Todessound - Roman Moore - E-Book

Todessound E-Book

Roman Moore

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Beschreibung

Weihnachten 1970 bringt für die Bewohner des kleinen Dorfes in der Nähe von Krems unangenehme Überraschungen: heftige Schneefälle und starken, tagelangen Wind. Obendrein ein Rudel von Wölfen. Die Bewohner sind nach der Hilfe der Amerikaner, die einen Krieg verhindert haben, wieder in einen Dämmerschlaf versunken und schenken der Meldung zunächst keinen Glauben, doch die Wölfe dezimieren schon bald die Schafe der Bauern und niemand traut sich mehr auf die Straße. Die Jäger versuchen erfolglos, die Wölfe in der Eiseskälte zur Strecke zu bringen. Doch auch der KGB hat starkes Interesse an diesen Tieren, die über den Todesstreifen des Eisernen Vorhanges nach Niederösterreich entkommen sind. Die Amerikaner, die lange vergeblich versucht haben, Wölfe für den Kriegseinsatz zu trainieren, haben dabei keinen Erfolg gehabt, nun aber werden Agenten der CIA nach Österreich geschickt, um dieser Tiere habhaft zu werden. David und Samuel sind die ersten Leute der CIA, die noch bei schönem Wetter zu Elli geschickt werden. Ein nicht vorhersehbarer Wettersturz bringt Sturm und Schneeverwehungen. Schnell begreift Elli, dass es bei der Sache wieder um einen militärischen Einsatz geht. Den Amerikanern gelingt es schließlich, die Wölfe einzufangen. Einer muss bei Elli gesund gepflegt werden. Ihr Kontakt zur CIA und ihre Pflege des Wolfes bewirken eine Einladung aus Washington, mit der CIA offiziell zusammen zu arbeiten. Das ist aber keineswegs in Ellis Sinne. Sie will endlich ein friedvolles Leben führen. Es kommt aber anders…

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Roman Moore

TODESMELODIE

(Balls of Fire Teil 2)

Copyright: © 2018: Roman Moore

Satz & Umschlag: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Verlag und Druck:

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

978-3-7469-9506-9 (Paperback)

978-3-7469-9507-6 (Hardcover)

978-3-7469-9508-3 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Kapitel 1

Die langen Wochen, in denen der Nebel das Leben erschwerte und einen längeren Aufenthalt im Freien ungemütlich gestaltete, waren endgültig vorbei. Eine trockene, aber kalte Wetterperiode hatte diese Tage abgelöst. Im Haupthaus waren alle neuen Fenster mit doppelter Verglasung versehen worden. Dazu gab es elektrisch zu bedienende Rollos. Doch einige Fenster, die sich direkt auf den Innenhof richteten, waren mit aus Holz gefertigten Fensterläden ausgestattet worden. Es war ein Anliegen von Elli gewesen. Die aus Kunststoff gefertigten Rollos konnten wohl hochgefahren und jederzeit gestoppt werden, nicht aber eine Fensterhälfte in der Form bedecken, wie sie es wollte. Dazu waren ihr die aus Holz gefertigten Fensterläden vertrauter. Bei starker Sonneneinstrahlung schwenkte sie die Flügel teilweise zu, wie es ihr gefiel. Licht gab es dann genug in den Zimmern. Besonders in dem einen Zimmer, das nun verschiedene Funktionen einnahm. Bibliothek, Büro und auch ein Raum, um sich dort zurückziehen zu können und ungestört zu sein. Dieser Umbau, der noch vor dem Einsetzen der kalten Jahreszeit stattgefunden hatte, war auch von Franz begrüßt worden.

Warum habe ich in all diesen Jahren nicht daran gedacht und mir mein Leben und das von Elli so schwergemacht, kamen ihm immer wieder seine Gedanken. Froh war er, dass Elli den Hof übernommen hatte. Er musste sich nun nicht mehr um alles kümmern. Die Amerikaner, die noch vor wenigen Wochen auf diesem Gehöft stationiert gewesen waren, hatten Elli in kurzer Zeit eine selbstbewusste Frau werden lassen. Ihrem Einfluss hatte sie es zu verdanken über sich hinauszuwachsen und allen Belastungen gerecht zu werden. Die Tage der Angst, wohin sie gehen sollte, wenn Franz eines Tages nicht mehr leben würde, waren noch nicht vergessen. Auch nicht die überstandenen Kampfhandlungen, die das Gehöft nahezu zerstört hatten.

Elli sass in ihrem Büro und bemühte sich für Andreas einen Pullover zu stricken. Es sollte ihre persönliche Weihnachtsüberraschung für Andreas werden. Einfacher wäre es gewesen, einen zu kaufen. In Krems waren ihr viele Strickwaren in den Schaufenstern aufgefallen. Aber in Krems war ihr auch der Gedanke gekommen, diesen Pullover selbst anzufertigen. Dort, wo sie die Wolle gekauft hatte, fand sie auch Anleitungen. Damit, sowie dem freundlichen Hinweis der Verkäuferin, andere Kundinnen haben ebenfalls einmal beginnen müssen, war Elli überzeugt, es würde auch ihr gelingen. Immerhin hatte sie den Umgang mit Waffen erlernt, alle Kampfhandlungen nahezu unbehelligt überstanden und nun auch den großen Bauernhof übernommen. Daran hatte sie in all diesen Jahren nie gedacht. Aber ihre erste Strickarbeit erwies sich keineswegs so einfach, wie es sie sich vorgestellt hatte. Als Vorlage diente ein alter völlig abgetragener Pullover von Andreas, den sie von seinen Eltern ausgeliehen hatte. Nichts hatte sie ihnen darüber erzählt, wie der neue Pullover aussehen und wer ihn anfertigen wird. Vorder- und Rückteil, das war ihr sehr rasch gelungen. Die Ärmel mussten immer wieder neu begonnen werden. Sie konzentrierte sich auf ihre Arbeit so sehr, dass es ihr entging, wie die Katze die Wollknäuel aus dem Korb zu ihren Füssen entfernte und sie im Zimmer aufrollte. Andreas hatte lange vor Beginn der Kampfhandlungen dazu beigetragen ihr und das Leben der anderen zu bewahren. Somit war es nicht nur ein Weihnachtsgeschenk, es war ein Dankesagen. Dazu von ihr, die niemals das Stricken erlernt hatte. Es musstet gelingen. Auch das Läuten des Telefons nahm sie nicht wahr. Es befand sich in einem der Zimmer nebenan. Alle Türen waren einen Spalt offen. Franz hörte nichts. Die Sportübertragung war sehr laut und das Fußballspiel interessierte ihn mehr als alles andere.

Plötzlich schreckte sie auf und lief zum Telefon. Es war der Pfarrer. »Ist es zu spät, um auf einen Sprung vorbeizukommen?«

»Ist es so dringend?«

»Ja«

»Bitte, kommen Sie«

Elli war irritiert. Es musste etwas nicht Vorhersehbares eingetreten sein. Immerhin war es später Nachmittag und es begann dunkel zu werden. Kaum hatte sie die Fensterläden geschlossen und die Stehlampe angeknipst, läutete es am Tor. Elli schlüpfte in einen Umhang und ging zur Pforte. Die Flutlichtstrahler leuchteten den Hof taghell aus und dem Pfarrer ins Gesicht. Sie bat ihn in die Stube zu kommen. Das wollte er aber nicht.

»Snowman hat mich vor wenigen Minuten angerufen.«

»Er hat sich erkundigt, wie es Dir und Franz geht. Er wollte auch wissen, wie die Reparaturarbeiten bei den Häusern verlaufen«

»Hat er irgendetwas über Matthew und John gesagt? Seit ihrer Abreise gab es weder ein Telefongespräch, noch einen Brief«

»Nichts hat er mitgeteilt. Ich glaube aber, es wird bald eine Überraschung geben.«

Damit hatte der Pfarrer alles gesagt, wünschte einen schönen Abend und ging. Elli war beunruhigt. Warum hat er nicht bei ihr angerufen. Bin ich den Leuten in Washington so fremd? Die letzten Wochen waren hart genug gewesen. Den Nachbarn war sie beigestanden, ihre Beschädigungen reparieren zu lassen. Die kleinen Häuschen hatten noch ein Dach bekommen. Der Rohbau war bei allen abgeschlossen aber nur eines war bezugsfertig geworden. Die Außendämmung an der Grundgrenze war durchgeführt worden. Sie hatte die Nachbarn überreden können und diese hatten ein Einsehen gehabt. Die Baulichkeiten standen exakt an der Grundgrenze und die Dämmung ragte in das Gebiet der Nachbarn hinein. Der Stacheldrahtverhau auf der neuen Mauer Richtung Wald, den die Amerikaner noch angebracht hatten, den durfte Elli behalten. Darüber hatte es heftige Diskussionen im Rathaus gegeben. Ihre Argumente, mit einem alten Mann alleine in diesem Gehöft zu wohnen, das sollte man überdenken.

»Falls man unbedingt an einer Demontage interessiert wäre, müsste sich die Behörde mit einem eventuellen Eindringling auseinandersetzen, der von ihr mit der Schusswaffe Treffer abbekommen würde. An der Pforte gäbe es eine Glocke. Alle friedliebenden Menschen würden sich dort anmelden.«

Da ihr Schießkunst bekannt war, gab es daraufhin keine weiteren Kommentare. Das Zimmer für Tamara, Matthews Schwester befand sich nun in einem sehr behaglichen Zustand. So konnte sie kommen, wann immer sie wollte. Das eigene Bad, wie sie es sich vorgestellt hatte, das musste bis zum Frühjahr warten. Aber in der alten Dusche war nun eine Heizung. Was Elli fehlte, war ein Gedankenaustausch. Franz, der sie als Kind aufgenommen und der ihr auch den Hof überschrieben hatte, war nun froh, sich um nichts mehr kümmern zu müssen. Marie, die Winzerin, die ihr die Hilfskraft für das Haupthaus vermittelt hatte, wohnte nicht im Dorf. Elli besaß nun das Auto, mit dem die Amerikaner unterwegs gewesen waren. Zu Marie zu fahren, das erforderte Zeit. Wegen jeder Kleinigkeit zu Marie zu fahren, wollte Elli nicht. Es gab vieles, woran Elli dachte. Notwendig wäre es gewesen, darüber zu einem Menschen zu sprechen, der die Angelegenheit nicht aus der Sicht eines Landwirtes betrachten würde.

Alles war erfolgreich verpachtet worden. Wozu alles behalten? Das war nur eine der vielen offenen Fragen. In den letzten Wochen hatte Elli wenig Zeit für sich gehabt. Nun wollte sie aber mehr Ruhe und die französische Sprache, die sie als Kind beherrscht hatte, auffrischen. Tamara schickte ihr regelmäßig Paris Match. Vieles verstand sie nicht. Mit einem Wörterbuch konnte sie aber den Sinn verfolgen. Die Haushaltshilfe, die war nicht nur eine Hilfe. Auf sie konnte sich Elli verlassen. Fallweise brachte die junge Dame Vorschläge ein, die Elli sehr gefielen und die von ihr akzeptiert wurden. Elli war auch überredet worden, dem Jagdverein beizutreten. Doch beim Preisschießen hielt sie sich zurück. Sollen doch andere die Pokale nach Hause tragen. Im eigenen Keller trainierte sie aber regelmäßig, was ihr Matthew und John beigebracht hatten. Nicht umsonst habe ich es gelernt mein und das Leben anderer zu verteidigen, waren immer wieder ihre Gedanken.

Nachdem der Pfarrer gegangen war, verstaute sie ihre Strickarbeit und bereitete das Abendessen vor. Franz wollte nach dem Essen noch einen Kriminalfilm ansehen.

»Möchtest Du Dir diesen Film auch ansehen?«

»Nein danke, ich muss noch eine andere Arbeit fertigstellen.«

Ihre Gedanken waren bei der Strickarbeit des Pullovers. Davon sollte aber auch Franz nichts wissen. Auch für ihn wird es eine Überraschung sein. Ihre Gedanken waren dadurch abgelenkt und das Gespräch mit dem Pfarrer bald vergessen.

Während sie sich wieder der mühevollen Strickerei widmete, läutete das Telefon.

»Hi« ertönte eine unbekannte Stimme. »Opa kommt«

Ein Klicken und die Leitung war unterbrochen worden. Am Display erkannte sie die Nummer aus Deutschland. Es irritierte sie ein wenig. Aber sie begann sich zu freuen. Müde ging sie zu Bett und fiel in einen tiefen Schlaf. Viele Träume begleiteten diesen. Am Morgen konnte sie sich an keinen mehr erinnern.

Kapitel 2

Sie wird ein solches Telefon noch schätzen lernen, hatte ihr Robert einst geraten. Billig war das Gerät nicht gewesen. Nun war sie die Einzige im Dorf, die einen solchen Apparat Wohnzimmer stehen hatte. Allmählich gewöhnte sich auch Franz an diese Technik und war damit zufrieden. Es bereitete ihm Vergnügen, die Nummer des Anrufers zu erkennen. Das ehemalige Telefon hatte seinen Platz im Keller gefunden. Es fiel ihr ein, am Tor hätte schon lange eine camera montiert sein sollen. Damit konnte man im Haus erkennen, wer davorstand. Immer wieder war gerade diese Montage verschoben worden. Der gestrige Anrufer hatte nur auf David hingewiesen. Ob er alleine oder in Begleitung kommen wird, war ungewiss. Ebenso der Zeitpunkt seines Kommens.

Kaum in die Küche zurückgekehrt, meldete das Radio überaus starke Sturmböen in Deutschland. Ebenso heftige Schneefälle. Auf einer Autobahn im Raum Hamburg war der Verkehr zum Erliegen gekommen. Ein Lastwagen war mit seinem Anhänger von den Sturmböen erfasst und umgekippt worden. Die Fahrbahnen waren nun blockiert und nachfolgender Verkehr hatte binnen nur wenigen Minuten einen kilometerlangen Stau verursacht. Auf anderen Straßenabschnitten kamen die Schneepflüge nicht weiter, da vor ihnen PKW und LKW ineinander verkeilt, die Fahrbahnen blockierten. In Frankfurt am Main wurden Flüge gestrichen und der Flugverkehr umgeleitet. Als Elli aus dem Fenster blickte, näherte sich ein graues Wolkenband. Das Fensterthermometer zeigte um 11 Uhr am Vormittag plus ein Grad an. Während sie zum Keller unterwegs war, eine Flasche für den Mittagstisch zu holen, setzte ein Flockenwirbel ein. Doch dieser hielt keineswegs an. Die Sonne lachte wieder. Ihr Auto stand Seite an Seite mit dem neuen Traktor in einem neu errichteten Schuppen. Beide Fahrzeuge waren gegen die Unbilden des Wetters geschützt. Während der Zubereitung des Mittagessens setzte wieder ein Flockenwirbel ein. Dieser hielt an. Das Thermometer meldete nun minus zwei Grad. Auf der Beaufortskala konnte sie Windstärke vier erkennen. Das Messgerät war noch von einem der Amerikaner am First montiert und eine Fernleitung ins Wohnzimmer verlegt worden. Das ermöglichte die Windgeschwindigkeit zu erkennen. Es dauerte einige Zeit bis die Flocken liegen lieben. Die nur kurze Sonneneinstrahlung hatte nicht ausgereicht, sie zum Schmelzen zu bringen. Es waren zu viele.

Beim Kellerabgang gab es eine Überdachung. Dort konnte man einen Schirm aufspannen. Unter dem nun herrschenden Wetter war dies zu vergessen. Für heute und morgen habe ich alles in dem Raum neben der Küche, waren ihre Gedanken. Hoffentlich kommen die bestellten Waren am Nachmittag, während sie die Suppe servierte. Franz hatte keine Lust die gemütliche Wohnung zu verlassen. Am NachMittag wollte er sich einen Film ansehen. Die Nachrichten über den Sturm und einer zehn Zentimeter hohen Schneedecke, die ständig wuchs, hatten ihn überzeugt, nicht das Freie aufzusuchen. Franz sass vergnügt vor dem Fernseher und Elli wartete gespannt auf ihre Bestellung.

Plötzlich läutete es. Sie nahm den Umhang und ging zum Tor. Der kleine LKW war mit Schnee bedeckt. Elli begrüßte die Männer und bat sie bis zum Kellerabgang zu fahren. Nachdem alles gelagert worden war, vermisste sie den Champagner Dom Perignon.

»Der war schon ausverkauft«

»Möchten Sie noch auf eine Tasse Kaffee oder Tee verbleiben?«.

»Vielen herzlichen Dank, sicherlich dann im Frühjahr, heute war es schwer genug durchzukommen. Wir sind einer Schneeräumung nachgefahren. Auf dieser kleinen Bundesstraße haben wir einige liegengebliebene Fahrzeuge erkennen können. Hoffentlich kommen wir wieder aus dieser Einöde hinaus. An einen Sturm und Schneefall wie diesen, daran können wir uns nicht erinnern.«

Der Fahrer hatte schon den Motor wieder gestartet und fuhr zum Tor. Im Anrollen wünschte er noch schöne Weihnachten und bedankte sich für das Trinkgeld. Elli schloss das Tor. Zumindest habe ich einige andere Flaschen Champagner, kamen ihr die Gedanken, als sie zum Haus ging. Es setzte ein heftiger Schneefall ein. In den nur wenigen Metern bis zum Haus wurde sie über und über mit Schnee bedeckt. Hoffentlich kommen sie gut nach Krems zurück. Den Schneeschieber und den Besen für den Hof nahm sie ins Haus. Ihre Gedanken begleiteten aber nicht nur die Lieferanten auf ihrer Heimfahrt. Auch David fiel ihr ein. Ist er jetzt bei diesem Wetter unterwegs? Die Rollos wurden heruntergelassen. Elli ging in ihr Zimmer und widmete sich der Buchhaltung. Zwei Stunden später öffnete sie nochmals die Eingangstüre. Die Strahler tauchten den Hof in ein gespenstisches Licht. Die Schneedecke war nun hoch genug, um die beiden Stufen in den Hof verschwinden zu lassen. Der starke Wind heulte und trieb ihr die Flocken ins Gesicht und einige davon auch ins Haus.

Die Mauer am Ende des Hofes war nicht mehr zu erkennen. Wer nun mit dem Auto unterwegs war, der war den Unbilden der Natur ausgesetzt. Wenn es nicht ein besonders starkes Fahrzeug war, welches auch im Gelände seinen Weg finden konnte, wird es hängenbleiben. Die Stromleitungen schaukelten. Der Schnee konnte auf ihnen nicht liegenbleiben.

»Wenn die Leitungen unzerstört bleiben, werden wir Strom haben« hörte Elli Franz, der zur Tür gekommen war. »Ich habe noch Kerzen und Petroleum im Keller. Notfalls müssen wir uns damit begnügen. Die Petroleumlampen werden mit Staub bedeckt sein. Sicherlich besser als nichts.«

Elli schloss die Türe. Es war ihr mulmig zu Mute. Franz war trotz seines Alters auch auf alle Notfälle bedacht gewesen. Kerzen hatte sie keine im Haus und auch keine bestellt. Sie ging und lud die Akkus der Taschenlampen auf. Wenn ich in den Keller muss, dann mit Licht. Franz wird sicherlich nicht die Kerzen holen. Ein Blick auf das Thermometer und die Beaufortskala belehrte sie mit minus drei Grad unter Null und Windstärke sieben.

»Hätte ich die Türe nicht mit Gewalt festgehalten. Sie wäre mir aus der Hand gerissen worden«. »Du erlebst nun einen nie da gewesenen Wintersturm. Gott sei den armen Teufeln gnädig, die nun auf den Straßen unterwegs sind. Selbst in den Kriegsjahren habe ich das nicht erlebt.«

Franz sass in seinem Lehnstuhl und seine Gedanken waren weit weg. Den Fernseher hatte er ausgeschaltet. Leise tickte die Uhr. Ab und zu flackerte die elektrische Beleuchtung. Elli getraute sich nicht, Franz in seinen Gedanken zu stören. Leise ging sie in ihr Zimmer. Plötzlich überfiel sie jene Einsamkeit und Verzweiflung, von der sie geglaubt hatte, entronnen zu sein.

Kapitel 3

David war mit Samuel schon seit Stunden unterwegs. Sie hatten einen neuen Geländewagen bekommen. Ihre Ausrüstung war für alle nur erdenkliche Fälle vorgesehen. Es war einer jener Fahrzeuge, mit denen man unbedenklich auch in der Wildnis einige Tage überleben konnte. Deutschland lag weit hinter ihnen. Unterwegs waren sie in jenes Dorf, wo Elli wohnte. In der Umgebung von Linz zeigte das Display:

»Heftiger Schneesturm im Raum St. Pölten. Minus 10 Grad Celsius Temperatur fallend. Wölfe aus Polen über die CSSR Richtung Österreich unterwegs«.

Bisher gab es nur einen starken Seitenwind. Der schwere Jeep bekam fallweise einen starken Windstoß ab, hielt aber die Spur. Der plötzlich einsetzende Flockentanz beeinträchtigte die Sicht. Mit einem ruhigen, bequemen Fahren auf trockenem Untergrund war es endgültig vorbei. Die Außentemperatur näherte sich 0. Noch vor einer halben Stunde hatten sie 10 Grad +.

»In dieser Gegend hat es nie einen Blizzard gegeben. Aber diese Entwicklung gefällt mir nicht« meinte David, der lenkte.

»Bisher konnten wir kleineren Fahrzeugen ausweichen, die der Sturm von ihrer Fahrspur auf die Überholspur getrieben hatte. Für uns ein Glück, keines ist am Dach liegen geblieben.«

David wollte wissen, was Samuel am Display gelesen hatte. Er teilte es ihm mit und setzte fort:

»Die Russen werden uns doch nicht zur Begrüßung Wölfe schicken. Vermutlich sind sie irgendwo ausgebrochen und nun Richtung Süden unterwegs. Möchte nur wissen, wie sie es über den Todesstreifen geschafft haben. Oder sie wurden heimlich über jene wenigen Übergangsstellen des Eisernen Vorhanges transportiert und in Österreich freigesetzt. Welchen Sinn soll das ergeben?«

David sagte nichts. Er hatte andere Informationen erhalten. Einen Teil kannte er schon. Die anderen waren in einem versiegelten Umschlag, den er in seiner Jacke trug. Den zu öffnen, das musste bald geschehen. Anderenfalls würden sie sich von selbst vernichten.

»Wenn wir Ketten anlegen müssen, wird einer von uns mit ungesichertem Gewehr danebenstehen. Keineswegs aber die Tiere töten.« verkündete David.

»Ich dachte wir sind auf Weihnachtsurlaub«

»Das sind wir auch. Und wenn wir schon davon sprechen, kennst Du unseren Auftrag?«

»Nein«

»Mindestens einen der Wölfe einfangen und wohlbehalten nach Deutschland transportieren«.

Samuel blieb vor Erstaunen der Mund offen. Er glaubte zu träumen.

»Ich habe es nicht verdient mit solch witzigen Bemerkungen konfrontiert zu werden.«

»Es ist kein Witz. Es ist die bittere Wahrheit. Es ist ein Befehl.«

Das musste Samuel überdenken. Die überstürzte Abreise. Der neue Jeep. All diese Ausrüstungsgegenstände. Und das fröhliche Lächeln des Kommandanten bei der Abfahrt. Samuel dämmerte es allmählich. Er war David mitgegeben worden, um unter der Bezeichnung eines Weihnachtsurlaubes ein offensichtlich nicht ungefährliches Top-Secret Unternehmen durchzuführen. In der Kaserne war darüber nichts bekannt geworden. Der erst vor wenigen Tagen eingeflogene neue Jeep, dem schenkte man keine große Beachtung. Laufend kam immer wieder eine unbekannte Ausrüstung. Samuel und David gewährte man nur kurze Zeit, um mit der Technik dieses Fahrzeuges vertraut zu werden. Dazu ein dickes Manual-Book. Der starke Schneefall bewirkte bereits eine zwanzig Zentimeter hohe Bedeckung der Fahrbahn. Die dreißig Zoll hohen Räder hatten damit kein Problem. Dennoch verringerte David das Tempo. Bald holten sie vorausfahrende Schneepflüge ein. David blieb hinter ihnen.

»Wenn die Russen Wölfe geschickt haben, wurde das Wetter auch von ihnen manipuliert?«

»Durchaus möglich, der Wintersturm, einem Blizzard nicht unähnlich könnte eine Begleitung der Tiere sein.«

»Was ist Besonderes an den Wölfen?«

»Sie tragen einen Chip, damit sie gefunden werden können. Sie wurden an Menschen gewöhnt und sie sind fähig, schwere Waffen zu finden.«

»Wo sollen sich diese Waffen befinden?«

»In der Nähe jenes Dorfes, wo Elli wohnt. Versuche in der USA, Wölfe zu trainieren, wie es die Russen geschafft haben, sind bisher erfolglos geblieben.«

»Wenn wir auf diese Tiere stoßen, woher weiß der Wolf, mich in Ruhe zu lassen. Meine Sprachkenntnisse in Russisch sind sehr gering.«

»Es bleibt uns überlassen, mit ihnen zu kommunizieren«. »Nette Aussichten«.

Ab und zu stand am rechten Fahrbahnrand ein liegengebliebenes Fahrzeug über und über mit Schnee bedeckt. Als sie endlich von der Autobahn abfuhren und zu der Landstraße kamen, die zum Dorf führte, war die Fahrbahn gerade geräumt worden.

Nicht lange und der Schneefall hatte diese wieder bedeckt. David blieb vorsichtig. Keine vorausfahrenden Fahrzeuge und auch kein Hinweis, wie die Straße verlief. Ein eventueller Schneefall war nicht vor Ende Jänner erwartet worden. Schneestangen gab es keine. Bei den Bäumen war die Straße frei, aber es bildeten sich Wechten. Vermutlich war das Räumfahrzeug auf eine andere Straße gefahren. Die Wechten wurden größer und es gab viel mehr Schnee auf der Fahrbahn. Plötzlich war an ein Weiterkommen nicht mehr zu denken. Eine riesige Wechte ragte vom rechten Fahrbahnrand bis in die Mitte der Straße. Sicherlich war darunter eines der Autos, die der Fahrer stehengelassen hatte. Im Scheinwerferlicht war aber deutlich noch der Rand der Wechte auf der linken Fahrbahnhälfte zu erkennen. Dort hatte sie eine Höhe von sechzig Zentimeter erreicht. Und sie wuchs. Der Sturm trieb den Schnee vom Acker auf die Wechte. David hielt an.

»Wir könnten versuchen unter Zuhilfenahme der Seilwinde auf der linken Seite dieses Hindernis hinter uns zu lassen. Würdest Du bitte das Seil an dem weit entfernten Baum festmachen.«

Samuel zog sich seine outdoorjacke an und kletterte aus dem Jeep. Der Sturm war zu stark, kaum konnte er sich auf den Beinen halten. Gerade hier blies es kräftig. Dazu kam die niedrige Temperatur. Im Jeep hatten sie gemütliche zwanzig Grad plus. Und draußen gab es minus dreizehn, den Wind und den Schnee. Trotz der warmen Kleidung und den Fellhandschuhen verfluchte Samuel dieses Ansinnen noch im Nachhinein. Wenn sie aber ankommen wollten, musste einer das Seil an den starken Baum befestigen. Und der andere sollte versuchen den Jeep nicht in den Graben zu fahren. Er saß im Warmen, aber es war trotz aller Technik kein einfaches Manöver. David schaltete auf den niedrigsten Gang und Allrad. Langsam wühlten sich die Räder durch die Wechte. David war sich nicht sicher ob der Randstreifen neben der Fahrbahn breit und fest genug war, dieses tonnenschwere Fahrzeug passieren zu lassen. Es gelang. Er stand wieder auf der Fahrbahn, die hier vom Wind freigefegt war. Samuel löste das Seil. Langsam wurde es aufgewickelt. Rasch kam er wieder in die Kabine. »Hier möchte ich nicht liegen bleiben.«

während er sich die Hände rieb. Das Seil hatte er mit den klammen Händen noch fixiert. Das Fahrzeug stand nun auf einem Straßenabschnitt, auf dem kein Schnee lag. Dort hatte der Sturm allen Schnee hinweggefegt. Der Jeep stand schräg zur Fahrbahn. So konnten sie die riesige Schneewechte von der anderen Seite besser in Augenschein nehmen. Teile eines Kleinlasters waren zu erkennen. Aber nicht der Fahrer.

»Ich werde nachsehen, ob noch jemand im Wagen ist.«

Damit stieg Samuel nochmals aus dem Jeep. Wie in einer Windhose wurde der Schnee auf die Wechte getragen. Aber stärker auf jene Seite, der sie sich vorher genähert hatten. Dorthin, wo nun Samuel ging, gab es weniger aufgewirbelten Schnee. Der Wind trieb ihm dennoch den Schnee ins Gesicht. Tränenden Auges erreichte er den Kleinlaster. In der Kabine konnte er keinen Menschen erkennen. Somit kehrte er schleunigst um. Die Spuren, die der Jeep hinterlassen hatte, waren bereits wieder zugeweht. Zurück im Jeep meinte Samuel vergnügt:

»Zum Glück keine Wölfe«. »Einer stand nur zehn Meter neben der Wechte und betrachtete Dich neugierig. Vielleicht wollte er wissen, ob Du nun in den LKW hineinklettern wolltest«. »Das gibt es nicht, ich habe keinen gesehen«

»Doch, so rasch wie er gekommen war, so rasch war er wieder verschwunden«. »Und Du hast nichts dagegen unternommen?«

»Nein, dieser Wolf hat nun Deine Witterung. Die Wölfe haben sicherlich schon Fressbares gefunden. Und an Menschen gewöhnt, kein Interesse, Dir ein Leid zuzufügen.«

»Ich glaube es nicht. Ich konnte aber mit den tränenden Augen nur wenig erkennen. Das nächste Mal kletterst Du aus dem Jeep.«

»Einverstanden, weit bis zum Dorf ist es ohnehin nicht. Es wird so sein, wie ich es erfahren habe. Die Wölfe wurden trainiert, Waffen ausfindig zu machen. Wir transportieren genug Waffen aller Art. Vielleicht folgen sie uns schon einige Zeit. Das konnten wir aber nicht erkennen. «

»Du sprichst mit Hochachtung über diese Tiere. Mir scheint, Du magst sie.«

»Das ist richtig. Sie haben mir das Leben gerettet. Das konnte ohnehin kein Mensch glauben. Damals im Eismeer, der Pilot kam nicht rechtzeitig aus dem Flugzeug heraus. Er fand sein Grab in der See. Ich war abgesprungen und trieb in einem kleinen Boot. Als ich endlich Land unter meinen Füssen hatte, war ich zu erschöpft um mit dem Funkgerät Verbindung aufzunehmen. Ein Schneesturm brach los. Dagegen ist das, was wir hier erleben ein Lüftchen. Weit kam ich nicht. Zusammengebrochen habe ich das Bewusstsein verloren. Wieder zu mir gekommen, war ich von Wölfen umringt. Ich lag rücklings im Schnee und konnte mich nicht bewegen. Die Glieder waren steif. Meine Gedanken waren bei meiner Einheit. Wenn mich nun die Wölfe fressen wollen, dann sollen sie mich rasch töten, kam es mir in den Sinn. Die Wölfe kamen immer näher und legten sich schließlich neben mich und auf mich. Ich spürte das warme Fell. Es kitzelte mich in der Nase.

Ich verlor wieder das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, hörte ich den Hubschrauber. Ein Mann wurde zu mir heruntergelassen. Das Funkgerät hatte vermutlich meine Position durchgegeben. Diese Einstellung war im Programm vorgesehen. Bei längerem Nichtmelden wurde die Position gesendet. Die Wölfe stoben auseinander, als der Hubschrauber über mir anhielt. An Bord geholt, hatte ich am Kampfanzug Haare der Wölfe und ich roch nach deren Pisse. Das hat man mir später erzählt. Niemand hat es geglaubt. In der Station wurde der Aufenthalt an Land und auch die Zeit, die ich dort verbracht hatte, genau rekonstruiert. Es waren ungefähr drei Stunden. Während dieser Zeit haben die Tiere neben mir ausgeharrt und mich gegen die Kälte geschützt. Sie liefen weg, als sie dem Mann ansichtig wurden, der am Seil heruntergelassen wurde. Das konnten sich meine Kameraden in der Station nicht vorstellen. Aber in Washington gibt es darüber sicherlich eine Notiz. Dies wird auch der Grund sein, weshalb ich nun wieder in jener Landschaft bin, die ich nur vor wenigen Wochen verlassen habe. Als Begleitung gab man mir Dich mit.«.

Samuel hatte ruhig zugehört. Er durfte etwas erfahren, das sicherlich nur wenige wussten. David hatte nie davon erzählt. Was er ihm nun anvertraut hatte, war ein Beweis seines Vertrauens, damit vorsichtig umzugehen. Samuel kratzte sich hinter seinem rechten Ohr. Für ihn erschien nun David in einem anderen Licht. Dieser saß neben ihm, als ob nichts Außergewöhnliches eingetreten war oder über etwas Nichtalltägliches Worte gewechselt worden waren. Samuel empfand es plötzlich als eine Ehre mit David zu fahren. Ich werde mich sehr anstrengen müssen, diesen Auftrag nicht zu vermasseln, dachte er sich.

»Sei, wie Du bist.« kam es von David.

Samuel musste die Erzählung verarbeiten.

»Blümelblau wird nasse Unterhosen bekommen, wenn er von den Bauern über Wölfe instruiert wird, die ihre Schafherden dezimieren.« hörte Samuel David sagen. »Uns haben sie schon gefunden. Nette Begleitung.« Wir sind hier auf Besuch und freuen uns auf das Weihnachtsfest.« stellte David fest. »Kommt Matthew ebenfalls?«

»Das weiß ich nicht. Mir wurde unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt, was ich Dir erzählt habe. Den Jeep sollen wir testen. Mit dem Schneesturm hat man nicht gerechnet. Nebenbei wurde erwähnt, Elli zu besuchen und alle über unsere Aufgabe im Unklaren zu lassen. Sicherlich hat man den Zoll instruiert, keine Fragen zu stellen. Nachdem Deine Geschicklichkeit bekannt ist, war es naheliegend, Dich als Begleiter zu bekommen. Auch deshalb, weil Dir die Gegend keineswegs fremd ist.«

Damit startete David den Wagen und langsam kämpften sie sich zum Dorf.

Die restliche Strecke bis zum Dorf war bald überwunden. In den Straßen lag der Schnee stellenweise sehr hoch. Je nachdem wie der Sturm genug Angriffsfläche hatte, neue Wechten zu errichten. Vor dem Tor von Ellis Gehöft hielt David an. Samuel stieg aus und läutete.

Wer mag nur um acht Uhr am Abend bei einem solchen Wetter bei uns vorsprechen, fragte sich Elli. Sie hüllte sich in den alten Fellmantel, schlüpfte in die viel zu großen Stiefel von Franz und stapfte zur Pforte. Ihr »Hallo« ging im Heulen des Sturmes unter. Taghell war der Hof erleuchtet. Das konnte Samuel erkennen. Nicht aber, ob nun jemand zur Pforte gekommen war. Er musste an die Wölfe denken. Mit seiner rechten Faust schlug er fest an die Pforte und rief »Hallo, ich bin es, Samuel. Ich bin mit David durchgekommen«.

Elli erkannte die Stimme und öffnete die Pforte einen Spalt. Ihre Augen waren weit offen. Sie glaubte nicht, was sie sah. Vor ihr stand Samuel, dessen Kleidung sich allmählich mit Schnee bedeckte und dahinter das Ungetüm eines Jeeps, dessen Scheibenwischer vergeblich versuchten dem Fahrer Sicht zu verschaffen. Samuel breitete seine Arme aus und Elli ging ihm entgegen. Eng drückte er sie an sich. Für David dauerte das zu lange. Er schaltete die Weitstrahler ein und blinkte. Daraufhin trennte sich Elli von Samuel. Gemeinsam öffneten sie mit Mühe die beiden Flügeltüren des Tores. Diese schoben den Schnee zur Seite. David versuchte bis zum Kellerabgang zu fahren. Das gelang nur zum Teil. Eine hohe Wechte mit festgepressten Schnee war auf den letzten Metern ein Hindernis. David blieb stehen. Eine herzliche Begrüßung folgte. Sie wurden eingeladen ins Haus zu kommen. Das wollte David keineswegs solange nicht ein Teil der Fracht im Keller abgeladen war. Das erstaunte Elli. Es war aber nichts Neues für sie. Er wird seine Gründe haben. Seine Entscheidungen und sein Verhalten, als sie unter Beschuss des Russen waren, hatte sie nicht vergessen. Zuerst musste ein Weg geschaufelt werden. Waffen und Teile der Elektronik kam in den Keller. Neun Uhr zeigten die Zeiger der großen Wanduhr im Wohnzimmer, während vor ihnen die heiße Schokolade stand. Franz war zeitig schlafen gegangen. Somit waren sie alleine mit Elli. Nach dem Abladen hatte David noch ihre Ankunft codiert durchgegeben.

Sprechen wollten sie nicht. Nur ins Bett. Bevor sie sich endgültig zurückzogen fragte David:

»Musst Du morgen in den Keller?«

»Nein, warum?«

»Erschrick nicht und sei auch nicht erstaunt, wenn Du einen Wolf siehst. Er wird Dir nichts anhaben, solange Du Dich ruhig verhältst. Über den Drahtverhau an der Mauer kommt er sicherlich nicht. Beim Tor gibt es aber einen Spalt. Dort könnte er durchschlüpfen.«

»Kirschgeist habt Ihr keinen genossen. Wölfe gibt es hier seit Jahrhunderten nicht. Oder habt Ihr eine neue Begleitung?« fragte sie lachend. »Verhalte Dich ruhig, er wird Dich nicht angreifen. Uns hat er bereits gefunden.«

David erzählte, wie es ihnen ergangen war, ohne aber auf den Einsatz einzugehen. Er hatte aber nicht mit der Reaktion von Elli gerechnet. Ihre Augen glühten für einen Sekundenbruchteil auf. Das war Samuel entgangen, der sich der warmen Schokolade widmete. Nicht aber David, der sie genau beobachtete. Elli hatte begriffen. Das war nun für ihn klar. Ihr Atem ging nun heftiger. Wölfe waren im Schutz dieses ungewöhnlichen Wintersturmes in diesen Landstrich eingedrungen und dem Fahrzeug gefolgt. Weshalb? Und was beabsichtigten die Amerikaner. Die kommen doch nicht, um Weihnachten zu feiern. Das war ein Militäreinsatz. Der Hinweis, darüber nicht zu anderen Leuten zu sprechen, war deutlich genug gewesen.

»Was könnte den Menschen widerfahren, wenn sie zufällig auf diese Wölfe treffen würden?«

»Nichts, die Wölfe laufen davon. Lange bevor sie Menschen begegnen, haben sie schon deren Witterung. Diese Wölfe sind sicherlich gesund.«

Elli hatte ihnen das für Tamara vorbereitete Zimmer vorbereitet. Ein zweites Bett wurde hineingeschoben. Nach einer kurzen Dusche waren beide bald unter der Decke. Ein solcher Komfort war für sie nun neu. Der Wind heulte die ganze Nacht. Gegen Mitternacht ließ der Schneefall nach. Elli konnte lange nicht einschlafen. Viel hatte sie nicht erfahren. Das wenige trug nicht zur Beruhigung bei. Gegen Mitternacht öffnete sie noch einmal die Läden. Vereinzelt fielen noch Flocken. Sterne waren zu erkennen. Sehr kalte Luft strömte in ihr Zimmer. Sie machte alles dicht und kroch unter die Decke. In der Nacht träumte sie vom Wolf.

Kapitel 4

Klirrend kalt brach der Morgen an. Auf den Straßen lagen bis zu 40 cm Schnee. Nur dort wo Bäume standen und der Sturm den Schnee weggetragen hatte, waren die Fahrbahnen zu erkennen. Im Radio gab es Meldungen über liegengebliebene Fahrzeuge, die die Räummannschaften vor große Probleme stellten. Im Hof gab es eine Wechte, nahezu 60 Zentimeter hoch. Der Schnee war fest zusammengepresst. Man konnte darauf stehen ohne einzubrechen. David und Samuel hatten lange geschlafen. Kein Lichtschimmer drang durch den Rollladen.

Als sie ihn öffneten, fiel strahlendes Sonnenlicht in das kleine Zimmer. Nun erst bemerkten sie das neue Fenster mit der doppelten Verglasung. Ebenso den Radiator, den Elli noch am Abend abgestellt hatte. Es war ihnen ohnehin zu warm gewesen. Lange bevor sie um acht Uhr zum Frühstück kamen, war Elli aus dem Bett. Für ihr Aussehen hatte sie sich Zeit genommen. Franz kam später. Unrasiert wie immer. Zu seinem größten Erstaunen fand er Samuel und David, die sich das Frühstück schmecken ließen. »Hoho« Mehr brachte er nicht hervor. Ein Blick aus dem Fenster und er sah das zum Teil eingeschneite Fahrzeug.

»Nicht übel«

brummte er. Die großen Räder waren vollständig unter den Schneemassen versteckt. Er vermutete einen Kettenantrieb. Die Amerikaner sagten nichts. Sie dachten sich, er hat es begriffen. Die Umrüstung auf diesen Antrieb konnte von zwei Soldaten innerhalb kurzer Zeit vorgenommen werden, ohne dabei die Räder demontieren zu müssen. Eine technische Konstruktion, die ein Fortkommen auch im schwierigen Gelände ermöglichte. Die vorderen Räder waren zur Lenkung gedacht und auf die beiden hintereinander montierten rückwärtigen Räder konnte eine Kette aus einem neuen Kunststoffmaterial aufgezogen werden. Franz kam sofort mit dem Kirschgeist. Elli sagte nichts. Soll er sich doch diese bescheidene Leidenschaft gönnen. In all diesen Jahren, die sie mit ihm verbracht hatte, waren die Wohnbedingungen einfach und das Essen ohnehin karg ausgefallen. Erst durch die Stationierung der Amerikaner vor nur wenigen Wochen, der daraufhin folgenden Auseinandersetzung mit Russen und deren Gefolgsleuten und die Zerstörung vieler Bauteile hatten eine Veränderung bewirkt. Samuel und David mussten auf das Wiedersehen anstoßen. Elli freute sich auf die neue Gemeinschaft. Doch das plötzliche Auftauchen der beiden, noch dazu unter schwierigsten Bedingungen bereitete ihr Sorgen. Dieses Ungetüm von einem Jeep, dessen Ausrüstung sie nicht gesehen hatte und der offenbar auch das Hindernis auf der kleinen Straße, das weit in die Fahrbahn ragte, überwunden hatte, das gab ihr zu denken. Ein fröhlicher Weihnachtsbesuch, wie sie sich das erhofft hatte, das war es nicht. Und die beiden sprachen nichts. Auf ihre Fragen, ob Matthew auch kommen würde, bekam sie zur Antwort, sie wüssten nichts. Vor wenigen Wochen bei schönem Wetter war sie in Krems gewesen. Weihnachtsgeschenke für den Pfarrer, Franz und die Nachbarn, sowie für ihre Haushälterin hatte sie sich eingekauft.

Für David und Samuel, die mitgeholfen hatten, ihr Leben zu verteidigen, für die hatte sie nichts. Das betrübte sie. Sogar für den Besuch von Tamara war sie vorbereitet. Der war aber erst für Ostern gedacht. Und die Amis waren vergnügt. Das war zu erkennen. Nun war es zu spät. Dazu diese Schneemassen. Die Amerikaner amüsierten sich. Immer, wenn sie an die für Elli vorbereitete Überraschung dachten. Unterbrochen wurden Ellis Gedanken vom Läuten der der Glocke. Sie hüllte sich in warme Kleidung und ging zum Tor. Als sie die Pforte öffnete, stand draußen Kasimir Blümelblau, der Kommissar von der Polizeistation. Er fragte sie, ob er kurz vorbeikommen dürfte. Eine wichtige Nachricht für alle Dorfbewohner. Sie winkte ihm weiterzukommen. Nur ein schmaler ausgeschaufelter Weg führte zur Hauseingangstüre. Das eingeschneite Militärfahrzeug erregte sein Interesse. Wie ist es nur hierhergekommen, fragte er sich. Nahezu alle Straßen sind unpassierbar. Entweder hat Robert, der Mechaniker, noch vor dem Sturm ein solches geliefert oder die Amerikaner sind gekommen. Aber weshalb? Wie war es ihnen möglich gewesen, durchzukommen. Sogar der Schneepflug war hängengeblieben. Der Kleintransporter ragte weit über die Mitte in die Straße. Und darüber diese riesige Schneewechte. Dort konnte man auf der Wechte gehen, ohne einzusinken. Der Schneepflug hatte es auf der linken Straßenseite versucht. Stieß auf den LKW und konnte nicht weiter. Auch nicht zurück. Nach Verständigung der Leitstelle war ein anderer gekommen. Er schleppte den hängengebliebenen Schneepflug im Rückwärtsgang zurück bis zu einer Kreuzung, an der ein Wendemanöver möglich war. Ein kleiner Schneepflug wurde angefordert. Das war die eine Nachricht. Sperre der Straße bis zur Freiwerdung. Die andere Nachricht war keineswegs einfach den Menschen darzulegen. Spuren von Wölfen waren gefunden worden. Kasimir war schon seit drei Uhr morgens auf den Beinen. Freileitungen waren unbeschädigt. An die Meldung von Jägern glaubte er erst, als ihm diese die Fußspuren gezeigt hatten. Landwirte vermissten bereits einzelne Schafe. Sie führten dies auf die nun herrschende Wetterlage zurück. An Aliens, die sich der Schafe angenommen hätten glaubte Kasimir nicht. Nun war es seine Aufgabe die Bevölkerung vorsichtig auf die Wölfe vorzubereiten. An Aliens zu glauben, die sich den Schafen genähert hätten, um sie zu entführen, das war sicherlich nicht der Fall. Aber über Außerirdische hätte er sprechen können. Wölfe gab es in Niederösterreich seit Jahrhunderten nicht. Somit ging er von Haus zu Haus. Als er endlich bei Elli im Wohnzimmer war, wurde er freudig begrüßt. Franz kam sofort mit dem Kirschgeist. Kasimir lehnte dankend ab.

»Wenn ich überall mit einem Stamperl /Schnapsglas/ anstoßen würde, fände ich nicht an meinen Arbeitsplatz zurück«.

Zuerst wollte er von den Amerikanern wissen, wann sie angekommen waren sowie eine genaue Auskunft über den Verlauf der Fahrt. »Keine besonderen Vorkommnisse«

bekam er von David zu hören. Genauso gut hätte sich Kasimir über die neue Kaffeemaschine erkundigen können. Die Amerikaner machten ein harmloses Gesicht.

»Die Schneewechte vor dem Dorf, die ein flottes Fahren verhinderte, musste passiert werden. Samuel war nach Beratung ausgestiegen, hatte das Seil um einen Baum geschlungen und ich fuhr langsam am linken Straßenrand am Hindernis vorbei. Das wurde interessiert von einem Wolf beobachtet, der aber bald wieder verschwand.«

»Das waren keine besonderen Vorkommnisse?«

»Für uns nicht. Als ich ihm das im Nachhinein erzählte, schlug er mir vor, beim nächsten Hindernis zu fahren, während ich mich um das Seil kümmern sollte.«

Alle lachten.

»Ich glaube es auch heute nicht.« sagte Samuel. »Vielleicht sind die Wölfe dressiert und aus einem Gehege ausgebrochen. Sollten sie nur die russische Sprache verstehen, wären alle gut beraten, eine Kommunikation nur in Russisch zu führen.« setzte Samuel fort.

Wieder lachten alle, ebenso Elli, die zurückgekommen war. Diese Amis nehmen es nicht tragisch Wölfen zu begegnen, während andere nasse Unterhosen bekommen, wenn sie daran denken, fiel es Kasimir ein.

»Wenn die Menschen sie in Ruhe lassen und sie genug zu fressen bekommen, werden sie Menschen nicht anfallen. Diese Tiere sind sicherlich an Menschen gewöhnt. Haben die Jäger sich schon entschieden, auf die Wolfsjagd zu gehen?« fragte David.

»Bei diesen Schneemassen nicht. Dazu die Kälte. Hier ist es wärmer als bei mir auf der Polizeistation.«

»Lange genug habe ich gefroren« mischte sich Elli in die Unterhaltung. »Doppelte Verglasung der Fenster. Außenisolierung und leicht zu bedienende Radiatoren. So ein altes Mädchen, wie ich braucht Wärme«.

Wieder lachten alle.

»Wie lange wollt Ihr bleiben?«

»Bis Mitte Jänner, bis dahin sind sicherlich wieder alle Straßen befahrbar.«

»Wie war es an der Grenze. Seid Ihr dort untersucht worden?«

»Starker Wind und noch trockene Fahrbahn. Für uns hatte man keine Zeit.«

»Seid Ihr noch im Dienst?«

»Jein, vorerst Weihnachtsurlaub. Nur bei besonderen Vorkommnissen sofort einsatzbereit. Das bleibt unter uns. Für alle anderen sind wir auf Urlaub.«

Wieder ein Top-Secret Unternehmen, dachte sich Kasimir. Er musste an den letzten Vorfall denken, der die Polizei in einem Ausmaß beschäftigt hatte, das nie vorhersehbar gewesen war. Er verabschiedete sich und ging. Sie wollten nicht darüber reden. Hat dies vielleicht mit den Wölfen zu tun? Dressierte Tiere, die nur Russisch verstehen. Sehr eigenartig. David hatte noch nicht Lust gehabt, den versiegelten Befehl zu lesen. Das musste er nachholen. Wenn nun schon die Polizei von den Wölfen Kenntnis hatte, wird es schwer werden, einen der Wölfe unversehrt nach Deutschland zu bringen. Aber Wölfe sind schlau. Samuel war nicht eingeweiht worden. Bis jetzt hatte er noch trockene Unterhosen. David war mit einem Sonderauftrag betraut worden. Er sollte versuchen, einen aus dem Rudel lebendig nach Deutschland zu bringen. Entweder waren die Tiere ausgebrochen oder sie waren bewusst nach Österreich gebracht worden. Vielleicht hatte man sie auch trainiert, sich durch den Todesstreifen zu bewegen, ohne Schaden zu erleiden. Die Russen waren auf diesem Gebiet den Amerikanern überlegen. Die Versuche in Alaska waren bisher ohne Erfolg gewesen. Der Schneesturm und das nun völlig verschneite Gelände könnte zum Erfolg beitragen. Vermutlich waren die Tiere mit einem Sender ausgestattet, der ihre Position bekannt gab. Vielleicht waren sie wirklich trainiert worden, schwere Waffen aufzufinden.

Durch die Positionsbestimmung könnte man leicht diese Waffen ausfindig machen. Bis vor kurzem war aber der Code des Senders den Amerikanern noch nicht bekannt. Das alles würde erklären, weshalb sie den Jeep gefolgt waren. Vermutlich sollten sie bei Gefahr sofort verschwinden. Das würde auch das Verhalten im dichten Schneefall erklären, als Samuel das Seil um den Baum schlug um den Jeep durch die Wechte zu ziehen. In Washington wusste man, wie David einst mit Hilfe der Wölfe in der Wildnis überlebte. Ob man es glaubte oder nicht. Den Aktenvermerk gab es. David und Samuel hatten sich mit Matthew und John noch vor kurzem im Weinviertel in der Auseinandersetzung mit dem Russen gut geschlagen. Sie kannten die Örtlichkeit. Elli, der nun dieses Gehöft gehörte, könnte eine Hilfe sein. Somit war David, versehen mit der neuersten Kriegstechnik, die gerade noch in einem Jeep transportiert werden konnte, mit Samuel losgeschickt worden. Weder den Wintersturm, noch diese massiven Schneefälle hatte man erwartet. Wohlbehalten waren sie angekommen. Die Wölfe hatten den Jeep ausfindig gemacht und waren diesem gefolgt. Dies alles war keineswegs in Washington oder Deutschland erwartet worden. Kasimir war längst gegangen. Somit machten David und Samuel eine Runde im Hof. Vorerst spürten sie die Kälte nicht. Ausgeschlafen, reichliches Frühstück und der Bewegungsdrang. Sie konnten sich denken, wie es den Jägern ergehen würde, die die Nacht im Freien verbringen wollten. Im Hof fanden sie keine Anzeichen von eventuellen Pfotenabdrücken. Nach dieser Runde suchten sie wieder die Wärme des Hauses auf.

Das für Elli vorbereitete Weihnachtsgeschenk war ein bodenlanges aus Chiffon und Satin gefertigtes Kleid mit langen Ärmeln. Am Gürtel sowie an den Enden der Ärmel gab es eine Perlenstickerei. Da das Kleid dunkel war, wirkte es sehr elegant. Ein zweites hatten sie ebenfalls mit. Knielang, für Cocktail oder Party, in der Farbe des Champagners. Dazu kam ein knielanger Pelzmantel mit langen Ärmeln und Fuchspelzkragen. Sie dachten sich, zu dem Ring, den sie immer trug, müsste sie sich Ohrgehänge anfertigen lassen. Für Franz war ein Karton Kirschgeist vorbereitet.

Kaum zum Hof zurückgekehrt, war Elli im Begriff in den Keller zu gehen. Sie wollte ihre Geschenke holen, um sie unter dem im Wohnzimmer vorbereiteten Christbaum legen zu können. Darnach hätte sie ausreichend Zeit, sich der Weihnachtsbäckerei zu widmen. Das gefiel den beiden. Sie nützten die Abwesenheit von Elli und legten ihrerseits die mitgebrachten Kartons, die bereits in Weihnachtspapier verpackt waren, unter den Christbaum. Gerade auf jene Seite, die zur Wand gerichtet war.

Dabei wurden sie weder von Elli, noch von Franz beobachtet. Elli wird mit der Küche intensiv beschäftigt sein und wenig Zeit aufbringen können um auf die Sachen zu achten, die nun unter dem Baum lagen. Das erheiterte die Amerikaner. Anschließend telefonierten sie zum Pfarrer, ob sie willkommen wären. Sichtlich überrascht, stimmte er einem kurzen Besuch zu. Die Straßen waren noch voller Schnee. Einige der Dorfbewohner schaufelten sich von ihrer Hauszufahrt den Weg frei zur Fahrbahn. Es war eine kleine Schneise, die ein Vorankommen ermöglichte. Alle waren der Hoffnung, der angekündigte Räumdienst würde die Fahrbahn freimachen. Viele Toreinfahrten blieben nicht gesäubert und verschlossen. Wölfe in der unmittelbaren Nachbarschaft, das war ein Schreckgespenst. Niemand konnte der Information der Polizei Glauben schenken. Dazu diese Schneemassen und die Kälte. Trotz der Wenigen, die schaufelten und ihnen keine Beachtung schenkten, wirkte das Dorf wie ausgestorben. Sogar die Hunde bellten nicht. Beim Betreten des Pfarrhauses wurden sie vom Ehemann der Haushälterin begrüßt und nach ihren Wünschen gefragt. Erwin Leitner, der sich um Reparaturen kümmerte, den Garten und den Friedhof betreute, war vom Pfarrer nicht eingeweiht worden. Der Pfarrer überließ es Erwin, sich mit den Amerikanern bekannt zu machen. David wollte mit »Hi«beginnen, besann sich und sagte:

»Grüß Gott. Wir kommen zum Pfarrer und haben uns angemeldet. Mein Name ist David.«

Die hochgeschlossene Jacke, sowie die eng anliegende Hose, der militärische Schnitt, all das wurde von Erwin neugierig gemustert. Das sind keine von hier. Woher kommen die beiden, fragte er sich. Alle Straßen sind unpassierbar. Gestern habe ich sie nicht gesehen. »Wir sind ein Teil jener Touristen, die im Herbst in Kämpfe verwickelt worden waren. Mein Begleiter nennt sich Samuel und wir wohnen bei Elli. Wir sind zum Weihnachtsfest gekommen.«

»Willkommen.«

mehr brachte Erwin nicht hervor. Dennoch wollte er wissen, wann sie angekommen sind und wie es ihnen gelungen ist, durch den Schnee voranzukommen.

»Gestern noch sehr spät am Abend. Und das mit viel Glück.«

»Sie haben sicherlich ein besonderes Gefährt. Viele mussten ihre Autos stehen lassen.«

»Das stimmt, eines blockierte nahezu die ganze Fahrbahn.«

»Hatten sie nicht Angst, ebenfalls aufgeben zu müssen?«

»Wir haben schon Schlimmeres bewältigt. Es gab nur das Heulen des Windes und den Schnee, der uns die Sicht nahm. Die letzten Kilometer fuhren wir im Schritttempo. Jetzt steht das Fahrzeug im Hof von Elli.«

»Bitte folgen Sie mir, der Pfarrer wird sich freuen, Sie wohlbehalten zu sehen.«

Sie wurden in einen kleinen behaglichen Raum geleitet. Der Pfarrer saß in einem großen Lehnstuhl. Vor ihm, auf einem kleinen Tischchen, gab es eine Karaffe und einige Gläser. Vermutlich befand sich in der Karaffe Kirschgeist. Ein Glück für uns. Das Frühstück war reichlich gewesen. Alkohol auf nüchternem Magen, das wollten sie nicht. Der Pfarrer war keineswegs in dem psychischen Zustand, wie sie ihn in Erinnerung hatten. Aufrecht, in gerader Haltung und voller Leben.

»Grüß Gott Hochwürden.« begrüßte ihn David.

Der Pfarrer erhob sich nicht, blieb in seinem Sessel und deutete Platz zu nehmen. Er nahm die Karaffe, füllte die Gläser, nahm seines in die Hand

»Auf ein fröhliches Wiedersehen. Kommt ihr wegen des Weihnachtsfestes oder weil es immer noch Übeltäter gibt?«

Dann war es einige Zeit still.

»Von Übeltätern wissen wir nichts, wir wollten wissen, wieweit der Wiederaufbau fortgeschritten ist und wir wollen Weihnachten feiern.«

Erwin hatte die Türe verschlossen und war zu seinen Verpflichtungen zurückgekehrt. »Kommen Matthew und John ebenfalls?«

»Das wissen wir nicht. In New York hat ein Blizzard alles behindert.«

»Ich hoffe, ich werde das Christfest noch erleben. Ich habe starke Rückenschmerzen. Jegliche Bewegung tut mir weh. Auch der Kirschgeist hilft mir nicht.«

»Wie wäre es mit einer Massage?« mischte sich Samuel in das Gespräch. »Wer könnte mich hier in dieser Einöde massieren?«

»Ich« war die Antwort. »Das Öl haben wir mit uns und auch Tabletten gegen Schmerzen. Auf Alkohol sollte aber verzichtet werden.«

Wieso hat Samuel Kenntnisse von einer solchen Behandlung, fragte sich der Pfarrer.

»Es war meine Aufgabe, meine Kameraden fit zu halten. Und das habe ich jahrelang getan.«

Er war bereits aufgestanden.

»Ich hole das Öl und die Schmerztabletten.«

Als Samuel bei der Tür draußen war, half David den Pfarrer in den Nebenraum. Stöhnend und humpelnd ging es zu einem Bett.

»In der letzten Woche habe ich mich nur zwischen diesem Bett und dem Stuhl bewegt. Mehr ist mir nicht gelungen. Womit habe ich das verdient? Doch nicht deswegen, weil ich mich mit dem Colt gewehrt und getroffen habe.«

»Das wird auf verschiedene Gründe zurückzuführen sein. Besonders jung sind Sie nicht. Viel bewegen müssen Sie sich Dank der zur Seite gestellten Hilfe auch nicht. Die Psyche spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Was bedrückt Sie?«

»Einerseits die Abgeschiedenheit, kein wirklich erheiterndes Leben. Ein Frieden, der kein Frieden ist und Elli. Die braucht endlich einen Mann.«

»Viele haben Angst, nicht neben ihr zu bestehen.«

»War dies nicht auch zwischen Matthew und Nadia?«

»Woher wissen Sie das?“ fragte der Pfarrer. »Wir waren nicht lange genug beisammen, dramatische Stunden habe ich aber mit ihm miterlebt. Elli – ein Mann, der sie liebt und den Menschen in ihr sieht. Sicherlich nicht, wie sie für andere nach außen hin in Erscheinung tritt, das muss er vergessen. Einsam sind wir alle.«

Der Pfarrer schluckte. Nie noch hatte jemals ein anderer solche Worte gefunden. Zugetraut hatte er es auch David nicht. Der aber hatte die Wahrheit gesagt. Sie wurden unterbrochen. Samuel betrat ganz erhitzt den Raum. Der Pfarrer wurde entblößt und die Massage begann. Nach etwa zehn Minuten begann der Pfarrer Laute von sich zu geben, die den Schluss zuließen, er fühle sich besser. Nach weiteren zehn Minuten beendete Samuel die Massage.

»Herr, ich danke Dir. Ich fühle mich wie neugeboren. Nicht nur wegen der Massage. Auch wegen des Gedankenaustausches. Womit kann ich Ihnen danken, Samuel?«

»Für mich war es ein Vergnügen, jemanden helfen zu können, den wir in unsere Gemeinschaft aufgenommen haben.«

Der Pfarrer saß aufrecht im Bett und wollte herunterspringen.

»Langsam und behutsam aufstehen. Keine hastigen Bewegungen. Nur ein kleines Stamperl täglich. Jeden Tag Gymnastik und nicht über Sorgen von anderen Leuten nachdenken. Die müssen ihren Weg selbst finden.«

bekam er von David zu hören.

»Was habt Ihr mit den Wölfen vor?« fragte nun der Pfarrer. »Das Hirn funktioniert schon wieder. Kaum kann er sich bewegen, überkommt ihm die Neugierde. Woher weiß Hochwürden über Wölfe und deren Schicksal Bescheid?« bekam er von David zu hören.

»Ihr seid doch nicht unter erschwerten Bedingungen hierher gekommen um Weihnachten zu feiern. Ich bin schon auf das Fahrzeug neugierig. Washington hat mich angerufen und wollte den Baufortschritt bei Elli wissen. Vor allem aber wie es ihr ergeht. Da habe ich mir heimlich gedacht. Bald gibt es wieder einen neuen Einsatz.« David machte ein harmloses Gesicht. Ebenso Samuel.

»Ich werde es schon herausfinden.« bekamen sie vom Pfarrer zu hören. »Manche Leute sterben vor Neugierde.«

»Hoho« konnten sie hören, »also wie in alten Zeiten.«

Mit dem Kirschgeist wurde angestoßen Dann wurden sie entlassen. Der Pfarrer war nun quietschvergnügt. Auf ihrem Heimweg wurden sie nun von einigen Dörflern mit ›Fröhliche Weihnachten‹ begrüßt, während andere sich hinter den Vorhängen versteckten. David war letzteres Verhalten nicht entgangen.

Als sie endlich wieder im Hof von Elli angekommen waren platzte Elli mit der Neuigkeit heraus, Mathew habe aus New York angerufen. Ein Blizzard verhindere aber einen Weiterflug. Vielleicht wird es Tage dauern. Er wollte aber wissen, ob die Post aus Deutschland angekommen ist. Das habe sie bejahen können.

»Was weiß Matthew über Eure Ankunft?«

»Das wird man in Washington vereinbart haben«, antwortete David.

»Wir werden uns am Nachmittag ein wenig umsehen. Der Schnee ist tief und es ist kalt. Die Landschaft ist aber außergewöhnlich.« Das Telefon klingelte. Es war der Pfarrer. Elli lauschte seinen überschäumenden Ausführungen.

»Nie noch habe ich den Pfarrer in so freudiger Erregung erlebt« erzählte sie später. »Die Schmerzen sind verschwunden. Er lässt sich vielfach noch bedanken. Was habt Ihr mit ihm getrieben?«

»Samuel hat ihn massiert.«

»Das allein kann es aber nicht gewesen sein. Seine Psyche ist wie ausgewechselt.«

»Ich habe mit ihm einige Worte gewechselt. Das hat seinen Gedankengang eine andere Richtung gegeben. Willst Du nach dem Essen mit uns kommen? Lass das Geschirr, wie es ist. Wir helfen Dir am Abend. Wir werden einige Runden drehen. Was wir brauchen, das wäre ein genauer Plan von dem Dorf und der nächsten Umgebung. Besser mit allen Forstwegen«

»Den habe ich.« erwiderte Elli. »Dann weg, solange es hell ist.«

Das Mittagessen interessierte David nicht mehr. Nur wenige Bissen schluckte er hinunter und trieb die anderen an. Elli verstand nicht, was er vorhatte. Dennoch blieb sie ruhig. Die Wintersonne warf lange Schatten, als David startete. Die Räder wühlten sich durch den Schnee und der Koloss stand frei. Alle hatten sich warm angezogen. Auf ein Steckenbleiben waren sie vorbereitet. Neben den üblichen Waffen führte David auch das Narkosegewehr und dessen Munition mit. Wirklich frei waren die Landstraßen nicht. Aber es gab in der Mitte einen dunklen Teil. Die Richtung der Straße mit allen Biegungen und Kurven war an dem Asphalt deutlich zu erkennen. Auf einen der breiteren Forstwege, der nach Norden führte, bog David ein. Ab nun ging es wesentlich langsamer voran. David achtete darauf, inmitten dieses Streckenabschnittes zu bleiben. Nicht lange, nach einer weiteren Kurve erkannten sie einen Hochstand. Näherkommend, kletterten nun Männer herunter. Vorsichtig kamen sie zum Boden. Der Schnee hatte hier eine Höhe bis dreißig Zentimeter. Je nachdem dieser vom Sturm zusammengeschichtet worden war. Diese drei Jäger, erfreut endlich wieder menschlichen Wesen zu begegnen, näherten sie sich dem Jeep. Unrasiert und halb erfroren, hofften sie auf Hilfe.

Die Wärme, die aus dem heruntergelassenen Fenster stieg, erweckte starkes Verlangen, in den Jeep aufgenommen zu werden. In der Befragung von David wurde eine eher unglaubwürdige Geschichte erzählt. Bei Auslegung von Fallen, ihre Gewehre waren gegen einen Baum gelehnt worden, kamen plötzlich Wölfe. Der Baum war zu weit entfernt. Somit kletterten sie so rasch sie konnten auf den Hochstand. Das war bei Morgengrauen. Sie hofften, die Wölfe würden verschwinden. Das Gegenteil war der Fall. Die blieben unter dem Hochstand. Zuerst auf ihren Beinen. Dann setzten sie sich nieder. Wenn einer nur leise hustete, waren sie sofort wieder aufgesprungen. Es gab keinen Wind. Aber es war fürchterlich kalt. Die Wölfe wollten nicht weglaufen. Dies mitansehen zu müssen ohne etwas dagegen unternehmen zu können, war deprimierend genug. Seither haben sie sich nicht heruntergetraut. Auch nicht als sich die Wölfe mit den Gewehren entfernten. Die Hoffnung, dennoch gefunden zu werden, haben sie nie aufgegeben. Als das Motorgeräusch näherkam, war Rettung nahe. Gleichzeitig aber auch die Angst, ausgelacht zu werden. Hunger, Durst und Kälte ließ die Gedanken nun lächerlich erscheinen. Hoffentlich kommt wirklich ein Fahrzeug. Von dem Vorfall soll aber nichts bekannt werden, sie fürchten das Gespött der Leute. Samuel und David kletterten aus dem Jeep. Elli nahm am rechten Vordersitz Platz. Sie nahm ihren Colt, entsicherte diesen und legte ihn in ihren Schoss. Der Sitz von Elli war drehbar. Sie wendete sich den Jägern zu, die sich auf der rückwärtigen Bank niederließen. Sie sollten sich ruhig verhalten, was auch immer sie sehen könnten.

»Wir werden versuchen, Ihre Gewehre zu finden. Hierher sind wir durch Zufall vorgedrungen. Wir haben kein Interesse über Ihr Missgeschick zu berichten. Bevor wir losgehen, zeichnen Sie so genau wie möglich die Stelle ein, wo sie die Fallen deponiert haben.«

Damit überreichte David den Plan und einen Kugelschreiber. Einige Zeit verstrich.

»Wie genau sind diese Eintragungen?«

als er den Geländeplan zurückerhielt.

»Vielleicht sind die Kreuze nicht auf den Meter genau fixiert, aber auf ungefähr zehn Meter müssten die Eintragungen stimmen.« erwiderte einer der Jäger. Allmählich ließ auch die Anspannung nach, das hochmoderne Fahrzeug und dessen Behaglichkeit verfehlte nicht seine Wirkung. Lediglich der schussbereite Colt im Schoss von Elli war unangenehm. Persönlich kannten sie Elli nicht. Wir dürfen sie auf keinen Fall reizen. Darüber waren sie sich im Klaren. Elli schaute zum Fenster hinaus. Die Geschichte, die die Männer erzählt hatten, die mag vielleicht stimmen. Und wenn dies eine Falle wäre und sie plötzlich auf sie herfallen würden, müssten mindestens zwei sterben.

Das hatte sich Elli bereits vorgenommen. Die Wagentüren waren geschlossen worden. Samuel hatte sie noch mit der Fernbedienung