Balls of Fire - Roman MOORE - E-Book

Balls of Fire E-Book

Roman Moore

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Beschreibung

Matthew Newcomer wird 1970 als Agent nach Österreich geschickt, um einen ausbrechenden Krieg in Mitteleuropa zu unterbinden. Um dieses Top-Secret Unternehmen nicht zu gefährden kommt er als Tourist und scheinbar ohne jegliche Ausrüstung.Er werde nicht alleine gelassen, gab man ihm als Abschied mit. Er gelangt mehr durch Zufall in jenes Dorf, das er schon als Kind kannte. Nach seiner Flucht aus Ungarn, knapp den Deutschen 1944 entkommen, war er zehn Jahre alt. Mit seiner Halbschwester Tamara und seinem Grossvater hatten sie in den Kellerräumen eines Schlosses eine Bleibe gefunden. Zu den anderen Familien, die mit ihnen aufgebrochen waren, um in die USA zu gelangen, war die Verbindung abgerissen. Damals verschwand auch sein Grossvater über Nacht. Tamara, hochfiebernd, bat Matthias zu fliehen. Vielleicht würde er entkommen. Als blinder Passagier in New York aufgegriffen, landete er im Gefängnis. Freigelassen, fand er einen Platz in der Rüstungsindustrie. Ein Dach über den Kopf und genug zum Essen. Monate später arbeitete er am Fliessband der Automobilindustrie. Nur wenige Handgriffe,aber diese mussten mit Genauigkeit durchgeführt werden. Einst kam durch Ungeschicklichkeit das Band zum Stehen. Man strich ihm den Lohn. Er nahm sich vor, genauer zu arbeiten. Ein Jahr später, seine Sprachkenntnisse hatten sich verbessert und die eintönige Arbeit am Fliessband konnten seinem Wissensdrang nicht befriedigen. Er fand eine Werkstätte, die die unterschiedlichsten Motoren zusammenbauten und reparierten. Einem Fahrer von FBI half er in einer schwierigen Situation. FBI übernahm ihn als Mechaniker. Er erlangte die amerikanische Staatsbürgerschaft. Ein Kontakt zu seinen Angehörigen blieb ihm versagt. Dieser Umstand bewog ihn bei CIA zu unterschreiben. Einsteigen ja, Aussteigen nie. Nach einem Vietnameinsatz kam er nach Österreich. Elli, seine Nichte ermöglichte ein Wiedersehen mit Tamara. Ein Krieg konnte verhindert werden.

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Roman Moore

BALLS OF FIRE

Copyright: © 2017: Roman Moore

Satz: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

„Kapitel 1“

Die Sonne stand nicht mehr hoch am Himmel. Ein kühler Wind blies Matthew entgegen, als er mit dem entliehenen Fahrrad Richtung Norden fuhr. Matthew Isaac Newcomer, amerikanischer Staatsbürger, hatte nur ein kleines Bündel am Rücken. Er strampelte einer ungewissen Zukunft entgegen. Die kleine Landstraße schlängelte sich zwischen den Hügeln. Die Felder zeigten die üblichen Reste nach der Ernte. Sie warteten auf Neubestellung. Ein weißer Reiher, der am Boden nach Nahrung suchte, entfernte sich nahezu lautlos. Wenige Meter weiter setzte er wieder auf. Matthew war an diesem Spätsommertag völlig allein auf dieser Straße unterwegs. Diese Stille, unterbrochen von fallenden Blättern und die Stoppelfelder erinnerten ihn an seine Kindheit als Zehnjähriger. Damals war er oft mit seinem Großvater unterwegs gewesen. Seine Eltern hatte man auf der Flucht erschossen. Er hatte mit seinem Großvater und seiner Halbschwester eine Bleibe in den Kellerräumen eines Schlosses gefunden. Die schrecklichen Tage der Flucht fielen ihm ein.

Einst zog sein Großvater einen schweren Handkarren mit zwei Rädern, der nur auf den Felgen rollte. Die dazu passenden Reifen gab es schon lange nicht mehr. Der Krieg hatte alles verändert. Um voran zu kommen nahm sein Großvater den Umweg über den Asphalt in Kauf. Der Feldweg wäre kürzer gewesen. Immer wieder blieb er stehen, schaute zum Himmel hinauf und murmelte etwas, das Matthew damals nicht verstand. Dann atmete er durch und setzte den Weg fort. Im Keller des Wirtschaftsbereiches hatten sie einen größeren Raum zu ihrer Verfügung bekommen. Dort war es kalt, aber trocken. In anderen Räumen gab es leere Weinfässer.

„Wie geht es dir? Hast du Hunger?“ hatte ihn Großvater gefragt. Matthew wusste nur zu gut, das, was sie in der Früh zum Essen mitgekommen hatten, war längst verzehrt und Großvater hatte nichts zum Essen. „Nein” hatte er damals geantwortet, „Ich habe Äpfel gegessen“. Matthew dachte, ich bin spät unterwegs. Ob ich wohl eine Unterkunft finde für meine weiteren Unternehmungen. Apfelbäume gibt es noch. Die wenigen Äpfel liegen faulend im Gras am Boden. Was ist das für ein Land. So lange nach dem Krieg. Sind denn die Menschen nun so reich, die Früchte der Bäume außer Acht zu lassen. Sie kümmern sich nicht darum und lassen sie verfaulen. Er trat in die Pedale. Die Straße hatte einen Anstieg. Nach einer weiteren Kurve sah er auf einem Feldweg zur rechten Hand einen alten Traktor stehen. Über den Motorblock war ein alter Mann gebeugt. Dieser hatte offensichtlich Probleme mit der Maschine. Näherkommend hörte Matthew den Mann fluchen. Matthew legte das Fahrrad auf den Wiesenrain und ging zu diesem Mann. Letzterer war intensiv mit dem Motor beschäftigt. Er hatte Matthew’s Annäherung nicht wahrgenommen. Erst als ihn Matthew auf die Schulter tippte, wendete er sich sehr rasch um. Angespannt, wie er war, erschien ihm Matthew, der wie aus dem Nichts gegen die Sonne stand, wie ein unheimliches Wesen. Groß, schlank, rotblondes Haar und feingliedrige Hände. Trotz der vierzig Jahre schätzte ihn der Bauer nicht älter als Dreißig. „Wie kann ich Ihnen helfen“ fragte Matthew, der vor der erhobenen Hand mit dem schweren Schraubenschlüssel, weder zurückwich, noch Furcht zeigte. Der Ausdruck der blauen Augen und der Ton der Stimme ließen dem Landwirt Franz Bauer seine unsinnige Handlungsweise bewusstwerden. Den Mund hatte er noch offen. „Dieser alte Motor springt nicht an. Heute ist er schon gelaufen. Seit einer Stunde versuche ich es vergeblich. Längst hätte ich schon zu Hause sein sollen. Wie wollen Sie mir helfen?“ Dabei schaute er auf die Hände von Matthew. „Ich bin Automechaniker. Jahrelang musste ich mit unterschiedlichen Motortypen zurechtkommen. Auch Dieselaggregate waren dabei. Probieren wir es gemeinsam. Betätigen Sie den Starter, wenn ich ihnen winke“. Franz, ohne jegliches Vertrauen zu dem Fremden, tat wie geheißen. Matthew betätigte einige Hebel, zog hier und dort. Nach dem ersten Versuch, hörte er nur das Startgeräusch. Er deutete Franz nicht locker zu lassen. Plötzlich ein Husten der Maschine. Matthew deutete dem Bauer starten. Matthew betätigte die Lüftungsklappe, die leicht hängte. Plötzlich fing der Motor zu stottern an und lief unruhig. Es dauerte nicht lange, schwarzer Rauch strömte aus dem Auspuff und die Maschine lief ruhig. Der Bauer war überglücklich, sprang herunter, umarmte Matthew und strahlte. „Woher kommst du? Wie ist dein Name? Niemand hat mir geholfen, alle sind längst weg. Vor langer Zeit gab es noch Bewegung auf den Feldern. Als ich Hilfe brauchte, waren alle verschwunden“. Jetzt erst fiel es ihm auf. Den Fremden wollte er vor wenigen Augenblicken niederschlagen. Und nun hatte er ihn geduzt. „OK, heiße Matthew Newcomer, bin Amerikaner, Tourist und suche eine Unterkunft.“ „Ich heiße Franz Bauer, wohne nicht weit von hier und habe eine Herberge für die Nacht.“ Den Namen hatte er nicht verstanden. Dieser Mann suchte ein Nachtquartier und hatte sicher Hunger. Der Bauer war überglücklich, sprang herunter, umarmte Matthew und strahlte. „Woher kommst du? Wie ist dein Name? Niemand hat mir geholfen, alle sind längst weg. Vor langer Zeit gab es noch Bewegung auf den Feldern. Als ich Hilfe brauchte, waren alle verschwunden“. Jetzt erst fiel es ihm auf. Den Fremden wollte er vor wenigen Augenblicken niederschlagen. Und nun hatte er ihn geduzt. „OK, heiße Matthew Newcomer, bin Amerikaner, Tourist und suche eine Unterkunft.“ „Ich heiße Franz Bauer, wohne nicht weit von hier und habe eine Herberge für die Nacht.“ Den Namen hatte er nicht verstanden. Dieser Mann suchte ein Nachtquartier und hatte sicherlich Hunger.

Matthew hatte den ganzen Tag praktisch nichts gegessen. Der Flug über den Atlantik, die Zollkontrolle am Flughafen in Wien, die sich stark verzögerte und über Stunden hinauszog. Er war als letzter zum Ausgang gekommen und hatte nur ein Bündel am Rücken. Zugleich rollten drei große versiegelte Koffer heran, die scheinbar Niemanden gehörten. Adressiert waren sie an die Amerikanische Botschaft in Wien. Bei der Passkontrolle fiel einem jüngeren Beamten eine Kleinigkeit in seinem Reisepass auf. Bei einem bestimmten Lichteinfall konnte man einen senkrecht verlaufenden Faden erkennen, der auch über das Passfoto lief. Da Matthew kein Gepäck erwartete, verstärkte dies den Verdacht des Beamten, hieß ihn warten und ging mit dem Pass zu seinem Chef. Dazu die Koffer. Dies erschien eigenartig und sie beorderten ihn ins Nebenzimmer. Matthew verhielt sich zurückhaltend. So war es in Washington in seiner Dienststelle besprochen worden. Ein Telefonat an die Botschaft folgte. Längere Zeit verstrich und es gab keine Antwort. Eine Ankunft eines amerikanischen Staatsbürgers mit einem neuen Pass, das war nicht gemeldet worden. Dazu war er einfach gekleidet und hatte kein Gepäck. Es war zehn Uhr morgens und mit der Zeitverschiebung hatte man noch ein anderes Problem. Man wollte nicht die Leute mitten in der Nacht aus den Betten zu holen. So verging Stunde um Stunde. Höflich bot man Matthew Kaffee an. Dazu gab es fast nichts zu essen. Die Beamten verhielten sich zurückhaltend. Matthew blieb ruhig. Die Mittagszeit war längst vorüber und man teilte ihm mit, er könne gehen. Obwohl ihm Fragen auf der Zunge brannten, hielt er sich eingedenk seines Auftrages zurück. In der Vertretung hatte man alle nur möglichen Hebel in Bewegung gesetzt. Auch ein Telefonat nach Washington wurde geführt. Das brachte aber nicht sofort ein Ergebnis. Die Rückmeldung beunruhigte aber den Botschafter. Man möge Matthew Newcomer unbedingt jegliche Unterstützung zukommen lassen. Keineswegs seine Mission in irgendeiner Weise gefährden. Er komme als Tourist, kein Aufsehen, keine Abholung mit einem Fahrzeug. Alles andere wird sich finden. Dies wurde dem Botschafter mit einem speziellen Code übermittelt. Es war wie ein freundlicher Brief, wesentlich kürzer, mit dem Auftrag, diese Mitteilung sofort zu vernichten. Absolute Geheimhaltung.

In Wien gab es einen Maulwurf, der war noch nicht enttarnt. Der Maulwurf, in Polen ausgebildet, korpulent und mit Brille, arbeitete in einem der Großhandelsgeschäfte als Einkäufer. Von diesem Geschäft bezog auch die Botschaft zeitweise Güter.

In der Botschaft erbot sich der Fahrer, eventuelle Koffer abzuholen. Ein erst vor kurzem eingelangter Koch, der dem Botschafter zur persönlichen Betreuung aus Washington zugeteilt worden war, schlug dem Botschafter beim morgendlichen Kaffee vor, diese Koffer nicht vom Fahrer abholen zu lassen. Der Fahrer sollte aber ein unscheinbares Päckchen übernehmen. So würde nach außen hin alles in Ordnung erscheinen. Die Koffer könnte man jenem Taxi anvertrauen, das ihn seinerzeit zur Botschaft gebracht hatte. In einem abgeschotteten Raum, zu dem nur er Zutritt hätte, sollten sie vorerst gelagert werden. Auch erbitte er um einen Urlaub, den er jederzeit antreten könnte. Dem Botschafter wurde es heiß, es war seine letzte Dienststelle. Dann wollte er seinen Ruhestand antreten und segeln gehen. Ob er den Koch, Edward Smith, Deckname John, jemals wiedersehen würde, war ihm nicht klar. Die beiden Männer schüttelten sich die Hände und der Botschafter schaute ihm lange in die Augen, ohne etwas zu sagen. Sie verstanden sich auch ohne große Worte.

Den Beamten am Flughafen wurde strengstes Stillschweigen auferlegt. Die Koffer wurden an das Taxi übergeben, das schon Smith abgeholt hatte. Der Fahrer wurde wiedererkannt. Als der offizielle Fahrer Sam erschien, war von Matthew nichts zu sehen und ein kleines schweres Päckchen wurde diesem Fahrer ausgehändigt.

Matthew hatte mittlerweile seinen Weg ins Weinviertel gefunden. Jemand, der sich an ihm heranmachte und ihn auszufragen begann, woher des Weges und wohin unterwegs, bekam nur unverständliches Zeug zu hören. Es wurde ihm auch zu trinken angeboten, das schlug Matthew aus. Der andere hatte Krems als vorläufiges Ziel ins Auge gefasst. Der Zug hielt an und der andere musste plötzlich auf die Toilette. Die Natur forderte ihren Preis. Dies nützte Matthew. Kaum rollte der Zug an, sprang er hinunter und versteckte sich hinter der nächsten Plakatwand. Er wartete bis der Zug außer Sichtweite war. Matthew ging zum Bahnhofsvorstand und ersuchte um ein Fahrrad. Dieser durch die Eintönigkeit des Dienstes schläfrig gemacht, wollte wissen, mit wem er es zu tun hätte. Matthew nannte seinen amerikanischen Namen. Der Beamte verstand ihn nicht. So wiederholte Matthew es in deutscher Sprache:“ Neu.“ Weiter kam er nicht. Der fremdländischen Akzente und >Neu…< ließ den Beamten aufschrecken. Er meinte, Matthew wäre der Sohn eines der Landwirte, der vor langer Zeit in die Gefangenschaft geraten war und nun aus Amerika zurückkehrte. Jahrzehntelang hatte der Vater auf ihn gewartet. Nie war eine Post gekommen. Die Hoffnung seinen Sohn vor seinem Tode noch einmal zu sehen, das hatte er längst aufgegeben. Der Beamte händigte Matthew ein Fahrrad aus. Er verlangte weder Ausweispapiere noch Geld. Er beschrieb ihm den Weg und freute sich auf das bevorstehende Wiedersehen der beiden.

Dorthin wollte Matthew aber nicht. Seine Ausrüstung war jetzt irgendwo. Er brauchte dringend ein Nachtquartier und etwas zum Essen. Dennoch radelte er in die beschriebene Richtung und stieß auf Franz, der äußerst zufrieden über den nun laufenden Motor, der fallweise immer wieder stotterte, Matthew in seine Arme nahm.

Plötzlich sackte Matthew zusammen. Franz war gänzlich irritiert. Er beugte sich über den am Boden Liegenden und prüfte dessen Atem. Den konnte er fühlen. Das Herz schlug. Auch das konnte er feststellen. Daraufhin trug er ihn zum Traktor, verstaute das Fahrrad und fuhr zum Dorf. Beim Wirtshaus bat er den Wirt um Hilfe. Die wenigen anwesenden Männer trugen Matthew hinein und legten ihn auf eine Bank. Franz berichtete aufgeregt, was er über Matthew wusste und wie er ihn kennengelernt hatte. Man versuchte Mathew Wein zum Trinken zu geben. Er murmelt:“ Wasser“. Das wird doch nicht der Sohn vom Neugruber sein. Franz hatte auch etwas mit >Neu.< verstanden. Jemand eilte zu Neugruber und holte diesen aus dem Bett. Bald stand Neugruber infolge der Aufregung zitternd in der Türe. Er kniete vor Matthew nieder, krempelte den linken Ärmel des Hemdes hoch und suchte nach der Narbe. Diese Narbe war nach einem Unfall mit einer Landmaschine seinem Sohn verblieben, lange bevor er zum Militär musste. Neugruber suchte, drehte den Arm hin und her, konnte aber keine Narbe finden. Matthew, wieder zu sich gekommen, begriff die ungewöhnliche Situation und sah die Tränen in den Augen des kleinen weißhaarigen Alten. Behutsam streichelte er über dessen Kopf und bat um Entschuldigung nicht der zu sein, für den ihn die anderen hielten.

„Newcomer, my name“. Neugruber stand mühsam auf. Hätte man ihm nicht sofort einen Stuhl untergeschoben, er wäre zu Boden gefallen. Schwer atmend setzte er sich darauf. Die Enttäuschung, die der Alte erlitten hatte, war Matthew nicht entgangen. Er konnte ihm nicht helfen. Sein Hunger meldet sich und er deutete auf seinen Bauch. „Bitte essen“. Eines der wenigen Worte, die Matthew zu diesem Zeitpunkt einfielen. Der Wirt brachte kaltes Fleisch, Brot und Wein. Matthew verlangte nach Wasser und der Möglichkeit seine verschmieren Hände zu waschen. Franz holte das Nötigste. Matthew begann seine Hände zu waschen.

Umlagert von den anderen, die seine Hände betrachteten und ihn mit Fragen bestürmten, die er nicht alle verstand, fing er langsam zu essen an. Das hier gesprochene Deutsch hatten seine Eltern ihm nicht gelernt. Vieles hatte er auch vergessen. Den Mechaniker, den wollten sie ihm aber nicht glauben. Nur wenig konnte der Hinweis auf verlegte und verstopfte Leitungen, sowie auch ein nicht gesäuberter Tank seine Zuhörer davon überzeugen, als Mechaniker gearbeitet und seinen Unterhalt damit verdient zu haben. Unbestritten war aber die Tatsache, er hatte einen uralten Motor wieder zum Laufen gebracht. Er meinte auch, kräftige Hände allein würden nicht genügen. Man muss auch seinen Kopf einsetzen. Auf seiner lebensgefährlichen Flucht habe er alle Möglichkeiten ausgenützt um Essen zu bekommen und jede Arbeit angenommen. So wäre er auch zu einer Werkstätte gekommen. Seine Geschicklichkeit und sein Verlangen Neues zu erlernen hätten geholfen zu überleben.

Als Automechaniker wäre er auf Urlaub. Das war sein Auftrag. Daran wollte er sich auch halten. Die Neugierde der Anwesenden wollte er aber befriedigen und erzählte deswegen über seine Tätigkeit am Fließband. Einmal verursachte er einen Stopp. Der Vorarbeiter hatte damit keine Freude und man strich ihm eine Woche Arbeitslohn. Daraufhin lernte er seine Handgriffe mit höchster Präzision auszuüben. Diese Arbeit erschien ihm aber mit der Zeit zu eintönig und auf der Suche nach einer anderen Werkstätte hatte er auch Erfolg. Dort war man überrascht mit welcher Umsicht er sein Werkzeug aussuchte und wie er an komplizierte Demontagen heranging. Einmal fuhr eine große schwarze Limousine vor. Man schickte Matthew hinaus, die Motorhaube zu öffnen und zu fixieren. Sonst sollte er nichts anrühren. Im Motorraum entdeckte er ein Kästchen, das er bei anderen Fahrzeugen nie gesehen hatte. Kabel führten in das Wageninnere und auch zum Frontgrill. Nichts anrühren, hatte man ihm gesagt. Daran hielt er sich auch.

Mittlerweile hatte sich ein kleiner See unter dem Wagen gebildet. Ein Mechaniker kam und erklärte dem Kunden, den Kühler könnten sie nicht reparieren. An einem weiteren Auslaufen aber oberflächlich hindern. Immer wieder müsste eine Kühlflüssigkeit nachgefüllt werden. Der Wagen sollte in eine Fachwerkstätte, wo der Kühler getauscht werden könnte. Der Kunde fragte, wie weit er mit einer provisorischen Reparatur kommen würde. Zwanzig Meilen oder weniger, gab man ihm zur Antwort. Eintausend hätte er aber vor sich. Mit einem zweiten Fahrer, den er abholen sollte, würden sie sich abwechseln, um an das Ziel zu kommen. „Und ein neuer Kühler?“ „Nicht vor vier Stunden, wenn wir sofort bestellen“. Der Fahrer war verzweifelt. Matthew hatte damals vorgeschlagen, aus einem anderen Wagen, nahezu gleicher Bauart aber weniger Leistung, den Kühler auszubauen und diesen in den betroffenen Wagen einzubauen. Da die Kühler von der Bauart identisch waren, müsste es gehen. Es wäre ein Fahrzeug mit wenigen Kilometern, welches nach einem Unfall, an der Vorderseite unbeschädigt geblieben wäre. Der Fahrer hatte nicht lange überlegt und war zum Telefon geeilt. Durch die Scheibe konnte man ein hitziges Gespräch verfolgen. Missmutig gestimmt war er zurückgekehrt, konnte dem Kühlertausch aber zustimmen. Matthew wurde beauftragt aus dem havarierten Wagen den Kühler so vorsichtig wie möglich auszubauen. Ein anderer hatte bei allen Kabelverbindungen und Einbauten Schwierigkeiten nicht überwinden können und sich durch die heiße Kühlflüssigkeit verletzt. So sollte Matthew versuchen, den erst ausgebauten Kühler in die Limousine einzubauen, so wie er es vorgeschlagen hatte. Die Aufhängung stimmte nicht überein. Mit Hilfsmittel wurde es ermöglicht. Verbindungsschläuche wurden getauscht. Alles neu verbunden. Kühlflüssigkeit eingefüllt und der Motor gestartet. Dieser lief nahezu geräuschlos. Der Fahrer war über die Arbeit von Matthew begeistert. Er nahm den kaputten Kühler an sich. Dessen Beschädigung durch einen starken Schraubenschlüssel war Matthew nicht entgangen. Nach Bezahlung brauste der Fahrer davon.

Zwei Wochen später kam wieder eine dunkle Limousine mit dem Fahrer, der schon einmal um Hilfe gebeten hatte. er war in Begleitung von zwei nicht sehr jungen Männern. Sie wiesen sich als FBI Beamten aus und fragten nach Mathew. Der Chef wollte wissen, ob er etwas am Kerbholz hätte. Darüber gab es keine Antwort. Matthew, ölverschmiert und schmutzig, eben beschäftigt bei einem Lastwagen schwer zugängliche Teile zu demontieren, wurde geholt.

Dieser hier ist es, hatte der Fahrer gesagt. Ohne seine rasche und präzise Hilfeleistung wäre ich hängengeblieben. Alle drei bedankten sich herzlich. Der älteste gab ihm eine Karte eines Büros. Wenn er Zeit aufbringen würde, soll er vorbeikommen. Da der Chef Matthew nicht vorbereitet hatte, wusste er nicht, wie er sich verhalten sollte. Als sie weg waren, sagte der Chef zu ihm, das wären Beamte einer wichtigen Bundesbehörde gewesen. Vielleicht könnten die ihm bei seiner immer noch in Schwebe befindlichen Einbürgerung behilflich sein.

Tags darauf machte er sich zu diesem Büro auf. Das befand sich in einem eleganten Stadtviertel im vierzehnten Stockwerk. Mit nur einer Jean und ohne Krawatte passte er nicht in diese Umgebung. Der Portier wollte ihn nicht hineinlassen. Die mitgeführte Karte ermöglichte ihm aber ein Weiterkommen.

Oben angekommen, wurde er von Sicherheitsleuten intensiv kontrolliert und von einer hübschen Dame weitergeleitet. Eine solche Behandlung war Matthew neu. Jahrelang mit anderen Menschen im Kontakt bewirkte dies eine Verunsicherung. Er wurde von dem Grauhaarigen, der schon in der Werkstätte seine Hand geschüttelt hatte und von zahlreichen jüngeren Männern empfangen. Man bot ihm an, Platz zu nehmen. Tief versunken in einem bequemen, weichen Sessel, umringt von den anderen, war der Kopf des Grauhaarigen einen halben Meter höher. Ohne Umschweife schlug dieser einen Aktendeckel auf und ließ sich durch Fragen an Matthew, die Aufzeichnungen bestätigten. Ab und zu fügte Matthew etwas hinzu. Dadurch gewann er seine Sicherheit wieder. Er hatte kein Verbrechen begangen, war nicht von Drogen abhängig und hatte nur eine winzige Wohnung. Sein Hobby, Uhren zu reparieren, wird hoffentlich nicht negativ betrachtet werden. Seine Arbeit als Automechaniker war sicherlich mit viel Schmutz verbunden, verhinderte aber auch den Kontakt mit einer wohlhabenden Gesellschaftsschicht, deren Kinder höhere Schulen besuchten und in einem friedlichen und schönen Stadtviertel wohnten. Seine Armut und seine Einsamkeit waren ihm nie deutlicher bewusstgeworden als in diesen wenigen Minuten. Plötzlich war es still. Der Grauhaarige hatte aufgehört zu sprechen. Die Anspannung bei Matthew stieg. Er presste seine Hände, die bisher noch locker auf seinen Oberschenkel lagen, gegen diese. Alle anderen, die im Kreis saßen und Matthew genau beobachteten, seine Regungen registrierten, lehnten locker auf ihren Stühlen, die sie umgedreht hatten, die Arme auf den Lehnen aufgestützt. Zum Teil ohne Sakko und die Krawatten leicht geöffnet. Sein Anpressen der Hände war nicht unbemerkt worden. Nun saß er da wie eine Klapperschlange, zum Vorschnellen bereit. So hatte man seine erste Begegnung im Bericht erwähnt. Der Grauhaarige nahm langsam seine Brille ab und legte sie behutsam neben der Akte auf den Tisch. „Sir”, sagte er endlich, möchten Sie mit uns arbeiten? Matthew war wegen dieser Anrede irritiert. Keiner Menschenseele war es bisher eingefallen, ihn in dieser Form anzusprechen. „Wir brauchen einen verschwiegenen Mechaniker, der neben der Reparatur und dem Service von Automobilen auch Kenntnis über Uhren vorweisen kann. Ihre Bewerbung um die amerikanische Staatsbürgerschaft könnten wir vorantreiben. Ihre Erscheinung müssten sie ein wenig verändern. Wenn Sie nicht zustimmen wollen, dann vergessen Sie spätestens nach Passieren der Türe, alles, was sie gesehen und gehört haben.“ Matthew schluckte. Das war keine Einladung. Das war ein Befehl. Woher wussten die Leute hier so viel über sein bisheriges Leben. Eingedenk den Lehren seines Großvaters, niemals Furcht zu zeigen und Angriff sei immer die beste Verteidigung erwiderte er: „Sir, wenn Sie so viel über mich wissen, bemühen Sie sich bitte auch darüber, ob mein Großvater in New York noch am Leben ist“. Diese mit einer Bitte vorgetragene Antwort, die weder Zustimmung noch Ablehnung verriet, verfehlte nicht ihre Wirkung. Er setzte fort: “Bei meinem jetzigen Arbeitsgeber möchte ich mich verabschieden. Dort habe ich manch bittere aber auch schöne Stunden erlebt und sehr viel gelernt. Sie alle waren in diesen Jahren liebenswerte Kameraden“.

Er wollte auch eine Bezahlung wissen. Sie nannten ihm einen Betrag, doppelt so viel wie er jetzt verdiente. Endlich ein Auto fahren zu können, erfreute ihn und er unterschrieb einen Vertrag als Automechaniker. Da sie lückenlos seinen Weg, seit er das Schiff verlassen hatte, registriert hatten, wussten sie über seine Ausbildung und seinen Lebenswandel genug. Auch seine Vorliebe für Uhren. All das kam ihm unheimlich vor.

Er sollte mit Beginn der kommenden Woche bei dem Gebäudekomplex vorsprechen, der außerhalb der Stadt lag. Er wollte pünktlich sein. Er konnte keine Busverbindung oder ein anderes öffentliches Verkehrsmittel finden. Somit war das Fahrrad nach seiner damaligen Ansicht die beste Lösung. Die sieben Meilen werden ihn nicht gleich umbringen, dachte er sich. An seinem ersten Arbeitstag goss es in Strömen. Als er bei dem Gebäudekomplex ankam, war kein Mensch zu sehen. Auch nicht irgendein Fahrzeug. Die breiten Einfahrtstore waren fest verschlossen. Den Cowboyhut tief ins Gesicht gedrückt, passierte er die beiden Überwachungskameras und läutete. Die Wachen wussten nichts von seiner Erscheinung und auch nicht wie sie sich verhalten sollten. Nach mehrmaligen Läuten wurde ein Spalt geöffnet und drei stürzten sich auf ihn und hielten ihn fest. Nach intensiven Telefongesprächen mit der Zentrale klärte sich im Nachhinein einiges. Jemand mit Fahrrad, wo jeder nur mit irgendeiner Schrottkarre unterwegs war, der lenkte von vornherein den Verdacht auf sich.

All das fiel Matthew im Wirtshaus ein, während er total übermüdet die Neugierde seiner Zuhörer zu befriedigen versuchte. Bei seinen Angaben, als Automechaniker seinen Lebensunterhalt verdient zu haben, blieb er. Viel konnte er nicht essen. Ein kaltes Nachtmahl nach diesem anstrengenden Tag, das war auch nicht nach seinem Geschmack. Endlich bot ihm Franz ein Zimmer an. Ohne sich zu waschen kroch Matthew unter die Decke und schlief sofort ein.

In diese abgeschiedene Gegend im Hügelland verirrten sich im allgemeinen nur wenige. Jetzt, lange nach Beendigung des Krieges und Abzug der Russen, war ein Fremder, dazu noch ein Amerikaner, eine Sensation. Viel hatte er in seinem holprigen Deutsch nicht erzählen können. Eines war seinen Zuhörern klar, er hatte eine uralte Dieselmaschine zum Laufen gebracht. Seine Hände, auf die sie immer wieder starrten, die waren doch keine Hände eines Automechanikers. Das konnte man sich nicht vorstellen. Franz hatte gestern einen neuen Traktor bekommen. Dieser stand im Hof. Was ist ihm nur eingefallen, mit dem Sperrmüll eine Runde zu drehen. Franz hatte erleben müssen, wie nahe bei Sonnenuntergang dieser Diesel nicht mehr zu starten möglich war. Fast hätte er zu Fuß eine nicht unbeträchtliche Wegstrecke zurücklegen müssen. Und all das in seinem Alter und seinen Rückenbeschwerden. Und da kommt dieser Ami und hilft ihm weiter. Der muss aber einiges im Kopf haben, sonst wäre ihm das Starten nicht gelungen. Hat er nicht gesagt, das Fahrrad hätte er sich nur ausgeliehen. Wohin wollte er eigentlich.

Dies und noch vieles mehr wurde bis weit über Mitternacht besprochen, während Matthew in einen tiefen traumlosen Schlaf gesunken war. Seine Anwesenheit wurde auch dem Bürgermeister zugetragen. Matthew hatte einen tiefen Schlaf. Gegen fünf in der Früh wachte er auf, sah auf seine Uhr und drehte sich nochmals um. Er wollte bis sechs weiterschlafen und dann mit der Gymnastik beginnen. So verlief sein tägliches Leben. Keineswegs fiel er wieder in den erhofften tiefen Schlaf. Unruhig drehte er sich im Bett. Er träumte, in Vietnam in der Gefangenschaft zu sein. In einem Käfig aus starken Bambusstäben, die mit Seilen verbunden waren. Dazu der harte Boden und die Unmöglichkeit sich aufzurichten. Nur stark gebückt konnte man sich darinnen ein wenig bewegen. Über ihn dröhnten Motoren. Explosionen waren zu hören. Das Gesicht eines amerikanischen Marinesoldaten tauchte vor ihm auf. Dieser begann die Seile zu durchtrennen, während weiter rückwärts alles brannte. Eine weitere Explosion ganz nahe und Matthew wachte auf. Erschreckt richtete er sich auf. Er lag in einem Bett. Ringsherum war es dunkel. Nach einigen Sekunden fiel ihm die Realität ein. Er befand sich in dem kleinen Zimmer, das ihm gestern der Bauer zur Verfügung gestellt hatte. Matthew knipste das Licht an und ging zum Fenster, öffnete dieses und stieß die Fensterläden auf. Dann schloss er wieder das Fenster. Tageslicht flutete das Zimmer. Sein Traum war noch nicht gänzlich verschwunden. Es fielen ihm die halbverrückten Piloten ein, mit denen er das Lager geteilt hatte und mit denen er ausgeflogen worden war. Seine Psyche hatte man damals nicht gebrochen. Er hatte Glück gehabt. Er begann seine Morgengymnastik.

Als Abschluss kamen die Liegestütze mit Zwischenklatschen. Das konnte man bis auf die Straße hören. Während er zählte wanderten seine Gedanken zu Nadia. Wo mag sie nun sein? Eine Frau, die er gerne als Partnerin gehabt hätte. Beim Zählen war er weit über 40 angelangt. Die Menge, die sich an der Scheibe die Nasen plattgedrückte, hatte er gänzlich übersehen.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Matthew setzte sein Training fort. 55 Liegestütz mit Zwischenklatschen hatte er schon hinter sich. 56, 57, Dann wurde er abrupt unterbrochen. Ein kleiner, beleibter Mann hatte sich ihm soweit genähert, dass an eine Fortsetzung nicht zu denken war. Dazu kam noch das „He“ aus dem Munde des Dicken.

Die Menge vor dem Fenster wollte sich nicht das Schauspiel mit ihrem ungeliebten Bürgermeister entgehen lassen. Matthews’ Bewegungen waren diesem ohnehin verhasst. Dazu wollte er ein Exempel statuieren. Alle im Dorf sollten sich nach ihm richten. Neuankommende sollten sich bei ihm melden, wenn sie eine Nacht im Dorf verbringen wollten. Diese Besessenheit eine Meldepflicht in dieser Form auszulegen, war in diesem Dorf einzigartig. Eine bequeme Fortsetzung der morgendlichen Gymnastik war Matthew nun nicht möglich. Er schnellte empor und überragte den vor ihm stehenden um Kopflänge. Seine Augen hatte Matthew ein wenig geschlossen. Der Dicke verlangte nach dem Reisepass ohne sich vorzustellen. Begleitet wurde der Dicke von zwei dürren Gendarmen, denen die Uniform schlotternd um die Beine hing. Das Emporschnellen von Matthew hatte ein Zurückweichen des Dicken bewirkt. Dieses Zurückweichen veranlasste einen der beiden Begleitpersonen seine Hand zum Halfter zu bewegen. Innerlich musste Matthew lachen. Offensichtlich handelte es sich bei dem Dicken um eine Amtsperson, die nicht Manns genug war, seine Rechte durchzusetzen. Nicht nur die Zuseher vor dem Fenster harrten gespannt auf das, was weiter folgen sollte. Auch vor der Tür bis zur kleinen Straße hatte sich eine Menschentraube gebildet. Da Matthew nicht vorhatte, seine Mission zu gefährden, ging er wie er war, in Unterhose und Hemd, langsam zu einem Stuhl. Dort hing seine Jacke. Der Dicke war immer zwischen Matthew und den begleitenden Gendarmen. Der eine hätte gern von seiner Dienstwaffe Gebrauch gemacht. Langsam zog Mathew seinen Reisepass aus der Jacke, blätterte darinnen bis zu der Seite mit seinem Foto, den amerikanischen Hoheitszeichen und seinem Namen. All das war deutlich zu erkennen. Gierig griff der Dicke nach dem Pass und wollte diesen an sich reißen. „Maybe in your office, Sir“ bekam er zu hören. Dieses Verhalten kam dem Dicken sehr ungelegen. Im Dorf waren viele ihm immer mit Furcht begegnet. Und dieser zu gereiste Habenichts widersetzt sich ihm. Er zerrte stärker. Matthew packte ihn plötzlich mit seiner Hand an der Linken und begann sie langsam zu drehen. Dem Dicken war es, als ob eine Faust aus Eisen sich seinem Arm bemächtigt hätte. Der eine Gendarm zog nun seine Pistole. Das war völlig nutzlos, da sein Chef vor ihm stand und mit seiner Fülle den Türstock blockierte. Matthew machte einen weiteren Schritt auf den Dicken zu. Der wich zurück und spürte nun die Pistole in seinen Rücken. Mathew drehte nun den Arm weiter. Das Lächeln in seinem Antlitz war verschwunden. Seine Augen hatten den Ausdruck einer Raubkatze, die nun bereit war, zum Angriff überzugehen. Höllisch schmerzte der Arm. Der Dicke ließ den Reisepass los und drängte in den Gang zurück. „Verdammtes Gesindel” fluchte er. Die Dorfbewohner auf der Straße hatten nichts verstanden, die aber beim Fenster konnten die gewechselten Worte nur schwer verstehen, wohl aber den Vorgang genau mitverfolgen.

Als der Pfarrer kam, standen die Gendarmen immer noch hinter dem Dicken. Der mit der Pistole in der Hand, steckte diese zurück und machte ein dummes Gesicht. All das war dem Pfarrer nicht entgangen. Auch nicht die nun unterdrückte Furcht des Dicken, der mit seiner Begleitung sich durch eine grinsende Menschenmenge entfernte.

Matthew wusste, ausgestanden war es nicht. Er hatte sich einen weiteren Gegner geschaffen.

„Guten Morgen“ begrüßte ihn der Pfarrer. „Was wollte unser Bürgermeister?“ „Ah, der Bürgermeister, er wollte mir den Pass abnehmen. Und das in einer für mich sehr ungewöhnlichen Art, ohne sich vorzustellen und sein Begehren vorzutragen. Noch dazu, er befand sich nicht in seinem Amtsgebäude.“

„Nach dem Frühstück wollte ich in sein Büro. Vielleicht bleibe ich einige Tage hier. Es ist eine schöne Gegend“. „Ihre Hilfeleistung an Franz habe ich von meiner Köchin erfahren” ‘Weshalb ist dann der Bürgermeister in der Früh mit seinen Gehilfen gekommen und wollte den Pass?“ „Das ist seine Art, sich wichtig zu machen. Bei Ihnen ist er an den Falschen geraten.“ „Woher wissen Sie das?“ „Sein Gesichtsausdruck, als er wegging. Den habe nicht nur ich. Den haben viele gesehen. Er wollte vermutlich auch Ihre Reaktion kennenlernen.“

Matthew sagte nichts. Nach dem Rasieren war er immer noch in der Unterhose. Frühstück wollte er und dann zum Rathaus. Der Pfarrer wusste sicherlich mehr über den Bürgermeister. Matthew wollte keine Privatfehden. Wem er hier trauen konnte und wem nicht, das war bei allen diesen Ereignissen nicht zu erkennen.

„Kapitel 2“

Kaum war er rasiert und fertig angezogen trat Franz ein. „Irgendetwas stimmt mit dem neuen Traktor nicht. Als er geliefert wurde, erklärte man mir, wie ich starten sollte. Das habe ich gestern befolgt. Der Traktor lief ruhig. Dann habe ich ihn stehen gelassen, wo er nun steht und bin mit dem alten eine Abschiedsrunde gefahren. “Kannst du nachsehen, woran das liegt?“ Matthew war eher zu einem Frühstück zu Mute als wieder auf einen Traktor zu klettern. Sicherlich eine Kleinigkeit, dachte er sich. „Hebel nach unten, rotes und dann grünes Licht, starten. So habe ich es gestern noch ausprobiert, bevor der Lieferant wieder weggefahren ist. Rotes Licht kommt, grünes nicht. Heute wollte ich damit nach Krems“. „In welcher Stellung befindet sich der Kippschalter nun?“ „Ich habe ihn zurückgestellt“. Matthew ging mit Franz in den Hof. Der Herbst mit kühler Witterung und Regen meldete sich an. Die Sonnenstrahlen konnten darüber nicht hinwegtäuschen. Matthew kletterte ins Führerhaus, besah sich alle Einstellungen an und wollte den Hebel wissen, den Franz vorhin betätigt hatte. Der Traktor war ein im Ausland gefertigtes Modell, mit dem man eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Geräten koppeln konnte. Der Hebel wurde ihm gezeigt und nach einiger Zeit leuchtete auch das rote Licht. Daneben gab es eine Lampenfassung. Grünes Licht kam nicht. Solange es nicht leuchtet, war Franz instruiert worden, auf keinen Fall starten. Matthew wartete, kein grünes Licht. Er begann die Umgebung des Starters mit allen Kabeln abzusuchen. Viele Kabel waren in einem Kabelkanal vereint. Neben diesem, ein nahezu nicht sichtbares dünnes rotes und daneben ein dünnes blaues Kabel. Diese beiden waren unter dem Kabelkanal verlegt. In der Dunkelheit hätte man sie nicht entdeckt. Die Sonnenstrahlen brachten mehr Licht. Matthew erwähnte nichts von den beiden dünnen kabeln. Er kletterte herunter und schlug die Motorabdeckung hoch. Wohin die beiden dünnen Kabel verlegt worden waren, das war nicht zu sehen. Unter der Batterie sah er ein in Kunststoff eingewickeltes Päckchen, das mit Heftbändern an die Batterie angehängt war. Matthew fragte Franz. ob dieser ein Messgerät hätte, mit dem man den Stromfluss messen könnte. Das hatte er nicht. Ob es etwas Ernstliches wäre, wollte er wissen. Das konnte und wollte Matthew nicht bestätigen. „Gibt es im Dorf jemanden, der ein solches Messgerät hätte?“ „Vielleicht Andreas, der Sohn eines Landwirtes, der sich viel mehr mit Computer, als mit Sachen und Dingen, die die Landwirtschaft beträfen, beschäftigt.“ „Rühre den Traktor nicht an, hole Andreas. Dieser soll auch seinen Werkzeugkoffer mitnehmen. Er soll rasch kommen“

Matthew war zuerst als Automechaniker tätig gewesen. Seine Aufgabe war es, den Fuhrpark in einem jederzeit einsetzbaren Zustand zu erhalten. Nach einem Ausritt in die Wüste war es besonders schwer und langwierig die Fahrzeuge wieder einsatzfähig zu gestalten. Nebenbei wurde er in Waffentechnik unterrichtet. Ein tägliches Fitnessprogramm beendete seine Tage. Alles war für ihn ungewohnt und die ersten Wochen forderten seine ganze Kraft. In seiner Freizeit verzichtete er auf Kinoprogramme, blieb lieber im Bett und ruhte sich aus. Erst nach einem halben Jahr erging es im besser. Nun hatte er endlich die ersehnte Staatsbürgerschaft und seinen Pass. Prüfungen waren schon viele bestanden. Bei den Schießübungen wurde ihm immer wieder eingeschärft, niemals zu hastig zu sein. Ruhe zu wahren und zu treffen. Und das auch, wenn er am Boden rollte und wenn er von hoch oben heruntersprang. Das war am schwierigsten. Vom Großvater gab es noch immer keine Nachricht. Das dämpfte seine Stimmung. Als Mechaniker zu arbeiten, das gefiel ihm. Das Schießen weniger. Eine weitere Ausbildung kam dazu, während das Trainingsprogramm kontinuierlich durchgeführt wurde. Sachkenntnis in die Elektrik und oberflächliche Ausbildung in der Elektronik.

All dies beherrschten nun seine Gedankengänge. Entweder war es ein dummer Streich oder es war ernst und lebensgefährlich. Davon hatte Franz keine Ahnung. Der stand noch immer neben ihm. „Hol den Jungen“. Keine Reaktion. Wenn er es gestern geschafft hatte, wozu brauchte er heute ein Messgerät. „Hol den Jungen mit dem Werkzeug“. Brummig machte sich Franz auf den Weg. Bei Andreas angekommen, war dieser Feuer und Flamme. Genau das war lange schon sein Wunsch gewesen. Jemand brauchte Hilfe. Bald waren sie wieder zurück. Matthew schickte beide weg. Sie sollten noch anderes Werkzeug holen. Matthew nahm das Messgerät, stellte den Kippschalter in die Ausgangslage und fing an einen eventuellen Stromfluss zu messen. Die aufgefundenen Drähte wiesen keinen Wert auf. Beim Herunterkippen des kleinen Hebels zeigte der blaue einen etwas höheren Wert als der rote. Offensichtlich sollte beim Drehen des Zündschlüssels der Strom den Weg zu dem Packet nehmen. Er gab den Kippschalter wieder in seine ursprüngliche Lage zurück. Die beiden kamen zurück und wollten wissen wie es weitergeht. Andreas war an diesem Tag nicht in der Schule. Der Ami war für ihn ein besonderer Mann. Der hatte es dem Bürgermeister gegeben. In dieser kleinen Ortschaft sprach sich die geringste Neuigkeit sehr rasch herum. Seine Begleitung mit Franz wird vermutlich auch bald die Runde machen.

Matthew überlegte, wie er die beide längere Zeit loswerden konnte, ohne seinen Verdacht aussprechen zu müssen. Außerdem war Matthew nicht ein Gesicht entgangen, das hinten im Hof in einem kleinen Haus ihn beobachtete. Im Rückspiegel hatte er hinter einem Fenster dieses Mädchengesicht entdeckt. Wenn er sich umdrehte und in diese Richtung schaute, verschwand immer wieder dieses Gesicht. Matthew fragte Andreas, ob er ihm nicht das Frühstück zubereiten wolle, er habe großen Appetit. Als Andreas gegangen war, nahm Matthew ein Medaillon, das er an einer zierlichen Kette unter dem Hemd trug, ab und übergab es Franz. „Sollte etwas Ungewöhnliches passieren, gib dieses Medaillon dem neuen zugeteilten Koch des amerikanischen Botschafters persönlich in die Hand. Nur diesem“.

Matthew war in seinen Gedanken bei den Drähten, die sicherlich zu dem Päckchen führten. Vielleicht hingen sie irgendwo durch oder bildeten eine kleine Schlaufe. Dort könnte er versuchen, sie zu durchtrennen. Wenn es gelang musste er nur noch die Batterie ausbauen und das Päckchen davon lösen. Wenn nicht, daran wollte er nicht denken. Um an die Batterie und das Päckchen heranzukommen durfte er nichts erschüttern. Er musste ohne Schutzausrüstung unter den Traktor kriechen. Nur Mut alter Junge, Du wirst doch nicht deine Lehrmeister enttäuschen, hörte er sich selbst sagen. Oft hatte er schon Bomben demontieren müssen. Immer mit speziellem Werkzeug, Schutzkleidung und einer Begleitmannschaft, die ihm mit Rat und Tat zur Seite gestanden waren. Hier aber war er allein. Das Problem war auch das viele Metall, auf dem die Drähte lagen. Wenn ich nicht aufpasse, fliege ich als erster in die Luft. Franz begriff nun, dass irgendetwas nicht stimmte. Der Ami murmelte etwas, das er nicht verstand. Er war auch sehr angespannt. Ehe er Fragen stellen konnte, schickte ihn Matthew in die Küche und erinnerte ihn mit der Bitte, wem er die Kette mit dem Medaillon übergeben sollte. Franz rieselte es kalt über den Rücken. Was ist mit dem Traktor, als er mehr stolpernd als gehend zum Haupthaus ging. Matthew nahm aus dem mitgebrachten Werkzeug des Jungen einen Seitenschneider. Er wurde ruhiger. Nun kroch er vorsichtig auf den Rücken unter den Traktor bis knapp unterhalb der Batterie. Dort hingen tatsächlich in einer Schlaufe die Drähte. Wenn der blaue bis dorthin ohne Vertauschen geführt worden war, müsste er hier einen höheren Wert haben, als der rote. Besser nochmals überprüfen. Also wieder zurück, Kippschalter betätigen, unter den Traktor und messen. Dies wollte er bestätigt wissen. Tatsächlich, der kleine blaue Draht hatte auch unter dem Traktor einen höheren Wert. Also das ganze nochmals. Den Kippschalter in die Ausgangsposition. Nun ging es ans Ganze. Dieses Mal gab es kein zurück. Matthew dachte an seinen Großvater. „Niemals aufgeben“, hatte er oftmals gehört. Auch an einen Kameraden musste er denken. Dieser einst knapp vor dem Ziel, war vermutlich durch seine zitternde Hand nicht fähig die Leitung zu durchtrennen, in einer Explosion umgekommen. Matthew kroch mit dem Seitenschneider in der rechten Hand diese Mal besonders vorsichtig auf eine Stelle, die es ihm ermöglichen sollte den blauen Draht zu durchtrennen. Verharrte kurz und durchtrennte mit aller Kraft den blauen Draht und anschließend den anderen. Der Stromanschluss war nun unterbrochen. Nun musste das Päckchen von der Batterie weg. Es hing immer noch mit Klebebänder daran. Diese hafteten aber nicht gut an der Batterie. Vermutlich war auch an Erschütterungen gedacht worden, um das Päckchen zum Leben zu erwecken. Damit hervorzukommen ohne irgendwo anzustoßen, war schwieriger als er es sich gedacht hatte. Als er endlich wieder hervor war, stand Franz daneben. „Das Frühstück ist fertig“, sagte er. „Und was willst Du mit diesem Zeug?“ „Das muss ich loswerden. Befindet sich hinter der Mauer eine Straße oder etwas Wichtiges.?“ „Keineswegs, eine Wiese und ein Feldweg. Anschließend Felder und Wald.“ „Was hast du denn da unten getrieben, alles ist schmutzig, die Hose und das Hemd“. „Das erzähle ich dir später“.

Franz immer noch vom Geschehenen beeinflusst, reichte ihm das Medaillon. Die kyrillischen Schriftzeichen auf der Rückseite dieses kleinen Anhängers waren ihm nicht entgangen. Verwundert war er aber über die zierliche Kette. Diese Kette war vermutlich für eine Frau gedacht. Wie musste sich dieser Fremde vorhin gefühlt haben. Und dieser, als ob nichts gewesen wäre, fragte einfach, ob sich hinter der Mauer freies Land befände. „Das Ding hier loswerden, ist das nicht gefährlich?“ „Wenn ich sehr vorsichtig gehe, nicht stolpere und bis zur Mauer komme, ist das Ärgste vorbei“. Schon war Matthew unterwegs. Franz kehrte zum Haus zurück und hoffte auf gutes Gelingen. Jetzt wurde ihm auch die Angst bewusst, mit der er die ganze Zeit schon kämpfte. In all diesen Jahren nach Abzug der Russen und dem Tode seiner Frau lebte er hier in Frieden. Als ihm die Arbeit wegen seines Rückenleidens zu schwer wurde, fing er an, die Ländereien zu verpachten. Viel brachte es nicht, aber er hatte genug zum Leben.

Eines Tages war die Ruhe zu Ende. Eine dunkelhäutige Familie bat eines Tages vor dem Tor um Wasser. Der Mann war fast am Zusammenbrechen. Der Frau, abgehärmt und mit wenigen Habseligkeiten am Rücken, schaute der Hunger aus den Augen. Ein kleines Mädchen mit wunderschönen grünen Augen, lugte ängstlich hinter der Mutter hervor. So erschien es ihm damals. Er war gerade mit der Zubereitung seines Mittagessens beschäftigt. Er erbarmte sich dieser armen Teufel und lud sie ein, weiterkommen. Der Mann deutete mit der Hand nein, nein, bitte Wasser. Franz holte Wasser. Hastig leerte der Mann den Krug und bekam einen Hustenanfall. Immer noch standen sie außerhalb des Tores. Franz winkte ihnen einzutreten. Das Mädchen nahm ihre Mutter und zog sie in den Innenhof. Der Mann folgte ängstlich. In der Wohnstube kauerten sie sich vor dem Tische hin. Franz brachte kaltes Fleisch und Brot. Zögerlich begannen sie zu essen. Keineswegs hastig oder gierig, wie er es von den russischen Soldaten gewohnt war. Die Gesichtszüge der Frau, die einst eine Schönheit gewesen sein musste, erhellten sich allmählich. Zuerst wollte der Mann nichts essen, dann nahm er aber doch ein Stück Brot und kaute langsam. Franz sagte ihnen, sie würden später noch ein warmes Essen bekommen. Eine Gemüsesuppe, Salzkartoffeln und den Rest eines Schinkens. „Nein, nein, haben Sie vielen Dank, wir müssen weiter.“ sagte der Mann. „Wohin denn, Sie können sich ja nicht auf den Beinen halten.“ „Zum Schloss“ hauchte das Mädchen. Das hätte sie nicht sagen sollen. Die Frau wollte sie deshalb schlagen. Franz fuhr dazwischen und verhinderte einen kräftigen Schlag. „Wir sind auf der Flucht“ kam es nun von dem Mann. “Wir haben tagelang keine warme Nahrung zu uns nehmen können. Unser Essen bestand aus den Resten, das auf den Feldern übriggeblieben war. Wir kommen aus Ungarn. Diese Kleine ist uns anvertraut worden. Sie ist dem Massaker entkommen. Ihre Eltern hatte man noch in der Nacht abgeholt. Von ihrem Schicksal wissen wir nichts. Die anderen auf dem Gutshof Lebenden wurden erschossen. Wir waren zu Fuß unterwegs, in der Hoffnung das Schloss zu finden, von dem unser Patron immer gesprochen hatte. „Welches?“ fragte Franz. “Es gibt hier mehrere“. „Wir kennen den Namen nicht“ sagte der Alte. Dann stürzte er zu Boden und verschied. Seine offenen Augen starrten zur Decke.

All das hatte Franz zu verdrängen versucht. Jetzt war es ihm als ob es gestern gewesen wäre. Dazu der Sprengstoffanschlag an seinem neuen Traktor. Wer könnte dahinterstecken. Doch nicht seine freundlichen Nachbarn? Wer kann schon in den anderen Menschen hineinschauen. Neid und Missgunst gab es viel in diesem Ort. Oftmals bin ich gefragte worden, ob ich nicht doch verkaufen wolle. Aber ich habe immer abgelehnt. Liegt es daran? Will man mich von hier vertreiben? Beunruhigt folgte er aber der Anweisung von Matthew und ging Richtung Straße. Dieser Ami, was will er hier? Er kam mit einem ausgeliehenen Fahrrad und machte einen unscheinbaren Eindruck. Der Auftritt mit dem Bürgermeister, der mit Furcht im Gesicht ihm begegnet war, das hatte er bemerkt. Er war unterwegs gewesen, jemanden zu finden, der das Fahrrad zurückstellen sollte. Die Menschentraube vor seinem Haus war nicht zu übersehen gewesen, als er zurückkam. Zu seinem neuen Traktor war er gegangen und wollte ihn starten. Er tat, wie man es ihm gezeigt hatte. Das rote Licht erschien flackernd. Eine Taube flog vom Dach und ließ etwas auf die Windschutzscheibe fallen. Das wollte er säubern. So stellte er den Kipphebel zurück, holte Wasser vom Brunnen, entfernte den Fleck und versuchte den Traktor zu starten. Kein grünes Licht. Kipphebel retour und zu Matthew um Hilfe. Dieser folgte etwas unwillig, versuchte es ebenfalls, nachdem er den Vorgang genau hinterfragt hatte. Dann schickte er mich zu Andreas. Alleine gelassen, muss er etwas gefunden haben, worüber er nicht gesprochen hatte. Was er aber zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, das wenige, das die Windschutzscheibe verunreinigt hatte, war zu schwach gewesen um eine Erschütterung des Traktors herbeizuführen. Die Übergabe der Kette mit dem Medaillon und das angespannte Gesicht des Fremden, sowie die Bitte, es gegebenenfalls an eine bestimmte Person auszuhändigen, das kam im schon sehr bedenklich vor. Wenn in diesem kleinen Packet nur ein Knallkörper enthalten war, weshalb diese Vorsichtsmaßnahme. Es war sicherlich kein Knallkörper. Und er ist auch kein Automechaniker.

Matthew trug unter größter Vorsicht das mit Kunststoff umwickelte Packet mit beiden Händen zur Mauer. Angekommen, legte er das Packet ab, kletterte hoch und vergewisserte sich, ob dahinter alles frei wäre. So war es auch. Er hörte Motorgeräusch. Dem Klang nach ein Benzinmotor. Matthew duckte sich hinter der Mauer. Das Fahrzeug fuhr auf dem Feldweg und streifte immer wieder den Boden. Nach der Kurve erkannte er einen alten Jaguar, der nahezu in der Nähe der Mauer angehalten wurde. Drei Männer, gut gekleidet mit gebräunten Gesichtern, Faustfeuerwaffen in der Hand, sprangen heraus. Sie liefen Richtung Dorf. Matthew kletterte herunter, holte das Packet, kletterte hoch und schleuderte es auf den Jaguar. Sprang herunter und lief so rasch er konnte von der Mauer weg. Keine acht Meter war er gekommen. Ein Feuerball stieg hoch. Der Luftdruck warf ihn zu Boden. Mit beiden Händen bedeckte er seinen Kopf. Blätter, Äste und Zweige prasselten auf ihn herab. Weitere Explosionen folgten. Eine riesige Staubwolke wälzte sich entlang der Mauer hin zum Dorf. Ein Teil des Staubes, der vom Feldweg und dem anschließenden Acker stammte, kam nun auch über die Mauer. Die Sicht war eingeschränkt. Matthew blieb am Boden liegen. Verletzt war er nicht. Er wollte aber die Staubwolke, die innerhalb des Grundstückes sich nun in der Richtung zum Tor bewegte, abwarten. Dumpf waren die Schläge vom nahen Glockenturm zu hören. Flammen schossen aus dem Jaguar hoch, von Explosionen begleitet. Höher als die Mauer war der Feuerschein. Das war kein Lausbubenstreich. Damit hatte auch Matthew nicht gerechnet. Im Auto muss Munition gelagert worden sein. Vielleicht auch TNT. Die Männer im Auto, die hatten mit dem erst kürzlich demontierten Packet nichts zu tun. Die hatten andere Interessen verfolgt. Aber welche? Das wäre für sie eine Nummer zu groß gewesen. Matthew musste lachen. Seine Anspannung ließ nun ab. Sein wahrhaft ununterbrochenes Training, seine Präzision und die Geduld seiner Ausbildner, die immer wieder darauf hingewiesen hatten, mit dem Schlimmsten zu rechnen, waren es, die ihm und den anderen in diesem Gehöft das Leben gerettet hatten. Seine Knie schmerzten. Das kam davon, als er zu Boden geschleudert worden war. Über das zerstörte Fahrzeug machte er sich keine Gedanken.

Matthew rappelte sich hoch und ging stolpernd zum Haupthaus. Alle Fensterscheiben waren zerstört. Das Mädchen, das er in einen der Häuschen gesehen geglaubt hatte, das war kein Mädchen, sie war älter. Sie kam ihm mit blutenden Händen und Tränen im Gesicht entgegen. Sie umarmte ihn, hielt sich an ihm fest und zitterte. Matthew sagte nichts. Er strich ihr über das Haar. So standen sie mehrere Minuten ohne ein Wort zu wechseln. Sie hatte mit angesehen, wie er unter den Traktor gekrochen war und den Jungen, der eine kleine Tasche mit sich getragen hatte. Der aber weggeschickt wurde. Sie hatte auch gesehen, wie Matthew an Franz etwas übergab, das unter seinem Hemd verborgen war. Es schien ihr wie ein Abschied zu sein. Die Angst überwältigte sie. Die vor langer Zeit erlangte Sicherheit war verschwunden. Dieser fremde Bauer, der sich um sie wie ein Großvater bemühte, war keine wirkliche Sicherheit. Franz hatte ihr nach dem Tode ihrer Zofe mit Hilfe des ehemaligen Bürgermeisters eine Aufenthaltserlaubnis erwirkt. Eine Schulausbildung angedeihen lassen und ihr ein Heim geboten. Die Explosion und deren Folgen riefen längst verdrängte und vergessen geglaubte Erinnerungen hervor. Diese kleine schwarz-weiße Katze, die gehörte ihr. Diese Katze hatte sie miauend in das Nebenzimmer gelockt, während Matthew zur Mauer unterwegs war. Die Katze hatte sich an ihre Beine geschmiegt und wollte hochgehoben werden. Sie musste sich der Katze annehmen. Ein gewaltiger Knall zerriss die ländliche Stille. Die Fenster sprangen trotz Verriegelung auf, die Scheiben wurden zerstört und Splitter regnete es in den Hof und in das Zimmer auf jenen Platz, den sie kurz vorher noch eingenommen hatte. Ein lodernder Feuerschein und eine riesige Staubwolke, die über den Hof hinwegfegte, folgte. Als sie denn Fremden heran wanken sah, lief sie ihm entgegen. Er hatte überlebt. Matthew ließ sie einige Zeit gewähren, nahm ihre blutverschmierte Hand und sagte ‘Komm!“. So gingen sie Hand in Hand zum Haus an der Straßenseite. Alles war voller Staub und Dreck. Keine Fensterscheibe war unbeschädigt geblieben. Die einstige Stille wurde immer wieder vom Knall einer Patrone, die in der Hitze zersprang, unterbrochen. Die Glocke am Turm hatte ihr Leuten eingestellt. Dem nun einsetzenden Lärm der Bevölkerung schenkten sie keine Beachtung. Matthew begann ihre Wunden, hervorgerufen von kleinen Splittern, zu säubern und zu verbinden. Das schöne schwarze Haar, geschnitten zu einem Bubikopf, umrahmte ihre unübersehbaren Backenknochen. Ein Gesicht, das ihn an Frauen in den Staaten erinnerte. „Wie ist dein Name?“ wollte er wissen. er bekam keine Antwort. Sie lächelte und sagte kein Wort. Oftmals war sie Dorfbewohnern begegnet, die ihr zu verstehen gaben, sie nicht zu mögen. Ihre Abstammung wollten sie aber wissen. Die standen ihr nicht zur Seite und boten ihr auch keine Hilfe. Nur Franz hatte ohne viele Fragen ihr ein Dach über den Kopf gegeben und sich beim ehemaligen Bürgermeister für sie eingesetzt. Kinder hatte er keine mehr. Die waren auf den Schlachtfeldern im Osten und Westen verschollen. Als seine Frau durch diesen Kummer verstarb, stand er mit einem beachtlichen Besitz alleine da. Vieles hatte er verpachtet und führte ein zurückgezogenes Leben. Den Neid der Nachbarn bekam er immer wieder zu spüren. Dieser wurde auch auf das junge Geschöpf übertragen. Viel sinnloses Getratsche und Geschwätz füllte den Tagesablauf der Männer und Weiber, deren einziges Vergnügen darin bestand, über andere los zu ziehen.

Sie nahm die rechte Hand von Matthew und drehte sie langsam und die Handfläche mit all den Linien war deutlich zu erkennen. Seine Hände hatte er noch vor seiner Hilfeleistung gesäubert. Die hellen Handflächen bildeten einen starken Gegensatz zu seiner verstaubten und schmutzigen Gestalt. Einige Zeit sprach sie kein Wort. Sie glitt mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand den Linien nach. Dann sagte sie mit klarer Stimme „Ich danke dir vom ganzen Herzen. Heute hast du mir das Leben gerettet.“ Einige Zeit war sie still. Eine neuerliche Anspannung war auch bei Matthew eingetreten. Diese übertrug sich auf Franz, der eben bei der Tür hereingetreten war und mit offenen Mund dem nun Folgenden lauschte. „Du kommst von weit her. Dort bist du nicht geboren. Du hast Schlimmes hinter dir, aber viel Schlimmeres noch vor dir. Du wirst sehr alt werden. Des Rätsels Lösung wird dir lange verborgen bleiben. Vertraue auf deinen Mut und Geschicklichkeit. So wirst du gesund bleiben. Mein Name ist Elvira, alle nennen mich aber Elli.“ Wie im Trance hatte sie gesprochen. Allmählich kehrten ihre Lebensgeister zurück und sie war wieder die junge Frau von vorhin.

„Zeig mir bitte dein Medaillon“ sagte sie plötzlich. Ihre Augen blickten voll Vertrauen in sein Gesicht. Das hatte Matthew nicht erwartet. Ohne Frühstück, voller Dreck und eben dem Tode entronnen, hatte sie ihm aus der Hand gelesen. Nun war sie ruhiger geworden und verlangte nach dem Medaillon, das er von seiner Halbschwester zum Abschied bekommen hatte. Er reichte es ihr. Langsam ließ sie die Kette durch ihre Finger gleiten. Ihm schien es, als ob sie diese Kette streicheln würde. Ohne Umschweife konnte sie das Medaillon öffnen. Fast wäre sie umgefallen und schwankend ergriff sie seine beiden Hände. „Herr, ich danke dir.“ und kurz darauf schwer atmend ‘Bist du es wirklich Isaac?“ Matthew wusste nicht, wie ihm geschah. Niemand kannte seinen zweiten Vornamen. Nicht einmal seine Dienststelle in der USA. Dort hatte man seinen Geburtsnamen Matthias in Matthew umgewandelt. Diese junge Frau identifizierte ihn als Isaac. Seine Halbschwester war es nicht. Wer war sie? Woher hatte sie die Gabe aus der Hand zu lesen und mit Bestimmtheit zu sagen, er wäre nicht in den Staaten geboren. Dieser offene, voller Erwartung auf ihn gerichteter Blick erforderte eine Antwort. Kaum merkbar nickte er. Sie fiel ihm um den Hals und hielt ihn lange fest. Franz, der in den letzten Stunden schon viel mitgemacht hatte, wurde Zeuge einer ungewöhnlichen Begegnung. Das war für ihn zu viel. Er stürzte in die Küche, genehmigte sich einen doppelten Kirschengeist und ließ die beiden allein.

An diesem Vormittag kündigte kein Umstand irgendein Unheil an. Der Bürgermeister, Eduard Schimmelhuber, war brummend in seine Amtsstube zurückgekehrt. Das Abenteuer mit Matthew hatte er noch nicht verdaut. An diesem Tag wollte er nach Krems. Einige DVD sollte er bei Bekannten abliefern. Diese waren verpackt und lagen im Kofferraum seines Fahrzeuges. Der Mercedes war frisch gewaschen und parkte direkt unter seinen Amtsräumen am Hauptplatz. Auch eine Besprechung, wie er es seiner Sekretärin mitgeteilt hatte, war angesagt. Seine Frau wüsste davon, ließ er verlauten. Die Sekretärin vermutete nicht zu Unrecht wieder eine seiner Eskapaden mit einem Flittchen, das immer anrief und um eine Unterredung fragte. Sie wurde niemals im Dorf gesehen. Immer wurde ein Treffen bei der BH vereinbart. Seine Sekretärin dachte sich, wenn er nur bald verschwinden würde, könnte der Tag auch für sie angenehmer werden. Eduard, eingekleidet in den neuen Jagdanzug war intensiv mit einem nach seiner Ansicht gut riechenden Parfum beschäftigt, das er auf sich versprühte. Maria, seine Sekretärin, war zum Fenster gegangen und genoss die hereinfallenden Sonnenstrahlen und die frische Luft. Dann nahm sie wieder ihren Platz ein und setzte ihre Arbeit fort. Sekunden später nur erfolgte ein ohrenbetäubender Knall. Die geöffneten Fensterflügel wurden aus den Angeln gerissen. Eine Druckwelle sprengte die Türe. Dreck und schwarzer Rauch füllte das Amtszimmer, fegte Papier vom Schreibtisch und verteilte es am Boden. Aktenmappen, kürzlich noch in Reih und Glied auf der Stellage, wirbelten durch die Luft und stürzten ebenfalls auf den Boden. Der Wind trieb Äste und Blätter, die von der Explosion von den Bäumen und Büschen gerissen worden waren, vor sich her. Die Tauben erlebten einen nie da gewesenen Luftzug, der einem Sturm nicht unähnlich war und sie überall hinschleuderte. Die Glocken der Kirche begannen zu ungewohnter Stunde zu läuten. Der frisch gewaschene Mercedes wurde in eine Dreckwolke gehüllt. Immer mehr Staub strömte in die Amtsstube. Dieser kam von einer Stelle außerhalb des Dorfes, wo weithin sichtbar ein großes Feuer loderte.

Durch die aufgerissene Tür stürmten drei einst in Maßanzügen gekleidete Männer, gefolgt von einer weiteren Staubwolke. Nun waren sie keineswegs in elegantem schwarz, aber unansehnlich in grau. Die Aktenstücke am Boden, das eben Geschehene noch nicht überstanden, bekam Maria einen Schreikrampf. Ihre gefärbten blonden Haare in Unordnung, ihre ehemals weiße Bluse leicht geöffnet, konnte sie sich auf den roten Stöckelschuhen, die ihr Chef so gerne sah und manchen Tippfehler ignorierte, kaum auf den Beinen halten. Der Bürgermeister, aus seinem Zimmer kommend, wurde von den Männern in die Mitte genommen. Einer schnappte sich seinen Springer und legte diesen unmissverständlich an den Hals von Eduard, der sein sonst herrisches Auftreten vergaß. „Ein Fahrzeug ‘schrie dieser. „Keinen VW oder einen anderen Klapperkasten, unseres wurde soeben in die Luft gesprengt. Wo ist unser Geld?“ In der Meinung, der Bürgermeister wäre für die Sprengung verantwortlich. Schließlich war er es, der in einem Drogentransport verwickelt war. Davon gab es aber keinerlei Kenntnis im Dorf. Die mittlerweile erschienenen Gendarmen zogen sich beim Anblick der vom Staub bedeckten Männer mit den eigenartig geformten Faustfeuerwaffen sofort zurück. Maria nützte diesen Umstand und schlüpfte in das Zimmer ihre Chefs, um ihr Aussehen zu verbessern. Das sind auch nur Männer, sagte sie sich. Die gefärbten Haare geordnet, ein wenig Make-up ergänzt, die Lippen mit einer neuen Farbe versehen und den knallroten hohen Stöckelschuhen war sie einer Bordstein Schwalbe eher ähnlich als einer braven Büroangestellten im Rathaus eines kleinen Dorfes. Der Bürgermeister wollte seine ungebetenen Gäste loswerden. Das Messer des Ganoven drückte unangenehm gegen seinen Hals. Aus Furcht vor einem drohenden Schnitt, suchte er nach seinen Autoschlüsseln. Diese befanden sich in seiner rechten Hosentasche. Dies wurde missverstanden und er bekam einen kleinen Schnitt. Das Blut färbte sein neues Hemd rot. „Autoschlüssel, Hosentasche” krächzte er. Die waren bald gefunden und der Anhänger mit dem Stern deutete auf das Fahrzeug, das unter dem Fenster stand. Dieses Fahrzeug war nun ebenfalls voller Staub. „Wohin ist die Biene entschwirrt?“ schrie einer der drei. Während er mit dem Colt mit dem langen Lauf Rohr vor der Nase des Bürgermeisters herumfuchtelte. „Ah, da ist sie ja“, als sie im Nebenzimmer versuchte ihre Bluse wieder zu schließen. In der Aufregung bekam sie den Knopf nicht zu. Zwei übernahmen sie und schleiften sie zur Tür hinaus, während einer mit seinem Colt auf den Bürgermeister zielte. Einer der Schlüssel passte, die Tür wurde aufgerissen, die Blondine hineingestoßen und ab ging es durch die sich schon versammelte Menge. Die waren gekommen, ihre Schäden bekanntzugeben. Vielen von ihnen war nun Maria in diesem Aufzug völlig neu. Diese Erscheinung hatten sie noch nie gesehen. Für die Bevölkerung war sie eine biedere Frau. Die Nachricht darüber verbreitete sich rascher, als die über den noch immer brennenden Wagen. Die freiwillige Feuerwehr, inzwischen eingetroffen, versuchte vergeblich den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Immer wieder kam es zu kleinen Explosionen und die Flammen wurden stärker. In die Nähe getraute sich Niemand. Daneben im Feld brannte es ebenfalls. Dorthin war der Kofferraumdeckel geschleudert worden. Die Stoppeln waren in Brand geraten. Um ein Übergreifen der Flammen auf die Häuser zu verhindern, wurde Hilfe aus anderen Dörfern angefordert.

„Kapitel 3“

Kasimir Blümelblau, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, war nicht immer dem Rat seiner Mutter gefolgt. Diese verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Schneiderin. Sie hatte ein aufgewecktes Kind, dem der harte Alltag seiner Mutter nicht bewusst war. Er war immer fröhlich und voller Unsinn. Nach Beendigung der Grundschule gab es kein Geld für eine weitere Ausbildung. So folge er der Idee seiner Mutter in der Verwaltung Fuß zu fassen. Er sollte in der Stadtverwaltung beginnen. Das widersprach seiner Ansicht. Er wollte zur Polizei. Die vielfältige Tätigkeit des Polizeiapparates war für ihn Anlass, sich dort zu bewerben. Das Aufnahmeverfahren war mit vielen Befragungen und Erhebungen verbunden gewesen. Kasimirs Träume wurden keineswegs erfüllt. Seine tägliche Arbeit bestand darin, in einem verstaubten kleinen Zimmer Karteien zu ordnen. Jedes Mal, wenn er in der Früh zur Arbeit kam, brausten junge Männer auf schnittigen Maschinen zum Tor hinaus. Das wäre etwas für mich. Führerschein hatte er noch keinen. Heimlich holte er es nach. Seiner Mutter sagte er davon nichts. Für sie war Motorradfahren das Letzte. Den Unfall ihres Mannes hatte sie noch nicht vergessen können. Dieser arbeitete als Lastwagenfahrer. Da der Arbeitsplatz sehr weit entfernt war und ein öffentliches Verkehrsmittel dorthin nicht fuhr, nahm sein Vater täglich die Maschine. Treffpunkt mit seinen Kollegen war immer fünf Uhr in der Früh in einer Garage, wo in der Nacht Servicearbeiten durchgeführt wurden. Eines kalten Wintermorgens mit wenig Schnee auf der Straße sagte er ihr noch beim Schließen der Türe, sie soll achtgeben auf ihren Weg zur Arbeit. Sein Lachen konnte sie noch hören, während sie die Türe schloss. Später, bei Einbruch der Dunkelheit kam die Angst, die nie zuvor so stark war. Er kam nie wieder.

Die folgenden Jahre waren sehr bitter. Es fehlte das Einkommen des Vaters. Die Spenden der Kollegen waren bald verbraucht. Seine Mutter, eine attraktive Frau, legte nun weniger Wert auf ihr Äußeres. Oftmals weinte sie in der Nacht. Dies wirkte sich auch auf Kasimir aus, der nicht wusste, wie er ihr helfen könnte. An ein Studium war nicht zu denken. Damit landete er im Verwaltungsdienst. Er bestand den Führerschein und sparte auf ein Motorrad. Damit war er immer mit Freunden in der Freizeit unterwegs. Auf eine glückliche Rückkehr hoffte seine Mutter.

In seiner Dienststelle hatte er einen älteren Vorgesetzten mit grauen Haaren und Hornbrille. Dieser war versessen auf ein System, das lange schon nicht zeitgemäß war. Jeglicher Versuch von Kasimir Neues einzuführen, das ein rascheres und effizientes Arbeiten ermöglicht hätte, wurde im Keim erstickt. Blaumeise, so war der Name des Vorgesetzten, war alles verhasst, das nicht nach seiner Vorstellung durchgeführt wurde. Allmählich begriff Kasimir, er hatte Angst vor Veränderungen. Bei der Erwähnung einer eventuellen Computer Umstellung war es vor Wochen zu einem Wutausbruch von Blaumeise gekommen. Kasimir überdachte seine Lage und sann darüber nach, wie er in eine Abteilung gelangen konnte, die schon mit Computer ausgerüstet war. Seine gute Beschreibung wollte er keineswegs verlieren und folgte den Anweisungen von Blaumeise mit großer Umsicht. Dieser, verwundert über den Wandel seines Mitarbeiters, sagte sich, man muss es nur den jungen Burschen zeigen, wer das Sagen hat.