Be Vocal - Susanne Eisch - E-Book

Be Vocal E-Book

Susanne Eisch

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Beschreibung

Dieses Buch richtet sich an alle, die auf der Suche nach neuen Wegen im Umgang mit dem Instrument "Stimme" sind. Anhand zehn detailliert angeleiteter (Körper-)Übungen erreichen Sie eine gesunde und leistungsfähige Stimme. Anatomische Bilder und physiologisches Hintergrundwissen vertiefen das Verständnis für die körperlich-stimmlichen Zusammenhänge und die Wirkung der Übungen. Die Verknüpfung von Praxis und Theorie macht das Buch besonders wertvoll für alle die im (gesangs-)pädagogischen oder therapeutischen Kontext tätig sind. Für Laien und Profis. Unabhängig von stilistischer Anwendung. Auch für die Sprechstimme geeignet. "Lange habe ich nach einem strukturierten Lehrbuch gesucht, das mir die Abläufe beim Singen anwendungsorientiert erklärt. Jetzt ist es da. Mit dem vorliegenden Buch ist es einfach, große stimmliche Veränderungen zu bewirken und die physiologischen Zusammenhänge meinen Studierenden zu verdeutlichen. Das ist das Buch, das ich als junge Sänger:in gebraucht hätte. Und das Buch, das meine Studierenden heute brauchen, um zu wissenden Sänger:innen zu werden." Mareike Morr, Mezzosopranistin und Professorin für Gesang, Musikhochschule Freiburg

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Vorwort – Vorgesang

Einführung

1. WIR ZOOMEN RAN: INSTRUMENT STIMME

Übung: Stimme als Instrument

2. SING LIKE PAVAROTTI!

Übung: Einfach erweitert – Armhebung

3. KEHLKOPFSENKUNG DURCH EINATMUNG

Übung: Hoch das Bein

4. BAUM IM WIND

Übung: Geneigt – geatmet

5. STEHEN – GEERDET UND ERWEITERT

Übung: Gebeugt – geatmet

6. DER WEG NACH INNEN

Übung: Sanft zum Raum – Kieferöffnung

7. ARTIKULATION FÜR KLANG – RUNDUNGSVOKALE

Übung: Artkulation klingt 1

8. ARTIKULATION FÜR KLANG – ZUNGENVOKALE

Übung: Artikulation klingt 2

9. WERDEN SIE SCHWINGUNGS-SOMMELIER!

Übung: Was schwingt wo?

10. ENDLICH EIN LIED!

Übung: Ein Lied, ein Lied!

Singen im Chor – ein Nachwort für Chorleiter:innen

Instrumente im Wachsen – Singen mit Kindern

Erläuterung zu den Stimmübungen

Anmerkungen und Bildnachweise

Dank

Über die Autorin

Weiterführendes und Glossar

VORWORT – VORGESANG

In meiner eigenen Studienzeit und der Beschäftigung mit der Methodik und Didaktik des Gesangunterrichts war meine Sehnsucht nach einem übersichtlich strukturierten und alle Einzelheiten erklärenden Lehrbuch groß. Warum mache ich welche Übung zu welchem Zweck, welche Muskeln sind daran beteiligt, was bedeutet „auf dem Körper zu singen“, Stütze, etc.

Jetzt habe ich ein neues Lieblingsbuch gefunden. Beim Lesen ist mir wieder bewusst geworden, dass Singen Hochleistungssport ist und ein hochdifferenziertes Muskeltraining benötigt, das regelmäßig und intensiv geübt und bearbeitet werden muss. Der Schlüssel für ein kraftvolles und zugleich leichtes Singen ist der Atem und die damit verbundene körperliche Kraft und Bereitschaft, dies zu tun.

Bei der Lektüre dieses Buches sprang ich immer wieder voller Lust auf, um Körperübungen in Verbindung mit der Stimme auszuprobieren; meist begleiteten mich die Übungen in der Woche weiter, und ich probierte mit meinen Studierenden Bewegungsabläufe aus. Die Veränderungen sind für die Studierenden sofort erlebbar, denn ein regelmäßiges Üben und Trainieren bewirkt bleibende Veränderungen. Ich erlebe eine tiefe Befriedigung, weil es mit dem vorliegenden Buch sehr einfach gelingt, die muskulären Zusammenhänge einer Bewegung den Studierenden zu verdeutlichen und genau zu erklären. Viele Fragen werden beantwortet, es werden neue Anreize zum Entdecken und Erleben des eigenen Körpers und der eigenen Stimme geschaffen.

Ein Buch, nach dem ich gesucht habe. Jetzt ist es da!

Danke, Susanne Eisch!

Mareike Morr

Mezzosopranistin, Professorin für Gesang an der Musikhochschule Freiburg, selbst leidenschaftlich Lernende und Lehrende

EINFÜHRUNG

Wunderwerk Stimme

Die menschliche Stimme ist ein Wunderwerk der Evolution. Mit einem ersten Schrei machen wir uns auf dieser Erde bemerkbar. Unverwechselbar. Unsere Stimme. Wir lernen sprechen und kommunizieren mit anderen Menschen durch unsere Stimme. Sie begleitet uns durch unser ganzes Leben und ermöglicht unser soziales Miteinander. Wenn wir Glück haben, erleben wir Menschen, die mit uns singen und wir lernen die Luxusfunktion dieses Organs kennen: Wir singen. Und erfahren damit noch mehr Möglichkeiten für unseren Selbstausdruck und die Kommunikation mit anderen. Eine Kommunikation, die weit über den Austausch von Informationen hinaus geht. Und die uns und andere glücklich machen kann.

Schon immer haben Menschen versucht, den Klang der menschlichen Stimme mit anderen Instrumenten zu imitieren. Alle Instrumente haben ihre Schönheit und ihre Vorzüge. Aber keines kommt in seiner Vielfältigkeit und Effizienz auch nur in die Nähe des Wunderwerks „Stimme“.

Die Sängerin vor dem Orchester

Stellen Sie sich kurz die folgende Szene vor: Eine Sängerin steht vor einem Orchester. Sie singt eine Arie und wird dabei von 60 Musiker:innen begleitet. Wir hören die klangvolle Stimme der Solistin und genießen die gesungene Melodie, die von dem Orchesterklang getragen scheint.

Das Instrument der Sängerin besteht im Wesentlichen aus zwei kleinen Stimmlippen, deren Vibration in einem schmalen Hohlraum verstärkt wird. Mit ihnen produziert sie einen Klang, verändert Tonhöhe und Lautstärke. Sie artikuliert Vokale und Konsonanten und transportiert so zusätzlich noch einen Textinhalt. Und wird dabei begleitet von einem Orchester. Von vielen Instrumenten. Von denen jedes einzelne um ein Vielfaches größer ist als das Instrument der Solistin. Und dennoch trägt die menschliche Stimme scheinbar mühelos über das Orchester.

Potenzial Stimme

Dieses erstaunliche Potenzial ist in uns allen angelegt. Wir alle verfügen über ein ähnliches, stimmliches Instrument. Der anatomische Unterschied zwischen der Sängerin und den Menschen im Publikum ist minimal. Die Solistin verfügt nicht über „andere“ Stimmlippen. Aber sie geht vermutlich anders mit ihrem Instrument um als die meisten Menschen, die ihr fasziniert lauschen. Sie hat gelernt, ihren Körper als Instrument zu begreifen. Sie hat gelernt, die physiologischen Bedingungen ihres Körpers so zu nutzen, dass ihre Stimme tragfähig, leistungsfähig und „schön“ wurde. Dieser Vorgang ist – wie viele andere komplexe Tätigkeiten, die wir als Menschen ausführen – lernbar. Wir können Leistungsfähigkeit und auch die „Schönheit“ unserer Stimme erlernen. Diesen Anspruch vertritt die Potenzialorientierte Gesangspädagogik, die ich Ihnen in diesem Buch vorstelle. Was wir dafür brauchen, ist etwas Zeit und Geduld. Und einen Weg, der diese Entwicklung für uns gangbar macht.

Singen ist lernbar

Dieses Buch soll Ihnen die komplexen, physiologischen Zusammenhänge, auf denen unsere Stimmfunktion beruht, erfahrbar und verstehbar machen. Ausgehend von der Erfahrung einer (Körper-)Übung beschreibe ich Schritt für Schritt die physiologischen Zusammenhänge. So verknüpfen wir die Erfahrung mit einem kognitiven Verständnis, was die praktische Anwendung noch bewusster und effizienter machen wird.

Den akustischen Vorgang „Singen“ durch ein Buch vermitteln zu wollen, ist ambitioniert. Ich bin mir der Grenzen des Mediums sehr wohl bewusst. Zur Vereinfachung des Übens liegen die Übungen aus diesem Buch auch in einer Übungsfassung mit praktischer Ringbuchheftung vor.1 Sollten Sie während der Arbeit mit den Übungen mehr Unterstützung brauchen, so empfehle ich Ihnen die Arbeit mit dem Videomaterial. Jede der verwendeten Übungen gibt es auch als einstündige Videoanleitung, die Sie mit dem QR-Code am Ende jeder Übung abrufen können. Diese ausführlichere Darstellung kann bereits ausreichend für das Verständnis sein, wenn im Text etwas unklar geblieben sein sollte. Ergänzend empfehle ich Ihnen die Begleitung durch eine in der Methode erfahrene Gesangspädagog:in2.

Nehmen Sie sich Zeit und Raum!

Gehen Sie achtsam und genussvoll mit den praktischen Übungen dieses Buches um. Üben Sie in einem Raum, in dem Sie lauter werden können ohne die Sorge, andere Menschen zu stören. Bitte halten Sie sich nicht zurück. Erlauben Sie dem Klang, sich zu entfalten, wie Ihre Stimme das möchte und es sich aus den Übungen ergibt. Ihre Stimme ist dafür gemacht, frei zu schwingen und auch lauter zu werden. Damit Sie sich beim Singen wohl und sicher fühlen, kann es helfen, vorher mit den Nachbarn zu sprechen. Verabreden Sie Zeiten, zu denen Sie üben können, ohne zu stören. Und wer weiß, vielleicht fühlen sich die Menschen in der Nachbarschaft ermutigt und beginnen ebenfalls zu singen?

Bitten Sie die Menschen in Ihrem Umfeld, sich unbedingt mit jeglichen Kommentaren zurückzuhalten. Machen Sie ihnen klar, dass Sie einen sicheren Rahmen brauchen, um zu einem freien stimmlichen Selbstausdruck finden zu können.

Seien Sie neugierig auf die physiologischen Zusammenhänge Ihrer Stimme. Experimentieren Sie mit den Übungen und ändern Sie sie nach Bedarf ab. Üben Sie gewissenhaft, aber mit Leichtigkeit und Freude. Versuchen Sie nicht, „richtig“ zu singen, sondern genießen Sie den Prozess. Je mehr Sie sich auf Wohlgefühl und Genuss fokussieren, umso mehr wird Ihre Stimme von den Übungen profitieren. Je weniger Sie versuchen, das akustische Ergebnis zu beeinflussen, umso schöner wird Ihre Stimme klingen.

Wenn Sie den Titel dieses Buches in eine gängige Übersetzungssoftware eingeben, erhalten Sie die Aussage: „Seien Sie lautstark“. Dazu will Sie dieses Buch ermutigen. Ihre Stimme wird durch die Arbeit mit den Übungen volu-menreicher, tragfähiger und schöner werden. Eine Umfrage bei amerikanischen Freund:innen ergab aber noch eine tiefer gehende Bedeutung. Im Amerikanischen ist „be vocal“ ein Ausdruck für Selbstermächtigung und Emanzipation. „Erheben Sie Ihre Stimme“, „Halten Sie sich nicht zurück“, „Speak your truth“, „Sei nicht schüchtern – sag was!“ – im persönlichen und auch im politischen Bereich. Auch in diesem Sinne möchte dieses Buch Sie unterstützen: Be vocal!

Genauso verletzend wie Kommentare von außen, kann die abwertende und kritische Stimme von innen sein. Schon beim ersten Ton schallt es in vielen von uns: „nicht schön, zu laut, zu leise, zu hoch, zu tief ...“

Der ungnädigste Richter wohnt häufig in unserem eigenen Kopf. Nehmen Sie diese Stimme wahr. Distanzieren Sie sich von den Inhalten. Sie ist nicht hilfreich auf dem Weg Ihres stimmlichen Wachstums. Ihre Stimme ist gut so, wie sie ist. Sie ist schön und hat das Potenzial zu mehr, vollerem und immer noch schönerem Klang. Nichts und niemand hat das Recht, Ihre Stimme abzuwer-ten. Dennoch kommentieren wir unablässig unseren Klang. Unabhängig von der objektiven Qualität. Auch hervorragende Berufssänger:innen leiden häufig unter andauernder Selbstverurteilung. Wenn Sie ein Urteil wahrnehmen, halten Sie einen kurzen Moment inne. Atmen Sie vollständig ein und langsam wieder aus. Wenn die Stimme zu überwältigend wird, stampfen Sie mit den Füßen auf und sagen Sie laut: „nein“. Atmen Sie wieder vollständig ein und aus. Kommen Sie dann zurück zu Ihrer Übung.

» Sorgen Sie für einen sicheren Raum zur Entfaltung Ihres stimmlichen Potenzials – im Innen und im Außen.

WIE KLANG ENTSTEHT

Die meisten Musikinstrumente folgen einem ähnlichen Bauplan und orientieren sich damit am grundlegenden Aufbau der menschlichen Stimme. Sie alle verfügen über eine Energiequelle, einen Schwingkörper und einen Klangraum.

Energie

Die Energiequelle ist etwas, das sich bewegt. Ein Bogen, der die Saite in Bewegung versetzt. Die Luft, die das Blatt des Saxophons vibrieren lässt oder der Hammer des Klaviers, der durch das Anschlagen der Taste auf eine Saite schlägt. Bei der menschlichen Stimme ist dies die Atemluft, die aus der Lunge fließt.

Schwingkörper

Diese Energie versetzt einen Schwingkörper in Schwingung oder Vibration. Das kann eine Saite sein, wie bei Saiteninstrumenten oder beim Klavier. Ein Blatt, wie bei Holzblasinstrumenten. Oder auch ein Fell, wie bei der Pauke. Bei der menschlichen Stimme sind es die Stimmlippen, die schließen, durch den ausströmenden Atem in Schwingung versetzt werden und einen sogenannten Primärschall produzieren. Dieser Schall ist nicht tragfähig und auch nicht besonders klangschön.

Klang braucht Raum

Zu einem unverwechselbaren Wohlklang wird der Schall erst durch einen Klangraum oder Resonator, in dem er verstärkt wird. Die Saite einer Geige ist kaum hörbar, wenn sie ohne Korpus angestrichen wird. Erst durch die Resonanz im kunstvoll gestalteten Holzkorpus entsteht der Klang der Stradivari.

Bei der menschlichen Stimme wird der Schall der vibrierenden Stimmlippen in unserem Hals- und Rachenraum verstärkt. Ein echter Multifunktionsort, den wir hauptsächlich für die Atmung und die Nahrungsaufnahme beim Schlucken benutzen. Der aber auch als Klangverstärker für unseren unverwechselbaren Stimmklang dient.

BEISPIEL GEIGE

Am Beispiel einer Geige ist die Saite die Klangquelle/Vibrator. Die Geige hat unterschiedliche Saiten für unterschiedliche Tonhöhen, die durch die linke Hand weiter verkürzt und damit in der Tonhöhe verändert werden können.

Durch den Bogen, der mit der rechten Hand (Energie) geführt wird, wird die Saite in Schwingung versetzt. Dieser Klang wäre ohne Resonator eher ein Geräusch.

Den Resonator bildet in unserem Beispiel der Holzkorpus. Hier werden die Schwingungen der Saite verstärkt. Seine Form und z. B. die Holzart sind wesentlich für die Qualität der Geige.

Beim Singen oder Sprechen fließt die Luft aus der Lunge durch die Stimmritze nach außen. Für die Klangentstehung schließen die Stimmlippen und werden durch die hindurchströmende Luft in eine leichte Vibration versetzt. Veränderungen in Länge und Dicke der Stimmlippen sorgen für die Änderung der Tonhöhe.

Der entstehende Schall wird in dem darüber liegenden Hohlraum zwischen Stimmlippen, weichem Gaumen und Lippen verstärkt. Hier kann die Klangschwingung durch Bewegung von Kiefer, Zunge, Lippen und Rachenraum verändert werden – wir artikulieren Vokale und Konsonanten.

1. WIR ZOOMEN RAN: INSTRUMENT STIMME

Nahezu alle Körperteile sind mit der Funktionsfähigkeit der Stimme verbunden. Wie wir stehen, wie wir gehen, die gesamte Körperaufrichtung, die Atmung und die Muskeln im Hals- und Kopfbereich – alles beeinflusst unsere Stimme. Sie können sie unterstützen und zu großer Leistungsfähigkeit und Schönheit führen. Sie können aber auch die Funktion so sehr einschränken, dass am Ende sogar die Sprechstimme leidet.

Das lebendige Instrument

Die Tätigkeit „Singen“ nimmt selbst bei Berufssänger:innen nur einen kleinen Teil im Alltag ein. Wir leben unser Leben mit diesem Instrument. Wir tun alle möglichen Dinge mit unserem Körper, die mit Singen oder unserem Sprechen zunächst mal nichts zu tun haben. Und dennoch beeinflussen alle unsere Bewegungen die Funktionsfähigkeit unseres Stimmapparats. Spätestens wenn wir unsere Stimme zum Singen nutzen möchten, spielt es eine große Rolle, wie wir stehen, atmen und uns bewegen. Dann wird es relevant, wie wir unseren Körper organisieren, damit unser Singen eine mühelose Freude für uns (und unser Publikum) werden kann.

In diesem ersten Kapitel verschaffen wir uns einen Überblick über unser stimmliches Instrument. Wir gehen von unten nach oben durch die einzelnen Körperteile und machen uns mit ihren Aufgaben im stimmlichen Kontext vertraut. Lassen Sie uns diese erste Kontaktaufnahme praktisch angehen. Wir nehmen unser Instrument selbst in die Hand. Wir fühlen seine Form, seine Struktur und erleben die Muskulatur unter unseren Händen.

Jedes Instrument ist unterschiedlich und Einschränkungen sind normal. Passen Sie alle Übungen an Ihr persönliches Instrument an. Sie können Ihre Stimme auch entwickeln, wenn Sie z. B. im Rollstuhl sitzen.

ÜBUNG: STIMME ALS INSTRUMENT

Die großen Muskeln unserer Beine sorgen für unseren aufrechten Stand und sind die Basis für eine sängerische Einatmung. Unsere Stimme profitiert von einer guten Grundspannung dieser Muskulatur.

© shutterstock | Nerthuz

Beine – kraftvoll und flexibel

Stabile Beine sind eine wichtige Voraussetzung für eine gute Körperaufrichtung. Sie bilden die Basis für eine vollständige, sängerische Einatmung. Die Beine unseres Instruments sollten zugunsten unserer Stimmfunktion gerade, aber nicht fixiert sein. Die Muskulatur der Beine hat idealerweise eine gute Grundspannung, einen leicht erhöhten Muskeltonus, aber die Beine sind nicht unbeweglich und starr. So bilden sie eine kraftvolle, bewegliche Basis für Körperaufrichtung und Atmung.

» Bitte kommen Sie zum Stehen. Massieren Sie Ihre Fußsohlen im Kontakt zum Fußboden. Massieren Sie Ihre Beine mit den Händen von der Wade bis zum Oberschenkel.

Fühlen Sie die Flexibilität der Fußsohlen. Genießen Sie den Kontakt zum Fußboden.

Tasten Sie die großen Muskeln Ihrer Beine unter Ihren Händen. Diese Muskeln sind kraftvoll und flexibel. Spannen Sie die Beinmuskeln etwas an und lösen Sie sie wieder. Fühlen Sie ihre Kraft, die Ihnen Standfestigkeit und Fortbewegung ermöglicht. Bewegen Sie die Gelenke Ihrer Beine. Sie verschaffen Ihnen Stabilität und Beweglichkeit.

© 2024 Thieme

In dieser Ansicht schauen wir von vorne auf die Innenseite unserer Wirbelsäule. Die Körpervorderseite ist entfernt. Das Bild zeigt mit Zwerchfell und Zwischenrip-penmuskeln die wichtigsten Einatmungsmuskeln auf einen Blick.

» Massieren Sie die knöchernen Teile Ihres Beckens, insbesondere den Beckenkamm an der Seite.

» Ertasten Sie Ihre Lendenwirbelsäule und massieren Sie sie langsam nach oben bis zum Übergang zwischen Brust- und Lendenwirbelsäule. Massieren Sie hier mit sanft auf- und abstreichenden Bewegungen.

Das Zwerchfell – der hintere Anteil

Die Ausrichtung des Beckens im Raum bestimmt die Aufrichtung der Wirbelsäule, sie hat einen großen Einfluss auf die Aktivität der Einatmungsmuskula-tur. Am Übergang zwischen Lenden- und Brustwirbelsäule begegnen wir dem Kraftzentrum Ihrer Stimme. Dem Maschinenraum für unsere Atmungsfunktion. Das Zwerchfell ist unser wichtigster Einatmungsmuskel und das Kraftzentrum für unsere Atmungsfunktion. Unablässig hebt und senkt es sich, bringt mit jeder Senkung Luft in die Lunge und sorgt für den lebenswichtigen Sauerstoff. An dem Massagepunkt zwischen Brust- und Lendenwirbelsäule befinden sich die hinteren Anteile Ihres Zwerchfells, die mit der Wirbelsäule verbunden sind. Deshalb ist diese Stelle von großer Bedeutung für unsere Einatmung und Stimmfunktion. Ist das Becken leicht aufgerichtet, können die hinteren Teile des Zwerchfells aktiver im Atmungsablauf werden. Wir werden ihnen noch öfter im Verlauf dieses Buches begegnen.

Verbindung zwischen Stand und Atmung

An der Lendenwirbelsäule entspringt der große Lendenmuskel (M. psoas major), der sich mit dem Darmbeinmuskel (M. iliacus) am Oberschenkelkopf zum Lenden-Darmbeinmuskel (M. iliopsoas) vereinigt. An seinen Ursprüngen reicht er an die hinteren Zwerchfellanteile heran und stellt eine direkte Verbindung zwischen Ihrem Stand, der Position des Beckens und der Aktivität des Zwerchfells her. Die flexible Stabilität in den Beinen, die wir uns für unser sängerisches Instrument wünschen, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das Zwerchfell kraftvoll arbeiten kann.

» Tasten Sie mit beiden Händen den unteren Rand Ihres Brustkorbs – ausgehend vom Brustbein über die Seite nach hinten.

©2024 Thieme

Wir sehen die kuppelförmige Struktur des Zwerchfells – eine dünne Muskel-Sehnen-Platte. Es trennt den Brust- vom Bauchraum und ist unser wichtigster Einatmungsmuskel.

Das Zwerchfell – die seitlichen Anteile

Wenn Sie etwas unter den Brustkorbrand greifen, können Sie den seitlichen Verlauf ihres Zwerchfells tasten. Das Zwerchfell liegt quer eingespannt in unserem Brustkorb und ist seitlich mit den unteren Rippen (achte bis zehnte Rippe) verbunden. Durch eine kleine, haftende Schicht zwischen Lunge und Zwerchfell vergrößert jede Senkung des Zwerchfells Ihr Lungenvolumen. Wenn das Zwerchfell in der Einatmung kontrahiert und sich weit absenkt – was wir uns für unser sängerisches Instrument in der Einatmung wünschen – vergrößert es seine Fläche und erweitert seitlich die unteren Rippen. Nur wenn diese Rippenerweiterung durch die darüberliegende Bauchmuskulatur erlaubt wird, ist eine vollständige, sängerische Einatmung möglich. In der Einatmung senkt sich das Zwerchfell nach unten bis auf Höhe der siebten Rippe, kommt also auch in einem vollständig gesenkten Zustand nicht bis zum „Bauch“. In der Ausatmung kann das Zwerchfell nach oben bis zur vierten Rippe steigen, und die Kuppel befindet sich dann auf Höhe unseres Brustbeins.

Häufig sind wir überrascht, wie weit nach unten unser Brustkorb seitlich reicht. Der Abstand zwischen Beckenkamm und zehnter Rippe ist meistens deutlich geringer als in unserer Vorstellung.

Die Atmung – in action

Wenn Sie die Hände seitlich an die unteren Rippen legen und sich in einer großen Einatmung die Rippen zur Seite bewegen, fühlen Sie ganz konkret Ihr Zwerchfell in action. Sie fühlen, wie es sich abflacht, die Rippen dadurch erweitert, Ihre Lunge sanft und kraftvoll nach unten zieht und so Luft in die Lunge saugt.

Wir atmen aus, wenn das Zwerchfell seine Kontraktion abgibt und wieder nach oben steigt. Die unteren Rippen bewegen sich langsam wieder nach innen. Die Ausatmungsphase beginnt bereits mit dem Ende der Einatmungsaktivität. Die Luft fließt nach außen und zu Beginn der Ausatmung oder des Singens reicht die Rückstellkraft des Lungengewebes für ein sanftes Ausströmen der Luft aus. Erst bei einer längeren oder forcierten Ausatmung bzw. einer längeren Gesangsphrase werden die Ausatmungsmuskeln aktiv und unser Zwerchfell hebt sich sehr weit nach oben an.

Machen wir uns mit weiteren Einatmungsmuskeln vertraut, die den für uns wichtigen Sauerstoff in die Lunge befördern, aber auch unsere Stimme mit viel Energie versorgen.

Komplexe Muskulatur zwischen den Rippen

© 2024 Thieme

Die Rippen des Brustkorbs sind durch viele kleine Zwischen-rippenmuskeln in zwei Schichten miteinander verbunden. Die äußeren vergrößern den Abstand der Rippen und sorgen damit für eine Einatmung. Die inneren verkleinern ihn und werden in einer verstärkten Ausatmung aktiv. Die äußeren Zwischenrippenmuskeln können auch während des Singens aktiv bleiben und reduzieren damit den angewendeten Luftdruck – zum Wohle unserer Stimme.

» Strecken Sie einen Arm zur Decke und erforschen Sie mit der anderen Hand Ihre Rippen.

» Massieren Sie die Zwischenrip-penmuskeln, die die einzelnen Rippen miteinander verbinden. Fahren Sie dazu die Zwischenräume zwischen Ihren Rippen mit den Fingern ab. Massieren Sie mit feinen vibrierenden Bewegungen die kleinen Räume zwischen Ihren Rippen.

» Legen Sie Ihre Hand auf die Brustkorbseite des gehobenen Armes. Positionieren Sie die Hand an Ihrem Brustkorb mal weiter unten und mal weiter oben in Richtung Achselhöhle.

» Atmen Sie langsam und groß ein und aus.

» Strecken Sie den anderen Arm zur Decke und erforschen Sie die Rippenbewegung auf der anderen Körperseite.

Erleben Sie die Veränderung des Abstands zwischen den Rippen, während Sie ein- und ausatmen. Können Sie fühlen, dass sich die Rippen in der Einat-mungsphase etwas voneinander entfernen und in der Ausatmungsphase sich etwas annähern? Erleben Sie die Erweiterung Ihres Brustkorbs an unterschiedlichen Stellen. Vielleicht ist fühlbar, dass sich die Rippen an unterschiedlichen Stellen des Brustkorbs unterschiedlich erweitern? Können Sie in der Einatmung „wünschen“, dass sich die Rippen ein kleines bisschen voneinander entfernen?

Atmend zur Flexibilität

Sie können Ihre Atmung lenken und eine Vergrößerung der Rippenerweiterung unter Ihren Händen durch die Fokussierung auf die Atmung herbeiführen. Glücklicherweise atmen wir auch dann, wenn wir keinen Gedanken darauf verschwenden. Aber wir können unsere Atmung auch bewusst lenken und die Brustkorberweiterung durch die Atmung willentlich vergrößern. Genießen Sie diese Atmungsbewegungen und experimentieren Sie mit unterschiedlichen Stellen Ihres Brustkorbs.

Sprache erzählt viel über unsere Körperbilder und „Brustkorb“ ist ein schönes Wort. Es beschreibt im günstigen Fall die Flexibilität und Biegsamkeit eines Weidenkorbes. Im ungünstigen Fall wird daraus das etwas veraltete Wort „Brustkasten“, starr und unbeweglich. Mit etwas Zeit und dieser Übung kann der „Kasten“ sich wieder in einen „Korb“ verwandeln.

Machen Sie diese kleine Rippenmassage zwischendurch im Alltag. Massieren und „beatmen“ Sie abends auf dem Sofa Ihre Zwischenrippenmuskulatur. Besonders nach Erkältungen oder Stress kommen Sie so schneller zurück zu stimmlicher Leistungsfähigkeit. Bewegen sich beide Seiten in der Einatmung ähnlich? Gut möglich, dass sich die Atmungsbewegungen auf beiden Körperhälften etwas unterschiedlich anfühlen. Wir sind nicht symmetrisch. Anatomische Gegebenheiten und Haltungsgewohnheiten können zu großen Unterschieden zwischen den beiden Seiten führen.

In den Zwischenräumen zwischen den einzelnen Rippen können Sie die Zwi-schenrippenmuskeln (Mm. intercostales) tasten. Vergrößert sich der Abstand der Rippen in der Einatmung, fühlen Sie die Aktivität der äußeren Zwischen-rippenmuskeln (Mm. intercostales externi). Werden die inneren Zwischenrip-penmuskeln (Mm. intercostales interni) hingegen aktiv, nähern sich die Rippen aneinander an, das Lungenvolumen verkleinert sich und es wird Luft aus der Lunge gepresst.

Verengung des Brustkorbs oft chronisch

Durch unsere Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten weisen die inneren Zwischenrippenmuskeln häufig einen höheren Grundtonus auf. Kommen dann noch Erkrankungen, wie z. B. eine langwierige Bronchitis dazu, verstärkt sich diese Tendenz. Die inneren Zwischenrippenmuskeln befinden sich in Dauerkontraktion und verengen chronisch den Rumpf. Es fällt den äußeren Zwischen-rippenmuskeln dann zunehmend schwer, den Brustkorb für eine vollständige Einatmung zu erweitern. Der Widerstand der inneren Zwischenrippenmuskeln ist bei einer chronischen Kontraktion zu groß. Einatmung wird mühsam und ineffizient.

Verbindung von Atmung und Massage