Augenblicke für die Ohren - Jürg Jecklin - E-Book

Augenblicke für die Ohren E-Book

Jürg Jecklin

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Beschreibung

Jürg Jecklin war nicht nur ein erfindungsreicher Tonmeister, er war auch Schöpfer der weltberühmten Jecklin-Scheibe oder des elektrostatischen Kopfhörers FLOAT. Nach 30 ereignisreichen Jahren als Tonmeister beim Schweizer Radio wirkte er als Hochschullehrer an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Jürg Jecklin zeichnete seine unkonventionelle Art aus, wie er Probleme anging, wie auch seinen empathischen Umgang mit Studierenden, Musikern und Musikerinnen.

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Inhalt

VORWORT

JUGENDJAHRE IN CHUR: RADIO, FILMTON UND HI-FI VOR 1960

Erste Erfahrungen und Basteleien

Film

Hi-Fi

Traumberuf Tonmeister

BASEL:DAS RADIOSTUDIO NACH 1960

Start als Tonmeister

Studiotechnik gemäss PTT-Norm

Anfänge der Stereofonie

ANALOGPROBLEM BANDRAUSCHEN: LÖSUNG DANK DOLBY NR

Das Hallproblem bei der Aufnahme von Musik

Aufnahmeräume

Anfänge von Digital Audio

Surround Sound beim Schweizer Radio

Ende meiner Tätigkeit beim Radio

USA: MARLBORO MUSIC FESTIVAL UND AUDIO-KONTAKTE

Marlboro Music School und Festival

Die Aufnahmetechnik

Proben als Masterclass-Unterricht, Konzerte und Produktionsaufnahmen

US-Audiokontakte

WIEN: UNTERRICHTEN

Professur in Wien

Workshops in Sankt Petersburg und Shanghai

SCHREIBEN: ZWEI BÜCHER, EINIGE PAPERS UND VIELE ARTIKEL

Lautsprecherbuch

Zeitschriftenartikel «Sound» und «Musik und Theater»

Musikaufnahmen: Grundlagen, Technik, Praxis

Weitere Schreibereien

TECHNISCHE ENTWICKLUNGEN

Float – eine Problemlösung wird zum Markenzeichen

Die Jecklin-Scheibe – Provokation und Problemlösung

Transdyn: Dynamik transformieren mit DOLBY-Akupunktur

Entwicklungen für Peerless/MB/Quart

PROBLEMLÖSUNGEN

Wenn Umstände kreative Lösungen erfordern

HIGHLIGHTS UND STERNSTUNDEN

Musikalische Highlights

Produktionsaufnahmen ohne Highlights?

Orte und Räume

SITUATIONEN

Anekdotisches

Menschliches

Tragisches

Unerklärliches und Mysteriöses

VON 1960 BIS 2020: TONTECHNIK IM WANDEL

Von Mono zu Stereo

Von der Röhre zum Halbleiter

Von Analog zu Digital

Datenreduziert contra hochaufgelöst

Mitschnitte statt Produktionen

Exkurs: Wagners Ring: Solti oder Keilberth?

Tonmeister und nicht Interpret

Konsequenzen für Idee und Berufsbild des Tonmeisters

Neue Möglichkeiten der Verbreitung von Musik

Beschallungstechnik

Multimedia, ungenutzte Möglichkeiten und der Verlust von Sinnlichkeit

Wenn ich heute zwanzig wäre

EPILOG

Der Tonmeister im Alter

Vorwort

von Markus Thomann

Wenn jeweils mein iPhone vibrierte und auf dem Display Jürg Jecklin erschien, dann musste ich mir rasch überlegen, ob ich mir die nächsten ein bis zwei Stunden frei nehmen konnte. «Tschau, do isch dr Jürg, schtöör i graad?» tönte es im breiten Bündner Dialekt. Er wusste genau, dass er mich kaum je störte, denn ich genoss diese wertvollen, inspirierenden Augenblicke. Meist begann er das Gespräch mit einem eher nebensächlichen Thema, etwas das ihm gerade durch den Kopf ging oder er nebenbei fragen wollte. Die Art und Weise suggerierte, dass es rasch abgehandelt sei und ich wieder in meinen Alltagstrott zurückwechseln konnte. Doch nach der Einleitung folgte rasch eine Überleitung zu einem weiteren Thema, das neue Spannung versprach, neue Erkenntnisse und Einblicke in seine Gedankenwelt. Mit gezielten Provokationen forderte er mich heraus, damit ich mich wehrte und freute sich diebisch, wenn es gelang. Das heizte die Gespräche an, und sie abzubrechen wäre ein Frevel gewesen, wie wenn man aus einem spannenden Film herauslaufen würde.

Oftmals startete er den Anruf gleich mit seiner Lieblingsprovokation: «Schtöör i di graad bim messa?». Ich erzählte ihm einmal, dass ich meine Lautsprecher, die ich baue, auch messen würde, eigentlich nichts Ungewöhnliches! Doch er nutzte dies, um sich süffisant von solch technokratischem Gebahren abzuheben und endete die Gespräche schelmisch mit: «Jetzt loon i di wiider lo messa!» Jürg war ein Audio-Künstler, aber technisch ungemein beschlagen. Gerne erzählte er, dass er seinen Float-Kopfhörer nie gemessen, sondern nur nach Gehör entwickelt habe. Messen sei schon gut, aber nur für die Prüfung einer Serienkonstanz. Seinen Studierenden in Wien, die Tonmeister werden wollten, habe er eingebläut, dass sie lernen müssten, gut hinzuhören. Um Anleitungen war er nie verlegen. In der ersten Lektion habe er immer einen besonders verblüffenden Hörversuch aufgebaut: Zwei Lautsprecher wurden nebeneinander auf einen Arbeitstisch gestellt und eine Trennwand dazwischen geklemmt, die bis zum Nasenspitz reichte. Hört man damit eine Stereoaufnahme, so ist die räumliche Darstellung riesig und komplett von den Lautsprechern entkoppelt. Entsprechende binaurale Aufnahmen vorausgesetzt, hört man sogar Schallquellen hinter dem eigenen Kopf. Es ist ein Effekt der gehörmässigen Wahrnehmung und sollte die Studierenden neugierig machen. Messen sei dagegen etwas für Nachrichtentechniker und aus seiner Sicht untergeordnet, wogegen Wahrnehmungspsychologie für ihn der Schlüssel zu höherem Verständnis bedeutete.

In unseren Gesprächen musste ich wach sein, um ihm folgen zu können. Oft fehlte mir das Hintergrundwissen, oder er wartete mit einer interessanten Neuheit auf, von der ich noch nie etwas gehört hatte. Jürg überforderte einen aber nicht, weil er immer in einfachen Sätzen sprach und es schaffte, grundlegende Erkenntnisse mit wenigen Worten auf den Punkt zu bringen. Dazwischen streute er reichlich Abenteuergeschichten aus seinem tonmeisterlichen Leben, die oftmals umwerfend komisch waren. Auch wenn die Gespräche ziemlich einseitig verliefen, beliess er Raum für Einwürfe, ja suchte dies förmlich. Jürg war ein Freigeist und alles, was in eine sektiererische Richtung wies, lehnte er ab. So habe er Kirchen nur von aussen betrachtet und würde nie ein Apple-Gerät kaufen wie ich. Er wolle sich sein Verhalten nicht vorschreiben lassen!

Mit Jürg zu plaudern war nicht nur amüsant und hob die Laune, es war ein grosses Privileg. Wie schade, dass seine Geschichten und Erkenntnisse nur einem kleinen Kreis von Menschen vorbehalten blieben, die ihn gut kannten. Ich wollte dies ändern. Dass Jürg dies alles im stillen Kämmerlein aufschreiben würde, war ausgeschlossen. Das merkte ich bald, nach einem ersten Versuch, ihn dazu zu motivieren. Es musste eine andere Methode her. Ich erinnerte mich, dass Ernst Müller vor einigen Jahren zwei spannende und einfühlsame Interviews mit Jürg Jecklin führte, die er in der Vereinszeitschrift der AAA (Analogue Audio Association) publizierte. Ernst präsidierte den Verein während vielen Jahren und leitete auch die Zeitschrift. Seine Interviews gehörten zu den Highlights und vereinten seine Liebe zur Musik, sein Interesse für die High-Fidelity und seine psychologischen und sprachlichen Fähigkeiten, die er als Deutschlehrer mitbrachte. Ein Glück, dass Ernst spontan zusagte, Jürg über sein ganzes tonmeisterliches Leben zu befragen, und Jürg bereitwillig darüber berichtete, denn: «Miis Leeba isch gaar nit immer e so luschtig gsii wie nes schiint!»

An sieben Nachmittagen zwischen Januar 2020 und Juli 2021 zeichnete Ernst die Gespräche auf, verschriftlichte sie und schickte den Text Jürg zur Beurteilung. Sobald dieser seine eigenen Aussagen vorliegen hatte, stachelte dies ihn an, die Texte zu ergänzen und sprachlich stärker in seinen Worten wiederzugeben. Ja er kniete sich förmlich in die Arbeit hinein. Die Worte des Interviewers wurden im Buch schliesslich auf jene Fragen reduziert, welche dem Ganzen eine Struktur geben.

Der Eifer, mit dem Jürg Jecklin an die Arbeit ging, hatte einen tragischen Hintergrund, denn Jürg erfuhr zwei Monate nach dem Abschluss der Gespräche von seiner unheilbaren Krankheit. Dass er im November 2021 dreiundachtzigjährig plötzlich verstarb, traf seine Freunde und die Öffentlichkeit unerwartet, denn er sprach kaum darüber. Jedoch kämpfte er um dieses Buch und brachte das Manuskript zum Abschluss. Allerdings fehlten noch illustrierende Fotos. So wie Jürg keinerlei eigene Tonaufnahmen archivierte, sammelte er auch keine Bilddokumente zu seiner Arbeit. Er archivierte die Projekte in seinem Kopf, als unterhaltsame Geschichte, als Erinnerung an gemeinsam Erlebtes. Das physische Archivieren bot für ihn keinen Reiz. Es ist der freundlichen Mithilfe mehrerer Personen zu verdanken, dass hier vieles einfliessen kann. Ein besonderer Dank gilt Jürgs Frau, Regina Weber Jecklin, seinem Bruder Andrea Jecklin, sowie Daniel Dettwiler vom Tonstudio Idee und Klang, Dr. Roman Flury, Albrecht Gasteiner, Walter Stutz und dem Radiostudio Basel.

Die Gespräche setzen bei Jürgs ersten tontechnischen Erfahrungen als Jugendlicher in Chur ein, führen zu seiner Arbeit als Tonmeister beim Radiostudio Basel, streifen seine Erfahrungen in den USA und dokumentieren seine Tätigkeit als Professor in Wien und sein Nachdenken darüber. Natürlich fehlen auch die Schilderungen von Jürgs unorthodoxen Erfindungen nicht. Wer weiss schon, wie sein berühmter Kopflautsprecher Jecklin-Float entstanden ist, weshalb er die Jecklin-Aufnahmescheibe erfand und was das Gerät Transdyn bezweckt? Vieles von all dem ist im besten Sinne fachlich interessant und gleichzeitig auch unterhaltend. Das Anekdotische war für Jürg auch ein Vehikel, um Wissen in den Köpfen der Zuhörer besser zu verankern. Lassen Sie sich also mitnehmen auf eine aussergewöhnliche Reise durch die Welt von Jürg Jecklin.

Ossia:

se non è vero,

è ben trovato

Jugendjahre in Chur: Radio, Filmton und Hi-Fi vor 1960

ERSTE ERFAHRUNGEN UND BASTELEIEN

Als Jürg Jecklin im Mai 1961 als 23-Jähriger bei Radio Basel in die Arbeitswelt einstieg, war bei der Aufnahme und Wiedergabe von Musik technisch einiges grundlegend im Wandel:

In den späten Fünfzigerjahren begann sich in den Aufnahmestudios Stereo durchzusetzen. Bis heute sind viele Aufnahmen von Decca, RCA und weiteren Labels, die damals schon auf Stereo setzten, legendär. Die meisten Haushalte blieben jedoch noch längere Zeit mit Monogeräten ausgerüstet. Auch bei den Radiostationen blieb man in Sachen Aufnahmen noch lange bei Mono. Zu aufwendig schienen damals die technischen Veränderungen, die nötig gewesen wären, um Stereo senden zu können.

Ein Tonmeisterleben beginnt aber nicht mit der Berufstätigkeit. Jürg Jecklin hatte schon im Kindheits- und Jugendalter ein Faible für Audiotechnik entwickelt. Er wuchs in Chur auf und verbrachte seine ganze Jugend und Schulzeit bis zur Matura dort. Chur war damals fernab von Radiostudios. Die ersten Kapitel geben in Anekdoten Aufschluss darüber, wie der Teenager dort mit dem Radiovirus infiziert wurde und in die Audiowelt einstieg.

Kristall-Detektor

Hat deine Faszination für Audio schon in jungen Jahren begonnen? Jürg Jecklin: Das Radio faszinierte mich, seit ich mich erinnern kann. Mit zwölf baute ich einen sogenannten Kristall-Detektor. Seit den Anfangstagen des Radios waren solche Geräte die einfachste Möglichkeit, Rundfunk zu empfangen. Diese passiven Empfänger ohne Stromanschluss funktionierten mit der empfangenen Energie des Senders. Das ging aber nur mit einer langen Antenne und wenn ein genügend leistungsstarker Sender in der Nähe war. Zum Glück schirmte in Chur der Calanda den damaligen Landessender Beromünster so massiv ab, dass die PTT für die Lokalversorgung einen kleinen Relaissender mit einer Leistung von 500 Watt installierte.

Aber nicht durch die Brauerei!

Nein, Chur wurde nicht vom Calanda-Bräu abgeschirmt, sondern vom Calanda-Gebirgsmassiv, das natürlich viel weniger bekannt ist als die nach ihm benannte Brauerei. Bekanntlich gibt es ja auch deutlich mehr Biertrinker als Bergsteiger

Der kleine Mittelwellensender in Chur lieferte für den Empfang mit einem an einen Detektor angeschlossenen Kopfhörer ein genügend starkes Signal. Ich installierte im Garten eine 30 Meter lange Antenne und kaufte bei der damaligen PTT einen alten «Telefon-Stöpselhörer». Diese wurden damals für einen Franken liquidiert.

Das Ganze installierte ich neben meinem Bett, und so konnte ich auch im Bett Radio Beromünster hören. Das war mir aber nur bis 22 Uhr erlaubt. Bei den sporadischen Kontrollgängen meiner Mutter liess ich nach 22 Uhr einfach den Stöpsel auf den Boden fallen und stellte mich kurz schlafend. Um Mitternacht kam immer die alte Landeshymne, und dann war Sendeschluss. Diese Hymne verfolgt mich wegen des häufigen Anhörens bis heute mit ihrem Text, «Rufst du mein Vaterland …».

Drei Mal wöchentlich begannen die Sendungen am Morgen um halb sieben mit dem sogenannten Frühturnkurs. Ein Turnlehrer, begleitet von einer Pianistin, gab Anleitungen zum Bewegen von Armen und Beinen. Das alles hörte ich mir, im Bett liegend, immer an.

An dieser Stelle könnte ich die bekannte Aussage von Churchill über die Auswirkungen von Sport zitieren. Stattdessen möchte ich nur festhalten, dass sich meine Haltung gegenüber dem Sport bis heute nicht geändert hat. Vermutlich laufe ich deshalb immer noch mit meinen eigenen Hüftgelenken und Kniescheiben herum.

Elektrifiziertes Hühnergehege und Türklingel als Funkeninduktor

War der Detektor deine erste Bastelei?

Nein, ich hatte schon vorher einige Versuche mit Elektrizität gemacht.

Meine 17 Jahre ältere Halbschwester war mit einem Bauern verheiratet, und ich verbrachte immer den grössten Teil meiner Schulferien auf ihrem Bauernhof in Fläsch. Da schloss ich einmal versuchsweise den batteriebetriebenen Hochspannungs-Generator für den Betrieb des elektrischen Vieh-Zaunes am Gitter eines Hühnergeheges an. Wenn ein Huhn in Kontakt mit dem Drahtgitter kam, flatterte es laut gackernd in die Mitte des Geheges. Und zufällig vorbeikommende Passanten, die das Gitter berührten, zuckten erschreckt zusammen.

Als Nächstes baute ich eine alte, mit einer 4,5 Volt-Batterie betriebene Türklingel zu einem Funkeninduktor um. Damit störte ich den Radioempfang im ganzen Haus. Einer der Bewohner beschwerte sich deswegen bei der PTT. Daraufhin kam ein Techniker vorbei, um die Störquelle zu orten. Er fand aber nichts. Ich machte dann während den Hauptsendezeiten des Radios keine weiteren Hochspannungsversuche mehr.

Für diesen Funkeninduktor fand ich aber auch noch eine andere Anwendung. Ich verband einen Pol der erzeugten Hochspannung mit einer wassergefüllten Metallschale, in die ich einen Einfränkler legte. Meine Klassenkameraden mussten einen am andern Pol angeschlossenen Draht in eine Hand nehmen und mit der anderen Hand versuchen, das Geldstück aus der Schale zu holen. Wenn sie es schafften, durften sie es behalten. Ein Franken war für mich damals viel Geld, das Risiko es zu verlieren war aber gleich Null. Sobald die Finger meiner Kameraden in Kontakt mit dem Wasser kamen, verkrampften sich die Hand und der ganze Arm so, dass es keiner schaffte. Der erste, der es versuchte, schrie auf, und sass anschliessend mit einem leicht verstörten Gesichtsausdruck sehr ruhig da. Meine anderen Schulkameraden versuchten es dann trotz dieses abschreckenden Beispiels ebenfalls, natürlich auch ohne Erfolg. Da wurde mir zum ersten Mal klar, welche Handlungsweisen Gier bei Menschen auslösen, auch wenn es dabei nur um einen Einfränkler geht.

Leider beschwerten sich die Eltern meiner Kameraden bei meinen Eltern. Daraufhin wurde mir strikt untersagt, weiterhin derartige Experimente zu machen.

Audion-Empfänger

Nach dem Detektor baute ich nach einer Bauanleitung im damals jährlich erscheinenden Jugend-Jahrbuch Helveticus einen Einröhren-Audionempfänger mit Batteriebetrieb und ersetzte den Stöpsel durch einen Funker-Kopfhörer für 10 Franken aus der Liquidation von Beständen der Schweizer Armee. Damit konnte ich abends mit der langen Antenne die wichtigsten Mittelwellensender Europas empfangen, etwa den in Lahr stehenden amerikanischen Soldatensender AFN (American Forces Network) mit seinen täglichen Jazz- und «American Song Book»-Programmen, sowie die Schlager-Hitparaden von RIAS Berlin (Radio im amerikanischen Sektor).

Die Batteriekosten für den Empfänger, er lief mit je einer 1,5 Volt und einer 22,5 Volt-Batterie, frassen mein ganzes Taschengeld auf. Die Batterien hielten nur wenige Betriebsstunden durch.

Richtige Radios

Der Detektor und der Audion-Empfänger entsprachen dem technischen Stand der späten Zwanziger- und frühen Dreissigerjahre. Dank einiger Ferienjobs konnte ich dann bei lokalen Radiohändlern ausgediente richtige Radios kaufen, ausgewählt immer nach klanglichen Kriterien. In besonderer Erinnerung ist mir ein damaliges Spitzengerät von Loewe-Opta geblieben. Es hatte zwei Tiefton-, zwei Mittelton-Lautsprecher und ein Hochton-Doppelhorn, das links und rechts seitlich abstrahlte und so, obwohl in Mono, ein einigermassen räumliches Klangbild erzeugte. Dieser Radio hatte bereits eine Gegentaktendstufe mit 12 Watt für den Tief-Mitteltonbereich, sowie eine 4-Watt-Endstufe für den Doppelhochtöner.

Mittelwelle und Telefonrundspruch

Der Empfang der Mittelwellensender war immer von atmosphärischen Störungen geprägt. Zum Glück hatten meine Eltern den sogenannten «Telefonrundspruch» abonniert, mit dem man einen störungsfreien Langwellen-Radioempfang über das Telefonkabel mit total fünf Programmen in der damals höchstmöglichen Radioqualität hatte. Ich zapfte das mit Blei abgeschirmte Kabel vom Telefonapparat zum Telefonrundspruch-Empfänger meiner Eltern mit einem dünnen, lackisolierten Wickeldraht an. Diesen verlegte ich unsichtbar durch einen stillgelegten Kamin bis in mein Zimmer im Dachgeschoss. Bemerkt hat das damals niemand. So konnte ich fünf Programme störungsfrei und mit einer Bandbreite von immerhin 6 kHz empfangen, unter anderem auch das Welschschweizer Radio mit seinen Jazzkonzertübertragungen aus Frankreich. Ein Highlight war an einem Weihnachtsabend um 23 Uhr die Direktübertragung eines Konzertes von Sydney Bechet und Claude Luter aus Paris. Mit schlechtem Gewissen, denn am heiligen Weihnachtsabend war so etwas im damaligen Chur, und dann auch noch während der in der Kathedrale zelebrierten Mitternachtsmesse, ein absolutes No-Go. Kurz nach Mitternacht gab es in Chur ein nennenswertes Erdbeben, das ich in meinem Zimmer auf dem Estrich des vierstöckigen Hauses deutlich spürte. Ich empfand das zuerst als mögliche Strafe Gottes. Dann sagte ich mir aber, dass eine Gottesstrafe doch eher Paris mit den Musikern und dem Konzertpublikum, und nicht die Stadt Chur mit einem einzigen Radiohörer hätte treffen müssen. Ich hörte mir das Konzert ohne Gewissensbisse bis zum Ende an.

UKW und Transistorradio

Mein erstes UKW-Radio war ein Empfänger-Chassis von Sondyna, das man in irgendein geeignetes Möbel einbauen konnte. Bei mir stand es offen herum. Nur die zugehörigen Lautsprecher, einen ovalen Tieftöner und einen Hochtöner, hatte ich in ein hinten offenes Gehäuse eingebaut. Nun hatte ich endlich die damals höchstmögliche Radioqualität, aber leider nur mit dem Empfang eines einzigen UKW-Senders mit dem Programm des Schweizer Radios. Lang-, Mittel- und Kurzwelle waren deshalb für mich weiterhin unverzichtbar.

Die ersten kleinen Transistorradios mit Knopf-Kopfhörer gab es erst viel später. Ich kaufte mir einen von TOSHIBA für meine Rekrutenschulzeit. So hatte ich als Einziger bei nahezu allen militärdienstlichen Verrichtungen einen Knopf mit Radioempfang im Ohr. Keiner meiner militärischen Vorgesetzten bemerkte dies, aber von meinen Kameraden musste ich mir Sprüche betreffend «Steiff, Knopf im Ohr» anhören.

Klarinettist Jürg Jecklin (Zweiter von rechts) als Jazzmusiker am Ende seiner Mittelschulzeit.

Plattenspieler und Verstärker

Das Radio war für einen Jugendlichen damals wohl die günstigste Möglichkeit, an Musik heranzukommen. Die Welt der Plattenspieler und Verstärker dürfte dir aber nicht entgangen sein.

Mit 16 kaufte ich meinen ersten Plattenspieler mit Kristallpickup von Lenco. Dieser war mit Fr. 100.– gerade noch erschwinglich. Von da an gab ich mein Taschengeld für Jazz-Schallplatten aus. Mit dem Geld eines Ferienjobs baute ich dann einen Verstärker und eine Lautsprecherbox nach einer Bauanleitung der amerikanischen Zeitschrift Popular Mechanics. Ich erhielt immer ein Exemplar des Vormonats in einer Churer Buchhandlung. Ohne Titelblatt, denn dieses musste als Beleg für jedes unverkaufte Exemplar an den Verlag zurück gehen. Dazu kaufte ich einen japanischen Koaxiallautsprecher, den ich in ein kleines Horn einbaute. Zwar verstand ich damals von vielem wenig, doch meine erste Anlage tönte besser als die damaligen Radios. In meinem Umfeld war das eine Rarität, denn in meiner Altersgruppe besass bis zur Matura niemand einen Radioapparat und schon gar nicht einen Plattenspieler oder Verstärker.

Jürg Jecklin als Klarinettist in einer Jazzband

Angeregt durch einen Artikel in der immer am Mittwoch erscheinenden Technikbeilage der NZZ, versuchte ich dann, einen Verstärker mit einer Printplatte herzustellen. Ich malte die Schaltung mit Asphaltlack auf kupferkaschiertes Hartpapier und ätzte mit Eisenoxyd das überflüssige Kupfer weg. Während den folgenden zwei Monaten hatte ich eisenoxydgefärbte Hände, da ich keine Handschuhe getragen hatte. Aber der Verstärker funktionierte auf Anhieb. Allerdings mit einem kleinen Anfangsproblem mit der sogenannten Gegenkopplung, die ich aus Versehen verpolt angeschlossen hatte. Damit war aus der Gegenkopplung eine Mitkopplung geworden. Der Verstärker war an einem Abend kurz nach Mitternacht betriebsbereit. Ich schloss den Lautsprecher an und schaltete den Verstärker ein. Der Lautsprecher brüllte nach der Anwärmzeit der Röhren wie ein tödlich verwundeter Lindwurm los. Ich zog sofort den Netzstecker aus der Dose, worauf das Gebrüll langsam abebbte. Mein Grossvater, der neben mir im Dachgeschoss sein Zimmer hatte, fiel vor Schrecken mit Gepolter aus dem Bett. Am nächsten Tag erzählte er während des Mittagessens, dass letzte Nacht eine Frau irgendwo im Haus furchtbar geschrien hätte und er vor Schreck aus dem Bett gefallen sei. Daraufhin sahen sich meine Eltern bedeutungsvoll an, und anschliessend stand die Frage im Raum, ob mein Grossvater nicht vielleicht doch allmählich in einem Altersheim besser aufgehoben wäre.

Jürg Jecklin als Flötist in einem Churer Schulensemble

Mit 17 bekam ich von meinem Paten ein Tonbandgerät von Philips und ein japanisches Bändchenmikrofon geschenkt. Damit machte ich Aufnahmen mit meiner Dixieland-Band. Natürlich ohne jegliches Wissen, ohne Kenntnisse und Anleitungen. Die Aufnahmen waren dementsprechend.

FILM

3D-Schattentheater

Du hast bekanntlich eine besondere Affinität zum Film und zum Filmton. Hat auch dies bereits in deiner Jugend begonnen?

Es begann mit einer 3D-Projektion, die ich bei einer Varieté-Vorführung in Chur sah. Man hatte auf der Bühne eine Leinwand aufgespannt, hinter der links und rechts mit einigem Abstand je eine Lampe aufgestellt war. Eine mit blauem, die andere mit rotem Licht. Alles, was zwischen den Lampen und der Leinwand stattfand, warf zwei farbige Schatten auf die Leinwand. Wenn man die Projektion von der anderen Seite der Leinwand mit einer Brille mit einem blauen und einem roten Filter betrachtete, sah man den Schattenwurf in 3D vor sich im Raum stehen. Diese Anordnung baute ich auch bei mir zu Hause auf. Ich spannte ein weisses Betttuch quer durch das Zimmer, machte Brillen aus Karton mit je einer blauen und roten Cellophan-Folie und hatte dann mit meinem 3-dimensionalen Schattentheater bei meinen Schulkameraden einigen Erfolg.

Dieser, aber auch andere meiner Versuche führten zu Konflikten mit meinem, im gleichen Zimmer wohnenden Bruder. Daraufhin bekam ich im Interesse des Familienfriedens ein eigenes Zimmer im Dachgeschoss. Dieses Zimmer war nur über das allgemeine Treppenhaus des vierstöckigen Hauses zu erreichen. Es war, wie man damals sagte, eine «sturmfreie Bude». Dieser Umstand spielte dann bei meiner Persönlichkeitsentwicklung während der Pubertät und nachher eine gewisse Rolle.

Mehrkanalton und Breitbild-Formate

In Chur gab es drei Kinos. Die Bedingungen bei Filmvorführungen waren kläglich. Bei allen stand hinter der Leinwand die damals kinoübliche Westrex-Hornkombination mit einem 30-Watt-Verstärker. Als das Breitbildformat Cinemascope mit Stereoton aufkam, war der Ton weiterhin Mono und die Filme wurden weiterhin auf die vorhandene Normalformat-Leinwand projiziert. Ich sehe noch vor mir, wie Hitchcock bei einem seiner üblichen Cameo-Auftritte mit einem Cellokasten links auf der hintersten Sitzbank eines Autobusses sass. Formatbedingt war aber nur ein Teil seiner Person auf der Leinwand sichtbar, der Rest von ihm nur schwach auf der schwarzen Fläche neben der Leinwand.

Weil mich aber die Möglichkeiten der damals neuen Breitbild-Filmformate mit Mehrkanalton faszinierten, trampte ich zu jener Zeit immer wieder zum Kino Apollo in Zürich. Der Inhaber des Apollo war Anton Eric Scotoni. Seinen Namen kannte ich, weil ich mich damals auch für Flugzeuge interessierte. Scotoni war auch der Repräsentant des amerikanischen Kleinflugzeugherstellers Cessna in der Schweiz.

Als es in Chur nur den pitoyablen Mono-Lichtton im Kino gab, und das Radio ebenfalls nur in Mono und Mittelwellen-Qualität zu empfangen war, tat sich mir im Kino Apollo eine unglaubliche Bild- und Ton-Welt auf. Hollywood wollte damals der Konkurrenz des aufkommenden Fernsehens mit spektakulären Filmen und entsprechenden Bild- und Tonformaten etwas entgegensetzen. Diese Filme waren weltweit nur in wenigen Grosskinos zu sehen. Eines davon war zum Glück das Kino Apollo in Zürich mit 2000 Sitzplätzen.

Bemerkenswert bei diesen Filmen war nicht nur das Bild, sondern auch der Mehrkanal-Surroundton. Es gab je nach Filmformat bis zu 7 Tonkanäle, die auf einem separaten 35mm-Magnetfilmband aufgezeichnet waren. Die Wiedergabe geschah mit 5 Front-Lautsprechern (Links, Links-Center, Center, Rechts-Center, Rechts) und 2 Surround-Lautsprechergruppen, die seitlich und hinter dem Publikum platziert waren. Die Ton-Qualität dieser Filme war für die damalige Zeit spektakulär. Sie wurde erst 60 Jahre später mit DOLBY ATMOS und AURO 3D einigermassen getoppt. Ich erinnere mich an den CINERAMA-Film «Seven Wonders of the World» (USA 1956) und an «Windjammer» im CINEMIRACLE-Format mit Musik von Morton Gould. Bei diesen Filmformaten waren bei der Aufnahme drei 35-mm-Filmkameras und bei der Wiedergabe drei synchronisierte Filmprojektoren aktiv. Die drei Bilder wurden nahtlos nebeneinander auf die riesige Leinwand projiziert. Das Filmformat bei Cinerama war 2,685:1 und bei Cinemiracle sogar 3:1. Ich erinnere mich noch, dass bei den Vorführungen in Zürich die drei Teilbilder leicht gegeneinander wackelten.

Dann kam das TODD-AO Breitbildformat auf 70-mm-Film mit 30 Bildern pro Sekunde und einem, dem heutigen 5.1-entsprechenden Sechskanalton. Also mit «front left», «center», «front right», «surround left», «surround right» und einem Effekt-Subwooferkanal.

In besonderer Erinnerung habe ich die TODD AO-Filme «Around the World in 80 Days» und vor allem «South Pacific» von 1958, einer Verfilmung des gleichnamigen Broadway-Musicals von Rodgers und Hammerstein mit einem für mich damals umwerfenden Surround-Toneffekt am Anfang des Films. Der Film begann mit dem Blick von einer Südseeinsel aus aufs Meer mit zwei rauchenden Vulkaninseln. Man hörte von vorne auf der vollen Breite die Meeresbrandung und von hinten Betriebsamkeit mit Motorfahrzeugen und Zurufen von Menschen. Dann folgte ein langsamer 180 Grad Kameraschwenk aufs Land, wo man den Aufmarsch amerikanischer Truppen sah. Geschichtlicher Hintergrund war die Seeschlacht um Midway während des Pazifikkriegs im Zweiten Weltkrieg. Der Ton schwenkte mit und nun hatte man den Militärlärm vor sich und die Meeresbrandung hinter sich.

Fernsehen

Genau in jener Zeit kam das Fernsehen auf. Wie hast du dies erlebt? Fernsehen gab es in Chur noch nicht. Der einzige Ort mit TV-Empfang in Graubünden war der einsam gelegene Gasthof Heidihof oberhalb der Stadt Maienfeld. Ein Churer Radiogeschäft organisierte einmal in der Woche eine Busfahrt von Chur zum Heidihof. Dort war auf der Bühne eines kleinen Saales ein TV-Gerät aufgestellt, den ein mitgereister Techniker in Betrieb nahm. Ich fuhr zweimal mit und war überhaupt nicht beeindruckt. Im Vergleich mit dem, was im Kino Apollo in Zürich geboten wurde, empfand ich die Bild- und Tonqualität als unglaublich mies. Und die Programme auch. Ich interessierte mich dann nicht mehr gross für dieses neue Medium.

HI-FI

Elektrostaten und frühe Stereoaufnahmen

Kannst du schildern, wie und wo du mit dem Hi-Fi-Virus infiziert wurdest? In den zwei Radiogeschäften in Chur gab es nur die damals üblichen Radios und, als innenarchitektonische Spitze des Eisbergs, sogenannte Musikschränke mit eingebautem Plattenspieler und Hausbar.

Diese Radioempfänger klangen wenigstens ausgeglichen, denn damals hielten sich alle Hersteller an das heute vergessene «Gesetz der 400 000»: Die tiefste wiedergegebene Frequenz multipliziert mit der höchsten musste 400 000 ergeben. Also im Idealfall 20Hz und 2000Hz. Oder, damals bei Mittelwelle, 100Hz und 4000Hz.

Die Radios hatten aber eine gewisse sinnliche Qualität. Wenn man nach einer Party (damals sagte man noch «Fest») in kleinster Besetzung im Dunkeln zusammensass – mit leiser Streichermusik von Mantovani oder Sinatra mit Nelson Riddle – und nur die Skalenbeleuchtung und das grünglimmende magische Auge des Radios zu sehen war, hatte das etwas an sich, an das ich mich heute noch erinnere. Vermutlich waren das meine ersten «High-End-Erlebnisse».

Meine ersten Begegnungen mit Hi-Fi hatte ich auch wieder in Zürich. Bei der Firma Egli-Fischer in Zürich sah und hörte ich zum ersten Mal eine Hi-Fi-Anlage, mit einem Vor- und einem Leistungs-Verstärker von QUAD und einem für mich völlig neuen Lautsprecher, dem QUAD-Elektrostaten. Und beim legendären Hi-Fi-Pionier Bopp am Limmatquai bekam ich einen elektrostatischen Mittel-Hochtöner von JansZen vorgeführt, der mit dem Basslautsprecher AR1 von ACOUSTIC RESEARCH kombiniert war. Da tat sich für mich eine neue Klangwelt auf, und damals begann meine Elektrostatensucht, die ich bis heute nicht losgeworden bin. Leider!

Bei Bopp hörte ich auch die ersten Stereo-LPs des Labels «COOK RECORDS». Von Emory Cook gab es bereits 1952 Zweikanal-LPs, die er «binaural» nannte. Dies zu einer Zeit, als es die Stereo-LP noch nicht gab. Bei den COOK RECORDS waren die zwei Kanäle nicht in einer Rille, sondern nebeneinander auf der LP aufgezeichnet. Bopp hatte auf einem Tangential-Tonarm zwei Mono-Pickups montiert, die man gleichzeitig in den jeweils richtigen Rillen aufsetzen musste.

Der legendäre Elektrostat Quad ESL 57 (©Klangwerk)

Heute erinnert mich diese Doppel-Monoaufzeichnung auf einer Schallplatte an das, was sich später als eine erste «zufällige» Stereoaufnahme mit der Duke Ellington Bigband von 1932 erwies. Aufnahmen wurden damals noch nicht auf Band aufgenommen, sondern direkt geschnitten. Zur Sicherheit liess man oft ein zweites Aufnahmegerät mit einem zweiten Mikrofon mitlaufen. Ein Sammler fand viel später neben der offiziellen eine zweite, von Hand angeschriebene Schellackplatte mit der, so seine Vermutung, gleichen Aufnahme. Für einen Vergleich synchronisierte er beide Aufnahmen auf dem PC, spielte sie zusammen ab und stellte fest, dass es sich in der Kombination um eine Stereoaufnahme handelte. Wahrscheinlich waren die zwei Mikrofone zufällig stereorichtig platziert gewesen.

TRAUMBERUF TONMEISTER

Filmton, Radio und Hi-Fi waren also so etwas wie deine «Traumgeschichten». Wie wird nun aber ein Beruf daraus?

Vor der Matura organisierte die Kantonsschule Chur eine Berufsberatung. Ich interessierte mich als Einziger für die Dokumentation «Radioberufe». Der Beschrieb vom Tonmeister entsprach exakt meinen Vorstellungen. Ich nahm mit der in der Dokumentation angegebenen Kontaktperson, dem Tonmeister und Betriebsleiter von Radio Basel, Max Adam, Kontakt auf. Er lud mich zu einem Besuch im Radiostudio ein. Ich trampte also nach Basel, bekam alles gezeigt, war fasziniert, und nach diesem Besuch waren meine Zukunftspläne gemacht.

Kurz vor der Matura mussten meine Mitschüler und ich in einem Formular unsere Berufspläne eintragen. Die meisten wollten an der ETH studieren, um El-Ing. oder Bau-Ing. zu werden. Wer es noch nicht wusste, schrieb «noch unbestimmt». Ich schrieb «Tonmeister». Da sagte mein Klassenlehrer, ein Germanist: «Das geht gar nicht, das ist eine Schande für mich, die Klasse und die ganze Kantonsschule. Schreiben Sie doch bitte «noch unbestimmt». Damals wurde man vom 16. Altersjahr an von den Professoren (so die damalige Bezeichnung für Mittelschullehrer in Chur) gesiezt, aber nicht mit «Herr», sondern nur mit dem Namen angesprochen. Desgleichen die Schülerinnen, bei denen man das damals übliche «Fräulein» wegliess. Mein Klassenlehrer nahm wohl an, dass ich Töpfer oder irgendetwas in einer Ziegelfabrik werden wollte. Ein Mitschüler war schlauer. Er wollte Schauspieler werden, schrieb aber sicherheitshalber «Theaterwissenschaften» ins Formular, und das wurde ohne Beanstandung akzeptiert.

Wie sah dann Deine Ausbildung aus? Max Adam hatte für mich arrangiert, dass ich nach der Matura ein Werkstattpraktikum im Radiostudio Basel machen konnte.

Und da wurde ich zum ersten Mal mit der Lebensrealität konfrontiert. Das Radiostudio befand sich auf dem Bruderholz, also im Villenquartier von Basel. Die hochstehende Umgebung war aber nicht bis in die Werkstatt des Studios vorgedrungen. Dort herrschte ein für mich ungewohnt derber Ton. Es wurden Sachen mit allen Details ausgebreitet, die man in Chur nur vielleicht, und dann höchstens heimlich machte. Und dann für sich behielt. Das alles bekam ich als wohlerzogene Unschuld aus Graubünden in Kleinbasler Art mit dem entsprechenden Dialekt und Vokabular vermittelt. Eine harte Schule. Vielleicht müsste ich jetzt feststellen, dass ich in diesem Umfeld meine Unschuld verloren habe. Auf alle Fälle musste ich mich nachher in Chur verbal immer sehr zusammennehmen, und meine alte Umgebung und meine Jugendzeit lagen irgendwie hinter mir.

Max Adam (stehend) und davor Techniker Joseph Adelmann (© SRF / H. Bertolf)

Dann machte ich die Aufnahmeprüfung für das damals massgebliche Tonmeisterstudium in Detmold, die ich aber nicht bestand. Da ich es nicht ein zweites Mal versuchen wollte, bastelte ich mir meine Ausbildung selbst zusammen: Ich studierte ohne Abschluss vier Semester am Basler Konservatorium (Flöte, Klavier) und besuchte als Hörer musikwissenschaftliche Vorlesungen an der Uni Zürich. Anschliessend absolvierte ich den ARD internen Toningenieurlehrgang am Institut RBT (Rundfunk Betriebs-Technik) in Nürnberg und machte einen Abschluss als ARD-Toningenieur und ARD-Tonmessingenieur.

Ich kann also bis heute in meiner Wohnung, und sei es auch nur an einem stillen Ort, kein Tonmeisterdiplom aufhängen. Und deshalb wurde ich auch nicht vom VDT (Verband Deutscher Tonmeister) als Mitglied aufgenommen.

Basel: Das Radiostudio nach 1960

START ALS TONMEISTER

Am 1. Mai 1961 begann deine Arbeit für Radio DRS. Dein Vorgänger war der Jazzmusiker Eddie Brunner, der kurz davor mit erst 48 Jahren verstorben war. Brunner war 12 Jahre lang Tonmeister beim Basler Radiostudio. Dass du seit 1961 vor allem in Basel residierst, hört man dir nicht an, dein Bündner Dialekt ist keinem anderen gewichen. War es eine Umstellung, in Basel zu arbeiten?

Ganz neu war die Situation für mich nicht. Ich hatte ja bereits ein Werkstattpraktikum im Radiostudio Basel gemacht und ich wusste, was mich erwartete. Als ich am 1. Mai 1961 als Tonmeister anfangen wollte, wurde ich aber wieder mit einer Basler Spezialität konfrontiert, denn ich stand vor verschlossenen Radiotüren. Der 1. Mai, der Tag der Arbeit, war in Graubünden ein ganz normaler Tag, in Basel aber der denkbar höchste Feiertag. Meine Arbeit begann also erst am 2. Mai 1961.

Der 1960 früh verstorbene Eddie Brunner, Jazzmusiker und Jecklins Vorgänger als Tonmeister beim Radio Basel.

Wie ist es zu erklären, dass du ohne offizielles Diplom eine Anstellung als Tonmeister bekamst?

Da ich bei meinem Werkstattpraktikum anscheinend nicht unangenehm aufgefallen war, wollte mich Max Adam als «Tonmeister im Wartestand» nach Basel holen. Zufällig gab es gerade eine offene Stelle als Redaktor und Produzent für Volksmusik bei der Musikabteilung. Taktisch geschickt verband Max Adam die Stelle mit der Verpflichtung, diese Musik auch aufzunehmen. Beim Vorstellungsgespräch beim Musik-Abteilungsleiter Conrad Beck, einem namhaften Schweizer Komponisten, schilderte er mir die Art meiner zukünftigen Mitarbeit. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen, denn ich hatte damals mit Volksmusik nicht viel am Hut. Auf seine Frage, was ich davon hielte, antwortete ich vorsichtig «Das könnte schon eine Aufgabe sein». Daraufhin sagte Conrad Beck: «Genau das wollte ich hören». Dann gingen wir zum Studiodirektor und ich hatte bereits ein halbes Jahr vor der Beendigung meiner Ausbildung in Nürnberg einen Arbeitsvertrag. Ein weiterer Grund für meine Anstellung war, so erfuhr ich später, meine körperliche Grösse von 1.87 Metern. Das war damals gross. Man glaubte, dass ich mir damit bei den oft eher kleineren Volksmusikern leichter Respekt verschaffen könne.

Das Radiostudio Basel an der Novarastrasse auf dem Bruderholz; es war von 1940 bis 2019 in Betrieb.

Kurz vor meinem Stellenantritt starb unerwartet Eddie Brunner und man gab mir die Möglichkeit, in seine Fussstapfen zu treten. Vorerst natürlich nur auf Probe.

Eddie Brunner war ein international bekannter Jazzmusiker, ein hervorragender Tonmeister und ein totaler Perfektionist gewesen. Ihn als 23-jähriger Anfänger ersetzen zu wollen, war im Grunde genommen eine Unverschämtheit. Ich sah aber die einmalige Chance, und ich wollte sie unbedingt wahrnehmen. Max Adam stand mir in meiner beruflichen Anfangszeit zur Seite. Ohne seine Hilfe und Unterstützung hätte ich es nicht geschafft. Ich hatte ja überhaupt keine Aufnahmeerfahrung, und die Mitarbeiter der Abteilung Technik, die meinen verstorbenen Vorgänger sehr geschätzt hatten, standen mir und meinen in Deutschland angeeigneten Ideen skeptisch gegenüber. Zudem hing in der Tonregie des Kammermusikstudios ein Foto von Eddie Brunner. So hatte ich meinen Vorgänger ständig als Erinnerung an meine Unzulänglichkeit vor Augen.

Diese erste Stelle war für mich eine Weichenstellung, die für mein restliches Leben bestimmend war und mich in Europa festnagelte. Leider? Vielleicht wäre ich sonst beim Filmton in Hollywood gelandet. Oder gestrandet.

Basel als neue Heimat?

Und wie hast du damals als Bündner Basel und die Basler wahrgenommen?

Ich arbeitete ja nicht nur in Basel, sondern ich wohnte und lebte auch da. Und ich musste wie jeder Zugereiste feststellen: Basel ist für anderswo Geborene gewöhnungsbedürftig. Die sogenannte Schlagfertigkeit und der sogenannte Basler Witz beschäftigen sich vor allem mit Zürich und den Zürchern. Als Bündner wird man von den Baslern eigentlich gemocht. Vielleicht ist da ein Skilehrer-Image mit im Spiel. Das fehlte mir aber total. Mein Dialekt wurde immer wieder belächelt und manchmal auch nachgeäfft. Und bei Diskussionen hatte immer ein Basler das letzte Wort mit irgendeiner terminierenden Formulierung, die ich nicht kontern konnte. Da beschloss ich, erstens meinen Dialekt voll beizubehalten, und zweitens die Basler mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Als dann einmal ein Basler nach einem Diskurs über die Eigenheiten Basels und der Basler am Schluss nach einer kurzen Pause nur noch sagte: «Eins – Null für dich», wusste ich, dass ich es geschafft hatte. Von da an war alles OK, ich fühlte mich akzeptiert, und Basel wurde für mich eine neue Heimat.

Jürg Jecklin im Radiostudio Basel

STUDIOTECHNIK GEMÄSS PTT-NORM

Wie sah damals die technische Ausrüstung beim Schweizer Radio aus? Die Studiotechnik beim Schweizer Radio war in jener Zeit nach den Kriterien der damals für die Technik zuständigen staatlichen PTT (Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe) konzipiert. Der Ausgangspegel aller Geräte entsprach der PTT-Norm für Übertragungsleitungen, nämlich 4,4 Volt mit Leistungsanpassung. Der Studiopegel in Deutschland, und eigentlich in ganz Europa, war aber 1,55 Volt mit Spannungsanpassung. Oder, in Dezibel ausgedrückt, Schweiz 15 dBm, international 6 dBu. Ausländische Verstärker und Geräte waren somit nicht ohne weiteres einsetzbar. In der Schweiz gab es aber technisch ähnliche Geräte der Albiswerke AG in Albisrieden und der «Standard Telephon & Radio AG», die seit 1959 im zürcherischen Au und später in Zürich produzierte. Diese lieferten das technische Material nach Norm und Kriterien der PTT. Nicht ohne Weiteres funktionierte aber die Spannungsanpassung der Bandgeräte beim Anschluss an das