Bauch frei! - Marlene Hellene - E-Book

Bauch frei! E-Book

Marlene Hellene

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Beschreibung

Zeit für ein neues Bauchgefühl! Die Bestsellerautorin und Kolumnistin Marlene Hellene schreibt über neun Monate im Leben einer Frau, die in höchstem Maße aufgeladen sind mit gesellschaftlichen Zuschreibungen und Erwartungen. Sie thematisiert, worüber kaum jemand spricht, was aber dennoch real ist: die Zweifel (War das wirklich eine gute Idee?), die körperliche Anstrengung (Wo bleibt der versprochene Glow?) – und vor allem die Tatsache, dass der schwangere Körper plötzlich zum Allgemeingut wird (Gehört mein Körper noch mir oder schon allen anderen?), wie Übergriffigkeiten und Erwartungsdruck Frauen zusetzen und wie sehr sie insbesondere als Mütter und werdende Mütter um Selbstbestimmtheit kämpfen müssen. Ein überfälliges Plädoyer für ein neues Bauchgefühl. «Wenn Sie finden, dass Schwangere die Klappe halten sollten, wird dieses Buch Sie wahnsinnig machen. Für alle anderen ist es eine aufklärende und bereichernde Lektüre, teils lustig, teils beruhigend und teils wütend machend. Also genau richtig.» Margarete Stokowski

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Seitenzahl: 191

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Marlene Hellene

Bauch frei!

Ein Plädoyer für eine selbstbestimmte Schwangerschaft

 

 

 

Über dieses Buch

Zeit für ein neues Bauchgefühl!

Die Bestsellerautorin und Kolumnistin Marlene Hellene schreibt über neun Monate im Leben einer Frau, die in höchstem Maße aufgeladen sind mit gesellschaftlichen Zuschreibungen und Erwartungen. Sie thematisiert, worüber kaum jemand spricht, was aber dennoch real ist: die Zweifel (war das wirklich eine gute Idee?), die körperliche Anstrengung (wo bleibt der versprochene Glow?) – und vor allem die Tatsache, dass der schwangere Körper plötzlich zum Allgemeingut wird (gehört mein Körper noch mir oder schon allen anderen?), wie Übergriffigkeiten und Erwartungsdruck Frauen zusetzen und wie sehr sie insbesondere als Mütter und werdende Mütter um Selbstbestimmtheit kämpfen müssen. Ein überfälliges Plädoyer für ein neues Bauchgefühl.

 

«Wenn Sie finden, dass Schwangere die Klappe halten sollten, wird dieses Buch Sie wahnsinnig machen. Für alle anderen ist es eine aufklärende und bereichernde Lektüre, teils lustig, teils beruhigend und teils wütend machend. Also genau richtig.» Margarete Stokowski

Vita

Marlene Hellene, geboren 1979, begeistert auf Twitter und Instagram mit ihren Texten und Tweets. Texte der Autorin erscheinen u.a. in der SZ und regelmäßig in der Brigitte Mom. Ihre Bücher «Man bekommt ja so viel zurück» und «Zu groß für die Babyklappe» waren Bestseller. Sie lebt mit ihrer Familie in Karlsruhe.

Twitter: Lilli Marlene@MarleneHellene, Instagram: @marlenehellene

Inhaltsübersicht

Widmung

Vorbemerkungen

1 Schwanger

2 Macht

3 Übel

4 Blut

5 Hebamme

6 Lügen

7 Gefahr

8 Verlust

9 Grenzen

10 Familie

11 Geld

12 Endspurt

13 Geburt

14 Wochenbett

Danksagung

Quellenverzeichnis

Für Mila und Jaro.

 

Wie der Baum seine Äst’, wie der Vogel sein Nest, wie der Himmel seine Stern’.

Wenn Sie dieses Buch lesen und sich wiedererkennen, dann liegt das wahrscheinlich daran, dass Sie ein Mensch sind und ich über Menschliches schreibe. Sie sind nicht gemeint, Florian. Sie auch nicht, Sabine. Und erst recht nicht Sie, Andreas. Und trotzdem handelt es von Ihnen allen.

1Schwanger

«Herzlichen Glückwunsch, Sie sind schwanger!»

Herzlichen Glückwunsch. Jeder sagt es, kaum jemand meint es in seiner allumfassenden Bedeutung. Weil nämlich kaum jemand Folgendes meint:

«Hey, wie krass, Sie hatten einen Eisprung! Ihr Eibläschen hat eine Größe von 15 bis 20 Millimeter erreicht, ist geplatzt und hat eine Eizelle freigegeben. Eine Eizelle, die bereits seit Ihrer Geburt in Ihrem Körper vorhanden war. Nachdem die Eizelle lustig aus dem Eibläschen katapultiert wurde (ein Vorgang, den Sie vielleicht kurz schmerzhaft gespürt haben, während Sie im Bus saßen, einen Vortrag gehalten haben oder vielleicht sogar Sex hatten), wurde sie vom Ende des Eileiters geschickt aufgefangen. Muskelbewegungen und feine Härchen transportierten die Eizelle dann im Eileiter langsam weiter, wo sie durch eine männliche Samenzelle (die bis zu diesem Punkt schon eine megalange und beschwerliche Reise durch Ihren Körper hinter sich hatte – man denke an den Vorspann des Kultfilms ‹Kuck mal, wer da spricht›) befruchtet wurde. Zwischenzeitlich hat sich Ihre Gebärmutterschleimhaut schön kuschelig sechs bis sieben Millimeter dick aufgebaut, um die befruchtete Eizelle in einem gemütlichen Bettchen aufzunehmen. Nach der Befruchtung wanderte die Eizelle, die sich währenddessen auch noch munter mehrfach teilte, vier bis fünf Tage auf abenteuerlichem Weg durch den Eileiter in Ihre Gebärmutter, wo sie sich geschickt in ihr vorbereitetes Gebärmutternest einnistete. Bei diesem Vorgang haben eine Menge Hormone, Drüsen und allerlei andere Körperfunktionen mit komplizierten lateinischen Namen perfekt und punktgenau zusammengearbeitet. Eine klitzekleine Störung hätte das Werk sofort beendet, und Ihre Regelblutung hätte eingesetzt. WOW! Herzlichen Glückwunsch! Sie sind schwanger.»

Jetzt muss man natürlich den meisten Menschen zugutehalten, dass sie diesen Vorgang kaum in solchem Ausmaß auf dem Schirm haben. Die meisten denken sich nicht viel, wenn sie zu einer Schwangerschaft gratulieren. Allerhöchstens kichern sie innerlich wie ein elfjähriges Kind auf dem Schulhof und denken sich «Hihi, da hatte jemand Sex» (wobei das nicht mal stimmen muss, auch eine künstliche Befruchtung oder eine Samenspende kommen ja infrage).

Ich allerdings hatte diesen Vorgang sehr wohl auf dem Schirm. Dummerweise. Aber fangen wir von vorn an: Ich war einunddreißig Jahre alt, als ich beschloss, mich fortzupflanzen. Ich hatte in den zurückliegenden Jahren genug gelebt, gearbeitet, Geld verdient, Geld ausgegeben, geliebt, gefeiert, getanzt, geweint und gelacht. Ich fühlte mich bereit. Bereit, Mutter zu werden. Was natürlich ziemlich absurd ist. Das ist genau so, als würde man plötzlich beschließen, bereit zu sein, ein Braunbär zu werden oder Bewohnerin eines anderen Sonnensystems. In Wahrheit hat man nämlich absolut keine Ahnung, auf was man sich da einlässt. Genau genommen war ich also höchstens bereit für das Unbekannte.

Jetzt stehe ich nicht besonders auf das Unbekannte. Ich bin ein sehr planvoller Mensch. Ich möchte gerne im Vorfeld wissen, was mich erwartet, und vor allem, was dabei von mir erwartet wird. Allerdings hielt ich nicht die Mutterschaft für das unbekannte Terrain. Mütter sah ich schließlich jeden Tag irgendwo. Ich sah sie im Café, auf der Straße und im Fernsehen. Sie begegneten mir im Supermarkt und bei Ikea. Ich hatte Freundinnen, die Mütter waren. Die Person, die mich geboren und aufgezogen hat, die Person bei deren Anruf das Wort «Mama» auf meinem Handydisplay erscheint, ist Mutter. Meine eigene sogar. Ich wusste, dass Mütter ihre Kinder mit Nahrung, Kleidung und einem Dach überm Kopf versorgen. Mütter spielen Brettspiele und basteln Einladungskarten für Kindergeburtstage. Mütter schlafen wenig und küssen viel. Mütter haben Feuchttücher in der Handtasche und wissen immer, wo die nächste öffentliche Toilette ist. Mütter lieben und werden geliebt. Nein, Mutterschaft erschien mir nicht fremd. Mittlerweile habe ich Bücher damit gefüllt, was ich alles vorher nicht wusste, aber damals war der unbekannte Faktor, das X in der Gleichung, für mich die Schwangerschaft. Natürlich hatte ich auch schon Schwangere gesehen, ich durfte pralle Babybäuche streicheln und positive Schwangerschaftstests bewundern. Aber selbst schwanger zu sein und zu werden, war für mich nicht vorstellbar. Also nicht vorstellbar im Sinne von «Wie soll das gehen?». Sie brauchen jetzt nicht überrascht zu schauen, das grundsätzliche Konzept des «Wie» hatte ich schon verstanden. Darin war ich sogar einigermaßen geübt. Vielleicht sogar routiniert. Aber jetzt komme ich darauf zurück, was ich bereits angedeutet habe: das Wissen über den genauen biologischen Vorgang. Ich hatte den Fehler begangen, mich intensiv damit vertraut zu machen. Der Vorbereitung wegen. Sie verstehen. Ich hatte mich vertraut gemacht mit dem Vorgang des Eisprungs, der Zellteilung, der Einnistung. Ich hatte Fachaufsätze gelesen, mir Grafiken dazu angesehen und hübsche kleine Piktogramme bewundert. Und ich bekam Panik. Ich konnte nicht Nidation oder Zygote oder Meiose. Niemals. Ich wusste nicht, wie ich die Härchen in meinen Eierstöcken dazu bringen sollte, eine befruchtete Eizelle voranzuschieben. Ich wusste nicht mal, dass ich da Haare habe. Ich dachte, alles über meine Haare zu wissen. Es war mir schleierhaft, wie ich meine Gebärmutterschleimhaut auf exakt die richtige Dicke anwachsen lassen sollte oder wie oft ich die Zellteilung durchführen musste. Die Begriffe Zygote, Morula und Blastozyste klangen für mich eher wie irgendwas aus dem Star-Trek-Universum und nicht wie etwas, das mich schwanger werden lassen sollte. Ich sah mich also mit all diesen krassen körperlichen Abläufen konfrontiert und war überzeugt, nie und nimmer könnte mir das gelingen. Nie und nimmer würde ich schwanger werden. Nie und nimmer könnte ich Leben entstehen lassen.

Der Misserfolg gab mir recht. Auch nach mehreren Monaten des gezielten Körpervollkontakts wurde ich nicht schwanger. Ich pinkelte auf Ovulationstests, auf Schwangerschaftstests und dabei meist auch auf meine Hände. Das Ergebnis war immer gleich frustrierend. Ich war traurig, genervt, und irgendwann wurde ich wütend. Wütend über meine Machtlosigkeit und wütend über den Verlust der Kontrolle über meinen eigenen Körper. Aber vor allem wütend über die verdammte Ungerechtigkeit, die mit dem Thema Schwangerschaft einhergeht. Sandra wird von irgendeinem Christian, dessen Nachnamen sie nicht kennt, nach einer hektischen Viertelstunde auf der Diskotoilette ungewollt und unverhofft schwanger. Julia und Lorenz hetzen seit Jahren von einem Kinderwunschzentrum zum nächsten, sie verlieren ihre Ersparnisse, ihre Hoffnung und vielleicht sogar ihre Liebe. Katja und Kai verkünden fröhlich einen Monat nach der Hochzeit im Freundeskreis ihre Schwangerschaft («Wir hätten selbst nicht gedacht, dass es so schnell geht, hihihi …»). Und Sabine? Die verliert ihr Kind nach zehn Wochen Schwangerschaft auf der Bürotoilette. Zusammengekrümmt, alleine und voller Schmerz. Egal, wie mutmaßlich geeignet oder ungeeignet eine Person dafür ist, ein Kind zu bekommen. Egal, wie sehr sie es will oder nicht will. Egal, wie sehr sie sich bemüht oder es unterlässt. Der Körper entscheidet. Ohne, dass man dabei viel Mitspracherecht hätte. Die Entscheidung, schwanger werden zu wollen, ist letztlich nichts weiter als ein Wunsch. Die Entscheidung trifft nämlich allein der Körper. By the way: Wenn das Schwangerwerden schon so ungerecht und willkürlich ist, sollte doch zumindest die Entscheidung zum Abbruch einer Schwangerschaft allein und ausschließlich bei der Schwangeren liegen. Finden Sie nicht auch?

Jedenfalls, sehen wir der Tatsache ins Auge, ich bin ein Kontrollfreak. Mir einfach etwas zu wünschen und dann kräftig die Daumen zu drücken, ist nicht mein Ding. Schließlich ging es hier nicht um die Bescherung am Weihnachtsabend. Ich wollte tätig werden. Ich wollte handeln. Ich wollte jetzt schwanger werden. Jetzt, jetzt, jetzt (ja, vielleicht habe ich auch mit dem Fuß auf den Boden gestampft). Mein Körper sollte gefälligst so funktionieren, wie ich das von ihm verlangte. Ich vereinbarte also einen Termin bei meinem Frauenarzt, und wenige Tage später fand ich mich in seinem Büro wieder. Da saß er. Hinter seinem riesigen Schreibtisch, aus irgendeinem polierten Holz. Kirsche vielleicht. Teuer bestimmt. Egal, zu welcher Jahreszeit ich bisher bei ihm war, er ist immer braun gebrannt, was einen eindrucksvollen Kontrast zu seinem schlohweißen Haar und seinem persilweißen Poloshirt darstellt. Väterlich sieht er aus. Das denke ich jedes Mal, wenn ich ihn sehe. Mein Gynäkologe ist der stolze Vater, der seine erwachsene Tochter mit Tränen in den Augen zum Altar führt. Als hätte das ZDF ihn im Labor extra für diesen Job gezüchtet. Mich führte er jedoch nicht zum Altar. Mich führte er zum Gynäkologenstuhl, was deutlich weniger Anlass zur Rührung mit sich brachte, aber dafür war ich ja da. Er guckte und tastete, und schließlich kam sein Ultraschallgerät zum Einsatz. Gebannt schauten wir uns das graue Gekrissel auf dem Monitor an. Ich sah einen Ameisenhaufen, er sah Gebärmutter und Eierstöcke. Na, immerhin. Die Hardware war vorhanden. Dann runzelte er jedoch die Stirn: «So, wie es aussieht, müsste Ihr Eisprung vor Kurzem erfolgt sein. Ihre Gebärmutterschleimhaut gefällt mir aber nicht sonderlich. Die müsste viel dicker aufgebaut sein zu diesem Zeitpunkt im Zyklus. So kann sich eine befruchtete Eizelle nur schwerlich einnisten.»

ICH WUSSTE ES! Hatte ich es nicht gesagt?! Ich konnte das nicht. Ich war nicht in der Lage, mir die notwendigen körperlichen Schritte zu merken. Ich hatte nach dem Eisprung einfach irgendwie aufgehört. Rabenmutter, jetzt schon. Ich war nicht einmal in der Lage, meinem Kind ein gemütliches Bettchen herzurichten. Auf dem harten Boden wollte ich es liegen lassen, und das für ganze neun Monate. Ich triumphierte! Auf die unglückliche Art. Mein Arzt hingegen reagierte gelassen. Da gebe es ein Medikament, das sollte ich nehmen, und das würde helfen, die Gebärmutterschleimhaut wachsen zu lassen. Am ersten Tag der nächsten Periode sollte ich mit der Einnahme beginnen. Aha, erst nahm ich jahrelang ein Medikament, um nicht schwanger zu werden, dann wurde mir eins verschrieben, um schwanger zu werden. Was konnte ich eigentlich alleine? Aber zumindest konnte ich jetzt etwas tun. Ich hatte wieder etwas Kontrolle. So dachte ich. Kurzzeitig. Bis meine Periode nicht einsetzte. Auf die ich dieses Mal doch so sehnsüchtig wartete, damit ich endlich die Wunderpille einnehmen konnte, die ein hübsches Kinderbett in meinem Körper entstehen lassen sollte. Nun, ich sollte vergeblich warten. Meine Periode sollte nicht einsetzen.

Friedrich Dürrenmatt hat einmal gesagt: «Je planmäßiger der Mensch vorgeht, desto wirksamer trifft ihn der Zufall.» Und ja, heimlich, still und leise war mein Körper tätig geworden. Ganz alleine, ohne Spickzettel, ohne Anleitung, mit einem uralten Wissen ausgestattet, das nicht meinem Kopf, sondern nur meinem Körper zur Verfügung stand. Eisprung, transportierende Härchen und Befruchtung. Eine mehrtägige abenteuerliche Wanderung. Zygote, Morula und Blastozyste. Gebärmutterschleimhaut und Einnistung. Ein Test bestätigte es schließlich. Und noch einer. Und noch einer. Und ein weiterer. WOW! Herzlichen Glückwunsch! Ich war schwanger.

2Macht

Drei Euro. Das ist ungefähr der Preis für den günstigsten Schwangerschaftstest in einer Drogerie. Drei Euro und ein wenig Pipi kostet der Eintritt in die Welt der Gewissheit. Eigentlich kein schlechter Deal. Ein blauer Strich für «nicht schwanger». Zwei blaue Striche für «schwanger». So simpel. So überhaupt nicht simpel.

Denn ist es nicht unglaublich, was das Fehlen oder Vorhandensein eines Striches ausmachen kann? Täglich bitten die einen für das Ausbleiben eines weiteren blauen Striches, täglich hoffen die anderen auf dessen Erscheinen. Was für die eine Person der absolute Albtraum ist, bedeutet für die andere das größte Glück. So oder so wird das Ergebnis häufig mit Tränen empfangen. Kaum jemand wird mit einem Schulterzucken reagieren. Gleichgültigkeit ist selten zu sehen. Wäre sie doch auch völlig unangebracht. Möglicherweise bedeutet der fehlende zweite Strich das Ende. Das Ende eines Weges voller Hoffen und Bangen. Die letzte Hormonbehandlung, die letzte künstliche Befruchtung, die letzte Samenspende. Vielleicht markiert der einsame Strich ohne Parallele einen schmerzhaften Neubeginn, ein Begraben der Hoffnung. Weil die Kraft nicht mehr reicht, das Geld nicht mehr genügt, der Körper nicht mehr kann. Und vielleicht fühlt sich dieser Strich an wie ein Schnitt ins Herz.

Vielleicht ist da aber auch ein zweiter Strich zu sehen. Bei einer anderen Person. Bei einem anderen Test. Und der Schock überwältigt, raubt den Atem und beendet die Hoffnung darauf, das Ausbleiben der Periode könnte andere Gründe gehabt haben. Und der zweite Strich verschwindet nicht, egal, wie oft man die Augen zukneift und betet.

Aber vielleicht und hoffentlich, an einem perfekten Tag in einer perfekten Welt, bringt das kleine Plastikstäbchen auch das große Glück. Ob mit zwei Strichen. Ob mit einem Strich.

Ich habe alles noch genau vor Augen, als hätte in meinem Kopf jemand gemahnt: «Präg es dir gut ein! Ein kleines Leben kennt nicht viele große Wendepunkte. Das ist einer davon.» Es war ein Freitag im Sommer 2011, und eine Freundin hatte mich zum Essen eingeladen. Meine Laune war im Keller. Absolut mies wegen meines unfähigen Körpers, der keine Schleimhautbetten bauen konnte und jetzt nicht mal mehr menstruieren wollte, dabei sollte er doch, wegen der Wundertabletten und überhaupt. Alles war ungerecht. Alles war schlecht. Ich weiß noch, wie sie lächelte und meinte, der Fall sei doch völlig klar. Wie sie mich in die Drogerie um die Ecke mitschleppte und einen Schwangerschaftstest für mich aussuchte. Ich weiß genau, was ich an diesem Sommertag im Jahr 2011 anhatte, ich weiß, was wir gegessen haben, und ich sehe die Gästetoilette in der Wohnung meiner Freundin noch vor mir, obwohl sie schon lange nicht mehr in dieser Wohnung lebt. Und ich sehe mich darin. Mit zittrigen Knien und dämlichem Grinsen. In der Hand den Schwangerschaftstest, darauf zwei deutliche Striche. Dick und fett. Der Beipackzettel ließ keinen Spielraum für Interpretationen:

«Sehen Sie zwei Striche auf dem Schwangerschaftstest, sind Sie schwanger. Einen falsch positiven Test gibt es nicht. Erscheinen zwei Striche, bedeutet dies, dass der Test das Hormon HCG im Urin nachweisen konnte. Da das Hormon nur in der Schwangerschaft nachgewiesen werden kann, ist das Ergebnis eindeutig.»

Eindeutig. Das klang gut. Eindeutig schwanger. Ein Ausflug in den Drogeriemarkt, drei Euro und einmal pinkeln hatten alles verändert. Aus mies wurde überglücklich. Aus Kellerstimmung wurde himmelhochjauchzend. Aus Ungewissheit wurde Wissen. Wie einen Schatz hielt ich es in der Hand, das Plastikstäbchen, das mein Leben verändert hatte, das Plastikstäbchen, das mich in die Lage versetzte, Entscheidungen zu treffen, ins Handeln zu kommen, mir Hilfe zu suchen. Noch heute liegt er neben meinem Mutterpass und einer klitzekleinen Babymütze in einer Schachtel in meinem Regal.

Ein Schatz, den ich hüten und aufbewahren konnte, weil ich Marlene bin und nicht Helene, meine Großmutter. Helene hatte Ende der vierziger Jahre, als sie mit meinem Vater schwanger wurde, nicht die Möglichkeit, sich Gewissheit zu verschaffen und in der Drogerie oder im Supermarkt einen Schwangerschaftstest für zu Hause zu kaufen. Sie war angewiesen auf Ärzt:innen, Apotheker:innen und Labore. Sie hatte lange auf das Ergebnis warten müssen. Womöglich zu lange. Hätte sie das Ergebnis erst einmal für sich behalten wollen, wäre das kaum möglich gewesen. Helene hätte sich jemandem anvertrauen müssen. Jemanden ins Vertrauen ziehen müssen. Vertrauen, das missbraucht werden kann, Vertrauen, das verletzt werden kann. Vertrauen, das sich nicht jede Frau leisten kann.

Noch bis Anfang der sechziger Jahre wurden Schwangerschaften getestet, indem ein:e Apotheker:in oder ein Arzt, eine Ärztin den Morgenurin einer möglicherweise Schwangeren einem geschlechtsreifen Krallenfroschweibchen injizierte. Laichte der Frosch innerhalb von 18 Stunden, war der Nachweis der Schwangerschaft erbracht. Ja, Sie haben richtig gelesen: Ein:e Apotheker:in oder ein Arzt, eine Ärztin spritzte einem Frosch Urin. Und das wurde über Jahrzehnte weltweit in großem Stil so gehandhabt. Bis in die 1960er Jahre gab es in Kliniken eine Person, die stets für einen geregelten Nachschub an tierischen Schwangerschaftstests zu sorgen hatte. Wir reden hier nicht von Mittelaltersechzig, wohlgemerkt. Zu allen Zeiten waren Menschen daran interessiert, möglichst früh zu erfahren, ob eine Schwangerschaft vorlag: Im alten Ägypten urinierten Frauen auf Weizen- und Gerstensamen. Ging der Samen auf, galt das als Zeichen, dass die Frau schwanger war. Der Test versprach sogar Auskunft über das Geschlecht des Kindes. Keimte der Weizen, wurde es angeblich ein Mädchen, bei der Gerste ein Junge. Also vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Möglicherweise war dieses Testverfahren wissenschaftlich noch nicht ganz so ausgereift. Immerhin war es angenehmer als der Zwiebel- oder Knoblauchtest. Bei diesem führte sich die Frau eine Zwiebel in die Vagina (Oh Gott!) ein und beließ sie für eine Nacht an Ort und Stelle. Roch der Atem der Frau am nächsten Morgen nach Zwiebel, war sie nicht schwanger. Roch der Atem jedoch frisch, lag das daran, dass das Kind in ihrem Leib verhinderte, dass der Zwiebelgeruch nach oben drang. Klingt logisch. Also, so mittel.

Es gab im Laufe der Zeit noch viele für unser heutiges Verständnis seltsam anmutende Testverfahren. Meist spielten Tiere oder Pflanzen dabei eine tragende Rolle. Mag die Art der Tests uns heute vielleicht amüsiert schmunzeln lassen, sind sie doch Zeichen dafür, wie immens wichtig es schon immer für Frauen war, über eine mögliche Schwangerschaft Bescheid zu wissen. Zu Recht! Denn Wissen ist Macht. Und das ist nicht erst seit Francis Bacon so, auf den dieser Ausspruch aus dem sechzehnten Jahrhundert zurückgeht. Für Frauen war und ist es immens wichtig, frühzeitig über die Vorgänge in ihrem Körper Bescheid zu wissen. Woher kommt diese Übelkeit, warum schmerzen meine Brüste und wo bleibt die Periode? Fragen, deren schnelle Beantwortung außerordentlich wichtig ist. Wichtig, um die Ängste zu vertreiben, wichtig, um das Kopfkino auszuschalten, wichtig, um tätig zu werden. Keiner würde wollen, dass man wartet, bis beispielsweise ein Tumor in der Brust so groß geworden ist, dass man ihn von außen mit bloßem Auge erkennt. Beruhigen Sie sich, ich will eine Schwangerschaft nicht mit Krebs vergleichen, und natürlich ist Ihr kleiner Ben-Luca kein Tumor. Ich will damit nur verdeutlichen, dass frühes Wissenwollen über körperliche Vorgänge entscheidend ist. Denn nur so kann frau handeln. Kann sich freuen, kann Vitamine einnehmen, kann einen ärztlichen Termin vereinbaren, kann körperliche Vorgänge einordnen. Oder frau kann sich schnell informieren, wie sie diese Schwangerschaft beenden kann. Und da liegt auch schon der Hund begraben. Lag er schon immer. Aber besonders seit dem Mittelalter. In dieser düsteren Zeit stieß nämlich der Wunsch der Frau auf frühzeitige Kenntnis ihrer Schwangerschaft nicht wirklich auf Verständnis. Es wurde befürchtet, dass informierte Frauen Gegenmaßnahmen gegen die frühe Schwangerschaft einleiten könnten.

Schon immer gab es Hebammen oder Kräuterkundlerinnen, die im Erkennen einer Schwangerschaft bewandert waren. Genauso in deren Beendigung. Im Mittelalter verbrannte man sie als Hexen auf dem Scheiterhaufen. Und machte Frauen somit machtlos.

Dass ich vor zehn Jahren mit dem geliehenen Fahrrad meiner Freundin zur Drogerie um die Ecke fahren konnte und innerhalb von wenigen Minuten wusste, dass ich schwanger war, verdanke ich der Amerikanerin Margaret Crane. Margaret war in den 1960er Jahren eigentlich als Designerin in einem Pharmaunternehmen eingestellt. Nicht als Wissenschaftlerin. Sie sollte dort Kosmetikprodukte, insbesondere deren Verpackung, entwerfen. Sie interessierte sich jedoch mehr für die Dinge, die sie in den Laboren beobachten konnte. Eher zufällig stellte sie fest, wie schnell und einfach Schwangerschaftstests eigentlich durchgeführt werden könnten – und zwar auch ohne dafür eine andere Person um Hilfe bitten zu müssen. Was bis dahin noch ein langwieriger Prozess war, der für Frauen nicht ohne die Einbindung von ärztlichem oder pharmazeutischem Personal möglich war, wurde aufgrund der Entdeckung von Margaret Crane zukünftig auch für Frauen zu Hause möglich. Es entfiel die Notwendigkeit, sich einer anderen Person anvertrauen zu müssen, um Gewissheit über die eigenen körperlichen Vorgänge zu erlangen. Und damit begann ein neues Zeitalter. Privates, Intimes konnte privat bleiben. Frau musste nicht mehr fürchten, durch Dritte an den Ehemann, Vater oder die Dorfgemeinschaft verraten zu werden. Frau konnte sich selbst ein Bild machen. Konnte nur für sich mit dem Ergebnis umgehen. Musste sich nicht erklären, rechtfertigen oder gar vor dem Urteil anderer fürchten. Die selbstständige und unabhängige Durchführung eines Schwangerschaftstests ist ein emanzipatorischer Akt, der es Frauen überall auf der Welt ermöglicht, in Bezug auf ihre Schwangerschaft, auf ihren Körper, auf ihr Leben selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Margaret Crane hat durch ihre Entdeckung, durch die Hartnäckigkeit, mit der sie ihre Arbeit und deren Vermarktung vorantrieb, einen Meilenstein für Frauen und deren Unabhängigkeit geschaffen.

Ich bin froh, dass ich Marlene bin und nicht Helene oder gar Ottilia. Ich bin froh, dass ich mir für drei Euro Macht kaufen konnte. Ich konnte mich freuen, konnte durch die Wohnung meiner Freundin tanzen, konnte meinen Mann überraschen, weil ich endlich das Wissen hatte. Weil ich die Macht hatte. Eine Macht, die jedem und jeder, jung oder alt, arm oder reich, jederzeit zur Verfügung stehen sollte. Dem sechzehnjährigen Mädchen, das erst die Schule abschließen, noch mehr lieben, tanzen und erleben will, ehe es sich entscheidet, Mutter zu werden. Der 45-Jährigen, die dachte, ihre Kinder seien langsam aus dem Gröbsten raus, die sich gerade erst selbst wiederfindet. Der jungen Frau, deren Brüder nicht erfahren dürfen, dass sie einen Freund hat. Der arbeitslosen Nachbarin, die nicht weiß, wie sie finanziell über die Runden kommen soll. Der Frau an der Supermarktkasse, die nie Kinder wollte. Mir. Dir. Uns. Und das so einfach wie möglich. Der Heimschwangerschaftstest ist eine wichtige, eine tolle Errungenschaft für Frauen. Noch besser wäre es jedoch, wenn Schwangerschaftstests jederzeit, Tag oder Nacht, an Heiligabend oder Ostersonntag, für Menschen jeden Alters und Geschlechts erhältlich wären. Zum Beispiel in Automaten in öffentlichen Toiletten. Es muss möglich sein, an einen Test zu kommen, ohne eine dritte Person zu involvieren. Ohne an einer Supermarktkasse stehen zu müssen, ohne den Test auf ein Band in der Drogerie legen zu müssen, ohne Personal in der Apotheke am Verkaufstresen darum bitten zu müssen. Ohne dabei gesehen zu werden, ohne Erklärung, ohne Fragen oder neugierige Blicke. Jede Person jeden Alters sollte jederzeit die Möglichkeit haben, einen Schwangerschaftstest in sicherer und diskreter Umgebung durchführen zu können. Und das,