Erwachen wirklich geschehen ist.
Radikalität ist nicht eine männliche Qualität. Das Schwert ist die männliche Qualität, aber es gibt auch die absolut sanfte Radikalität des Weiblichen. Es ist die direkte Schau von Wahrheit, die direkte Schau ins Herz ohne Angst, ohne Widerstand, ohne einen einzigen Gedanken. Wenn du einen einzigen Gedanken zwischen dir und dieser Schau zuläßt, ist die Schau nicht mehr direkt. Die Schau wird dir „gestohlen“. Du hast verlernt, wirklich direkt zu schauen, du hast verlernt, den Dingen ins Gesicht zu schauen. Du hast nicht gelernt, ins Zentrum zu schauen, weil niemand es dir beigebracht hat, weil alle dich lehrten, wegzuschauen, woanders hinzuschauen, nach außen zu schauen, in die Welt zu schauen. Aber die vollkommene und direkte Schau in die Tiefe deiner selbst hat niemand gelehrt. Und deshalb bist du es nicht mehr gewohnt, wirklich zu schauen, um zu sehen, was ist.
Dein ganzes Denken macht Umwege, das Denken ist überhaupt ein einziger Umweg. Es ist Nach-Denken oder Vor-Stellen, es ist nie direkt, niemals ins Zentrum, niemals die vollkommene Intimität mit dem Sein. Und weil du diesen Umweg des Nach-Denkens gewählt hast, hörst du nicht mehr genau, was ich sage. Das Nach-Denken führt dich nicht weiter. Sei bereit, direkt zu schauen, was ist, und nimm wahr, was die Trennung ist. Und du wirst sehen: Es ist immer die gleiche Trennung, es ist der Gedanke „Ich“, den du zwischen dich und die Lebendigkeit des Lebens gestellt hast, zwischen dich und die unendliche Ausdehnung des Lebens. Du bist nicht mehr radikal, so radikal wie man sein muß, um wirklich zu erkennen, was ist, um Wahrheit direkt zu erkennen. Die meisten glauben nicht mehr, daß sie diese innere Autorität, die nötig ist, um Wahrheit zu erkennen, überhaupt besitzen.
Selbsterforschung, so wie sie durch Shri Ramana Maharshi gelehrt und weitergegeben wurde, ist der direkteste aller Wege und nur für diejenigen geeignet, die für diese vollkommene Direktheit und Radikalität bereit sind. Sie ist nur für reife Seelen, die so im Bruchteil einer Sekunde, in einer millionstel Sekunde sehen können, was zu sehen ist. In absoluter Schärfe, in absoluter Klarheit und in vollkommener Liebe des Seins.
Warum sollte Gott vor dir verborgen sein, warum sollte die Wahrheit sich vor dir verbergen wollen? Du bist es, der sich vor der Wahrheit verbirgt, indem du nicht bereit bist, radikal und direkt zu sein, indem du der Angst folgst, der Ablenkung, dem Widerstand und deinen Gedanken, die nicht deine sind, anstatt direkt in den unendlichen Raum deiner selbst zu schauen und zu erkennen, was ist. Du brauchst dafür keine Referenz, du brauchst nicht die Referenz von irgendeinem Lehrer, der dieses und jenes gesagt hat. Wenn du beginnst, nach Referenzen zu suchen, verstrickst du dich immer mehr in Widersprüche. „Ramesh hat damals das und das gesagt, aber jetzt behauptest du das und das, und außerdem hat Gangaji uns damals das und das gelehrt. Und wie ist das damit zu vereinbaren, daß Buddha das und das lehrte?“ Für den Verstand ist es eben nicht zu vereinbaren.
Diese Suche nach Referenzen bei verschiedenen Lehrern ist nur der Versuch, sich weiter in der falschen Sicherheit des Denkens aufzuhalten, und der Glaube, man könne durch den indirekten Weg auch die Wahrheit erkennen. Man erliegt weiterhin der Illusion, der Verstand könne die Wahrheit erkennen und die Welt verstehen, der Ich-Gedanke könne verstehen. Aber leider kann der Ich-Gedanke nicht verstehen. Und weißt du, was das bedeutet? Das bedeutet: „Du“ kannst nicht verstehen. Das ist das ganze Problem. Du sitzt in Satsang und du kannst nicht verstehen, solange du versuchst, zu verstehen.
Es ist möglich, Realität selbst zu erforschen und zu erkennen. Die Autorität für diese Erforschung, und damit für die Unterscheidung von dem, was wirklich ist, was von Herzen kommt, und dem, was vom Verstand kommt – diese Unterscheidungskraft ist in dir. Sie ist niemals wirklich verlorengegangen. Satsang deutet wieder auf diese Autorität, auf diese Unterscheidungskraft. Ein Mensch, der diese Unterscheidungskraft nicht beherzigt, der sie nicht kultiviert und niemals berücksichtigt hat, ist vollkommen verloren in einem Labyrinth von Sinnestäuschungen. Ja, die Welt, die du wahrnimmst, ist ein Labyrinth aus Sinnestäuschungen. Sie hat nichts, gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Zurück zur Wirklichkeit – das ist Satsang. Zurück nach Hause. Zurück dahin, wo tief in dir dein Wesenskern nur darauf wartet, vollkommen entdeckt zu sein, vollkommen offenbar zu sein für dich. Ja, es ist eine glückliche Zeit. Es ist ein immenses Potential in diesem Moment, was dich erwartet. Und es gibt keinen Grund, Zeit zu verlieren.
Im Jahre 1991 traf mich das, was ich den Schock des Absoluten nennen möchte. Ich bin dann kurz darauf nach Indien gefahren und habe dort mehrere Wochen mit Shri Poonjaji verbracht. Und als ich dann nach Deutschland zurückkam, ging es darum, mich wieder meinen Geschäften zuzuwenden. Ich war vorher als Therapeut tätig gewesen, und ich sage, es war ein Schock des Absoluten, weil jegliche Funktion des Geistes ausgelöscht war. In diesem Schock geschah die Realisation: „Es gibt mich gar nicht, ich bin tot, mich gibt es gar nicht.“
Als die Arbeit mit Klienten wieder begann, erinnere ich mich noch an die erste Sitzung: Es war eine Frau, die auch vorher schon bei mir gewesen war, mit der ich schon einige Therapiestunden verbracht hatte, und als sie vor mir saß, wußte ich plötzlich überhaupt nicht mehr, was ich mit ihr anfangen sollte. Es war, als gäbe es nichts zu tun, und in mir war so etwas wie ein Schulterzucken, ein Lächeln, das sich innerlich bis zu einem Gelächter ausweitete, eine vollkommene Unwissenheit und auch Ratlosigkeit. Als sie dann begann, mir wieder ihre Geschichte zu erzählen, an der sie litt, wußte ich einfach nichts zu sagen. Es war ein Unverständnis da, ein vollkommenes Unverständnis dafür, daß sie leidet. Es war, als gäbe es in mir plötzlich keine Instanz mehr, die etwas darüber wußte, warum Menschen leiden, weil die Offensichtlichkeit des Absoluten so überwältigend und die Illusion des Leidens so offensichtlich war, daß einfach Unverständnis herrschte. Ich glaube, ich habe ihr dann so etwas gesagt wie: „Was willst du? Du bist frei.“ Daraufhin war dann bei ihr die Ratlosigkeit. Nun, um es kurz zu machen, sie kam nicht mehr wieder. Aber sie war nicht die einzige, die nicht mehr wiederkam.
Seitdem beschäftigt mich nicht die Offensichtlichkeit des Seins, die Offensichtlichkeit der Freiheit, die in diesem Sein liegt. Warum sollte sie mich beschäftigen, wenn sie doch offensichtlich ist? Das einzige, was mich von dem Moment an beschäftigte, war die Frage: Was ist es im Menschen, was diese Offensichtlichkeit vermeidet? Und wie ist es möglich, diese Offensichtlichkeit des Seins, diese Offensichtlichkeit des Absoluten, freizulegen von der Ignoranz des Ich-Gedankens, der davorliegt so wie Wolken „vor“ dem Himmel liegen? Es scheint, als wenn diese Frage eine Frage ist, die einen Lehrer beschäftigt, und ich bin zu folgendem Schluß gekommen:
Es ist ganz offensichtlich, daß es eine große Diskrepanz gibt zwischen der Lehre von Advaita, zwischen der guten Nachricht von Satsang, daß jeder Mensch, egal, unter welchen Umständen er lebt, egal, mit welcher Geschichte er groß geworden ist, egal, ob er in Kriegszuständen oder im äußeren Frieden lebt, daß jeder Mensch frei IST – aber andererseits sehr, sehr wenige in der Geschichte der Menschheit diese Freiheit vollkommen realisiert haben. Diese Diskrepanz ist offensichtlich, und in meinen Begegnungen mit Suchenden bin ich darauf gestoßen, daß es offensichtlich Kräfte im menschlichen Geist gibt, die ein Interesse daran haben zu leiden, daß es eine Kraft gibt, die leiden will, und offensichtlich ist der spirituelle Weg ein Ringen mit dieser Kraft. Wie ist es möglich, daß eigentlich die gesamte Menschheit nach Glückseligkeit und Frieden sucht und Menschen dennoch leiden wollen?
Satsang ist für mich die Einladung zur Desillusionierung, denn offensichtlich leiden wir nicht an der Realität, wir leiden nicht an dem, was ist. Wir leiden daran, daß wir die Realität ignorieren und gleichzeitig nicht ernsthaft genug sind, um dieser Ignoranz vollkommen ins Auge zu blicken.
Sind wir in dieses Ego hineingezogen worden?
Die Frage, die du stellst, ist eine Warum-Frage, nämlich die Frage: Warum ist der Fall aus dem Paradies geschehen? Warum ist er geschehen? Damit du wieder hineingelangen kannst. Damit du in dem bewußten Zustand des Leidens als außerhalb des Paradieses stehend überhaupt den Wunsch hegen kannst, wieder ins Paradies aufgenommen zu werden, vollkommen.
Die Beschreibung der Evolution ist folgende: Die Menschheit befand sich schon im Zustand des Paradieses. Jeder einzelne befand sich in Vollkommenheit und dann ohne einen Grund, den überhaupt ein Geist erfassen könnte, begann das Spiel, begann der Fall, begann die Spaltung. Und erst von dem Moment an war es möglich, daß sich ein Zustand einstellen konnte, der glückseliger war als der Zustand des Paradieses, in dem sich die Menschheit schon befunden hatte: Das ist der Zustand des realisierten Paradieses.
Jedes Individuum durchläuft den gleichen Zyklus. Zunächst der Zustand des Säuglings als das unbewußte Paradies: Als Säugling warst du schon im Paradies, keine Zweiheit, keine Trennung, kein Ich – und dann geschah das scheinbar Unabänderliche, die Ent-zweiung durch die Entwicklung eines persönlichen Ichs, und das Erlangen des Bewußtseins darüber hat dich offensichtlich zur Begegnung mit dem Lehrer, hat dich überhaupt auf den spirituellen Weg geführt. Der natürliche Zustand ist nicht der gleiche Zustand wie der, in dem du schon als Säugling warst und in dem die ganze Menschheit schon war, sondern es ist die Glückseligkeit des realisierten Einsseins. Das Paradox des Einsseins im Spiel der Dualität: einem Menschen zu begegnen, einem Menschen in die Augen zu schauen und dich selbst zu erkennen. Nur dich selbst zu erkennen. Das ist jenseits von Sympathie oder Antipathie. Das ist Freude, das ist Glückseligkeit, das ist Satsang, gelebter Satsang. Das ist die Fülle des Paradieses, das sich lebt, ohne daß es einen Jemand gibt, der daran Interesse hätte, das zu leben, denn es ist in jedem Moment vollkommene Bereitschaft da, daß dieser Körper geht. Es gibt kein Interesse mehr daran zu überleben, und dennoch sorgt das Leben für sich selbst, auch für diesen Körper. Das ist meine vollkommene Erfahrung.
Leiden muß geschehen, damit Erkenntnis geschehen kann, denn ohne Leiden ist Erkenntnis unmöglich. Nur das Leiden selbst ist nicht das eigentliche Hindernis des Menschen. Sondern das Hindernis ist die Unbewußtheit, der Schlaf und die Dumpfheit des Leidens, die Abstumpfung des Bewußtseins durch verschiedenste Techniken des Ichs. Diese Abstumpfung ist es, die dich nicht mehr erkennen läßt, und das ist es, was auch als der Schmerz des Erwachens bezeichnet wird, wenn sich die Stumpfheit löst und äußerst unbequemes Material aus den Tiefen der Seele auftaucht.
Erst nach der Trennung, nicht vor der Trennung kann Realisation geschehen. Erst die Trennung, die Entfremdung, erst das Leiden, unbewußt, dann bewußt, vollkommen bewußt. Unbewußtes Gewahrsein, besser gesagt, unrealisiertes Gewahrsein, dann unbewußte Trennung und unbewußtes Leiden, dann bewußtes Leiden und bewußte Trennung und dann realisiertes Gewahrsein, das ist der höchste Zustand.
Es gibt Menschen, insbesondere in anderen Völkern, zum Beispiel in Indien, die nie das unrealisierte Gewahrsein verlassen. Hier im Westen ist das selten. Und dieses unrealisierte Gewahrsein sieht manchmal aus wie Erleuchtung. Ken Wilber nennt es die Prä/Transverwechslung. Es kommt aus der Essenz, Liebe aus der Essenz, jedoch nicht realisiert, nicht durch die für Realisation notwendigen Stufen der Trennung, der Entfremdung und des Leidens gegangen. Es hat in Indien sogar Menschen gegeben, durch die realisiertes Gewahrsein vom ersten Moment an da war. Ich sage das nur, um verständlich zu machen, daß alles in Gewahrsein ist, aber daß Gewahrsein nicht dasselbe ist wie realisiertes Gewahrsein.
Den Kern des Leidens zu entdecken ist eine sehr fortgeschrittene reife Erkenntnis, die nicht vielen zuteil wird: Leiden hat nichts damit zu tun, ob es dir gut geht oder schlecht geht. Das ist das normale Verständnis eines Menschen, der glaubt, daß er leidet, wenn es ihm schlecht geht und wenn es ihm wieder besser geht, dann leidet er nicht mehr. Es ist Ignoranz, das zu glauben. Und es ist ein äußerst begrenztes Verständnis von Leiden. Jeder normale Mensch denkt, Leiden ist das, was ihn unglücklich macht.
Das wahre Verständnis von Leiden geht zurück auf deine Identität als ein Jemand, der daran glaubt, überhaupt ein eigenes Leben zu führen, der glaubt, irgend etwas unter Kontrolle zu haben. Diese Idee eines Jemand, der ein Leben führt und einen vermeintlich freien Willen hat, das an sich ist Leiden.
Du bist in Satsang, um dich zu verabschieden von einem Nichts, von diesem Konstrukt von Ich, von liebgewordenen Illusionen, die so lange nicht Nichts sind, wie sie Leiden verursachen, und dieses Leiden ist so massiv, daß es die gesamte Menschheit in Atem hält. Es kann eigentlich gar keine Rede davon sein, daß es Nichts ist. Es ist eine unglaubliche Masse, eine unglaubliche Macht, etwas, von dem sich nur sehr wenige Menschen im Laufe der Jahrtausende verabschieden konnten. Du kannst dich glücklich schätzen, wenn dieser Abschied eintritt, und wenn du bereit bist, diesen Abschied wirklich zuzulassen. Wenn das Ich keine Rolle mehr spielt, dann scheint das Leben aus der Perspektive des Ichs sinnlos zu sein, keinen Sinn zu machen.
Das göttliche Spiel dient dem Erwachen und der Erkenntnis deiner Selbst. Sei mit dem Abschied und wisse, daß der Abschied einher geht mit der Öffnung und der Offenbarung des Neuen. Es gibt keinen Tod ohne Neugeburt, es gibt keinen Abschied von einer alten Liebe, wenn nicht gleichzeitig eine Öffnung einer neuen gegenüber da ist.
Du hast, genauso wie die meisten Menschen, das Leiden liebgewonnen, das Leiden ist zu deinem besten Freund geworden. Die Begrenzung, die Beschränktheit des Ich ist zu deinem Zuhause geworden, und so geht es allen Menschen. Du hast dich eingerichtet in dieser Gefängniszelle, du hast deine Plastikblumen, du hast dein kleines Bild an der Wand der Gefängniszelle, du hast ein kleines Bett, du hast dich häuslich eingerichtet. Du weißt, daß du mit diesem Ich zumindest überleben kannst. Jeder weiß das, zumindest hat er die Hoffnung. Es klingt zwar humoristisch in diesem Moment, aber in Wirklichkeit ist es das Drama der Menschheit, und es ist auch dein Drama, in dem du verhaftet warst, welches sich jetzt langsam, aber sicher auflöst, vorausgesetzt du bist bereit dafür.
Diese Wertschätzung dem Leiden gegenüber, die Wertschätzung der Identifikation mit Körper und Geist, mit dem Denken, diese alte Wertschätzung ist es, von der du dich verabschiedest.
„Die Wahrheit verbirgt sich nicht vor dir,
sondern du verbirgst dich vor der Wahrheit.
Und das ist ein normales menschliches Leben:
ein Davonlaufen, eine Flucht vor der Wahrheit,
Flucht in die Verstrickung mit der äußeren Welt.“
„Wünsche sind die Droge des denkenden Geistes.
Du hast einen Wunsch, du strebst danach, diesen
Wunsch zu erfüllen, und der Wunsch wird erfiüllt.
Du fühlst dich glücklich und zufrieden.
Es dauert nicht lange, und plötzlich taucht der
nächste Wunsch auf. Du strebst danach,
auch diesen Wunsch zu erfüllen,
du kämpfst dich durch, und nach einer Zeit, nach
Jahren oder nach Jahrzehnten oder schon nach
fünf Sekunden wird dieser Wunsch erfüllt, und du
fühlst dich einen Moment befriedigt.
Doch wieder dauert es nicht lange, da taucht
der nächste Wunsch auf. Und so geht es viele
Leben lang.
Die meisten Menschen brauchen viele Leben, um
in dieser letztendlichen Konsequenz zu erkennen,
daß all diese Wünsche zwar nicht falsch sind, aber
nicht wirklich glücklich machen.
Es gibt keinen einzigen Wunsch des menschlichen
Geistes, der glücklich macht, außer diesem einzigen
Wunsch, und das ist der Wunsch, frei zu sein.“
Es ist wichtig, die Macht des unerfüllten Wunsches nicht zu unterschätzen. Diese Macht der Täuschung ist so unvorstellbar immens, daß es nicht einzelne Menschen gibt, die ihr unterliegen, sondern praktisch die gesamte Menschheit erliegt dieser Täuschung. Es gibt meines Erachtens innerhalb dieses Soges des unerfüllten Wunsches zunächst keine Mittel, um diese Täuschung wirklich zu erkennen. Aber es besteht die Möglichkeit, nicht nur den Wunsch wahrzunehmen, sondern auch den Boden, auf dem dieser Wunsch entsteht. Der Mechanismus, der einen Wunsch so betäubend macht, besteht darin, daß du in dem Moment deine Aufmerksamkeit nur noch auf den unerfüllten Wunsch selbst richtest und den Boden vollkommen vergißt. Was ist der Boden eines unerfüllten Wunsches, woraus entsteht er, was ist es, was ihn überhaupt möglich macht? Das ist es, was geleugnet wird, während dich der unerfüllte Wunsch in die Zukunft treibt.
Der unerfüllte Wunsch ist immer die Hoffnung auf Erfüllung in einer Zukunft, und von dieser Zukunft weiß man nicht, wann sie eintritt. Aber die Hoffnung schert das nicht. Die Hoffnung kümmert sich nicht darum, wann es eintritt und ob es überhaupt jemals eintritt. Die Hoffnung ist Droge genug. Jeder unerfüllte Wunsch ist geknüpft an die Hoffnung auf Erfüllung. Hoffnung ist eine der tiefgreifendsten Betäubungen des menschlichen Geistes. Wenn du jetzt also die Aufmerksamkeit auf den Boden zurückrichtest, aus dem heraus der Wunsch entsteht ... was ist der Boden?
Die Leere, unerfüllt sein und leer.
Nennen wir es einmal nicht Leere, sondern Öde.
Ja.
Öde, Unerfülltsein, Unzufriedenheit, das sind immer noch harmlose Begriffe. Unzufriedenheit und Unerfülltsein sind nur die Spitze des Eisberges. Folge dieser Spitze unter die Oberfläche, und was du wahrnimmst, je tiefer du fällst, ist Schmerz und Verzweiflung, und der verzweifelte Kampf, das verzweifelte Ringen, das sich dann immer wieder Ersatzbefriedigung schaffen will, die niemals erreicht wird. Dieser Boden von Schmerz und Verzweiflung ist es, der geleugnet wird. Vollkommen betäubt durch diese sich auftuenden Hoffnungsschimmer, den Streif am Horizont, der mich nach vorne schauen läßt und nicht mehr rückwärts gewandt.
Was wir nicht verstehen ist, daß jedes Nach-vorne-Schauen diese Betäubung des Rückwärtsgewandten in sich trägt, die der Geist nicht überwinden kann. Wir können unsere Tendenz zur Rückschau nicht wirklich dadurch überwinden, daß wir nach vorne schauen. Nach vorne heißt in die Zukunft, in der Hoffnung auf Besserung, auf daß alles gut wird, auf daß alles besser wird.
Wir hören auf, nach vorne oder zurück zu schauen, und beginnen in diesem Moment, das ganze Bild wahrzunehmen. Wenn der Geist auf die Zukunft gerichtet ist, und jeder unerfüllte Wunsch ist das, ist es unmöglich, das ganze Bild wahrzunehmen. Wenn der Geist nur in der Vergangenheit hängt, das Vergangene nicht loslassen kann, ist es unmöglich, das ganze Bild wahrzunehmen.
Das ganze Bild kann nur wahrgenommen werden, wenn du in der Präsenz dieses Momentes alle Bewegungen, die auftreten, wahrnimmst und bezeugst, denn dieser Bodensatz, die Unzufriedenheit, ist in die sem Moment fühlbar. Sie mag aus der Vergangenheit in diesen Moment hineingeholt werden, aber sie muß in diesem Moment wahrnehmbar sein. Darunter ist der Schmerz und unter dem Schmerz ist die Verzweiflung, und unter der Verzweiflung ist die Leere selbst. Du gibst die Leugnung auf, du hörst auf, das auszublenden, was der Boden des unerfüllten Wunsches ist, und betäubst dich nicht mehr durch das, was der unerfüllte Wunsch dir vermitteln möchte, denn es ist schlicht und ergreifend eine Lüge. Es ist eine Lüge, eine Lüge aus einer geistigen, undurchsichtigen Dimension. Wir nennen es die Versuchung, und jeder, wirklich jeder ernsthafte Selbsterforscher muß sich mit der Dimension der Versuchung auseinandersetzen. Wenn der Teufel nur in schwarzen Kleidern auftreten würde, würde ihn jeder sofort erkennen. Das ist es, was die Kraft der Versuchung ausmacht, daß ihre eigentliche Wirkweise im Verborgenen liegt und demjenigen nicht offensichtlich ist, der nur in den Schein hineinschaut und sich mit den Masken zufrieden gibt.
Die eigentliche Dimension der Versuchung ist nicht mehr durch materiell ausgerichtete Wünsche zu erkennen. Nein, es sind subtilere Wünsche, es sind Wünsche, die gar in spirituellen Mäntelchen daherkommen, das sind die eigentlichen Dimensionen von Versuchung des Geistes.
Ein unerfüllter Wunsch ist ein Gedanke, nicht mehr und nicht weniger, und wenn dann der Griff danach geschieht, dann bist du weg und fühlst unverzüglich die abtrennende Wirkung.
Es ist möglich, diesen Moment genauestens zu bezeugen, und das ist der Moment, in dem du Zeuge der trennenden, spaltenden Kraft eines jeden unerfüllten Wunsches wirst. Aber es ist nicht der Wunsch selbst, der spaltet. Es gibt nichts, was an sich spaltender Natur ist. Du bist es, der danach greift. Ja, es erfordert immer das Objekt und das vermeintliche Subjekt, was danach greift, damit Identität entstehen kann. Identität kann es nur geben, wenn es zwei gab, die jetzt zu einem werden, und das ist eine sehr eigenartige Angelegenheit, denn Advaita lehrt ja eigentlich nichts anderes, als daß es nur eins gibt. Also, was ist so schlimm daran, wenn es nur eins gibt, wenn alles eins ist, ich eins mit Gott und dem Teufel? Ich eins mit all meinen unerfüllten Wünschen, was wäre so schlimm daran?
Nun, diese „Einswerdung“, die immer wieder minütlich, sekündlich geschieht, ja, die jeden Morgen geschieht, wenn ein Mensch aufwacht und sich die Identität wieder zusammensetzt, dieser Moment der „Einswerdung“ ist kein bewußter Moment der Einswerdung mit dem göttlichen Sein. Das unterscheidet die Einswerdung mit dem, was wahr ist, was echt ist, von der Einswerdung mit dem, was unecht ist, was falsch ist.
Die Einswerdung mit dem, was unecht ist, geschieht niemals bei vollkommener Bewußtheit. Sie geschieht immer im Halbdunkel des Bewußtseins. Dieses Halbdunkel ist die Dämmerung des morgendlichen Erwachens eines Menschen, in dem diese Identifikation wieder geschieht. Das Bewußtsein wird zu einem Ich, und dieser Vorgang wiederholt sich nicht im Körper, es geschieht im Geist – die Einswerdung mit einem unerfüllten Wunsch, die falsche Einswerdung, die einfach von deiner mangelnden Bewußtheit lebt und von deiner mangelnden Unterscheidungsfähigkeit, von deiner mangelnden Sicht, von deiner Naivität, von deinem Glauben an das Resultat, an die Erfüllung. Du glaubst daran seit wer weiß wievielen Generationen, und das ist das Rad der Wiedergeburten.
Wodurch sollten Wiedergeburten ausgelöst werden, wenn nicht durch unerfüllte Wünsche? Wenn ein Wunsch in diesem Leben nicht befriedigt wird, dann braucht er eben noch ein Leben, dann braucht er noch seine Zeit. Wir wissen, wie das mit unerfüllten Wünschen ist, oder wir wissen es auch nicht, aber wir scheinen immer wieder Erfahrungen zu machen, die eigentlich genau das Gegenteil sind, von dem was wir uns gewünscht haben. Ich habe mir Frieden gewünscht, ich bekomme Krieg. Ich habe mir Reichtum gewünscht, ich bekomme Armut, wie ist das möglich? Wie ist das möglich, wenn doch immer nur das geschieht, geschehen muß, was meinen unerfüllten Wünschen entspricht? Nichts anderes kann geschehen als das.
Das ist die zweite große Lüge, im Zusammenhang mit einem unerfüllten Wunsch, der zweite wesentliche Aspekt der ganzen Geschichte, den du übersiehst, während du nach einem unerfüllten Wunsch greifst: Wenn du nach dem unerfüllten Wunsch greifst, greifst du gleichzeitig auch nach seinem Schatten. Der Schatten ist die andere, die dunkle, die zerstörerische Seite.
Gestern ging es zum Beispiel um den Wunsch, geliebt zu werden. Die Frau greift nach diesem Wunsch, geliebt zu werden, und der Wunsch verspricht ihr Glück, Liebe und Erfüllung. Vielleicht sieht sie Bilder von ihrem Geliebten, und es kommt ein Gefühl von Wohlsein über sie, das sich steigert bis in eine Ekstase, in einen Rausch. Gleichzeitig während sie nach diesem Wunsch greift, der ihr alles verspricht, den Himmel auf Erden, hat sie nach dem Wunsch, nicht geliebt zu werden, gegriffen. Das weiß sie nicht, sie bemerkt es gar nicht. Aber eine Zeitlang später fragt sie sich, wieso sie immer wieder an demselben Punkt endet, nämlich im Nicht-geliebt-Werden. Sie versteht es nicht. Ihr Wunsch war doch geliebt zu werden, wie kann es jetzt sein, daß das Resultat genau das Gegenteil von dem ist, was sie sich eigentlich gewünscht hat? Das ist der Schatten des unerfüllten Wunsches. Es geht darum, zu verstehen, daß du niemals nur nach der einen Seite greifen kannst, du holst dir die dunkle Seite mit ins Haus und bemerkst es gar nicht, weil die geistigen Schatten so subtil sind und die Vergröberung der Wahrnehmung der meisten Menschen nicht in der Lage ist, sie wahrzunehmen.
Das ist die Geschichte über unerfüllte Wünsche. Das ist die Geschichte, wie die Menschheit wie ein Nasenbär in der Arena herumgeführt wird und sich dabei auch noch frei fühlt, denn die Freiheit scheint darin zu bestehen, sich jeden Wunsch vorstellen zu können. Du kannst dir alles in der Welt vorstellen, der Geist hat die Fähigkeit dazu, du kannst dir alles wünschen. Der Teufel sagt zu dir: Wünsch dir, was du willst, du hast alle, wirklich alle Wünsche frei, und das stimmt. Du hast alle Wünsche frei, und das ist so wunderbar, sich alles vorzustellen, was man sich wünschen kann. Ja, ich bin ein König, ich bin Gott, das ist es, eigentlich will ich Gott sein, sagt das Ich. Ich will Gott gleich sein. Und die Weisen scheinen das zu bestätigen.
Natürlich spielt die Idee eines unerfüllten Wunsches keine Rolle mehr, wenn derjenige, der glaubt ihn zu haben, erkannt ist, denn alles, was in deiner Welt existiert, kann nur dadurch existieren, daß es jemanden gibt, der glaubt, es haben zu können. Das ist die Idee des Ich, das ist der Ich-Gedanke.
Wie ist es möglich, die Besitzsucht, das Haben-Wollen aufzugeben? Nun, es sind deine Wünsche, die irgend etwas in Besitz nehmen. Ich erinnere mich noch genau daran, als ich zum ersten Mal eine vollkommen klare Wahrnehmung davon hatte, wie der Griff nach einem unerfüllten Wunsch, der im Bewußtsein auftauchte, unverzüglich Leiden verursachte. Als ich das erkannte und die Möglichkeit wahrnahm, von diesem Wunsch loszulassen, mich einfach wieder in die Stille meiner selbst zu entspannen – in dem Moment verflüchtigte sich der Wunsch. Denn der Wunsch ist nichts anderes als ein Gedanke, und jeder Gedanke verflüchtigt sich im Nichts in dem Moment, wo du die Beziehung zu diesem Gedanken aufgibst.