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HOCHZEITSNACHT IM WINTERWALD von GERARD, CINDY Fast am Ziel! Barbara kämpft sich mit ihrem Bruder Mark durch einen Schneesturm zum Blockhaus von Abel Greene vor. Sie hat Abel nie zuvor gesehen und folgt allein seiner Heiratsanzeige. Sie erhofft sich eine sichere Zukunft. Mit Glück und Liebe hätte sie nie gerechnet ... ERFÜLL MIR ALL MEINE WÜNSCHE von WINSTON, ANNE MARIE Tannis und Tom - seit vielen Jahren gute Nachbarn - haben sich ihre Vernunftehe ganz problemlos vorgestellt: Tannis ist ihre Geldsorgen los, und Tom weiß seine Kinder gut betreut. Ein perfektes Arrangement! Zumindest bis Tannis sich in ihren neuen Ehemann verliebt ... RADIO L.O.V.E. von FOSTER, LORI Sicher ist die hübsche Lacy ...die als Paarberaterin in einer Radiosendung auftritt - in Sachen Lust und Liebe mit allen Wassern gewaschen. Das denkt zumindest der gutaussehende Daniel. Doch als er sie zum ersten Mal küsst, stellt er fest: Lacy ist hinreißend unerfahren ...
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Seitenzahl: 608
Cindy Gerard, Lori Foster, Anne Marie Winston
Höhepunkte der Leidenschaft, Band 40
IMPRESSUM
BACCARA EXKLUSIV erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1
© 1997 by Cindy Gerard Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
© 1999 by Lori Foster Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 1999 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
© 1994 by Anne Marie Rodgers Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 1994 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Fotos: Harlequin Books S.A.
© by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg, in der Reihe BACCARA EXKLUSIV, Band 40 - 2008
Veröffentlicht im ePub Format im 04/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86349-579-4
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Der metertiefe Schnee macht das Vorwärtskommen fast unmöglich, aber Barbara und ihr Bruder Mark müssen unbedingt Abel Greenes Blockhütte erreichen. Dort sind sie sicher – sicher vor der Jugendgang, die Mark in Chicago bedroht, und sicher vor den Wölfen, die sie heulend umkreisen. Abel Greene ist ihre Rettung! Dabei hat Barbara ihn nie zuvor gesehen. Sie folgt seiner Kontaktanzeige – ins Glück?
Wie man sich irren kann! Seit Dr. Daniel Sawyers die hübsche Lacy nach einem Hundebiss verarztet hat, weiß er: Er hat die beste Freundin seiner Schwester bis jetzt völlig falsch eingeschätzt. Der gutaussehende Daniel dachte immer, Lacy sei eine moderne Frau, die eher freizügig mit Lust und Liebe umgeht. Doch schon nach dem ersten Kuss stellt er fest, dass alles ein bisschen anders ist ...
Tannis kann nicht mehr! Zwei Jobs, um die Pflege ihrer Mutter finanzieren zu können – das ist einfach zu viel! Da kommt ihr der Vorschlag ihres langjährigen Nachbarn Tom gerade recht: wenn sie ihn heiratet, um für seine Kinder zu sorgen, übernimmt er die Heimkosten. Da sie sich auch sexuell stark zueinander hingezogen fühlen, steht der Vernunftehe nichts im Weg – außer den aufkommenden Gefühlen ...
„Vielleicht siehst du viel zu schwarz. Vielleicht hast du dich gar nicht verirrt. Ja, ja, und vielleicht geht die Sonne überhaupt nicht im Westen unter“, murmelte Barbara Kincaid mit klappernden Zähnen vor sich hin und fragte sich, womit sie das alles verdient hatte. Die Ironie des Ganzen war nicht mehr zu überbieten. Wie sonst hätte das Schicksal sie von einer lebensbedrohenden Situation mitten hinein in die nächste führen können?
„Du hast zu viel hinter dir, um dich von ein bisschen Kälte und Schnee kleinkriegen zu lassen, Kincaid“, beschwor sie sich in dem Bemühen, den eisigen Wind und den immer tiefer werdenden Schnee herunterzuspielen. Doch es war nicht zu übersehen, wie schwer ihr kleiner Bruder dagegen anzukämpfen hatte.
„Sieh es mal positiv.“ Sie klammerte sich sozusagen an ihren letzten Rest Optimismus. „Schließlich lernst du was dabei.“
In der letzten halben Stunde hatte sie zum Beispiel gelernt, dass sie eigentlich nie gewusst hatte, was Kälte war. Doch dieser Schneesturm hier in Minnesota und die frostigen Blicke ihres Bruders hatten sie eines Besseren belehrt. Wenn der kalte Wind und der Schnee, der an ihren Knöcheln und Jeans klebte, sie nicht demnächst erstarren ließen, dann würde Mark schon dafür sorgen, mit seinem vorwurfsvollen Schweigen, das nur ein schlecht gelaunter Fünfzehnjähriger so hartnäckig aufrechterhalten konnte. Lustlos stapfte er neben ihr durch Schneewehen von gut einem halben Meter.
„Muss das alles denn wirklich sein?“, murmelte sie mit Blick zum Himmel. Ihre verzweifelte Entscheidung, die sie hierher geführt hatte, lastete schwer auf ihr, ebenso die Lüge, die sie auftischen würde. Dagegen war ihre Nylon-Reisetasche, die ihre gesamte Habe enthielt, geradezu leicht. Mark, dessen dunkles Haar schneeverkrustet war, mühte sich mit seiner eigenen Reisetasche ab. Seinen heiß geliebten Radiorecorder, den er den ganzen Weg aus L. A. mitgeschleppt hatte, drückte er schützend an die Brust wie einen kostbaren Schatz.
Barbara zog die Kapuze ihrer dünnen roten Jacke zurecht. Doch sie bot nicht viel Schutz vor dem Schnee, der ihr ins Gesicht wehte.
„Kopf hoch, Kincaid“, befahl sie sich. „Du schaffst das. Auch wenn du frierst. Auch wenn du erschöpft bist. Aber du kannst jetzt nicht aufgeben. Es steht zu viel auf dem Spiel.“
Immerhin Marks und ihr Leben.
Es schien ihr eine halbe Ewigkeit her zu sein, seit sie mit Mark in den Bus gestiegen war. Die Reise hatte sechsunddreißig Stunden gedauert und sie vom sonnigen Süd-Kalifornien durch endlose Wüste, wildes Gebirge und die winterlichen Ebenen des Mittelwestens hierher geführt: nach Nord-Minnesota. Ihr kam es vor wie die Arktis.
Sie hatte damit gerechnet, dass ihr Ziel abgelegen sein würde. Allerdings nicht, dass sie in den Schneesturm des Jahrhunderts geraten und sich deswegen verirren würden.
„Manche Leute würden das als tolles Abenteuer ansehen“, versuchte sie Mark zähneklappernd Mut zu machen. Dabei fragte sie sich, ob ihre Lippen genauso blau waren wie die ihres Bruders.
Mark ging nicht darauf ein. Er behielt seine Meinung für sich. Zum Glück seit etwa einer Stunde – sonst hätte er noch den einzigen Menschen weit und breit vergrault, einen freundlichen Holzfäller, den sie an der kanadischen Grenze getroffen hatten und der ihnen angeboten hatte, sie in seinem Wagen mit Vierradantrieb die dreißig Meilen bis zu ihrem eigentlichen Ziel mitzunehmen.
„Sein Blockhaus liegt etwa eine halbe Meile diesen Weg hinunter“, hatte der Holzfäller erklärt, nachdem er sie am Waldrand abgesetzt hatte und sie ihm gesagt hatte, wohin sie wollten.
Blockhaus. Eine romantische Vorstellung, bis er hinzugefügt hatte: „Ich würde Sie ja hinfahren, aber der Mann ist ein klein wenig eigen, was das Betreten seines Grund und Bodens betrifft. So, und nun verliert keine Zeit. Dieser Sturm scheint sich zu einem wahren Prachtexemplar zu entwickeln.“
Na wunderbar, hatte Barbara gedacht. Wenn dieser Schneesturm sich erst noch entwickelte, dann wollte sie ihn, wenn er in vollem Gang war, bestimmt nicht erleben. Und die wiederholte Frage des Holzfällers, ob sie wirklich zu dieser Blockhütte wollten, hatte die Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidung riesengroß werden lassen.
„Aussteigen kannst du nicht mehr“, murmelte sie, während sie ihre Reisetasche auf der Schulter höher schob. „Nicht, nachdem du nun schon so weit gekommen bist.“
Und wie weit war das genau? Sie versuchte, in dem Schneetreiben etwas zu erkennen. Es war eine gute halbe Stunde her, seit der Holzfäller davongefahren war. Sie waren noch immer zu keiner Lichtung gekommen – geschweige denn auf ein Anzeichen einer menschlichen Behausung gestoßen.
„Wie auch, wenn du kaum die Hand vor Augen sehen kannst“, sagte Barbara. „Bei dem Schneegestöber würdest du nicht mal das Empire State Building bemerken.“
Es gelang ihr immer weniger, den Ernst ihrer Lage herunterzuspielen. Und ihre Hoffnung schwand zunehmend. Spätestens seit ihre Zehen vor Kälte taub waren, kämpfte sie gegen ihre Panik an. Sie fürchtete schon, den Kampf verloren zu haben, als sie die Umrisse eines Daches zwischen verschneiten Tannen und winterkahlen Birken ausmachte.
Sie stolperte weiter.
„Danke“, flüsterte sie, den Tränen nah, als ein Blockhaus sichtbar wurde.
Es war keineswegs nur ein schlichtes Holzhaus, mit dem sie zu diesem Zeitpunkt auch zufrieden gewesen wäre. Es war ein architektonisches Meisterwerk mit hohem, spitzem Dach, auf dem sich der Schnee türmte. Hinter den großen, vereisten Fenstern brannte gedämpftes Licht. Aus einem gewaltigen Schornstein stieg Rauch auf, der einen wunderbar warmen Empfang verhieß.
Barbara hätte wieder Hoffnung geschöpft – wenn sie in der nächsten Sekunde nicht den Wolf erspäht hätte.
„Gütiger Himmel!“, hauchte sie.
Das Tier war riesig. Und hungrig, wie sie instinktiv erfasste. Silbergraue Raubtieraugen starrten sie unverwandt an. Auf seinem schwarzgrauen Fell lag Schnee, doch die gebleckten Reißzähne waren nicht zu übersehen – und sein leises, warnendes Knurren war nicht zu überhören. Seine Schulterhöhe musste gut einen Meter betragen, und er wog bestimmt hundert Pfund. Barbara überkam die hysterische Vorstellung, dass sie in ihrer roten Jacke mit Kapuze wie Rotkäppchen aussehen musste …
Sie schob Mark hinter sich.
„Beweg dich nicht“, flüsterte sie ihm mit wild klopfendem Herzen zu. „Tu … tu gar nichts. Bleib ganz ruhig.“
Mark war wie erstarrt. „Was macht er?“
„Ich … weiß es nicht. Er beobachtet uns, nehme ich an. Vielleicht hat er genauso viel Angst vor uns wie wir vor ihm.“
Das verächtliche Schnauben ihres Bruders verriet, wie viel er von dieser Version hielt. Ihr Verstand gab ihm recht, und als der Wolf ein Stück näher schlich, verwarf sie ihre Anweisung, ruhig zu bleiben, augenblicklich.
„Lauf!“ Sie gab Mark einen kräftigen Stoß Richtung Blockhaus. Dann warf sie dem Wolf ihre Reisetasche entgegen. Er wich geschickt aus und kam noch etwas näher.
Erst jetzt bemerkte sie, dass Mark ihrer Aufforderung nicht gefolgt war, denn plötzlich stellte er sich schützend vor sie.
„Mark, nein!“
Er hörte nicht auf sie, sondern warf nun auch seine Reisetasche nach dem Wolf.
Leider verfehlte auch er sein Ziel. Das Raubtier duckte sich, so dass sein Bauch den Schnee berührte, und begann, sie beide einzukreisen.
Fast hätte Barbara verzweifelt aufgeschluchzt. Da hatte sie Mark mit aller Gewalt aus L. A. weggeschleppt, damit er nicht umgebracht wurde – und nun starben sie womöglich hier mitten im Wald. Eine schreckliche Vorstellung. Auf einmal hob Mark seinen heiß geliebten Radiorecorder über den Kopf und schleuderte ihn Richtung Wolf.
Das Radio streifte ihn an den Hinterläufen. Überrascht aufheulend suchte das Tier im nahen Wald Schutz.
„Los!“, rief sie Mark zu, ergriff seine Hand und hastete mit ihm zum Blockhaus hinüber.
Doch schon nach wenigen Schritten hielt sie abrupt inne. Mit einem Aufschrei bremste sie auch Mark – und schlug sich im nächsten Moment die Hand vor den Mund, um einen weiteren Aufschrei zu unterdrücken.
Eine riesenhafte Gestalt kam drohend auf sie zu.
Barbara war unfähig, sich zu bewegen. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen oder ihre Angst niederzukämpfen, weil Schock und Panik nur einen einzigen Schluss zuließen: es war aus mit ihrem Leben!
Unter einer dunklen Wollmütze, die tief in die Stirn gezogen war, funkelten schwarze Augen sie wild und offenbar wütend über ihr Eindringen an. Auf einer Schulter, die so breit wie die eines Footballspielers war, trug die mächtige, schneebedeckte Gestalt eine zweischneidige Axt. Und falls sie womöglich noch anzweifelte, dass er eine Gefahr für Leib und Leben darstellte, hatte er außerdem ein langes Messer in einer an einem breiten Ledergürtel befestigten Scheide bei sich.
Verglichen mit diesem schwer bewaffneten, wutschnaubenden, finster dreinblickenden Riesen erschien ihr der Wolf etwa so gefährlich wie ein Schoßhündchen.
Es dauerte eine Weile, bis Barbara begriff, dass sie einem Mann gegenüberstand, keinem Monster. Auch wenn das im Augenblick keinen Unterschied machte, so zornig und böse, wie er aussah. Während sie noch unschlüssig dastand, ergriff Mark nun die Initiative. Mit einem gellenden Aufschrei warf er sich gegen den hünenhaften Fremden.
Entsetzt rief sie Mark zurück.
Der Mann brummte nur überrascht, als Mark ihn rammte, und schubste ihn dann völlig unbeeindruckt in eine Schneewehe.
Wütend kam Mark hoch. Er war nun wirklich kein Kämpfertyp, doch in geradezu selbstmörderischer Absicht griff er den Mann erneut an. Diesmal packte er ihn an den Stiefeln.
Dieses Manöver brachte den Mann aus dem Gleichgewicht. Die Axt entglitt ihm, und gleich darauf landete er selbst mit einem dumpfen Plumps im Schnee, während Mark wie eine Klette an seinen Beinen hing.
Barbara überlegte nicht lange, ob ihr kürzlich absolvierter Selbstverteidigungskurs sein Geld wert war. Sie sah nur, dass ihr kleiner Bruder in Schwierigkeiten war. Sie sprang dem Fremden auf den Rücken, presste ihm einen Arm auf die Augen und umklammerte mit den Beinen seine Taille.
„Lassen Sie ihn los!“, zischte sie keuchend, ehe sie ihm an die Kehle ging.
Fluchend griff er über seinen Kopf hinweg, packte sie und beförderte sie von seinem Rücken herunter, als wäre sie das reinste Fliegengewicht.
Unsanft landete sie neben Mark im Schnee. Wieder zu Atem gekommen, blickte sie geradewegs in Augen, die so schwarz waren wie Onyx und so kalt wie Eis.
Neben ihr zappelte und strampelte Mark, spuckte Schnee und beschimpfte in einem fort den Mann, der über ihnen kniete.
„Verdammt, haltet doch endlich still!“, knurrte der, während er sie ohne die geringste Mühe niederhielt.
Barbara wischte sich den Schnee aus dem Gesicht. „Lassen Sie uns los!“, fuhr sie ihn an, als hätte sie überhaupt keine Angst.
Er tat nichts dergleichen. Nicht dass sie das erwartet hätte. Und so war ihre einzige Hoffnung, ihm zu entkommen, ihren Verstand zu gebrauchen.
„Es ist nicht sehr clever von Ihnen, uns festzuhalten“, erklärte sie so bestimmt wie möglich. „Lassen Sie uns sofort los, oder Sie bekommen ernste Schwierigkeiten, Mister.“
Unter seiner schwarzen Wollmütze zog er eine seiner dunklen Brauen hoch. „Ich bekomme Schwierigkeiten? Vielleicht haben Sie es noch nicht gemerkt: aber Sie liegen unten und ich bin obenauf.“
„Hören Sie“, sagte sie, wild entschlossen, sie schnellstens aus dieser misslichen Lage zu befreien. „Mein Mann …“ Sie suchte nach Worten, und ihr fiel die Bemerkung des Holzfällers ein, der sie mitgenommen hatte. „Er ist sehr eigen, was das Betreten unseres Grund und Bodens betrifft. Glauben Sie mir, es ist besser für Sie, wenn er Sie hier nicht erwischt. Und wenn uns beiden etwas zustößt, wird er Sie ausfindig machen“, ergänzte sie in der Hoffnung, dass ihre Lüge Wirkung zeigte.
Sie tat es. Wegen seiner in die Stirn gezogenen Wollmütze und der bis unters Kinn zugeknöpften Jacke konnte sie nicht viel von seinem Gesicht erkennen. Aber sie sah den Ausdruck seiner Augen – und der war niederschmetternd.
„Sie sagen, das hier sei Ihr Grund und Boden?“ Seine Stimme klang gefährlich sanft.
Sie hielt an ihrer Schwindelei fest. „Ja, meiner und der meines Mannes.“
„Ihrer und der Ihres … Mannes. Und wer sollte dieser Mann sein?“
Seine Skepsis war nicht zu überhören und auch nicht seine Ungeduld. Doch er lockerte ein wenig seinen Griff. Sie nahm das als gutes Zeichen. Nach einem warnenden Blick zu Mark hinüber, ruhig zu sein, schwindelte sie weiter: „Abel … Abel Greene.“
Er blinzelte und atmete tief durch. „Abel Greene hat keine Frau.“
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. „Das … das stimmt schon“, räumte sie ein, während sie sich sehr bewusst war, wie groß und kräftig die Hand war, die er mitten auf ihren Brustkorb gestützt hatte. „Aber das wird sich demnächst ändern. Wir … er … Abel und ich werden heiraten.“
Verschiedenste Gefühlsregungen – Überraschung, Ungläubigkeit und, wenn sie nicht irrte, Resignation – blitzten in seinen Augen auf, ehe er den Blick forschend und unangenehm gründlich auf ihr Gesicht heftete.
„Sie sind doch nicht etwa … verflixt. Sagen Sie bloß nicht, Sie sind Barbara Kincaid!“
Noch während er fragte und sie eisern schwieg, schüttelte er langsam den Kopf. Er schloss die Augen und fluchte leise. Nach einem schweren Atemzug setzte er sich auf die Fersen zurück und gab Barbara dadurch frei. Es dauerte einen Moment, bis sie das erfasste, und noch einen, bis ihr bewusst wurde, dass er wusste, wer sie war.
Als sie sich dann aufsetzte, überlegte sie fieberhaft, wieso er ihren Namen kannte. Es gab nur eine Erklärung. Sie wehrte sich mit aller Macht dagegen. Doch schließlich musste sie den Tatsachen ins Auge sehen.
Nur ein Mann in dieser frostigen Gegend konnte wissen, wer sie war – und das war nicht der Weihnachtsmann.
Sein eisiger Blick, seine unwirsch gerunzelte Stirn drückten unmissverständlich tiefes Missfallen aus. Das also war der Mann, den zu heiraten sie das halbe Land durchquert hatte. Der Mann, der per Inserat eine Braut gesucht hatte.
Als Barbara die ganze Komik der Situation erfasst hatte, war sie sich nicht schlüssig, ob sie vor Erleichterung in Gelächter oder vor Wut in Tränen ausbrechen sollte. Am liebsten hätte sie laut geschrien. Doch so erschöpft, wie sie war, starrte sie ihn nur stumm an.
Sie hatte sich ihren Bräutigam eventuell älter und mit Glatze vorgestellt. Stämmig und mit Vollbart. Auf alles war sie gefasst gewesen, nur nicht auf diesen abgrundtief finster blickenden Mann. Allerdings, da sie ihn angegriffen hatten war seine Reaktion eigentlich gerechtfertigt. Diese sachliche Erkenntnis nützte ihr jedoch wenig. Sie konnte nicht mehr. Sie hatte zu viel Angst ausgestanden, zu viele Sorgen gehabt, kurz, es war alles zu viel für sie.
Eine faire Chance. Mehr hatte sie nicht gewollt. Mehr hatte sie nicht gebraucht, um es bis hierher zu schaffen. Sie würde sie nicht bekommen – weder von den Mächten des Schicksals noch von ihm.
Sein Blick war hart. Und gefährlich wie der eines Tieres, das in der Falle sitzt. Nur ihre Vernunft hinderte sie daran, ihn zu bitten, das Ganze zu vergessen, und nach L. A. zurückzufahren. Sie konnten nicht zurück. Sie brauchte Abel Greene.
Er wusste es zwar noch nicht, aber er würde ihr Retter sein. Und sein Haus ihre Zuflucht. Eine einzige Erinnerung genügte, um die Richtigkeit ihrer Entscheidung, hierher zu kommen, zu bekräftigen: der Junge, der in seinem Blut auf der Straße vor ihrem Apartment gelegen hatte.
Dieses schreckliche Bild brachte Barbara zur Besinnung. Aber es gab da immer noch ein Problem. Mit ihrer Selbstbeherrschung war es nahezu vorbei. Die letzten sechsunddreißig Stunden hatten sie einfach zu viel Kraft gekostet.
„Wie ich sehe, bin ich nicht mit den Sitten und Gebräuchen hier oben im Norden vertraut“, fing sie an und hob die Stimme. „Aber falls es hier üblich ist, dass ein künftiger Bräutigam die Frau, die er heiraten will, misshandelt, dann möchte ich entschieden dagegen protestieren!“
Die letzten Worte hatte sie regelrecht geschrien, denn sie hatte endgültig die Beherrschung verloren. All ihre Ängste, all die Misserfolge der letzten Zeit entluden sich in blanker Wut.
Tief durchatmend versuchte sie, sich wieder zu fangen. Sie versuchte sogar zu lächeln – doch als sich seine Miene nur noch mehr verfinsterte, konnte sie sich nicht mehr bremsen.
Mit der ganzen Kraft ihrer einhundertundfünf Pfund holte Barbara aus und verpasste Abel Greene einen kräftigen Kinnhaken.
Er gab einen Laut höchster Überraschung von sich.
Unfähig, über ihre Reaktion schockiert zu sein oder wieder Angst zu haben, starrte sie Abel Greene einfach nur an und konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. Und dann hörte sie, dass er erneut einen derben Fluch ausstieß, der auf keinen Fall als freudiger Willkommensgruß misszuverstehen war.
Alles in allem nahm Barbara es als gutes Zeichen, dass Abel Greene nicht zurückschlug – und dass er sie und Mark nicht in der Kälte stehen ließ. Nachdem er ihre Reisetaschen eingesammelt hatte, ging er schweigend mit ihnen ins Blockhaus. Er zeigte ihnen, wo sie trockene Sachen anziehen konnten und ließ sie dann auf einem Sofa neben einem wärmenden Kaminfeuer Platz nehmen. Die ganze Zeit über sprach er kein Wort und mied auch jeden Blickkontakt.
Ihr sollte das recht sein. Sie brauchte Zeit, um sich zu beruhigen. Um zu begreifen, dass Mark und sie in Sicherheit waren. Und sie musste sich zusammennehmen, wenn das so bleiben sollte.
Abel Greene war nicht glücklich. Aus gutem Grund. Er hatte sie nicht erwartet. Und erst recht nicht Mark.
Sie und Mark wussten, dass er einen Brief geschrieben hatte, in dem er die ganze Sache abblies. Dieser Brief war einen Tag vor ihrer Abreise aus L. A. angekommen. Er hatte es sich überlegt, es tat ihm leid.
Barbara hatte sich den Luxus, es sich noch einmal zu überlegen, nicht leisten können. Und es tat ihr sogar sehr leid, dass sie ihre Beziehung zu Abel Greene mit einer Lüge beginnen würde. So etwas war nicht ihre Art. Aber um ihren Bruder zu retten, war sie sich für eine Täuschung nicht zu schade. Abel Greene würde nie erfahren, dass sie seinen Brief erhalten hatte. Solange er glaubte, sie habe ihn nicht bekommen, hatte sie eine Rechtfertigung für ihren Aufenthalt hier – und hoffentlich ein gutes Argument, um ihn davon abzuhalten, sie beide zurückzuschicken.
Barbara fröstelte. Sie konnten nicht zurück. Sie hatten kein Zuhause mehr.
Die Hände fest um ihre heiße Tasse Kaffee gelegt, kuschelte sie sich in ihrem schlichten grauen Jogginganzug in die Decke, die er ihr gegeben hatte. Dann beobachtete sie ihn schweigend, überrascht darüber, wie er ohne seine kriegerische Aufmachung aussah.
Er war nicht so, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Aber auch nicht der unzivilisierte Koloss aus der Eiszeit, für den sie ihn auf den ersten Blick gehalten hatte. Während er mit seinem Schweigen und seiner Größe noch immer bedrohlich auf sie wirkte, war er doch der am aufregendsten aussehende Mann, der ihr je begegnet war.
Er trug verblichene Jeans und ein gelbbraunes Flanellhemd, die seinen beeindruckenden Körper in einer Weise umschmeichelten, die so sexy war, dass eine Frau ihn sich unwillkürlich ganz ohne diese Kleidungsstücke vorstellte, um von seinem herrlichen Körper selbst Besitz zu nehmen – falls sie den Mut dazu hatte.
Barbara konnte nur hoffen, diesen Mut zu haben – eines Tages.
Mit ihrer Größe von einssechzig war sie sich schon immer etwas zu klein vorgekommen, aber noch nie zwergenhaft. Bis jetzt, dachte sie, während sie zusah, wie er in weiche Wildleder-Mokassins schlüpfte. Sie schätzte, dass er mindestens einsneunzig groß war und, so stark und muskulös wie er war, bestimmt zweihundert Pfund wog. Ihre besondere Aufmerksamkeit wurde jedoch immer wieder, während er geschmeidig wie ein Panther im Blockhaus hin und her ging, auf sein Haar und die rassige Schönheit seines Gesichtes gelenkt.
Wie ein glatter, blauschwarzer Vorhang fiel es ihm bis auf den Rücken, nur gebändigt durch ein dunkelblaues Stirnband. Diese ungewöhnliche Haartracht unterstrich noch seine markanten, klaren Gesichtszüge, die hohen Wangenknochen und die edle, gerade Nase. Selbst wenn er sein Haar nicht lang getragen hätte, wäre offensichtlich, dass unter seinen Ahnen der eine oder andere Ureinwohner Amerikas war. Sie konnte ihn sich leicht nur mit einem Lendenschurz bekleidet vorstellen, wie er, mit einem Kriegsspeer in der Hand, auf einem gefleckten Pferd an einem kristallklaren Bergsee entlangritt.
Das über mehrere Ebenen laufende Blockhaus aus honiggelbem Holz mit der Empore und den offenen, ineinander übergehenden Räumen verriet Sinn für Schönheit. Von jedem Punkt des Hauses aus war der riesige gemauerte Kamin ein beeindruckender Blickfang. In jeder Nische, jedem Winkel waren Regale angebracht, auf denen alle nur erdenklichen Bücher standen. Auf den gewachsten Holzböden lagen gewebte Teppiche in leuchtenden Farben. Wunderschöne Drucke zeigten die Natur und Darstellungen des Lebens der Ureinwohner in längst vergangenen Zeiten, die aber nicht vergessen waren. Wenigstens nicht für diesen Mann.
Seine Gegenwart schien überall im Haus spürbar. Und während langsam die Dämmerung hereinbrach, schweifte Barbaras Blick immer wieder vom Kaminfeuer zu Abel Greene.
Der warme Bronzeton seiner Haut nahm dem markanten Gesicht die Strenge, ebenso sein weicher Mund. Dass er die Lippen im Moment fest aufeinander gepresst hatte, deutete eher auf Anspannung als auf Ärger hin. Wenn er wirklich wütend gewesen wäre, würden sie sich jetzt nicht an seinem Feuer wärmen. Dann hätte er sie weggeschickt.
Nachdem sich ihre Panik gelegt hatte und ihr unglückseliger Wutanfall verflogen war, gewann Barbara den Eindruck von einem Mann, der nicht nur sein Eigentum verteidigte, sondern auch sich selbst und seine Art zu leben.
Sie fröstelte, als er ihren Blick auffing und sie dabei ertappte, wie sie die lange, von seiner rechten Schläfe bis zu seinem Kiefer reichende Narbe betrachtete. Doch trotz ihrer Verlegenheit hielt sie seinem Blick stand.
Als er den überraschenden Blickkontakt schließlich löste, verspürte sie ein angenehmes Prickeln auf der Haut. Obwohl hier so vieles ungewiss war. Denn auch wenn sie auf sich aufpassen konnte, so war sie doch eine zierliche Frau und Mark, so verwegen er sich auch geben mochte, noch ein Junge. Sie waren allein mit einem Mann, der all seine Stärke gegen sie richten konnte. Er hatte es ansatzweise bereits getan. Allerdings hatte er sie nicht verletzt. Nicht einmal, als sie ihn provoziert hatte.
Sie hatte sich immer auf ihren Instinkt verlassen, und der sagte ihr jetzt, dass sie von diesem Mann nichts zu befürchten brauchten. Sie waren sicher bei ihm. Diesem Mann, der ihr Ehemann werden würde.
Mein Mann, dachte Barbara und fühlte ein seltsames Kribbeln im Magen.
Bestellte Bräute waren seit dem Goldrausch eigentlich aus der Mode. Dennoch war sie nun hier und drehte die Frauenbewegung damit sozusagen um hundert Jahre zurück. Nicht dass sie blindlings in dieses Abenteuer gestolpert wäre. Sie hatte durchaus Vorsicht walten lassen. Nachdem ihr klar geworden war, dass sie keine andere Wahl mehr hatte, als seine Annonce zu beantworten, hatte sie sich bei dem Bürgen erkundigt, der in der Annonce genannt war. Man hatte ihr begeistert versichert, dass Abel Greene im Grunde ein Heiliger sei. Irgendjemand hielt also große Stücke auf ihn. Das hatte ihr gereicht.
Sie hatte die Anzeige beantwortet. Die Vorstellung, dass zu einer Heirat Liebe gehörte, hatte sie ohnehin längst aufgegeben. Ebenso wie den Glauben, dass in Amerika jeder eine Chance hatte. Aber sie wollte unbedingt, dass Mark eine Chance hatte. Diese arrangierte Heirat sollte sie ihm geben.
Es hatte jedoch wenig mit einem Arrangement zu tun, dass sie sich im Moment so sehr bewusst war, dass Abel Greene ein Mann war und sie eine Frau. Mit diesem ausgesprochen … gefühlsmäßigen Eindruck hatte sie nicht gerechnet.
Während sie sich auf dem Sofa zurechtkuschelte, dachte sie daran, was der Bürge ihr alles erzählt hatte. Abel Greene wäre sein eigener Herr und würde in sicheren Verhältnissen leben. Mit seinem Optimismus hatte der Bürge nicht hinter dem Berg gehalten, mit Einzelheiten schon.
Die waren ihr mittlerweile bekannt – wenigstens, was Abel Greenes körperliche Erscheinung betraf.
Nie und nimmer hatte sie erwartet, einen derart atemberaubend attraktiven Mann anzutreffen. Und sie hatte keinen blassen Schimmer, wie sie mit so viel Sex-Appeal umgehen sollte – oder damit, selbst keinen zu haben.
Sie hielt sich für eine graue Maus. Ihr kurzes, widerspenstiges Haar war schlicht und einfach braun, weder kastanienbraun noch dunkelbraun. Und sie war so klein, dass ihr schlaksiger fünfzehnjähriger Bruder sie um gut einen Kopf überragte. Aber immerhin war sie so schlank, dass sie seine Jeans tragen konnte, wenn sie die Hosenbeine aufkrempelte.
Auch ihr Busen war nichts Besonderes, sie trug Cup B. Mit Ausnahme ihrer grünen Augen, die die Leute ungewöhnlich fanden, fand sie sich farblos und unscheinbar, verglichen mit der malerischen, interessanten Erscheinung Abel Greenes.
Aber sie ließ sich davon nicht entmutigen. Indem er die Anzeige geschaltet hatte, war er ein Risiko eingegangen, ebenso wie sie, als sie darauf geantwortet hatte. Auch wenn Mark eine eher böse Überraschung für ihn sein dürfte, würde sie zusehen, dass er die Abmachung einhielt. Ihr blieb keine andere Wahl.
Wie zu erwarten, war Mark nach wie vor schlecht gelaunt, während er in der anderen Sofaecke saß und an seinem Radiorecorder herumfummelte. Der Apparat war beschädigt worden, als er ihn nach dem Wolf geworfen hatte.
Der Wolf. Barbara umklammerte ihren Kaffeebecher fester und sah unbehaglich zum Kamin hinüber, vor dem sich der Wolf auf einem Flickenteppich zusammengerollt hatte.
„Sie leben also mit einem Wolf unter einem Dach“, stieß sie hervor, nicht fähig zu verbergen, wie befremdlich sie das fand.
Greene reichte ihr eine zweite Decke und legte dann noch Holz ins Feuer. „Nashata ist nur ein halber Wolf.“
„Nur ein halber Wolf, aha. Heißt das, dass er mir nur das halbe Bein abbeißen wird, sobald er keine Lust mehr hat, am Kamin zu liegen?“
Manche Frauen weinten, wenn sie nervös waren. Andere sagten kein Wort, sie dagegen wurde leider vorlaut. Das war eine Art Abwehrmechanismus. Auch jetzt konnte sie sich nicht bremsen. Sie war einfach zu müde. Ihre tauben Finger und Zehen brannten, während sie langsam wieder warm wurden. Und sie war hungrig, denn zuletzt hatte sie heute Morgen um halb acht etwas gegessen.
„Wie bitte?“ Offenbar hatte sie eine Bemerkung, die er gemacht hatte, überhört.
„Sie“, wiederholte er, und auf ihr verständnisloses Stirnrunzeln hin ergänzte er: „Nashata … sie ist ein Weibchen.“
„Aha. Das ist natürlich etwas anderes. Vielleicht kann ich ja von Frau zu Frau mit ihr reden, damit sie heute Abend ihr Hundefutter frisst statt Mark und mich.“
Greenes unglaublich breite Brust hob und senkte sich, als er müde durchatmete. „Sie brauchen keine Angst vor Nashata zu haben.“
„Ach nein?“, entfuhr es ihr, und sie bedauerte ihre Gereiztheit sofort. Sie zog die Decken fester um sich. „Meiner Erfahrung nach lassen verhaltenes Knurren und gefletschte Zähne eigentlich nicht auf ein nettes Hündchen schließen.“ Genau wie deine finsteren Blicke nicht gerade ein Happy End verheißen, dachte sie bedrückt. Sie hütete sich allerdings, das auszusprechen, weil durchaus die Möglichkeit bestand, dass er sie daraufhin aufforderte zu gehen. So beunruhigend die Vorstellung war, diesen mürrischen, gut aussehenden Mann tatsächlich zu heiraten, noch beängstigender war, dass er sie beide wegschickte.
Abel Greene blickte sie unverwandt an, doch sein Ärger schien inzwischen tiefer Nachdenklichkeit gewichen zu sein. „Sie hat nur ihr Zuhause verteidigt. Da sie nun weiß, dass ich Sie beide akzeptiert habe, hat sie das auch.“
Neugierig schaute Barbara zu der Wolfshündin hinüber, als die erstaunlich menschlich aufseufzte und sich dann auf dem Flickenteppich ausstreckte. Sie musste zugeben, dass die Wolfshündin, so faul und entspannt wie sie vor dem Kaminfeuer lag, wirklich harmlos aussah. Viel überwältigender als diese Erkenntnis war jedoch, dass Greene gesagt hatte, er habe sie akzeptiert. Genau das war es, was sie wollte.
Sie bedachte ihn mit einem versöhnlichen Lächeln. „Wenn ich ehrlich bin, scheint sie mir auch etwas zu wohlgenährt, um derart zähe Brocken wie Mark und mich verspeisen zu wollen.“ Sie hoffte gar nicht erst, dass er ihr Lächeln erwiderte. Das wäre natürlich zu viel verlangt gewesen.
„Sie wird in zwei Tagen werfen“, erklärte er knapp.
„Werfen? Sie meinen … sie bekommt Junge?“
Er nickte und kniete sich dann neben Nashata, um sie zu streicheln.
Kein Wunder, dass er so wütend auf Mark und sie gewesen war. Immerhin hatten sie Reisetaschen und einen Radiorecorder nach seiner trächtigen Hündin geworfen.
Besorgt spähte sie über seine Schulter. „Ist sie in Ordnung?“
„Ich hab seinen verdammten Hund nicht verletzt“, maulte Mark. Bisher hatte Mark sie alle beleidigt ignoriert. Jetzt warf er einen verdrießlichen Blick auf den Hund, ehe er seine Wut an Greene ausließ. „Dieser Köter ist schuld daran, dass mein Radio im Eimer ist.“
„Mark“, ermahnte Barbara ihn, obwohl sie wusste, dass er nur vorgab, den Hund nicht leiden zu können. Denn eigentlich war Mark sehr tierlieb.
„Lass diesen Ton!“, schrie er sie an. „Lass mich einfach in Ruhe!“ Er sprang auf und lief zum Fenster hinüber. Doch ihr cooler kleiner Bruder hatte sich nicht schnell genug abgewandt. Barbara sah, dass ihm Tränen in die Augen geschossen waren, und sie fühlte mit ihm, auch wenn er im Moment eine Szene machte.
„Ich hasse das alles hier!“, brauste er auf. „Warum hast du mich hierher geschleppt? Hier ist das absolute Ende der Welt! Du reißt mich von allem weg, was ich kenne, und bringst mich zu … zu wem?“ Er wirbelte herum und starrte Abel Greene böse an, dann auf Nashata. „Zu Mad Max und einem dicken Wolf!“ Mark stieß einen derben Fluch aus. „Das Radio war meine einzige Verbindung zur Zivilisation, und jetzt hab ich nicht mal mehr die!“
Er riss seine Jacke vom Garderobenständer neben der Tür, schlüpfte in seine Armeestiefel und lief in den Schneesturm hinaus.
Abel starrte noch immer auf die Tür, als der Junge schon eine Weile weg war. Widerstrebend sah er dann zu Barbara Kincaid auf dem Sofa hinüber. Der Ausbruch des Jungen hatte sie sichtlich verletzt.
Aber das war nicht sein Problem. Jedenfalls wollte er es auf keinen Fall zu seinem machen. Er wollte nicht bemerken, dass die Frau, die mutig genug gewesen war, um sich ihren Weg durch einen Schneesturm zu bahnen und ihn mit einem gezielten Kinnhaken matt zu setzen, nach dem Verschwinden des Jungen nun ganz geknickt dasaß.
Er rieb sich sein Kinn, das noch immer vom Hieb ihrer kleinen Faust schmerzte. Und er haderte noch immer mit sich, dass er sich, und die beiden, in diese Lage gebracht hatte.
Er verteufelte seinen Freund J. D. Hazzard mit seiner Schnapsidee. Und dann die Post, weil die seinen Brief, mit dem er alles hatte abblasen wollen, offenbar nicht rechtzeitig zugestellt hatte. Doch schließlich hatte er ganz allein Schuld. Auch wenn J. D. ihm die Sache eingeredet und der Whiskey, dem sie in jener Schicksalsnacht zugesprochen hatten, ein Übriges getan hatte, so war er es ganz alleine, der einer Schwäche nachgegeben hatte. Und nun musste er sich mit dem Resultat befassen.
Die beiden konnten natürlich nicht bleiben. Aber gehen konnten sie auch nicht. Jedenfalls nicht heute Nacht. Nicht bei diesem Schneesturm. Doch gleich morgen früh würde er es ihr sagen. Es tat ihm zwar leid, dass sie die weite Reise gemacht hatte, aber er konnte ja nichts dafür, dass sie seinen Brief nicht bekommen hatte. Wie auch immer, er würde sie die dreißig Meilen nach Bordertown fahren und in den ersten Bus zurück nach L. A. setzen.
Eine unbehagliche Stille hatte sich im Blockhaus ausgebreitet. Eigentlich hatte er Barbara Kincaid ignorieren wollen, doch da stand sie plötzlich auf, um dem Jungen nachzugehen.
„Er wird sich schon beruhigen“, sagte er, als sich ihre Blicke kreuzten. Ihre Augen waren so strahlend grün wie der Wald im Frühling, und doch lag ein Ausdruck in ihnen wie hundert kalte Winter.
„Er kann dort draußen erfrieren.“ Ihre Stimme klang besorgt und müde, genau wie es ihr Blick war. Sie war zu jung für einen so abgeklärten Augenausdruck. Und sie war zu erschöpft, um ihre Verletzlichkeit erfolgreich mit einem losen Mundwerk zu verbergen.
„Er wird lange zurück sein, ehe es dazu kommen könnte.“
„Er könnte sich verirren.“
„Auch dazu ist er viel zu clever. Er wird sich schon fangen“, wiederholte er mit einer Freundlichkeit, die ihn selbst erstaunte. „Bei der Kälte draußen wird es nicht lange dauern, bis er sich wieder einkriegt.“
Müde lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Auch die größte Kälte wird nicht reichen, um Marks ganze angestaute Wut abzukühlen.“
„Warum, zum Teufel, haben Sie ihn dann hierher gebracht?“ Die Frage war ihm entschlüpft, ehe er sich hätte bremsen können. Dabei wollte er doch gar nicht wissen, warum sie hergekommen waren. Er wollte nichts über Barbara Kincaid wissen – bis sie den Kopf hob und er erneut in diese grünen Augen blickte.
„Vielleicht aus den gleichen Gründen, weswegen Sie die Anzeige geschaltet haben.“
Ihre Menschenkenntnis war alarmierend. Er hatte vermutet, dass sie aus Verzweiflung hergekommen war. Jetzt gab sie ihm zu verstehen, dass sie wusste, dass er selbst aus Verzweiflung annonciert hatte. Es behagte ihm gar nicht, dass jemand ihn so leicht durchschaute. Und noch weniger behagte ihm, dass er ihre Motive verstand.
Sie lief vor irgendetwas davon, da war er sich sicher. Er wollte aber lieber nicht wissen, wovor. Das würde ihm helfen, Distanz zu wahren. Und Distanz war das einzig Vernünftige, was zwischen ihnen existieren konnte.
Als sie sich am Sofa festhielt, weil sie plötzlich schwankte, merkte er, dass er vor lauter Panik, sie nicht an sich heranzulassen, das Nächstliegende vergessen hatte.
„Setzen Sie sich hin“, befahl er barsch. „Sie brauchen dringend etwas zu essen.“ Und er brauchte mehr Abstand. Und Zeit, um zu überlegen, was er mit ihr machen sollte.
Missmutig runzelte er die Stirn. Eben noch hatte er genau gewusst, was er machen würde. Nämlich, sie nach L. A. zurückschicken. Aber das war, ehe er ihr tief in die Augen gesehen und einen Blick in ihre Seele erhascht hatte, die nur allzu sehr seiner eigenen ähnelte.
Erneute verwünschte er J. D. Hazzard. Seit seiner Hochzeit mit Maggie Adams hatte J. D. beständig versucht, auch ihm zu einer Frau zu verhelfen. Immer wenn J. D. aus Minneapolis anrief, wo er und Maggie zeitweise lebten, weil er dort ein Luftfrachtkontor betrieb und Maggie ein Fotostudio, lag er ihm in den Ohren, er solle sich endlich eine Frau suchen.
„Maggie zu heiraten, war die beste Idee meines Lebens“, versicherte J. D. ihm jedes Mal, wenn er mit Maggie an den See zurückkehrte, und die verliebten Blicke, die er ihr zuwarf, sprachen Bände.
Umgekehrt war die Ehe mit J. D. auch das Beste für Maggie. Denn als er, Abel, sie im letzten Frühjahr zufällig vor ihrer kleinen Hütte in der Nachbarbucht getroffen hatte, hatte sie ihn an ein verschrecktes Reh erinnert. Doch dann war J. D. mit seinem Wasserflugzeug buchstäblich vom Himmel gefallen und hatte Maggies Leben wieder ins Lot gebracht.
Maggie gehörte zu den wenigen Menschen am See, die Abel als Freund betrachtete. J. D. neuerdings auch, nachdem sie vergangenes Jahr gemeinsam gegen eine Bande von Wilddieben vorgegangen waren.
Aber Freundschaft hin oder her, wenn J. D. Hazzard im Moment hier gewesen wäre, hätte er ihm liebend gern eine verpasst, weil er ihn in so eine verrückte Situation gebracht hatte.
Er hatte einer Frau wenig zu geben, und einer Frau wie ihr gar nichts. Nichts Gutes jedenfalls. Keine Frau – nicht einmal eine, die dumm genug war, auf seine Annonce zu antworten – verdiente den Kummer, den eine Verbindung mit ihm mit sich bringen würde.
Barbara Kincaid mochte ja mutig sein. Doch trotz der Lebensweisheit, die aus ihrem Blick sprach, war er sicher, dass sie ziemlich unerfahren war. Er würde sie nicht – so verlockend das auch war – zu sich herunterziehen. Und er konnte das Problem nicht lösen, vor dem sie offenbar zu ihm geflüchtet war.
Er brachte ihr einen Teller Eintopf. Sie bedankte sich, aß jedoch nur zögernd, während sie immer wieder besorgt Richtung Tür blickte.
Der Junge musste ihr Bruder sein. Denn sie hatten nicht nur die gleichen ungewöhnlich grünen Augen und das gleiche zimtbraune Haar, auch ihre Gesichtszüge wiesen Ähnlichkeiten auf.
Ohne es eigentlich zu wollen, betrachtete er sie näher. Sie war nicht nur zierlich gebaut, auch ihre Gesichtszüge hatten etwas Zartes, Elfenhaftes. Insgesamt erinnerte sie ihn an einen kleinen Vogel.
Dass er ihre Augen und ihre von der Winterkälte rosigen Wangen immer faszinierender fand, irritierte Abel. Und trotz seiner Entschlossenheit, Barbara am nächsten Morgen wieder nach Hause zu schicken, konnte er nicht verhindern, dass er den Blick immer wieder wohlwollend über die weichen Kurven unter ihrem Jogginganzug gleiten ließ.
Er war sich ihrer Gegenwart immer stärker bewusst. Seit sie in seinem Blockhaus war, hatte sich dessen Atmosphäre seltsam verändert. Dunkle, leere Ecken erschienen auf einmal licht und geräumig. Harte Kanten wirkten irgendwie weicher. Du hast sie nicht alle, sagte er sich, wenn du solche Gedanken zulässt.
„Wenn er in zehn Minuten nicht zurück ist, werde ich ihn suchen“, erklärte er, um das Schweigen zu brechen und auch, um sich abzulenken.
Das schien sie zufrieden zu stellen.
Barbara Kincaid war eingeschlafen, als ihr Bruder kurz darauf zurückkam. Der Geruch von Pferden und Heu, der mit ihm durch die Hintertür ins Haus kam, sagte Abel, dass Mark den Stall gefunden hatte. Die sanfte Art der beiden schwarzen belgischen Stuten und die kalte Winternacht hatten den Jungen offenbar beruhigt. Er war genauso müde wie seine Schwester.
Abel weckte sie nicht. Schweigend gab er dem Jungen etwas zu essen, zeigte ihm das Bad und schickte ihn dann mit Schlafsack und Kissen auf die Empore hinauf.
Kaum war Mark oben in seinen Schlafsack gekrochen, da war er auch schon eingeschlafen.
Für Abel jedoch war an Schlaf noch lange nicht zu denken. Er saß gegenüber vom Sofa in einem Sessel, hatte das Kinn in die Hand gestützt und betrachtete Barbara Kincaid.
Sie bewegte sich im Schlaf. Und sein Verlangen erwachte, als ihr verführerischer Duft ihn daran erinnerte, was in seinem Leben fehlte.
Es war lange her, seit er mit einer Frau zusammen gewesen war. Aber die heiße Sehnsucht, die sich tief in ihm ausbreitete, war viel zu stark, als dass diese Erklärung ausgereicht hätte.
Früher hatte er viele, weitaus attraktivere Frauen gekannt. Barbara war auch ein weibliches Wesen, aber so klein, wie sie war, mit ihrem zerzausten braunen Haar, den lebhaften grünen Augen und ihrer knabenhaften Figur hatte sie doch eher etwas von einem hübschen bunten Vögelchen.
Nein, eine Sirene war sie nicht. Und trotzdem atemberaubend und herausfordernd. Und unerfahren, rief Abel sich ins Gedächtnis.
Es war Zeit für ihn, ins Bett zu gehen. Doch er blieb bis spät in die Nacht sitzen und betrachtete die schlafende Barbara.
„Crimson Falls an Greene’s Point. Greene’s Point bitte kommen. He, Abel, hier ist Casey. Wie geht es denn unserem Hundemädchen? Ist sie schon Mama geworden? Over.“
Atmosphärisches Knistern und Rauschen und eine gedämpfte weibliche Stimme weckten Barbara auf.
Sie zog sich die Decke über den Kopf und wollte die Störung einfach ignorieren.
„Komm schon, Abel. Antworte. Mom sorgt sich, wie du den Schneesturm überstehst, ich sorge mich um Nashata. Over.“
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