Bebelpark - Michael Ockert - E-Book

Bebelpark E-Book

Michael Ockert

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Beschreibung

Wie lebt es sich im Jahr 2076 in Mitteleuropa? Die Hitze ist unerträglich und dörrt alles aus. Die Großstädte sind verlassen. Eine kleine Gemeinschaft in Neckarau organisiert ihr Leben und bestreitet den Alltag im Klimawandel. Eine Utopie der Normalität.

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für Ursula

Inhalt

Bebelpark

Bouldern

Der Kühlschrank von Luigi

Bebelpark

1

Es war das Jahr 2076 und die Wasser-Rationierung war noch einmal verschärft worden. Statt 25 Liter pro Tag bekamen jede Bewohnerin und jeder Bewohner nur noch zwanzig Liter für den Eigenbedarf, Kinder immerhin noch zehn. Was die einzelnen damit anfingen, war ihnen selbst überlassen. Ein Mal pro Woche kam das große Wasserauto, ein umfunktionierter Tanklaster, und pumpte die Wochenration in die Wohnungen. Da war Neckarau schon fast entvölkert, denn die Hitze des Sommers hielt niemand aus. Die meisten waren nach Skandinavien und Sibirien ausgewandert. Allerdings waren die Regionen nördlich des Polarkreises den Reichen vorbehalten. Der Wein wurde im Baltikum und in Südfinnland angebaut.

Erich Onkels stand am Eingang des Bebelparks und schaute über die Fläche. Der einst grüne Park glich einer Steppe oder Savanne. Selbst die letzten ausgetrockneten Grasstoppel waren niedergetrampelt und überall schaute der hellgelbe Lehmboden hervor. Wenigstens haben sie die Bäume stehen lassen, dachte er zufrieden, auch wenn es nur Baumgerippe waren und ein paar davon rußgeschwärzt. Selbst die kleine Eibengruppe hatte es nicht geschafft.

„Lauf weiter!“ schnaubte Erich. Immer Claudius! Wenn der Junge nur in den Park einbog, wusste er, dass es Ärger gab.

„Sie haben mir gar nix zu sagen“, rief der trotzig zurück. „Das ist doch lächerlich, was Sie hier veranstalten. Ein Aufzug wie beim Karneval. Ich habe so was schon mal auf einem alten Bild gesehen. Ich glaube, das war so was wie ein Bahnhofsvorsteher. Und waschen könnten Sie den auch mal.“

Oder war es ein Förster, ging es dem Jungen durch den Kopf. Er wusste auch nicht, wie ein Förster aussah. Seine Oma hatte ihm einmal davon erzählt, als er klein war. Er versuchte, möglichst schnell an Erich vorbei zu kommen, und zog an der Leine seines Elektromops'. Dessen Fell war zusammengesetzt aus winzigen Sonnenkollektoren von braunem Kunstharz und die Ausbeute des Tages hätte gereicht, um ihn die ganze Nacht herumspringen zu lassen. Echte Hunde gab es sehr selten und auch nur, wenn man Beziehungen hatte - und Geld natürlich. So wie es kaum Wasser gab, gab es so gut wie kein Fleisch mehr. Hundefutter bestand zum größten Teil aus Puffreis.

„Das merk ich mir!“ rief ihm Erich hinterher. „Deine Mutter wird sich freuen, wenn ihr das nächste Mal ins Bad kommt.“

Claudius zuckte zusammen.

„Komm, Wastl, wir gehen lieber. Das ist kein lieber Onkel.“ Er zog an der Leine. Wie sich Onkels hier aufspielte, war einfach unerträglich. Andrerseits war er Bademeister des Volksbads und da konnte er ganz schön schikanieren, wenn er wollte. Seine Mutter würde sich sicher ärgern, wenn die Dusche schon wieder nach fünf Minuten abgestellt würde. Dabei standen ihnen sieben Minuten zu – zu zweit, Der Wechsel war immer eine Herausforderung.

Trotzdem, er konnte sich das nicht gefallen lassen. Er merkte, wie er überkochte. Am liebsten würde er es der Stadtverwaltung melden. Das war nun wirklich mehr als peinlich, Waldbademeister im Bebelpark. Da gab es doch gar keine Bäume mehr, allenfalls Baumgerippe. Wie klein musste Onkels' Ego sein, um sich diese lächerliche Rolle anzumaßen? Claudius hätte laut herauslachen können, wenn es nicht so traurig gewesen wäre.

Zum Glück bog Babette um die Ecke, auch wenn er es nur aus den Augenwinkeln bemerkte. Sie war eine der letzten Neckarauerinnen, die einen richtigen Hund besaßen, einen Zwergspitz. Und Onkels hatte einen Narren an ihr gefressen.

„Hallo mein Liebe, tritt ein! Welch eine Freude!“ säuselte der. Babette war eine Mittdreißigerin. Auch wenn die T-Shirts, die sie über ihre geplusterten Shorts trug, oft ein wenig abgetragen wirkten, machte sie immer einen gepflegten Eindruck, genau wie ihr glattes braunes Haar.

„Wie, was geht, Alter?“ rief sie Erich zu und nickte dabei breit grinsend. Ihre Erscheinung war der krasse Gegensatz zu Onkels in seiner Schutzkleidung, der schweren neon-orangenen Arbeitshose und -jacke mit Refelktorstreifen. Dazu die dicke Kappe mit großem Schutzschild und Sonnenbrille. Nur die Knöchel lagen bei ihm frei. Heute war es ausnahmsweise mal bewölkt, aber diese Montur hatte er immer an, auch bei prallem Sonnenschein.

„Komm, tauch ein in die herrliche Atmosphäre des Waldes! Fühlst du es, wie uns die gütigen Pflanzen mit ihren Düften umhüllen?“ Er breitete seine Arme aus und atmete tief durch, obwohl die Luft drückend und war und in Schlieren aufstieg. Früher war der Saharastaub nur ein seltenes Phänomen gewesen. An die Temperaturen über 35 Grad hatten sich die Bewohner längst gewöhnt. Andererseits war die Luft viel sauberer, seit keine Autos mehr herumfuhren. Dafür regnete es kaum und wenn, war die Schwüle nicht zum Aushalten.

Claudius zog sich in die kleine Stadtbibliothek am Rand des Parks zurück. Sie war im Jahr 2056 aufgegeben worden. Der Buchbestand war noch voll intakt. Idealisten pflegten ihn und staubten regelmäßig die Bücher ab.

2

Stanka und Krissa vom Ordnungsamt erwarteten ihn schon. Erich kannte sie. Er kannte sie allzu gut, alte Kolleginnen, ebenfalls in neonfarbenen Schutzwesten über der schwarzen Arbeitsmontur. Was blieb ihm übrig, als über den kleinen Hof auf sie zuzulaufen? Sie unterhielten sich vor dem kleinen Gebäude des Volksbads, seines Volksbads. Die Wolken hingen dunkel im Himmel über der ausgebleichten Fassade. Es würde kein Tropfen aus ihnen fallen, wie seit Monaten nicht.

„Jetzt komm schon rüber!“ rief ihm Krissa mit einer weit ausholenden Handbewegung zu, ihre Stimme war rauh und fad. Er überlegte angestrengt, was das sollte, dass sie hier auftauchten, unangemeldet. Ihr Tonfall klang ja schon fast nach einem Befehl. Alles in ihm sträubte sich.

„Was wollt ihr denn hier?“ Es waren nur noch ein paar Schritte. Krissa sah ein wenig untersetzter aus als das letzte Mal und er fragte sich unwillkürlich, wie sie an die Zusatzrationen rankam. Nur Stanka war genauso dünn und ausgemergelt wie immer. Ihre schwarzen Augen unter den buschigen Augenbrauen sprühten von Energie, abgemildert nur durch einen unerklärlichen Glanz. Das alles drang nicht zu seinem Bewusstsein vor, denn die Gedanken rasten. Die beiden hatten ihm gerade noch gefehlt.

Es war kurz nach drei, der Öffnungszeit des Volksbads. Die beiden standen dicht neben dem kleinen Pulk von Badegästen, die auf ihn warteten. Drei Frauen, ein etwa achtjähriger Junge mit Schwimmreif um den Bauch - wahrscheinlich war er noch nie in seinem Leben geschwommen - und zwei Rentner, die auf ihre Smartphones starrten. Generation Head Down. Smartphones waren längst außer Mode, es gab seit langem Chip-Implantate im Kopf, die man mit dem Gehirn steuern konnte. Bilder und Videos wurden auf die Netzhaut übertragen, Musik ins Innenohr. Die Gedanken waren vollkommen frei und überwacht. Nur die Alten wischten noch über die Glasflächen, auch wenn sie nur alte Techno-Clips anhörten.

„Ihr habt euren Besuch ja gar nicht angekündigt.“ Er konnte den maulenden Ton in seiner Stimme nicht unterdrücken.

„Ist ja auch ein unangekündigter Besuch“, zischelte Stanka. „Jetzt sperr schon auf! Du wolltest doch die Beförderung ins Herschelbad.“ Das war das Hallenbad in der Innenstadt. Jugendstil.

Erich verstand die Welt nicht mehr. Bislang hatten sie alle unangekündigten Besuche angekündigt. Und was sollte das jetzt? Vor den Badegästen konnte er es nicht ansprechen. Er kramte verwirrt in seinem viel zu großen Schlüsselbund und fand schließlich den Schlüssel für das gusseiserne Gitterschloss.

Das Volksbad war ein kleiner Bau aus hellen Ziegelsteinen vom Anfang des letzten Jahrhunderts. Es war seit dreizehn Jahren wieder in Betrieb und alle Einwohner von Neckarau hatten das Recht, es ein Mal in der Woche zu nutzen. Die Wassermenge und die Duschzeit in den Einzelkabinen waren streng rationiert und ein Mal im Vierteljahr war ein Bad im Wannenbad erlaubt, ein Zugeständnis an die bauliche Einrichtung von damals. Die Wannen waren nun einmal da und warum sollte man sie nicht nutzen? Ein unvorstellbarer Luxus, eine volle Badewanne, aber niemand hatte mehr eine Erinnerung an die Selbstverständlichkeit von Wasser.

„Jetzt lass schon rein“, raunte ihm Krissa in auffällig beruhigendem Ton zu, der Erich nur umso mehr alarmierte. Der kleine Mob schob sich in das enge Gebäude, ein kurzer gefliester Gang, spärlich durch die vergilbten Scheiben der Oberlichter erhellt. Links vier Wannenkabinen, rechts vier Duschkabinen.

„Mach ruhig erst mal die Badegäste.“ Stanka hätte fast ihre Hand auf seine Schulter gelegt, aber sie merkte seine Anspannung und hielt sich zurück. Er versuchte, seine Entspannung wiederzugewinnen. Nein, er wollte nicht angespannt wirken. Er kannte die Badegäste und ihre Einteilung genau und jetzt fiel ihm etwas auf.

„Giovanna, was machst du denn hier? Du hast doch gar keinen Termin.“

Die kleine, mittelalte Frau mit schwarzen, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren wandte sich energisch um und drängte sich an Erich heran.

„Mittwoch, ist heute nicht Mittwoch?“

„Nein, heute ist Dienstag.“ Diesen Irrtum aufzuklären, erleichterte Erich. Er spürte, wie eine Spur seiner geliebten Selbstsicherheit in ihn zurückströmte.

„Himmel, Dienstag!“ Die kleine Frau reckte ihre Arme in die Höhe.

„Stimmt ja. Ich habe verwechselt. Dann muss ich schnell in den Supermarkt. Heute gibt's doch Fleisch!“

Das streng rationierte Fleisch war eigentlich nur Kunstfleisch, aus Bakterien gezüchtet. Es war genauso heiß begehrt wie früher und die Leute rissen sich darum. Es war ihnen nicht abzugewöhnen. Große Stücke rotes Fleisch in noch größeren transparenten Plastikwannen. Auch Plastik wurde keines mehr hergestellt. Es gab nur noch die Gefäße aus den 20ern und 30ern, die nach Gebrauch ausgewaschen und eingetauscht wurden.

3

Giovanna rannte aus dem Hof hinaus und schimpfte vor sich hin. Die Badegäste verschwanden in den Duschkabinen und Krissa und Stanka winkten Erich zum Dienstzimmer am Ende des Gangs. Der kleine Raum war hell gefliest mit quadratischem Grundriss. Sie verteilten sich auf den