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Weil Kriminalkommissar Friedo Behütuns wieder einmal den Mund nicht halten konnte und ein Journalist seine Tiraden über Politik und Gesellschaft auch noch veröffentlicht hat, wird er von seinem Chef zu einer Zwangsauszeit verdonnert. Sechs Wochen ...! Aus einer Bierlaune heraus fährt er nach Frankreich und mietet sich in der Bretagne ein Haus am Meer. Mit der Idylle dort aber ist es schnell vorbei. Im Nachbarort Kercambre werden die Leichen zweier Nürnberger Urlauber gefunden. Für die französische Polizei ist rasch klar: Es ist die Tat bretonischer Separatisten. Behütuns jedoch lässt vom Feriendomizil aus seine Kollegen daheim im Umfeld der Opfer herumschnüffeln, und plötzlich tut sich ein völlig neuer Verdacht auf - mit Spuren, die bis zur Besatzung Frankreichs und in die jüdisch-deutsche Vergangenheit zurückreichen …
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Seitenzahl: 424
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TOMMIE GOERZ
Auszeit
Kriminalroman
ars vivendi
Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi erschienenen Originalausgabe (2. Auflage Januar 2013)
© 2012 by ars vivendi verlag
GmbH & Co. KG, Cadolzburg
Alle Rechte vorbehalten
www.arsvivendi.com
Lektorat: Michaela Deuchler
Umschlaggestaltung: ars vivendi verlag, unter
Verwendung eines Fotos von eyelab/Photocase
Datenkonvertierung: ars vivendi verlag
eISBN 978-3-86913-396-6
Reisen soll ich, Freunde! reisen,
Lüften soll ich mir die Brust?
Ludwig Uhland, Reisen
Diese Geschichte wurde mir so oft wiederholt, daß ich an
der Wahrheit der Sache nicht zweifeln konnte.
Mungo Park, Reisen ins innerste Afrika
Prolog
Als der alte Jonas Samuel Lebherz in Paraná, der Hauptstadt der Provinz Entre Ríos im Nordosten des riesigen Landes Argentinien im biblischen Alter von unglaublichen 101 Jahren, inzwischen nahezu blind und schon seit Langem an den Rollstuhl gefesselt, spürte, dass es mit ihm zu Ende ging, ließ er seinen erstgeborenen Enkel Marc Eloias Lebherz zu sich rufen und erzählte ihm eine Geschichte. Zur Sicherheit. Denn es beunruhigte ihn etwas.
Dann lauschte er lange dem leisen Plätschern der Wellen unten an den Pfosten der Terrasse, die hier, am Zusammenfluss des Río Saládo und des Río Paraná, in das flache Wasser hineingebaut war, und dachte an alte, längst vergangene Zeiten. Auch in seiner Kindheit am kleinen fränkischen Fluss Pegnitz hatte das Wasser am Ufer immer so leise geplätschert, an den langen Sommertagen. An der Regnitz hingegen, wie der Fluss heißt, nachdem die Pegnitz sich mit der Rednitz vereinigt, hatte er das nie gehört. Hier hatte immer das Wehr gerauscht, das das Wasser staute, um es über die waagerechten Turbinenschaufeln zu lenken, von deren Achse die Kraft über hölzerne Zahnräder auf die Antriebswellen und von dort auf die Schwungräder für die Antriebsriemen geleitet wurde, um das Spiegelglas zu schleifen. Aber das war lange her.
Der Paraná floss hier noch in Richtung Süden, gespeist von Gewässern aus Brasilien, Bolivien und Paraguay. Mehr als 3.500 Kilometer hatte er schon hinter sich, und erst nach weiteren 500 Kilometern würde sich das Wasser, dem der alte Lebherz gerade lauschte, durch die große weite Ebene ganz langsam Richtung Osten wenden, sich bei Buenos Aires in den Río de la Pláta ergießen und, an La Pláta und Montevidéo vorbei, sich endlich mit dem Atlantischen Ozean vermischen. Bis aber das Wasser diesen Weg zurückgelegt hätte, wäre er schon längst nicht mehr da, das wusste er. Wo er dann wäre? Da hört das Wissen auf, dachte er sich. Dort, wohin all die anderen vor ihm schon hingegangen sind. Die meisten viel zu früh. Nein, er hatte keine Angst vorm Sterben, auch nicht vor dem Tod. Sein Leben war ihm ohnehin seit achtzig Jahren ein Geschenk, das hatte er nie vergessen. Jetzt aber war er alt, das Dasein machte keinen rechten Spaß mehr, und er war im Grunde schon viel zu lange auf dieser Welt – verglichen mit den anderen. Ein Unrecht eigentlich.
Ein bisschen war er auch neugierig, was ihn wohl erwartete – wenn ihn denn etwas erwartete. In seinem Alter durfte man das sein. Vielleicht würde er sich ja genauso mit etwas vermischen und darin aufgehen, so wie der Río Paraná im großen Atlantik. Oder er ginge zurück ins Nichts, dann hätte alles einen Sinn.
Während er das alles so dachte, hielt er Marc Eloias’ Hand, seine eigene zitterte leicht. Jetzt gab er seinem Enkel einen Auftrag, dann nahm er ihm ein Versprechen ab und segnete ihn. Er war mit sich im Reinen.
Anschließend schickte er ihn wieder fort. In den Furchen seiner Mundwinkel glänzte es, die Falten seiner Augen drückten Ruhe aus. Die langen Augenbrauen warfen Schatten.
Zwei Tage später war der alte Jonas Samuel Lebherz tot.
Das war im Jahr 2010.
*
Im selben Jahr, im Sommer, klingelte in der Kanzlei Barthels eines Mittags das Telefon.
»Rechtsanwaltskanzlei Dr. Nölle, Nürnberg, einen wunderschönen guten Tag wünsch ich Ihnen«, meldete sich der Anrufer überfreundlich. »Ich hätte gerne mit Herrn Barthels gesprochen, wäre das vielleicht möglich?«
»Oh, das tut mir leid«, sang das Mädchen vom Empfang zurück, »aber Herr Barthels ist erst ab Anfang September wieder im Büro.«
Es entspann sich ein kurzes, von vielen einen Flirt vorgaukelnden Floskeln getragenes, freundliches Gespräch, an dessen Ende der Anrufer sehr viel herausbekommen hatte. Nett, aber naiv, das Mädchen, hatte er sich insgeheim gedacht. Er war sehr zufrieden. Herr Barthels, dessen hatte er sich nun vergewissert, war, wie jedes Jahr, den gesamten August im Urlaub. In seinem Haus in Frankreich. Der Anrufer erfuhr sogar, wo dort genau, das Mädchen war sehr auskunftsfreudig und entgegenkommend gewesen. Ist doch hilfreich, so ein charmanter Plauderton, lächelte er in sich hinein.
Zwei Tage später, an einem Samstag in der ersten Augusthälfte, setzte sich ein Mann in Nürnberg in seinen Wagen und fuhr Richtung Frankreich. Er hatte nur das Nötigste für ein paar Tage dabei. Eine gute Woche und fast 3.000 Kilometer später war er wieder zurück. Jetzt wusste er sehr viel und begann an seinem Plan zu feilen. Es sah gut aus.
Die freundliche und naive Dame am Empfang aber hatte eine Notiz gemacht. Dies tat sie bei allen eingehenden Anrufen. Komisch, hatte sie sich nur gedacht, dass der Rechtsanwalt selber anruft und nicht seine Assistenz. Und – gab es denn die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Nölle überhaupt noch? Der alte Nölle ist doch schon lange verstorben, und auch sein Sohn und Nachfolger ist schon vor Jahren in den Ruhestand gegangen, oder nicht? War der nicht sehr krank? Aber sie dachte sich nichts weiter dabei. Das wird schon alles seine Ordnung haben, wahrscheinlich täusch ich mich auch – und alles kann ich auch nicht wissen. Sie sah hinaus in die Sonne und goss dann die Blumen am Fenster. Unten auf der Straße saßen die Menschen im Café. Der laute Verkehr, der direkt neben ihnen vorbeirauschte, schien sie nicht zu stören. Stadtmenschen können das ausblenden. Genussvoll hielten manche das Gesicht in die Sonne.
Wir fühlten uns unbehaglich,
weil das Gespräch eine Wendung zu nehmen schien,
die uns nicht paßte.
Oss Kröher, Das Morgenland ist eine Welt.
Die erste Motorradreise vom Rhein zum Ganges
1. Kapitel
»Du sollst zum Rust.«
Kriminalkommissar Friedemann Behütuns, genannt Friedo, hatte die Klinke noch in der Hand und stand in der Tür. War noch nicht einmal richtig in den Raum gekommen, da schlug ihm dieser Satz schon entgegen. Von Dick, Peter Dick, einem seiner Mitarbeiter und Kollegen. Der hatte das gesagt, ohne dabei aufzuschauen. Eigenartig.
Kommissar Behütuns stockte. War was? Hatte er irgendetwas verpasst? Vergessen? Versaut? In Kaskaden arbeitete sich sein Gehirn nach hinten. Heute früh? Heute Nacht? Gestern? Vorgestern? Es fiel ihm nichts ein. Einen Termin vielleicht? Eine Sitzung? Einen Bericht? Irgendetwas zu einem Fall? Kein Anhaltspunkt. Trotzdem: Die Stimmung im Raum war komisch, das hatte er sofort bemerkt. Für so was hat man Antennen. Aber er konnte es noch nicht greifen, es war nur so ein Gefühl. Er atmete durch.
Zum Rust. Das konnte alles heißen. Gutes, Schlechtes, Belangloses, Blödes. Rust war der Chef des Präsidiums, der alleroberste. Aber meistens hieß das nichts Gutes, wenn man zu dem musste – und so, wie Dick das gesagt hatte …
Behütuns sah Dick fragend an.
Der zuckte nur mit den Schultern, schwieg und blickte wieder auf seinen Bildschirm.
Behütuns sah zu P. A., Peter Abend, dem nächsten Kollegen im Team.
Das gleiche schweigende Schulterzucken mit der entsprechenden Mundbewegung. Ratlosigkeit.
Der Kommissar warf seine Tasche auf den Stuhl und zog seine Jacke aus. Blieb im Raum stehen.
»Klaus?«, rief er hinüber ins Vorzimmer, wo der Assistent, der von allen freundschaftlich meistens »Frau Klaus« genannt wurde, mit Papieren raschelte.
»Hast du eine Ahnung …?«
Wenn einer eine Ahnung hatte, dann der.
»Nein«, kam es leise herüber. Klang das womöglich bedrückt? Vielsagend? Oder lag das an der angelehnten Tür …?
Irgendwie war sich Behütuns schon sicher.
Jaczek war noch nicht da, der Letzte im Team. Den konnte er noch nicht fragen. Peter Jaczek kam meistens zu spät. Acht Uhr hieß für ihn halb neun. Oder noch später. Sie hatten es einmal mit halb acht probiert, damit er um acht da wäre, aber es hatte nichts geholfen. Jaczek war wie immer erst nach halb neun gekommen, da war einfach nichts zu machen. Keine Ahnung, warum der so war. Übergenau und korrekt in allem, was er tat, aber immer zu spät.
»Du sollst gleich kommen«, fügte Dick an, »sofort.«
Gut, dachte Behütuns, da braut sich was zusammen. Kein Zweifel mehr.
»Na denn«, sagte er ergeben und ging zur Tür.
»Good luck«, schallte es ihm hinterher, aber freundschaftlich, ernst gemeint. Auf seine Leute konnte er sich verlassen.
*
Rust war total angefressen, das sagte ein einziger Blick. Keine Fehldeutung möglich. Er schaute Behütuns nur an. Saß hinter seinem Schreibtisch und funkelte. So hatte er ihn noch nicht erlebt. Dann warf er ihm eine Zeitung hin, wortlos, die NZ, Nürnberger Zeitung, Donnerstag, erste Augusthälfte 2011, schwieg weiter, verschränkte die Arme.
»Ausrutscher bei der Polizei« stand dort getitelt und »Fragwürdige Äußerungen in der Öffentlichkeit. Irritierende Aussagen eines Polizisten«.
Behütuns überflog den Artikel. Namen wurden keine genannt, aber damit war er gemeint, keine Frage. Der Artikel wurde dabei auch ganz deutlich. »Gott, behüt’ uns vor ›Ordnungshütern‹, die, wenn sie so denken, vielleicht auch so handeln«, schloss der Artikel, der über eine halbe Seite ging. »Dann ist es mit Recht und Gesetz nicht weit her, dann können wir uns auf etwas gefasst machen.« Behütuns schaute, wer das geschrieben hatte. »Reichfrid Nerst« stand unter den Zeilen. Der Name sagte ihm nichts.
»Tja«, sagte Behütuns nur und legte die Zeitung zurück. Was jetzt wohl kommen mochte? Im Kopf ging er die letzten Tage durch. Ja, das, was dort stand, war richtig, er hatte das alles gesagt. So und keinen Deut anders, eher noch heftiger. Am letzten Wochenende. Am Reifenbergkeller hatte er gesessen, mit Freunden, und ziemlich gelötet, er musste ja nicht fahren. Und auf so einem Keller wie dem – da muss man ja gegen das Heulen antrinken, so schön ist es da. Wie viel hatte er wohl gehabt? Vier oder fünf Seidla? Wahrscheinlich eher fünf. Da sitzt man auf Bänken unter Bäumen am Hang, die nackte Erde unter sich, der Grill glüht und qualmt an der Felswand entlang, das Licht bricht sich im Laub und in den Bratwurstgrillschwaden, das Wiesenttal liegt einem zu Füßen, drüben das Walberla, grüne Wiesen, mäandernder Fluss, und das Bier kommt direkt aus dem Felsenkeller. So kühl, dass man gar nicht mehr aufhören kann. Mit Freunden hatte er da gesessen – aber ein Reichfrid Nerst? War nicht dabei, den kannte er nicht. Dass einer von den Freunden etwas erzählt hatte? Nein, auf so etwas kamen die nicht, da konnte er sich absolut drauf verlassen. Behütuns überlegte. Wer hatte da an den Nebentischen gesessen? Ihm fiel kein Gesicht mehr ein. Aber auf so etwas achtest du nicht, wenn du mit Freunden trinkst, zumal so weit weg von Nürnberg. Eine Tour hatten sie gemacht, nicht weit, nur eine Runde über Neuses, Poxstall und Weilersbach, waren bei der Vexierkapelle gewesen, zwei Stunden hatte die Tour gedauert, und hatten sich dann auf den Keller gesetzt, der liegt ja gleich unterhalb der Kapelle. Sich einen schönen Abend gemacht, es war ja auch ewig hell. Vorteil der Sommerzeit.
Ja, das stimmt schon, er hatte ein wenig abgeledert. Zwei Themen hatten sie gehabt, wenn er sich recht erinnerte, zu denen hatte er etwas gesagt. Geschwindigkeitsbegrenzung und Reiche. Dass es schon organisierte Reisen gibt aus England und den USA, wo die Leute in Hamburg landen, ’nen fetten Wagen kriegen, Porsche oder so, und damit dann nach München heizen, mal so richtig Gummi geben, was sie weltweit nirgendwo dürfen. In München geben sie den Wagen wieder ab, und das war’s schon, dann fliegen sie zurück. Warum? Weil Deutschland das einzige Land ist, wo man heizen darf. Geschwindigkeit ohne Begrenzung, ist das nicht krank? Und das hatte er auch noch gesagt: Dass Spanien mehrere Milliarden eingespart hatte, nur weil sie ein paar Monate das Tempolimit auf 110 km/h gesenkt hatten – und 90 Verkehrstote weniger verbuchten in dieser Zeit. Wenn das keine Argumente für ein Tempolimit sind! Aber in Deutschland? Regiert nur die Automobilindustrie und baut SUVs für Selbstwertverminderte. Hält die freiwillige Selbstbeschränkung von 160 km/h für Fahrzeuge nicht ein, das ist ihr scheißegal, die macht, was sie will. Weil’s »der Markt« fordere und lauter so Quatsch. Das hatte er gesagt, zu laut wahrscheinlich und mit zu deftigen Worten. Er war ganz schön in Fahrt gewesen zwischendurch. Aber es hatte Spaß gemacht, und keiner war anderer Meinung. Es macht überhaupt Spaß zu fluchen und zu schimpfen. Außerdem reinigt’s.
Und dazu hatte er auch etwas gesagt, erinnerte er sich – weil er da erst einen Fall gehabt hatte in diesen Kreisen: zu den Reichen. Zu denen, die ihren Hals nie vollkriegten und immer nur noch mehr und mehr und mehr wollten. Und dass es wissenschaftlich erwiesen ist, dass Reiche viel unmoralischer sind als Ärmere, dass die viel mehr bescheißen, lügen und betrügen, und das auch noch richtig finden. Oder wenigstens nicht falsch. Diese kohlegetriggerte Arroganz, nein: Ignoranz, diese asoziale. Dass die endlich mal richtig besteuert gehören, die arbeiten ja nicht für ihr Geld, die lassen das Geld arbeiten – und zahlen dafür weniger Steuern als Arbeitende. Viel weniger, im Verhältnis. Ihr Schwarzgeld in der Schweiz wird jetzt auch noch straffrei legalisiert! Da konnte er sich drüber aufregen! Mannomannomann! Und dass die Politik, die für die Reichen immer nur die Steuern senkt, sich alles nur bei den Kleinen holt, die richtig bluten lässt. Allein in den letzten zehn Jahren hat der Staat dadurch über 300 Milliarden Euro verschenkt! Die sollten jetzt mal zahlen, jawohl! Aber der Staat … Die Politik machten die Reichen und die Industrie, ja, so war’s! Wie viel hatte er gehabt? Es waren wohl doch eher fünf. Sicher, besonders qualifiziert hatte er sich bestimmt nicht ausgedrückt. Aber das stimmte ja trotzdem alles – und jetzt stand es hier in der Zeitung! Als Aussage eines Polizisten. Da hatte wohl ein Journalist an einem der Nebentische gesessen, alles mitgehört und es dann brühwarm aufgeschrieben. Die Geschichte seines Lebens gerochen. So ein Schnellschreiber, der nicht lange denkt. Und jetzt, am Donnerstag, stand es in der Zeitung …
Was nun?
Rust saß ihm gegenüber und klopfte mit den Fingern auf den Schreibtisch. Er wartete auf eine Erklärung.
Aber Kommissar Behütuns sagte nichts. Was sollte er auch sagen? Warf das ein schlechtes Licht auf die Polizei, was da stand? Bei den Politikern vielleicht und bei den Reichen, aber sonst? Bei der Mehrheit sicher nicht. Die werden doch alle nur verarscht. Für ihn gab es da nichts zu entschuldigen. Wenn gesunder Menschenverstand und eine sachliche Lageeinschätzung, auch wenn sie vielleicht emotional vorgetragen worden war, für den Beruf schon hinderlich sind, was sollte er dann noch sagen?
Kommissar Behütuns blieb stumm, sah Rust nur fragend an. Der aber hatte schon eine Lösung, hatte sie sich bereits überlegt.
»Urlaub«, sagte Rust nur. Staubtrocken war das gekommen.
»Urlaub?«, fragte Behütuns zurück.
Der Polizeichef schlug eine Mappe auf.
»Herr Behütuns, Sie haben weit über 150 Überstunden, habe ich mir sagen lassen. Vom letzten Jahr noch zwölf Tage Urlaub und in diesem Jahr noch keinen einzigen Tag genommen. Ich würde sagen …«
Dann machte er eine kleine Pause, um dem, was jetzt kommen sollte, mehr Gewicht zu verleihen. Aber Behütuns wusste schon, was kommen würde.
»… Sie gehen jetzt nach Hause und bleiben einmal acht Wochen daheim. Das wird Ihnen guttun – und die Wogen haben sich bis dahin geglättet.«
»Vier«, sagte Behütuns.
»Sechs«, sagte der Präsident bestimmt und klappte die Mappe zu. »Ich will Sie vor Anfang Oktober hier nicht mehr sehen.«
Damit war das Gespräch beendet.
Und wenn er nicht mehr zurückkäme?
Bruno Bayen, Bleiben die Reisen
2. Kapitel
Da stand er nun, Maulheld Behütuns, so fühlte er sich, abgewatscht, zwangsbeurlaubt, kaltgestellt. Und wusste nicht, was tun.
Urlaub.
Das war ja schon Jahre her, dass er einmal so richtig Urlaub gemacht hatte – und jetzt gleich sechs Wochen am Stück? Er wusste doch gar nicht mehr, wie das ging. Keinen Tag ins Präsidium? Keine Arbeit an irgendeinem Fall? Das konnte er sich überhaupt nicht vorstellen.
Er war nach Hause gefahren, stand in seiner Wohnung am Fenster und sah dort im dritten Stock in das Laub des Baumes. Freitagnachmittag um halb drei. Rentner müssen sich so fühlen oder Arbeitslose, Entlassene oder Hausfrauen. Zeit ohne Ende vor sich und nichts zu tun. Was sollte er nur mit all der Zeit anfangen? Sechs Wochen! Ihm wurde ganz schwindlig.
Ludwig könnte er besuchen, Ludwig von Talhoff, der hatte erst letzthin angerufen, ein alter Freund. Plötzlich, nach langer Zeit. Ludwig war schon im Ruhestand, hatte seine Mutter gepflegt – letztes Jahr war sie dann verstorben – und ein Haus in Schwangau geerbt, mit Blick aus dem flachen Tal hinauf auf Neuschwanstein. Vier Zimmer stünden dort leer, hatte er gesagt, und warteten auf liebe Menschen, er würde sich freuen und so. Klang alles ein wenig esoterisch. Ob das ernst gemeint war? Und wenn – wie lange würde er dort bleiben können? Zwei Tage vielleicht oder drei, länger konnte man einen Freund nicht belagern. Aber dann? Wären es immer noch fünfeinhalb Wochen! Eine endlose Zeit.
Hilflos wischte er mit dem Finger über die Scheibe. Ein Schmierer entstand – und eine Idee, ein Ausweg: Das könnte er tun, einmal so richtig aufräumen, Fenster putzen und so. Schränke auswaschen, Regale, den Kniest in der Küche, Klamotten sortieren oder Bücher … So etwas sollte ja reinigen, klären, die Seele und so – er schob den Gedanken sofort wieder weg. So weit kommt es noch, dachte er, dass ich hier den Putzmann spiele. Ich mach mich doch nicht zum Affen vor mir selbst. Er nahm eine Tasse vom Tisch, stellte sie in die Spüle und ging hinüber ins Wohnzimmer.
Dann stand er dort herum.
Oder vielleicht etwas kochen, einmal etwas Leckeres? Hier hinten schien herrlich die Nachmittagssonne herein. Er öffnete das Fenster und sah in den Hof. Schuppen, Mülltonnen, Fahrräder, ein spielendes Kind. Volle Plastiktüten neben den Tonnen. Dass die Leute immer so viel Müll haben … Irgendwo klapperte Geschirr, Essensgeruch, man kochte wohl schon für den Abend. Was machte er denn sonst, wenn er freihatte, an einem Wochenende zum Beispiel? Komisch, da hatte er immer etwas zu tun, einen Plan, etwas vor – aber jetzt? Was war denn, verdammt noch mal, in der jetzigen Situation anders? Alles offenbar. Viel freie Zeit vor sich zu haben ist ein ganz anderer Horizont als mal ein freier Tag. Er schnaufte, machte das Fenster wieder zu, ging zurück in die Küche. Der Streifen am Fenster sah ihn wie höhnisch an. Fernsehen vielleicht? Nein, das kam nicht infrage. Vielleicht schon ein Bier? Dazu war es zu früh, es gab Dinge, die ließ er einfach nicht zu.
Aber Bier war ein gutes Stichwort. Nicht jetzt gleich, aber später – und dort, wo es schön war, unter Bäumen und Leuten und mit Blick ins fränkische Land, nicht allein und zu Hause. Das war’s, das war doch schon einmal ein Plan – ein vernünftiger, nichts Therapeutisches.
Er packte seine Sachen, setzte sich in seinen Wagen und fuhr los. Nahm die A 73 in Richtung Norden, im Radio spielten sie gerade Beethovens Eroica, lange nicht mehr gehörte Harmonien. Er drehte das Radio voll auf, kurbelte das Fenster herunter, legte den Arm raus und fuhr bis Buttenheim, dort Richtung Gunzendorf, bog wieder ab und fand schnell, was er suchte: den Keller am Senftenberg. Die Sankt-Georgs-Kapelle grüßte ihn schon von oben, leuchtend im warmen Licht der Frühabendsonne. O Franken, wie bist du schön! Und wie viele Perlen hast du in deinem Land versteckt!
Der Parkplatz war leer, nur fünf oder sechs Autos, verteilt über das geschotterte Areal. Behütuns schloss seinen Wagen ab und ging das letzte Stück bergan zu Fuß, die beethovenschen Harmonien noch im Ohr.
Dann saß er auf einer einfachen Holzbank. Auf einmal passte wieder alles. Die Sonne schien schräg unter den Ästen hindurch, Licht streifte durchs Blattwerk, malte goldgrün leuchtende Inseln ins schattige Dunkel der Blätter, eine Mückensäule tanzte in einem Sonnenstrahl. An den Tischen saßen vereinzelt Menschen, in kleinen Gruppen oder allein, Behütuns hatte vor sich eine Maß, astrein kellerkühl gezapft. Meisen turnten durchs dichte Geäst, Spatzen pickten am Boden, und ab und zu senkte sich leise ein Blatt. Gelb lag es dann auf dem Tisch. Spinnfäden trieben durch die linde Luft, von drüben erscholl ein Lachen, bei der Essensausgabe klapperte Besteck. Eine Amsel läutete schon einmal den Abend ein. Herz, was willst du mehr? Heute bin ich hier und morgen ist ein anderer Tag, mehr war für ihn jetzt nicht wichtig. Er setzte seine Brille auf, denn ohne die konnte er nicht mehr lesen, und schlug die ZEIT auf. Sofort störte ihn wieder das große Format. Warum nur macht man so eine Zeitung, die kein Mensch bequem lesen kann? Er schob seine Maß beiseite und breitete die Zeitung aus. Auch gut, so hatte er den Tisch für sich. Niemand würde ihn an diesem Abend belästigen.
Nach der ersten Maß meldete sich der Hunger. Er holte sich eine Portion Zieberlaskäs, denn der war selbst gemacht und man kriegte ihn nicht überall, außerdem waren die Bratwürste hier in Oberfranken gekocht, das hatte er schon gesehen. Fahlnackte Zipfel nach Hoeneßart und die auch noch ohne Kräuter. Für einen Nürnberger zwar essbar, aber nicht genießbar.
Am Kellerausschank holte er sich ein zweites Getränk, das erste wirkte schon. Am Tisch drüben wurde wieder gelacht, ein Trupp junger Männer mit Sporttaschen, wahrscheinlich Fußballer, kam den Weg herauf, aber es wurde kaum lauter. Man ließ ihn in Frieden, das hat man nicht überall.
Er blätterte sich durch die Zeitung, wollte sich erst einmal einen Überblick über die Themen verschaffen. Unwillkürlich blieb er an einem Artikel über den bayerischen Ministerpräsidenten hängen. Es war ein unkommentiertes Protokoll widersprüchlicher Aussagen, eine Chronologie der fortlaufenden, sich manchmal binnen Tagesfrist einstellenden Veränderungen – eine Sammlung über ein Jahr. Sehr witzig und vielsagend. Sie hatten schon manchmal sehr schöne und erbauliche Artikel in der ZEIT, schmunzelte der Kommissar in sich hinein, denn das, was man aus dieser Dokumentation herauslesen musste, ja gar nicht anders konnte, sprach ihm aus tiefster Seele. Und das schafften die ohne eine einzige Zeile des Kommentars. Behütuns nickte anerkennend über die gute journalistische Arbeit und ließ seinen Blick auf dem Blatt ruhen. Das untere Drittel der Seite bestand aus Kleingedrucktem, privaten Kleinanzeigen zu Ferienhäusern und -wohnungen, sortiert nach Ländern und Regionen.
Haus in der Bretagne, las er. Kurzfristig zu vermieten. 2–4 Personen. Zwei Schlafzimmer, Küche, Bad, 200 Meter zum Meer, 3.000 qm Grund, Handynummer, E-Mail-Adresse. Warum hatte er sie eigentlich gelesen? Sein Blick war einfach darauf gefallen.
Frankreich, dachte er und schaute hinunter ins Tal, in die Weite. Aber er sah etwas ganz anderes, Bilder aus seinem Kopf, Erinnerungen. Frankreich – wie lange war er dort nicht mehr gewesen? 20 Jahre, 25 oder mehr? Früher war er oft in dem Land gewesen, als Schüler schon und während der Ausbildung. Immer wieder waren sie, oft zu viert, ja zu fünft, in den Käfer gequetscht dort hinübergefahren, bis nach Bordeaux an den Atlantik oder nach Bayeux oder Fécamp in der Normandie, manchmal 18 Stunden Fahrt am Stück, oder nach Nizza und Saint-Tropez am Mittelmeer. Das waren noch Zeiten gewesen … Die langen, so schnurgeraden Landstraßen, die Fahrten durch die Nacht, Pannen unterwegs, diese Sprache, die Menüs in den Routiers, den Fernfahrerkneipen … Und Bretagne, da war doch das Finistère – schon der Name allein, Ende der Welt … Eine leichte Wehmut hielt ihn gefangen.
Er holte sich noch ein Getränk, er würde im Auto schlafen, er hatte ja alles dabei.
Bretagne, 200 Meter vom Meer, ging es ihm durch den Kopf. Jetzt könnte er so etwas machen – wann sonst, wenn nicht jetzt? Jetzt hatte er Zeit. Kurzfristig zu vermieten. Der Küchenputz konnte warten, wäre sowieso nur eine Ersatzhandlung. Komm, sagte er sich, nahm sein Handy und wählte die Nummer. Oder war es nur eine Schnaps-, nein, eine Bieridee?
Zu spät.
»Oui?«, meldete sich prompt jemand zurück. Es hatte kaum drei Mal geklingelt.
Scheiße, das hatte er gar nicht bedacht.
»Pardon«, stammelte er, »sprechen Sie deutsch?«
»Ja, sehr gut«, lachte es ihm mit leichtem Akzent entgegen. »Was ist?«
Die Verbindung war sehr schlecht.
»Sie haben in der ZEIT ein Haus in der Bretagne …«
»Ja, aber können Sie mir vielleicht mailen? Ich sitze gerade im Zug in Kasachstan, die Verbin– … kann jederz–«
Jederzeit abreißen, hatte jener wohl sagen wollen, da war die Verbindung schon weg. Er steckte sein Handy wieder ein. Haus in der Bretagne und Kasachstan – wie passte denn das zusammen? Das war doch bestimmt irgendein Fake. Betrug oder irgend so was. Nach Kasachstan verschoben sie Autos – aber ein Kasache als Hausbesitzer und -vermieter in der Bretagne? Das roch nicht gut. Andererseits … hatte der Mann nicht mit französischem Akzent gesprochen?
Der Zieberlaskäs hatte ihn nicht satt gemacht, außerdem machte Bier ihm immer Appetit und der Nachgeschmack der Zwiebeln verstärkte das noch, das war immer so. Er ging zur Küche und holte sich noch eine Portion Bratwurstg’häck, alles andere machte ihn nicht so an. Das Bratwurstg’häck sah gut aus, vor allem mit extra viel Zwiebeln. Heute konnte er es ja tun, morgen musste ihn keiner riechen. Er liebte es.
Nach und nach dunkelte der Himmel ein und legte sich blau-violett-rot-orange-gelb über das Land. Die Amseln wurden lauter, ein Rotkehlchen zeterte irgendwo entfernt, der Mond hing wie ein Fingernagel oben im Blaubereich des Himmels, vereinzelt noch ein paar Spatzen, eher vorsichtig und verhalten, die Buchfinken waren schon stumm. Frankreich – ob er dort einmal wieder hinfahren sollte?
Jetzt war auch ein Käuzchen zu hören, ein erstes. Ein Junges wahrscheinlich, das nach seinem Abendessen rief, weiter hinten im Dämmerungsraum jetzt auch ein zweites. Erste Fledermäuse flatterten mit leicht ledern klatschenden Flügeln durch die Lichtkegel der Lampen. Behütuns leerte seine dritte Maß, dann seine Blase, brachte den Krug zurück und stieg hinunter zu seinem Wagen. Bei rundum einen Spalt geöffneten Fenstern schlief er auf dem Rücksitz ein. Der Wagen stand unter überhängenden Zweigen. Niemand würde ihn hier stören, hatte er sich gedacht.
*
In Argentinien hatte Marc Eloias Lebherz, der Enkel des verstorbenen Jonas Samuel, in der ersten Augusthälfte immer wieder einmal im Internet recherchiert und verschiedene Telefonate getätigt. Mit Deutschland und mit Paris. Es war an der Zeit, endlich das Versprechen einzulösen, das er seinem Großvater kurz vor dessen Tod gegeben hatte. Doch dazu benötigte er ein paar Informationen. Er hatte ja nichts außer der Erzählung seines Großvaters, und die reichte zwar bis in die Gegenwart, ihr Ursprung aber lag weit zurück. Es war schwieriger, als er gedacht hatte.
Im Hause Lebherz in Paraná wurde neben der Landessprache auch deutsch gesprochen und gepflegt, so hatte er mit seinen Recherchen im Internet kein Problem. Mit seinen Telefonaten schon eher. Es war doch problematisch, die Auskünfte zu bekommen, nach denen er suchte. Er konnte, ja durfte sich bei fast allen Telefonaten nicht zu erkennen geben, musste seine Identität verschleiern, genauso wie das Land, aus dem er seine Anrufe tätigte. Aus Vorsicht. Also unterdrückte er die Nummer. Und die Verbindungen sind heute so gut, dass ein Gespräch von der anderen Seite der Erdkugel kaum anders klingt als ein Ortsgespräch. So machte er sich nicht verdächtig.
Trotzdem tat er sich schwer. Er hatte in Europa – bis auf zwei Adressen in Frankreich – keine Vertrauensperson genannt bekommen, kannte selbst kaum jemanden, und die Informationen, nach denen er suchte, gaben ihm die Angerufenen nicht preis. Sie durften es auch nicht – man gibt persönliche Informationen am Telefon nicht einfach so an eine fremde Stimme weiter, zumal wenn sie mit leichtem Akzent spricht. Das machte den Auftrag von Marc Eloias schwer. Nur eines hatte er sicher herausgefunden: Eine Anwaltskanzlei Dr. Nölle in Nürnberg gab es nicht. Nicht mehr. Und das stellte ihn vor ein Problem. Denn diese Kanzlei spielte in der Erzählung seines Großvaters eine wichtige Rolle.
Marc Eloias Lebherz aber dachte nicht daran aufzugeben. Er stand bei seinem Großvater im Wort, und dieses Wort war ihm heilig. Er würde auf anderen Wegen an seine Informationen kommen.
*
Behütuns war schlagartig wach. Irgendjemand hatte an die Scheibe geklopft, und zwar ziemlich aggressiv. Draußen blitzte ein Licht, sonst war es dunkel. Er hörte Stimmen, Männerstimmen. Hellwach im Kopf machte er sich vorsichtig hoch und versuchte, etwas zu erkennen. Eine Taschenlampe blendete ihm direkt in die Augen. Stablampe, gebündeltes Licht. Das gleißende Licht tat richtig weh.
Verdammt, dachte er sich, wer sind die? Was wollen die von mir? Langsam ließ er sich wieder nach hinten sinken, wollte Zeit gewinnen, überlegen, die Augen erholen. Im Moment war er noch blind, auf der Netzhaut alles nur blau. Hier drinnen habe ich keine Chance, mich zu wehren, fuhr es ihm durch den Kopf, hier komme ich niemals raus. Sobald ich die Tür öffne, hauen die mir womöglich eins über den Schädel. Blinzelnd versuchte er, etwas wahrzunehmen. Nur dunkle Schatten, drüben ein Wagen mit laufendem Motor, die Lichtkegel erfassten die Lichtung. Wie spät mochte es sein? Auf jeden Fall mitten in der Nacht, kein Lichtschein am Himmel, das Schwarz des Gebüschs hob sich nicht vom Horizont ab.
»Polizei, kommen Sie raus«, bellte eine Stimme durch den Spalt des Fensters.
Hoppla, dachte sich Behütuns, der Ton hier auf dem Land ist ganz schön direkt. Sofort aber gewann ein anderer Gedanke die Oberhand: Das ist ein Trick! Denkt wohl, so kriegt ihr die Büchse leicht auf. Aber nicht mit mir! Auf Polizei machen … Nein, nein, das habt ihr euch gedacht!
Dann aber musste er fast lachen. Auf dem abseits geparkten Wagen hatte er eine blaue Leiste erkannt, kurzzeitig von Taschenlampenlicht reflektiert.
»Kommen Sie herein, Kollegen«, lud er jetzt die Gestalten draußen im Dunklen ein. »Es riecht hier zwar nicht so gut, aber …« Er unterbrach sich. Nach Späßen wird denen nicht zumute sein, und sie werden mir auch nicht glauben. Außerdem wusste er nicht, wie die drauf waren. Am Ende würden sie, machte er eine falsche Bewegung, diese missverstehen und …
»Im Handschuhfach liegt mein Dienstausweis«, gab er hinaus ins Dunkle. »Es ist offen.«
Eine Hand öffnete die vordere Tür, leuchtete ins Handschuhfach, kramte darin herum, fand das Gesuchte.
»Tschuldigung, Herr Kollege, hammer wohl aweng getankt?«
Behütuns schälte sich aus dem Wagen. Er musste sich erst einmal strecken.
»Weiß Gott, ja«, sagte er, »drei Maß, deshalb lieg ich ja hier. Und ihr? Routine?«
Er suchte seine Taschen nach einem Fisherman’s Friend ab, sein Atem musste ja unglaublich riechen, dem Geschmack nach in seinem Mund. Zwiebeln, Alkohol, Schlaf. Aber er fand nichts in seinen Taschen. Dann rieche ich halt, dachte er sich, ist egal, außerdem haben die dann was zu erzählen. Er hörte sie schon, zurück im Präsidium in Bamberg oder sonst wo: »Der Behütuns, ihr wisst schon, der aus der Zeitung, der Nürnberger, der jetzt Urlaub machen muss.« Und das »Urlaub« so besonders betont. »Der säuft jetzt. Hat besoffen im Auto geschlafen, droben am Senftenbergkeller – und gerochen hat der, ich kann euch sagen! Das war nicht von schlechten Eltern. G‘stunkn wie a Herdn Betzn. Der hatte ganz schön getankt.« Und er wusste in diesem Moment: Das passiert mir kein zweites Mal. Ich hau ab, ich fahr fort, am besten gleich ein paar Wochen. Zum Gespött lass ich mich nicht machen.
»Nichts Routine«, antwortete der eine. »Wir hatten drunten in Hirschaid einen Einbruch. Mit körperlicher Gewalt. Und jetzt schauen wir uns halt um. Haben Sie vielleicht etwas gesehen? Ist Ihnen etwas aufgefallen?«
»Nein, tut mir leid, ich hab fest geschlafen. Wie viel Uhr ist es eigentlich?«
»Dreiviertel drei.«
»Da muss ich noch ein paar Stunden abbauen, bevor ich wieder fahren kann«, sagte er und gähnte. »Aber wenn mir etwas auffällt, rufe ich an.«
Der eine Beamte tippte an seine Mütze.
»Sorry, dass wir Sie geweckt haben, aber Sie wissen ja, wie das ist.«
»Ja, gute Nacht noch!«, sagte der andere und hob die Hand.
Zehn Minuten später war Kommissar Behütuns wieder eingeschlafen. Die Grillen, die draußen zirpten, hörte er nicht. Auch den Uhu, der später lautlos und ohne Flügelschlag über die Lichtung glitt, sah er nicht. Er schnarchte.
Ich ahne, dass ich ab heute
etwas Neues über diesen fremden Erdteil
erfahren werde.
Andreas Altmann, 34 Tage, 33 Nächte.
Von Paris nach Berlin zu Fuß und ohne Geld
3. Kapitel
»Das Haus ist in am Golf von Morbihan, Suedbretagne, 30 km von Vannes entefrnt, in St.-Gildas-de-Rhuys. Es LIEgt auf einer HaBLinsel, rhuys. Es hat hier ein spezilles Klma durch Glofstrom und ds grosse BinnenmEEr, es wachsen sgar Palmen.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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