Batman – Nightwalker - Marie Lu - E-Book

Batman – Nightwalker E-Book

Marie Lu

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Beschreibung

Der Actionthriller von Bestsellerautorin Marie Lu Der junge Millionenerbe Bruce Wayne jagt in seinem Sportwagen eigenmächtig einem Polizeiflüchtigen hinterher. Der Täter kann gefasst werden. Er ist Mitglied der Nightwalker, die in Bruce' Heimatstadt Gotham City vor allem die reiche Elite terrorisieren. Bruce jedoch wird wegen Missachtung polizeilicher Anordnungen zu Sozialstunden verurteilt, und zwar ausgerechnet im Hochsicherheitstrakt des örtlichen Gefängnisses. Dort trifft er auf Madeleine, ebenfalls Mitglied der Nightwalker, die seit Wochen jegliche Aussage verweigert. Bruce hingegen scheint sie zu vertrauen. Sie warnt ihn, dass er als Nächster auf der Liste der Nightwalker steht. Doch welche Rolle spielt sie selbst dabei?

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Seitenzahl: 375

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Marie Lu

Aus dem amerikanischen Englisch von Anja Galic

Für Dianne:

Bruce Wayne würde sich glücklich schätzen können,

dich zur Freundin zu haben.

Prolog

Das Blut unter ihren Fingernägeln ärgerte sie.

Verdammte billige Handschuhe, fluchte sie stumm. Sie hatte heute Nacht sogar schon zwei Paar übereinandergetragen, aber durch eine winzige Unachtsamkeit hatte das Messer beide Schichten durchtrennt, sodass sie jetzt Blut an ihren Händen hatte. Lästig. In jeder anderen Nacht hätte sie die kleinen scharlachroten Krusten sorgfältig unter jedem einzelnen Nagel weggekratzt. Aber in dieser Nacht hatte sie keine Zeit.

Mondlicht ergoss sich über den Boden der Villa, erhellte einen Teil des nackten Männerkörpers. Er blutete seltsam, verglichen mit den anderen. Das Blut sammelte sich unter ihm zu einer perfekten runden Lache, wie glänzender Zuckerguss auf einem Kuchen.

Seufzend packte sie die rote Sprühdose in ihren Rucksack und klaubte ein paar der Stofffetzen zusammen, die über den Boden verteilt waren. Neben ihr prangte das Symbol, das sie gerade in aller Eile auf die Wand gesprüht hatte.

Ihr Timing heute Nacht war katastrophal. Zuerst die unvorhergesehenen Komplikationen mit dem Sicherheitssystem am Eingang der Villa, dann war ihnen der Besitzer Sir Grant auch noch praktisch in die Arme gelaufen, statt tief und fest zu schlafen. Jetzt waren sie spät dran. Sie hasste es, spät dran zu sein.

Schnell lief sie durch das Schlafzimmer und packte das restliche Werkzeug in ihren Rucksack. Jedes Mal, wenn sie an einem der Fenster vorbeikam, wurde ihr Gesicht von einem Streifen Mondlicht erleuchtet. Ihre Mutter hatte immer gesagt, sie hätte schon von Geburt an diese puppenhaften Züge gehabt – große, dunkel schimmernde Augen, lange, geschwungene Wimpern, eine schmale Nase, Porzellanteint und ein Mund wie eine Rosenknospe. Ihre Augenbrauen waren wie mit einem weichen Bleistift gezogen und verliehen ihr einen verwundbaren Ausdruck.

Genau das war das Fatale an ihr. Niemand sah, was wichtig war, bis es zu spät war. Bis ihr Blut unter ihren Fingernägeln klebte.

In der Eile hatten sich ihre Haare aus dem Knoten gelöst, sodass sie sich wie ein schwarzer Wasserfall über ihre Schultern ergossen. Sie hielt kurz inne, um sie wieder hochzustecken. Das Risiko, dass sie dabei ein paar Haare verlor, die die Spurensicherung als Täterhinweis eintüten konnte, ging sie ein – Hauptsache, sie schaffte es, rechtzeitig von hier abzuhauen. Was für ein dilettantischer Abgang und so absolut untypisch für sie.

Ich bring sie um, dachte sie wütend. Lassen mich hier ihr Chaos aufräumen …

Aus der Ferne näherte sich Sirenengeheul.

Sie hob ruckartig den Kopf und lauschte angestrengt. Ihre Hand legte sich instinktiv auf eines der Messer, die um ihre Schenkel geschnallt waren. Dann lief sie los. Ihre Stiefel verursachten keinerlei Geräusche – sie bewegte sich wie ein Schatten, nur das leise Schlackern ihres umgehängten Rucksacks war zu hören. Ohne innezuhalten, zog sie den schwarzen Schal über die untere Hälfte ihres Gesichts und klappte das Visier ihres Nachtsichtgeräts herunter, wodurch sich das Innere der Villa in ein Gitternetz aus Wärmesignalen und grünen Linien verwandelte.

Das Sirenengeheul kam rasend schnell näher.

Sie hielt noch einmal lauschend inne. Die Einsatzwagen kamen aus unterschiedlichen Richtungen – sie hatten vor, sie einzukreisen. Weg hier. Ihre Gestalt verschmolz mit den Schatten, als sie die Treppe in Richtung Untergeschoss hinunterraste. Sie hatten das Sicherheitssystem neu verkabelt, um das Schloss der Eingangstür von innen zu verriegeln, weshalb ihr Fluchtweg durch den Keller führte, aber sämtliche Alarmanlagen waren deaktiviert und die Fensterschlösser warteten auf ihren Befehl.

Als sie den Keller erreicht hatte, drangen die Sirenen ohrenbetäubend laut zu ihr. Die Polizei war da.

»Fenster A«, murmelte sie in das Mikro ihres Headsets. Das von ihnen umprogrammierte Sicherheitsschloss des Fensters am anderen Ende des Raums öffnete sich gehorsam mit einem leisen Klicken. Die Polizei würde den Vorder- und Hintereingang stürmen und nicht sofort auf die Idee kommen, die Seite eines so riesigen Hauses zu sichern, jedenfalls nicht, solange sie nichts von diesem winzigen Fenster im Souterrain wusste. Sie beschleunigte ihre Schritte.

Wenige Sekunden später hatte sie sich ins Freie gezogen. Sie hörte die durch ein Megafon gebrüllten Anweisungen und sah die Wärmesignale von mindestens einem Dutzend Polizisten in schwerer Kampfmontur, die sich geduckt um die Villa verteilt hatten, die Gesichter hinter Helmen versteckt, die Sturmgewehre auf die Eingangstür gerichtet.

Sie klappte das Visier hoch und machte sich bereit, loszusprinten.

Grellweißes Licht flammte über ihr auf.

»Hände hoch!« Mehrere Stimmen schrien gleichzeitig auf sie ein. Waffen wurden entsichert, Polizeihunde zerrten bellend und knurrend an ihren Leinen. »Auf die Knie! Sofort!«

Sie hatten sie erwischt. Am liebsten hätte sie laut geflucht. Und jetzt war es zu spät. Wenigstens hatten es die anderen rechtzeitig geschafft. Für einen winzigen Moment spielte sie mit dem Gedanken, ihre Messer zu ziehen, sich auf einen der am nächsten stehenden Polizisten zu werfen und ihn als Schutzschild zu benutzen.

Aber sie waren eindeutig in der Überzahl, und das Flutlicht hatte sie so stark geblendet, dass ihre Sicht eingeschränkt war. Ihr blieb keine Zeit für ein solches Manöver, ohne dass die Polizei ihre Hunde auf sie hetzen würde, und sie hatte nicht das geringste Bedürfnis, sich zerfleischen zu lassen.

Also hob sie stattdessen die Hände.

Mehrere Polizisten warfen sie hart zu Boden; ihr Gesicht schrappte über Kiesel und Gras. Kurz sah sie ihr Spiegelbild in den dunklen Helmen der Polizisten, die den Lauf ihrer Maschinenpistolen auf ihren Kopf richteten.

»Wir haben sie!«, rief einer von ihnen in sein Funkgerät. Seine Stimme war heiser vor Adrenalin.

Ja, ihr habt mich …, dachte sie, als sich das kalte Metall der Handschellen um ihre Handgelenke schloss. Die Wange auf den Boden gepresst, erlaubte sie sich hinter ihrem schwarzen Schal ein kleines, spöttisches Lächeln.

… fürs Erste.

Kapitel 1

Wenn es ein Auto gab, in das Bruce Wayne gehörte, dann in dieses: ein fabrikneuer, exklusiv für ihn gebauter Aston Martin, höchsten technologischen Standards entsprechend, gefährlich schnittig und nachtschwarz, mit einem über Dach und Kühlerhaube verlaufenden metallisch schimmernden Streifen.

Während er bei Sonnenuntergang vor den Toren von Gotham City über die Straßen fegte, reizte er die Grenzen des Wagens aus, genoss das satte Röhren des Motors, die Art, wie er auf die zarteste Berührung des Gaspedals reagierte. Er war mit den neuesten von WayneTech entwickelten Sicherheitssystemen ausgestattet – eine historisch einmalige Zusammenarbeit zwischen dem legendären britischen Sportwagenhersteller und dem Wayne-Imperium.

Die Reifen protestierten mit lautem Quietschen, als Bruce ohne abzubremsen die nächste scharfe Kurve nahm.

»Das habe ich gehört«, sagte Alfred Pennyworth, der per Videocall zugeschaltet war und ihm von dem holografischen Bildschirm auf der Windschutzscheibe einen missbilligenden Blick zuwarf. »Ich würde es in den Kurven etwas langsamer angehen lassen, Master Wayne.«

»Aston Martins sind nicht dafür geschaffen, es in den Kurven langsamer angehen zu lassen, Alfred.«

»Genauso wenig, wie zu Schrott gefahren zu werden.«

Bruce warf seinem Vormund ein kurzes Lächeln zu. Die untergehende Sonne spiegelte sich in seiner Pilotensonnenbrille, als er wendete und den Wagen wieder in Richtung der Wolkenkratzer von Gotham City lenkte. »Wo bleibt dein Vertrauen in mich, Alfred?«, fragte er grinsend. »Schließlich hast du mir das Fahren beigebracht.«

»Und habe ich Ihnen etwa beigebracht, so zu fahren, als wären Sie vom Teufel besessen?«

»Nicht vom Teufel, Alfred, sondern von speziellen Fähigkeiten«, sagte Bruce. »Außerdem ist dieser Aston Martin bis an die Zähne mit WayneTech-Security bewaffnet. Der einzige Grund, warum ich ihn überhaupt fahre, ist die Benefizgala heute Abend, auf der ich seine Sicherheitsausstattung vorführen will.«

Alfred seufzte. »Ja. Ich erinnere mich.«

»Und wie soll ich das bewerkstelligen, ohne vorher intensiv zu prüfen, was dieses Meisterwerk alles kann?«

»Die WayneTech-Security auf einer Benefizgala vorzuführen und den Tod herauszufordern, sind zwei völlig verschiedene Dinge«, entgegnete Alfred trocken. »Lucius hat Sie gebeten, den Wagen zur Gala mitzubringen, damit die Presse darüber berichten kann.«

Bruce nahm die nächste Haarnadelkurve. Sofort erschien auf der Windschutzscheibe eine Berechnung der Straßenverhältnisse und blendete sich dann wieder aus. Der Wagen reagierte mit geradezu unheimlicher Präzision, lag perfekt auf der Straße und analysierte währenddessen bis ins letzte Detail das umliegende Terrain.

»Das ist doch genau das, was ich gerade mache«, sagte Bruce unschuldig. »Ich versuche, rechtzeitig dort anzukommen.«

Alfred, der gerade einen Fenstersims im Wayne-Anwesen abstaubte und dessen blasses Gesicht in das goldene Licht der späten Abendsonne getaucht war, schüttelte seufzend den Kopf. »Ich werde Lucius umbringen. Wie konnte er das nur für eine gute Idee halten?«

Ein liebevolles Lächeln spielte um Bruce’ Lippen. Manchmal hatte sein Vormund mit seinen wachsamen, der Welt überdrüssigen eisblauen Augen erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Timberwolf. In den letzten Jahren hatten sich die ersten weißen Strähnen in Alfreds Haar geschlichen und die Fältchen um seine Augen hatten sich tiefer in die Haut gegraben. Bruce fragte sich, ob er der Grund dafür war. Bei dem Gedanken fuhr er ein winziges bisschen langsamer.

Es war die Stunde, zu der sich die Fledermäuse zu ihrer allabendlichen Jagd in die Nacht aufmachten, und als Bruce die Innenstadt erreicht hatte, sah er mehrere aus allen Richtungen herbeifliegende Schwärme, die sich einander anschlossen und sich wie eine schnell ziehende Wolke vor dem dämmrigen Himmel abhoben.

Wie immer bei diesem Anblick spürte er einen wehmütigen Stich. Sein Vater hatte ein Stück Land auf dem Wayne-Anwesen einst als eine der größten Fledermauszufluchtsstätten der Stadt ausgewiesen. Bruce erinnerte sich noch genau daran, wie er als kleiner Junge draußen im Garten neben seinem Vater im Gras gekauert hatte, seine Spielzeuge achtlos links liegen gelassen und gemeinsam mit ihm zu diesen einzigartigen Geschöpfen aufgeschaut hatte, die zu Tausenden in die Dämmerung hinausströmten und wie ein wogendes Band über den Himmel glitten. Jede von ihnen war ein Individuum, hatte sein Dad gesagt, und trotzdem bewegten sie sich so, als wären sie ein einziger Organismus.

Bei dieser Erinnerung festigte sich Bruce’ Griff um das Lenkrad. Sein Vater hätte hier neben ihm sitzen und mit ihm die Fledermäuse beobachten sollen. Aber das würde nie wieder möglich sein.

Die Straßen wurden schäbiger, als er sich dem Zentrum näherte, bis die untergehende Sonne schließlich vollständig von den Wolkenkratzern verdrängt wurde und die Gassen sich in Schatten hüllten. Er zog am Wayne Tower und dem Seco Financial Building vorbei, in dessen umliegenden Seitenstraßen Zelte aufgeschlagen waren – bittere Armut in direkter Nachbarschaft zu einem Leuchtfeuer des Reichtums. Kurz darauf kam er an der Gotham City Bridge vorbei, deren neuer Anstrich erst zur Hälfte fertig war und unter der sich eine unübersichtliche Anzahl baufälliger Häuser drängte.

Bruce erinnerte sich nicht daran, dass die Stadt schon so ausgesehen hatte, als er noch jünger gewesen war – für ihn war Gotham City damals ein beeindruckender Beton- und Stahldschungel gewesen, mit noblen Limousinen, Portiers in schwarzen Uniformen, dem Duft von neuem Leder, teuren Aftershaves und Parfums, mit funkelnden Luxushotel-Lobbys und prächtigen Jachten, die in dem von den Lichtern der Stadt beleuchteten Hafen vor Anker lagen.

An der Seite seiner Eltern hatte er nur das Gute gesehen – nicht die Graffitis an den Hauswänden oder den Müll in den Rinnsteinen, nicht die herumstehenden Einkaufswagen oder die Menschen, die in dunklen Ecken kauerten und mit Pappbechern um ein paar Münzen bettelten. Als behütet aufgewachsenes Kind hatte er nur das kennengelernt, was man von Gotham City für einen entsprechenden Preis bekam, und nicht das, was es mit einem machte, wenn man diesen Preis nicht bezahlen konnte.

Das alles hatte sich in einer einzigen schicksalhaften Nacht geändert.

Bruce hatte gewusst, dass er heute besonders intensiv an seine Eltern denken würde: Es war sein achtzehnter Geburtstag – der Tag, an dem er Zugang zu seinem Treuhandvermögen erhalten würde. Aber so sehr er auch versucht hatte, sich zu wappnen, konnte er nichts dagegen tun, dass die Erinnerungen ihm ins Herz schnitten.

Er bog in die gewundene Straße ein, die zur Bellingham Hall hinaufführte. Vor dem breiten Treppenaufgang war ein roter Teppich ausgerollt worden, um den sich bereits Dutzende Paparazzi drängten, die beim Anblick seines Wagens sofort ihre Kameras in Stellung brachten.

»Master Wayne.«

Alfreds Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Sein Vormund war immer noch nicht mit seinem Vortrag über das Einhalten gewisser Straßenverkehrsregeln fertig.

»Ich bin ganz Ohr, Alfred«, sagte Bruce.

»Das wage ich zu bezweifeln. Ich habe Sie gerade daran erinnert, für morgen ein Treffen mit Lucius zu vereinbaren. Da Sie den ganzen Sommer mit ihm arbeiten werden, sollten Sie sich zumindest schon einmal ein paar Gedanken zu einem detaillierten Plan machen.«

»Ja, Sir.«

Alfred warf ihm einen strengen Blick zu. »Und benehmen Sie sich heute Abend. Haben Sie verstanden?«

»Ich werde still in einer Ecke stehen und keinen Mucks von mir geben.«

»Wirklich sehr komisch, Master Wayne. Aber ich werde Sie beim Wort nehmen.«

»Keine Geburtstagsglückwünsche für mich, Alfred?«

Jetzt schlich sich doch ein Lächeln auf Alfreds Gesicht, das seine Züge weicher werden ließ. »Und alles Gute zu Ihrem achtzehnten Geburtstag, Master Wayne.« Er nickte. »Sie sind durch und durch Marthas Sohn, der Gastgeber dieser Veranstaltung. Sie wäre sehr stolz auf Sie.«

Bei der Erwähnung seiner Mutter musste Bruce kurz die Augen schließen. Statt ihren Geburtstag zu feiern, hatte sie jedes Jahr eine Benefizgala für den Gotham City Legal Protection Fund veranstaltet, eine gemeinnützige Organisation, die Menschen vor Gericht vertrat, die sich keinen Anwalt leisten konnten. Da die Verantwortung für das Vermögen seiner Familie jetzt offiziell bei ihm lag, würde er ihre Tradition heute Abend fortsetzen.

Sie sind durch und durch Marthas Sohn. Bruce wusste nicht, wie er mit dem Lob umgehen sollte, und tat es mit einem Achselzucken ab. »Danke, Alfred«, sagte er. »Warte nicht auf mich, es wird bestimmt spät.«

Nachdem er die Verbindung beendet hatte, kam er vor der Bellingham Hall zum Stehen und erlaubte sich für einen winzigen Augenblick, einfach dazusitzen und sich zu sammeln, während die Pressemeute auf seinen Wagen zustürzte und ihn durch die geschlossenen Scheiben mit Fragen bestürmte.

Er war im Rampenlicht aufgewachsen, hatte jahrelang die Schlagzeilen über sich und seine Eltern ertragen müssen: ACHTJÄHRIGERBRUCEWAYNEEINZIGERZEUGEDESMORDESANSEINENELTERN! – BRUCEWAYNEWIRDVERMÖGENERBEN! – ACHTZEHNJÄHRIGERBRUCEWAYNEABSOFORTDERREICHSTETEENAGERDERWELT! Und so weiter und so fort.

Alfred hatte immer wieder einstweilige Verfügungen gegen Fotografen erwirkt, die ihre Teleobjektive auf das Anwesen der Waynes gerichtet hatten, und einmal war Bruce in Tränen aufgelöst aus der Grundschule gekommen, völlig verängstigt von der rücksichtslosen Sensationsgier der Paparazzi, die ihn bei ihrer Jagd auf ihn fast überfahren hätten. Die ersten Jahre hatte er versucht, sich vor ihnen zu verstecken – als hätte er die Boulevardblätter davon abhalten können, neue Gerüchte zu erfinden, indem er sich in seinem Zimmer verkroch.

Aber entweder man versteckte sich vor der Realität oder man kam damit klar. Und mit der Zeit hatte Bruce einen Schutzpanzer um sich errichtet und einen unausgesprochenen Waffenstillstand mit der Presse ausgehandelt.

Er legte sich eine sorgfältig für die Außenwelt kultivierte Fassade zu, mit der er sich regelmäßig in der Öffentlichkeit zeigte, und ließ sie ihre Fotos schießen. Im Gegenzug richteten sie ihr Augenmerk auf die Themen, die er vorgab. Und in diesem Moment war dieses Thema die Arbeit, die WayneTech leistete, um Gotham City sicherer zu machen – von neuen Schutzprogrammen für die Bankkonten der Stadt bis hin zu Robotern für das Gotham City Police Department, automatischen Sicherheits-Features, die frei erhältlich sein würden, sowie Open-Source-Technologie für alle Autohersteller.

Bruce hatte in den letzten Jahren zahllose Nächte damit verbracht, wie ein Besessener den Polizeifunk abzuhören und auf eigene Faust unaufgeklärte Kriminalfälle zu verfolgen. Er hatte Dutzende von Glühbirnen verschlissen, unter deren Licht er bis zum Morgengrauen Prototypen von WayneTech auseinandergebaut und die Technologie glitzernder Mikrochips und künstlicher Gelenke studiert hatte, die das Unternehmen seiner Familie entwickelt hatte, um die Sicherheit in der Stadt zu verbessern.

Wenn das Vorantreiben dieser Mission bedeutete, ständig in den Medien zu sein, dann musste er das wohl oder übel in Kauf nehmen.

Als einer der Portiers auf seinen Wagen zugeeilt kam, um ihm die Tür zu öffnen, stieg Bruce mit einer geschmeidigen Bewegung aus und versteckte sein Unbehagen hinter einem strahlenden Lächeln. Die Kameraauslöser klickten wie Maschinengewehrsalven. Zwei Sonnenbrillen tragende Bodyguards in schwarzen Anzügen schoben die Reporter zurück, um ihm einen Weg zu bahnen, aber sie drängten immer wieder aufs Neue nach vorn, streckten ihm ihre Mikros hin und bombardierten ihn mit Fragen.

»Freuen Sie sich schon auf Ihren Highschool-Abschluss?« – »Genießen Sie Ihren neuen Reichtum?« – »Wie fühlt es sich an, der jüngste Milliardär der Welt zu sein?« – »Verraten Sie uns, wer Ihre Freundin ist, Bruce?« – »Hey, Bruce, hierher! Schenken Sie uns ein Lächeln!«

Bruce tat ihnen den Gefallen und schaute mit einem lässigen Grinsen in die Runde. Er wusste, dass er fotogen war – groß und schlank, mit blauen Augen, die im Kontrast zu seiner hellen Haut wie dunkle Saphire schimmerten; die dichten schwarzen Haare aus dem Gesicht gestrichen, der Anzug maßgeschneidert und die Brogues auf Hochglanz poliert. »Guten Abend«, sagte er und blieb einen Moment vor dem Wagen stehen.

»Bruce!«, rief einer der Paparazzi. »Ist dieser Wagen Ihre erste Anschaffung?« Er zwinkerte. »Sie haben wohl schon angefangen, Ihr Vermögen in vollen Zügen zu genießen?«

Bruce schluckte den Köder nicht. »Was Sie hier sehen«, antwortete er, »ist das neueste Aston-Martin-Modell, das es auf dem Markt gibt, und es ist vollständig mit der Sicherheitstechnologie von WayneTech ausgestattet. Sie sind herzlich eingeladen, sich heute Abend exklusiv einen ersten Eindruck davon zu verschaffen.« Er machte eine ausladende Geste in Richtung des Wagens, worauf einer seiner Bodyguards die Tür öffnete, damit die Pressevertreter hineinschauen konnten. »Ich möchte Ihnen allen dafür danken, dass Sie heute Abend die Benefizgala meiner Mutter unterstützen. Das bedeutet mir wirklich viel.«

Er verlor noch ein paar Worte zu der Wohltätigkeitsorganisation, der die Spenden zugutekommen würden, wurde aber ständig von Zwischenrufen unterbrochen. Erschöpfung stieg in ihm hoch und einen Moment lang fühlte er sich allein und in die Enge getrieben. Sein Blick wanderte an den Paparazzi vorbei und suchte nach Journalisten von seriöseren Zeitungen. Er sah jetzt schon die Schlagzeilen von morgen vor sich: BRUCEWAYNEVERPULVERTSEINGELDFÜRMILLIONENTEURESAUTO! – TRUST-FUND-BABYVERLIERTKEINEZEIT! Aber dazwischen würde es hoffentlich auch einige Artikel geben, die detailliert auf die Arbeit eingingen, die bei WayneTech geleistet wurde. Nur darauf kam es an. Also blieb er noch einen Augenblick stehen und ließ das Blitzlichtgewitter über sich ergehen.

Als er sich schließlich einen Weg zum Treppenaufgang bahnte, ließ er seinen Blick über die Gäste schweifen – Angehörige der Oberschicht Gotham Citys, Stadträte, Gefolge – und ordnete sie automatisch in Kategorien ein. Es war eine Überlebensstrategie, die er sich nach dem Tod seiner Eltern zugelegt hatte. Da gab es die Leute, die ihn nur zum Dinner einluden, um den neuesten Klatsch und Tratsch aus ihm herauszuquetschen. Leute, die bereit waren, Freunde zu verraten, um seine Freunde zu werden. Mitschüler, die aus bitterem Neid Lügen über ihn verbreiteten. Mädchen, die alles dafür tun würden, ein Date mit ihm zu bekommen, um die Details dann am nächsten Morgen brühwarm mit den Boulevardblättern zu teilen.

Aber er hielt seine Fassade aufrecht und begrüßte alle mit zuvorkommender Höflichkeit. Nur noch ein paar Stufen, dann hatte er den Eingang erreicht. Er musste es bloß nach drinnen schaffen und dann konnte er …

»Bruce!«

Eine vertraute Stimme übertönte das laute Stimmengewirr. Bruce blickte auf und sah ein Mädchen auf Zehenspitzen auf der obersten Stufe stehen, das ihm zuwinkte. Schwarze Haare umspielten ihre Schultern, und die in den Boden eingelassenen Lichter der Bellingham Hall betonten ihre olivfarbene Haut und die Rundung ihrer Hüften. Sie trug ein elegantes Abendkleid, das bei jeder Bewegung silbern schimmerte. »Hier oben!«, rief sie.

Bruce seufzte erleichtert. Dianne Garcia. Kategorie: aufrichtig.

Als er bei ihr angekommen war, drehte sie der Menge, die sich hinter dem Absperrseil drängte, instinktiv den Rücken zu, um ihn vor den blitzenden Kameras abzuschirmen.

»Das nenne ich stilvoll – an seinem eigenen Geburtstag zu spät zu kommen«, sagte sie grinsend.

Er zwinkerte ihr dankbar zu und beugte sich zu ihrem Ohr hinunter. »Du kennst mich doch.«

»Diese Gala ist der absolute Wahnsinn«, fuhr sie fort. »Ich glaube, mit den Spenden, die sie einbringt, könntest du einen neuen Rekord brechen.«

»Das hoffe ich.« Er schlang einen Arm um ihre Schulter. »Sonst hätte ich die ganzen Kameras dort unten ganz umsonst ertragen.«

Dianne lachte. Das war das Mädchen, das einmal einem Jungen einen Zahn ausgeschlagen hatte, weil er ihre Freunde schikaniert hatte; das Mädchen, das in der Elften das komplette erste Kapitel von Eine Geschichte aus zwei Städten auswendig gelernt hatte, um eine Wette zu gewinnen; das Mädchen, das eine Stunde lang auf die Speisekarte starren konnte, nur um sich am Ende doch denselben Burger wie immer zu bestellen. Sie schob ihn liebevoll protestierend von sich und führte ihn am Arm in das Gebäude, außer Sichtweite der Paparazzi.

Von der hohen Decke hängende, hellsilbern und weiß glitzernde Kronleuchter verbreiteten stimmungsvoll gedämpftes Licht. Auf der einen Seite des Raums war ein üppiges Buffet mit kunstvollen Eisskulpturen aufgebaut, und auf der anderen wurden auf Tischen Auktionsstücke ausgestellt, die im Rhythmus der Musik erzitterten.

»Ich dachte, du hättest heute ein Bewerbungsgespräch fürs College«, sagte er über den Lärm, als Dianne sich ein Stück Zitronentarte vom Buffet nahm. »Nicht dass ich mich beschweren will, dass du hier bist.«

»Das war heute Vormittag«, antwortete Dianne, den Mund voller Kuchen. »Nachmittags musste ich wieder zu Hause sein, um meinen Bruder abzuholen, davon abgesehen hätte ich es einfach nicht ertragen, dich heute Abend meiner zauberhaften Gesellschaft zu berauben.« Sie beugte sich zu ihm und senkte die Stimme zu einem unheilvollen Flüstern. »Das war meine Art, dir zu sagen, dass ich kein Geschenk für dich habe.«

»Gar nichts?« Bruce presste sich gespielt verletzt die Hand aufs Herz. »Das tut weh.«

»Wenn du willst, backe ich dir einen Kuchen.«

»Bitte nicht.« Das letzte Mal, als Dianne versucht hatte, Kekse zu backen, hatte sie Bruce’ Küche praktisch in Brand gesteckt, woraufhin sie eine Stunde lang hektisch versucht hatten, die Spuren zu beseitigen, damit Alfred nichts davon mitbekam.

Dianne stupste ihn mit dem Ellbogen an. »Dann wirst du dich heute Abend mit Fast Food zufriedengeben müssen.«

Vor ein paar Jahren hatten Bruce, Harvey und Dianne beschlossen, sich keine Geburtstagsgeschenke mehr zu machen und stattdessen in ihrem Lieblings-Diner essen zu gehen. Das würden sie auch heute nach der Benefizveranstaltung tun, und Bruce konnte endlich den Milliardär ablegen und einfach ein ganz normaler Junge kurz vor dem Highschool-Abschluss sein, der sich bei saftigen Burgern und fetten Milchshakes von zwei seiner besten Freunde aufziehen ließ.

»Und?«, fragte er. »Wie ist das Gespräch gelaufen?«

»Sie sind bei meinen Antworten nicht vor Entsetzen in Ohnmacht gefallen, ich würde also sagen, es lief ganz gut.« Sie zuckte mit den Achseln.

Das war Diannes Art zu sagen, dass sie herausragend gewesen war, so wie sie auch in allem anderen immer herausragend war. Bruce wusste mittlerweile, dass sie jedes Mal mit den Achseln zuckte, wenn sie versuchte, einen Erfolg herunterzuspielen – wenn sie die höchste Punktzahl bei den Aufnahmeprüfungen erreicht hatte, wenn sie von jeder Universität, an der sie sich beworben hatte, angenommen worden war oder wenn sie dazu auserkoren wurde, bei der Abschlussfeier nächsten Monat als Beste ihres Jahrgangs eine Rede zu halten.

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte er. »Harvey hat sich bestimmt auch für dich gefreut.«

Sie lächelte. »Harvey hat andere Sorgen. Er bettelt mich schon den ganzen Abend darum an, ihn nicht allein auf der Tanzfläche zurückzulassen. Du weißt ja, wie wild seine beiden linken Füße aufs Tanzen sind.«

Bruce lachte. »Aber das bedeutet, dass er dort gerade ganz auf sich allein gestellt ist, oder?«

Dianne grinste mitleidlos. »Die zwei Minuten wird er überleben.«

Die Musik wurde lauter, je mehr sie sich der Tanzfläche näherten. Sie stiegen über einen bewachten Treppenzugang zu einer Empore hinauf, von der aus man auf den brechend vollen Raum darunter schaute, über dessen Boden Kunstnebel waberte. Hinter dem etwas erhöhten DJ-Pult, an dem ein Typ mit dem Kopf zu den Beats wippte, war ein gigantischer Bildschirm installiert, über den bunte Lichtmuster zuckten.

Dianne legte trichterförmig die Hände an den Mund und rief den Leuten auf der Tanzfläche unter ihnen zu: »Er ist da!«

Sofort brachen alle in Jubelrufe aus und fingen lautstark an, »Happy Birthday« zu singen. Als Bruce ihnen lächelnd zuwinkte, spielte der DJ den Track schneller ab und unterlegte ihn dann mit treibenden Beats, worauf die Menge auf der Tanzfläche zu einem Meer aus pumpenden Gliedmaßen wurde.

Bruce ließ sich von der pulsierenden Musik mitreißen und spürte, wie alles Unbehagen von ihm abfiel. Dianne zog ihn die Treppe hinunter und mitten in die Menge hinein, wo er immer wieder stehen blieb, um Leute zu begrüßen oder ein Selfie mit jemandem zu machen. Dabei verlor er Dianne aus den Augen und die Menge um ihn herum verwandelte sich in ein verschwommenes Knäuel aus vertrauten und fremden Gesichtern und im Wechselspiel der zuckenden Lichter mal scharf umrissenen, mal vagen Silhouetten.

Schließlich entdeckte er Dianne ein paar Meter weiter bei Harvey Dent, der angestrengt versuchte, sich im Takt der Musik zu bewegen. Bruce musste bei dem Anblick lächeln und suchte sich einen Weg zu den beiden, die ihn mittlerweile ebenfalls entdeckt hatten und ihn zu sich winkten.

»Bruce!«

Er drehte sich zu der Stimme um, aber noch bevor er etwas erwidern konnte, klopfte ihm jemand kräftig auf die Schulter und grinste ihn mit strahlend weißem Gebiss breit an. »Hey – Happy Birthday, Alter!«

Richard Price, der Sohn des Bürgermeisters von Gotham City. Bruce blinzelte überrascht. Es war Monate her, seit sie sich zuletzt gesehen hatten, und in der Zeit war Richard noch größer geworden, sodass Bruce den Blick heben musste, um ihm in die Augen schauen zu können. »Richard, hey.« Er erwiderte seine Umarmung. »Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst.«

»Und mir deine Megaparty entgehen lasse? Auf keinen Fall«, sagte Richard. »Mein Dad ist auch hier, draußen in der Auktionshalle. Er hat nie auch nur eine Gala deiner Mom verpasst und wird jetzt bestimmt nicht damit anfangen.«

Bruce nickte zurückhaltend. Richard und er waren einmal beste Freunde gewesen – sie waren im selben Nobelviertel groß geworden, auf dieselbe Middle School und dieselben Partys gegangen, hatten im selben Fitnessclub Kickboxen gelernt und in dem kleinen Kinosaal bei Bruce zu Hause Videospiele gespielt und dabei so viel zusammen gelacht, bis sie Bauchschmerzen hatten. Wenn er daran zurückdachte, versetzte es ihm immer noch einen schmerzhaften Stich.

Ihre Freundschaft hatte sich mit den Jahren verändert, bis Richard schließlich unter eine neue Kategorie gefallen war: die Art von Freunden, die sich nur melden, wenn sie etwas von einem wollen.

Bruce fragte sich, was es diesmal sein würde.

»Sag mal …«, begann Richard, ohne die Hand von seiner Schulter zu nehmen. Er warf einen hastigen Blick zur Seite und deutete auf einen der Ausgänge. »Kann ich vielleicht kurz irgendwo in Ruhe mit dir reden?«

»Klar.«

Bruce’ Ohren klingelten, als sie den Saal verließen und auf einen Flur hinaustraten, wo die Musik nur noch gedämpft zu ihnen drang. Richard sah ihn mit einem aufgekratzten Lächeln an, und Bruce spürte, wie er sich etwas entspannte – es war dasselbe Lächeln, mit dem Richard ihn früher angeschaut hatte, wenn er ihm irgendetwas Aufregendes erzählen wollte. Vielleicht war er wirklich nur hier, um seinen Geburtstag mit ihm zu feiern.

Richard trat näher und senkte die Stimme. »Hör zu«, sagte er. »Mein Dad sitzt mir total im Nacken, weil ich noch kein Praktikum für die Sommerferien habe. Und da hab ich mich gefragt, ob du mir vielleicht irgendwie helfen könntest.«

Bruce’ kleiner Hoffnungsfunke erlosch und wurde von dem vertrauten Gefühl der Enttäuschung abgelöst. Richard wollte ihn mal wieder um einen Gefallen bitten. »Ich könnte dich Lucius Fox empfehlen«, antwortete er. »WayneTech ist immer auf der Suche nach …«

Richard schüttelte den Kopf. »Ich will dieses Praktikum ja gar nicht wirklich machen. Du müsstest nur ein gutes Wort bei meinem Dad für mich einlegen, ihm erzählen, ich würde diesen Sommer für WayneTech arbeiten, und mich ab und zu ins Labor mitnehmen.«

Bruce sah ihn stirnrunzelnd an. »Ich soll dir dabei helfen, ein Praktikum zu faken, nur damit dein Dad dir nicht mehr auf die Nerven geht?«

Richard stieß ihn an. »Das ist der letzte Sommer vor dem College. Du weißt doch selbst, wie es ist, oder, Bruce? Ich hab keine Lust, ihn mit Arbeiten zu verbringen. Sag meinem Dad einfach, dass Lucius mich ein Praktikum bei ihm machen lässt. Ist doch keine große Sache.«

»Und wie willst du es schaffen, dass du nicht auffliegst?«

»Das hab ich dir doch gerade gesagt – nimm mich einfach ein paarmal zu WayneTech mit und mach in der Eingangshalle ein Foto von mir oder so was. Das wird reichen, um meinem Dad die Sache zu verkaufen.«

»Ich weiß nicht, Richard. Lucius wird deinem Vater sofort die Wahrheit sagen, wenn er davon Wind bekommt.«

»Ach komm schon, Bruce! Den alten Zeiten zuliebe.« Richard klopfte ihm lächelnd auf die Schulter. »Ich meine, es ist dein Laden, oder? Willst du dir etwa von diesem Nerd sagen lassen, was du zu tun hast?«

Bruce versteifte sich. Als Richard Lucius damals kennenlernte, hatte er sich ziemlich bei ihm eingeschleimt. »Ich habe keine Lust, für dich zu lügen«, sagte er. »Wenn ich deinem Vater erzählen soll, dass du bei WayneTech ein Praktikum machst, dann musst du es auch wirklich machen.«

Richard seufzte genervt. »Dir kann es doch egal sein, oder?«

»Ich mein’s ernst, Richard«

»Aber du musst es doch nur ein- oder zweimal meinem Dad gegenüber erwähnen. Es ist nicht so, als würde es dich irgendwas kosten.«

Bruce schüttelte den Kopf. Als sie noch jünger gewesen waren, war Richard oft unangekündigt bei ihnen aufgetaucht und hatte atemlos in die Gegensprechanlage gerufen, dass er ihm ein neues Videospiel oder die neuesten Actionfiguren zeigen müsste. Irgendwann war es bei ihren Treffen aber immer weniger um solche Dinge wie ihre Lieblingsfilme gegangen, sondern mehr und mehr darum, ob Bruce ihn die Hausaufgaben abschreiben ließ oder ein gemeinsames Schulprojekt allein fertig machte oder ihm einen Job besorgte.

Wann hatte er angefangen, sich so zu verändern? Selbst jetzt verstand Bruce nicht, wann oder warum alles so schiefgelaufen war.

»Ich kann nicht«, sagte er und schüttelte noch einmal den Kopf. »Tut mir leid.«

Richard sah ihn einen Moment lang mit undurchdringlichem Blick an, als wartete er ab, ob er seine Meinung vielleicht noch änderte, aber als das nicht der Fall war, zog er eine Grimasse und schob die Hände in die Hosentaschen. »Schon klar«, murmelte er und trat an Bruce vorbei, um in den Saal zurückzugehen. »Kaum bist du achtzehn und hast den Schlüssel zu deinem Imperium in der Tasche, bist du dir zu gut dafür, deinen Freunden zu helfen.«

»Warte«, sagte Bruce, worauf Richard innehielt und über die Schulter zurückschaute. Bruce sah ihn einen Moment nachdenklich an. »Wärst du heute Abend auch auf die Party gekommen, wenn du nichts von mir gewollt hättest?«

Richards Zögern signalisierte Bruce überdeutlich, dass die Antwort Nein lautete. Aber statt etwas zu sagen, drehte Richard sich achselzuckend um und verschwand den Flur hinunter.

Bruce blieb allein zurück und hörte für einen Augenblick der treibenden Musik zu, die von nebenan zu ihm drang. Plötzlich fühlte er sich fehl am Platz, als würde er noch nicht einmal auf seine eigene Geburtstagsparty gehören. Vor seinem inneren Auge sah er seine Mitschüler und Freunde ausgelassen feiern und tanzen und fragte sich, ob irgendeiner von ihnen, abgesehen von Dianne und Harvey, überhaupt hier wäre, wenn sein Familienname nicht Wayne lauten würde. Die ganzen Paparazzi dort draußen bestimmt nicht, so viel stand fest.

Wenn er einfach nur ein Junge von nebenan wäre, würde sich dann noch irgendjemand für ihn interessieren?

Statt auf die Party zurückzukehren, ging Bruce den Flur entlang und verließ das Gebäude durch einen der hinteren Ausgänge. Als er sich dem Vordereingang näherte, sah er, dass sich die Reporter mittlerweile auf dem obersten Treppenabsatz drängten. Offenbar hatten sie von dem Aston Martin alles bekommen, was sie wollten, und waren jetzt auf der Jagd nach prominenten Gästen. Bruce gelangte unbemerkt zu seinem Wagen und stieg ein. Einer der Bodyguards, der die Paparazzi am Eingang im Auge behielt, entdeckte ihn genau in dem Moment, in dem er die Wagentür zuwarf und den Motor aufheulen ließ.

»Mr Wayne, Sir!«, rief er, aber Bruce antwortete bloß mit einem kurzen Nicken. Er sah, wie ein paar der Paparazzi in seine Richtung schauten, verblüfft die Augen aufrissen, als ihnen klar wurde, was er vorhatte, und anfingen, hektisch durcheinanderzurufen.

Bruce legte den Gang ein und gab Gas, bevor ihn irgendjemand davon abhalten konnte. Nur wenige Sekunden später war die Bellingham Hall zu einem kleinen Punkt im Rückspiegel geschrumpft. Es war vermutlich nicht unbedingt die feine Art, vorzeitig seine eigene Benefizgala zu verlassen, um ein bisschen Zeit für sich zu haben, wenn doch alle etwas von seiner Zeit für sich beanspruchen wollten. Aber er fuhr weder langsamer noch blickte er zurück.

Kapitel 2

Die Neonlichter warfen schlierige Lichtstreifen auf die abendlichen Straßen von Gotham City. Zu dieser Stunde waren nur wenige Fahrzeuge unterwegs, und alles, was Bruce hörte, war das Rauschen des Asphalts und des Winds, als er über den Freeway glitt. Genau das war es, was ihn zu Maschinen hinzog. Sie folgten Algorithmen, nicht Gefühlen; wenn er seinen Fuß auf das Gaspedal senkte, gab es nur eine Möglichkeit, wie der Wagen reagieren konnte.

Im Rückspiegel tauchten die Frontscheinwerfer von Paparazzi auf, die seine Verfolgung aufgenommen hatten. Mit einem kleinen, trockenen Lächeln trieb Bruce die Tachonadel weiter in die Höhe, bis die Welt um ihn herum verschwamm.

Ein lautes Warnsignal ertönte und eine elektronische Stimme mahnte: »Achtung. Sie haben die zulässige Geschwindigkeit überschritten.« Gleichzeitig leuchteten in einer Ecke der Windschutzscheibe das empfohlene Tempo und eine blinkende Anzeige auf, die Bruce aufforderte, langsamer zu fahren.

»Autopilot deaktivieren«, sagte Bruce. Der Alarm verstummte, und er spürte, wie der Wagen seine Straßenhaftung verstärkte, um selbst kleinsten Erschütterungen entgegenwirken zu können.

Zumindest die WayneTech-Features funktionierten, wie sie sollten, dachte er düster. Lucius würde sich darüber freuen.

Der Bordcomputer meldete einen eingehenden Anruf. Bruce warf einen Blick auf das Display und sah, dass es Dianne war. Er ließ es noch ein paarmal klingeln, bevor er das Gespräch annahm. Diannes Stimme hallte durch den Wagen, im Hintergrund waren lautes Stimmengewirr und Musik zu hören.

»Bruce?«, rief sie über den Lärm. »Wo bist du? Ich habe gesehen, wie du mit Richard verschwunden bist, aber dann hab ich gehört, dass du gegangen bist, und …«

»Stimmt«, unterbrach Bruce sie.

»Was? Ist alles okay bei dir?« Das war Harvey. Er klang besorgt.

»Mir geht’s gut«, versicherte Bruce ihnen. »Ich hab bloß ein bisschen frische Luft gebraucht, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.«

Am anderen Ende der Leitung entstand eine kurze Pause. »Tu, wonach dir ist«, sagte Dianne schließlich.

»Und wenn dir nach uns ist«, fügte Harvey hinzu, »sind wir sofort bei dir.«

Bei den Worten entspannte sich Bruce etwas. Sie kannten sich alle mittlerweile so gut, dass jeder genau spürte, wie es dem anderen ging, und niemand viel erklären musste.

»Danke«, sagte er und beendete die Verbindung.

Er war ohne Ziel losgefahren, aber nach einer Weile wurde ihm klar, dass er eine der längeren Routen zurück nach Hause eingeschlagen hatte. Nachdem er den Freeway verlassen hatte, kam er an einer Reihe heruntergekommener Apartmentgebäude vorbei, deren Fassaden von der Witterung der vergangenen Jahrzehnte gezeichnet waren. Kleider hingen schlaff an von einem Fenster zum anderen gespannten Wäscheleinen zum Trocknen. Dampf quoll aus Lüftungsschlitzen. Er lenkte den Wagen mit sicherer Hand durch die Straßen, bog an einer Kreuzung scharf ab und hielt an einer roten Ampel.

Als er aus dem Seitenfenster schaute, sah er, wie ein alter Mann gerade in sein behelfsmäßiges Zelt kroch, während ein anderer ein paar Meter weiter alte Zeitungen in seine Schuhe stopfte. In einer angrenzenden zugemüllten Gasse spielten zwei kleine Kinder.

Bruce wandte den Blick ab. Er sollte nicht hier sein. Und trotzdem war er es und fuhr in einem Wagen durch die Slums, der wahrscheinlich mehr kostete als das, was ein Mensch, der hier hauste, in seinem ganzen Leben verdiente. Stand es ihm mit seinem extrem privilegierten Leben überhaupt zu, traurig zu sein?

Das hier war eines der Viertel, deren Verhältnisse seine Eltern ihr ganzes Leben lang zu verbessern versucht hatten, und genau hier war ihr Blut vergossen worden. Bruce holte tief Luft, als die Ampel auf Grün sprang, und gab wieder Gas. Gotham City hatte viele solcher kaputten Ecken, aber es war nicht unmöglich, die Fehler, die gemacht worden waren, zu korrigieren. Er würde dafür sorgen, dass sich etwas änderte. Es gehörte zu dem Erbe, das seine Eltern ihm hinterlassen hatten.

Nur wenig später veränderte sich das Stadtbild wieder, und er fuhr an intakten Straßenlaternen und Fenstern, die nicht mit Brettern verrammelt waren, vorbei. Die Paparazzi holten allmählich auf. Wenn er sie jetzt nicht abschüttelte, würden sie ihn bis vor die Tore des Wayne-Anwesens verfolgen und morgen auf ihren Titelseiten wild darüber spekulieren, warum er so früh von seiner eigenen Party verschwunden war. Bruce’ Blick verdüsterte sich bei dem Gedanken, und er beschleunigte den Wagen, bis erneut das Warnsignal für überhöhte Geschwindigkeit ertönte.

Als er an einer weiteren Ampel halten musste, hörte er plötzlich das Echo von Polizeisirenen.

Kurz fragte er sich, ob sie hinter ihm her waren, weil er zu schnell gefahren war. Aber dann wurde ihm klar, dass das laute Heulen von irgendwo vor ihm kam – und nicht nur von einem einzigen Streifenwagen stammte, sondern von mindestens einem Dutzend.

Seine düstere Stimmung wurde von Neugier abgelöst. Stirnrunzelnd lauschte er den Sirenen. Nach all der Zeit, die er mittlerweile schon auf eigene Faust Kriminalfälle verfolgte, ließ ihr Klang ihn immer noch aufmerken. Zumal ein Großeinsatz in einem noblen Shoppingviertel wie diesem ungewöhnlich war. Statt seinen Weg nach Hause fortzusetzen, fuhr er in die Richtung, aus der die Sirenen kamen.

Kaum war er um die nächste Ecke gebogen, verwandelte sich das Geheul in ohrenbetäubenden Lärm und die Gebäudefassaden am anderen Ende der Straße warfen das rot-blau wirbelnde Blitzen der Streifenwagen flackernd zurück. Die Kreuzung war mit weißen Straßensperren und gelbem Flatterband vollständig gesichert worden. Selbst aus dieser Entfernung konnte Bruce die dicht an dicht stehenden Feuerwehrwagen und schwarzen SWAT-Trucks sehen, in deren Scheinwerferlicht Polizisten hin und her rannten.

Der Bordcomputer warf eine Straßenkarte auf die Windschutzscheibe. »Polizei-Großeinsatz«, informierte ihn die elektronische Stimme. »Es wird eine Alternativroute vorgeschlagen.«

Bruce spürte, wie er sich unwillkürlich anspannte.

Er blendete die Karte aus und kam direkt vor der Absperrung zum Stehen – genau in dem Moment, in dem das unverkennbare Pop-Pop-Pop-Pop von Schüssen die Nachtluft zerriss.

Er kannte diesen Klang nur allzu gut. Die Erinnerung an den Tod seiner Eltern machte ihn benommen. Ein weiterer Raubüberfall. Ein weiterer Mord. Das ist alles, worum es hier geht.

Dann schüttelte er den Kopf. Das kann nicht sein. Für einen einfachen Raubüberfall rannten hier viel zu viele Cops herum.

»Steigen Sie aus dem Wagen und nehmen Sie die Hände hoch!«, rief eine Polizistin durch ein Megafon. Ihre Stimme hallte die ganze Straße entlang. Bruce’ Kopf zuckte in ihre Richtung. Für einen Moment dachte er, ihr Befehl würde ihm gelten, aber dann sah er, dass sie mit dem Rücken zu ihm stand und ihre Aufmerksamkeit auf die Ecke des Gebäudes gerichtet war, auf dem der Name BELLINGHAMINDUSTRIES & CO. angebracht war. »Sie sind umzingelt, Nightwalker! Das ist Ihre letzte Warnung!«

Ein Officer kam auf Bruce’ Wagen zugerannt. Er winkte hektisch und rief mit angespannter Stimme: »Drehen Sie sofort um. Sie sind hier nicht sicher!«

Bevor Bruce etwas erwidern konnte, ertönte hinter dem Officer eine gewaltige Explosion und ein greller Feuerball stieg in die Luft. Die ganze Straße erbebte.

Bruce konnte die Hitze und Macht der Explosion sogar im Inneren seines Wagens spüren. Sie ließ sämtliche Fenster des Gebäudes gleichzeitig zerspringen und Millionen von Scherben prasselten auf die Straße. Die Einsatzkräfte gingen in Deckung und hoben schützend die Arme über den Kopf. Glassplitter prallten wie Hagelkörner von Bruce’ Windschutzscheibe ab.

Plötzlich raste innerhalb der Absperrung ein weißer Wagen um die Ecke. Bruce sah sofort, welches Ziel er hatte – eine schmale Lücke in der Polizeibarriere, wo gerade ein Truck des SWAT-Teams hindurchgefahren war.

Der Wagen hielt genau darauf zu.

»Ich sagte, verschwinden Sie von hier!«, rief der Officer Bruce zu. Von einem Schnitt auf seiner Stirn lief ein dünnes Blutrinnsal über sein Gesicht. »Das ist ein Befehl!«

Bruce hörte, wie der Fluchtwagen mit quietschenden Reifen über den Asphalt bretterte.

Er hatte unzählige Stunden mit seinem Vater in der Werkstatt verbracht und ihm geholfen, an den Motoren der besten Autos der Welt herumzuschrauben. Hatte bei WayneTech fasziniert zugeschaut, wie an allen möglichen Flug- und Fahrzeugen die neuesten Technologien getestet wurden.

Und deshalb wusste er: Was auch immer sich unter der Motorhaube dieses Wagens befand, war schneller als alles, was die Polizei von Gotham City zu bieten hatte.

Sie werden es nie schaffen, ihn zu schnappen.

Aber ich.

Sein Aston Martin war wahrscheinlich das einzige Fahrzeug, das es mit dem des Verbrechers aufnehmen konnte, das einzige, das leistungsstark genug war, um ihn zu stellen. Bruce’ Blick glitt den Weg entlang, den der Wagen vermutlich nehmen würde, und blieb an einem Schild am Ende der Straße hängen, das Richtung Freeway zeigte.

Ich kann es schaffen.

Das weiße Fluchtauto schoss direkt auf die Lücke in der Absperrung zu und rammte zwei Streifenwagen, als es hindurchraste.

Ich kriege dich. Bruce drückte das Gaspedal durch.

Der Motor des Aston Martin röhrte auf, als er wendete und die Verfolgung aufnahm. Der Officer, der ihn aufgefordert hatte zu verschwinden, stolperte rückwärts. Bruce sah im Rückspiegel, wie er sich wieder fing und seinen Kollegen hektisch Zeichen machte.

»Nicht schießen!«, hörte Bruce ihn schreien. »Zivilperson in der Nähe! Ich wiederhole – nicht schießen!«

Der Fluchtwagen bog an der ersten Kreuzung scharf ab und Bruce setzte ihm nur wenige Sekunden später hinterher. Als die gewundene Straße rechts auf den Freeway abging, lenkte der Nightwalker seinen Wagen, eine Spur aus Abgasen und zwei schwarzen Bremsstreifen hinterlassend, in Richtung Ausfahrt.

Bruce folgte ihm dichtauf. Sofort erstellte der Bordcomputer eine Berechnung der Straßenverhältnisse und steuerte in einer perfekten Kurve auf die Freeway-Ausfahrt.

»Dem Fahrzeug folgen«, sagte Bruce, nachdem er direkt über der Stelle, wo sich das Symbol des Nightwalker-Wagens befand, zweimal auf den Bildschirm getippt hatte – ein Zusatzfeature, mit dessen Hilfe zwei Fahrzeuge leichter in einer Kolonne fahren konnten.

»Wagen erfasst«, meldete das System. Auf dem Bildschirm leuchtete eine kleine grüne Zielscheibe über dem Auto des Nightwalkers auf, und in der Ecke gegenüber blendete sich ein Entfernungsmesser ein, der den Abstand zu dem Fluchtfahrzeug berechnete. Jetzt hatte der Nightwalker keine Chance mehr, ihn abzuschütteln, egal, wie sehr er sich anstrengen würde.

»Autopilot deaktivieren«, sagte Bruce, als das System das Tempo verringern wollte, und beschleunigte. Ein heißer Adrenalinstoß schoss durch seinen Körper, während er den Aston Martin zwischen den anderen Fahrzeugen hindurch von einer Fahrspur auf die andere lenkte. Der Wagen reagierte mit fehlerloser Präzision und berechnete in Sekundenbruchteilen, wann er sich in einen engen Zwischenraum schieben konnte und wie schnell er dafür sein musste.

Bruce holte zum Wagen des Nightwalkers auf, der ihn abzuhängen versuchte, indem er immer wieder willkürlich die Spur wechselte. Die wenigen anderen Autos, die auf dem Freeway unterwegs waren, brachten sich eilig rechts und links in Sicherheit.

Direkt vor Bruce tauchte ein breiter Flutlichtkegel auf, der ihn ins Visier nahm. Als er nach oben blickte, entdeckte er einen schwarzen Helikopter, der parallel zum Freeway flog. Im Rückspiegel sah er in der Ferne die Blaulichter mehrerer Streifenwagen aufblitzen, die jedoch schnell kleiner wurden.

Was zur Hölle mache ich hier eigentlich?, fragte er sich mit fiebriger Benommenheit. Aber statt den Fuß vom Gas zu nehmen, lehnte er sich in den Sitz zurück und drückte das Pedal bis zum Boden durch, die Augen fest auf das schlingernde weiße Auto vor ihm geheftet.

Gleich hab ich dich.

Er war jetzt so dicht an dem Wagen dran, dass er sehen konnte, wie sich der Nightwalker mit finsterem Blick zu ihm umdrehte. Doch dann schnitt dieser einen mit massiven Rohren beladenen Lastwagen und zwang den Fahrer dadurch, auf Bruce’ Spur auszuweichen. Ein Warnsignal ertönte, als der Aston Martin automatisch ausscherte. Bruce riss das Lenkrad herum. Für einen Augenblick fürchtete er, den Laster zu rammen – aber sein Wagen steuerte sofort gegen und lag danach wieder fest und sicher auf der Straße.

Trotz der Gefahr fühlte er sich in diesem Moment unbesiegbar, als wäre es ein vollkommen natürlicher Zustand, seine Aufmerksamkeit auf nichts anderes als sein Ziel und seinen Herzschlag zu konzentrieren.

Aus dem Helikopter befahl ihm eine Stimme über Megafon anzuhalten. »Fahren Sie rechts ran und bleiben Sie stehen. Ich wiederhole: Bleiben Sie stehen!«

Aber Bruce hatte sein Ziel mittlerweile fast eingeholt. Er festigte den Griff um das Lenkrad und hoffte, dass er sich nicht verkalkuliert hatte. Wenn er den Wagen des Nightwalkers rammte, riskierte er, sich durch die Wucht des Aufpralls zu überschlagen. Showdown.

Alfred wird mich umbringen.

Bruce tätschelte das Lenkrad des Aston Martin. »Tut mir leid, mein Freund«, murmelte er, und bei dem Gedanken an das, was er gleich tun würde, krampfte sich sein Magen kurz zusammen.

Dann gab er Gas. Diesmal versuchte das Sicherheitssystem, ihn zu stoppen, und er spürte, wie das Lenkrad blockierte. »ACHTUNG! KOLLISIONSGEFAHR!«

»Autopilot deaktivieren!«, schrie Bruce und ließ seinen Wagen mit voller Wucht in das Heck des Nightwalkers krachen.