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Autoren und Apparate E-Book

Monika Dommann

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Beschreibung

Von der Schwierigkeit, geistige Arbeit rechtlich zu sichern Das Copyright ist unter Beschuss. Ob Filesharing oder Google, neue technische Erfindungen und Akteure bringen in Bedrängnis, was einstmals als Wert der geistigen Arbeit rechtlich gesichert worden ist. Doch ist das neu? Monika Dommann zeigt in ihrer fulminanten Studie, dass es schon immer einen Konflikt zwischen Autoren und Apparaten gab. Sie schildert die Entwicklung in den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien und arbeitet an zwei exemplarischen Fällen, Fotokopie und Musikaufnahme, die komplexe Gemengelage der Rechte und Interessen aller Beteiligten von 1850 bis heute heraus. Ihr Buch zeigt, wie alt die neuen Probleme sind und wie fragil der rechtliche Schutz geistigen Eigentums ist. Ein unverzichtbarer Blick in die Geschichte, um die Gegenwart zu begreifen.

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Monika Dommann

Autoren und Apparate

Die Geschichte des Copyrights im Medienwandel

FISCHER E-Books

Inhalt

Einleitung: Für eine Mediengeschichte von RechtsnormenPrologWie Wasserwellen?Das Ende des Copyrights?UntersuchungsgegenstandPrämissenUntersuchungsfelder und QuellenErster Teil Schrift und Aufzeichnung1 MusiknotenZwischen Nationalismus und FreihandelAutoren gegen TraditionenMechanische Vervielfältigung und die Kontrolle der Verwertung2 BuchbilderKopien als KonservierungsmedienDie Mechanisierung der Geisteswissenschaften3 StimmenspeicherOriginalität der StimmaufzeichnungAufwertung des Phonographentons4 KonservenmusikDie Sprechmaschinen zwischen Trust und TantiemenZweiter Teil Verwertungsagenturen und Forschungsmaterialien5 VerwertungskollektiveAutorenagenturenEintrittsregeln und Inkassoklassifikationen6 ZelluloidzirkulationenBibliotheksbücher auf FilmNeue Medien und das alte Copyright7 LautsprecherartistenAutorrechte als AbwehrMusikmorde und RadiokriegeDritter Teil Privatkopien und Universalnormen8 ApparateabgabenMax Grundig: Vom Radioamateur zum TonbandproduzentenGEMA: Musikverwertung in der BRDTonjagd als revolutionärer AktTantiemen für Tonbänder? GEMA gegen Grundig9 InformationsflussFair use für eine ReputationsökonomieXerographie und InformationssystemeInformationsregulierung zwischen Gesetzgebung, Gerichten und Wissenschaftspolitik10 TraditionsautorenBesitz oder Public Domain? Leadbelly oder Lomax?Forderung nach FolkloreintegrationDie Neuerfindung der TraditionZum Schluss: Rechtsgeschichten des MedienwandelsSchrift und AufzeichnungVerwertungsagenturen und ForschungsmaterialienPrivatkopien und UniversalnormenBibliographischer EssayEigentumsbeziehungenModernes CopyrightTechniknormenDankBibliographie1. Archivalien2. Periodika3. Gedruckte Quellen4. LiteraturAbbildungsnachweisAbkürzungsverzeichnis

Einleitung: Für eine Mediengeschichte von Rechtsnormen

Prolog

Wie Wasserwellen?

Als der deutsche Rechtswissenschaftler Josef Kohler im Jahr 1880 einen dreihundertfünfzigseitigen Wälzer zum Autorrecht[1] publizierte, war das Deutsche Reich knapp ein Jahrzehnt jung, genauso jung wie die reichseinheitliche Regelung des literarisch-musikalischen Urheberrechts von 1870.[2] Die rechtswissenschaftliche Systematisierung dieses Rechtsfeldes hatte eben erst begonnen.[3]

Kohler gehörte zu jenen Juristen, die im 19. Jahrhundert das Recht der Erfinder (Patentrecht) und Autoren (Copyright im angelsächsischen Sprachraum, Droit d’auteur im französischen Sprachraum und Urheberrecht im deutschen Sprachraum) als Wissenschaft begründeten. Er hob diese Rechtsbereiche dezidiert von den frühneuzeitlichen Privilegien (»Gnadengaben«)[4] ab und prägte das Konzept der »immateriellen Güter«.[5] Die immateriellen Güter waren für Kohler wirtschaftliche Güter«,[6] weil deren Schöpfung »Arbeit« darstelle: »Die philosophische Begründung des Eigenthums und des Immaterialgüterrechts liegt in der Arbeit, richtiger in der Güterschöpfung; wer ein neues Gut schafft, hat das natürliche Recht daran.«[7] Er begründete die Schöpfung qua Arbeit mit Rekurs auf John Locke, aber insbesondere auch mit Rückgriff auf die Moralphilosophen und Ökonomen des 18. und 19. Jahrhunderts, wie Adam Smith, David Ricardo, Jean-Baptiste Say und Frédéric Bastiat.

Die Eigentumsrechte seien mit Luft, gasartigen Stoffen und mit der »Wasserwelle«[8] vergleichbar. Er beschrieb die immateriellen Güter anhand der Analogie des »fließenden Wassers« als zeitlich befristete Rechte: So wie die Rechte an Wasser an die späteren Ufernachbarn weiterfließen würden, seien auch die Autorrechte »momentane« Rechte, die nach Gebrauch an Dritte übergehen. Der Vergleich mit dem Wasser als einem »eminenten Kulturfaktor«[9] ist aufschlussreich: Das fließende Wasser war der fluide Rohstoff der Elektrizität und die Antriebskraft der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert, Bereiche, denen immaterielle Güter in der Vorstellung Kohlers hinsichtlich ihres Fortschrittspotentials in nichts nachstanden. Die von Kohler angesprochene »momentane« Zeitdauer ist allerdings so momentan nicht, wenn man bedenkt, dass im Deutschen Urheberschutzgesetz von 1870 der Schutz dreißig Jahre währen sollte. Kohler verstand die immateriellen Güter überdies ausschließlich als Rechtsansprüche von Individuen. Deren Persönlichkeit verbinde sich in einem Akt der Schöpfung mit Sachen und erlaube ihnen die alleinige Verfügung über das Geschaffene: »Er [der Autor, MD] allein soll bestimmen, ob wie und inwieweit es veröffentlicht und aller Welt zugänglich gemacht werden soll.«[10]

Kohlers Schriften zum Autorrecht sind von Juristen bis in die Gegenwart gelobt, manchmal in Frage gestellt und oft zitiert worden, weil sie die Probleme jener Zeit schärfer als andere juristische Kommentare analysierten und mit Lösungsvorschlägen versahen. Sie sind aus historischer Perspektive gerade deshalb interessant, weil sie das Recht ihrer Zeit beobachteten und durch Interpretationen prägten. Sie eröffnen die Möglichkeit, einen Beobachter zu beobachten, und damit die Veränderungen, die er wahrnimmt und in einer eigenen Sprache fasst, der historischen Analyse zugänglich zu machen.[11]

Der seit 1888 als Professor an der Humboldt-Universität in Berlin lehrende Kohler arbeitete sich in einer Übergangszeit der Rechtswissenschaft an den Traditionen seines Faches ab. Er gehörte zu jenen Juristen, die sich von der durch Friedrich Carl von Savigny verkörperten »historischen Schule« abgrenzten und Recht als »ein der Kultur gemässes und ihren Fortschritten folgendes Recht« verstanden.[12] Das Recht an »immateriellen oder unkörperlichen Gütern« und das »Recht an Ideen literarischer, künstlerischer oder industrieller Art« galten Kohler als Ausdruck eines »industriellen Zeitalters« und einer »Kultur der Gegenwart«.[13] Dass er sich dabei ausgiebig mit Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Rechtsvergleich und kulturanthropologischen Themen[14] beschäftigte, ist aus dieser Suche nach neuen Begriffen und Konzepten für eine Zeit im Wandel zu verstehen. Er untermauerte die Gültigkeit und Universalität der von ihm formulierten Rechtskategorien nicht wie viele seiner Zeitgenossen primär mit Referenz auf das römische Recht, sondern durch eine Fülle von Beispielen aus dem französischen, angelsächsischen, spanischen und außereuropäischen Recht.[15] Das Autor- und Patentrecht und die Rechte der Post, der Telegraphie und des Eisenbahnverkehrs interessierten ihn besonders, weil sie neu waren und er mit ihnen auch die Hoffnung auf völkerrechtliche Prinzipien verband.[16] Als er am Vorabend des Ersten Weltkriegs letztmals seine Vision einer »Vergesellschaftung der Nationen« und der Weltwirtschaft unter »vernünftigen Bahnen« skizzierte, erscheint dies ex post einerseits als Akt der Verzweiflung. Gleichzeitig werden auch die Grenzen von Kohlers Rechtsuniversalismus sichtbar:[17] Die ›Welt-Vergesellschaftung‹ war für Kohler ein Projekt der »christlichen Völker im Verein mit den erst neulich hervorgetretenen, von europäischer Bildung durchtränkten Ostasiaten«. Die »Staaten des Islams« mit ihrer »Einfachheit des Dogmas« und »einleuchtender Art der Verheißung« waren von Kohlers universalistischen Konzepten hingegen ausgeschlossen.[18] Für diese Staaten sah er eine »indirekte Herrschaft« mittels »Protektionsverhältnis« und »Finanzkontrolle« vor.[19]

Die Urheberrechte wurden im deutschsprachigen Raum im Jahr 1896 gemeinsam mit den Patent-, Muster- und Firmenschutzrechten und der Thematik des unlauteren Wettbewerbs in der Zeitschrift Gewerblicher Rechtschutz und Urheberrecht (GRUR) erstmals in einen kontinuierlichen rechtswissenschaftlichen Diskussionszusammenhang integriert.[20] Dass Josef Kohler den ersten Text der ersten Nummer verfasste, zeigt das Renommee, das er genoss.[21] Die Urheberrechte wurden im Kontext eines sich konstituierenden Wirtschaftsrechts entwickelt und ausschließlich in einem engen Kreis von Interessengruppen debattiert. Das Editorial der ersten Nummer von GRUR erläuterte die Motive für die Zeitschriftengründung: »Der deutsche Verein zum Schutze des gewerblichen Eigentums hat es sich zur Aufgabe gemacht, unter Mitwirkung seiner Mitglieder selbst die Erfahrungen und Anschauungen der deutschen Interessentenkreise zu ermitteln, das gesammelte Material zu verarbeiten und die hierbei gewonnenen Ergebnisse der öffentlichen Erörterung zu übergeben. Ist auf diese Weise eine Frage durch das Abwägen verschiedener Interessen so geklärt, dass man annehmen kann, einen den Gesamtinteressen entsprechenden Standpunkt gefunden zu haben, so ist es eine weitere Pflicht des Vereins, den gesetzgebenden Körpern des Reiches diejenigen Anträge zu unterbreiten, in denen die Bedürfnisse und Wünsche der deutschen Industrie- und Handelswelt zum Ausdruck kommen.«[22]

Das Ende des Copyrights?

Fast ein Jahrhundert nach Erscheinen von Kohlers Buch zum Autorrecht fand im Jahr 1966 an der Columbia University in New York unter dem Titel »An Unhurried View of Copyright« eine Vorlesungsreihe des an der Harvard Law School lehrenden Juristen Benjamin Kaplan statt.[23] War Kohlers Kommentierung der Autorrechte zu Beginn einer juristischen Karriere erschienen, sprach Kaplan mit dem Gewicht des etablierten Experten. Hatte Kohler seine Erörterung kurz nach der Verankerung des ersten nationalen Urheberrechts in Deutschland verfasst, äußerte sich Kaplan mitten im langwierigen Revisionsprozess des amerikanischen Copyright Act of 1909 in den 1960er Jahren, der erst mit dem Copyright Act of 1976 zu einem vorläufigen Abschluss kam. Hatten der Buchdruck, die Lithographie und die Fotografie noch Kohlers Autorrechtswelt geprägt, beschäftigten sich die Juristen und Richter inzwischen mit der Frage, wie das Copyright in Hinblick auf Radiowellen, Fotokopierer, Kabelfernsehen und Computer zu regeln sei. Während der deutsche Jurist eine systematische Begründung des neu kodifizierten Autorrechts vorgelegt hatte, übte der amerikanische Rechtswissenschaftler Kritik an der Entwicklung des Copyrights. Kaplans Hauptkritik zielte einmal auf die in der Revision vorgesehene Verlängerung der Schutzfristen. Sie bot ihm Anlass, jene von Kohler prosaisch mit einer Wasserwelle verglichene Zeitspanne in Frage zu stellen, für die dem Autor das exklusive Recht der Verfügung über sein Werk zufiel: »Shall I now say in candor that I have sometimes dared to think even the fifty-six years is too much?«[24] Zudem sah er die im Copyright zentralen Kategorien »Persönlichkeit« und »Individualität« durch das Aufkommen von Fotokopien und Informationssystemen erschüttert: »With mutations of machines, already imaginable, that foreshadow symbiotic relationships with the human brain, ideas of individuality and personality in relation to intellectual accomplishment may themselves be shaken.«[25] Der Jurist stand dabei unter dem Eindruck des 1962 erschienenen »The Gutenberg Galaxy« des kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan:[26] »Professor McLuhan, a professional soothsayer, says broadly that as the imperium in communication passes from the books to electronic manifestations, as the Gutenberg galaxy decays, not only the relationship between author and audience radically changed, but the author’s pretensions to individual ownership and achievement are at a discount: his dependence on the past is better appreciated; he is somewhat as a tradition-bearing ›singer of tales‹, as a kind of teacher peculiarly indebted to his teachers before him.«[27] Nach der Lektüre von McLuhan stand für Kaplan fest, dass die Juristen die technischen Umgebungen des Copyrights zu wenig beachtet hätten. Er interpretierte die Fusion von alten Buchverlagen mit neuen Elektronikunternehmen als Zeichen eines fundamentalen Umbruchs. Weltumspannende »Systeme« würden in Zukunft den Buchdruck ablösen und das nationalstaatlich begründete Copyright hinfällig machen: »You must imagine, at the eventual heart of things to come, linked or integrated systems or networks of computers capable of storing faithful simulacra of the entire treasure of the accumulated knowledge and artistic production of past ages, and taking into the store new intelligence of all sorts as produced.«[28]

Die schleppende Revision des Copyright Act of 1909 hatte gezeigt, dass die 1896 vom Deutschen Verein zum Schutz des Gewerblichen Eigentums gewählte Strategie, den Gesetzesprozess durch abgestimmte Bündelung von Handels- und der Industrieinteressen voranzutreiben, sich in den USA ins Gegenteil verkehrt hatte. Es war ein Scheitern wegen divergierender Interessen.[29] In den Revisionsentwürfen bahnte sich jedoch ein Konsens an: eine Kurskorrektur der bislang im Vergleich zu Europa liberalen amerikanischen Copyrighttradition. Benjamin Kaplan blieb nicht der einzige renommierte Jurist, der diese Entwicklung kritisierte. Ihm folgte bald sein Schüler Stephen Breyer, der 1970 in der Harvard Law Review die geplante Stärkung und Ausweitung des amerikanischen Copyrights kritisierte und für eine Senkung der Schutzfristen von 1909 plädierte.[30] Hatte Josef Kohler 1880 die wissenschaftliche Begründung der Autorrechte auf Basis der Philosophen und Ökonomen des 18. Jahrhunderts aufgebaut, unterzog Stephen Breyer im Jahr 1970 die moralischen und ökonomischen Argumente für Copyright einer Überprüfung. Breyer interessierte sich nicht mehr wie Kohler für die Begründung von Autorrechten, sondern er stellte die Frage, welche ökonomischen Folgen eine Abschaffung der Copyrights haben würde. Seine rechtswissenschaftliche Argumentation zielte darauf, die moralphilosophischen Begründungen des Copyrights aus dem 18. Jahrhundert anhand von Fakten der empirischen Ökonomie des 20. Jahrhunderts zu kritisieren: »The case for copyright in books considered as a whole is weak.«[31] Bereits 1970 warnte Breyer aus wettbewerbspolitischen Motiven vor Copyrightschutz für Computerprogramme: »One must wonder, for example, whether, without protection, smaller hardware or software firms would not find it easier to use parts of IBM programms in their efforts to compete with IBM.«[32]

Die Argumente Josef Kohlers, Benjamin Kaplans und Stephen Breyers wurden nur in Spezialistenzirkeln diskutiert. Dies schien sich um 1970 plötzlich zu ändern, als ein Nicht-Jurist, der amerikanische Politologe Nicholas Henry, mehrere Artikel über Copyright publizierte – und zwar nicht in einem rechtswissenschaftlichen Journal, sondern in Science, der renommiertesten amerikanischen Zeitschrift für die Naturwissenschaften. Copyright sei nicht länger bloß eine Frage des Rechts, sondern der Politik. Die künftige Wissenschafts-, Technologie- und Informationspolitik wollte der Politologe nicht der Regulierung durch die alten Konzepte des Copyrights überlassen.[33] Zeitgleich entdeckten in Frankreich Philosophen und Rechtstheoretiker die Brisanz von Autorkonzepten: Roland Barthes schrieb 1967 über den Tod des Autors, und Michel Foucault stellte 1969 die Frage nach den gesellschaftlichen Funktionen von Autorschaft.[34] Bernard Edelman legte am Beispiel der Fotografie eine marxistische Kritik des literarischen und künstlerischen Eigentumsrechts vor.[35] Doch die zu Beginn der 1970er Jahre kulturwissenschaftlich erweiterte Debatte fand keinen Widerhall. Die Autorrechte weckten weiterhin lediglich das Interesse spezialisierter Juristen. Erst Mitte der 1990er Jahre, ausgelöst durch die Frage, ob und wie das Internet reguliert werden sollte, erschienen in den USA eine Reihe juristischer Bestseller. Sie stießen auf eine Resonanz, die Publikationen über Copyright zuvor noch nie erfahren hatten.[36] Der Diskurs über Copyright hatte sich plötzlich und schlagartig durch das World Wide Web verändert, so schien es zumindest. Aus den Copyrights waren Copywrongs[37] geworden. Lawrence Lessig verkündete, dass künftig Normen mittels binären Codes und nicht mehr nur mittels des Kodexes geschaffen würden.[38] Der Wandel wurde als abrupt wahrgenommen: Die Autoren sprachen vom »digitalen Moment«,[39] vom Ende des Copyrights, »as we know it«,[40] und von einer »tektonischen Verschiebung« durch die »Entstehung der Informationsgesellschaft«.[41]

Untersuchungsgegenstand

Aus historischer Perspektive ist diese Vorstellung von Rechnern als deus ex machina nicht zufriedenstellend, weil sie nicht zu erklären vermag, worin dieser mediale und rechtliche Bruch denn bestünde und was den digitalen Wandel von früheren Umbrüchen unterscheide. Die vorliegende Arbeit ordnet die Hintergründe, Triebfedern und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Copyrights in etwas größeren Zeiträumen ein, als es Akteure gewöhnlich tun, die sich von Berufs wegen mit Copyright beschäftigen (Rechtswissenschaftler, Anwälte, Internetexperten). Es ist fragwürdig (oder zumindest erklärungsbedürftig), von einem Bruch zu reden, ohne zu verstehen, mit welchen Traditionen (Konzepten, Praktiken und Normen) gebrochen wurde. Haben wir es heute mit einer neuen Epoche zu tun? Ist die Bezeichnung der Epoche überhaupt hilfreich? Hans Blumenberg hat angeregt, nicht von Epochen, sondern von Epochenschwellen zu reden, die nicht an exakt datierbaren Ereignissen festzumachen sind.[42] Im Folgenden wird deshalb eine längerfristige Übergangszeit zwischen 1850 und 1980 ins Blickfeld genommen. Es geht um jenen Zeitraum, in dem neue Vervielfältigungstechniken entstanden, die den Buchdruck in verschiedener Hinsicht herausforderten.

Der kanadische Medienwissenschaftler Marshall McLuhan argumentierte im Jahr 1962, dass das Gewahrwerden eines Umbruchs und die Wahrnehmung bzw. Deutung einer Epochenschwelle es überhaupt erst möglich machen, eine vergangene Epoche zu fassen und zu beschreiben. Er meldete sich damit ziemlich genau zu dem Zeitpunkt zu Wort, als die elektronischen Medien erstmals am Denkhorizont von Beobachtern außerhalb des engen Zirkels von Informatikern auftauchten: »It is because we have moved into another phase from which we can contemplate the contours of the proceeding situation with ease and clarity. (…) As we experience the new electronic and organic age with ever stronger indications of its main outlines, the preceeding mechanical age becomes quite intelligible.«[43] Für Marshall McLuhan war die Präsenz von vernetzten Rechnern zu Beginn der 1960er Jahre Anlass, um auf Gutenbergs Renaissance zurückzublicken. Er deutete Renaissance als eine Epochengrenze, ausgelöst durch die Druckerpresse, welche die Form, Beweglichkeit und Botschaft des neuen Mediums Buches geprägt hatte. McLuhan wird heute als Klassiker der Mediengeschichte gelesen. Doch sein Werk und insbesondere dessen Rezeption ist auch gesellschaftshistorisch aufschlussreich, weil McLuhan zu Beginn der 1960er Jahre mit Begriffen wie »Gutenberg-Galaxis« Begriffe zur sprachlichen Erfassung elektronischer Medien formulierte, die von Zeitgenossen wie dem Juristen Benjamin Kaplan aufgegriffen wurden und sich zu einem Kristallisationskern von Diskursen über neue Medien entwickelten.

Die folgende Untersuchung nimmt die globale Ausbreitung von Rechnern, die in den 1990er Jahren im Begriff des World Wide Web begrifflich manifest wurde, zum Anlass, um einen Blick auf jene medialen Umbrüche zu werfen, welche die Vorherrschaft des Buchdrucks seit dem 19. Jahrhundert in Frage stellten. Der durch McLuhan mitinitiierte medientheoretische turn, der die Literaturwissenschaften erstmals mit der Welt jenseits der literarischen Hochkultur in Verbindung brachte, ist durch die Ausformulierung von starken Thesen gekennzeichnet.[44] Die Medienwissenschaft hat den historischen Wandel mit dem Auftauchen von neuen Medien kurzgeschlossen und dabei zuweilen eine Tendenz entwickelt, dieses Auftauchen mittels teleologischer Ursprungserzählungen zu erklären. Durch Kurzschluss auf singuläre Erklärungsnarrative ist die junge Disziplin zuweilen in die Nähe der mythischen Geschichtsschreibung gerückt, von der sich die Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert im positivistischen Glauben verabschiedet hatte. Die Geschichtswissenschaft hat demgegenüber am Versuch festgehalten, zu klären, wie man wissen kann, was behauptet wird, wie Marc Bloch argumentierte.[45] Sie hat auch eine lange Tradition im ›Missbrauch‹ von Rechtsquellen für historische Fragestellungen oder mit dem »Bürsten wider den Strich«, wie es Walter Benjamin formulierte.[46]

Die folgende Geschichte der Copyrights ist eine Rechtsgeschichte von Medien, doch handelt es sich dabei auch um eine Mediengeschichte von Rechtsnormen. Sie interessiert sich für die Effekte, welche die Entstehung von neuen Vervielfältigungstechniken seit dem 19. Jahrhundert auf Rechtsnormen hatte, und umgekehrt auch dafür, wie das Recht den Gebrauch der neuen Medien prägte. Um die Korrelationen zwischen Vervielfältigungs- und Verrechtlichungspraktiken zu erforschen, werden Normen und Medien in the making ins Visier genommen. Ähnlich wie Mikrohistoriker Inquisitionsprotokolle mentalitätshistorisch bearbeitet haben, liest die nachfolgende Arbeit Copyrights medienhistorisch und interessiert sich dabei für die Störungen, welche die Techniken und Medien im Recht verursachen. Um die mediale Entwicklung historisch zu verstehen, müssen die Technik (Kopierapparate, Tonaufzeichnungsgeräte und Computer), die Medien (Schallplatten, Tonbänder, Fotokopien und Datensysteme) und das Recht (Gerichtsprozesse, Gesetzesrevisionen, Reglemente und Jurisprudenz) gemeinsam ins Blickfeld genommen werden.

Prämissen

Da diese Geschichte des Copyrights nicht Rechtsgeschichte im Dienst des Rechts sein muss, braucht sie keine Wurzeln suchen, keine Argumente historisch bekräftigen und keine Kontinuitäten betonen. Sie darf bei den Brüchen, Störungen und Ambivalenzen des Rechts ansetzen. Sie kann genau da hinschauen, wo scheinbar alles geklärt ist – bei den Rechtsnormen. Und sie kann verfolgen, welche sozialen, politischen und ökonomischen Konflikte diese Klärungen mit sich bringen. Sie muss nicht stur auf nationale Differenzen schauen, sondern kann auch auf Überschneidungen achten. Und sie kann sich den Luxus erlauben, vom Recht abzukommen, wenn es nötig ist, um jenen Praktiken auf die Spur zu kommen, die vom Recht erst verspätet aufgesucht werden.

Da die Historikerin immer später kommt, ist, was damals als neu wahrgenommen wurde, durch die Brille Clios betrachtet, immer schon dépassé. Sie wird deshalb den Neuheitsbehauptungen der Gesellschafts- und Medientheorien hinsichtlich der neuen Medien der Gegenwart von Berufs wegen mit Skepsis begegnen. Dass der Wunsch, die neuen Medien etwas besser zu verstehen, am Anfang dieses Buchprojekts stand und die folgende Historiographie alter Medien deshalb immer auch von den neuen Medien handelt, sei an dieser Stelle noch als Leseanleitung vermerkt.[47]

Fünf Prämissen leiten die folgende Untersuchung:

Es geht erstens um eine Mediengeschichte des Rechts, das die »Materialität der Kommunikation«[48] viel ernster nimmt, als dies die der Texthermeneutik verpflichtete Geschichtswissenschaft lange getan hat. Wenn Töne auf Kunststoffträgern aufgezeichnet und Texte fotografisch abgebildet werden, sind mit deren Speicherung und Übertragung kulturell komplexe Veränderungen der Inhalte mit weitreichenden Effekten verbunden. Ein Blick, der sich auf die Beobachtung von Gesetzen, internationalen Verträgen und öffentlichen Debatten beschränkt, kann die mit dem Medienwandel einhergehenden Bedeutungsverschiebungen von Kategorien und Klassifikationen des Rechts und ihre sozialen, ökonomischen und kulturellen Implikationen nicht erfassen. Denn der Medienwandel wird durch die Öffentlichkeit jeweils erst sehr spät wahrgenommen. Josef Kohler, Benjamin Kaplan, Stephen Breyer, Michel Foucault, Bernard Edelman, Nicolas Henry und Lawrence Lessig waren zwischen 1880 und 2000 an einem Diskurs über Autorschaft und Copyright beteiligt, den sie zugleich durch ihren distanzierten Blick und mit einem Sinn für gesellschaftliche Zusammenhänge analysierten. Für eine Geschichte des Copyrights sind sie deshalb in dieser doppelten Funktion aufschlussreich: Sie sind Zeugen eines Wandels, den sie – neben anderen – selbst verursachten. Doch reichen auch ihre Berichte nicht aus, um die Verflechtung von Vervielfältigung und Copyrights historisch zu verstehen: Sie müssen durch die Analyse der unzähligen Aufzeichnungen all jener Akteure aus unterschiedlichen Milieus ergänzt werden, welche sich beiläufig, im Rahmen ihrer Tätigkeit als Juristen, Schallplattenproduzenten, Bibliothekare, Programmierer, Wissenschaftspolitiker, Komponisten, ›Tonjäger‹, Technologieexperten oder Unterhaltungselektronikfabrikanten dazu äußerten.

Zweitens stellt die Studie die in Wirtschaft und Recht verbreitete Meinung in Frage, dass die weltweite Vernetzung von Rechnern seit den 1980er Jahren abrupt eine gewachsene Tradition und Kontinuität von Recht unterbrochen habe. Stattdessen wird von den Entwicklungen der Vervielfältigungs- und Verrechtlichungspraktiken seit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgegangen, die miteinander aufs Engste verknüpft sind und sich gegenseitig bedingen.[49] Die fotografischen und phonographischen Aufzeichnungstechniken brachten zusammen mit dem boomenden Welthandel der ersten Globalisierungswelle und den florierenden Wissenschaften des 19. Jahrhunderts eine Welt in Bewegung, die seit dem 16. Jahrhundert maßgeblich durch den Buchdruck geprägt war. Waren im 18. Jahrhundert die Drucksachen im Kontext eines sich um das Konzept der »Arbeit« kristallisierenden ökonomischen Denkens unter ein neues Regulativ des Copyrights geraten, wurde dieses Regulativ, kaum hatte es sich etabliert, permanent durch Technik erodiert und gleichzeitig beständig ausgebaut.

Drittens wird die These vertreten, dass Rechtsgeschichte immer auch als eine Geschichte von rechtswissenschaftlichem Wissen verstanden werden muss. Das Recht ist mit historischem Wissen durchtränkt, denn »das Recht muss nie anfangen«, wie Niklas Luhmann formulierte: »Es kann an vorgefundene Traditionen anschließen.«[50] Doch der Blick auf die Geschichte ist nie unschuldig, und schon gar nicht im Recht. Und er ist schon gar nicht selbstredend. Im Gegenteil: Der epistemische[51] Status von Geschichte im Recht ist erklärungsbedürftig. Geschichte ist in der juristischen Literatur immer präsent. Wer behauptet, dass er recht hat, wer das Recht revidiert oder kommentiert, tut dies immer mit einem Blick zurück. Um dieser Verquickung von Geschichte und Recht quellenkritisch Rechnung zu tragen, bedient sich die Untersuchung eines Zugriffs, welcher das Recht »in Aktion«[52] analysiert und Rechtskonzepte nicht als Dogmen- oder Ideengeschichte verengt, sondern auch als wissenschaftliche, wirtschaftliche und soziale Praktiken versteht.

Die Geschichte ist in der Rechtswissenschaft auch institutionalisiert worden: Die Rechtsgeschichte etablierte sich im 19. Jahrhundert als Teilgebiet der universitären Jurisprudenz und gehört bis heute zum rechtswissenschaftlichen Curriculum. Es gibt durchaus epistemische Gemeinsamkeiten zwischen der Rechts- und der Geschichtswissenschaft: Beide Disziplinen argumentieren evolutionär, das heißt: Die Analyse von Entwicklungen und die Betonung der Kontingenz haben ein hohes Gewicht. Beide arbeiten hermeneutisch, das heißt: Interpretation und Deutung sind zentral, und beide bedienen sich eines umfassenden Anmerkungssystems zur Bekräftigung der Argumentation. Doch neben den Gemeinsamkeiten manifestieren sich Differenzen, auf die Marie Theres Fögen und Dieter Grimm hinwiesen.[53] Fögen betonte, dass es das Recht mit »Geltung« (alles Recht ist geltendes Recht), die Geschichte hingegen mit »Kontingenz« (alles was geschah, konnte geschehen oder auch nicht geschehen) zu tun habe.[54] Grimm argumentierte, dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit im Recht primär im Dienst des Rechts erfolge. Deshalb gerät historisches Wissen bloß als »Reservoir dogmatisch nutzbaren Wissens« in den Fokus der Jurisprudenz. Grimm hielt diese Sonderentwicklung der Rechtsgeschichte, die ad hoc und punktuell argumentiere, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausblende und sich überdies durch einen ahistorischen Gebrauch ihrer Begriffe und eine isolierte Betrachtung der Normen auszeichne, für umso unverständlicher, als die Objekte, mit denen sich das Recht beschäftigt, außerhalb des Rechts liegen. Die in den 1970er und 1980er Jahren blühende deutsche Gesellschaftsgeschichte mit stark sozialwissenschaftlicher Ausrichtung erhob zwar den Anspruch einer »Synthese«,[55] doch trotz integrierender Perspektive blieb das Recht in der Gesellschaftsgeschichte eine Leerstelle und wurde, wenn überhaupt, als Produkt politischer Entscheidung behandelt und deshalb unter Politik subsumiert, wie Dieter Grimm in einem Kommentar zu Hans-Ulrich Wehlers gesellschaftshistorischem Projekt bemerkte.[56] Diese Unschärfe erklärte Grimm damit, dass in der Geschichtswissenschaft die Rechtsanwendung gegenüber der Rechtsnorm kaum ins Blickfeld geraten sei.

Demgegenüber verstehen Arbeiten aus der Sozial- und Kulturgeschichte das Recht als Aushandlungsprozess. Die in der Rechtsgeschichte übliche Unterscheidung von Rechtsnorm und Rechtsanwendung wurde durch das Konzept der Rechtsaushandlung gesprengt.[57] Das Konzept der sozialen Aushandlung ist zwar hilfreich, greift jedoch gerade unter Berücksichtigung der ersten zwei Thesen noch zu kurz: Zum einen müssen die Konzepte der sozialen Aushandlung medien- und technikwissenschaftlich erweitert werden: Rechtspraktiken sind durch Kulturtechniken[58] geprägt, die rechtshistorisch reflektiert werden müssen.[59] Zudem erschöpft sich die Rechtspraxis nicht in der Rechtssetzung und Rechtsprechung: Rechtspraktiken sind viel vielfältiger, als die Rechtsgeschichte lange wahrhaben wollte. Gerade der Medienwandel ist durch die Entstehung von Normen begleitet, die nicht durch Staaten, sondern Institutionen, Unternehmen, Verbände und Individuen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene entwickelt und verändert werden.[60] Diese technischen Normen, Richtlinien oder Verträge etablieren sich oft im medialen Gebrauch und nicht als Akt gesetzgeberischer Aushandlung. Sie bilden parallele Regime zu jenem Recht, das sich auf Ebene des Gesetzes manifestiert. Dies ist gerade auch vor dem Hintergrund bedeutsam, dass die Technikentwicklung viel schneller verläuft als die Aushandlung des Rechts.[61] Darüber hinaus sind die Normen kulturell vielfältiger und fragmentierter sowie weit weniger homogen und uniform, als die traditionelle Rechtstheorie lange glaubte: Schließlich etablieren sich in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Normen, die miteinander in Widerstreit geraten oder sich auch gegenseitig beeinflussen können. Die Rechtsgeschichte der Copyrights verlor sich lange in der Geschichte der nationalistisch bedingten rechtsdogmatischen Abgrenzungen. Damit gerieten der Transfer und die Transformationen von Rechtsnormen über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg aus dem Blick.

Viertens versteht sich die folgende Geschichte der Copyrights auch als Wirtschaftsgeschichte von Kultur und Wissenschaft. Ohne die Autorrechte ist die Organisation eines globalen Handels mit Musik beispielsweise nicht denkbar. Die Autorrechte sind bis vor kurzem nicht als relevantes Thema der Ökonomie betrachtet worden:[62] Für die ökonomische Theorie ist das geistige Eigentum eine Antwort auf die Problematik öffentlicher Güter, die ohne Markteingriffe nicht in gesellschaftlich optimaler Menge produziert werden.[63] Mit der Subsumierung unter die öffentlichen Güter ist für die Ökonomie das theoretische Problem gelöst. Die 1966 erschienene, unvollendete Studie von Robert Hurt, einem Schüler Milton Friedmans, blieb lange der einzige Versuch, die ökonomische Rationalität von Copyright empirisch zu erforschen. Sie endete mit dem Verdikt, dass die allgemeine Annahme, das Copyright trage zur allgemeinen Wohlfahrt bei, aus Sicht der ökonomischen Theorie fragwürdig und analysebedürftig sei: »The subject certainly deserves more investigation and less self-righteous moral defense.«[64] Im Gegensatz zu den Copyrights sind die Patente, die technische Erfindungen schützen, als Phänomene der Industrialisierung wahrgenommen und im Rahmen der Wirtschaftsgeschichte betrachtet worden. Das wirtschaftshistorische Interesse an Patenten ist in der Resonanz der New Institutional Economics in der Tradition von Douglass North begründet, welche die große Bedeutung von formellen und informellen Normen und Möglichkeiten ihrer Durchsetzung für die Verringerung von Unsicherheit, für Stabilität und für den Prozess des wirtschaftlichen take off betont.[65] Doch wie die Normen entstehen und überhaupt die Stabilität entwickeln, um all dies zu leisten, liegt nicht im Fokus des institutionenökonomischen Interesses. Die Normen selbst bleiben in der North’schen Institutionenökonomie weitgehend eine Blackbox. Die Frage nach den Auswirkungen von Patenten[66] und Copyrights[67] für die Herstellung von Wissen ist jedoch von der Wissenschaftsgeschichte aufgegriffen worden. Dabei zeigt sich, dass die Vorstellung einer liberalen auf Geldökonomie basierenden umfassenden »Propertisierung«[68] zu kurz greift. Bei der Fabrikation von Wissen stehen ökonomische Eigentumsregimes auf Basis der Geldökonomie wissenschaftlichen Reputationsökonomien mittels peer review (Zitationen, Preise oder Professuren) einander diametral gegenüber. Wissenschaftler geraten bei der Sicherung ihrer Prioritätsansprüche zwischen diese beiden konkurrierenden Regulierungskulturen.

Fünftens geht es hierbei um ein integrales Vorgehen. Die in den ersten vier Prämissen dargelegten methodischen Voraussetzungen legen es nahe, dass die Rechtsgeschichte neuer Medien auch medien-, wirtschafts- und wissenschaftshistorische Implikationen besitzt. Dieses Vorgehen, das die Grenzen historischer Spezialisierung sprengt, sich nicht an nationale Grenzen hält und einer transnationalen Beziehungsgeschichte[69] verpflichtet ist, erfordert eine selektive Auswahl der Untersuchungsfelder, um das Vorhaben in feiner Auflösung detailliert zu exemplifizieren. Der Zeitraum umfasst die Jahre von 1850 bis 1980 und konzentriert sich auf den transatlantischen Raum Europas und der USA. Die Studie beginnt mit der Entstehung neuer Aufzeichnungsmedien um 1850 und ihrer rechtswissenschaftlichen Integration in die auf Buchdruck basierenden Rechtsnormen, die mit einem Ausbau der nationalen Gesetze und einer Internationalisierung der Rechtsnormen korrespondierte. Sie endet um 1980 mit der Inkraftsetzung des revidierten US Copyright Act im Jahr 1976 beziehungsweise mit der Veröffentlichung des Schlussberichts der National Commission on New Technological Uses of Copyrighted Works (CONTU) im Jahr 1979. Der Kongress setzte diese Kommission ein. Sie hatte den Auftrag, die neuen automatischen Systeme und maschinellen Reproduktionstechniken in Hinblick auf das Copyright zu studieren.[70] Die nationalen Rechtstraditionen (angelsächsisches Copyright in den USA und Großbritannien, deutsches Urheberrecht und französisches Droit d’auteur beziehungsweise das propriété littéraire et artistique) werden in dieser Arbeit immer wieder aufeinander bezogen und in ihrem gegenseitigen Wechselspiel betrachtet. Falls sie nicht explizit auf spezifische nationale Traditionen gemünzt sind, werden diese Rechtskonzepte im Folgenden unter den sich im Zug eines konvergierenden Weltrechts zunehmend als Metabegriff etablierten Terminus des »Copyrights« gefasst.

Der transatlantische Raum ist deshalb der relevante geographische Untersuchungsrahmen für eine Mediengeschichte des Copyrights seit 1850, weil die Alte Welt, eben Europa (mit einer langen Tradition kultureller Produktion) und die Neue Welt, die USA (die im ausgehenden 19. Jahrhundert in Literatur, Musik, Wissenschaft und Wirtschaft eine Aufholjagd begann), in unterschiedlichen ökonomischen und kulturellen Konstellationen unterschiedliche Vervielfältigungskulturen und Rechtspraktiken entwickelten. Diese Praktiken hängen jedoch zusammen, denn wie die USA Produktion, Reproduktion und Regulierung von Texten, Bildern und Tönen handhabte, blieb nicht ohne Effekte auf die Entwicklung Europas und umgekehrt.

Untersuchungsfelder und Quellen

Zwei Entwicklungsstränge werden chronologisch verfolgt und aufeinander bezogen:

Das erste Untersuchungsfeld behandelt die Geschichte der Fotokopie. Dabei geht es um die Frage, wie der Zugang zu Wissen und Informationen in Gesellschaften, die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend als modern, d.h. flüchtige, transitorische und fortschrittliche Gegenwart[71] verstehen, technisiert und normiert wird. Es handelt von der Mediatisierung der Nutzung von Bibliotheksbeständen, die inzwischen mit den Debatten um die Google Library einen Höhepunkt erreicht hat.

Das zweite Untersuchungsfeld zur Geschichte der Musikaufnahme behandelt die Frage, wie Vervielfältigungstechniken an ein komplexes Netz von Verwertungsrechten gekoppelt werden. Es handelt von den rechtlichen, organisatorischen, wirtschaftlichen und technischen Praktiken, die einen globalen Markt mit Musikmedien möglich machen, ihn immer wieder neu strukturieren, und die in den letzten Jahren durch das File Sharing, spektakuläre Gerichtsprozesse und die Gründung von Piratenparteien in zahlreichen europäischen Ländern und den USA zu einer eigentlichen gesellschaftlichen Kampfzone avanciert sind.

Der untersuchte Quellenkorpus umfasst Material zu nationalen Gesetzen, internationalen Verträgen,[72] außergesetzlichen Reglementen und Richtlinien sowie Rechtskommentare, juristische und technische Handbücher, rechts- und wirtschafts- und informationswissenschaftliche Periodika, Branchenzeitschriften, Publikationen von Verwertergesellschaften, amtliche Schriften, Akten von Gerichtsprozessen und Gesetzesrevisionen sowie Aufzeichnungen wissenschaftlicher und politischer Debatten aus Europa (insbesondere Deutschland, Frankreich, England) und den USA. Die Auswahl erfolgte durch ein Vorgehen, das den gegenseitigen Beziehungen in den zwei Untersuchungsfeldern folgt und die Quellen unterschiedlichster Provenienz der involvierten Akteure aufeinander bezieht. Trotz diesem integralen Vorgehen, das den Beschränkungen der Quellenbestände aufgrund spezifischer Interessenlagen entgegenwirkt, gilt es auf gravierende Lücken und blinde Flecken des untersuchten Korpus hinzuweisen: Während es den Gepflogenheiten des Rechts geschuldet ist, dass die Gesetzgebungsprozesse sowie ihr Stocken und Scheitern anhand vertrauter Pfade verfolgt und beinahe lückenlos nachvollzogen werden können, ist den technischen und medialen Entwicklungen sowie den Praxen der dabei involvierten Institutionen und Unternehmen nur auf Umwegen, durch Obsession, Glück oder ein Bürsten der Quellen gegen den Strich auf die Spur zu kommen. Viele Archive (etwa der Verwertergesellschaften oder der Schallplattenfabrikanten) wurden gar nie angelegt, sind verloren, vergessen, zerstört oder unzugänglich geworden. Und schließlich hatte die nachfolgende Studie immer eine spezifische Selbstreferentialität des Copyrights im Blickfeld zu behalten: Die Aushandlung von Recht und ihre anschließende Deutung und Kommentierung im Rahmen von Rechtswissenschaft ist maßgeblich von einem engen Kreis von Interessenvertretern gepflegt worden, und auch der Historiographie dieses Feldes bleibt mangels Alternativen oft nichts anderes übrig, als sich auf Texte zu beziehen, die in einem äußerst engen, beinahe geschlossenen Kreis entstanden sind.

Copyrights wurden relativ spät von der politischen und medialen Öffentlichkeit als Stoff gesellschaftlicher Auseinandersetzungen wahrgenommen. Die eingangs diskutierten Positionen von Josef Kohler (1880), Benjamin Kaplan (1967), Stephen Breyer (1970/1972), Nicholas Henry (1974) und Lawrence Lessig (1999) stehen für die steigende öffentliche Wahrnehmung eines lange als rechtstechnisches Detail behandelten Phänomens. Dass Copyrights auch ein eminent politisches Thema sind, konnte endgültig nicht mehr ignoriert werden, als erstmals im Jahr 2006 in Schweden und später in anderen Ländern Europas und den USA politische Parteien gegründet wurden, welche das Thema Copyright zum wichtigsten Inhalt ihres Parteiprogramms machten. Die Aktivisten der Piratenparteien wurden durch die Schließung der Internet-Tauschbörse Pirate Bay im Jahr 2003 mobilisiert; sie fordern eine radikale Reform des Urheber- und Patentrechts, Datenschutz und Transparenz der Staaten über ihren Zugriff auf die elektronischen Praktiken ihrer Bürger.[73] Mit dem Einzug von Piratenparteien ins Parlament sind die politischen Implikationen des Medienwandels gesellschaftsfähig geworden. Im Folgenden wird eine Historisierung der Entwicklung des gesellschaftlichen Konflikts um die Vervielfältigung angestrebt, der sich bis in die 1990er Jahre unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle abspielte, jedoch in unterschiedlichen Milieus bereits hochkonfliktiv war.

Im ersten Teil (Schrift und Aufzeichnung) geht es um die Phase von 1850 bis etwa 1915 und dabei um die Herstellung von Vervielfältigungsnormen für neue Medien. Der zweite Teil (Verwertungsagenturen und Forschungsmaterialien) handelt vom Zeitraum zwischen 1915 und 1945. Es geht dabei um eine Archäologie zweier grundverschiedener Nutzungsformen von Vervielfältigung in Bibliotheken und in der Musikindustrie. Der dritte Teil (Privatkopien und Universalnormen) widmet sich der Zeit zwischen 1945 und 1980 – mit einem Ausblick in die Gegenwart. Er untersucht die Genese des Konflikts zwischen Autorrechtskollektiven, Konsumenten und sich wandelnden Autorrechtsvorstellungen nach der Dekolonialisierung und im postkolonialen Diskurs. Dabei manifestiert sich eine Beschleunigung und Intensivierung des latenten gesellschaftlichen Konflikts um die Regulierung der Vervielfältigung in den 1960er Jahren.

Erster TeilSchrift und Aufzeichnung