Bauern, Bonzen und Bomben - Hans Fallada - E-Book + Hörbuch

Bauern, Bonzen und Bomben Hörbuch

Hans Fallada

4,5

Beschreibung

Mit einer Besprechung von Kurt Tucholsky. In "Bauern, Bonzen und Bomben" verarbeitet Fallada die historischen Ereignisse um die schleswig-holsteinische Landvolkbewegung und deren Boykott der Stadt Neumünster, über die er 1929 selbst als Journalist berichtet hatte. Fallada verlegt die Handlung in eine fiktive pommersche Stadt namens Altholm. Die Bauernschaft geht auf die Barrikaden. Sie revoltieren gegen Zwangspfändungen. Bei einer Demonstration wird der Fahnenträger schwer verletzt. Daraufhin boykottiert die Bauernschaft die Stadt Altholm fast ein Jahr, was zu erheblichen wirtschaftlichen und politischen Problemen führt. Die Situation kulminiert in der persönlichen Auseinandersetzung zwischen dem deutschnationalen Redakteur Stuff und dem sozialdemokratischen Bürgermeister Gareis. "Es ist der Mief der Kleinstadt, jener Brodem aus Klatsch, Geldgier, Ehrgeiz und politischen Interessen." [Tucholsky] Null Papier Verlag

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Zeit:5 Std. 45 min

Sprecher:Otto Sander
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Hans Fallada

Bauern, Bonzen und Bomben

Ungekürzte und kommentierte Ausgabe

Hans Fallada

Bauern, Bonzen und Bomben

Ungekürzte und kommentierte Ausgabe

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 EV: Rowohlt Verlag, Berlin, 1931 (565 S.) 1. Auflage, ISBN 978-3-962813-35-2

null-papier.de/573

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Be­spre­chung von Kurt Tuchols­ky

Vor­wort des Au­tors

VORSPIEL

Ein klei­ner Zir­kus na­mens Mon­te

ERSTES BUCH: Die Bau­ern

ERSTES KAPITEL – Eine Pfän­dung auf dem Lan­de

ZWEITES KAPITEL – Jagd nach ei­nem Foto

DRITTES KAPITEL – Die ers­te Bom­be

VIERTES KAPITEL – Ein Ge­wit­ter zieht sich zu­sam­men

FÜNFTES KAPITEL – Der Blitz ist in der Wol­ke

SECHSTES KAPITEL – Das Ge­wit­ter bricht los

SIEBTES KAPITEL – Die Re­gie­rung greift durch

ZWEITES BUCH – Die Städ­ter

ACHTES KAPITEL – Die Er­fin­dung des Boy­kotts

NEUNTES KAPITEL – Der Boy­kott wird Wirk­lich­keit

ZEHNTES KAPITEL – Die Ver­söh­nungs­kom­mis­si­on ar­bei­tet

ELFTES KAPITEL – Die Städ­ter kämp­fen – aber ge­gen­ein­an­der

ZWÖLFTES KAPITEL – Es kracht zum zwei­ten Mal

DREIZEHNTES KAPITEL – Ga­reis der Sie­ger

DRITTES BUCH – Der Ge­richts­tag

VIERZEHNTES KAPITEL – Stuff ver­än­dert sich

FÜNFZEHNTES KAPITEL – Drei Tage Glück

SECHZEHNTES KAPITEL Tre­dups Ende

SIEBZEHNTES KAPITEL – Ga­reis in der Sch­lin­ge

ACHTZEHNTES KAPITEL – Zeu­gen und Sach­ver­stän­di­ger

NEUNZEHNTES KAPITEL – Das Ur­teil

NACHSPIEL

Ganz wie beim Zir­kus Mon­te

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Besprechung von Kurt Tucholsky

Wer, um sich oder ei­nem Drit­ten einen rechts­wid­ri­gen Ver­mö­gens­vor­teil zu ver­schaf­fen, einen an­dern durch Ge­walt oder Dro­hung zu ei­ner Hand­lung, Dul­dung oder Un­ter­las­sung nö­tig­t – § 253 StGB

Ein po­li­ti­sches Lehr­buch der Fau­na Ger­ma­ni­ca, wie man es sich nicht bes­ser wün­schen kann:

›Bau­ern, Bon­zen und Bom­ben‹ von Hans Fal­la­da (er­schie­nen bei Ernst Ro­wohlt in Ber­lin). Be­vor wir ins The­ma stei­gen: das Buch hat ein got­tes­läs­ter­lich schlech­tes Satz­bild. Wie sieht denn nur die Sei­te aus? Ich habe im­mer ge­lernt, der wei­ße Rand müs­se sich nach der In­nen­sei­te des Bu­ches hin ver­brei­tern – dies Satz­bild ist aber gar nicht schön. Ro­wohlt, Sie sind doch sonst nicht so? Jetzt gehts los.

Fal­la­das Buch ist die bes­te Schil­de­rung der deut­schen Klein­stadt, die mir in den letz­ten Jah­ren be­kannt ge­wor­den ist. Der Ver­fas­ser hat einen Bau­ern­ro­man schrei­ben wol­len – wohl an­knüp­fend an die Vor­gän­ge in Neu­müns­ter in Hol­stein, wo Bau­ern­füh­rer im Sin­ne Klaus Heims und, un­ab­hän­gig von ihm, die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten die vor­han­de­ne Un­zu­frie­den­heit der Bau­ern be­nutz­ten, um ge­gen das, was sie die Re­pu­blik nen­nen, vor­zu­ge­hen. »Die Ge­stal­ten des Ro­mans«, steht im Vor­wort, »sind kei­ne Fo­to­gra­fi­en, sie sind Ver­su­che, Men­schen­ge­sich­ter un­ter Ver­zicht auf bil­li­ge Ähn­lich­keit sicht­bar zu ma­chen. Bei der Wie­der­ga­be der At­mo­sphä­re, des Par­tei­ha­ders, des Kamp­fes al­ler ge­gen alle ist höchs­te Na­tur­treue er­strebt. Mei­ne klei­ne Stadt steht für tau­send an­de­re und für jede große auch.«

Die Bau­ern nun sind in die­sem Ro­man eine dunkle, an­ony­me Mas­se – die paar Ty­pen, die her­aus­ge­grif­fen wer­den, sind viel blas­ser als die Be­woh­ner der klei­nen Stadt Alt­holm; und von den wirt­schaft­li­chen Grün­den bäu­ri­scher Not­la­ge wird so gut wie nichts ge­sagt. Ein­mal ist das hei­kle The­ma, dass die Bau­ern viel­leicht in­ten­si­ver wirt­schaf­ten soll­ten, um sich ge­gen die aus­län­di­sche Kon­kur­renz an­ders als mit Schutz­zöl­len zu be­haup­ten, lei­se an­ge­schla­gen; kein Wort da­von, dass die Ver­diens­te, die der Bau­ern­schaft durch die In­fla­ti­on in den Schoß ge­fal­len sind, sie da­mals für lan­ge Zeit hät­ten schul­den­frei ma­chen kön­nen, es war jene Zeit, wo die Le­der­ses­sel und die Kla­vie­re in die Bau­ern­häu­ser trans­por­tiert wur­den. Und wo stehn die Bau­ern heu­te ... also da­von ist in dem Buch we­nig zu spü­ren. Den Bau­ern gehts eben schlecht – und nun re­vol­tie­ren sie.

Das tun sie auf eine recht merk­wür­di­ge Wei­se.

Die dem Alt­deut­schen ent­lehn­ten ro­man­ti­schen For­men des ar­men Kon­rad wir­ken wie auf­ge­klebt. »Bau­ern Pom­merns, habt ihr dar­über hin­aus schul­dig ge­fun­den die gan­ze Stadt Alt­holm mit al­lem, was dar­in lebt, so sprecht: sie ist schul­dig! – An­klä­ger, wel­che Stra­fe be­an­tragst du ge­gen die Stadt Alt­holm?« Das ist tra­gi­sche Oper, Film und neu­rup­pi­ner Bil­der­bo­gen. Si­cher­lich wird auf die­sen Things so ge­spro­chen; es ist die ge­ho­be­ne Spra­che von Acker­bür­gern, die das Fei­er­li­che sol­cher Hand­lun­gen durch einen Stil be­kun­den, der lei­se Erin­ne­run­gen an die Bi­bel und an alte ver­schol­le­ne Zei­ten auf­weist, da der Bau­er ein­mal wirk­lich re­vo­lu­tio­när ge­we­sen ist. Aber warum, warum das al­les so ist – da­von be­kom­men wir in die­sem Buch we­nig zu hö­ren. Gut ge­sehn und gut ge­schil­dert ist das Dump­fe am Bau­ern, sei­ne Schlau­heit, sei­ne un­ge­heu­re Ak­ti­vi­tät im pas­si­ven Er­dul­den, wor­an sich je­der Geg­ner mit der Zeit tot­läuft ... aber der Bau­er: der ist nicht in die­sem Buch. Das hat kein Bau­er ge­schrie­ben. Die­ser Au­tor hat die Bau­ern­be­we­gung schil­dern wol­len, und un­ter der Hand ist ganz et­was andres her­aus­ge­kom­men: ein wun­der­vol­ler Klein­stadt­roman.

Ge­or­ge Grosz, der du das Ti­tel­bild hät­test zeich­nen sol­len, das lies du! Es ist dein Buch.

Die Tech­nik ist sim­pel; es ist der bra­ve, gute, alte Na­tu­ra­lis­mus, das Dich­te­ri­sche ist schwach, aber der Ver­fas­ser prä­ten­diert auch gar nicht, ein großes Dicht­werk ge­ge­ben zu ha­ben. Ein paar Stel­len sind dar­in, an de­nen schlägt ein Herz. Nein, ein großes Kunst­werk ist das nicht. Aber es ist echt ... es ist so un­heim­lich echt, dass es ei­nem graut.

Ge­zeigt wird das po­li­ti­sche Le­ben ei­ner klei­nen Pro­vinz­stadt; ihre Int­ri­gen und ihre In­ter­es­sen­ten; ihre Stamm­ti­sche und ihre Wei­ber­knei­pen; ihr Rat­haus und ihre Po­li­zei­wa­che ... es ist schmerz­haft echt. Das hat ei­ner ge­schrie­ben, der die­se Um­welt wie sei­ne Ta­sche kennt, ei­ner, der sich aber doch so viel Di­stanz dazu be­wahrt hat, sie schil­dern zu kön­nen. Er hat ge­nau die rich­ti­ge Ent­fer­nung, de­ren ein Schrift­stel­ler be­darf: nah, aber nicht zu nah. Es scheint mir un­ge­mein be­zeich­nend, dass wir kei­nen sol­chen Arz­troman ha­ben; kei­nen sol­chen Bör­sianer­ro­man; kei­nen sol­chen Groß­stadt­roman: es ist, als hät­ten die An­ge­hö­ri­gen die­ser ge­ho­be­nen Bür­ger­schich­ten kei­ne Au­gen im Kopf, um das zu se­hen, was rings um sie vor­geht. Es ist ih­nen wohl zu selbst­ver­ständ­lich. Fal­la­da hat ge­sehn.

Es ist eine At­mo­sphä­re der un­ge­wa­sche­nen Füße. Es ist der Mief der Klein­stadt, je­ner Bro­dem aus Klatsch, Geld­gier, Ehr­geiz und po­li­ti­schen In­ter­es­sen; es ist jene Luft, wo die klei­ne Glo­cke an der Tür des Po­sa­men­tier­wa­ren­la­dens schep­pert und eine alte Jung­fer nach vorn ge­stol­pert kommt ... Au­gen tau­chen hin­ter Fens­ter­la­den auf und se­hen in den ›Spion‹ ... und wenn das nun noch ein Dich­ter ge­schrie­ben hät­te, der nicht nur theo­re­tisch im Vor­wort sagt, dass die­ses Alt­holm für tau­send and­re Städ­te ste­he, son­dern wenn er uns das nun auch noch im Buch selbst ge­zeigt hät­te –: dann wäre dies ein Meis­ter­werk.

So ist es nur ein po­li­tisch hoch­in­ter­essan­ter Ro­man ge­wor­den. Ich kann mir nicht den­ken, dass ich die­ses Buch zu Ende ge­le­sen hät­te, wenn es etwa eine bre­to­ni­sche Klein­stadt schil­der­te; das kann für den Frem­den nur ein Künst­ler wie Mau­passant schmack­haft ma­chen. Die­ses Werk hier habe ich in zwei Näch­ten ge­fres­sen, weil es uns po­li­tisch an­geht, nur des­we­gen. Bei­nah nur des­we­gen.

Im Ge­gen­satz zu die­sen dum­men Bü­chern ge­gen die ›Bon­zen‹, wo der So­zi­al­de­mo­krat nichts als dick, dumm und ge­frä­ßig ist und die an­dern rein und herr­lich; wo die Ar­bei­ter ab­wech­selnd als ver­hetzt und un­schul­dig oder als blö­de Mas­se ge­schil­dert wer­den, und wo sich die gan­ze Wut nicht zu Wor­te ge­kom­me­ner Zahl­a­bend­mit­glie­der ent­lädt – im Ge­gen­satz dazu sind hier Men­schen ge­zeich­net, wie sie wirk­lich sind: nicht be­son­ders bös­ar­tig, aber doch ziem­lich übel, mu­tig aus Feig­heit, klein, ge­duckt alle zu­sam­men – und nie­mand ist in die­sem Be­trieb ei­gent­lich recht glück­lich.

Die Bau­ern de­mons­trie­ren in der Stadt mit der schwar­zen Fah­ne ge­gen die zu ho­hen Steu­ern. Der Bür­ger­meis­ter ver­bie­tet die De­mons­tra­ti­on nicht, der Re­gie­rungs­prä­si­dent will sie ver­bo­ten ha­ben; bei­des sind So­zi­al­de­mo­kra­ten. Der Re­gie­rungs­prä­si­dent ent­sen­det an die Gren­ze des städ­ti­schen Macht­be­reichs Schu­po; so­wie einen ›Ver­trau­ens­mann‹. Der Ver­trau­ens­mann bringt die städ­ti­sche Po­li­zei und die Bau­ern ein biß­chen auf­ein­an­der; hier ist aus­ge­zeich­net ge­schil­dert, wie so et­was ver­läuft: wie gu­ter bö­ser Wil­le, Tücke, Schlau­heit und Ge­ris­sen­heit des Be­am­ten in­ein­an­der über­gehn – Amts­miß­brauch? Das wei­sen Sie mal nach! Und wie sich dann vor al­lem die Er­eig­nis­se selb­stän­dig ma­chen; wie es eben nicht mehr in der Macht der Men­schen liegt, ih­nen zu ge­bie­ten – das ›es‹ ist stär­ker als sie. Die Her­ren Füh­rer ste­hen nach­her als Op­fer da – wie ist das ge­we­sen? Ein Te­le­fon­an­ruf, die Un­ge­schick­lich­keit ei­nes Po­li­zei­in­spek­tors ... du lie­ber Gott, es sind lau­ter Klei­nig­kei­ten, und zum Schluß ist es erns­te Po­li­tik. Fal­la­da hat das gut auf­ge­brö­selt; er be­gnügt sich an kei­ner Stel­le mit die­sen schreck­li­chen Red­ner­phra­sen, wie wir sie sonst in je­dem po­li­ti­schen Ro­man fin­den: er trennt das Ge­we­be auf und zeigt uns das Fut­ter. Riecht nicht gut, die­se Ein­la­ge.

Hie­ßen alle die­se Leu­te: Ko­wal­ski, Pru­nicz­law­ski, Krc­zy­na­kow­ski und spiel­te die­ser Ro­man in Po­len –: die deut­sche Rechts­pres­se wür­de ihn mit Freu­den­ge­heul be­grü­ßen. Was? Die­se Tücke! die­se Falsch­heit – denn ein Grund­zug geht durch das gan­ze Buch, und der ist wahr:

Fast al­les, was hier ge­schieht, be­ruht auf Nö­ti­gung oder Er­pres­sung.

Der Bür­ger­meis­ter drückt auf die Zei­tungs­leu­te; die Zei­tungs­leu­te drücken auf das Rat­haus; die Bau­ern auf die Kauf­leu­te; je­der weiß et­was über wen, und je­der nutzt die­se Kennt­nis auf das raf­fi­nier­tes­te aus. Nun wol­len wir uns nicht vor­ma­chen, es käme sol­ches nur in deut­schen Klein­städ­ten vor; die­se Leu­te sind im­mer noch Wai­sen­kna­ben ge­gen die Fran­zo­sen, die aus Per­so­nal­kennt­nis­sen gra­de­zu meis­ter­haft Ka­pi­tal zu schla­gen ver­stehn – die gute Hälf­te ih­rer Po­li­tik be­steht aus sol­chen Din­gen, und es ist sehr lus­tig, dass der Name ih­rer ein­schlä­gi­gen In­sti­tu­ti­on in wört­li­cher Über­set­zung »all­ge­mei­ne Si­cher­heit« be­deu­tet. Also das ist über­all so. Ge­stal­tet ist es in die­sem Bu­che meis­ter­haft.

Was vor al­lem auf­fällt, ist die Echt­heit des Jar­g­ons. Das kann man nicht er­fin­den, das ist ge­hört. Und bis auf das letz­te Kom­ma rich­tig wie­der­ge­ge­ben: es gibt eine Echt­heit, die sich so­fort über­trägt: man fühlt, dass die Leu­te so ge­spro­chen ha­ben und nicht an­ders.

Die­se Akt­schlüs­se, wenn sie aus­ein­an­der­gehn, mit »Na, denn ... « und »Also nicht wahr, Herr Bür­ger­meis­ter ... «; der schöns­te Ge­sprächs­schluß ist auf der Sei­te 517 ... die gram­mo­phon­ge­treue Wie­der­ga­be des­sen, was so in ei­ner Kon­fe­renz ge­spro­chen wird: wie da die Bür­ger al­ler Schat­tie­run­gen eine Num­mer re­den, halb Stamm­tisch und halb Volks­ver­samm­lung; wie sie un­ter Freun­den spre­chen und wie sie spre­chen, wenn je­mand da­bei ist, ge­gen den sie et­was ha­ben; wie sie schwein­igeln ...

Ja, da le­sen wir nun so viel über die Sit­ten­ver­derb­nis am Kur­fürs­ten­damm. Aber auf kei­nem ber­li­ner Ko­stüm­fest der In­fla­ti­ons­jah­re kann es bö­ser zu­ge­gan­gen sein als es heu­te noch in je­der Klein­stadt in ge­wis­sen Ecken zu­zu­ge­hen pflegt, wenn die Ehe­män­ner, fern von Mut­tern, in das Reich der Akt­fo­to­gra­fi­en und der Wei­ber­knei­pen hin­un­ter­tau­chen. Je­der hat was auf dem Kerb­holz. »Ich sage bloß: Stet­tin ... « sagt ei­ner zum Bür­ger­meis­ter. Ich sage bloß: Alt­holm – und hier­in steht die­ses er­fun­de­ne Alt­holm, das gar nicht er­fun­den sein kann, für jede Stadt. Die­ses Las­ter ist un­sag­bar un­ap­pe­tit­lich.

Wenn sie aber fest­ge­stellt ha­ben, dass Bet­ty, die Sau, heu­te kei­ne Ho­sen trägt, dann rei­ßen sie sich am nächs­ten Vor­mit­tag zu­sam­men und wer­den ›dienst­lich‹. Und das ist nun al­ler­dings ganz und gar deutsch. »Ich kom­me dienst­lich«, sagt ei­ner zu ei­nem Duz­freund. Und dann spie­len sie sich eine Ko­mö­die vor: je­der weiß, dass der and­re weiß, dass er weiß – sie grin­sen aber nicht, son­dern sie wech­seln vor­schrifts­mä­ßig Rede und Ge­gen­re­de, da­mit sie nach­her in den Be­richt set­zen und be­schwö­ren kön­nen: »Herr Stuff sag­te mir, dass er von dem Ver­bleib des In­se­ra­ten­zet­tels nichts wüß­te. So wahr mir Gott hel­fe.«

O wel­sche Tücke, o pol­ni­sche Nie­der­tracht, o deut­sche Dienst­lich­keit.

Und eine Ge­richts­ver­hand­lung: wie da die un­be­que­men Zeu­gen zu An­ge­klag­ten wer­den; wie es ge­dreht wird; wie die­ses gan­ze Thea­ter gar nichts mehr mit Rechts­pfle­ge, da­ge­gen al­les mit Po­li­tik zu tun hat –: das ist ein Meis­ter­stück fo­ren­si­scher Schil­de­rung. Nur zu lang.

Und wenn man das al­les ge­le­sen hat, vol­ler Span­nung, Be­we­gung und un­un­ter­bro­chen ein­an­der wi­der­strei­ten­der Ge­füh­le: dann sieht man die im­men­se Schuld je­ner Re­pu­blik, die wir ein­mal ge­habt ha­ben und die heu­te zer­bro­chen ist an der Schlapp­heit, an der maß­lo­sen Feig­heit, an der In­stinkt­lo­sig­keit ih­res mitt­lern Bür­ger­tums, zu dem in ers­ter Li­nie die Pan­zer­kreu­zer be­wil­li­gen­den Füh­rer der So­zi­al­de­mo­kra­tie zu rech­nen sind. Der Le­bens­wil­le der an­dern war stär­ker; und wer stär­ker ist, hat das An­recht auf einen Sieg. Be­klagt euch nicht.

Hier, in die­se klei­nen Städ­te, ist der de­mo­kra­ti­sche, der re­pu­bli­ka­ni­sche Ge­dan­ke nie­mals ein­ge­zo­gen. Man hat – großer Sieg! – auf man­chen Re­gie­rungs­ge­bäu­den Schwarz-Rot-Gold ge­flaggt; die Den­kungs­art der brei­ten Mas­se hat die Re­pu­blik nie er­faßt. Nicht nur, weil sie maß­los un­ge­schickt, ewig zö­gernd und ener­gie­los zu Wer­ke ge­gan­gen ist; nicht nur, weil sie 1918 und nach dem Kapp-Putsch, nach den fei­gen Mord­ta­ten ge­gen Erz­ber­ger und Ra­thenau al­les, aber auch al­les ver­säumt hat – nein, weil der wirk­li­che Ge­halt die­ses Vol­kes, sei­ne an­ony­me Ener­gie, sei­ne Lie­be und sein Herz nicht auf sol­cher Sei­te sein kön­nen. Die So­zi­al­de­mo­kra­tie ist geis­tig nie auf ihre Auf­ga­be vor­be­rei­tet ge­we­sen; die­se hoch­mü­ti­gen Marxis­ten-Spie­ßer hat­ten es al­les schrift­lich, ihre Theo­ri­en hat­ten sich selb­stän­dig ge­macht, und in der Pra­xis war es gar nichts. Das Volk ver­steht das meis­te falsch; aber es fühlt das meis­te rich­tig. Dass nun die­ses rich­ti­ge Grund­ge­fühl heu­te von den Schreihälsen der Na­zis miß­braucht wird, ist eine and­re Sa­che.

Hier ist eine Blut­schuld der nicht mehr be­ste­hen­den Re­pu­blik. Aus kei­nem Buch wird das deut­li­cher als aus die­sem, der Ver­fas­ser hat es uns viel­leicht gar nicht zei­gen wol­len – die The­se springt aber dem Le­ser in die Au­gen. Was war hier zu ma­chen –! Und was hat man al­les nicht ge­macht –! Zu spät, zu spät.

Ich emp­feh­le die­sen Ro­man je­dem, der über Deutsch­land Be­scheid wis­sen will. Wie weit ist das von dem Rap­pro­che­ment-Ge­schwätz der bra­ven Leu­te aus den großen Städ­ten ent­fernt. Hier ist Deutsch­land – hier ist es.

Es wäre an­zu­mer­ken, dass der Künst­ler in Fal­la­da nur an ei­ni­gen we­ni­gen Stel­len tri­um­phiert. Manch­mal sagt er klu­ge Sa­chen; wie sich zwei bei ei­ner Un­ter­re­dung vor­sich­tig ab­tas­ten: »Ein An­fang ist ge­macht, ein güns­ti­ger An­fang. Die bei­den Her­ren ha­ben sich in ih­ren An­ti­pa­thi­en ge­trof­fen, was meis­tens wich­ti­ger ist, als dass die Sym­pa­thi­en über­ein­stim­men.« Und ein­mal steht da ei­ner die­ser Sät­ze, an de­nen das frü­he­re Werk Ger­hart Haupt­manns so reich ist. Ei­nem Bau­ern geht al­les, aber auch al­les schief. »Wel­che sind, die ha­ben kein Glück, sagt Banz und meint sich.«

Ja, das ist ein Buch! So ist die Stadt; so ist das Land, vor al­lem das nie­der­deut­sche, und so ist die Po­li­tik. Man sieht hier ein­mal deut­lich, wie eben die­se Po­li­tik nicht al­lein in wirt­schaft­li­che Er­klä­run­gen auf­zu­lö­sen ist; wie sich die­se Men­schen um­ein­an­der­dre­hen, sich be­kämp­fen und sich ver­bün­den, sich an­zie­hen und ab­sto­ßen, sich be­feh­den und ver­brü­dern ... als sei­en sie von blin­den und an­ony­men Lei­den­schaf­ten ge­trie­ben, de­nen sie erst nach­her, wenn al­les vor­bei ist, ein ra­tio­na­lis­ti­sches Eti­kett auf­kle­ben; das Eti­kett zeigt den Fla­schen­in­halt nicht rich­tig an. Sie drücken auf­ein­an­der und »las­sen den an­dern hoch­gehn«; sie spie­len ein­an­der die Ko­mö­die des Dienst­li­chen vor – und es sind arme Lu­der, alle mit­ein­an­der. Und man be­kommt einen klei­nen Be­griff da­von, wie es wohl ei­nem zu­mu­te sein mag, der in die­sen mitt­lern und klei­nen Städ­ten auf re­pu­bli­ka­ni­schem Pos­ten steht. Fällt er we­gen sei­ner Ge­sin­nung? Na­tür­lich. Fällt er durch sei­ne Ge­sin­nung? Nie. Sie »ma­chen ihn ka­putt«, wie der schö­ne Fach­aus­druck heißt, aber so: »Herr Schul­rat P. hat ge­gen den § 18 der Be­stim­mung ver­sto­ßen, nach der er ... « Im­mer ist da so ein § 18, und im­mer funk­tio­niert die­ser Pa­ra­graph prompt, wenn sie ihn gra­de brau­chen. Und nie­mals hilft die Re­pu­blik ih­ren Leu­ten; sie wird so ge­haßt und hat da­bei gar nich veel tau seggn. Sie sieht sich das al­les mit an ... sie läßt die­se un­säg­li­chen Rich­ter ma­chen, die die Haupt­schuld an den blu­ti­gen Op­fern der letz­ten Zeit tra­gen. Rechts­schutz gibt es nicht. Gleich­heit vor dem Straf­ge­setz gibt es nicht. Kom­mu­nist sein be­deu­tet: An­ge­klag­ter sein, und wenn die Na­zis gan­ze Klein­städ­te ter­ro­ri­sie­ren, so bleibt der Land­ge­richts­rat mil­de und hackt auf den Be­las­tungs­zeu­gen her­um. Und wenn es gar nicht an­ders geht, wenn sonst nichts da ist, einen ver­haß­ten Re­pu­bli­ka­ner tot zu ma­chen, dann hilft ir­gend ein § 18. Noch nie­mals aber ist ein Mit­glied der herr­schen­den Rechts­kas­te über solch einen Pa­ra­gra­phen ge­stol­pert, falls er sich nicht bei sei­ner Klas­se miß­lie­big ge­macht hat. Da gilt dann der Pa­ra­graph nicht. Man fällt nicht über sei­ne Feh­ler. Man fällt im­mer über sei­ne Fein­de, die die­se Feh­ler aus­nut­zen.

*

So einen Arz­troman möch­ten wir le­sen. So einen Jour­na­lis­ten­ro­man. So einen ber­li­ner Ro­man. Dazu wäre al­ler­dings der be­son­de­re Glücks­fall nö­tig, dass ein schrift­stel­le­risch be­gab­ter Mann in die­sem Mi­lieu lebt und es so ge­nau kennt, wie Fal­la­da das sei­ni­ge.

Er hat es ka­schiert. Sei­ne Hel­den hei­ßen nicht Knut, son­dern Tunk. Wird die­se Tarn­kap­pe ge­nü­gen? Be­geis­tert wird die klei­ne Stadt von sei­ner Schil­de­rung gra­de nicht sein – nicht da­von, wie er sie ent­blö­ßt; wie er auf­zeigt, dass weit und breit kei­ne Ju­den da sind, die man für al­les ver­ant­wort­lich ma­chen könn­te; weit und breit kei­ne Kom­mu­nis­ten, die et­was be­wir­ken. Fal­la­da, sieh dich vor. Es gibt ein al­tes Grimm­sches Mär­chen von der Gän­se­magd, die eine Prin­zes­sin war und die nun als Magd die­nen muß. Den Kopf ih­res treu­en Ros­ses ha­ben sie ans Stadt­tor ge­na­gelt, und je­den Mor­gen, wenn sie ihre Gän­se da vor­über­trei­ben muß, sieht sie es an und spricht:

»O Fal­la­da – dass du han­gest!«

Wenn sie dich krie­gen, Hans Fal­la­da, wenn sie dich krie­gen: sieh dich vor, dass du nicht han­gest! Es kann aber auch sein, dass sie in ih­rer Dumm­heit glau­ben, du ha­best mit dem Buch den So­zis or­dent­lich eins aus­wi­schen wol­len, und dann be­kommst du einen Re­dak­teur­pos­ten bei ei­nem je­ner ver­ängs­tig­ten Dru­cke­rei­be­sit­zer, die in Wahr­heit die deut­sche Pres­se re­prä­sen­tie­ren.

Ob­gleich und weil du den bes­ten deut­schen Klein­stadt­roman ge­schrie­ben hast.

Als Ig­naz Wro­bel, Die Welt­büh­ne, 07.03.1931, Nr. 14, S. 496.

Vorwort des Autors

Die­ses Buch ist ein Ro­man, also ein Werk der Fan­ta­sie. Wohl hat der Ver­fas­ser Er­eig­nis­se, die sich in ei­ner be­stimm­ten Ge­gend Deutsch­lands ab­spiel­ten, be­nutzt, aber er hat sie, wie es der Gang der Hand­lung zu for­dern schi­en, will­kür­lich ver­än­dert. Wie man aus den Stei­nen ei­nes ab­ge­bro­che­nen Hau­ses ein neu­es bau­en kann, das dem al­ten in nichts gleicht au­ßer dem Ma­te­ri­al, so ist beim Bau die­ses Wer­kes ver­fah­ren.

Die Ge­stal­ten des Ro­mans sind kei­ne Fo­to­gra­fi­en, sie sind Ver­su­che, Men­schen­ge­sich­ter un­ter Ver­zicht auf bil­li­ge Ähn­lich­keit sicht­bar zu ma­chen.

Bei der Wie­der­ga­be der At­mo­sphä­re, des Par­tei­ha­ders, des Kamp­fes al­ler ge­gen alle, ist höchs­te Na­tur­treue er­strebt. Mei­ne klei­ne Stadt steht für tau­send an­de­re und für jede große auch.

H. F.

VORSPIEL

Ein kleiner Zirkus namens Monte

1

Ein jun­ger Mann stürmt den Bur­stah ent­lang. Wäh­rend des Lau­fens schießt er wü­ten­de, schie­fe Bli­cke nach den Schau­fens­tern der Lä­den, die in die­ser Haupt­stra­ße von Alt­holm1 dicht an dicht lie­gen.

Der jun­ge Mann, um die fünf­und­zwan­zig, ver­hei­ra­tet und nicht häss­lich, trägt einen al­ten schwar­zen Rock­pa­le­tot, blank ge­scheu­ert, einen breit­krem­pi­gen schwar­zen Filz und schwarz um­rän­der­te Bril­le. Sein blas­ses Ge­sicht dazu – und er scheint ein Lei­chen­bit­ter, wür­dig je­der »Pie­tät« und »Ruhe sanft«.

Wenn schon der Bur­stah der Broad­way von Alt­holm ist, lang ist er nicht. Nach drei Mi­nu­ten ist der jun­ge Mann am letz­ten Haus, di­rekt am Bahn­hofs­platz. Er spuckt kräf­tig aus und ver­schwin­det nach die­ser neu­en Äu­ße­rung sei­ner Stink­wut im Hau­se der »Pom­mer­schen Chro­nik für Alt­holm und Um­ge­bung, Hei­mat­blatt für alle Stän­de«.

Hin­ter der Bar­re der Ex­pe­di­ti­on hockt eine ge­lang­weil­te Tip­peu­se,2 die das Ma­nu­skript ei­nes Zei­tungs­ro­mans weg­ste­cken will. Sie bremst die­se Be­we­gung ab, als sie sieht, es ist nur der An­non­cen­wer­ber Tre­dup.

Er schmeißt einen Pa­pier­fet­zen auf den Tisch: »Da! Das ist al­les. Ge­ben Sie’s in die Set­ze­rei. – Sind die an­de­ren drin­nen?«

»Wo sol­len die denn sonst sein?« fragt die Schö­ne da­ge­gen. »Wird das be­rech­net?«

»Na­tür­lich wird das nicht be­rech­net. Ha­ben Sie schon mal ge­se­hen, dass ein Affe uns An­zei­gen be­zahlt hat?! Neun Mark kos­tet sie. War der Chef schon un­ten?«

»Der Chef er­fin­det schon wie­der seit fünf.«

»Gott soll schüt­zen! Und die Che­fin? Dun?«

»Weiß nicht. Den­ke. Fritz hat ihr um acht eine Pul­le Ko­gnak ho­len müs­sen.«

»Dann ist ja al­les in schöns­ter Ord­nung. – O Gott, was mich die­ser Stall an­kotzt! – Sind die drin­nen?«

»Das ha­ben Sie schon mal ge­fragt.«

»Ha­ben Sie sich nicht, Kla­ra, Klär­chen, Kla­ris­sa. Ich hab Sie heu­te Nacht um hal­ber eins aus der Grot­te kom­men se­hen.«

»Wenn ich von mei­nem Ge­halt le­ben soll­te …«

»Weiß ich, weiß ich. Ob der Chef Geld hat?«

»Aus­ge­schlos­sen.«

»Und der Wenk, hat der was in der Kas­se?«

»Ost­see­ki­no hat ges­tern Abend be­zahlt.«

»Also hole ich mir Vor­schuss. Drin­nen ist er doch?«

»Ich glau­be, Sie ha­ben …«

»Das schon ein­mal ge­fragt. Mehr als eine Wal­ze, bit­te, mei­ne Hol­de. Ver­ges­sen Sie nicht das In­se­rat.«

»Gott. Und wenn schon.«

fik­ti­ve pom­mer­sche Stadt  <<<

Sek­trä­te­rin  <<<

2

Tre­dup zieht die Schie­be­tür zum Re­dak­ti­ons­zim­mer mit ei­nem Ruck auf, geht durch und drückt sie sach­te wie­der zu. Der lan­ge Ge­schäfts­füh­rer Wenk hockt in ei­nem Ses­sel und pult an den Nä­geln. Re­dak­teur Stuff schmiert ir­gend­ei­nen Mist.

Tre­dup feu­ert sei­ne Map­pe in ein Schrank­fach, hängt Hut und Man­tel beim Ofen auf und setzt sich an sei­nen Schreib­tisch. Er zieht gleich­gül­tig, als füh­le er nicht die fra­gen­den Bli­cke, einen Kar­to­thek­kas­ten her­vor und be­ginnt Kar­ten zu sor­tie­ren. Wenk hält mit Nä­gel­schnei­den inne, be­trach­tet sor­gend die Klin­ge im Licht der Son­ne, wischt sie an sei­nem Bü­rolüs­ter­jackett ab, klappt das Mes­ser zu und sieht Tre­dup an. Stuff schreibt wei­ter.

Es er­folgt nichts. Wenk nimmt ein Bein von der Ses­sel­leh­ne und fragt wohl­wol­lend: »Na, Tre­dup?«

»Bit­te, Herr Tre­dup!«

»Na, Herr Tre­dup?«

»Du kannst mich mal mit dei­nem ›na‹!«

Wenk wen­det sich an Stuff. »Er hat nichts, Stuff, sage ich dir. Nichts hat er.«

Stuff glupscht un­ter sei­nem Klem­mer auf Tre­dup, zieht sei­nen grau me­lier­ten Wal­ross­bart durch die Zäh­ne und be­stä­tigt: »Na­tür­lich hat er nichts.«

Tre­dup springt wü­tend auf. Der Kar­to­thek­kas­ten fliegt mit ei­nem Knall auf die Erde. »Was heißt ›na­tür­lich‹? Ich ver­bit­te mir ›na­tür­lich‹! In drei­ßig Ge­schäf­ten bin ich ge­we­sen! Kann ich die Leu­te not­züch­ti­gen? Soll ich ih­nen die In­se­ra­te aus der Nase zie­hen? Wenn sie nicht wol­len, wol­len sie nicht. Ich bet­te­le schon … Und so ein Schreib­knecht sagt ›na­tür­lich‹. Lä­cher­lich!«

»Reg dich bloß nicht künst­lich auf, Tre­dup. Was hat denn das für einen Sinn?«

»Na­tür­lich rege ich mich auf über dein ›Na­tür­lich‹. Geh du doch sel­ber ein­mal los An­non­cen sam­meln. Die­se Af­fen! Die­se Krä­mer! Die­se drehs­tie­ri­ge Ban­de! ›Ich in­se­rie­re vor­läu­fig nicht.‹ – ›Ich habe kei­ne Mei­nung für Ihr Blatt.‹ – ›Be­steht die Chro­ni­k über­haupt noch? Ich dach­te, sie wäre längst ein­ge­gan­gen.‹ – ›Kom­men Sie mor­gen wie­der.‹ – Es ist zum Kot­zen!«

Wenk mur­melt aus sei­nem Ses­sel: »Ich traf heu­te früh den Ma­schi­nen­meis­ter von den ›Nach­rich­ten‹. Die kom­men heu­te mit fünf Sei­ten An­zei­gen raus.«

Stuff spuckt ver­ächt­lich. »Das Mist­blatt. Kunst­stück. Wenn man fünf­zehn­tau­send Auf­la­ge hat.«

»Die ha­ben eben­so gut fünf­zehn­tau­send, wie wir sie­ben­tau­send ha­ben wol­len.«

»Bit­te, wir ha­ben eine no­ta­ri­el­le Be­schei­ni­gung über sie­ben­tau­send.«

»Du musst die Stel­le mal ra­die­ren, wo das Da­tum steht. Die ist schon ganz schwarz vom Zu­hal­ten mit dei­nem Dau­men, all die drei Jah­re, seit die Zahl mal rich­tig war.«

»Ich spu­cke auf die no­ta­ri­el­le Be­schei­ni­gung. Aber den ›Nach­rich­ten‹ wischt ich für mein Le­ben gern was aus.«

»Geht nicht. Der Chef will es nicht ha­ben.«

»Na­tür­lich, weil sich der Chef von den Frit­zen Geld pumpt, müs­sen wir uns an­stin­ken las­sen.«

Wenk setzt den Boh­rer neu an. »Also gar nichts hast du, Tre­dup?«

»Eine ach­tel Sei­te von Braun. Für neun Mark.«

Stuff stöhnt. »Neun Mark? Tie­fer geht es nicht mehr.«

»Und sonst nichts?«

»Die Aus­ver­kaufs­an­zei­ge vom ver­krach­ten Uhren­schlos­ser hät­t’ ich krie­gen kön­nen, aber wir sol­len Ware da­für ab­neh­men.«

»Bloß das nicht. Was mach ich mit We­ckern? Ich steh doch nicht auf, wenn die Din­ger klin­geln.«

»Und der Zir­kus Mon­te?«

Tre­dup bleibt im Auf-und-ab-Ren­nen ste­hen. »Ich hab dir doch ge­sagt, es ist nichts, Wenk. Nun lass ge­fäl­ligst auch das Me­ckern sein.«

»Aber den Mon­te ha­ben wir doch je­des Jahr ge­habt! Bist du über­haupt da­ge­we­sen, Tre­dup?«

»Ich will dir was sa­gen, Wenk. Ich will dir in al­ler Ruhe und Freund­schaft mal was sa­gen, Wenk. Wenn du noch ein­mal so was sagst von ›über­haupt da­ge­we­sen‹, dann kle­be ich dir eine …«

»Aber wir ha­ben ihn doch je­des Jahr ge­habt, Tre­dup!«

»So, ha­ben wir …? Und ich will dir was sa­gen, dann wer­den wir ihn die­ses Jahr eben mal nicht ha­ben. Und du kannst es mir sa­gen, und der Chef kann es mir sa­gen, und Stuff kann mir’s sa­gen: Ich gehe nicht wie­der in die­sen Scheiß­zir­kus vor­fra­gen.«

»Was war denn?«

»Was war? Mist war. Frech­heit war. Zi­geu­ner­frech­heit, se­mi­ti­sches, wi­der­li­ches Ge­ha­be war. Vor­ges­tern war die Vor­an­zei­ge in den ›Nach­rich­ten‹. Ich töf­fe­le hin, ganz auf den Ju­gend­spiel­platz. Der Zir­kus war über­haupt noch nicht da.«

»Dann hat der Ma­na­ger in den ›Nach­rich­ten‹ die An­zei­ge auf­ge­ge­ben.«

»Und bei uns ist er vor­bei­ge­lau­fen. Eben. Ges­tern früh wie­der hin. Die sind beim Auf­bau. Wo ist der Ma­na­ger? Über Land. Pla­ka­te in die Kuh­dör­fer kle­ben. Als ob die Bau­ern jetzt in Stim­mung wä­ren! Soll um eins wie­der­kom­men. Um eins isst der Ma­na­ger. Gut, ich war­te eine Stun­de. Der Ma­na­ger, so ein ver­fluch­ter gel­ber Zi­geu­ner, will mit sei­nem Chef re­den. Ich soll um sechs wie­der­kom­men. Ich bin um sechs da. Hat den Chef noch nicht spre­chen kön­nen, soll heu­te früh wie­der­kom­men.«

»Alle Ach­tung, im­mer nach dem Ju­gend­spiel­platz raus!«

»Das den­ke ich auch. Heu­te früh ler­ne ich den groß­kot­zi­gen Chef ken­nen, die­sen Herrn über an­dert­halb Af­fen, eine sp­ät­kran­ke Kra­cke und ein ver­mot­te­tes Ka­mel. Hut in der Hand, Die­ner bis auf die Erde.

Und die­ses Mist­vieh, die­ses Stink­tier sagt, es lohnt sich ihm nicht, in der ›Chro­ni­k‹ zu in­se­rie­ren! Kein Mensch lese un­ser Kä­se­blätt­chen!«

»Was hast du ihm ge­sagt?«

»Am liebs­ten hät­t’ ich ihm ein paar la­ckiert. Nun, ich dach­te an mei­ne Fa­mi­lie und habe Lei­ne ge­zo­gen. Schließ­lich will mei­ne Frau am Ers­ten auch ihr Wirt­schafts­geld ha­ben.«

Stuff nimmt den Klem­mer ab und fragt: »Hat er ›Kä­se­blätt­chen‹ ge­sagt? Hat er wirk­lich ›Kä­se­blätt­chen‹ ge­sagt?«

»So wahr ich hier ste­he, Stuff!«

Und Wenk hetzt: »Das soll­te ihm nicht so hin­ge­hen. Das wäre doch et­was für dich, Stuff. Du soll­test ihn an­mis­ten, nach No­ten.«

»Tät ich. Tät ich. Aber der Chef will es doch nicht …«

»Das wäre mal eine schö­ne Ge­le­gen­heit, den In­se­ren­ten Angst zu ma­chen. Kriegt ei­ner was auf den De­ckel, in­se­rie­ren die an­de­ren wie­der ein Weil­chen aus Angst.«

»Aber der Chef …«

»Ach was, der Chef! Wir ge­hen alle drei zu ihm hin und sa­gen, dass was ge­sche­hen muss.«

»An­mis­ten tät ich ihn bren­nend ger­ne«, mur­melt Stuff.

»Halt!« schreit Tre­dup. »Ich weiß was. Du ver­langst, dass du die Ro­ten an­mis­ten darfst, dann er­laubt er dir we­nigs­tens den Mon­te.«

»Nicht übel«, nickt Stuff. »Ich weiß da ge­ra­de eine Ge­schich­te mit dem Po­li­zei­meis­ter …«

»Na also, ge­hen wir ins La­bor …«

»Jetzt gleich?«

»Na, na­tür­lich gleich. Du musst doch die Er­öff­nungs­vor­stel­lung von ges­tern Abend run­ter­rei­ßen.«

»Also ge­hen wir zum Chef.«

3

In der Set­ze­rei gab es einen Auf­ent­halt. Die bei­den Li­no­types wa­ren ver­las­sen, und die Ma­schi­nen­set­zer stan­den mit den Ak­zi­denz­set­zern und dem Met­teur am Fens­ter. Sie starr­ten auf den Hof. Es war still im Raum, ein un­ge­wohn­tes Ateman­hal­ten.

Wenk frag­te: »Ist jetzt Früh­stück? Was gibt es?«

Ein we­nig zö­gernd tat sich der Hau­fe am Fens­ter aus­ein­an­der. Der Met­teur, ehr­li­che Küm­mer­nis im fal­ti­gen Ge­sicht, sag­te: »Jetzt liegt sie drau­ßen.«

Die drei gin­gen durch die Gas­se Pau­sie­ren­der vor die Schei­be, ta­ten einen Blick, auch ih­nen ver­schlug es die Rede.

Es ist nur ein klei­ner Hof, rings von Häu­sern um­stan­den, mit Flie­sen be­legt, ei­nem spär­li­chen Grün­fleck in der Mit­te. Um sein schüt­teres Gras läuft ein Git­ter, ei­nes je­ner nied­ri­gen guss­ei­ser­nen Git­ter, die nichts schüt­zen. Fuß­fal­len im Dun­kel.

Aber jetzt war hel­ler Tag, und sie war doch dar­über ge­fal­len. Sie lag dort auf dem Gras, wie sie hin­ge­stürzt, die schwar­zen halb­lan­gen Rö­cke hat­ten sich ver­scho­ben, man sah un­or­dent­lich an­ge­zo­ge­ne St­rümp­fe, schwarz ge­strickt, wei­ße Wä­sche.

»Sie wird über den Hof hin­ten zum Krü­ger ge­gan­gen sein, sich neu­en Schnaps ho­len.«

»Der Fritz hat ihr um acht schon eine Pul­le ge­bracht.«

»Sie ist ohne Be­sin­nung.«

»Nein, sie weiß schon, sie will so lie­gen vor all den Fens­tern.«

»Es ist, seit sich der Jun­ge tot­ge­trun­ken hat.«

Plötz­lich spre­chen alle auf ein­mal. Alle ste­hen sie und star­ren auf den schwar­zen, hin­ge­stürz­ten Schat­ten.

Stuff schiebt die Schul­tern vor, drückt den Klem­mer fest. »Das geht nicht. Komm, Tre­dup, wir ho­len sie.«

Wenk blickt den Fort­ge­hen­den nach. Er fragt be­sorgt: »Ob das rich­tig ist? Der Chef sieht das auch vom La­bor.«

Der alte Met­teur sagt gif­tig: »Sei­en Sie man si­cher, Herr Wenk, wenn der sei­ne Frau so sieht, dann sieht er sie nicht.«

Wenk geht den bei­den nach. Er merkt auf dem Hof an al­len Fens­tern zu­rück­fah­ren­de Köp­fe, die bei ih­rer Neu­gier­de nicht er­wi­scht wer­den wol­len.

Mor­gen ist es durch die gan­ze Stadt. Die Frau hat so viel Geld und suhlt sich im Dreck. Ich soll­te ihr Geld ha­ben …

So ist das Le­ben, denkt der An­non­cen­jä­ger. Na ja, der üb­li­che Salat … Nicht der Sohn, der sich tot­soff, hat ihr den Rest ge­ge­ben, aber dass es alle Leu­te wis­sen, dass er so um­kam … So ’ne klei­ne Stadt.

»Kom­men Sie, gnä­di­ge Frau. Set­zen Sie sich auf.«

Es ist ein ver­wüs­te­tes Ge­sicht – blut­leer, grau­gelb, mit hän­gen­den Fal­ten – das ver­dros­sen zur Son­ne blin­zelt. »Macht das Licht aus«, murrt sie. »Stuff, mach es aus. Noch ist Nacht.«

»Kom­men Sie man, Frau Schab­belt. Wir trin­ken auf der Re­dak­ti­on einen Grog, und ich er­zäh­le Ih­nen Wit­ze.«

»O du Schwein«, sagt die Be­trun­ke­ne, »glau­ben Sie, es ist mir um Wit­ze?« Und plötz­lich leb­haft: »Ja, er­zäh­le Wit­ze. Er hört sie im­mer gern. Ich darf an sei­nem Bett sit­zen, er ist mir nicht mehr bös.«

Und plötz­lich, im Auf­ste­hen, im Ge­hen zwi­schen den bei­den (Wenk folgt, schlen­kert die Ko­gnak­fla­sche ver­ächt­lich zwi­schen den Fin­gern), plötz­lich scheint sie in die Fer­ne zu hor­chen: »Kei­ne Wit­ze mehr, Herr Stuff. Ich weiß schon, Her­bert ist tot. Aber auf Ihrem Sofa will ich lie­gen, wenn das Te­le­fon geht und der Ra­dio­be­richt kommt und die Zei­tung läuft durch die Ma­schi­ne. Es ist dann wie rich­ti­ges Le­ben.«

In der Set­ze­rei ist ein has­ti­ger, ver­le­ge­ner Ar­beits­an­fang. Nie­mand blickt hoch.

»Ver­ge­sst den Ko­gnak nicht!« ruft plötz­lich die Frau.

Auf dem Sofa be­kommt sie noch ein Glas voll, und schon schläft sie mit of­fe­nem Mun­de, schlaf­fem Kie­fer, be­sin­nungs­los.

»Wer bleibt bei ihr?« fragt Stuff. »Ei­ner muss blei­ben.«

»Wollt ihr jetzt noch zum Chef?«

»Wer so fragt, bleibt. Komm, Tre­dup.«

Sie ge­hen. Wenk sieht ih­nen nach. Sieht auf die schla­fen­de Frau, horcht nach der Ex­pe­di­ti­on, fasst die Ko­gnak­fla­sche und gießt sich kräf­tig einen hin­ter die Bin­de.

4

Das La­bo­ra­to­ri­um ist kein mo­der­nes La­bor aus Glas, mit Sau­ber­keit, Hel­le und Luft, es ist der Spe­lun­ken­win­kel ei­nes tü­te­ri­gen Er­fin­ders, der in ei­nem Wust von Gerä­ten, Ide­en, Schutt und Schmutz er­trinkt.

An ei­nem Tisch mit säu­re­zer­fres­se­nem Lin­ole­um sitzt eine Art Gnom mit weißem Strub­bel­bart, ein fet­tes, ku­ge­li­ges Ge­schöpf, eine Art rot­la­ckier­ter Zwerg. Er hat die sehr ge­wölb­ten, hell­blau­en schwa­chen Au­gen ge­gen die Ein­tre­ten­den ge­ho­ben. »Bin nicht zu spre­chen. Macht eu­ern Mist al­lei­ne.«

Stuff sagt: »Gera­de an­mis­ten möcht’ ich je­mand, Herr Schab­belt. – Wenn Sie er­lau­ben.«

Der Zwerg hebt eine Zink­plat­te ge­gen das Licht, prüft sie sor­gen­voll: »Die Au­to­ty­pie kommt nicht.«

»Vi­el­leicht ist der Ras­ter zu fein, Herr Schab­belt?«

»Was ver­ste­hen Sie da­von? Hin­aus, habe ich ge­sagt! Was stinkt der Tre­dup hier her­um? Raus! – Sieh da, zu fein. Dumm bist du nicht, Stuff. Das mag an­ge­hen. – Wen willst du an­mis­ten?«

»Die Ro­ten.«

»Nein. Fün­fund­fünf­zig Pro­zent un­se­rer Le­ser sind Ar­bei­ter und klei­ne Be­am­te. Die Ro­ten? Nie! Wenn wir auch rechts sind.«

»Es ist eine sehr gute Ge­schich­te, Herr Schab­belt.«

»Er­zäh­le sie, Stuff. Sieh, wo du Platz fin­dest. Aber der Tre­dup muss raus. Er stinkt nach Ak­qui­si­ti­on.«

»Ich möch­te schon ger­ne was andres tun«, murrt Tre­dup.

»Quatsch! Du tust es gern. Raus mit dir!«

»Wir brau­chen ihn noch. Nach­her zu der Ge­schich­te.«

»Also stel­len Sie sich dort ins Dun­kel. Er­zäh­le los, Stuff.«

»Sie ken­nen Kal­le­ne, den Po­li­zei­meis­ter? Na­tür­lich. Nach der Re­vo­lu­ti­on wur­de er rot. SPD oder USPD, je­den­falls wur­de er be­lohnt. Der dümms­te al­ler Po­li­zei­die­ner wur­de Po­li­zei­meis­ter.«

»Weiß ich.«

»Und als er’s war, trat er aus der Par­tei aus, gab das Par­tei­buch zu­rück, wur­de streng deutschna­tio­nal, wie er vor­her ge­we­sen.«

»Und?«

»Na, der macht abends auf dem Rat­haus Auf­sicht über die Rei­ne­ma­che­frau­en. Wenn die Bü­ros leer sind, Herr Schab­belt!«

»Und?«

»Da sind so ein paar jun­ge Wei­ber da­bei, ein­fach Klas­se. Man kann es sich ja den­ken, wenn sie so rut­schen über den Bo­den, man be­kommt da Ein­bli­cke …«

»Du kannst es dir je­den­falls den­ken, Stuff.«

»Na na­tür­lich, nicht nur der Kal­le­ne kommt bei so was auf an­de­re Ide­en.«

»Mach’s kurz, Stuff. Wer hat ihn er­wi­scht?«

»Der rote Bür­ger­meis­ter!« schreit Stuff. »Der di­cke Ga­reis. Auf sei­nem Schreib­tisch ha­ben sie’s ge­macht.«

»Und?«

»Na, Herr Schab­belt! So eine Fra­ge! Jetzt hat der Kal­le­ne wie­der das Par­tei­buch.«

»Es lie­ße sich et­was dar­aus ma­chen«, meint Schab­belt. »Aber nicht für uns. Etwa für die KPD. Tre­dup kann es wei­ter­quat­schen.«

»Herr Schab­belt!«

»Ich kann Ih­nen nicht hel­fen, Stuff. Se­hen Sie, wie Sie sonst Ihre Spal­ten voll­krie­gen mit Lo­ka­lem.«

»Aber wenn wir nie stän­kern dür­fen! Das Blatt wird so doof. Man nennt uns schon ›Kä­se­blätt­chen‹.«

»Wer?«

»Ist es nicht wahr, Tre­dup?«

Tre­dup tritt aus dem Schat­ten, ganz gal­lig: »Schmier­blätt­chen. Stink­ma­ku­la­tur. Ha­ken­kreuz­ruh. Scheiß­haus­klap­pe. Un­ter Aus­schluss der Öf­fent­lich­keit.«

Stuff hebt sei­ne Stim­me: »Tan­te vom Kuh­dorf. Der Lan­ge­wei­ler über alle Wän­de. Der Trep­pen­furz. Die Ga­ke­lei. Der Blind­darm. Der Maul­wurf. Lies und schlaf.«

Tre­dup wie­der: »Ich be­ei­de es, Herr Schab­belt. Heu­te Mor­gen erst hat mir ein In­se­rent ge­sagt …«

Der Chef ist zu sei­nen Zink­plat­ten zu­rück­ge­kehrt: »Wen wollt ihr also an­stän­kern?«

Bei­de: »Den Zir­kus Mon­te.«

Und Schab­belt: »Mei­net­we­gen. Dass die Nicht-In­se­ren­ten wie­der ein­mal Angst krie­gen. Und zur Be­loh­nung we­gen des zu fei­nen Ras­ters.«

»Schö­nen Dank, Herr Schab­belt.«

»Schon gut. Aber die­se Wo­che lasst ihr mich nun ge­fäl­ligst in Frie­den. Ich habe kei­ne Zeit.«

»Wir kom­men schon nicht her. Gu­ten Mor­gen.«

5

Stuff sitzt am Schreib­tisch und sieht auf die im­mer noch schla­fen­de Frau. Ihr Ge­sicht hat sich et­was ge­rötet, ihre eis­grau­en Haar­zot­teln lie­gen um den Kopf, hän­gen in ihr Ge­sicht. Er denkt: Die Ko­gnak­fla­sche ist bei­na­he leer. Als ich den Wenk raus­schick­te, stank er nach Schnaps. Jetzt säuft er so­gar der be­sof­fe­nen Che­fin den Schnaps weg. Ich wer­de es ihm ste­cken.

Wie­der nach der Frau hin: Ich wer­de ihr einen Kaf­fee ma­chen las­sen, einen hei­ßen Mok­ka, dass sie ihn trinkt, wenn sie auf­wacht. Ich wer­de nach der Gre­te klin­geln.

Er sieht auf den Klin­gel­knopf ne­ben der Tür, dann auf das wei­ße Pa­pier vor sich auf dem Pult. Schließ­lich, was hilft ihr ein Mok­ka? Gar nichts.

Er dreht an den Knöp­fen des Ra­di­os. Eine Stim­me er­tönt: »Ach­tung! Ach­tung! Ach­tung! Hier ist der so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Pres­se­dienst! Ach­tung!«

Äh, scheiß! Wer­de ich mei­nen Rie­men schrei­ben.

Er setzt an, denkt nach und schreibt die­ses:

»Ein klei­ner Zir­kus na­mens Mon­te hat auf dem Ju­gend­spiel­platz sein Do­mi­zil auf­ge­schla­gen und gab ges­tern Abend sei­ne Er­öff­nungs­vor­stel­lung. Die Leis­tun­gen sind in kei­nem Punk­te über­ra­gend und kom­men nir­gends über ein Mit­tel­maß hin­aus. Nach den Dar­bie­tun­gen, die un­se­re Va­ter­stadt vor noch nicht lan­ger Zeit im Zir­kus Kre­no und im Zir­kus Stern be­wun­dern durf­te, sind die Num­mern des Mon­te-Pro­gramms kläg­li­ches Sur­ro­gat, das al­len­falls für Kin­der­vor­stel­lun­gen aus­reicht.«

Er über­liest noch ein­mal das Ge­schrie­be­ne. »Das wird es tun, den­ke ich.«

Er klin­gelt. Der Lehr­ling Fritz kommt. »Das soll gleich ge­setzt wer­den. Und sag dem Met­teur, er soll es als lo­ka­le Spit­ze brin­gen. Ich geh jetzt erst auf die Kri­mi­nal­po­li­zei und dann aufs Schöf­fen­ge­richt. Wenn noch was ist, rufe ich an. Gut. – Halt, sage der Gre­te, sie soll der Frau Schab­belt einen Mok­ka ma­chen.«

Der Jun­ge geht ab. Stuff sieht auf die schla­fen­de Frau, dann nach der Ko­gnak­bud­del. Er hebt die Bud­del und trinkt den Rest aus. Er schüt­telt sich.

Heu­te Abend wer­de ich mich be­sau­fen. Heu­te Abend wer­de ich Amok lau­fen, denkt er. Mich be­täu­ben, weg sein, ver­ges­sen. Das schwei­nischs­te Hand­werk auf der Welt: Lo­kal­re­dak­teur sein in der Pro­vinz.

Er sieht be­trübt durch sei­ne Klem­merglä­ser und schiebt ab, zur Krim­po1 und zu den Schöf­fen.

Kri­mi­nal­po­li­zei  <<<

ERSTES BUCH: Die Bauern

ERSTES KAPITEL – Eine Pfändung auf dem Lande

6

Auf der Sta­ti­on Ha­sel­horst stei­gen zwei Män­ner aus dem Per­so­nen­zug, der von Alt­holm nach Stol­pe fährt. Bei­de sind städ­tisch ge­klei­det, tra­gen aber über dem Arm Re­gen­män­tel, in der Hand der­be Kno­ten­stö­cke. Der eine ist ein Vier­zi­ger und sieht ver­dros­sen aus, der jun­ge dür­re Zwan­zi­ger blickt sich leb­haft nach al­len Sei­ten um. Al­les in­ter­es­siert ihn.

Sie durch­que­ren Ha­sel­horst auf der Dorf­stra­ße. Über­all schau­en aus dem Grün die Dä­cher der Bau­ern­häu­ser, bald mit Stroh, bald mit Reet, bald mit Zie­geln, bald mit Zink ge­deckt. Je­der Hof liegt für sich, wen­det, meis­tens von Bäu­men um­stan­den, nur die Schmal­sei­te sei­nes Wohn­hau­ses der Land­stra­ße zu.

Sie ha­ben Ha­sel­horst hin­ter sich und ge­hen nun un­ter Ebe­re­schen auf der Chaus­see nach Gram­zow. In den Kop­peln steht Vieh, schwarz­bunt und rot­bunt, sieht sich auch ein­mal, lang­sam wei­ter­käu­end, nach den Wan­de­rern um.

»Es ist schön, ein­mal aus dem Büro her­aus­zu­kom­men«, sagt der Jun­ge.

»Das habe ich auch ein­mal ge­dacht«, wi­der­setzt der Alte.

»Im­mer und ewig nur Zah­len, es ist nicht aus­zu­hal­ten.«

»Zah­len sind be­que­mer als Men­schen. Man weiß, was man von ih­nen zu er­war­ten hat.«

»Mei­nen Sie denn wirk­lich, Herr Kalüb­be, dass et­was pas­sie­ren kann?«

»Re­den Sie kei­nen Quatsch. Selbst­ver­ständ­lich pas­siert nichts.«

Der Jun­ge fühlt nach der Ge­säß­ta­sche. »Je­den­falls habe ich mei­ne Pis­to­le pa­rat.«

Der Äl­te­re bleibt mit ei­nem Ruck ste­hen, schüt­telt wü­tend die Arme, sein Ge­sicht läuft blau­rot an: »Sie Idi­ot, Sie! Sie gott­ge­schla­ge­ner Qu­er­kopf!«

Sei­ne Wut stei­gert sich noch. Er wirft Man­tel und Stock auf die Chaus­see, sei­ne Ak­ten­ta­sche, die er un­term Man­tel trug, dazu.

»Da! Da ha­ben Sie es! Ma­chen Sie den Dreck al­lei­ne! So eine Hirn­ver­brannt­heit! Und solch ein Bul­le …« Er kann nicht wei­ter­re­den.

Der Jün­ge­re ist weiß ge­wor­den, aus Krän­kung, Är­ger, Schreck. Aber er kann sich be­herr­schen. »Ich bit­te Sie, Herr Kalüb­be, was habe ich ge­sagt, dass Sie der­art er­regt sind!«

»Wenn ich schon so et­was höre! Die Pis­to­le pa­rat! Wol­len Sie un­ter die Bau­ern mit ei­ner Pis­to­le ge­hen? Ich habe Frau und drei Kin­der.«

»Aber ich bin heu­te früh noch ein­mal vom Finanz­rat über den Ge­brauch der Waf­fe be­lehrt wor­den.«

Kalüb­be ist ganz Ver­ach­tung. »Der! Sitzt hin­ter sei­nem Schreib­tisch. Kennt nur Pa­pier. Ei­nen Tag soll­te er hier drau­ßen mit mir pfän­den ge­hen, nach Po­se­ritz oder Dül­men oder auch heu­te nach Gram­zow … Er wür­de kei­ne Be­leh­run­gen mehr er­tei­len!!«

Kalüb­be grinst scha­den­froh schon bei dem Ge­dan­ken, dass der Herr Finanz­rat ihn bei sei­nen Pfän­dungs­gän­gen be­glei­ten könn­te.

Plötz­lich lacht er. »Da, ich wer­de Ih­nen was zei­gen.« Er holt aus der Ge­säß­ta­sche sei­ne Pis­to­le, rich­tet sie auf den Kol­le­gen.

»Ma­chen Sie kei­ne Ge­schich­ten«, ruft der und springt zur Sei­te.

Kalüb­be drückt los. »Se­hen Sie: nichts! Gar nicht ge­la­den. Das hal­te ich von die­ser Art Schutz.«

Er steckt sei­ne Pis­to­le wie­der ein. »Und nun ge­ben Sie mir Ihre.« Er zieht den Lauf kräf­tig zu­rück, wirft Pa­tro­ne auf Pa­tro­ne aus. Der Jun­ge sam­melt sie schwei­gend auf. »Ste­cken Sie die Din­ger in die Wes­ten­ta­sche und ge­ben Sie sie heu­te Abend dem Finanz­rat zu­rück. Das ist mei­ne Be­leh­rung über den Waf­fen­ge­brauch, Thiel.«

Thiel hat auch Stock und Man­tel und Ta­sche schwei­gend auf­ge­ho­ben und reicht al­les dem Kol­le­gen. Sie ge­hen wei­ter. Kalüb­be sieht über die Wie­sen, die von Hah­nen­fuß gelb, von Schaum­kraut weiß­ro­sa sind. »Se­hen Sie, Thiel, Sie müs­sen mir das nicht übel­neh­men. Kom­men Sie, ge­ben Sie mir Ihre Hand. – Das ist recht. Alle, die ihr dort drin­nen sitzt auf dem Finanz­amt, ihr habt ja kei­ne Ah­nung, was das heißt, hier drau­ßen Dienst tun.

Habe mich auch ge­freut, als ich Voll­stre­ckungs­be­am­ter wur­de. Nicht nur die Diä­ten und die Be­we­gungs­gel­der. Ich kann sie wahr­haf­tig brau­chen, mit der Frau und den drei Kin­dern. Son­dern drau­ßen sein, hier, an ei­nem Früh­lings­tag, und al­les ist frisch und le­ben­dig. Nicht so bloß Stei­ne. Und man geht durch.

Und jetzt – jetzt ist man der schänd­lichs­te, schmäh­lichs­te Dreck am Ste­cken des Staa­tes.«

»Herr Kalüb­be, Sie, der so ge­lobt wer­den!«

»Ja, die drin­nen! Wenn ein Bau­er zu euch kommt und wenn zehn Bau­ern zu euch kom­men, so sind es Bau­ern in der Stadt. Und wenn sie wirk­lich ein­mal frech wer­den, wie ihr es nennt, so seid ihr vie­le. Und hin­ter der Bar­re. Und der Fern­spre­cher zur Po­li­zei an der Wand.

Hier aber, wo wir jetzt ge­hen, da hat der Bau­er ge­ses­sen vor hun­dert Jah­ren und vor tau­send Jah­ren. Hier sind wir die Frem­den. Und ich gehe mit mei­ner Ak­ten­ta­sche und mit mei­nen blau­en Piep­matz­mar­ken ganz al­lein zwi­schen ih­nen her­um. Und ich bin der Staat, und wenn es gut geht, neh­me ich ih­nen eine Ecke von ih­rem Stolz und die Kuh aus dem Stall, und geht es schlimm an, dann ma­che ich sie hei­mat­los, wo sie seit tau­send Jah­ren sa­ßen.«

»Kön­nen sie denn wirk­lich nicht zah­len?«

»Manch­mal kön­nen sie nicht, und manch­mal wol­len sie nicht. Und in letz­ter Zeit wol­len sie über­haupt nicht. – Se­hen Sie, Thiel, es sind im­mer rei­che Bau­ern ge­we­sen, sie ha­ben im­mer aus dem vol­len ge­lebt, und nun will es ih­nen nicht ein­ge­hen, dass sie Fas­ten­brot es­sen müs­sen. Und dann sol­len sie ja auch nicht rich­tig ra­tio­nell wirt­schaf­ten …

Aber was ver­ste­hen wir da­von? Es geht uns nichts an. Was ge­hen uns die Bau­ern an! Sie es­sen ihr Brot, und wir es­sen un­se­res. Aber was mich an­geht, das ist, dass ich zwi­schen ih­nen um­her­ge­he wie ein un­ehr­li­cher Mensch, wie ein Scharf­rich­ter aus dem Mit­tel­al­ter, der ge­äch­tet war, wie ein Hu­ren­mäd­chen mit dem Räd­chen auf dem Arm, vor dem sie alle aus­spu­cken, mit dem kei­ner an ei­nem Tisch sit­zen mag.«

»Halt! Ei­nen Au­gen­blick!« ruft Thiel und hält den Kol­le­gen am Arm. Im Staub sitzt ein Schmet­ter­ling, ein braun­bun­tes Pfau­en­au­ge, mit zit­tern­den Flü­geln. Sei­ne Füh­ler be­we­gen sich tas­tend in der Son­ne, im Licht, in der Wär­me.

Und Kalüb­be zieht den Fuß zu­rück, der schon über dem Tier schweb­te. Zieht ihn zu­rück und bleibt ste­hen, sieht hin­ab auf den be­seel­ten far­bi­gen Staub.

»Ja, auch das gibt es, Thiel«, sagt er er­leich­tert. »Weiß Gott, Sie ha­ben recht. Auch das gibt es. Und manch­mal wird der Fuß zu­rück­ge­zo­gen. – Und nun bit­te ich Sie nur um ei­nes.«

»Ja?« fragt Thiel.

»Sie sind eben der Be­herrsch­te ge­we­sen und ich der Schrei­er. Mag an­ge­hen, dass sich heu­te noch ein­mal un­se­re Rol­le än­dert. Dann den­ken Sie dar­an, dass Sie jede Schmä­hung, jede Be­lei­di­gung ohne Wi­der­spruch er­tra­gen müs­sen, hö­ren Sie, müs­sen. Dass ein gu­ter Voll­stre­ckungs­be­am­ter kei­ne Straf­an­trä­ge we­gen Be­lei­di­gung stellt, son­dern voll­streckt. Dass Sie nie die Hand he­ben dür­fen, selbst wenn ein an­de­rer die Hand hebt. Es gibt im­mer zu vie­le Zeu­gen ge­gen Sie. Es gibt nur Zeu­gen ge­gen Sie. Wol­len Sie dar­an den­ken? Wol­len Sie mir das ver­spre­chen?«

Thiel hebt die Hand.

»Kön­nen Sie es auch hal­ten?«

»Ja«, sagt Thiel.

»Dann also: Ge­hen wir dem Päplow in Gram­zow sei­ne bei­den Och­sen ver­stei­gern.«

7

Die Uhr geht auf elf. Es ist im­mer noch Vor­mit­tag, und die bei­den Finanz­be­am­ten ha­ben sich eben die Hand ge­ge­ben auf der Chaus­see nach Gram­zow.

Im Krug von Gram­zow ist es drang­voll. Alle Ti­sche sind be­setzt. Die Bau­ern sit­zen vor Bier und Grog, auch die Schnaps­glä­ser feh­len nicht. Aber es ist fast still im Gast­zim­mer, kaum ein Wort wird laut. Es ist, als horch­ten alle nach hin­ten.

Hin­ten in der Wirts­stu­be sit­zen auch Bau­ern, um den Tisch mit der Hä­kel­de­cke, un­ter dem Nuss­baum­re­gu­la­tor. Sie­ben Bau­ern sit­zen dort, ei­ner steht an der Tür, der ach­te. Im Sofa sitzt hin­ter sei­nem Grog ein Lan­ger mit scharf­ge­schnit­te­nem Ge­sicht voll un­zäh­li­ger Fal­ten, mit kal­ten Au­gen und schma­len Lip­pen. »Also«, spricht er und bleibt sit­zen, »ihr, ein­ge­ses­se­ne Bau­ern von Gram­zow, habt ge­hört, was der Bau­er Päplow vor­zu­brin­gen hat ge­gen den Ent­scheid des Finanz­am­tes in Alt­holm. Wer für ihn ist, hebe die Hand. Wer ge­gen den Bau­ern ist, las­se sie un­ge­kränkt un­ten. Je­der tue, wie ihm dünkt, aber nur, wie ihm dünkt. – Stimmt ab.«

Sie­ben Hän­de er­he­ben sich.

Der lan­ge Bart­lo­se steht aus dem Sofa auf. »Stoß die Tür auf, Päplow, zum Gast­zim­mer, dass alle hö­ren. Ich ver­kün­de den Be­schluss der Bau­ern von Gram­zow.«

Die Tür geht auf, und im glei­chen Au­gen­blick er­he­ben sich die Bau­ern drau­ßen. Der Lan­ge fragt durchs Lo­kal zu ei­nem weiß­bär­ti­gen Bau­ern an der Au­ßen­tür: »Sind die Wa­chen be­setzt?«

»Sie sind be­setzt, Vor­ste­her.«

Der Lan­ge fragt nach der Ton­bank mit dem klei­nen wie­sel­ar­ti­gen Wirt: »Ist kein Wei­ber­volk in der Nähe, Krü­ger?«

»Kein Wei­ber­volk, Vor­ste­her.«

»So ver­kün­de ich, der Ge­mein­de­vor­ste­her Rei­mers von Gram­zow, den Be­schluss der Bau­ern­schaft, ge­fasst von ih­ren er­wähl­ten Ver­tre­tern:

Es liegt ein Ent­scheid des Finanz­amts Alt­holm vom zwei­ten März vor ge­gen den Bau­ern Päplow, dass er zu zah­len hat an rück­stän­di­ger Ein­kom­men­steu­er aus dem Jah­re 1928 vier­hun­dert­drei­und­sech­zig Mark.

Wir ha­ben zu die­sem Ent­scheid den Bau­ern Päplow ge­hört. Er hat gel­tend ge­macht, dass dem Ent­scheid die Durch­schnitts­er­trags­be­rech­nung für Höfe die­ser Ge­gend zu­grun­de liegt. Dass die­ser Durch­schnitts­er­trag auf sein An­we­sen aber kei­ne An­wen­dung fin­den kön­ne, weil er im Jah­re 1928 au­ßer­or­dent­li­che Schä­di­gun­gen er­lit­ten hat. Zwei Pfer­de sind ihm ein­ge­gan­gen an Ko­lik. Eine Ster­ke ist beim Kal­ben ver­reckt. Sei­nen Va­ter, den Al­ten­tei­ler, hat er ins Kran­ken­haus nach Alt­holm schaf­fen müs­sen und dort über ein Jahr er­hal­ten.

Die­se Grün­de zum Steu­er­nach­lass sind dem Finanz­amt be­kannt­ge­macht, so­wohl di­rekt, durch den Bau­ern Päplow, wie durch mich, den Ge­mein­de­vor­ste­her. Das Finanz­amt hat die Ver­an­la­gung auf­recht­er­hal­ten.

Wir Bau­ern von Gram­zow er­klä­ren den Be­schluss des Finanz­am­tes Alt­holm für null und nich­tig, weil er einen Ein­griff in die Sub­stanz des Ho­fes be­deu­tet. Wir ver­wei­gern dem Finanz­amt und sei­nem Auf­trag­ge­ber, dem Staat, jede Mit­hil­fe in die­ser Sa­che, es ge­sch­ehe uns Lie­bes oder Lei­des.

Die vor fünf­zehn Ta­gen vor­ge­nom­me­ne Pfän­dung zwei­er gut an­ge­gras­ter Och­sen des Bau­ern Päplow ist nich­tig. Wer bei der heu­te an­ge­setz­ten Ver­stei­ge­rung die­ser Och­sen ein Ge­bot auf sie ab­gibt, soll von Stund an nicht mehr Glied der Bau­ern­schaft sein. Ge­äch­tet soll er sein, nie­mand darf ihm Hil­fe leis­ten, sei es in Nö­ten der Wirt­schaft, des Lei­bes oder der See­le. In Acht soll er sein, in Gram­zow, im Krei­se Lohs­tedt, im Lan­de Pom­mern, im Staa­te Preu­ßen, im gan­zen Deut­schen Rei­che. Nie­mand darf zu ihm spre­chen, nie­mand darf ihm die Ta­ges­zeit bie­ten. Un­se­re Kin­der sol­len nicht mit sei­nen Kin­dern spre­chen, und un­se­re Frau­en sol­len nicht mit sei­ner Frau re­den. Er lebe al­lein, er st­er­be al­lein. Wer ge­gen einen von uns han­delt, hat ge­gen uns alle ge­han­delt. Der ist heu­te schon tot.

Habt ihr alle ge­hört, Bau­ern von Gram­zow?«

»Wir ha­ben ge­hört, Vor­ste­her.«

»So han­delt da­nach. Ich schlie­ße die Bau­ern­ver­samm­lung. Die Wa­chen sind zu­rück­zu­zie­hen.«

Die Tür zwi­schen Gast- und Wirts­stu­be geht wie­der zu. Der Ge­mein­de­vor­ste­her Rei­mers setzt sich, wischt sich die Stirn ab und tut einen Zug vom kalt ge­wor­de­nen Grog. Dann sieht er auf die Uhr. »Fünf Mi­nu­ten bis elf. Es wird Zeit, dass du ver­schwin­dest, Päplow, sonst kann dir der Knecht vom Finanz­amt das Pro­to­koll vor­le­sen.«

»Ja, Rei­mers. Aber wie wird es, wenn sie die Och­sen fort­trei­ben?«

»Sie wer­den die Och­sen nicht fort­trei­ben, Päplow.«

»Wie willst du es hin­dern? Mit Ge­walt?«

»Kei­ne Ge­walt. Nie Ge­walt ge­gen die­sen Staat und sei­nen Ver­wal­tungs­ap­pa­rat. Ich weiß et­was an­de­res.«

»Wenn du et­was an­de­res weißt … Es müss­te nur si­cher sein. Ich brau­che das Geld für die Och­sen.«

»Es ist si­cher. Mor­gen wis­sen alle Bau­ern im Land, wie man in Gram­zow mit dem Finanz­amt fer­tig wird. Geh nur ru­hig.«

Der Bau­er Päplow geht durch die Hin­ter­tür über den Hof hin­aus, ver­schwin­det an ei­nem Knick. Die sie­ben Bau­ern ge­hen in die vol­le Gast­stu­be.

8

Vor den Fens­tern der Wirt­schaft ent­steht Be­we­gung: Die bei­den Be­am­ten vom Finanz­amt kom­men. Je­der führt einen rot­bun­ten Stier am Half­ter.

Sie sind auf dem Hof von Päplow ge­we­sen. Ir­gend­ein Knecht war da und hat sie in den Stall ge­las­sen zu den ge­pfän­de­ten Tie­ren. Kein Bau­er war zu se­hen, kei­ne Bäue­rin, nie­mand, der Auf­trag ge­habt hät­te, die Pfand­sum­me zu er­le­gen. So ha­ben sie die Tie­re auf­ge­half­tert und sind mit ih­nen zum Krug ge­kom­men, die an­ge­setz­te und be­kannt­ge­mach­te Ver­stei­ge­rung ab­zu­hal­ten.

Sie bin­den die Tie­re ans Reek vor der Tür und tre­ten in die Wirt­schaft. Im Gast­zim­mer ist Ge­re­de ge­we­sen, halb­lau­ter Mei­nungs­aus­tausch, auch ein Fluch viel­leicht, als man die Män­ner sah mit den bei­den Tie­ren. Nun ist es still. Aber drei­ßig, vier­zig Bau­ern se­hen stur auf die Be­am­ten, se­hen ih­nen ins Ge­sicht und ver­zie­hen nicht das ei­ge­ne.

»Ist hier viel­leicht Herr Päplow aus Gram­zow?« fragt Kalüb­be in die Stil­le.

Die Bau­ern se­hen auf ihn und den Jun­gen, kei­ner spricht.

»Herr Päplow hier?« fragt Kalüb­be mit er­ho­be­ner Stim­me.

Kei­ne Ant­wort.

Kalüb­be geht durch den Mit­tel­gang der Gast­stu­be zur Ton­bank hin. Un­ter all den feind­li­chen Bli­cken geht er ge­hemmt und un­be­hol­fen. Ei­nen Stock, der über ei­ner Leh­ne hängt, stößt er um. Er fällt pol­ternd hin. Kalüb­be bückt sich da­nach, hebt ihn auf, hängt ihn über die Leh­ne, sagt: »Par­don.«

Der Bau­er sieht ihn an, stur, dann zum Fens­ter hin­aus, ver­zieht nicht das Ge­sicht.

Kalüb­be sagt zum Krü­ger: »Ich soll hier eine Ver­stei­ge­rung ab­hal­ten, wie Sie wis­sen. Wol­len Sie mir einen Tisch her­set­zen las­sen?«

Der Krü­ger murrt: »Hier ist kein Tisch und kein Raum für einen Tisch.«

»Sie wis­sen, dass Sie Platz zu ma­chen ha­ben.«

»Wie soll ich es ma­chen, Herr? Wen soll ich fort­schi­cken? Vi­el­leicht ma­chen Sie sich Platz, Herr?«

Kalüb­be sagt mit Nach­druck: »Sie wis­sen …«

Und der wie­se­li­ge Krü­ger eil­fer­tig: »Ich weiß. Ich weiß. Aber ge­ben Sie mir einen Rat. Kein Ge­setz, ver­ste­hen Sie, einen brauch­ba­ren Rat.«

Eine Stim­me ruft be­feh­lend durchs Lo­kal: »Setz einen Tisch vor die Tür.«

Plötz­lich ist der klei­ne Krü­ger ganz Be­weg­lich­keit, Höf­lich­keit: »Ei­nen Tisch vor die Tür. Selbst­ver­ständ­lich. Die bes­te Idee. Man kann dann auch das Vieh se­hen.«

Der Tisch wird nach drau­ßen ge­bracht. Der Krü­ger trägt ei­gen­hän­dig zwei Stüh­le her­bei.

»Und nun zwei Glas Hel­les für uns, Krü­ger.«

Der Krü­ger bleibt ste­hen, sein Ge­sicht legt sich in Fal­ten, Kum­mer ist dar­in. Er schielt zu den of­fe­nen Fens­tern, hin­ter de­nen die Bau­ern sit­zen. »Mei­ne Her­ren, ich bit­te Sie …«

»Zwei Glas Hel­les! Was soll das?«

Der Krü­ger hebt ganz schnell die Hän­de zu ei­ner Bit­te: »Mei­ne Her­ren, ver­lan­gen Sie nicht von mir …«

Kalüb­be sieht rasch zu Thiel hin, der das Ge­sicht über die Tisch­plat­te ge­senkt hält. »Se­hen Sie, Thiel!« Und zum Krü­ger: »Sie müs­sen uns Bier aus­schen­ken. Wenn Sie’s nicht tun und ich zei­ge Sie an, sind Sie die Kon­zes­si­on los.«

Und der Krü­ger vollen­det im glei­chen Ton: »Und wenn ich’s tue, bin ich mei­ne Gäs­te los. So ka­putt und so ka­putt, Herr.«

Kalüb­be und der Krü­ger se­hen sich an, eine lan­ge Zeit, scheint es.

»Also sa­gen Sie drin­nen, dass die Auk­ti­on be­ginnt.«

Der Krü­ger macht eine hal­be Ver­beu­gung. »So­lan­ge es geht, soll der Mensch Mensch blei­ben.«

Er geht. Der Be­am­te nimmt aus sei­ner Ak­ten­ta­sche Pro­to­koll und Be­din­gun­gen, legt sie vor sich auf den Tisch. Thiel möch­te gern, dass er ihn jetzt ein­mal an­sä­he, dar­um sagt er: »Ich habe eben an die Pis­to­le ge­dacht. Ich glau­be, ich ler­ne schon, dass Waf­fen nichts hel­fen.«

Kalüb­be sagt tro­cken und blät­tert in sei­nem Pro­to­koll: »Es ist noch nicht Abend. Wenn wir zu Hau­se sind, ha­ben Sie mehr ge­lernt.«

Ein Schat­ten fällt auf den Tisch. Ein jun­ger Mensch, schwarz ge­klei­det, eine schwar­ze Horn­bril­le auf der Nase, über der Schul­ter den Le­der­rie­men ei­nes Fo­to­ap­pa­ra­tes, tritt hut­lüf­tend her­an. »Ge­stat­ten Sie, mei­ne Her­ren, mein Name ist Tre­dup, von der ›Chro­nik für Alt­hol­m‹. Ich war eben in Po­de­juch,1 den Kir­chen­neu­bau für un­ser Blatt zu fo­to­gra­fie­ren. Im Vor­bei­ra­deln sehe ich, hier soll eine Auk­ti­on ab­ge­hal­ten wer­den.«

»Das In­se­rat stand auch in Ihrem Blatt.«

»Und das ist das ge­pfän­de­te Vieh? – Man hört so viel von Schwie­rig­kei­ten bei Pfän­dun­gen. Hat­ten Sie wel­che?«

»Er­laub­nis zu dienst­li­chen Aus­künf­ten er­teilt Herr Finanz­rat Berg.«

»Also Sie hat­ten kei­ne Schwie­rig­kei­ten? Wür­den Sie et­was da­ge­gen ha­ben, wenn ich die Auk­ti­on fo­to­gra­fier­te?«

Und Kalüb­be barsch: »Stö­ren Sie mich nicht län­ger. Ich habe kei­ne Zeit für Ihr Ge­schwätz!«

Tre­dup zuckt über­le­gen die Ach­seln. »Wie Sie mei­nen. Je­den­falls wer­de ich fo­to­gra­fie­ren. – Je­der hat sei­ne Art Brot, und be­son­ders süß scheint Ihres auch nicht zu schme­cken.«

Er geht auf die an­de­re Sei­te der Dorf­stra­ße und be­ginnt sei­nen Ap­pa­rat fer­tig­zu­ma­chen.

Kalüb­be zuckt die Ach­seln: »Er hat ja im Grun­de recht. Es ist sein Be­ruf, und es war al­bern von mir, ihn an­zu­grob­sen. Aber ich habe eine Wut auf die von der ›Chro­ni­k‹. Das ist schon Re­vol­ver­jour­na­lis­mus, was die trei­ben. Ha­ben Sie vor ein paar Ta­gen die Kri­tik über den Zir­kus Mon­te ge­le­sen?«

»Doch. Ja.«

»Die rei­ne Er­pres­sung. Da­bei weiß ganz Alt­holm, dass kein Mensch von der ›Chro­ni­k‹ zur Vor­stel­lung war. Der Be­sit­zer woll­te we­gen Ge­schäfts­schä­di­gung kla­gen, aber das hat ja al­les kei­nen Zweck bei de­nen. Der Schab­belt ver­dreht, die Frau ver­sof­fen, der Kerl, der das Blatt schreibt, der Stuff, kriegt auch so sei­ne pe­ri­odi­schen Tou­ren … Und was da sonst so rum­läuft …«

»Gott! Wer liest denn die ›Chro­ni­k‹? Ich lese die ›Nach­rich­ten‹.«

»Soll mich wun­dern, was der Kerl über die Auk­ti­on zu­sam­men­schmiert. Mitt­ler­wei­le scheint nie­mand zu kom­men.«

Sie se­hen nach den Fens­tern der Gast­stu­be. So­viel sie er­ken­nen kön­nen, ist es lee­rer dort ge­wor­den, ob­wohl noch ge­nug Bau­ern da­sit­zen.

»Ge­hen Sie noch ein­mal in die Tür und ru­fen Sie aus, dass die Auk­ti­on be­ginnt. Und dann sa­gen Sie dem Krü­ger, dass er zu mir kom­men möch­te.«

Thiel steht auf, geht in die Tür. Kalüb­be hört ihn ru­fen, ir­gend­je­mand ant­wor­tet. Es ent­steht Ge­läch­ter, dann ge­bie­tet eine schar­fe Stim­me Ruhe. Nach ei­ner Wei­le kommt Thiel zu­rück.

»Was war da eben?« fragt Kalüb­be gleich­mü­tig.

»Der Krü­ger wird so­fort kom­men. – Ach ja, ir­gend­ein Witz­bold rief mir zu: ›Jung, goh no Hus, dien Mud­der will di wa­schen!‹ Aber ein Lan­ger hieß ihn Maul hal­ten.«

Der Krü­ger tritt an den Tisch: »Bit­te, mei­ne Her­ren?«

»Wa­ren kei­ne Vieh­händ­ler heu­te Mor­gen da?«

»Doch. Vieh­händ­ler wa­ren da.«

»Wer?«

Der Krü­ger zö­gert: »Ich weiß nicht. Ich ken­ne sie nicht.«

»Na­tür­lich ken­nen Sie sie nicht. Und die sind wie­der fort­ge­fah­ren?«

»Die sind wie­der fort­ge­fah­ren.«

»Dan­ke. Das war al­les.« Der Krü­ger geht, und Kalüb­be sagt zu Thiel: »Nun rufe ich noch den Flei­scher Storm an. Bei dem kau­fe ich selbst mein Fleisch. Vi­el­leicht, dass der die Cou­ra­ge hat und kauft das Vieh zur Taxe. Das ist halb ge­schenkt.«

»Und wenn nicht?«

»Gott, dann rufe ich den Finanz­rat an. Mag der mal ent­schei­den, was ge­sche­hen soll.«

Thiel sitzt und schaut auf die be­sonn­te Dorf­stra­ße. Ein paar Hüh­ner su­chen in Pfer­de­äp­feln un­ver­dau­tes Korn, über den nächs­ten Ho­fein­gang streicht sacht mit auf­rech­tem Schwanz eine Kat­ze. Es wäre ganz schön hier, denkt er. Es ist al­les bei­ein­an­der, aber es ist Un­rat in der Luft. Dem Kerl von der »Chro­nik« scheint auch klar­ge­wor­den, dass aus der Auk­ti­on nichts wird. Da streicht er ab. Hat den Ap­pa­rat noch in der Hand, viel­leicht hat er was Bes­se­res ge­fun­den zu fo­to­gra­fie­ren. – Muhe nicht, Ochs. Ich habe auch Durst und krie­ge nichts, ob­wohl hier Hof bei Hof Brun­nen sind. – Kalüb­be ist hübsch ver­grätzt, aber er nimmt es zu tra­gisch. Bau­ern sind Bau­ern. Ein dickes Fell und sei­nen Dienst tun, nichts den­ken. Mit­tel­al­ter und Scharf­rich­ter – wo er das her hat? Er muss rich­tig dar­auf le­sen. Ich habe mei­nen Skat und er sei­ne Fa­mi­lie und wir bei­de Alt­holm, was brau­chen wir da Bau­ern? Und hübsch ist es doch hier, wenn auch Un­heil …

Er döst ein biss­chen in der Mit­tags­son­ne vor sich hin. Die Och­sen wer­fen die Köp­fe und weh­ren mit dem Schwanz die Flie­gen.

Pod­juchy, Stadt­vier­tel von Stet­tin  <<<

9

Kalüb­be steht wie­der am Tisch. »Ge­schla­fen? Ja, es ist ganz, als könn­te ein Ge­wit­ter kom­men. Heut ist ein Tag, an dem die Milch zu­sam­men­läuft. – Also, der Flei­scher Storm will nicht. Er hat Angst. Denkt, er be­kommt land­auf, land­ab kein Vieh mehr zu kau­fen. Lass ihn. Wird mei­ne Frau ihr Fleisch bei ei­nem an­de­ren Flei­scher kau­fen.«

»Und der Finanz­rat?«

»Ja, der Finanz­rat, der hohe Herr, der Herr Berg ver­ste­hen das na­tür­lich nicht. Die Sa­che ist ihm ein­fach un­ver­ständ­lich. Aber je­den­falls soll heu­te ein­mal ein Exem­pel sta­tu­iert wer­den, und die Bau­ern nicht mit dem Kopf durch die Wand. Wir sol­len die Och­sen nach Ha­sel­horst trei­ben und nach Stet­tin ver­la­den. Ver­gnü­gen, was? Ei­nen Wag­gon habe ich eben auch gleich be­stellt. Also den­ke ich, wir ma­chen los. Je eher wir dort sind, um so eher krie­gen wir ein Glas Bier. Der Bahn­hofs­wirt muss aus­schen­ken.«

»Also denn los! Wel­chen neh­men Sie?«

»Las­sen Sie mir den mit dem krum­men Horn. Der ist zap­pe­lig. Und wenn er ab­hau­en will, den Zaum nicht los­las­sen und fes­te mit dem Stock auf die Nase. Dann ver­geht ihm schon das Ren­nen.«

Sie ha­ben die Stri­cke vom Reek los­ge­kno­tet und ma­chen sich an den Auf­bruch. Die Tür von der Wirt­schaft geht auf, und Bau­er auf Bau­er, ein Dut­zend, zwei Dut­zend, drei Dut­zend tre­ten aus der Gast­stu­be. Sie stel­len sich längs des We­ges auf, wort­los ste­hen sie da, se­hen den Ab­marsch an.

Die bei­den trei­ben die Dorf­stra­ße ent­lang. Die Tie­re ge­hen ru­hig. Kalüb­be wen­det sich nach Thiel um und fragt: »Ge­müt­lich, solch ein Spieß­ru­ten­lau­fen?«

»Wenn es de­nen Ver­gnü­gen macht!«

»Na­tür­lich! – Was ist das?«

Das Dorf ist zu Ende. Die Stra­ße hat einen schar­fen Knick ge­macht, und zwi­schen Ebe­re­schen liegt die Chaus­see nach Ha­sel­horst vor ih­nen. Auf bei­den Sei­ten brei­te, was­ser­rei­che Vor­flut­grä­ben, und vor ih­nen, drei­hun­dert Me­ter wei­ter, ha­ben sie ein hell­dunkles Ge­wim­mel, ein Hin­der­nis.

»Was ist das?«

»Ich kann es nicht schlau­krie­gen. Bau­en die eine Bar­rie­re?«

»Es sieht so hell aus. Und lo­cker. Wie Stroh. Je­den­falls küm­mern wir uns um nichts. Ge­hen ge­ra­de durch.«

»Und wenn wir nicht vor­bei­kom­men? Die Grä­ben sind zu breit.«

»So war­ten wir. Es wird ja ir­gend­ein Wa­gen oder ein Auto kom­men.«

Sie sind nahe, und nun ruft Thiel er­leich­tert aus: »Es ist nichts. Da hat ei­ner ein Stroh­fu­der um­ge­schmis­sen.«

»Ja. Es scheint so.«

Aber, als sie noch nä­her sind: »Da stimmt doch was nicht. Die la­den nicht wie­der auf. Die füh­ren ja Wa­gen und Pfer­de fort!«

»Egal! Wir ge­hen durch. So ein Stroh­bund schmeißt man mit dem Fuß bei­sei­te.«

Jetzt sind sie ganz nahe. Drei, vier Leu­te ste­hen dort beim Stroh, das quer über die Chaus­see liegt. Ei­ner bückt sich, und plötz­lich zün­gelt es auf, hier, dort. Eine Flam­me tanzt. Zehn. Hun­dert. Rauch, wei­ßer di­cker Qualm wallt em­por.

Die Stie­re wer­fen die Köp­fe hoch, sper­ren sich breit­bei­nig. Rei­ßen den Leib her­um.

Und plötz­lich wirft sich der Wind in die Flam­men, sen­gen­de Glut schlägt ih­nen ent­ge­gen, sie ste­hen ganz im Rauch …

»Los! Los! Zu­rück ins Dorf!« schreit Kalüb­be und häm­mert wild mit dem Knüp­pel auf die Nase sei­nes Stiers. Dumpf dröhnt der Na­sen­knor­pel.

Fast Sei­te an Sei­te, tau­melnd, fal­lend, vom Strick wie­der hoch­ge­ris­sen, ra­sen sie dem Dorf zu.

Dann, hun­dert Schrit­te wei­ter, geht das Vieh ru­hi­ger. Atem­los ruft Kalüb­be: »Dies­mal muss ich einen Be­richt schrei­ben, es hilft nichts.«

»Und was ma­chen wir nun?«

»Nach Ha­sel­horst las­sen uns die nicht. Das ist zweck­los. Aber nun ge­ra­de! Wis­sen Sie was, jetzt spie­len wir ih­nen einen Streich und trei­ben über Nipp­me­row, Banz, Eg­ger­müh­le nach Lohs­tedt.«

»Vier­zehn Ki­lo­me­ter!«

»Und wenn! Wol­len Sie die Stie­re dem Päplow wie­der in den Stall stel­len?«

»Aus­ge­schlos­sen!«

»Also!«

Jetzt sind sie wie­der am Krug. Dort ste­hen die Bau­ern, se­hen ih­nen ent­ge­gen.

»Die ha­ben auf uns ge­war­tet. Na, eure Stie­re sollt ihr des­we­gen doch nicht ha­ben. – Glatt und mög­lichst rasch vor­bei­trei­ben.«

Alle Ge­sich­ter se­hen auf sie. Es sind jun­ge und alte, sehr weiß­blon­de, meh­li­ge, glat­te und ganz zer­furch­te mit grau­en und schwar­zen Bär­ten und mit der Le­der­haut der Herbst­stür­me und Win­ter­re­gen. Als sie sich nä­hern, löst sich der Schwarm auf. Ein Teil tritt auf die an­de­re Sei­te der Dorf­stra­ße, und nun, als sie vor­bei wol­len, set­zen sich alle in Be­we­gung, ge­hen stumm und dicht ne­ben ih­nen her, ein Ge­leit. Mit ge­senk­ten und er­ho­be­nen Ge­sich­tern, die nichts an­se­hen, Hand­stö­cke in der Hand.

Das gibt noch et­was. Das geht nicht glatt, denkt Kalüb­be. Wenn ich nur an den Thiel her­an könn­te, dass er nicht die Ruhe ver­liert.

Aber die Bau­ern ge­hen zu eng, und jetzt lau­fen die Stie­re fast, sie rie­chen den Päplow­schen Stall.

Doch Kalüb­be passt auf. Im Au­gen­blick, da sein Stier in die hei­mi­sche Hof­fahrt ein­bie­gen will, gibt er ihm einen dröh­nen­den Schlag aufs rech­te Horn, stößt gleich dar­auf die Stock­spit­ze in die Wei­che, und der Stier rast los, blind­lings ge­ra­de­aus, die Dorf­stra­ße ent­lang.

Das ging gut, denkt Kalüb­be lau­fend und wun­dert sich, dass die Bau­ern noch nicht nach­ge­ben, wei­ter ne­ben­her­tra­ben. Aber da ist auch schon Thiel dicht ne­ben ihm. Vom Ren­nen atem­los, flüs­tert er dem zu: »Küm­me­re dich um nichts, Thiel. Strick fest ums Hand­ge­lenk. Lass dir das Tier nicht klau­en. Das ge­hört dem Staat, und das muss jetzt nach Lohs­tedt, kos­te es, was es wol­le.«

Die Bau­ern lau­fen ne­ben­her. Es ist so viel Ge­trapps auf dem Weg und die Aus­sicht be­engt. Und doch! Da vorn ist wie­der das Hell­gel­be, auch auf die­sem Wege.

Aber nun gibt es kein Hal­ten mehr. Durch müs­sen wir, denkt Kalüb­be.

Das ver­ängs­tig­te Tier rast nur so, Kalüb­be kann sich nicht um­dre­hen. Er hört, wie die Stock­schlä­ge der Bau­ern ha­gel­dicht auf sei­nen Och­sen pras­seln, er schreit: »Ach­tung, Thiel! Auf die Wie­se!«