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Jedes Jahr reisen tausende Deutsche nach Mallorca um Ballermann-Partys zu feiern. Gerne wird dies auf die Formel: Sonne, Suff und Sex gebracht. Dieses spannende Buch zeigt aber, dass Ballermann mehr ist als ein banales Besäufnis. Es ist ein einzigartiges soziales Phänomen, das spannenderweise gleichermaßen eine Marke ist, unter deren Dach sich Menschen zu Party-Gemeinschaften versammeln um außeralltägliche Erlebnisse zu genießen. Mit einem detailverliebten Blick schafft es Sacha Szabo auch in diesem Buch eine unterhaltsame und leicht lesbare wissenschaftliche Analyse vorzulegen, die zeigt, dass Wissenschaft auch ein Genussmittel sein kann. Sozusagen im Vorbeigehen an der Festgemeinschaft wird dabei eine Festtheorie entwickelt, die die Struktur und die Elemente fast jedes Festes aufzuzeigen vermag und so die Formel für gelungene Events entschlüsselt.
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Seitenzahl: 155
Sacha Szabo
Ballermann. Das Buch. Eine wissenschaftliche Analyse eines außeralltäglichen Erlebnisses
Studien zur Unterhaltungswissenschaft, Bd. 5
© Tectum Verlag Marburg, 2011
ISSN 1867-7622
ISBN 978-3-8288-5620-2
Bildnachweis Cover: A. Engelhardt-Markenkonzepte GmbH
Lektorat: Christiane Waldmann
„Ballermann“, „Ballermann 6“, „Ballermann 6 Balneario“ sind eingetragene Marken in Verwertung und Generallizenz der A. Engelhardt Markenkonzepte GmbH, Großkarolinenfeld.
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-2791-2 im Tectum Verlag erschienen.)
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
1) Erlebnistourismus am Strand von Palma de Mallorca
1.1) Die Putzfraueninsel Mallorca - Vom Tourismus zum Massentourismus
1.2) Tourismuskritik
1.3) Von der Bierstraße zur Schinkenstraße
1.3.1) „Balneario 6“ („Ballermann 6“)
1.3.2) „Köpi“ und „Don Antonio“
1.3.3) „Das Deutsche Eck“
1.3.4) „Et Dömsche“ (ehem. „Almrausch“)
1.3.5) „Bamboleo“
1.3.6) „Bierkönig“
1.3.7) „Oberbayern
1.3.8) „Paradies“
1.3.9) „Riu Palace“
1.3.10) „Megapark“
2.1) Das Massenvergnügen „Ballermann“
2.1.1) Das „Partysubjekt“
2.2) Der Party-Tempel: „Megapark“
2.3) Was ist eigentlich eine „Party“?
2.4) Was ist eigentlich ein „Fest“?
2.5) Was ist eigentlich eine „Feier“?
2.6) Was ist eigentlich ein „Spiel“?
2.7) Was ist eigentlich ein „Ritual“?
2.8) Zusammenfassung: „Feste feiern“
3.1) Der Ballermann als Spiel
3.2) Der Ballermann als Ritual
3.3) Der Ballermann als Fest
3.4) Der Ballermann als Feier
3.5) Zusammenfassung: Der Ballermann als gemeinschaftskonstituierendes Fest
4.1) Die Vision der Marke „Ballermann“
4.1.1) Vision
4.1.2) Leitbild
4.1.3) Leitsätze und Motto
4.2) Corporate Behaviour
4.3) Corporate Communication
4.4) Corporate Design.
4.5) Zusammenfassung: Die Marke Ballermann inszeniert Gemeinschaft als Erlebnis
a) Bücher/ Zeitschriftenartikel
b) Onlinepublikationen und -medien
c) Zeitschriften
d) Musik
e) Filme
Anlage 1: Pressemitteilung 21.11.2008
Anlage 2: Homepage (www.ballermann.de) [Stand 02.10.2011]
Anlage 3: Pressemitteilung 20.09.2009
Anlage 4: Schriftlicher Fragenkatalog
Anlage 5: Produkte der Markenfamilie: „Ballermann Kurztrips“
„Buenos Dias Matthias, Mer sind wieeder do, Am Strand von Mallorca wie jedes Johr. Met alle mann, am Ballermann.“1
Dieses Lied der Gruppe Paveier, spiegelt vielleicht den Mythos des ,Ballermanns am besten wieder. Allerdings ist der „Ballermann“ heutzutage ein massenmediales Event geworden und schon taucht die Frage auf, was ist denn Ballermann überhaupt? Ein Lokal? Ein Ort? Ein Geschehen? Sicherlich haben viele ein Bild des ,Ballermanns im Kopf, bei dem es sich – wie es etwa auch die Einführung „Mallorca von A-Z“ in dem Band „Ballermann - Die Ausstellung“– suggeriert um banale Besäufnisse handelt.
„Alkohol: Wer an Mallorca denkt, hat unverzüglich ein bestimmtes Bild im Kopf. Horden von laut grölenden Menschen, die um einen Eimer mit roter Flüssigkeit hokken, aus dem meterlange Strohhalme ragen“2
Doch wir werden zeigen, dass es sich keinesweges um banale Besäufnisse handelt, vielmehr zeigt sich im Phänomen Ballermann, ein tiefes Bedürfnis des modernen Menschen nach Vergemeinschaftung. Um aber diese These zu begründen, müssen wir tief in die Kulturgeschichte des Menschen zurückgreifen. Doch keine Angst, hier handelt es sich um eine unterhaltungswissenschaftliche Arbeit, die immer auch den Anspruch erhebt unterhaltend zu sein, so dass für den Leser Wissenschaft zum Genussmittel wird.
Kultur scheint etwas zu sein, das dem Menschen zutiefst eigen ist. Kultur ordnet und strukturiert, Kultur lässt Sinn entstehen und ermöglicht damit dem Menschen eine Orientierung in einer unüberschaubaren Umwelt.3 Gleichzeitig normt Kultur und grenzt die Freiheit des Menschen ein. Es entsteht die Ambivalenz von Freiheit – Sicherheit. So konstatiert Sigmund Freud, dass Triebsublimierung Grundlage der kulturellen Höherentwicklung des Menschen sei.4 Aber gleichzeitig drängt es den Menschen danach, aus diesen kulturellen Fesseln auszubrechen, eine Unmittelbarkeit des Lebens vor der Zivilisierung5 zu erleben. Dieser Chiasmus zeichnet Kultur aus. Gerade das Verlangen nach Unmittelbarkeit wird jedoch in vielen kulturellen Ausdrucksformen ins Symbolische sublimiert und auf diese Weise zivilisiert. Manche Orte jedoch lassen dieses Archaische noch zu, es sind Orte des Außeralltäglichen, die sich durch andere Normen als die der Normalität auszeichnen und es so dem Individuum erlauben, sich eine Auszeit vom Alltag zu nehmen. Ein aktuelles Epizentrum dieser Kultur des Unmittelbaren bildete sich am Strand vom Mallorca: der Ballermann.
Die vorliegende Arbeit skizziert das Phänomen Ballermann, arbeitet dessen innere Struktur heraus und zeigt, wie sich diese als Marke vom Ursprungsort zu lösen vermag und nun als Synonym für eine bestimmte Form des Erlebnisurlaubs gilt. Dabei ist dieses Synonym verhältnismäßig jung und wurde maßgeblich durch die Markenpolitik der Firma „A. Engelhardt-Markenkonzepte GmbH“, dem Markeninhaber, geprägt. Dies mag verwundern, wo doch der Begriff „Ballermann“ heutzutage fast selbstverständlich in den Sprachgebrauch eingesickert ist. Aber noch 1987 finden wir in einer Schilderung im „Merian“ über die Partyszene unter dem Titel: „Sonne, Sex und Suff. Wie Deutsche am Strand von S’Arenal Ferien machen“6 keinen einzigen Hinweis auf den Begriff „Ballermann“.7 Erst Mitte der neunziger Jahre durch die Aktivitäten der Firma „A. Engelhardt-Markenkonzepte GmbH“ und begünstigt durch den Film mit Tom Gerhardt „Ballermann 6“8 , eine der erfolgreichsten deutschen Komödien, etablierte sich dieser Begriff. Wir sehen also, Ballermann bezeichnet ein soziales Phänomen und eine Marke. So fasst Becker zusammen:
„Mit dem Sonnen- und Strandtourismus als einer der prägendsten Reiseformen des 20. Jahrhunderts hat sich auch eine (Ferien-) Unterhaltungskultur entwickelt. […] Unterhaltung wird zu einem Ausnahmezustand: man kann sich gehen lassen und aus seiner gewohnten Rolle ausbrechen. Den Wirbel, den der ‚Ballermann’ auslöste, hat sich André Engelhardt zu Nutze gemacht […] Alles, was den Namen trägt, muss von ihm lizenziert werden. […] ‚Ballermann’ ist aber mehr als eine juristische Marke. Das Phänomen hat sich verselbstständigt. […] so findet mittlerweile eine ‚Ballermanisierung’ im deutschen Sprachgebrauch statt. Ballermann ist überall“9
Marke und soziales Phänomen stehen in einem speziellen Wechselverhältnis zueinander, wie in der folgenden Arbeit gezeigt wird. Auf ein bestimmtes Bedürfnis, auf eine bestimmte Erlebnisnachfrage reagiert der Erlebnismarkt mit einem entsprechenden Erlebnisangebot.
Wenn wir von Erlebnis, etwa dem Erlebnisurlaub sprechen, haben wir dabei die Arbeiten von Gerhard Schulze im Sinn und greifen dessen Diagnose unserer westlichen Gesellschaft als Erlebnisgesellschaft auf.10 Es wird sich zeigen, dass der Ballermann einer dieser Ort ist, an dem sich unsere Gesellschaft als Erlebnisgesellschaft ihrer selbst versichert. Genau dies erklärt auch die große mediale Resonanz, die der Ballermann Jahr für Jahr erzeugt. Dabei werden wir in drei Schritten vorgehen. In einem ersten Schritt ordnen wir den Ballermann als erlebnistouristisches Urlaubsziel ein. In einem zweiten Schritt werden wir zeigen, aus welchen Elementen sich die Erlebnisnachfrage in Bezug auf das Phänomen Ballermann zusammensetzt und in einem dritten Schritt erläutern wir, dass die Marke Ballermann auf ganz unterschiedliche Produkte und Dienstleistungen anwendbar ist und damit ein zur Nachfrage entsprechendes Erlebnisangebot bereitstellt.11
Das Vorgehen, das für das vorliegende Vorhaben gewählt wurde, orientiert sich an einer soziologischen Variante der Ethnographie.12 Bei diesem Vorgehen wird ein fremder Blick auf das Vertraute eingenommen und die eigene vertraute Kultur als unbekannte wahrgenommen.
„Soziologie als (eine Art) Ethnologie der eigenen Gesellschaft fungiert im ‚Pluriversum‘ der Übergänge zu einer anderen Moderne als professionelles Grenzgängertum zwischen mannigfaltigen eigensinnigen Welten: Sie impliziert die Aufgabe, zu rekonstruieren (und zu übersetzen), wie Menschen im Zusammenleben mit anderen ihre jeweilige Welt konstruieren. Um dazu die je geeigneten Instrumentarien aus dem allgemeinen begrifflichen, theoretischen und methodischen Arsenal der Soziologie nutzen zu können, müssen sich die Forscher möglichst vertraut machen mit all dem, was in der je von ihnen untersuchten Welt (wie auch immer) als relevant erscheint.“13
Um diese Kultur zu verstehen, ist es in einem Schritt wichtig, sich in diese Kultur zu begeben, hier wurde die teilnehmende Beobachtung als Feldforschung zur Datenerhebung gewählt. Insgesamt wurden vier Reisen an den Ballermann unternommen. Dabei wurden auch verschiedene Dokumente gesichert, (Fotos, Lieder, Souvenirs) sofern sie für das Verständnis dieses Phänomens notwendig sind. Auch wurden spontane Kurzinterviews geführt, wobei diese nur mittels der qualitativen Interviewführung aussagekräftig wären. Da diese im vorliegenden Fall nicht gewählt wurde, wurden sie nur am Rande berücksichtigt. Gewichtiger gerade für den letzten Teil der Arbeit ist das Experteninterview, das mit André Engelhardt geführt wurde.14
Die vorliegende Arbeit entstand aus einem Forschungsvorhaben, das der Autor seit über zehn Jahren verfolgt und dabei Phänomene untersucht, die einen Blick in die Entstehung von Unterhaltungskultur zulassen.So entstand eine umfangreiche Untersuchung über die Kultur von außeralltäglichen Orten wie Kirmes und Jahrmarkt, aus der mehrere Publikationen hervorgegangen sind. Aus diesen Untersuchungen ergab sich auch die Frage, wie denn solche Orte des Alltäglichen entstehen. Und genau dort bildet das Partyphänomen am Strand von S’Arenal einen idealen Untersuchungsgegenstand, da es eben genau nicht auf eine jahrhundertealte Tradition verweisen kann, sondern sich erst in den achtziger Jahren als „Urszene“ etablierte. Mehrere Vorarbeiten wurden in diesem Feld schon geleistet, so wurde an der Albert-Ludwigs Universität ein Workshop zum „Ballermann“ vom Autor ausgerichtet und in einem weiteren Seminar zur Markentechnik wurden die Grundzüge einer kultursoziologischen Markentheorie entwickelt.
Wirft man einen Blick auf die bisher geleisteten wissenschaftlichen Arbeiten zum Ballermann, so behandeln nur zwei Arbeiten diesen dezidiert. Dies ist Alexander Kallasch’ “Urlaub am Ballermann. Eine Beobachtungsstudie an der Playa de Palma, Mallorcas Badestrand Nr. 1“15 und „¡Viva España! Von der Alhambra bis zum Ballermann. Deutsche Reisen nach Spanien“16 von Anne-Katrin Becker und Margarete Meggle-Freund (Hg.) und dort besonders der Aufsatz von Anne-Kathrin Becker. Auch wurden für die Arbeit alle bislang erschienenen Hefte der Zeitschrift „Merian“ mit dem Themenschwerpunkt Mallorca hinzugezogen,17 wobei anzumerken ist, dass deren Gewinn eher gering in Bezug auf den Ballermann ist (jeweils nur ein Artikel in den Jahrgängen 1987, 1994 und 2003). Eine konkrete Untersuchung des Tourismus auf Mallorca wurden 2005 von Petra Schürgers18 und 2009 von Helmut Wachowiak19 vorgelegt. Allgemeine Thematisierungen des Tourismus gibt es hingegen unzählige, natürlich auch mit dem Thema Spanien. Für die vorliegende Untersuchung werden hier vor allem die Arbeiten von Horst W. Opaschowski herangezogen. Zur Deutung des Phänomens wird hauptsächlich auf die Arbeiten zu Festen und Feiern von Winfried Gebhardt und Roger Caillois zurückgegriffen sowie auf deren Referenzautoren. Ausgangspunkt der Analyse bildet Gerhard Schulzes Publikation zur „Erlebnisgesellschaft“, mittels derer das soziale Phänomen und die Markentechnik miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Die Analyse der Markenführung baut hier auf das Kompendium von Kiessling/Babel auf. Die Spannweite des Themas ist bedingt dadurch, dass einige Bereiche, wie etwa die Tourismusforschung nur in Ansätzen dargestellt werden können und auch nur soweit berücksichtigt werden, wie sie für das konkrete Forschungsprojekt von Belang sind. Gleiches gilt für den Bereich des Marketings, hier wurde ganz bewusst ein einzelnes Werk herausgegriffen, das zugleich Überblick- wie Praxisbuch ist, da es nicht intendiert ist, ein innovatives Marketingkonzept zu entwerfen, sondern die Wechselbeziehung von sozialem Phänomen und Marke zu beschreiben.
1 Paveier: „Buenos Dias Matthias“, Text aus Magistrix (http://www.magistrix.de/lyrics/Paveier/Buenos-Dias-Matthias-154015.html) [Stand der Abfrage: 02.10.2011]
2 Luckow, Dirk: „Ballermann. Die Ausstellung“, Düsseldorf, 2006, S. 2.
3 Sinn ist hier als semantischer Begriff gemeint. Dazu Bsp.: Luhmann, Niklas: „Soziale Systeme“, Frankfurt a. M., 1987, S. 95f
4 Siehe: Freud, Sigmund: „Das Unbehagen in der Kultur“, Frankfurt a. M., 1997, S. 63.
5 Zivilisierung wird hier in der Verwendung von Norbert Elias als Form der Affektkontrolle verwendet. Elias, Norbert: „Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band. Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes“, Frankfurt a. M., 1997, S. 66-68.
6 Rehländer, Jens: „Sonne, Sex und Suff. Wie Deutsche am Strand von S’Arenal Ferien machen“, in: Merian 2/40, 1987, S. 54-61.
7 Wir brauchen uns daher gar nicht zu bemühen, im Polyglott Reiseführer von 1969 einen Hinweis zu suchen. Dort wird S’Arenal in gerade 6 Zeilen mit den Worten beschrieben: „El Arenal (400 Einw.), 14 km, ist der beliebteste Badeort an der Ostseite der Bucht von Palma. Zahlreiche Zerstreuungen werden geboten […]. Aus: Polyglott Reiseführer: „Mallorca, Ibiza, Menorca“, München, 1969, S. 44.
8 Gorris, Lothar: „Prollrecht auf Promille. Sprachlose Filmkritiker, grölende Zuschauer und derber Partyspaß im Kinosaal: Der Millionen-Erfolg der Mallorca-Komödie „Ballermann 6“ verblüfft brave Bürger und Intellektuelle“, in: Der Spiegel, 45/1997, Hamburg, 1997. Siehe auch: Der Spiegel: „Rückkehr der Vandalen“, Spiegel 31/1999, Hamburg, 1999, S. 123 daraus: „Die Mallorquiner empfanden den Film als das, was er wohl auch war: als Aufforderung an den D-Mark-Pöbel, ihre Insel zu besuchen, weil er da folgenlos die Zivilisation außer Kraft setzen konnte. Das ließen sie sich nicht gefallen. Aus gegebenem Anlass ergriff der Inselrat energische Maßnahmen gegen die Banalisierung der mallorquinischen Sommerfrische, und Bild musste vermelden: Ballermann hat Ruh. Seitdem ist es verboten, nackt auf den Tischen zu tanzen, mit Schaschlik zu schmeißen und nach Mitternacht zum Stechschritt „Eviva Espana“ zu singen. Der besseren Optik wegen wird das klebrige rote Kultgetränk Sangria neuerdings auch nicht mehr in Fünf- oder Zehn-Liter-Plastikeimern serviert, sondern in armlangen Gläsern mit Schmuckzitrone.“
9 Becker, Anne-Kathrin: „Phänomen Ballermann“ in: Becker, Anne-Katrin/Meggle-Freund, Margarete (Hg.): „¡Viva España! Von der Alhambra bis zum Ballermann. Deutsche Reisen nach Spanien.“ [Ausstellung des Badischen Landesmuseums im Museum beim Markt vom 26.Mai bis zum 28. Oktober 2007] Karlsruhe, 2007, S. 177.
10 Als Einführung in Gerhard Schulzes Werk sei an dieser Stelle auf folgenden Aufsatz verwiesen: Volkmann, Ute: „Das Projekt des schönen Lebens – Gerhard Schulzes ‚Erlebnisgesellschaft’“, in: Schimank, Uwe/Volkmann, Ute (Hg.): „Soziologische Gegenwartsdiagnosen I. Eine Bestandsaufnahme“, Opladen, 2000, S. 75-89.
11 Als weitere Produkte, die den Ballermann thematisieren, seien beispielhaft genannt: Mehrwald, Jörg: „Keiner verlässt die Theke. Roman einer unglaublichen Dienstreise nach El Arenal“, Frankfurt, 1997 oder Jessica, Ed: „In Bestform zum Ballermann. Titten, Tresen, Alimente“, Frankfurt a. M., 1998.
12 Für eine differenziertere Beschäftigung mit der Ethnographie sei hier verwiesen auf: Atkinson, Paul et al (Hg): „Handbook of Ethnography“, London, 2007.
13 Hitzler, Ronald: „Welten erkunden. Soziologie als (eine Art) Ethnologie der eigenen Gesellschaft“, in: „Qualitative Forschung“ (http://www.qualitative-forschung.de/fqs-supplement/members/Hitzler/hitzler-sw-d.html) [Stand der Abfrage: 02.10.2011].
14 An dieser Stelle sei Frau Birgit Voigt gedankt, die die Transkription des 90-minütigen Interviews übernahm, ohne die diese Arbeit nicht im vorgesehenen Zeitrahmen hätte fertig gestellt werden können.
15 Kallasch, Alexander: „Urlaub am Ballermann. Eine Beobachtungsstudie an der Playa de Palma, Mallorcas Badestrand Nr. 1“ Eichstätter Arbeitskreis für sozialwissenschaftliche Tourismusforschung, 2000.
16 Becker/Meggle-Freund „¡Viva España!, a.a.O.
17 Merian: „Mallorca, Menorca, Ibiza“, 2*XXVI/C, Hamburg, o.J., Merian “Mallorca”, 2/40 (2*Febr. 87), o.O., 1987, Merian: “Mallorca”, 2/47 (2*Feb. 94), Hamburg, 1994, Merian: “Mallorca”, 02/56, Hamburg, 2003, Merian: “Mallorca”, 05/62, Hamburg, 2009.
18 Schürgers, Petra: “Lokale-Tourismus-Systeme Mallorcas. Integrative Analyse des Tourismus und seiner Raumrelevanzen als Grundlage ganzheitlicher lokaler Zukunftsentwürfe an der Badia de Polleca, Badia d’Alcúdia und Costa de Ponent“, Düsseldorf, 2005, (Düsseldorfer Geographische Schriften Heft 40).
19 Wachowiak, Helmut (Hg.): „German Tourists on Mallorca“, Bad Honnef, 2009.
„Mallorca ist nicht nur Ballermann und Party. Die beliebteste der spanischen Inseln zeigt sich auch von einer ganz anderen Seite. Unter Radfahrern ist sie bekannt als ideales Trainingsgebiet. Doch auch Wanderer entdecken die Baleareninsel für sich. Wunderschöne Pfade führen zum Beispiel entlang der Küste.“20
So berichtet die „Rheinische Post“ über die spanische Mittelmeerinsel Mallorca. Und in diesen wenigen Zeilen wird das Spannungsgeflecht rund um den Ballermann angedeutet. Der Ballermann ist – so klingt es in dem Artikel an – ein Begriff für ein bestimmtes Klischee, das sich auf Mallorca gebildet hat. Wir werden zeigen, dass es ein soziales Phänomen ist, das sich als Erlebnisangebot sogar von seinem geographischen Ursprungsort zu lösen vermag.
Geographisch bildet eine Art Strandkneipe, der „Balneario 6“, den Ausgangspunkt. Von diesen „Balnearios“ (span. „Kurbad“, “Heilbad“) befinden sich in unregelmäßigen Abständen 15 an der Playa de Palma (katal. „Platja de Palma“) und ziehen sich hin bis nach S’ Arenal (El Arenal). Dieser Strandabschnitt liegt etwa 15-20 Autominuten östlich der Inselhauptstadt Palma de Mallorca.21 Mallorca selbst gehört zum spanischen Archipel der Balearen, die neben Mallorca (dt. „die Große“), als größter spanischer Insel, die Nachbarinsel Menorca (dt. „die Kleine“) und die als Partyinsel bekannte Insel Ibiza umfasst. Die Inselgruppe selbst befindet sich etwa 140 km östlich von Barcelona im westlichen Mittelmeer. Bereits vor 6.000 Jahren ist die erste Besiedlung bekannt.22 Nach der Jungsteinzeit entwickelt sich auf den Balearen die talaiotische Kultur, die ihren Namen von turmähnlichen Quaderbauten erhielt.23 Politisch gehörten die Balearen anfangs zum phönizischen Reich und waren mit Karthago verbündet. Dort stellten die Bewohner der Balearen eine besondere Armeeeinheit, die Steinschleuderer.24 Diese wurden namensgebend für die Inseln. Aus dem griechischen Wort für Steinschleuderer (alt griech. „bállein“ für „werfen“) erhielten die vormals „gymnesischen Inseln“25 ihren bis heute bestehenden Namen als Balearen, wobei auch eine Deutung den Namen vom westemitischen Gott „Baal“ herleitet.26 Nach der Niederlage Karthagos waren die Balearen kurz Ausgangsbasis für Piratenüberfälle, die durch die römische Invasion 123 v. Chr. beendet wurde.27 Im Gefolge dieser Okkupation wurde „Palma“ (von lat „Palmaria Palmensis“(„Siegespalme“)) gegründet. In den Wirren der Völkerwanderung wurde Mallorca dem weströmischen Reich eingeordnet, erlebte Vandaleneinfälle und wurde schließlich Teil des Vandalenreiches.28 Im Gefolge der Kriege des oströmischen Reiches mit dem Reich der Vandalen fiel Mallorca an Byzanz.29 Ab dem 8. Jahrhundert gab es mehrere Versuche der Araber, sich auf der Insel festzusetzen, die schließlich 902 zur Eingliederung der Inseln in das Emirat von Cordoba führten.30 Mit der „Reconquista“, der Vertreibung der Araber aus Spanien, wird schließlich auch Mallorca von Jaume I. von Aragon und Katalonien in Besitz genommen.31 Nach dem Tode Jaumes III. ging der Besitz in das Königreich von Aragon und später Spanien über und hat heute innerhalb Spaniens einen Autonomiestatus inne.32 Der heute die Insel prägende Tourismus33 begann in den 60er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, wobei wir präziserweise von Massentourismus sprechen müssen. Frühe Formen des Tourismus finden wir auch schon Mitte des 18. Jahrhunderts (1838/39). Prominente Beispiele sind etwa Frederic Chopin und Georges Sand, die einen „Winter auf Mallorca“34 verbringen. Fast hundert Jahre später wird am Eiffelturm in Paris die Eröffnung eines Hotels an der Bucht von Pollenca verkündet, das zum Treffpunkt der internationalen High Society wird: das Hotel Formentor. In diesem Zeitraum gibt es bereits 3.200 Hotelbetten und 35.000 Urlauber.35 Der zweite Weltkrieg sorgt für eine Stagnation, aber schon 1950 zählt Mallorca 84.000 Urlauber und an der Bucht von S’Arenal eröffnet das erste Hotel. Seit diesem Zeitpunkt steigt der Anteil des Massentourismus, was sich an ausgewählten Daten sehr plastisch zeigen lässt: 1962 werden am Flughafen von Palma eine Million Passagiere abgefertigt. 1970 verzeichnet Mallorca schon 1,8 Millionen Gäste und auf dem noch vor wenigen Jahrzehnten fruchtlosen und kargen Strandstück S’Arenal sind 178 Hotels gebaut worden. 1980 sind es 2,8 Millionen Urlauber und 1992 schon 4,1 Millionen.36
Der etwa 6 Kilometer lange Strand von Palma zieht sich vom westlichen Can Pastilla bis zum östlichen Ende S’Arenal. In unregelmäßigen Abständen wird dieser Strand durch die Balnearios gegliedert, die von 1 bis 15 durchnummeriert sind. In den Abschnitten Playa de Palma und S’Arenal befinden sich auch die Partylokale wie etwa das „Oberbayern“, das „Riu Palace“ oder der „Megapark“ und eben auch die sog. „Bierstraße“ und die „Schinkenstraße“, in denen das Klischee von Mallorca als Partyinsel entstand.37
1.1) Die Putzfraueninsel Mallorca – Vom Tourismus zum Massentourismus